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Antonie Pannekoek Archives

Rätekorrespondenz

Quelle: a.a.a.p.


Rätekorrespondenz

Internationale Rätekorrespondenz 1934-1937 / Gruppe Internationaler Kommunisten (Holland). – Transkribiert und herausgegeben für Rätekommunismus ; Mitarbeit von der Association Archives Antonie Pannekoek, Dezember 2020, 504 S., € 13,16, ISBN 979-8551636052


Die Räte in der Deutschen Revolution! – Die Entwicklung des Rätengedankens!


Quelle:  Die Räte in der Deutschen Revolution! – Die Entwicklung des Rätengedankens. – In: Internationale Rätekorrespondenz : Theoretisches und Diskussionsorgan für die Rätebewegung.  – Ausg[abe]. der Gruppe Int[ernationaler]. Kommunisten, Holland. – 1935, Nr. 7 (Januar [=Februar]); Quelle der Transkription: Rätekommunismus , 23. November 2020, Mitarbeit von der Association Archives Antonie Pannekoek.


Wir bringen im Folgenden eine Zusammenfassung des eben erwähnten Programms, das von „revolutionären Obleuten“ in Deutschland verbreitet wurde. Wir begrüßen dieses Programm, weil es viele Anhaltspunkte für eine neue Arbeiterbewegung enthält. Leider können wir es nicht ganz abdrucken und müssen uns daher beschränken auf das Wesentliche. Der Zweck der Veröffentlichung unsererseits ist erstens, unsere Leser auf dem Laufenden zu halten mit der Entwicklung der Rätebewegung, zweitens dieses Programm zur Diskussion zu stellen. Weiter lenken wir auch die Aufmerksamkeit auf den Artikel in Nr. 5 der Rätekorrespondenz: „Arbeiterräte und kommunistische Wirtschaftsgestaltung“.

Die Schrift beginnt:

ARBEITER, GENOSSEN!
Diese Zeilen sind von Arbeitern für dich geschrieben worden. Mache sie zu deinem geistigen Eigentum und handle danach. Lasse dich von aufgezeigten Schwierigkeiten nicht abschrecken, sondern überwinde sie. Denke und handle so, als ob alles von deiner Initiative abhänge.
Vergiss vor allem eines nicht, dieses Material darf nicht in die Hände der Polizei fallen. Gib es nur an wirklich vertrauenswürdige Arbeiter weiter, denn so sicherst du wirklich den Kampf deiner Klasse!
HERBST 1934, REVOLUTIONÄRE OBLEUTE


Die Entwicklung des Rätegedankens

In dem einführenden Teil des Programms wird das Scheitern von 1918 darauf zurückgeführt, „dass das Klassenbewusstsein der Arbeiterschaft noch nicht so hoch entwickelt war, dass sie die fundamentale Bedeutung der revolutionären Räte als Organe des proletarischen Selbsthandelns und als Hebel der sozialen Umwälzung erkennen konnte.“ Die Arbeitermassen nahmen wohl den Ruf nach der Räterepublik begeistert auf, aber sie begriffen nicht, dass für das Funktionieren der Räte als proletarische Machtorgane die schonungslose Ausschaltung der parlamentarisch-gewerkschaftlichen Organisationsbürokratie eine ebenso elementare Voraussetzung ist, wie die Zertrümmerung der kapitalistischen Staatsmaschinerie […] Die ersten Räteversammlungen waren mehr ein Tummelplatz von reformistischen Organisationsbonzen, Parteibeamten, Literaten und postenhungrigen Offiziersanwärtern als eine revolutionäre Klassenvertretung des Proletariats. […]

[…] Auf die Niederwerfung der deutschen Revolution folgte in der kommunistischen Bewegung ein Jahrzehnt der theoretischen Auseinandersetzungen über das Räteproblem, um die gesellschaftliche Rolle der proletarischen Klassenorgane zu klären […] Die Herrschaft der Bourgeoisie über das Proletariat hat einen doppelten Charakter, sie ist wirtschaftlicher und politischer Art […] Die alte Arbeiterbewegung hat in Anlehnung an dieses Prinzip der bürgerlichen Machtorganisation ebenfalls zwei Kampfformationen geschaffen, die parlamentarische Partei und die Berufsgewerkschaft […] Die imperialistische monopolistische Phase und besonders das permanente Krisenstadium des Kapitalismus veränderten jedoch die Klassenkampfbedingungen auch insofern, als sie die wesentlichen Unterschiede zwischen Wirtschaft und Politik aufheben […] In dieser Niedergangsperiode des Kapitalismus […] schlagen die sozialen Kämpfe unter dem gesteigerten Druck der Klassengegensätze in Machtkämpfe um. Die damit erfolgende Vereinheitlichung von politischem und wirtschaftlichem Kampf erfordert vom Proletariat eine Taktik, die anstelle der nun untauglichen parlamentarisch-gewerkschaftlichen Methoden die Waffen der revolutionären Massenaktionen anwendet. Diese neue Kampfesweise der Arbeiterklasse ist umso notwendiger, da auch das Problem der ökonomischen Umwälzung der alten Gesellschaft eine hervorragend machtpolitische Frage ist. Die Rätebewegung überwindet die Zweiteilung des proletarischen Klassenkampfes und ist somit als Synthese des Dualismus die höhere Stufe des Arbeiterkampfes in der Periode der proletarischen Revolution.

Das Rätesystem steht im bewussten Gegensatz zur kapitalistischen Staatslehre von der Trennung der Gewalten, denn die Räte des siegreichen Proletariats sind grundsätzlich die Träger der gesamten politischen und wirtschaftlichen Macht. Soweit dabei eine technische Spezialisierung der verschiedenen Aufgaben notwendig wird, ist dies eine Frage der praktischen Zweckmäßigkeit, die am Charakter der Räte absolut nichts ändert. Die Überwindung des Dualismus bedeutet deshalb auch die entschiedene Ablehnung einer organisatorischen Scheidung der Rätebewegung nach politischer und wirtschaftlicher Tätigkeit. Solche Versuche sind auch als ein Rückfall in die u.s.p. Ideologie, die faktisch zu einer neuen Beherrschung der Produzenten (d.h. der arbeitenden Massen) durch einen politischen Apparat, also zu einer neuen Spaltung der proletarischen Klasse führen muss. Wie während des Kampfes um die Macht jede wirtschaftliche Aufgabe der Räte gleichzeitig eine politische ist, so muss während der revolutionären Diktatur die politische Tätigkeit der Räte ebenfalls eng verknüpft sein mit der Organisierung der Produktion nach dem Prinzip der Bedarfswirtschaft. Nur im schöpferischen Zusammenwirken von politischer Revolution und ökonomischer Umwälzung kann die proletarische Rätebewegung ihre geschichtliche Mission als Träger der kommunistischen Wirtschaftsentwicklung und somit als Geburtshelfer der klassenlosen Gesellschaft erfüllen. Der Aufstieg zum Kommunismus, der im Prozess der gesellschaftlichen Umformung über das Absterben des Staates führt, hat zur Voraussetzung, dass über den Rätekommunismus, der die kollektive Ausübung aller sozialen Funktionen bedeutet, nicht eine neue staatliche Maschinerie als politische Kommandobehörde steht. Russland, wo die Sowjets durch die bolschewistische Staatsbürokratie beherrscht werden, bietet ein warnendes Beispiel für die Verschandelung der Räteidee. Die Erreichung der höchsten Entwicklungsstufe des Rätesystems ist einzig und allein abhängig von der Selbstinitiative der proletarischen Massen. Die Aufgabe der revolutionären Gruppen besteht deshalb darin, die Entwicklung der Rätebewegung durch keinerlei Organisationsschranken zu hemmen, damit die proletarische Klassendiktatur nicht in die Herrschaft einer Partei umgefälscht wird.

Die Voraussetzung der Räte

Nach einer Analyse der „Unselbständigkeit“ und des Zusammenhangs von „Wille“ und „Politik“ heißt es dann weiter:

Der Gegensatz zur alten Führerpolitik ist das Rätesystem, als das praktische Ergebnis des Kampfes der Arbeiterklasse. Das Räteprinzip praktisch anwenden heißt nun, die Massen aus der Führerautorität, dem Glauben an die vorgesetzte Behörde zu lösen und sie in jeder Beziehung selbständig zu machen. Diese Verselbständigung der Arbeiterklasse ist ein Prozess, der nicht von heute auf morgen durchgeführt und abgeschlossen werden kann. Er ist eine geschichtliche Entwicklung, in der sich die ganze Arbeiterklasse und auch der einzelne Mensch wandeln und ändern muss. Es ist eine alte Weisheit, dass die Erzieher erzogen werden müssen und dass der einzelne Mensch im Werden der Revolution eine vollkommene Umwandlung erfahren muss. Diese Umwandlung kann und muss heute schon einsetzen.

In jedem Einzelnen steckt noch ein gut Stück kleinbürgerlicher, kapitalistischer Weltanschauung. Und dieser Kleinbürger im Menschen ist ein großes Hemmnis in der Entwicklung der revolutionären Bewegung. Er hat ein übersteigertes Geltungsbedürfnis. Überall muss er dabei sein, von allem muss er etwas wissen. Zu allem hat er vieles und oft sehr Unrichtiges zu sagen. Und wenn seinen Auffassungen und seinem persönlichem Geltungsbedürfnis nicht Rechnung getragen wird, dann macht er in „Opposition“. Jede Meinungsverschiedenheit und ihre Austragung wird zur persönlichen Angelegenheit. Er diskutiert nicht sachlich, sondern persönlich und wenn er dann Unrecht erhält, macht er nicht mehr mit oder macht einen neuen Laden auf. Jede sachliche Kritik empfindet er als persönliche Kränkung und Beleidigung. Nur schlecht kann er sich irgendwo einpassen, nur dem Namen nach und mit dem Mitgliedsbuch ist er Klassenkämpfer.

Ein anderer ist durch und durch Organisationsmensch. Nur seine Organisation ist richtig und was sie durchführt, gilt. Dabei hat er keine eigene Meinung, sondern er wiederholt und interpretiert nur die Organisationsanweisungen, die ihm fertig vom Organisationsapparat vorgesetzt werden. Bleiben die einmal aus, dann ist er hilflos und weiß sich nicht zu helfen. Er ist unselbständig und baut auf Führerautorität.

Ein Dritter – und das sind nicht die Dümmsten – hat eine fest und gut durchgebildete Meinung. Er ist in Literatur, Philosophie wie auf allen anderen Gebieten beschlagen. Wenn er spricht, dann trieft alles nur so von philosophischen Gemeinplätzen. Er arbeitet immer nur theoretisch, jede wirkliche Praxis ist ihm verhasst. Dabei urteilt er aber strengstens über jede praktische Arbeit und weiß es immer besser. Versteht ihn ein einfacher Arbeiter nicht sofort, dann ist dieser dumm und muss noch viel lernen. Seine Perspektive ist immer richtig. Kommt es einmal anders, dann ist er ratlos weiß monatelang nichts mit den neuen Verhältnissen anzufangen. Kommt er dann durch fremde Hilfe wieder auf die Beine, dann weiß er bald wieder alles besser, als ob nichts gewesen wäre und er die Entwicklung immer so vorausgesehen hätte. Dabei ist er eigentlich hilflos und tut nur dann etwas, wenn ein Dritter oder seine Frau es ihm zeigt oder erlaubt.

Ein anderer sieht alles nur unter dem Gesichtspunkt des „feinen Menschen“. Und zwar deshalb, weil dieser „feine Mensch“ seinem Geltungsbedürfnis irgendwie entgegenkommt. Solange dieser ihn nun nicht persönlich kritisiert, geht alles gut; tritt dieser Moment aber notwendigerweise einmal ein, weil er ja eigentlich unselbständig und zu keiner praktischen, sachlichen Arbeit befähigt ist, dann wandelt sich das alles, und aus dem feinen Menschen wird ein großer Strolch. Nicht etwa deswegen, weil dieser sogenannte „feine Mensch“ sich irgendwie geändert, sondern weil der andere zu keiner unpersönlichen, sachlichen Tätigkeit fähig ist. Solange er es nicht lernt, die persönlichen Momente auszuschalten und das sachliche Arbeitsmoment in den Vordergrund zu bringen, wird er ständig Enttäuschungen erleben. Infolge dieser notwendigen Enttäuschungen, die er nur selbst und kein anderer verschuldet hat, kommt er zu keiner sachlich ausdauernden und positiven Arbeit. Unter Umständen kann dieser Stimmungsmensch zu einer ernsten Gefahr für die revolutionäre Arbeit werden. Nun gibt es noch Zeitgenossen – und die sind sogar ziemlich zahlreich –, die sehen alles ein und sagen, so wie ihr das aufzeigt, ist das richtig und so muss es gemacht werden, aber sie selbst können an der Arbeit nicht teilnehmen, weil sie Rücksicht auf ihre Familie und auf tausend andere Dinge nehmen müssen. Und das sind gar schlimme Fälle, denn diese Zeitgenossen sind im Grunde genommen verantwortungslos gegenüber der Allgemeinheit.

Die Revolution des Proletariats gegen den Kapitalismus ist eine historische Notwendigkeit und demzufolge unvermeidbar. Der Einzelne kann sich wohl vor dieser Aufgabe drücken, die proletarische Klasse aber nie. Aber er kann sich auf die Dauer auch nicht drücken. Die proletarische Revolution ist der Kampf der ungeheuren Mehrheit der ausgebeuteten Massen gegen die kleine Minderheit der Ausbeuter. Diese unvermeidliche Revolution in eine Angelegenheit vieler Millionen, in der alle, ob sie wollen oder nicht, durch die Entwicklung selbst in den Prozess der Revolution hineingezogen werden. Die Voraussetzung der Revolution selbst aber ist die Selbstbewusstwerdung des Einzelnen und damit der Klasse. Drückt er sich vor den Konsequenzen seiner Erkenntnisse, was menschlich verständlich, aber verantwortungslos im Sinne der Gesellschaft ist, dann erledigt er, ob er will oder nicht, die Geschäfte des Kapitalismus damit. Denn eine der Stützen des Kapitalismus ist eben auch die Verantwortungslosigkeit vor der Gesellschaft. Ihm kann dabei das eine noch passieren, dass der Kapitalismus ihn im Moment der Revolution zum Waffendienst gegen die eigenen Kämpfer der Klassengenossen zwingt. Überhaupt muss eins noch erkannt werden: Der Kampf um die neue Gesellschaftsordnung erfordert ungeheure Opfer an Blut und Gut vom Proletariat. Er fordert vom Einzelnen persönlichen Verzicht auf viele Annehmlichkeiten des Lebens, unter Umständen Verzicht auf sein eigenes Leben im Interesse der ganzen Klasse. Und an dieser persönlichen Bereitschaft zur Revolution wird man den Klassenkämpfer erkennen können. Diese Einstellung bedingt folgerichtig eine vollständige Umwandlung seines Verhältnisses zur Umwelt. Er kommt dadurch in ein wirklich genossenschaftliches Verhältnis zu seinen Klassengenossen. In seinen persönlichen Angelegenheiten, dem Verhältnis zu seiner Frau, zu seinen Kindern wird er auch eine revolutionäre Grundeinstellung durchsetzen. Die Frau wird ihm nicht nur Bettgenossin, sondern vielmehr Kampfgenossin sein. Ihr gegenseitiges Verhältnis wird auch unter dem Signum der Bereitschaft zur Revolution stehen. Genauso, wie die Notwendigkeit der Revolution zur Richtschnur seines Lebens geworden ist, wird auch das Verhältnis vom Genossen zur Genossin Ausdruck gegenseitiger Befruchtung und höherer Entwicklung sein. So wie die Klasse aus materiellen Ursachen heraus eine sachlich-physische Kampfgemeinschaft bilden muss, so wird das Zusammenleben der Geschlechter auch eine sachlich-physische Gemeinschaft sein. An der Unfähigkeit, eine solche Gemeinschaft zu bilden, wird man ihr mehr oder weniger mangelhaftes Zielbewusstheit erkennen. In der Unmöglichkeit, sich auf ein Ziel, eine Aufgabe, ein Objekt richtig zu konzentrieren, wird man nur ihre innere Haltlosigkeit sehen. Das nicht Ausschlaggebende ist, dass der Einzelne seinen persönlichen Wünschen allein Rechnung trägt und seine individuellen Bedürfnisse restlos befriedigt. Denn das ist in den meisten Fällen nur auf Kosten anderer und der Allgemeinheit möglich, dagegen muss man seine Bedürfnisse und Wünsche nach Möglichkeit an die Umwelt seiner Klasse anpassen. Nicht sein persönliches Interesse, sondern das der Klasse ist entscheidend. Wer sich nicht so an die Allgemeinheit und den Einzelnen anpassen kann, beweist nur, dass ihm jeglicher Gemeinschaftssinn fehlt. Trotz aller Routiniertheit wird er ewig Stümper auf allen Gebieten des Lebens sein.

Der Intellektuelle glaubt, in einem besonderen Verhältnis zur Revolution zu stehen und schließt das aus seiner Rolle in der bürgerlichen Gesellschaft. In Wirklichkeit hat er sich selbst in diese Rolle versetzt, und sein Verhältnis zum Proletariat kann nur so beurteilt werden, wie er sich selbst zum Proletariat stellt. Seine größere geistige Beweglichkeit und Ausbildung geben ihm keine Ausnahmestellung. Denn er ist genau so vom Kapitalismus abhängig, trotz seiner Geistesbildung. Wie alle anderen Arbeiter ist er Produzent, und was er produziert, ist an sich nebensächlich. Als Produzent aber ist er ein Teil der Arbeiterklasse und muss seine Kräfte in den Dienst der Gesellschaft stellen. Da der moderne Arbeitskampf die alten Organisationsapparate als unbrauchbar beiseite schiebt, gibt es für ihn keine Extrafunktionen. Und da der Klassenkampf auch keine Führer benötigt, verschwindet auch für ihn die Notwendigkeit, als Berufsrevolutionär Führer des Proletariats zu sein. Er wird entweder Klassenkämpfer, Proletarier und erfüllt hier ruhig und sachlich seine Pflicht, oder er wird von der Entwicklung der Revolution als überflüssig beiseite geschoben und landet auf dem Schindanger der Geschichte.

Entscheidend bei diesen menschlichen Gruppierungen ist nicht das, was sie sein wollen, sondern das, was sie wirklich sind, wie sie sich praktisch auswirken. Aber sie alle kommen jetzt in den großen gesellschaftlichen Umstellungsprozess. Allen wird durch die Veränderung der äußeren Verhältnisse mehr und mehr ihre bisherige Wirkungsbasis entzogen. Der Geltungsmensch kommt nicht mehr zur Geltung, weil die militärische Disziplin, die jetzt allerorten einzieht, Kadavergehorsam von ihm verlangt. Er muss sich ein- und unterordnen und wird zwangsläufig zum kollektiven Handeln erzogen. Der Organisationsmensch, soweit er der Arbeiterbewegung angehört, verliert seinen bisherigen Rahmen und steht hilflos da. Alle werden durch das Neue irgendwie entwurzelt. Sie müssen sich umstellen, und das ist eigentlich das Positive an dem gewaltigen Umbruch, der jetzt überall vor sich geht. Alles was früher richtig und tausendfach erprobt war, erweist sich heute mit einem Mal als unbrauchbar und falsch. Jeder wird irgendwie gezwungen, sich umzustellen, und er ist bei dieser Umstellung vollkommen auf sich selbst angewiesen. Er muss alles selbst machen, alles selbst entscheiden. Um dieses nun wirklich gut und richtig zu können, muss er sich intensiver schulen. Alle Wissensgebiete, die durch den Klassenkampf vor ihm aufgerollt werden, muss er beherrschen lernen. Er wird gezwungen, wenn es ihm ernst mit der Vertretung der Interessen seiner Klasse ist, sich Wissen und praktische Erfahrung nach und nach anzueignen. Denn er kann sich auf niemand anderes als nur auf seine eigene Kraft verlassen. So schult er sich durch die Erfahrung des täglichen Lebens für immer größer werdende Aufgaben.

Gewiss gibt es da und dort noch 1000 Nachwirkungen der früheren Verhältnisse. Kein Umwälzungsprozess geht so rein und klar vor sich, als dass er nicht irgendwelche Ausnahmen hätte, zumal das Beharrungsvermögen und die Traditionsgebundenheit der Menschen dieser Entwicklung in der ersten Zeit noch erhebliche Schwierigkeiten entgegensetzen wird. Scheinbar wird der Individualismus auf die Spitze getrieben, aber hier schlägt er um. Wohl handelt der Einzelne vollkommen selbständig und ist für alles, was er macht selbst verantwortlich. Aber so wie es ihm geht, geht es hunderttausenden und wird es Millionen noch gehen. Das Entscheidende ist nur, dass der Einzelne lernt, sich in den Rahmen des großen Ganzen ein- und gegebenenfalls auch mal unterzuordnen. Auch dann, wenn ihm scheinbar persönlich einmal Unrecht geschehen sollte. Für Herrenmenschen, die unter bestechenden Worten nur ihr persönliches Machtstreben verdecken, ist kein Platz mehr in der neuen Arbeiterbewegung vorhanden. Denn man soll dem Menschen nicht auf den Schnabel, sondern auf die Finger sehen. So wächst der Prozess der Verselbständigung und Selbstbewusstwerdung durch die praktische Erfahrung und das Erlebnis des Einzelnen für die ganze Klasse heran. Der Einzelne wird selbst- und wirklich klassenbewusst und lernt gleichzeitig, trotz seiner scheinbaren Isolierung, kollektiv denken und handeln. Und so wächst von Neuem aus den Massen die neue Arbeiterbewegung heraus. Nicht darum etwa, weil sie von irgendwo organisiert, propagiert und aufgezogen wird, sondern weil aus den Massen heraus, jeder für sich und doch alle gemeinsam, das Selbsthandeln der Klasse erwächst. Organisationen im alten Partei- und Gewerkschaftssinne sind heute nicht mehr möglich, ihre Aufrechterhaltung, wenn auch in veränderter und den neuen Verhältnissen angepasste Form, ist ein Verbrechen am Proletariat, ein Verrat der Revolution. Die neue Arbeiterbewegung ist nur möglich als Organisierung im großen Sinne der Allgemeinheit der Arbeiterklasse: als Vereinigung und Zusammenschluss des Proletariats durch das Rätesystem zur Revolution, zum Aufbau des Kommunismus. So wächst aus der Verselbständigung des Einzelnen das Selbstbewusstsein der Klasse. Der Einzelne muss so handeln, als ob von seinem Tun und Lassen die Zukunft der ganzen Arbeiterklasse abhängt. So, wie der Einzelne sich aus seiner kleinbürgerlichen Hölle löst und zum bewussten Klassenkämpfer wird, so entwickelt sich auch das Proletariat zur Revolution. Es ist natürlich, dass dieser Prozess nicht von heute auf morgen abgeschlossen sein kann und er wird auch noch während und nach der Revolution andauern. Aber je mehr sich der Einzelne aus seiner Froschperspektive löst und das große Klassenziel vor sich sieht, desto näher ist die Revolution. Er muss lernen, alle Meinungsverschiedenheiten und Differenzen über taktische Fragen des Klassenkampfes nicht zu Prinzipienfragen des „Vogel friss oder stirb“ zu machen, sondern er muss so tolerant werden, auch mal abweichende Meinungen zu dulden und eine praktische Zusammenarbeit trotzdem zu ermöglichen.

Die tägliche Praxis ist ein guter Lehrmeister, sie entscheidet anhand der täglichen Erfahrungen, was richtig und was falsch ist, und wer sich zum Rätekommunismus nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch bekennt, wird wissen, dass im Rätekommunismus widersprechende Gruppen sich zusammenfinden und arbeiten müssen. Denn der Prozess der Revolutionswerdung ist kein einheitlicher, in sich abgeschlossener und genau geformter Akt, sondern eine Summe von nebeneinander und durcheinander laufenden Vorgängen.

Die Räte vor der Revolution

Die neue Arbeiterbewegung verkörpert in ihrer Entstehung das Selbsthandeln der Massen. In ihr wirkt sich das Rätesystem in seiner ersten Form aus. Die Gruppen, die aus der kollektiven Zusammenarbeit Einzelner entstehen, widerspiegeln von unten auf das organische Wachsen der neuen Arbeiterbewegung in der Zusammenfassung der Obleute dieser Gruppen. Mit dem Heranreifen der Klassengegensätze wird es zu den ersten Zusammenstößen und Kämpfen kommen. Sicher werden diese Zusammenstöße Meutereien der sich betrogen fühlenden nationalsozialistischen Massen sein. Diese Meutereien werden vor allem als Ziel haben, die Durchsetzung irgendwelcher radikalen nationalsozialistischen Forderungen, zum Beispiel Verstaatlichung der Großbetriebe. Werden diese Meutereien von Erfolg gekrönt, so werden die nationalsozialistischen Massen nach einer bestimmten Entwicklung erkennen, dass durch die Verstaatlichung sich nichts oder wenig an ihrer Lage geändert hat. Denn die Kapitaleigenschaft des verstaatlichten Produktionsprozesses ist nicht aufgehoben. Die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen besteht im Staatskapitalismus nach wie vor weiter. Sie werden dann durch die Verhältnisse selbst auf die Grundfragen hingestoßen. Kommen diese Meutereien nicht zum Ziel und werden niedergeschlagen, so entsteht auch hier die Frage, durch was die Niederlage bedingt war. Und Sie werden auch hier durch die Entwicklung auf die Kernprobleme stoßen. Es kann dabei nicht die Aufgabe der Kommunisten sein, aktiv an all den entstehenden Kämpfen der Meuterer teilzunehmen, sondern das wird sich von Fall zu Fall aus den Verhältnissen ergeben. Im Wesentlichen wird ihre Aufgabe darin beruhen, die Schranke dieser Meutereien aufzuzeigen und ihnen den wirklichen Weg klar zu machen. Auch in diesen Kämpfen müssen die Kommunisten verstehen, praktische Solidarität zu üben, doch im Wesentlichen immer als ideologische Weitertreibung dieser Kämpfe. In dieser Situation wird die Propaganda der Kommunisten auf einen viel fruchtbareren Boden fallen. Sie wird vor allem auch ihre wirklich sichtbaren Erfolge zeigen. In dieser Entwicklung wird der kleine gruppenmäßige Zusammenschluss mehr und mehr an praktischer Bedeutung verlieren und an seine Stelle tritt der klassenmäßig bedingte Zusammenschluss. Entsprechend der Erkenntnis der Kommunisten, dass einmal die Revolution eine Angelegenheit der ganzen, in sich geschlossenen Klasse ist, und weiter die Übernahme der Produktionsmittel in die Hände der Produzenten auch wieder eine Angelegenheit der ganzen Klasse ist, wird dieser klassenmäßig bedingte Zusammenschluss von den Produzenten selbst - den Betrieben also - im Wesentlichen ausgehen. Das Selbsthandeln der Masse wird sich so einmal auf die betriebliche Organisationsform – die Betriebsorganisation – stützen. Aber das ist nur eine Grundlage. Das Selbsthandeln der Massen bedingt bestimmte ausführende Organe, die Räte, die – und das ist das Entscheidende und der Gegensatz zum bürgerlichen Führerprinzip – von den Massen selbst gewählt, nur ihnen verantwortlich und jederzeit abrufbar sind. In allen kommenden Kämpfen der Massen, gleichviel unter welchen Voraussetzungen sie entstehen, muss immer die Selbstverantwortlichkeit der Massen für ihre Kämpfe, die selbständige Führung dieser und ihre unbedingte Unabhängigkeit von irgendwelchen entstehenden – auch sind sie noch so gut getarnt – Organisationsapparaten im Mittelpunkt stehen. Die selbständigen Kampfleitungen der Massen erhalten alle ihre Instruktionen nur von ihnen und sie existieren auch nur für die Dauer der Kämpfe. Diese Kampforgane sind an das ihnen erteilte Mandat gebunden und nach Erledigung ihrer Aufgaben treten sie in die Wählermassen zurück. Sie können daher auch niemals den Charakter einer Bürokratie annehmen, weil der bürokratische Charakter grundsätzlich dem Räteprinzip widerspricht und es aufheben würde. Mit der notwendigen Ausweitung dieser Kämpfe wächst auch ihr Charakter, entwickelt sich aus ihnen anhand der praktischen Erfahrung mehr und mehr die vollendete Räteform. Die Anwendung der Räte muss von den Massen erlernt werden und ist ungeheuer mühevoll. Aber gerade auch dieses ungeheuer mühevolle Erlernen, dieses ständige Auf und Ab in der Entwicklung des Klassenkampfes trägt die Voraussetzungen des Sieges in sich. Dieser qualvolle Prozess schafft erst die Vorbedingungen der Revolution. Er fordert die Verselbständigung des Proletariats zur Klasse; in der Masse, wie die Räte das Selbsthandeln und die Selbstinitiative der Masse zum Ausdruck bringen, sind sie ein Gradmesser der Selbstbewusstseinsentwicklung der Klasse und Maßstab der Reife der Revolution.

Die Räte in der Revolution

Der Schwerpunkt der revolutionären Räte ist in den Betrieben. Von den Betriebsarbeitern gewählt, sind sie nur ihnen verantwortlich und können jederzeit von ihnen wieder zurückberufen werden. Sie haben keinen bestimmenden, sondern nur einen ausführenden Charakter. Ohne die Produktionsstätten ist ihre Existenz gar nicht möglich. Gewiss wird es im Verlauf der Revolution nicht nur betriebliche Räte, sondern solche auch bei den Erwerbslosen, in den proletarischen Wohngebieten usw. geben. Es werden in den agrarischen Gebieten auch Räteorgane entstehen. Doch kann in diesem Zusammenhang die Frage der Agrarrevolution nicht behandelt werden. Das wird und muss an anderer Stelle geschehen. Aber diese Nebenerscheinung der Räte – und nur darum handelt es sich – sind nur aus den kapitalistischen Verhältnissen heraus erklärlich. Mit der Überwindung dieser Nebenerscheinungen, – und das ist wiederum die wesentlichste Aufgabe der proletarischen Revolution – verschwinden diese Räte. Eine bleibende Einrichtung werden nur die Räte sein, die sich auf die Betriebe stützen.

Der Charakter der Räte ist daher vorgezeichnet. Entsprechend ihrem Ursprung in den Betrieben haben sie im Wesentlichen wirtschaftliche Funktionen zu erfüllen. Das schließt wiederum nicht aus, dass sie während der Revolution politische Aufgaben zu erfüllen haben. Aber diese politischen Aufgaben sind nicht von den wirtschaftlichen Funktionen der Räte zu trennen, sondern beide stehen in Wechselwirkung zueinander; sie sind zwei Seiten ein und derselben Sache.

Jede Revolution löst die alte Gesellschaft auf, insofern ist sie sozial. Jede Revolution stürzt die alte Gewalt, insofern ist die politisch. Die Revolution überhaupt – die Vernichtung der alten Machtverhältnisse des staatlichen Überbaus – ist ein politischer Akt. Ohne diese militärische politische Revolution kann sich die neue ökonomische Ordnung nicht entwickeln. Sie bedarf dieses militärischen politischen Aktes, soweit die Vernichtung der alten Verhältnisse erforderlich ist. Wo aber die aufbauende Tätigkeit der neuen Gesellschaftsordnung beginnt, wo der Selbstzweck der proletarischen Revolution, die Schaffung eines neuen Produktionsverhältnisses in Erscheinung tritt, da schleudert der Sozialismus seine politische Hülle fort. Demzufolge liegen alle zu lösenden Aufgaben in den Räten selbst verankert, sie haben heute politische und morgen ökonomische Fragen zu lösen, und für diese zu lösenden Aufgaben ist immer nur die eine Form der Räte möglich, wobei höchstens nur eine technisch-organisatorische Unterteilung, aber keine besonderen politischen und wirtschaftlichen Räte möglich sind.

Der militärische Akt der Revolution stützt sich auf die Betriebe. Die Betriebsbelegschaften bilden die Kader der militärischen Organisation und werden aus dem übrigen Proletariat aufgefüllt. Die Ausführung der militärische Gewalt liegt auch hier in den Räten verankert. Alle Aktionen sind ohne die Betriebsbelegschaft gar nicht denkbar, weil jede dieser Aktionen eine Machtfrage darstellt. Überhaupt ist der heutige Staat ein ungeheurer Machtapparat, so dass seine Beseitigung kein kühner Husarenritt ist. Er stützt sich heute bewusst auf viele Millionen, die entweder als nationale Beamte von ihm abhängig sind und mit seiner Existenz leben oder sterben, oder die er direkt als seine Machtorgane, Polizei, Militär usw. geschaffen hat. Nicht zu vergessen ist der Parteiapparat mit seinen vielen militärischen Organisationen, der ja auch ein Teil der staatlichen Machtorganisation darstellt.

Gewiss wird dieser Machtapparat im Verlauf der Entwicklung infolge des notwendigen Versagens des Nationalsozialismus gegenüber den schwebenden Fragen von innen und außen mehr und mehr zersetzt. Aber diese unvermeidliche Zersetzung führt noch lange nicht zu seinem unbedingten Zusammenbruch. Nur durch seine ungeheure Übermacht kann das Proletariat diesen Machtkoloss mit der Zeit buchstäblich erdrücken. Ein zweiter „November 1918“ mit der mühelosen Übernahme der politischen Macht ist in der Geschichte kaum mehr möglich, und jede Spielerei mit solchen Gedanken ist kindlicher Unsinn, wenn nicht mehr.

In jeder Phase der Revolution ist der ausführende Charakter der Räte also ein einheitlicher, wie auch die Träger der Räte immer wieder nur die Massen der Produzenten selbst sein können. Jede Trennung der Räte in politische und wirtschaftliche Organe führt notwendigerweise zu einem Gegensatz innerhalb des Räteorganismus und damit gleichzeitig zu einem Gegensatz als solchem in der Revolution. Entweder müssen sich die wirtschaftlichen Räte den politischen unterordnen oder umgekehrt, weil einmal die Tätigkeitsgebiete der beiden ineinander übergreifen und sie zweitens in Wechselwirkung zueinander stehen. Die Zweiteilung der Räte in politische und wirtschaftliche läuft praktisch auf das Bilden einer neuen politischen Macht hinaus, die letztlich wieder die Produzenten, also die Arbeiter, beherrschen soll.

Hinter dieser Trennung steht auch die Stellungnahme derjenigen „Fachleuten und Spezialisten“, die sich infolge ihrer Führer-Schulung als unentbehrlich betrachten. Nach ihrer Meinung bedarf die Arbeiterklasse besonders geschulter Kräfte, die dann den ganzen Laden schmeißen sollen. Nach ihrer Idee soll dann die Revolution „gemacht“ werden, wobei wir dann „glücklicherweise“ wieder bei der kleinbürgerlichen Geschichtsbetrachtung (große Männer machen die Geschichte) angelangt wären.

Gewiss bedarf die Arbeiterklasse der Wissenschaft. Darum wird es auch die Aufgabe des Proletariats sein, die Wissenschaft ihres wirklichkeitsfremden, studierstubenmäßigen Charakters zu entkleiden. Die wissenschaftliche Forschung muss zu einer Angelegenheit der ganzen Gesellschaft werden.

In holländischer Sprache ist die zweite Ausgabe der „Grundprinzipien kommunistischer Produktion und Verteilung“ erschienen. Preis 0,70 Gulden.
Da die erste Ausgabe schon seit längerer Zeit vergriffen war und seitdem ständig Nachfrage danach war, wurde der Neudruck beschlossen. Und weil der Gruppe die nötigen finanziellen Mittel fehlten, geschah der Druck in kollektiver Zusammenarbeit und auf der Vervielfältigungs-Maschine. Die neue Ausgabe ist in einigen Teilen umgearbeitet und durch Zufügung von ein paar Abschnitten erweitert.

Räte und Leitung der Produktion

Die Kernfrage der proletarischen Revolution ist die Übernahme der Produktionsmittel durch die Produzenten. An dieser Frage entscheidet sich der Charakter jeder Revolution. Die Sowjetunion ist nun für das internationale Proletariat das konkrete Beispiel für die Leitung der Produktion in der kommunistischen Gesellschaft, weil hier zum ersten Mal in der Geschichte die gesellschaftliche Macht vom Proletariat endgültig erobert wurde. Hier standen die entscheidenden Fragen in aller Klarheit zur Debatte und Lösung, und wir werden sehen, wie sie von Lenin theoretisch in seinem im November erschienenen Buch „Staat und Revolution“ geführt wurden. Lenin sieht richtig den Staat als Unterdrückungsinstrument der herrschenden Klasse und hält seine radikale Vernichtung für notwendig. An die Stelle des bürgerlichen Staates tritt der proletarische, die Diktatur des Proletariats. Und hier setzt schon der erste Fehler Lenins ein. In „Staat und Revolution“ Ausgabe 1918, Seite […] schreibt er:

„Das Proletariat bedarf der Staatsgewalt, einer zentralisierten Organisation des Zwanges, sowohl zur Unterdrückung des Widerstandes der Ausbeuter als auch zur Leitung der ungeheuren Massen der Bevölkerung, der Bauern, Kleinbürger und Halbproletarier beim ‚Ordnen‘ der sozialistischen Wirtschaft. Durch die Erziehung der Arbeiterpartei erzieht der Marxismus den Vortrupp des Proletariats, der befähigt ist, die Macht an sich zu nehmen und das ganze Volk zum Sozialismus zu führen, die neue Ordnung zu leiten und zu organisieren, Lehrer und Führer aller Werktätigen und Ausgebeuteten bei Gestaltung ihres gesellschaftlichen Lebens, ohne und entgegen der Bourgeoisie zu sein.“

Nach Lenin führt die Staatsgewalt die Organisierung der sozialistischen Gesellschaft durch, und der Vortrupp des Proletariats, die Partei, leitet die Produktion. Das sind Dinge, wobei die Partei die Staatsgewalt verkörpert und umgekehrt. Hier gilt es Folgendes zu erkennen: Engels sprach im „Anti- Dühring“ von der Übernahme der Produktionsmittel durch das Proletariat als Staatseigentum: „Aber damit hebt es sich selbst als Proletariat, darin hebt es alle Klassengegensätze auf und damit auch den Staat als Staat.“

„Der erste Akt, worin der Staat als Repräsentant der ganzen Klasse auftritt, die Besitzergreifung der Produktionsmittel im Namen der Gesellschaft, ist zugleich sein letzter selbständiger Akt als Staat. An die Stelle der Regierung über Personen tritt die Verwaltung von Sachen, die Leitung von Produktionsprozessen.“

Marx spricht noch klarer zu dieser Frage und fordert die „Übernahme der Produktionsmittel durch die Produzenten selbst“. An die Stelle des Staates tritt bei ihm „die Association der freien und gleichen Produzenten“. Die Dinge also dürften klar sein, nach Marx und Engels hört der Staat mit der Übernahme der Produktionsmittel durch die Gesellschaft auf zu bestehen Das ist natürlich ein Prozess, der von heute auf morgen nicht erledigt, aber doch mit der Beendigung des Bürgerkrieges im Wesentlichen abgeschlossen sein dürfte. Denn die Beendigung des Bürgerkrieges ist überhaupt erst nach vollkommener Niederschlagung der Bourgeoisie möglich. Damit fällt zugleich die letzte Staatsfunktion, „die Niederhaltung der früheren Ausbeuterklasse“, weg. Der Staat hört auf zu bestehen, er stirbt ab, weil mit dem Kleinwerden und Aufhören des Widerstandes der Bourgeoisie auch seine Funktionen aufhören.

Überhaupt, was ist denn „proletarische Staatsgewalt“, die „Diktatur des Proletariats?“

Die Diktatur des Proletariats, das ist doch die kollektive Ausübung der gesellschaftlichen Macht durch die Produzenten selbst vermittels der revolutionären Räte, ist die Epoche der proletarischen Revolution, wo zwar die gesellschaftliche Macht durch das Proletariat bereits erobert, die Bourgeoisie aber noch Widerstand leistet. Die Ausübung der Gewalt, der militärische Machtkampf ist aber die politische Form der Unterdrückung. Mit ihrem Aufhören verschwindet also nach Marx die politische Hülle der Revolution, jegliche Art von Staatsgewalt überhaupt. Bei Lenin dagegen anders: Zwar verschwindet auch bei ihm der Staat, aber nur als politischer Staat ( „Staat und Revolution“, S. 95). Als ökonomischer Staat bleibt er bestehen, und da hat er die Leitung des Produktionsprozesses zur Aufgabe. Nach Marx ist der Staat in jeder Form ein Unterdrückungsinstrument und muss radikal beseitigt werden, nach ihm ist auch die Leitung des Produktionsprozesses eine Angelegenheit der Produzenten, die das Kollektiv selbst macht und kann daher nie die Aufgabe einer Staatsgewalt sein. Lenin braucht aber hierfür „die strengste Kontrolle“ durch die Gesellschaft und durch den Staat über das Maß von Arbeit und Konsumtion (Seite 91 „Staat und Revolution“). Es dürfte also klar sein, für Lenin gibt es nur ein Absterben der Staates auf politischem Gebiet, auf ökonomischem bleibt er bestehen. Wenn nun dieser Lenin’sche ökonomische Staat eine strenge Kontrolle ausüben soll, ist ein politischer Machtapparat notwendig, und gezwungen wird – der Produzent. Die Revolution, die er zu seiner Befreiung vom kapitalistischen Joch geschlagen hat, hat in ein neues geführt. Von einem bürokratischen proletarischen Staatsbeamtenapparat wird er jetzt versklavt, denn der Staat ist in jeder Form, wie das Marx und Engels eindringlichst klar gelegt haben, ein Unterdrückungsinstrument. Auch als ökonomischer Staat unterdrückt er den Produzenten, wenn auch in verfeinerter Form. Denn etwas anderes kann ja dieser Zwang zur Einhaltung eines Maßes von Arbeit und Konsumtion nicht sein. Und in klarer Ablehnung dieser neuen Form der Sklaverei haben Marx und Engels bewusst jeder Staatsform ihre freiwillige Vereinigung, die „Association“ gegenübergestellt. Selbst Lenin sieht irgendwie diese neue Form der Sklaverei, wenn auch nur als Übergangsform: „Es ergibt sich also, dass nicht nur unter dem Kommunismus das bürgerliche Recht eine gewisse Zeit bestehen bleibt, sondern auch der bürgerliche Staat ohne – Bourgeoisie“. („Staat und Revolution“, S. 95). Der parasitäre Charakter der russischen Staatsbürokratie mit ihren unseligen Korruptionserscheinungen und der allgemeinen Ohnmacht gegenüber dieser Entwicklung erklärt sich gerade aus der Tatsache, dass in Russland die Produzenten nicht das Verfügungsrecht über die Produktionsmittel haben und dass sie nach wie vor Lohnarbeiter sind.

Die proletarische Revolution zerstört aber gerade alle bisher geltenden Rechtsnormen und Machtverhältnisse und hebt die bürgerliche Gesellschaftsordnung in jeder Form auf. Gerade in dieser radikalen Tendenz der gründlichen Zerstörung des politischen Überbaus und der allgemeinen Machtverhältnisse liegt ja das begründet, was Marx als die wesentlichste Erfahrung der Pariser Kommune bezeichnete. Lenin aber braucht das alles, wenn auch mit veränderten und proletarischen Vorzeichen, weil bei ihm nicht die Produzenten das Verfügungsrecht über die Produktionsmittel und das Produkt haben, sondern die Staatsgewalt, die durch die proletarische Partei als Vortrupp des Proletariats verkörpert wird.

Was aber ist die Aufgabe der proletarischen Partei, der Kommunisten überhaupt?

Im „Kommunistischen Manifest“ schreibt Marx dazu Folgendes: „Der nächste Zweck der Kommunisten ist derselbe wie der aller proletarischen Parteien: Bildung des Proletariats zur Klasse, Sturz der Bourgeoisieherrschaft, Eroberung der politische Macht durch das Proletariat.“

Weiter oben betont er noch: „Die Kommunisten sind keine besondere Partei gegenüber den anderen Arbeiterparteien. Sie haben keine von den Interessen des Proletariats getrennten Interessen, sie stellen keine besonderen Prinzipien auf, wonach sie die proletarische Bewegung modeln wollen.“

Nach dieser eindeutigen Umschreibung der Aufgaben der Kommunisten ist ihr Tätigkeitsgebiet klar vorgezeichnet. Es ist ihre Aufgabe, die Massen auf das Niveau der Kommunisten zu heben. Sie bekommen damit jene Einsichten in die Bedingungen des Klassenkampfes, die sie befähigen, den Sturz der Bourgeoisie zu betreiben. Die Organisationsform der Kommunisten kann daher im Wesentlichen nur die des gesamten Proletariats sein. Das Proletariat aber organisiert sich durch die Räte, die es zur kollektiven Leitung des Klassenkampfes befähigen, auf der Grundlage des Betriebes einheitlich und geschlossen als Klasse. Wohl bilden die Kommunisten in der Entwicklung der Revolution am Anfang noch eine besondere Organisation. Aber indem sie das Proletariat vermittels der Räte zur selbständigen, kollektiven und unabhängigen Kampfführung anleitet, schulen sie es durch die harte Praxis des Lebens zu Kommunisten. Und in der Form wie das Proletariat lernt, seine Geschicke selbst in die Hand zu nehmen, und die Grenze der alten Produktionsverhältnisse und die Voraussetzungen der neuen erkennt, bekommt es mehr und mehr jene Einsicht in die Bedingungen, den Gang und die allgemeinen Resultate der proletarischen Bewegung, die es endgültig auf das Niveau der Kommunisten hebt. Damit entfällt gleichzeitig mehr und mehr die Notwendigkeit einer besonderen Organisation der Kommunisten, weil die Organisation der Klasse durch die Räte gleichzeitig auch die Organisation der Kommunisten ist. Es gibt daher keine besonderen Vortrupps des Proletariats als Partei, weil das ganze Proletariat zur kommunistischen Einheit vermittels der Räte werden soll. Aus dem gleichen Grunde gibt es, wie das auch schon Marx klargelegt hat, keinen grundsätzlichen Unterschied zwischen Partei und Proletariat. Dieser Gegensatz ist nur so lange vorhanden, wie das Proletariat noch nicht reif zur Revolution ist. Daher kann auch niemals eine proletarische Partei für das Proletariat die Macht an sich nehmen. Jeder Versuch, etwas Derartiges theoretisch künstlich zu konstruieren oder sogar praktisch durchzuführen, läuft, wie Russland bewiesen hat, auf eine erneute Beherrschung der Produzenten durch einen proletarischen Staats- und Parteiapparat hinaus.

Das Programm wendet sich dann gegen Lenin, der den Kommunismus folgendermaßen beschreibt: „Die ganze Gesellschaft wird ein Büro und eine Fabrik mit gleicher Arbeit und gleichem Lohn ( „Staat und Revolution“, Seite 95).

Engels sagt aber: „Kapital und Lohnarbeit sind zwei Seiten ein und derselben Sache.“ Und wo Lohnarbeit ist, muss Geld als Zirkulationsobjekt und Mittel der privaten Bereicherung vorhanden sein. Hierzu sagt Marx: „Das Geldkapital fällt bei gesellschaftlicher Produktion fort.“ Überhaupt ist Abschaffung der Lohnarbeit eine der wichtigsten Forderungen der Kommunisten. So hat die proletarische Revolution nach Lenin folgende Eigentümlichkeiten: Die Lohnarbeit wird nicht aufgehoben. Das Verfügungsrecht über die Produktionsmittel und die Produkte liegen nicht in den Händen der Produzenten, sondern in den Händen der Staates. Die Staatsgewalt wird vom organisierten Vortrupp des Proletariats, der politischen Partei verkörpert. Der Staat stirbt nicht ab, sondern bleibt als ökonomische Gewalt bestehen.

Nach Lenin soll dies zwar die erste Phase der kommunistischen Gesellschaft sein und die Entwicklung noch weiter gehen bis zur Endphase des Kommunismus. Er übersieht dabei, dass in der ersten Phase der kommunistischen Gesellschaft, der Diktatur des Proletariats, sich schon alle Formen der neuen Produktionsverhältnisse durchsetzen, weil das Proletariat die kommunistische Revolution überhaupt nur um die Durchsetzung dieser Forderungen schlägt. Die Abschaffung der Lohnarbeit und das Übertragen des Verfügungsrechtes über die Produktionsmittel und die Produkte auf die Produzenten nicht sofort in Angriff nehmen, heißt den Sinn der Revolution des Proletariats überhaupt aufheben. Die Lenin’schen Auffassungen über die kommunistische Gesellschaft sind daher in letzter Instanz staatskapitalistisch oder staatssozialistisch und haben mit dem Marx’schen Kommunismus nichts weiter gemeinsam als eine marxistisch klingende Terminologie.


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Compiled by Vico, 1 December 2020


























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