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Antonie Pannekoek Archives

Rätekorrespondenz

Quelle: a.a.a.p.


Rätekorrespondenz

Internationale Rätekorrespondenz 1934-1937 / Gruppe Internationaler Kommunisten (Holland). – Transkribiert und herausgegeben für Rätekommunismus ; Mitarbeit von der Association Archives Antonie Pannekoek, Dezember 2020, 504 S., € 13,16, ISBN 979-8551636052


Der Aufstand der Araber in Palästina


Quelle:  Der Aufstand der Araber in Palästina – In: Internationale Rätekorrespondenz : Theoretisches und Diskussionsorgan für die Rätebewegung.  – Ausg[abe]. der Gruppe Int[ernationaler]. Kommunisten, Holland. – 1936, Nr. 20 (Dezember); Quelle der Transkription: Rätekommunismus , 23. November 2020, Mitarbeit von der Association Archives Antonie Pannekoek.


Die Geschehnisse in Palästina bestätigen wiederum, was das kommunistische Manifest über die revolutionäre Rolle der kapitalistischen Produktionsweise sagt. Auch in Palästina wird eine zurückgebliebene, feudale Produktion von der kapitalistischen verdrängt, – und zwar tritt diese in ihrer gegenwärtigen modernen Form auf, ausgerüstet mit Arbeits- und Transportmitteln, mit Produktionsmethoden und Organisation, die den höchsten Anforderungen genügen. Umso rücksichtsloser geschieht das Verdrängen der alten, überlieferten Arbeitsweise und Gebräuche. Aufstände und Widerstand der Bevölkerung ist die Folge.

Palästina, das bis zum Ende des Weltkrieges zu dem alten türkischen Reich gehörte, wurde dann dem Protektorat Englands unterstellt. Von nun an begannen sich die Juden im Lande anzusiedeln. Zwar waren schon vordem vereinzelte jüdische Siedlungen vorhanden, doch in größerem Ausmaß geschah dies erst, als das neue englische Gouvernement für ihre Sicherheit sorgen konnte. Von dieser Zeit an datieren die Unruhe und der Widerstand der Araber, die sich gegen das Vordringen der jüdischen Niederlassungen zur Wehr setzen. Die letzte große Bewegung, die mit dem Generalstreik und dem Boykott der Juden begann und sich auswuchs zu einem Kampf mit den Waffen, war nur ein neues Glied in der Kette vorangegangener Kämpfe, aber sie hat die früheren Kämpfe an Ausdehnung und Heftigkeit bei weitem übertroffen. Der Kampf richtete sich nicht nur gegen die Juden, sondern auch gegen die englische Herrschaft; Palästina war ein Land im Aufstand, und dieser Zustand hat monatelang gedauert.

Dieser Aufstand wurde, ebenso wie alle früheren Widerstandsversuche, durch die bewaffnete Macht Englands unterdrückt, und die kapitalistische Durchdringung des Landes wird, sei es dann mit Erschütterungen, ihren Fortgang finden. Alle kapitalistische Eroberungen in kolonialen oder halb kolonialen Ländern haben bis jetzt dieses Bild gezeigt. Das Besondere des Zustandes in Palästina ist nun, dass das englische Gouvernement nicht selbst als kapitalistischer Eroberer auftritt, sondern als Beschützer der beiden gegensätzlichen Interessen, – der jüdischen und arabischen, – erscheint. Das ändert natürlich nichts an der Tatsache, dass die kapitalistische Eroberung des Landes weiter fortschreitet, ja, es ist gerade die Aufgabe der englischen Regierung dafür zu sorgen, dass diese sich „geordnet“ vollzieht. Aber sie hat ein Interesse daran, dass keine der beiden einander bekämpfenden Gruppen so viel Selbständigkeit bekommt, dass sie sich der englischen Herrschaft entziehen kann.

Dieser Umstand wirft auch ein Licht auf die Verhältnisse bei den Opfern selbst. Wie rückständig auch die Produktion und die gesellschaftlichen Zustände bei den Arabern sein mögen, doch ist schon eine herrschende Klasse vorhanden, die sich, ebenso wie in den kapitalistischen Ländern, in Parteien organisiert hat und von allen modernen Mitteln der Propaganda und Beeinflussung der öffentlichen Meinung Gebrauch macht, um ihre Herrschaft aufrechtzuerhalten – auch gegen die eindringenden kapitalistischen Mächte der Juden. Diese Araber haben Parteien organisiert, geben Zeitschriften und Tageszeitungen heraus, nicht nur in Palästina, sondern auch in anderen arabischen Ländern und selbst in London.

Das deutet darauf hin, dass die alte herrschende Klasse in diesem Lande mit feudalen und rückständigen Produktionsverhältnissen und der Aufrechterhaltung ihrer Macht bereits zu kapitalistischen Methoden übergegangen ist. Dies wird durch die Angaben über die ökonomischen Zustände in der arabischen Produktion bestätigt. So wird berichtet, dass unter dem türkischen Regime große Teile des Landes, auf dem Fellachen und Beduinen (arabische Bauern) wohnen, durch List oder Gewalt als Eigentum der Effendis (Großgrundbesitzer) erklärt wurden. Das ist der Beginn der bekannten, sogenannten „ursprünglichen Akkumulation“. Diese wurde fortgesetzt mit „geordneten“ und weniger anrüchigen Mitteln. Die primitiven Arbeitsmethoden des Fellachen und die schlechte Bodenbeschaffenheit hatten zur Folge, dass der Ertrag des Bodens zum Unterhalt für ihn und seine Familie kaum ausreichte. Das eine steht natürlich im engsten Verband mit dem Anderen. Wenn nichts übrig bleibt für den Verkauf, um bessere Werkzeuge – und was sonst noch nötig ist für die Verbesserung der Bodenbearbeitung - dafür zurück zu bekommen, dann ist ein größerer Ertrag nur noch durch extensive Bodenbearbeitung zu erreichen. Mit anderen Worten: Der Fellach muss mehr Land bebauen, um sich im Leben zu erhalten. Die Effendis haben genug, um zu verpachten, aber sie verlangen dafür ein Drittel, oft noch mehr von dem Ertrag. Der Fellache wird dadurch zu größerer Arbeitsleistung angespornt, aber es hilft ihm wenig, weil auch sein Arbeitstag eine natürliche Grenze hat und der Effendi ihm als Pacht abnimmt, was ihm aus seiner Notlage heraus helfen könnte. So gerät er immer tiefer in die Schuld beim Effendi, und eine der oft vorkommenden Missernten gibt ihm den letzten Stoß. Sein Land geht in den Besitz des Effendi über; er arbeitet nun völlig als Pachtbauer und muss ein Drittel, oder noch mehr, von seiner ganzen Ernte abgeben.

Die Folge davon ist eine große Konzentration des Grundbesitzes, die sich auch jetzt noch, und seit der jüdischen Einwanderung sicher in nicht geringem Maße, durchsetzt. Ein paar Zahlen aus der Zeit eben nach dem Kriege zeigen uns, wie groß der Grundbesitz der Effendis schon war. Es waren:

11Großgrundbesitzer mit jeder mehr als100 000 Dunam(9000 ha)
9Großgrundbesitzer mit jeder mehr als30 000 Dunam(2700 ha)
120Großgrundbesitzer mit jeder mehr als10 000 Dunam(900 ha)

Diese Effendis hatten ungefähr drei Millionen Dunam (2700 Quadratkilometer) im Besitz, das heißt ein siebtel der Oberfläche von Palästina oder den größten Teil der bebauten Fläche.

Die Macht der herrschenden Klasse bei den Arabern fußt auf dieser Abhängigkeit und Unterworfenheit der Landbauern; sie wird mit allen Mitteln dagegen ankämpfen, dass die Landbevölkerung aus dieser Lage befreit wird. Und aus diesem Grunde kehren sie sich gegen die jüdische Einwanderung, die durch die Umwälzung der alten Produktionsmethoden, die sie mitbringt, dafür Möglichkeiten schafft. Die jüdischen Schriften über Palästina sind voll von dieser Seite ihrer Kolonisierungsarbeit dort. Sie beschreiben uns den primitiven Fellachen-Betrieb, sie lassen uns den elenden Zustand des Fellachen-Dorfes und seiner Bewohner sehen und verweisen mit Stolz auf die Fellachen-Dörfer in der Nachbarschaft der jüdischen Niederlassung, die sich mit der Hilfe der jüdischen Kolonisten schon zu einer höheren Stufe von Produktion und täglichem Leben emporgearbeitet haben. Aber das war nur dadurch möglich, dass die Fellachen einen Teil ihres Bodens an die jüdische Kolonie verkaufen konnten und dadurch imstande waren, das übrig gebliebene Land mit besseren Mitteln intensiver zu bearbeiten. Die jüdischen Schreiber müssen selbst konstatieren, dass es dem übergroßen Teil der Fellachen, die nicht in solchen günstigen Umständen sind, unmöglich ist, ihre Wirtschaft zu verbessern, und zwar, weil sie nicht über die nötigen Geldmittel verfügen. Von den Fellachen, die immer wieder in ihr Land, auf dem sie seit Jahrhunderten gearbeitet und gelebt haben, wovon sie vertrieben sind, weil die jüdische Kolonie dieses Land vom Effendi gekauft hat, zurückkehren, davon erzählen die jüdischen Schreiber nichts. Aber das ändert nichts an der Tatsache, dass es geschieht, und dass die jüdischen Kolonisten oft in Schwierigkeiten geraten, die sie zu überwinden versuchen, indem sie diesen Fellachen eine Schadenvergütung in Geld geben. Die Kommunisten sind nun der Meinung, dass diese Fellachen ihr „Recht“ bekommen haben, aber der Fellach hat andere Rechtsbegriffe. Sein „Recht“ bestand seit Jahrhunderten darin, auf seinem Stück Grund zu leben und zu arbeiten, woran selbst der Übergang in den Besitz des Effendis noch nicht viel geändert hatte. Erst die jüdische Kolonie fügte zu der Enteignung auch noch die Vertreibung vom Grund hinzu. Hier wird die Frage des „Rechts“ in ihrer einfachsten Form gestellt: Die Menschen einer alten Produktionsweise werden durch die Vertreter einer neuen verdrängt, hier bestehen keine „Rechte“, sondern der Stärkere setzt sich durch.

Die Juden berufen sich auf ihr historisches „Recht“ aus der Geschichte des Altertums, das sagt, dass Palästina das „Land ihrer Väter“ war. Aber dieses „Recht“ bekam erst Bedeutung, als es der englischen Regierung nach dem Weltkriege gelegen kam, es anerkannte und seine Verwirklichung zusagte. Jetzt erst konnten die jüdischen Schreiber auf die Frage, wem der Grund in Palästina gehörte, antworten: „Der Grund gehört dem jüdischen Volk und den arabischen Bewohnern des Landes.“ Bei Licht besehen ist beides eine Phrase. Grund und Boden gehören in Wirklichkeit den arabischen Großgrundbesitzern, welche diejenigen, die ihn bebauen, unter ihrer Gewalt haben, oder gehört denjenigen Juden, die über genug Geld verfügen, um ihn von den Effendis zu kaufen.

Auch dort, wo das „Kommunistische Manifest“ davon spricht, dass der Kapitalismus „noch ganz andere Dinge als Kreuzzüge und Völkerwanderungen“ zuwege gebracht habe, findet es durch die Geschehnisse in Palästina und die jüdische Einwanderung seine Bestätigung. Die Migration der Juden in Palästina hat mit beiden Dingen eine Ähnlichkeit, sie ist sowohl Völkerwanderung als auch Kreuzzug. Sie ist eine Völkerwanderung, hervorgerufen durch den Druck des modernen Kapitalismus. In Deutschland hat die Vertreibung der Juden die Form einer politischen Aktion angenommen, aber auch in anderen kapitalistischen Länder nimmt der auf die Juden ausgeübte Druck immer schärfere Formen an. Der wesentliche Grund hierfür liegt in der Position, die die jüdische Bevölkerungsgruppe bisher zur Hauptsache im wirtschaftlichen Leben der Völker einnahmen und noch mehr oder weniger innehat. Sie befasste sich mit dem Handel, wurde während langer Zeit kaum zu den bürgerlichen Berufen zugelassen und stand sozusagen in jedem Lande hervorgehoben zwischen den ökonomischen gesellschaftlichen Organismen. Aber doch waren die durch sie verrichteten Dienste notwendig, denn der Handel hatte die Funktion, die noch mehr oder weniger selbständigen Gebiete des gesellschaftlichen Lebens miteinander zu verbinden. In der Jetztzeit jedoch, wo diese Selbständigkeit der Erwerbszweige für das Fortbestehen der Gesellschaft gefährlich wird, wo diese in einer großen Organisation, den nationalen Staat, zu einem festgefügten Ganzen aneinander geschweißt werden, verliert die Funktion des jüdischen Bevölkerungsteils seine Bedeutung und wird mit der Zeit völlig überflüssig.

Die Juden haben im Lauf der Jahrhunderte, dank ihrer Glaubensgemeinschaft, ihre Geschlossenheit bewahrt. In jedem einzelnen Land standen sie außerhalb der Produktion und des Betriebslebens, aber sie waren über alle Grenzen hinaus zu einem festen Ganzen zusammengeschlossen, eine Tatsache, die sie für ihre Mittlerrolle ganz besonders geeignet machte.

Dieselbe Tatsache trägt nun jedoch dazu bei, dass sie als Ganzes aus ihrem Platze herausgestoßen werden und vor der Aufgabe stehen, sich eine eigene Heimat zu erobern. Ihre Völkerwanderung wird jetzt eine Art Kreuzzug; ziehen sie doch als „Juden“ in jenes Land zurück, aus dem sie vor 20 Jahrhunderten vertrieben wurden.

Obschon die jüdische Religion das ideelle Band ist, welches den jüdischen Emigranten ermöglicht, nach Palästina, und gerade nach Palästina, auszuwandern, dort angekommen, müssen sie sich als moderne Landbauern und Städtebauer betätigen. Sie errichten dort eine kapitalistische Gesellschaft en miniatur. Sie kaufen sich Land, und weil der moderne Landbetrieb große Flächen davon benötigt, kommt ihnen die bisherige Konzentration des Landbesitzes in den Händen der Effendis sehr gelegen. So ist denn auch 90% des heutigen jüdischen Landbesitzes von den Latifundienbesitzern gekauft, nur 10% stammen von den Fellachen. Fast ein Viertel des jüdischen Grundbesitzes, nämlich 280 000 Dunam (25 200 ha) sind von einer Familie gekauft (Sursuck), weitere 150 000 Dunam (13 500 ha) entstammen dem Besitz von 13 Effendis.

Durch die von jüdischer Seite getätigten Landkäufe ist der Preis von Grund und Boden beträchtlich in die Höhe gegangen. Die arabischen Großgrundbesitzer sind natürlich an dieser Preissteigerung interessiert, allerdings nur insoweit sie als Verkäufer tätig sind, also ihr Land für den Verkauf an die Immigranten brauchbar ist. Die Fellachen dagegen haben in den weitaus meisten Fällen von diesen Preissteigerungen keinerlei Vorteil, da ihr Land ja mehr oder weniger an die Effendis verpfändet ist. Im Gegenteil, jetzt nachdem der Wert des Landes nach kapitalistischen Maßen gemessen wird, erhöht sich die Pacht, welche sie aufzubringen haben, während sie bessere Methoden der Exploitation ihres Landes infolge Mangels an Kapital nicht zur Anwendung bringen können. Hieraus folgt eine weitere Konzentration des Landbesitzes in den Händen der Effendis. Statistische Angaben aus dem Jahre 1920 bis 1927 bestätigen dieses. In diesen acht Jahren sind 750 000 Dunam (67 500 ha) Land von arabischer Seite verkauft, 365 000 Dunam (32 850 ha) davon gingen in jüdische Hände, während der Rest, fast die Hälfte der Gesamtfläche von Arabern, das heißt Effendis, gekauft wurde. Die kapitalistische Enteignung des feudalen Landbauers übertrifft also bei weitem die Grenze der jüdischen Kolonisation.

Die jüdischen Berichterstatter können und wollen diese Tatsache nicht in ihrer wahren Bedeutung aufzeigen. Sie verweisen auf die Vorteile, die der arabischen Bevölkerung durch die Einwanderung zuteil werden. Die Wertsteigerung des Landes ist eines ihrer Argumente; wir haben oben jedoch gezeigt, dass hiervon fast nur die Effendis profitieren. Aber dann ist doch noch die Möglichkeit des Verkaufs von Landbauprodukten an die jüdischen Kolonisten, oder die Gelegenheit für von ihrem Land vertriebene Fellachen, bei jüdischen Kolonien oder beim Städtebau als Lohnarbeiter Beschäftigung zu finden. Es wird auf die Verbesserung und den Neubau von Wegen hingewiesen. In 1921 bestanden 460 Kilometer im ganzen Jahr brauchbare Wege und 1000 Kilometer Sommerwege, 1929 waren die Zahlen auf 750 Kilometer resp. 1500 Kilometer angewachsen. Automobile gab es in 1920 ungefähr 50 Stück im ganzen Land, 1925 war ihre Anzahl auf 1700 gestiegen und 1933 zählte man 3000 Automobile.

Dieses sind allesamt „Vorteile“, die zweifellos das Ergebnis der Entwicklung kapitalistischer Produktionskräfte sind. Es kommt nur darauf an, ob diese „Vorteile“ auch von der arabischen Bevölkerung als solche empfunden werden. Hierbei ist dann zu sagen, dass dies leider sehr fraglich ist. Denn die Einführung kapitalistischer Produktionsverhältnisse geht immer gepaart mit der Enteignung der unmittelbaren Produzenten von ihren Produktionsmitteln. Letztere treten ihnen dann als Kapitaleigentum entgegen, und sie müssen, um am Leben zu bleiben, ihre Arbeitskraft verkaufen. So lange nach dieser Arbeitskraft Nachfrage besteht und sie genügend bezahlt wird, profitiert der Träger der Arbeitskraft von dem „Vorteil“ des kapitalistischen „Fortschritts“ und der „Zivilisation“.

Ob dieses und in welchem Maße dies der Fall ist, hängt jedoch nicht ab vom guten Willen der kolonisierten Juden, sondern wird von der nach eigenen Bewegungsgesetzen verlaufenden Konjunktur des Gesamtkapitalismus bestimmt. Niemand, und sei es der meist begeisterte „Kulturbringer“, kann sich diesen Gesetzmäßigkeiten entziehen. Dieses wird auch den jüdischen Kommunisten und Sozialisten, die in Palästina eine Welt nach ihren Idealen aufbauen möchten, zum Bewusstsein gebracht. Hat man auch versucht, kommunistische Gemeinschaften im Kleinen zu errichten, sehr schnell zeigte sich, dass solche Experimente ebenso wenig Lebensfähigkeit besitzen wie die Produktionskooperativen in den Ländern des modernen Kapitalismus. Auch diesen „kommunistischen Gemeinschaften“ bleibt nichts anderes übrig, als genauso zu handeln, wie es das kapitalistische Unternehmen tun muss. Sie müssen die Voraussetzungen der Produktion in Eigentum nehmen, müssen das Land und die Produktionsmittel kaufen und für den Markt produzieren. Auf diese Weise fungierenden Grundbesitz und Produktionsmittel als Kapital. Die Arbeit, die darauf verrichtet wird, kann nur dienen, um dieses Kapital fruchtbar oder rentabel zu machen.

Diesem Gesetz können sich weder die „kommunistischen Gemeinschaften“, noch die eingeborenen Bauern, die Fellachen, Beduinen usw. entziehen. Hierbei kommt dann auch die andere Seite der kapitalistischen Produktionsweise in unseren Gesichtskreis, sie ist nämlich nicht nur eine solche, die mit modernen Mitteln arbeitet, die die Erträge des Landes vervielfältigt und gegenüber den rückständigen Methoden der Eingeborenen einen riesigen Fortschritt bedeutet, sondern sie ist zugleich Kapitalproduktion. Nur dann, wenn sie den Kapitalbedürfnissen und Kapitalrechten genügt, ist ihr die Möglichkeit des Funktionierens gegeben. Das heißt mit anderen Worten: Es genügt nicht mehr zu produzieren und den Arbeitsertrag zu erhöhen, es ist nötig, diese Produkte zu genügend hohen Preisen zu verkaufen. Es ist der Markt, wo bestimmt wird, ob die Produktion den Kapitalnotwendigkeiten entspricht.

Kapitalistische Produktion ist Produktion für den Markt und nicht für den Eigenbedarf. Hierdurch ist sie allen Schwankungen des Marktes, allen Veränderungen für Angebote und Nachfrage unterworfen. Besteht nach einem Produkt eine genügende Nachfrage, so ist den Produzenten derselben ein Wachstum ihrer Unternehmen versichert und alle, die an diesem Zweig beteiligt sind, kommen in den Genuss von Vorteilen; die Kapitalisten erhalten ihren Zins, die Unternehmer ihre Profite und die Arbeiter ihren Lohn. In dem Moment aber, wo die Nachfrage nach einem Produkt sich einschränkt, erhält der sich und seiner Produktion befassende Zweig der Wirtschaft einen Rückschlag. Kapitalzins und Unternehmerprofite verschwinden, die Hände der Lohnarbeiter bleiben leer. Es offenbart sich dann die Schattenseite der kapitalistischen Produktionsweise, die Entwicklung derselben zeigt die Anzeichen des Verfalls.

Die junge kapitalistische Gesellschaft, die den Händen der jüdischen Einwanderung entsprang, konnte sich, gleich allen anderen, diesen Gesetzmäßigkeiten nicht entziehen. Und besonders deshalb nicht, weil sie seit Beginn ihrer Entwicklung sich mit der Produktion für den Weltmarkt befasste. Sie hatte darum keine andere Wahl, da die modernen Produktionsmittel, der Automobile, Traktoren, Maschinen, Baumaterialien usw., die dem Ausland entstammen, einzig und allein mittels des Umsatzes palästinensischer Produkte auf dem Weltmarkt bezahlt werden konnten. Unter diesen Produkten nehmen Apfelsinen und andere Südfrüchte den wichtigsten Platz ein. Die Weltwirtschaftskrise, die um 1930 herum begann, hat gerade in Bezug auf diese Produkte eine ungeheure Einschränkung des Absatzes zuwege gebracht, welche eine sehr fühlbare Auswirkung auf die Entwicklung Palästinas haben musste. Auf diese Weise hat die durch die Juden in das feudale, rückständige Land eingeführte kapitalistische Produktionsweise, noch bevor sie sich einigermaßen durchzusetzen vermochte, ihre Schattenseite, die kapitalistische Krise, gebracht. Die Schläge dieser Krise haben vor allem die wirtschaftlich Schwachen getroffen, es ist dies hauptsächlich die arabische Landbevölkerung, welche entweder ihres Landes beraubt, als Lohnarbeiter ihr Leben fristeten, oder sich der kapitalistischen Produktion für den Markt einigermaßen angepasst hatten. Jetzt, nach 15 Jahren jüdischer Kolonisation, sind sie ihren früheren Lebensverhältnissen entrissen, eine Rückkehr in diese ist ausgeschlossen. Ihr Grund und Boden, den sie verloren, befindet sich in den Händen der jüdischen Kolonien; diejenigen Fellachen, denen eine Umstellung auf die Marktproduktion möglich war, wissen nicht, wohin mit den Produkten ihrer Arbeit. Wie die Araber auf diesen hoffnungslosen Zustand reagieren, ist bekannt; ihre Verzweiflung entlädt sich in Form von Wut gegen die jüdischen Einwanderung. Diese Letztere erscheint in ihren Augen schuldig an den heutigen Zuständen, sie hat dieselbe geschaffen. Dass es lediglich die kapitalistische Produktionsweise ist, die sie erst emporhob und dann in tieferes Elend als je zuvor zurückstieß, können sie nicht erkennen.

Für die Araber erscheinen die ins Land gekommenen Juden als Ursache des heutigen Elends; sie haben die Araber von ihrem Land „vertrieben“. Hatten sie früher auch kein allzu gutes Leben, so schafften sie doch auf ihrem eigenen Besitz und schlugen sich durchs Leben. Generation hatten so gelebt; soweit man zurückdenken konnte, hatte es so recht und schlecht gegangen. An dieses Leben sind ihre Sitten gebunden, welche ihren allgemeinen Rahmen in den Lehren der Religion des Islams finden. Aus allen diesen ihren Traditionen wurden sie in kurzer Zeit herausgerissen, eine Tatsache, die allein schon Widerstand und Rebellion zur Folge haben musste. Von der Hartnäckigkeit des Widerstandes, den die arabischen Landbauern und Proletarier entwickeln, hat die ganze Presse ein Bild gegeben. Hier ist lediglich auszusprechen, dass alle Aktionen hoffnungslos sind. Hoffnungslos nicht nur darum, weil ein Kampf gegen bessere Produktionsmittel und -methoden immer aussichtslos ist, sondern auch, weil die von ihrem Land vertrieben Fellachen kein eigenes Ziel haben. Sie sind auch heute noch den alten Herrscher unterworfen und dienen diesen lediglich als Werkzeug. Die Herrscher brauchen sie, um den eindringenden jüdischen Kapitalmächten gegenüber die Oberherrschaft zu behalten. Die Effendis, die den Streit der Araber führen, setzen sich nicht zum Ziel, den Fellachen ihren alten Besitz zurückzugeben, ebenso wenig wie sie ernsthaft danach streben können, die jüdische Einwanderung ungeschehen zu machen. Ihnen geht es darum, Grund und Kapitalbesitzes des Landes in ihre Hände zu bekommen oder zumindest es zu kontrollieren. Hierfür wäre es notwendig, die Verfügung über die politische Macht zu haben. Dies ist auch der Punkt, worum der ganze Kampf sich dreht.

Hier ist das Motiv des arabischen Kampfes um die Unabhängigkeit, der sowohl gegen die jüdische Kapitalmacht als auch gegen England gerichtet ist. Dass auch die Dritte Internationale, deren Ableger in Palästina zwar von wenig Bedeutung ist, die „Nationalen Losungen“ der Effendis unterstützt, dürfte jetzt, 19 Jahre nach der Oktoberrevolution, niemanden mehr verwundern. Augenscheinlich handelt man im Interesse des russischen Staates, der in Asien gegen England agiert.

Die jüdische Arbeiterorganisation in Palästina (Histadrut) ist in der selben Lage wie die arabischen Fellachen. Sie ist für die Förderung der jüdischen kapitalistischen Kolonisation und kämpft im Gefolge der jüdischen kapitalistischen Kräfte, ihr helfend ihr Streben nach der politische Macht zum Erfolg zu bringen. Erst dann, wenn der jüdische Arbeiter gemeinsam mit den zu Proletariern gewordenen Fellachen gegen Effendis und jüdische Kapitalisten zum Kampf aufsteht und siegend die heutige Produktionsweise zerschlägt, wird Raum sein für beide Völker, für Juden und Araber. Bis dahin wird mit den alten Produktionsverhältnissen auch die Bevölkerung, die an sie gebunden ist, vernichtet werden. Es sind dies nicht die Effendis, sondern arabischen Landarbeiter, Fellachen und Beduinen.


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Compiled by Vico, 6 December 2020