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Antonie Pannekoek Archives

Rätekorrespondenz

Quelle: a.a.a.p.


Rätekorrespondenz

Internationale Rätekorrespondenz 1934-1937 / Gruppe Internationaler Kommunisten (Holland). – Transkribiert und herausgegeben für Rätekommunismus ; Mitarbeit von der Association Archives Antonie Pannekoek, Dezember 2020, 504 S., € 13,16, ISBN 979-8551636052


Zur Neuordnung der Deutschen Arbeitsverfassung


Quelle:  Zur Neuordnung der Deutschen Arbeitsverfassung. – In: Internationale Rätekorrespondenz : Theoretisches und Diskussionsorgan für die Rätebewegung.  – Ausg[abe]. der Gruppe Int[ernationaler]. Kommunisten, Holland. – 1934, Nr. 5 (November); Quelle der Transkription: Rätekommunismus , 23. November 2020, Mitarbeit von der Association Archives Antonie Pannekoek.


a. Allgemeine Bemerkungen

Nach der allgemeinen Meinung bei Freund und Feind bedeutet das am 1. Mai in Kraft getretene Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit (a.o.g.) vom 20. Januar 1934 eine totale Neuordnung der Betriebs- und Arbeitsverfassung, einen vollkommenen Bruch mit dem ganzen vorangehenden Jahrhundert sozialpolitischer Entwicklung und mit fast allen alten arbeitsrechtlichen Institutionen und Begriffen. Es gibt nach der herrschenden nationalsozialistischen Ideologie im heutigen Deutschland keine „Arbeitgeber“ und keine „Arbeitnehmer“ mehr. Der „Arbeitsmarkt“ ist abgeschafft, und selbst der bis vor kurzem unter diesem Titel erschienene amtliche Bericht der Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung hat seinen Titel neuerdings ändern müssen (1). Das Verhältnis zwischen den Besitzern der Produktionsmittel und den Lohnarbeitern beruht nicht mehr auf der „gefühllosen baren Zahlung“ (Carlyle), sondern hat sich in eine auf „Fürsorge“ und „Treue“ begründete „Betriebsgemeinschaft“ zwischen dem „Führer“ des Betriebes und seiner „Gefolgschaft“ verwandelt (Paragraph 2 II a.o.g.). Der erste der neun allgemeinen Grundsätze, in denen der Art. 426 des Versailler Friedensvertrages von 1919 unter maßgebender Beeinflussung der Gewerkschaften und speziell des amerikanischen Gewerkschaftsführers Samuel Gompers seine „dauernden Wohltaten für die Lohnarbeiter der Welt“ völkerrechtlich verankert hat, der Grundsatz, dass „die Arbeit nicht als eine bloße Handelsware betrachtet werden darf“, hat in dem heutigen nationalsozialistischen Deutschland auf der ganzen Linie triumphiert. Die Arbeit wird in den Betrieben des heutigen Deutschland zwar in Wirklichkeit nach wie vor von abhängigen Arbeitnehmern gegen Lohn, aber nach der herrschenden Ideologie zugleich von der gesamten „Betriebsgemeinschaft“, d.h. von dem Unternehmer als „Führer“, den Arbeitern und Angestellten als „Gefolgschaft“ gemeinsam „zur Förderung der Betriebszwecke und zum gemeinen Nutzen von Volk und Staat geleistet.“ (Paragraph I a.o.g.) Versteht man unter dem „freien Arbeitsmarkt“ nicht mehr nach alt-manchesterlicher Theorie den Verkauf der individuellen Arbeitskraft durch ihren individuellen Eigentümer vermittels des sogenannten „freien Arbeitsvertrages“, sondern das in der modernen Entwicklung aller kapitalistischen Länder an dessen Stelle getretene kollektive Aushandeln der Arbeitsbedingungen durch die zusammengeschlossenen Organisationen der Arbeitnehmer und Arbeitgeber im Rahmen der durch den modernen demokratischen Staat (wiederum unter maßgebender Beteiligung der erwähnten Verbände) gesetzten allgemeinen arbeitsrechtlichen Normen, so kann dieser nationalsozialistischen Behauptung über den abgeschafften „Arbeitsmarkt“ sogar eine gewisse brutale Wahrheit zugesprochen worden. Der moderne kollektiv geregelte Arbeitsmarkt ist, wie gezeigt werden wird, in der heutigen deutschen Arbeitsverfassung allerdings radikal beseitigt worden. An seine Stelle ist teils die „freie“ Vereinbarung der Arbeitsbedingungen durch den individuellen Arbeitsvertrags, teils die autoritative Regelung der Arbeitsbedingungen im Einzelbetriebe durch den Betriebsführer und der Arbeitsbedingungen für ganze „Gruppen von Betrieben“ durch den staatlichen Treuhänder der Arbeit getreten. Es gibt im nationalsozialistischen „Dritten Reich“ überhaupt keine Interessenvertretungen der Arbeitnehmer mehr, und auch die Interessenvertretungen der Arbeitgeber sind formell in der „Deutschen Arbeitsfront“ aufgegangen.

„Die Deutsche Arbeitsfront ist die Zusammenfassung aller im Arbeitsleben stehenden Menschen ohne Unterschied ihrer wirtschaftlichen und sozialen Stellung. In ihr soll der Arbeiter neben dem Unternehmer stehen, nicht mehr getrennt durch Gruppen und Verbände, die der Wahrung besonderer wirtschaftlicher und sozialer Schichtungen und Interessen dienen“ - so heißt es darüber in dem „Aufruf an alle schaffenden Deutschen“ vom 27. 11. 1933, in welchem die der heute gültigen Regelung durch das a.o.g. zugrunde liegenden neuen Grundsätze zuerst offiziell ausgesprochen wurden. Es sind mit andern Worten in der Ideologie des heutigen neuen Deutschland auch alle „Klassen“ und „Klassengegensätze“ abgeschafft. Verpönt ist nicht nur die offene Austragung dieser Gegensätze durch den wirklichen Arbeitskampf, insbesondere den Streik. Verpönt sind ebenso auch all die anderen, abgeschwächteren Formen, die in der letzten Periode mehr und mehr an die Stelle dieses wirklichen Kampfes getreten waren: alle die, besonders in der Nachkriegszeit entwickelten Formen der Schlichtung und der sogenannten „Gesamtvereinbarungen“, durch welche die bestehenden Interessengegensätze zwischen den sich als sogenannte „soziale Gegenspieler“ am Verhandlungstisch gegenübersitzenden Verbände der Arbeitgeber und Arbeitnehmer ausgeglichen und eine kollektive Regelung der Arbeitsbedingungen in Tarifverträgen, Tarifgemeinschaften herbeigeführt wurde. Eine wachsende Anzahl deutscher Arbeiter arbeitet heute bekanntlich überhaupt unter keinerlei, sei es kollektivem, sei es auch nur individuellem „freien Arbeitsvertrag“ mehr, sondern als eine halbversklavte Arbeitsmasse. Selbst die Form des „freien“ Arbeitsvertrages gilt nicht mehr für diejenigen Arbeiter, die heute in den Formen des sogenannten „Arbeitsdienstes“ und in einigen anderen unter der Losung des sogenannten „Arbeitsbeschaffungsprogramms“ neueingeführten Formen sogenannte „zusätzliche“ Arbeiten verrichten, d.h. solche Arbeitsleistungen, für die auf dem normalen kapitalistischen „Arbeitsmarkt“ unter den heutigen Verhältnissen keinerlei „Nachfrage“ mehr besteht.

So stark ist die von dieser neuen nationalsozialistischen Ideologie eines vollkommenen „Bruches“ mit der bisherigen Arbeitsverfassung ausgehende suggestive Wirkung, dass selbst so entschiedene Gegner des Hitlerischen Regimes wie Ernst Henri diese Ideologie für eine bereits eingetretene oder doch unaufhaltsam eintretende Wirklichkeit ansehen.

„The entire category that here comes into being is no longer the old working class and no longer a class at all. It is a corps of semislaves, without liberty, without property, without wage and without the right to think“.
(Hitler over Europe? – Dent, London, 1934 p. 76)
„Die ganze Kategorie, welche hier entsteht, ist nicht mehr die alte Arbeiterklasse und überhaupt keine Klasse mehr. Es ist eine Masse Halb-Sklaven ohne Freiheit, ohne Eigentum, ohne Lohn und ohne Recht zu denken.“ (Übersetzung Rätekorrespondenz)

Hält man sich an die Tatsachen, so erscheint die Umgestaltung der bisherigen Arbeitsverfassung durch das a.o.g. in einem etwas andern Licht. In Wirklichkeit ist eine solche umfassende oder gar totale Veränderung aller arbeitsrechtlichen Verhältnisse bis heute teils noch nicht eingetreten, teils auch im Falle der praktischen Durchführung aller im a.o.g. enthaltenen neuen Vorschriften gar nicht zu erwarten. Auch so weit umfassende und tiefgehende Neuerungen eingeführt oder einzuführen begonnen sind, liegen die Schwerpunkte dieser Veränderung an anderen Stellen als man gemeinhin annimmt und haben infolgedessen auch die Neuerungen selbst einen teilweise anderen Charakter.

Vor der inhaltlichen Betrachtung der neuen Regelung ist vorauszuschicken, dass der durch Paragraph 64 a.o.g. auf den 1. Mai 1934 festgesetzte Termin ihres Inkrafttretens inzwischen durch die Anordnung des Reichsarbeitsminister über die Weitergeltung von Tarifverträgen als Tarifordnungen vom 28. 3. 1934 praktisch nochmals auf unbestimmte Zeit hinausgeschoben ist. Diese Anordnung bestimmt tatsächlich, dass alle bisher bestehenden Tarifverträge mit einer nur nominellen Umbenennung als sogen. „Tarifordnungen“ weitergelten. Neben dieser Anordnung des Reichsarbeitsministers ist allerdings zugleich ein Rundschreiben an sämtliche Treuhänder der Arbeit ergangen, worin dieser jetzt geschaffene Zustand als ein bloßes Provisorium für eine gewisse Übergangszeit bezeichnet wird. Die Treuhänder werden angewiesen, im Laufe der „nächsten Monate“ beschleunigt zu prüfen, welche der jetzt geltenden (nominellen) „Tarifordnungen“ in ihrem Bezirk künftig wegfallen bzw. in (unverbindliche) „Richtlinien“ nach Paragraph 32 I, 33 a.o.g. umgewandelt werden können. Es scheint demnach, dass wenigstens nach den Absichten der Kreise um den Arbeitsminister Seldte, Wirtschaftsminister Schmitt usw. und der hinter ihnen stehenden großkapitalistischen „Führer“ des neuen „organischen Wirtschaftsaufbaus“ nunmehr in absehbarer Zeit mit der Fortsetzung der unter dem früheren Regime 1930-1932 begonnenen und damals in der Brüning‘schen Notverordnung vom 8. 12. 1931 gipfelnden Lohnsenkungspolitik auch für die durch das a.o.g. erfassten regulären Betriebsarbeiter ernstlich angefangen worden soll. Einstweilen aber bleibt, wie die Anordnung vom 20. 3. 1934 zeigt, die Neuregelung der Arbeitsbedingungen durch das a.o.g. im entscheidenden Punkte ein blasser Buchstabe.

Will man vor der Erörterung der Einzelbestimmungen des Gesetzes seinen Hauptinhalt auf eine allgemeine Formel bringen, so stößt man auf eigentümliche Schwierigkeiten. Es handelt sich nicht, wie die seltsam altfränkische Sprechweise der neuen Gesetzes und seiner Kommentatoren und Propagandisten es bisweilen erscheinen lässt, und wie z.B. der Lavora fascista vom 7. 4. 1934 den deutschen Nachahmern des italienischen Vorbildes vorwirft, um eine einfache Rückkehr zu patriarchalischen Formen der Arbeitsverfassung. Es handelt sich eben so wenig, wie ein Teil der Anhänger des neuen Gesetzgebungswerkes (z.B. Franke im amtlichen Organ des Justizministers „Deutsche Justiz“, vom 6. 4. 1934, p. 444) behauptet, um eine Anknüpfung an „die arteigene Auffassung des alten deutschen Rechts von der beiderseitigen Treupflicht des Gefolgsmannes und des Gefolgsherrn“, und auch nicht, wie ein Teil der Gegner gemeint hat, um die Wiederaufrichtung einer Art „Neufeudalismus nach spätmittelalterlichem Muster“. Es ist auch nur eine sehr einseitige Erfassung der durch das neue Gesetz getroffenen Regelung der Arbeitsverfassung, wenn man sie einfach als eine Übertragung des nationalsozialistischen „Führerprinzips“ auf die Arbeitsverfassung darstellt. Etwas richtiger ist es schon, wenn man den Inhalt des Gesetzes gelegentlich (z.B. Berliner Tageblatt 10. 2. 1934) auf die Formel gebracht hat: „Der Führer des Betriebs unter staatlicher Aufsicht“. Und der Kern der Sache wird getroffen, wenn man zu dieser Formel hinzufügt, dass es an allen Stellen die beiden eng verbündeten politischen und ökonomischen Machtgruppen des neuen deutschen Regimes sind, die hier bei der Regelung der unmittelbaren Lage der betriebstätigen Arbeiterschaft durch das a.o.g. ebenso wie innerhalb des (durch das Gesetz vom 27. 2. 1934 als vorläufiger Ersatz für den noch ausstehenden neuen ständischen Aufbau errichteten) „organischen Aufbaus der deutschen Wirtschaft“ die eigentlich regulierende und zusammenhaltende Kraft darstellen: d.h. also die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (n.s.d.a.p.) einerseits, die „Führer“ der 12 Fachgruppen der deutschen Wirtschaft andererseits.

Gegenüber der gewaltigen realen Machtvollkommenheit, die diesen beiden großen Machtgruppen der deutschen „Wirtschaft“ und des deutschen „Staates“ durch die gesamte bisherige Gesetzgebung und noch mehr durch die Praxis eingeräumt worden ist, verschwindet vollkommen jene scheinbar unbeschränkte Machtvollkommenheit, die durch den Wortlaut einiger Paragraphen des a.o.g. dem Einzelunternehmer als „Führer“ seines Betriebes verliehen wird. Wie durch die Zerstörung der gewerkschaftlichen Berufsverbände und den Aufbau der „Deutschen Arbeitsfront“ auf der Grundlage der „Betriebe“ tatsächlich nur die befürchtete Wiederentstehung größerer und mächtigerer Arbeitnehmerinteressenvertretungen unterbunden werden soll, so dient auch die formelle Basierung der Arbeitsverfassung auf dem einzelnen „Betrieb“ und sogar die geplante Basierung des künftigen „ständischen Aufbaus“ der Gesamtwirtschaft auf dem „Betrieb“ in Wirklichkeit nur zur Atomisierung der schwächeren Betriebe und zur entsprechenden Machtsteigerung teils des „wirtschaftsführenden Staats“, teils der in Zukunft allein entscheidenden größten und mächtigsten Wirtschaftsgruppen. Der Einzelunternehmer als Betriebs-„Führer“ ist schon durch das a.o.g. selbst einer starken Kontrolle des Staates unterworfen in Gestalt der neugeschaffenen Institution der staatlichen „Treuhänder der Arbeit“. Diese wiederum untersteht schon heute in allen entscheidenden Fragen, und wird erst recht nach der Durchführung der „Ständischen Gliederung der Wirtschaft“, der direkten Beeinflussung durch die konzern- und kartellmäßig organisierten großen und größten Kapitalgruppen. Zur „Wirtschaftsführung“ berufen ist in dem werdenden Aufbau des „nationalsozialistischen“ deutschen Gemeinwesens nicht die Betriebsgemeinschaft aller dem Betriebe angehörigen Personen (Führer und Gefolgschaft), auch nicht der Einzelunternehmer als „Betriebsführer“, nicht einmal der vorläufig nur als Schrittmacher eingeschaltete wirtschaftsführende „Staat“, sondern allein die heute provisorisch in dem sogenannten „organischen Wirtschaftsbau“ unter der formellen Leitung des Reichswirtschaftsministers Schmitt, künftig in dem sogenannten „ständischen Aufbau“ ungehemmt herrschenden Herren Krupp, Blohm, Vögler, Pietzsch, Kessler und sonstige Träger der bekanntesten Namen aus den auch im bisherigen Deutschland bereits ausschlaggebenden Kreisen des großen und größten Kapitals. Ein interessantes Beispiel dafür, wie sich diese zunächst nur in der wirklichen Entwicklung vorherrschende Tendenz allmählich auch in den Köpfen der ideologischen Wortführer des gegenwärtigen Regimes durchsetzt, sind folgende Ausführungen des bekannten nationalsozialistischen Propagandisten Gottfried Feder über die Prinzipien der werdenden „nationalsozialistischen Wirtschaftsgestaltung“ (Die nationale Wirtschaft, IV 2. 5. 4., 1934)

„Die ständische Organisierung der deutschen Wirtschaft ist aus zweierlei Gründen ganz besonders wichtig: Erstens beseitigt die Zusammenfassung aller in den Wirtschaftszweigen tätigen Unternehmungen den wüsten und sinnlosen Konkurrenzkampf und verhütet die sinnlose Übersteigerung der Kapazität.
Zweites ist diese Organisierung der Wirtschaft notwendig, damit der Wirtschaftsführer selbst – wie ein Feldherr seine Regimenter – die Instrumente zur Wirtschaftsführung erhält, mit denen er zu wirken vermag. Der Wirtschaftsführer bedarf dieser Zusammenfassungen, denn so sehr das Reich als Wirtschaftsführer die große Gesamtlinie der Wirtschaftspolitik festzulegen hat, so wenig kann und soll es sich selbst in die einzelnen Wirtschaftszweige einmischen oder gar selbst Wirtschaft treiben.“

b. Übersicht über die wichtigsten Einzelbestimmungen

I.

Von den drei großen Teilgebieten, aus denen sich die bisherige Regelung der Arbeitsbedingungen in Deutschland wie in allen andern modernen kapitalistischen Ländern zusammensetzt: staatliche Sozialpolitik, gewerkschaftliche Mitbestimmung, direkte Mitwirkung des betriebstätigen Arbeiters (vgl.: Korsch – „Arbeitsrecht für Betriebsräte“ – Berlin 1922), ist von der jetzigen Neuordnung das zuerst genannte Teilgebiet verhältnismäßig am wenigsten berührt. Obwohl durch die abschließenden Paragraphen (65 ff) des a.o.g. ein beträchtlicher Teil der sozial-politischen Gesetzgebung besonders der Nachkriegsperiode teils völlig aufgehoben, teils beträchtlich umgestaltet ist, sind doch auf diesem Gebiet die getroffenen Abbaumaßnahmen im Ganzen geringfügiger als auf den beiden andern Teilgebieten. In mancher Hinsicht ist die Sphäre der staatlichen „Eingriffe“ in die Arbeitsbedingungen und die Wirtschaft durch das a.o.g. und die dazu bereits hinzugetretenen und noch geplanten ergänzenden Gesetze (z.B. Gesetz über die Heimarbeit vom 23. 3. 1934, Gesetz zur Ordnung der Arbeit in öffentlichen Verwaltungen und Betrieben vom 23. 3. 1934) sogar noch beträchtlich erweitert worden. Vor allem ist dies geschehen durch die schon am 19. 5. 1933 geschaffene, jetzt in Abschnitt II des a.o.g. geregelte, neue Institution der staatlichen „Treuhänder der Arbeit“. Allerdings sind auch diese Erweiterungen der staatlichen Zuständigkeit bis zu einem gewissen Grade mehr scheinbar als wirklich. Einerseits stellen die staatlichen Treuhänder nur einen Ersatz des jetzt aufgehobenen staatlichen Schlichtungswesens dar. Das in der Vorkriegszeit von den Gewerkschaften entwickelte freie Einigungs- und Schiedswesen, hatte sich in der Kriegs- und Nachkriegszeit bereits von selbst immer mehr und mehr „durchstaatlicht“: Die auf diesem Gebiet jetzt eintretende Änderung erscheint insofern nur als der Abschluss einer bereits vorher eingeleiteten Entwicklung, und das Neue in der jetzigen Regelung besteht höchstens in der jetzt ganz radikalen Zerstörung aller bisher, trotz des Vordringens der staatlichen Tätigkeit, immer noch vorhanden gewesenen Überreste eines freien gewerkschaftlichen Schlichtungswesens. Andererseits enthält das a.o.g. in Gestalt des sogenannten „Sachverständigenbeirats“ und des sogenannten „Sachverständigenausschusses“ auch seinerseits schon wieder gewisse Ansatzpunkte zu einer Entwicklung, die, wie der Gesetzverfasser Ministerialdirektor Mansfeld in der Zeitschrift „Deutsches Arbeitsrecht“ (II 2. Februar 1934 – p. 36) verrät, „mit Leichtigkeit“ zu einer Wirtschaftskammer einerseits, zu Schiedsstellen oder Fachkammern andererseits weitergeführt werden kann. Allerdings stehen die im Gesetz angeblich enthaltenen „Ansätze“ zu einer solchen Entwicklung in einem so engen Zusammenhang mit dem projektierten „ständischen Aufbau“ und mit allen damit verbundenen Unsicherheiten und Zwiespältigkeiten, dass es einigermaßen zweifelhaft erscheint, ob es sich hier wirklich um Keime von etwas Neuem oder um bloße Überreste aus der Vergangenheit handelt. Schließlich tritt gerade auch bei der Institution der staatlichen Treuhänder besonders grell die auch sonst an diesem Reformwerk auffallende äußerste Unfertigkeit und Unbestimmtheit hervor. Es gibt nach der ersten Durchführungsverordnung zum a.o.g. vom 1. 3. 1934 für das ganze deutsche Reichsgebiet insgesamt nur 13 Treuhänder der Arbeit, die bisher noch in keiner Weise über den zur Erfüllung ihrer mannigfaltigen und massenhaften Aufgaben notwendigen Apparat verfügen; auch die Frage ihres Zusammenwirkens mit der staatlichen Gewerbeaufsicht ist noch völlig ungeklärt, da einerseits die Gewerbeaufsicht formell unverändert erhalten geblieben ist, andererseits in zahlreichen Paragraphen des Gesetzes den Treuhändern auch Befugnisse aus dem bisherigen Tätigkeitsgebiet der Gewerbeaufsicht zugewiesen worden sind (vgl. Paragraph 19 Nr. 1. 3. 5. 6. 8 in Verbindung mit Paragraph 6. II, 16. 27. Nr. 3 und Paragraph 20 a.o.g. und dazu die Ausführungen von Hagenmeister über „Neue Probleme des Arbeitsschutzes“ in „Soziale Praxis“ vom 19. 4. 1934 p. 483ff).

Die wichtigste Veränderung, die auf dem Gebiete der staatlichen Sozialpolitik durch die gegenwärtige Neuordnung herbeigeführt wird, betrifft also nicht so sehr den Umfang und die Stärke der staatlichen Einwirkung als vielmehr ihren sozialen und politischen Charakter. Wenn die staatliche Sozialpolitik des bürokratisch-kaiserlichen Deutschland der Vorkriegszeit und erst recht die Sozialpolitik des republikanischen Deutschland der Nachkriegsperiode wenigstens bis zu einem gewissen Grade schon als eine beginnende demokratische Mitwirkung der Arbeiter selbst an der Gestaltung der Wirtschaft im allgemeinen und ihrer Arbeitsbedingungen im besonderen aufgefasst werden konnte, so ist eine solche Auffassung mit Bezug auf die staatliche Sozialpolitik des heutigen autoritären deutschen Staate ganz und gar unmöglich. Die staatliche Sozialpolitik hat hier einen gänzlich anderen und zwar wesentlich obrigkeitlichen Charakter angenommen und erinnert insofern viel mehr an jene andere Phase einer autoritären „Sozialpolitik“, durch die einst die Militärdiktatur der Kriegsjahre 1914-1918 nicht so sehr das Wohl des arbeitenden Menschen als die Kriegstüchtigkeit des deutschen Staatsvolkes zu bewahren und zu steigern versucht hat.

II.

Die wichtigste Änderung, die im Verlaufe des nationalsozialistischen Umsturzes in der deutschen Arbeitsverfassung eingetreten ist, besteht in der ersatzlosen Beseitigung der Gewerkschaften samt allen aus ihnen hervorgegangenen Institutionen, und der darüber noch hinausgehenden Zerstörung auch der Grundlage aller gewerkschaftlichen Betätigung, des Koalitions- und Streikrechts. Diese bereits mit der Besetzung der Gewerkschaftshäuser am 2. Mai 1933 sichtbar hervortretende Veränderung findet ihren abschließenden gesetzlichen Ausdruck in Paragraph 69 II a.o.g., der neben anderen wichtigen Paragraphen der MI auch den Paragraphen 152 ersatzlos aufhebt. Damit ist die Magna Charta der gesamten Arbeitsverfassung, das grundsätzlich uneingeschränkte und uneinschränkbare Recht der Lohnarbeiter zu „Verabredungen und Vereinigungen zum Behufe der Erlangung günstiger Lohn- und Arbeitsbedingungen, insbesondere mittels ‚Einstellung der Arbeit‘“, wie es in der Gewerbeordnung von 1869 gesetzlich sanktioniert und in der Reichverfassung von 1919 (Art. 159) bestätigt und erweitert war, also das Koalitions- und Streikrecht und das gesamte Arbeitskampfrecht gesetzlich aufgehoben!

Mit dieser Aufhebung ihrer eigentlichen Grundlage fallen auch die Gewerkschaften. Auch wenn der deutsche Nationalsozialismus, wie er es in den ersten Monaten nach dem Umsturz zu beabsichtigen schien, die von ihm übernommenen Gewerkschaften formell aufrecht erhalten oder seine eigene „Nationalsozialistische Betriebszellenorganisation (n.s.b.o.) zu einer Art von Gewerkschaftsersatz nach italienischem Muster ausgebildet hatte (wie dies bekanntlich im heutigen Österreich angestrebt wird), so wäre diese neue Arbeiterorganisation trotz aller quasi-gewerkschaftlichen Funktionen, die sie von den früheren Gewerkschaften übernommen hatte und trotz aller ihr neu erteilten Privilegien in Ermangelung dieses grundlegenden Rechts zum Arbeitskampf, insbesondere zum Streik, niemals zu einer wirklichen Gewerkschaft geworden.

In ihrer späteren Entwicklung hat aber die n.s.b.o. und die zu ihr nach dem Umsturz hinzugetretene breitere Organisation der „Deutschen Arbeitsfront“ (d.a.f.) schließlich sogar auch auf den Schein eines gewerkschaftlichen Charakters radikal verzichtet. Die in dieser Hinsicht nach mancherlei inneren Streitigkeiten und auch tatsächlich einander widersprechenden Experimenten am Ende getroffene Entscheidung – eine für die ganze Zukunft des deutschen Nationalsozialismus folgenschwere Entscheidung, mit der er zugleich zum ersten Mal seinen spezifischen, vom italienisch-faschistischen Vorbild abweichenden Charakter dokumentierte! – kommt am deutlichsten zum Ausdruck in dem bereits erwähnten „Aufruf an alle schaffenden Deutschen“ vom 27. 11. 1933. Die ganze jüngste Phase der Entwicklung, die ihren formellen Anschluss einerseits mit dem a.o.g. vom 20. 1. 1934, andererseits mit dem Erlass des Führers der Deutschen Arbeitsfront, Dr. Ley, vom 25. 1. 1934 über die Umbildung der Deutschen Arbeitsfront und die Eingliederung aller Verbände in die Organisation der deutschen Volksgemeinschaft gefunden hat, ist in diesem Aufruf vorweggenommen und zugleich in ihrem innersten Wesen gekennzeichnet:

„Nach dem Willen unseres Führers Adolf Hitler ist die Deutsche Arbeitsfront nicht die Stätte, wo die materiellen Fragen des täglichen Arbeitslebens entschieden, die natürlichen Unterschiede der Interessen der einzelnen Arbeitsmenschen auf einander abgestimmt werden. Für die Regelung der Arbeitsbedingungen werden in kurzer Zeit Formen geschaffen werden, die dem Führer und der Gefolgschaft eines Betriebes die Stellung zuweisen, die die nationalsozialistische Weltanschauung vorschreibt.“

Zugleich mit diesem Verzicht auf die wesentlichen Aufgaben einer Gewerkschaft hat die Deutsche Arbeitsfront auch die organisatorische Form einer gewerkschaftliche Arbeitnehmervertretung vollständig aufgehoben. Allerdings steckt die praktische Durchführung dieser organisatorischen Umbildung auch heute noch in ihren ersten Anfängen; die neue Organisationsform ist zwar auf dem Papier durch das Anfang 1934 herausgegebene neue Organisationstatut (gedruckt bei S.B. Hirschfeld in Leipzig: im Buchhandel nicht erhältlich; das Vorwort ist abgedruckt in Nr. 97 des offiziellen Organs der d.a.f. „Der Deutsche“ vom 27. 4. 1934) geregelt, soll aber nach den Angaben Dr. Leys auf dem 2. Arbeitskongress (Völkischer Beobachter 17. 5. 1934) in der Wirklichkeit erst zum 1. Oktober 1934 durchgeführt sein. Nach diesem neuen Organisationsplan werden zwar nicht in die führende Eliteorganisation (die n.s.b.o.), wohl aber in die breitere Massenorganisation (die d.a.f.) neben den Arbeitnehmern auch die Arbeitgeber aufgenommen. Die bisherige Gliederung der Arbeitsfront in berufliche Verbände wird aufgegeben und durch eine doppelte neue Gliederung ersetzt. Einerseits wird die regionale Einteilung der „Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei“ nach Block, Ortsgruppe, Kreis, Gau usw. auch auf die Arbeitsfront übertragen (horizontale Gliederung). Andererseits wird die Arbeitsfront auf der Grundlage der Betriebe in 18 Reichsbetriebsgemeinschaften eingeteilt, von denen 16 von der n.s.b.o., zwei von der n.s.-h.a.g.o. (Handels, Handwerk, und Gewerbe-Organisation) politisch geleitet werden (vertikale Gliederung, aus der sich die künftige Gliederung nach Berufsständen entwickeln soll).

Daneben läuft noch eine andere, für die berufliche Fortbildung der Mitglieder bestimmte vertikale Gliederung in „Reichsberufsgruppen“. Die so reorganisierte Deutsche Arbeitsfront übt teils als solche, teils vermittels ihrer politischen Führergruppe (der n.s.b.o.) sowohl innerhalb des Betriebes als auch über den Rahmen des Einzelbetriebes hinaus zusammen mit dem Treuhänder der Arbeit, mit den Behörden der in Abschnitt IV des a.o.g. neugeschaffenen „Sozialen Ehrengerichtsbarkeit“ und bei der Berufung der Beisitzer und der Prozessvertretung in den Arbeitsgerichten wichtige und zum Teil entscheidende Funktionen aus (Paragraph 8. 9. 23. 41. 50. 66 II und III a.o.g.).

Aber nirgends, weder innerhalb des Betriebes noch im weiteren Rahmen, haben diese Mitwirkungsrechte der d.a.f. oder der n.s.b.o. den Charakter einer selbständigen Wahrnehmung besonderer Arbeitnehmerinteressen gegenüber dem Arbeitgeber. Ausdrücklich wird in dem neuen Organisationsstatut erklärt, dass sich die d.a.f. nur mit „der weitanschaulichen, politischen und fachlichen Führung aller schaffenden Menschen“ zu befassen habe, dagegen die sogenannte „Sachenführung“ Aufgabe des „Staates“ sei, während die „Aus- und Angleichung der sich ergebenden Aufgaben in der Menschenführung und der Sachenführung“ durch die im a.o.g. vorgesehenen Stellen, von den Treuhändern der Arbeit bis „herunter zum Führer des Betriebes und dessen Vertrauensrat“ zu geschehen habe. In diesem Sinn besteht dann auch innerhalb der gesamten Organisation der d.a.f. nirgends irgend eine wenn auch noch so eingeschränkte „selbständige“ Befehlsgewalt; alle ihre einzelnen Ämter und Befehlsstellen werden geleitet von den entsprechenden Instanzen der Partei, und insbesondere ist auch für die wirklich herrschenden Gewalten des gegenwärtigen Regimes, die „Wirtschaftsführer, Hauptwirtschaftsgruppenführer, Bezirksbeauftragte der Wirtschaft“ auf jeder Stufe des ganzen hierarchischen Aufbaus der Organisation der d.a.f. die entsprechende direkte Mitwirkung vorgesehen. Kurzum, es ist, soweit dies durch organisatorische Maßnahmen geschehen kann, wirklich nichts unterlassen, um der an die Stelle der Gewerkschaften getretenen nationalsozialistischen Massenorganisation, der d.a.f., jeglichen gewerkschaftlichen Kampfcharakter zu nehmen und sie statt dessen zum „Garanten einer absoluten Wirtschaftsbefriedigung“ (sic!) auszugestalten.

Auch wo schon die bisherige Tätigkeit der Gewerkschaften keinen direkten Kampfcharakter hatte, sondern lediglich die mehr oder weniger „paritätische“ Mitwirkung der Arbeitnehmer an den sie mitangehenden wirtschaftlichen, gesetzlichen und verwaltungsmäßigen Angelegenheiten und Institutionen zum Inhalt hatte, sind all diese gewerkschaftlichen Zuständigkeiten teils ersatzlos aufgehoben, teils auf den Treuhänder der Arbeit, die sozialen Ehrengerichte und andere neugeschaffene staatliche Instanzen übertragen worden; nur zu einem geringen Teil sollen solche Zuständigkeiten auf dem Gebiete des Arbeitsgerichtswesens und der Sozialversicherung auch auf die Deutsche Arbeitsfront übergehen. Aufgehoben sind, wie bereits erwähnt, vor allem die Tarifverträge und das gesamte freiwillige und staatliche Schlichtungswesen: An ihre Stelle treten teils die noch zu erörternden „Entscheidungen des Führers des Betriebes über die Gestaltung der allgemeiner Arbeitsbedingungen“, insbesondere die von ihm erlassene Betriebsordnung, teils die von dem Treuhänder der Arbeit unter beratender Mitwirkung des Sachverständigenbeirats usw. bzw. Sachverständigenausschusses ausgeübten Funktionen gemäß Paragraph 19. 23. 32. 33 a.o.g., teils die auf Antrag des Treuhänders der Arbeit ergehenden Entscheidungen der verschiedenen Instanzen der Sozialen Ehrengerichtsbarkeit über die Verletzungen der sozialen Ehre durch die Angehörigen (Führer oder Gefolgschaft) einer Betriebsgemeinschaft gemäß Paragraph 35 ff a.o.g. Weggefallen sind auch die bisherigen Fachausschüsse für die Hausarbeit; ihre Befugnisse ebenso wie die Befugnisse der an die Stelle der Demobilmachungskommissare getretene Behörden (Gewerbeaufsichtsbeamten) für die bei Betriebsabbrüchen und Stilllegungen über die damit verbundenen Entlassungen von Arbeitnehmern zu treffenden Entscheidungen gehen mehr oder weniger verändert auf die Treuhänder der Arbeit über. Weggefallen sind endlich auch all die vielen Dutzende von Vorschriften, durch die in verschiedenen Gesetzen und Verordnungen eine „Anhörung“, sei es der Betriebsvertretungen, sei es der „wirtschaftlichen Vereinigungen der Arbeitnehmer“ (Gewerkschaften) vor dem Erlass irgendwelcher Anordnungen vorgesehen ist.

Noch weiter abgeschwächt wird der etwa noch übrigbleibende gewerkschaftsähnliche Charakter der d.a.f. durch die ihr neu zugeteilten Befugnisse. Hierher gehören 1. die von den „Berufsämtern“ der Kreise und den „Berufswaltern“ der Ortsgruppen der d.a.f. unter der Aufsicht des Reichsschulungsamtes der Partei „parteimäßig und sachlich betriebenen“ Aufgaben der Berufsschulung und Stellenvermittlung zu dem Zwecke, „die Ausbildung des einzelnen und seine Aufstiegsmöglichkeiten bis zur höchste Stelle zu überwachen“; 2. die Aufgaben der mit der d.a.f. in Form korporativer Mitgliedschaft verbundenen, dem italienischen Dopo Lavore nachgeahmten Feierabendorganisation „Kraft durch Freude“.

Trotz all dieser weitgehenden Veränderungen bedeutet auf dem jetzt erörterten Gebiet der gewerkschaftlichen Arbeitnehmerinteressenvertretung die heutige Regelung weder tatsächlich noch formell einen vollkommenen Bruch mit jener Vergangenheit, wie sie sich besonders in der letztvergangenen Periode der Kriegs- und Nachkriegsentwicklung gestaltet hat. Einerseits sind, wie bereits erwähnt, die vor dem a.o.g. gültig gewesenen Tarifverträge in der Hauptsache unverändert in Kraft geblieben; insbesondere ist das in diesen Tarifverträgen festgelegte allgemeine Lohnniveau für die regulären betriebstätigen Arbeiter im allgemeinen formell aufrecht erhalten worden und wird voraussichtlich auch noch für einige Zeit aufrecht erhalten bleiben. Andererseits sind jene besonders in der ersten Zeit nach dem Umschwung deutlich hervorgetretenen Tendenzen, die darauf abzielten, durch die Ausdehnung der gewerkschaftlichen Rechte (insbesondere der sogenannten „Tariffähigkeit“, d.h. der Fähigkeit zum Abschluss von Tarifverträgen) auf die sogenannte wirtschaftsfriedlichen oder gelben Verbände zugleich mit der tatsächlichen Unterdrückung der sozialdemokratischen Organisationen („Freien Gewerkschaften“ und den mit ihnen verbündeten sonstigen Gewerkschaften, Hirsch-Dunckersche Gewerkschaften, Christliche Gewerkschaften) für jene gelben Verbände und die erst kürzlich entstandene „Nationalsozialistische Betriebszellenorganisation“ eine tatsächliche Monopolstellung zu schaffen, in der Folge zwar nicht eigentlich überwunden, aber durch den ganz andersartigen Aufbau und Aufgabenkreis der Nationalsozialistischen Betriebsorganisation praktisch gegenstandslos geworden. Die heutige nationalsozialistische Betriebsorganisation „Deutsche Arbeitsfront“ hat zwar ebenfalls eine völlig gesicherte Monopolstellung. Da sie aber nicht die Aufgabe hat, besondere Arbeitnehmerinteressen zu vertreten und insbesondere keine Tarifverträge abschließt, da anderseits auch die besonderen Organisationen der Arbeitgeber als solche aufgehoben sind, so äußert sich diese Monopolstellung der Deutschen Arbeitsfront nur noch in Bezug auf einen Teil der Nebenrechte, die früher mit der gewerkschaftlichen „Tariffähigkeit“ durch anderweitige gesetzliche Bestimmungen auf anderen Gebieten verbunden waren. Von größter praktischer Bedeutung war und ist in dieser Hinsicht das bisher nach Paragraph 11 des Arbeitsgerichtsgesetzes vom 23. 12. 1926 für die drei republikanischen Gewerkschaftsrichtungen bestehende Monopol der Prozessvertretung vor den Arbeitsgerichten, welches jetzt durch Paragraph 66 a.o.g. auf die Leiter und Angestellten der von der Deutschen Arbeitsfront einzurichtenden Rechtsberatungsstelle bzw. auf die von ihr ermächtigten (bisher von den Arbeitsgerichten in 1. Instanz absolut ausgeschlossenen) Rechtsanwälten übertragen ist. Da ein Monopol für bestimmte gewerkschaftliche Richtungen mit Bezug auf die Tariffähigkeit und die damit weiterhin verbundenen Rechte, insbesondere die Prozessvertretung vor den Arbeitsgerichten, auch in der vorhitlerischen Periode bereits tatsächlich bestanden hat (vgl. dazu Korsch: „Um die Tariffähigkeit“ – Berlin 1928), stellt auch insofern der heutige Zustand viel weniger einen Bruch mit dieser vorherigen Entwicklung als ihre konsequente Fortsetzung und ihren Abschluss dar.

III.

Am augenfälligsten sind die Änderungen, die das a.o.g. auf seinem engeren Gebiet, in den Beziehungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer innerhalb des Betriebes selbst herbeiführt. Im Voraus sei bemerkt, dass eine wichtige Neuerung darin besteht, dass wir von einem direkten Mitwirkungsrecht des Arbeiters als Arbeiter heute, wenn überhaupt, so nur noch im Rahmen des Einzelbetriebes sprechen können. Wenn bisher trotz einer im ganzen schon längst rückläufigen Entwicklung formell immer noch der Art. 165 der Weimarer Reichsverfassung vom 11. August 1919 bestand, der eine Mitwirkung der Arbeiter und Angestellten in einem dreistufigen System von Betriebsräten, Bezirkswirtschaftsräten und einem Reichs-Wirtschaftsrat vorsah, wenn dieser Verfassungsartikel und das wichtigste zu seiner Ausführung erlassene Gesetz, das Betriebsrätegesetz vom 4. 2. 1922 diese Mitwirkung nicht nur zur Wahrnehmung der besonderen Arbeitsnehmerinteressen gegenüber dem Arbeitgeber, sondern auch zur Erfüllung der gesamtwirtschaftlichen Aufgaben bestimmte, wenn tatsächlich nicht nur in allen Betrieben mit mindestens fünf Arbeitnehmern Betriebsräte, Arbeiterräte, Angestelltenräte und Obleute solche Mitwirkungsrechte bis zu einem gewissen Grade tatsächlich ausübten und außerdem an der Spitze ein wenigstens formell an der Gesetzgebung und Verwaltung beteiligter „Reichswirtschaftsrat“ bestanden hat, so gehört all dies heute der Vergangenheit an. „Herr im Hause“ der deutsche Gesamtwirtschaft sind heute die „Führer“ der durch das Gesetz zur Vorbereitung des organischen Aufbaus der deutschen Wirtschaft vom 27. 2. 1934 geschaffenen großen „Wirtschaftsverbände“. „Herr im Hause“ des einzelnen Betriebes ist nach Paragraph 1-3, 35 a.o.g. allein „der Unternehmer als Führer des Betriebes“. Er hat nach ausdrücklicher Vorschrift des Gesetzes der Gefolgschaft gegenüber in allen betrieblichen Angelegenheiten allein zu entscheiden (Paragraph 2 I a.o.g.). Wenn in Betrieben mit mindestens 20 Beschäftigten als einziger Überrest der bisherigen Betriebsräte ein an Zahl wie an Befugnissen wesentlich verkürzter sogenannter „Vertrauensrat“ belassen ist, so hat dieser kraft ausdrücklicher Bestimmung weder irgendwelche „gesamtwirtschaftliche“ Aufgaben zu erfüllen (Paragraph 1. 6. a.o.g. in Vergleich mit Paragraph 1. 66. 1-2, 70-74 des Betriebsrätegesetzes von 1922), noch irgendwelche besondere Arbeitnehmerinteressen gegenüber dem Arbeitgeber wahrzunehmen (Paragraph 6 a.o.g. in Vergleich mit Paragraph 1. 66. Nr. 3 ff, 78 ff bg). Besondere Arbeiter- und Angestelltenräte und Obmänner gibt es nicht mehr. Der Unternehmer als „Führer“ des Betriebs ist zugleich vollberechtigtes, insbesondere stimmberechtigtes Mitglied und Vorsitzender des Vertrauensrates (Paragraph 5). Er stellt alljährlich im Einvernehmen mit der Nationalsozialistischen Betriebszellenorganisation seines Betriebes die Liste der Vertrauensmänner auf, die in einem bewusst der Volksabstimmung vor 12. November 1933 nachgebildeten Verfahren von der „Gefolgschaft“ anzunehmen ist (Paragraph 9 I mit Art. I und II der Zweiten Durchführungsverordnung vom 10. 3. 1934). Alle Mitglieder des Vertrauensrates müssen der Deutschen Arbeitsfront angehören (Paragraph 8). Kommt in Ermangelung der Erfüllung einer dieser Vorschriften, z.B. weil (wie es in diesem Jahre in Berlin in zwei Dritteln der schätzungsweise 20.000 nach ihrer Belegschaftszahl in Frage kommenden Betriebe nach Mitteilung des „Völkischen Beobachters“ vom 28. 3. 1934 der Fall war!) eine Nationalsozialistische Betriebszelle nicht besteht, eine gültige Wahl des Vertrauensrat nicht zustande, so kann der Treuhänder der Arbeit die erforderliche Anzahl der Vertrauensmänner berufen (Paragraph 9 II); er kann auch rechtsgültig gewählte Vertrauensmänner jederzeit abberufen (Paragraph 14 II). Durch diese Möglichkeit wird zugleich der in Paragraph 14 I a.o.g. scheinbar aufrecht erhaltene besondere Entlassungsschutz der Mitglieder der Betriebsvertretung (d.h. jetzt des Vertrauensrates) praktisch völlig illusorisch gemacht. Der Unternehmer beruft nach Bedarf, evt. auf Antrag der Hälfte der Vertrauensmänner, den Vertrauensrat ein (Paragraph 12). Wenn pro forma nach Paragraph 10 a.o.g. gegen gewisse Entscheidungen des Führers des Betriebes „die Mehrheit des Vertrauensrates des Betriebes den Treuhänder der Arbeit anrufen“ kann, so zeigt ein Blick in die für diese ganze Gesetzgebung höchst charakteristische Vorschrift des Art. III der Zweiten Durchführungsverordnung zum a.o.g. vom 10. 3. 1934, wie die Ausführung dieser Bestimmung gedacht ist und verwirklicht wird.

„Eine Anrufung des Treuhänders der Arbeit gegen Entscheidungen des Führers des Betriebes über Gestaltungen der allgemeinen Arbeitsbedingungen, insbesondere der Betriebsordnung, ist erst zulässig, nachdem die Beschwerdepunkte vorher im Vertrauensrat erörtert worden sind. In der gemäß Paragraph 12 Satz 2 (d.h. „wenn die Hälfte der Vertrauensmänner es beantragt“!) vom Führer des Betriebs einzuberufenden Sitzung des Vertrauensrates sind die Beschwerdepunkte im einzelnen von den Beschwerdeführern zu begründen. Will der Führer des Betriebes den Wünschen der Beschwerdeführer nicht Rechnung tragen, so hat er die Gründe, die ihn für die Aufrechterhaltung seiner Entscheidung bestimmen, dem Vertrauensrat darzulegen. Er hat sodann festzustellen, ob die Mehrheit der anwesenden(!) Mitglieder des Vertrauensrates die Anrufung des Treuhänders der Arbeit wünscht. Ergibt sich eine Mehrheit des Vertrauensrates für die Anrufung des Treuhänders der Arbeit, so können die Beschwerdeführer nunmehr ihre schriftlich zu begründende Beschwerde dem Führer des Betriebes einreichen, der sie binnen drei Tagen dem Treuhänder der Arbeit weiterzugeben hat. Er kann dabei zu den einzelnen Beschwerdepunkten Stellung nehmen.“

Nach Paragraph 36 a.o.g. gilt als eine „gröbliche Verletzung der durch die Betriebsgemeinschaft begründeten sozialen Pflichten“, die von den „Sozialen Ehrengerichten“ mit Ordnungsstrafen, Aberkennung der Befähigung, das Amt eines Vertrauensmannes auszuüben, und Entfernung vom bisherigen Arbeitsplatz, evt. unter Abweichung von der gesetzlichen oder vereinbarten Kündigungsfrist, geahndet werden, insbesondere auch die Tatsache, dass ein Angehöriger der Betriebsgemeinschaft „wiederholt leichtfertig unbegründete Beschwerden oder Anträge an den Treuhänder der Arbeit richtet“ (Paragraph 36 Nr. 3). Wenn andererseits auch der Unternehmer als Führer des Betriebes formell gleich den anderen Betriebsangehörigen gemäß Paragraph 22 die schriftlichen allgemeinen Anordnungen des Treuhänders der Arbeit, die dieser im Rahmen seiner Zuständigkeit erlässt, bei Strafe zu erfüllen hat und bei gröblichen Verletzungen seiner sozialen Pflichten ebenfalls Ordnungsstrafen, im äußersten Falle gemäß Paragraph 58 Nr. 4 die „Aberkennung der Befähigung, Führer des Betriebes zu sein“, zu gewärtigen hat, so hat diese Strafe gegenüber dem Unternehmer als solchem keinerlei Bedeutung. Sie trifft nur den mit dem Unternehmer und Arbeitgeber regelmäßig in einer Person vereinigten „Führer des Betriebes“, lässt aber die Stellung des Unternehmers als Eigentümer und wirtschaftlicher Leiter des Unternehmens unberührt.

Auch die Durchführung des Entlassungsschutzes der Belegschaftsangehörigen, die nach dem Betriebsrätegesetz und den sonstigen bisher geltenden Bestimmungen in erster Linie dem Arbeiter- oder Angestelltenrat des Betriebes oblag, ist dem „Vertrauensrat“ bis auf einen winzigen Überrest genommen. Der entlassene Arbeitnehmer muss selbst beim Arbeitsgericht auf Widerruf der Kündigung klagen und seiner Klage, wenn in dem Betrieb ein Vertrauensrat errichtet ist, eine Bescheinigung des Vertrauensrates beifügen, aus der sich ergibt, dass „die Frage der Weiterbeschäftigung im Vertrauensrat erfolglos beraten worden ist“ (Paragraph&nbswp;56 a.o.g.) Auch abgesehen davon ist der Entlassungsschutz der Betriebsangehörigen gegenüber der bisherigen Regelung in mehrfacher Hinsicht verschlechtert; insbesondere ist die Entschädigungssumme, mit der sich der Unternehmer von der Rückgängigmachung einer noch so unberechtigten Kündigung auf jeden Fall loskaufen kann, von bisher 6/12 auf 4/12 des letzten Jahresarbeitsverdienstes herabgesetzt worden. (Paragraph 57 ff a.o.g.) Die bisher nach Paragraph 74 des Betriebsrätegesetzes bestehenden Mitwirkungsrechte des Betriebsrates bei der durch Betriebserweiterungen, Einschränkungen, Stilllegungen oder durch Einführung neuer Techniken oder Arbeitsmethoden erforderlich werdenden Einstellung oder Entlassung „einer größeren Zahl von Arbeitnehmern“ sind ersatzlos aufgehoben. Die für die Wirksamkeit solcher Massenkündigungen nach bisherigem Recht außerdem noch vorgeschriebene rechtzeitige vorherige Ankündigung an bestimmte Behörden (Gewerbeaufsichtsbeamte), ist nach Paragraph 20 a.o.g. künftig an den Treuhänder der Arbeit zu richten, und dieser hat die in diesem Zusammenhang möglichen Entscheidungen über eine Ausdehnung oder Verkürzung der in der Regel vierwöchentlichen Sperrfrist, über eine etwaige zeitweilige Arbeitsstreckung usw. zu treffen (Paragraph 19 Nr. 4, 20 a.o.g.)

Ganz ebenso wie unter dem bisherigen demokratischen Regime und unter der Herrschaft des Betriebsrätegesetzes und wie in jeder anderen auf Kapital und Lohnarbeit beruhenden Wirtschaftsordnung, so wird auch unter dem heutigen nationalsozialistischen Regime und unter der Herrschaft des a.o.g. der Lohn und die sonstigen Arbeitsbedingungen der regulären betriebstätigen Arbeiter (anders bei den formell überhaupt in keinem privatrechtlichen „Arbeitsverhältnis“ mehr stehenden Arbeitsdienstpflichtigen und sonstigen „zusätzlichen“ Arbeitern!) in erster Linie durch den privaten Arbeitsvertrag zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer vereinbart; es macht keinen Unterschied, dass die beiden Parteien dieses Arbeitsvertrages jetzt vom a.o.g. als „Führer“ und „Gefolgschaft“ bezeichnet werden. Praktisch wichtiger als diese Selbstverständlichkeit ist die Frage nach dem Zustandekommen der mehr oder weniger abdingbaren oder unabdingbaren sonstigen Normen, durch die der Inhalt dieser Arbeitsverträge für ganze Gruppen von Arbeitnehmern und also mindestens der Wirkung nach „kollektiv“ festgelegt wird.

Als erste wichtige Tendenz der neuen Regelung ist hier festzustellen, dass, ganz allgemein gesprochen, das a.o.g., wo immer es ihm möglich ist, der individuellen Festsetzung sogenannten „Leistungslöhne“ über den bisherigen rechtlichen und tatsächlichen Zustand hinaus einen weiteren Spielraum zu eröffnen sucht. Dieser freie Spielraum wird dem individualistischen Leistungslohn sowohl gegenüber den in der Betriebsordnung für die Betriebsangehörigen als auch gegenüber den in der Tarifordnung für die Beschäftigten einer Gruppe von Betrieben evt. vorgesehenen „Mindestsätzen“ ausdrücklich vorbehalten. (Paragraph 29. 32. 33 a.o.g.)

In der gleichen Richtung liegt auch eine weitere im Gesetz deutlich sichtbare Tendenz, die darauf ausgeht, die für den Einzelbetrieb gültige Regelung des Lohnes und der sonstigen Arbeitsbedingungen durch die Betriebsordnung als den gesetzlichen Regelfall, dagegen die für eine Gruppe von Betrieben bestimmte Tarifordnung als den nur im Falle zwingender Notwendigkeit eintretenden Ausnahmefall zu behandeln (Paragraph 27 III, 32 II, 33 a.o.g.). Wie bereits erwähnt, ist in der tatsächlichen Entwicklung dieser Verlegung des Schwergewichts auf den Einzelbetrieb praktisch noch gar nicht eingetreten. Vielmehr gelten nach der oben erwähnten Anordnung des Reichsarbeitsministers vom 26. 3. 1934 einstweilen alle alten Tarifverträge trotz ihrer nominellen Umbenennung in sogenannte „Tarifordnungen“ ganz unverändert weiter. Die Ersetzung von Tarifverträgen durch neu zu erlassende Betriebsordnungen ist ausdrücklich nur für die sogenannte Werk- (Firmen-) Tarifverträge in Aussicht genommen, und tatsächlich besteht heute im Sozialamt der Deutschen Arbeitsfront bereits eine deutliche Tendenz zur Bekämpfung einer „allzu weitgehenden Auflockerung der Tarifgestaltung“ und zur Herstellung möglichst großer Tarifeinheiten möglichst im Wege von Reichsrahmentarifen (vgl. die Ausführungen des Abteilungsleiters Franz Mende in der Kampfzeitschrift „Jugend und Recht“, Mai 1934). Diese tatsächliche Bevorzugung der tariflichen Regelung der Arbeitsbedingungen geht so weit, dass sie im gegenwärtigen Augenblick sogar gegenüber jener anderen Tendenz zur Bevorzugung der „Leistungslöhne“ mindestens zeitweilig das Übergewicht erlangt hat. Die erwähnte Anordnung des Reichsarbeitsministers vom 28. 3. 1934 sieht ausdrücklich vor, dass auch die in den als „Tarifordnungen“ verlängerten Tarifverträgen enthaltenen Entgeltsätze nicht, wie es nach Paragraph 29. 32 II, 33 a.o.g. sein müsste, als „Mindestsätze“ gelten, sondern ganz so wie sie nach den darüber seinerzeit bei dem Abschluss der betreffenden Tarifverträge getroffenen Vereinbarungen gelten sollten, also unter Umständen auch als nach oben wie nach unten starre Maximal- und Minimaltarife.

Wie bisher die in einem Tarifvertrag enthaltenen Bestimmungen über die Lohnhöhe und sonstigen Arbeitsbedingungen nicht durch Einzelarbeitsvertrag zu Ungunsten des Arbeitnehmers geändert werden konnten (sogenannte „Unabdingbarkeit“) so sind auch jetzt 1. die Bestimmungen der Betriebsordnung für die Arbeitsverhältnisse der Betriebsangehörigen, 2. die Bestimmungen der Tarifordnung für alle von ihr erfassten Arbeitsverhältnisse (ungeachtet auch etwaiger entgegenstehenden Bestimmungen in Betriebsordnungen!) „als Mindestbedingungen rechtsverbindlich“ (Paragraph 30. 32, II. 33 a.o.g.) Dagegen ist heute die alte Streitfrage über das Rangverhältnis zwischen den gemäß Paragraph 68 Nr. 2 des Betriebsrätegesetzes zwischen der Arbeitnehmervertretung und dem Arbeitgeber getroffenen sogenannten „Betriebsvereinbarungen“ und den eigentlichen Tarifverträgen, die von den Gewerkschaften sei es im betrieblichen Maßstabe mit einzelnen Arbeitgebern, sei es im überbetrieblichen Maßstabe mit den Arbeitgeberverbänden abgeschlossen werden, durch das a.o.g. gegenstandslos geworden. Es gibt überhaupt keine „Betriebsvereinbarungen“ mehr; an ihre Stelle tritt einerseits die „Betriebsordnung“ (Paragraph 26 ff), andererseits die sonstigen „von dem Führer des Betriebes über die Gestaltung der allgemeinen Arbeitsbedingungen getroffenen autoritären Entscheidungen“ (Paragraph 16). Auch die Betriebsordnung wird nicht mehr, wie nach Paragraph 78 Nr. 3 und 104 IV des Betriebsrätegesetzes, „vereinbart“; es werden darüber auch nicht, wie nach dem alten Arbeiterschutzgesetz von 1891, der Arbeiterausschuss oder in Ermangelung eines solchen die im Betrieb beschäftigten Arbeiter selbst „angehört“ (Paragraph 134 d Gewerbeordnung). Die gesamte Betriebsordnung mit ihrem obligatorischen und fakultativen Inhalt, insbesondere also auch mit den darin evt. enthaltenen „Bestimmungen über die Höhe des Arbeitsentgeltes und sonstige Arbeitsbedingungen“ wird „vom Führer des Betriebes für die Gefolgschaft des Betriebes erlassen“ (Paragraph 26 ff a.o.g.). Er hat auch die alleinige und zwar (im Gegensatz zu seinen Entscheidungen über die „allgemeinen“ Arbeitsbedingungen (nach Paragraph 16) hier völlig unanfechtbare Entscheidungsgewalt im Einzelfalle) (2). Nur für den einen Fall der Verhängung von in der Betriebsordnung vorgesehenen Bußen, die nach dem Betriebsrätegesetz von 1922 durch den Arbeitgeber „gemeinsam mit der Betriebsvertretung“ erfolgte, ist auch heute durch das a.o.g. vorgeschrieben, dass sie durch den Führer des Betriebes oder seinen Beauftragten „nach Beratung im Vertrauensrat, wenn ein solcher vorhanden ist“, bzw. nach vorheriger „Anhörung“ des Vertrauensrates erfolgen soll (Paragraph 28 II einerseits, 8 andererseits des a.o.g., Paragraph 80 Betriebsrätegesetz 1922).

Man sieht: Von all den zwingenden Bestimmungen, durch die in der Reichsverfassung von 1919, den Verordnungen über Tarifverträge und Schlichtungswesen und dem Betriebsrätegesetz (Paragraph 1. 8. 66 ff, 78 ff usw.) die Mitwirkung des Arbeiter- und Angestelltenrates und der Schlichtungsinstanzen einerseits, der gewerkschaftlichen Vereinigungen der Arbeitnehmer andererseits bei der Regelung der Löhne und sonstigen Arbeitsverhältnisse garantiert war, ist in dem neuen a.o.g. so gut wie nichts übrig geblieben. Selbst das formelle Recht der Mehrheit des Vertrauensrat zur Anrufung des Treuhänders der Arbeit gegen gewisse „allgemeine“ Entscheidungen des Führers des Betriebes ist, wie wir sahen, durch Strafbestimmungen und Durchführungsverordnungen praktisch vollkommen vereitelt.

Es verbleibt also dem Vertrauensrat nur noch nach Paragraph 6 II ein durch keinerlei Sanktionen gesichertes reines Beratungsrecht über alle „Maßnahmen, die der Verbesserung, der Arbeitsleistung, der Gestaltung und Durchführung der allgemeinen Arbeitsbedingungen, insbesonderen der Betriebsordnung, der Durchführung und Verbesserung des Betriebsschutzes, der Stärkung der Verbundenheit aller Betriebsangehörigen untereinander und mit dem Betriebe und dem Wohle aller Glieder der Gemeinschaft dienen.“ Aber selbst wenn es trotz all dieser Schwierigkeiten, Verbote, Fallstricke und Gefahren zur Anrufung des Treuhänders der Arbeit kommt, so tritt an die Stelle der autoritären Entscheidung des Einzelunternehmers auch jetzt nicht die Entscheidung einer durch die Arbeitnehmerschaft irgendwie beeinflussbaren Instanz, sondern lediglich gemäß Paragraph 19 Nr. 3 die Entscheidung des Treuhänders der Arbeit, d.h. also eines direkten Beamten des autoritären und von jeder demokratischen Beeinflussung durch die Masse seiner Bürger, insbesondere also auch durch die Masse der Arbeitnehmer vollkommen und radikal befreiten Staates.

Auch ohne von dem Vertrauensrat angerufen worden zu sein, kann der Treuhänder der Arbeit von sich aus in die Regelung der Löhne und sonstigen Arbeitsbedingungen eingreifen, und zwar in zwei grundsätzlich verschiedenen Formen. Die erste und im Gesetz vorangestellte Form sind die „Richtlinien für den Inhalt von Betriebsordnungen und Einzelarbeitsverträgen, die der Treuhänder gemäß Paragraph 32 I a.o.g. nach Beratung in einem Sachverständigenausschuss festsetzt. Diese Richtlinien sind an sich völlig unverbindlich und können sowohl durch Betriebsordnungen wie durch Einzelarbeitsvertrag durchbrochen werden. Allerdings sieht das Gesetz vor, dass der Treuhänder die Durchführung der von ihm festgesetzten oder aus sonstigen Gründen innerhalb seines Bezirks geltenden Richtlinien zu überwachen hat (Paragraph XXXX 19 Nr. 6. 33 I-III a.o.g.), und es lässt sich denken, dass eine gewohnheitsmäßige und gröbliche Außerachtlassung derartiger Richtlinien unter einen der im Paragraph 36 Nr. 4 formulierten Tatbestände eines von den Sozialen Ehrengerichten zu sühnenden „Verstoßes gegen die soziale Ehre“ fiele.

Die zweite und wichtigste Form der außer- und überbetrieblichen Regelung der Arbeitsbedingungen wird gebildet durch die von den Treuhändern der Arbeit im Falle „zwingender“ Notwendigkeit erlassenen rechtsverbindlichen „Tarifordnungen“. Der wichtigste sachliche Unterschied zwischen der Wirkungsweise der Tarifordnungen und der ehemaligen Tarifverträge besteht darin, dass die Tarifverträge, soweit sie nicht für „allgemeinverbindlich“ erklärt wurden, nur für die Angehörigen der an ihrem Abschluss beteiligten Verbände galten, während jede Tarifordnung ohne weiteres für alle „Beschäftigten“ der in Frage kommenden „Gruppe von Betriebe“ wirksam wird. (Paragraph 32 II. 33 a.o.g.)

Wie bei der Festsetzung der „Richtlinien“ so hat auch bei der Erlassung der „Tarifordnung“ in allen Fällen eine Beratung in einem „Sachverständigenausschuss“ voranzugehen. Neben diesen Sachverständigenausschüssen gibt es noch den sogenannten „Sachverständigenbeirat“, der nach Paragraph 23 den Treuhänder der Arbeit „in allgemeinen oder grundsätzlichen Fragen seines Aufgabengebietes zu beraten“ hat. Der Sachverständigenbeirat soll zu drei Vierteln aus Vorschlagslisten der Deutschen Arbeitsfront (eventuell im Einvernehmen mit den durch die geplante und in den ersten Anfängen bereits durchgeführte ständische Gliederung der Wirtschaft geschaffenen „Ständen“: Reichskulturkammer, Reichsnährstand usw.) entnommen, zu einem Viertel aus sonst geeigneten Persönlichkeiten zusammengesetzt werden. Über die Zusammensetzung der Sachverständigenausschüsse hat der Treuhänder allein zu entscheiden; in seinen Händen liegt auch die Berufung sowohl des Sachverständigenbeirats wie des Sachverständigenausschusses (Paragraph 23-25 a.o.g. mit Art. V der Zweiten Durchführungsverordnung vom 10. 3. 1934). Die wirkliche Entscheidung liegt ungeachtet der Mitwirkung dieser beratenden Instanzen in allen Fällen allein bei dem Treuhänder, der seinerseits der Dienstaufsicht des Reichsarbeitsministers untersteht und an Richtlinien und Weisungen der Reichsregierung gebunden ist (Paragraph 18 ff). Auch für den Fall, dass der Treuhänder die Verhandlung über den Antrag eines Vertrauensrates gemäß Paragraph 19 III einem Sachverständigenausschuss überträgt, ist ausdrücklich bestimmt, dass „die Entscheidung dem Treuhänder der Arbeit überlassen bleibt“. Der Treuhänder hat ferner noch wichtige Funktionen als Ankläger, Antragsteller, Rechtsmitteleinleger, und Vollstrecker in dem Verfahren vor den Sozialen Ehrengerichten 1. Instanz und vor dem Reichsehrengerichtshof auszuüben (Paragraph 35 ff a.o.g.). Er hat insbesondere auch im Falle, dass das Ehrengericht einem Unternehmer die Fähigkeit, Führer des Betriebes zu sein, aberkennt, gemäß Paragraph 54 a.o.g. „die Durchführung des Urteils zu überwachen“. Wie dies zu geschehen hat, darüber ist in dem Gesetz nichts vermerkt. Es scheint nach den Äußerungen der an der Redaktion und Durchführung des Gesetzes maßgebend beteiligten Personen darauf hinauszulaufen, dass der Unternehmer sich selbst von der Eigenschaft eines Führers des Betriebes zu entheben und gemäß Paragraph 3 a.o.g. eine andere an der Betriebsführung verantwortlich beteiligte Person als Führer des Betriebes zu bestellen hat. (so ausdrücklich Franke, im amtlichen Organ des Justizministers „Deutsche Justiz“ 171 Nr. 14 vom 6. 4. 1934 – p. 447). Der Treuhänder der Arbeit kann ihn hierzu eventuell durch besondere Anordnungen anhalten. Durch die Nichtbefolgung dieser Anordnungen kann gemäß Paragraph 36 Nr. 3 eventuell ein neues Soziales Ehrengerichtsverfahren gegen den säumigen Unternehmer begründet werden, in welchem aber nunmehr auf die in Paragraph 38 Nr. 4 vorgesehen Höchststrafe der Aberkennung der Befähigung, Führer des Betriebes zu sein, vernünftigerweise nicht noch einmal erkannt werden kann. Dagegen trifft den Arbeitnehmer die analoge ehrengerichtliche Strafe des Paragr. 38 Nr. 5 („Entfernung vom bisherigen Arbeitsplatz“) nicht nur in seiner Eigenschaft als „Gefolgsmann“, sondern in voller irdischer Wirklichkeit. Er wird durch den „Führer“ des Betriebes „von seinem Arbeitsplatz entfernt“, was je nachdem völlige Entlassung aus dem Arbeitsverhältnis und Versetzung in den „Stand“ der Arbeitslosigkeit oder allenfalls (wie der im Propaganda Verlag P. Hochmuth – Berlin 1934 erschienene Kommentar des Berliner Arbeitsgerichtsvorsitzenden Schlichting zum a.o.g., Paragraph 38 Nr. 5, sehr fein unterscheidet) bei einem „unsozialen leitenden Angestellten“ auch nur „Versetzung von seinem leitenden Posten auf einen anderen Posten“ im gleichen Betriebe oder Konzern bedeuten mag. Denn in dem a.o.g. wie in allen auf soziale Fragen bezüglichen Verlautbarungen des heutigen deutschen Regimes überall hervortretenden Verbalismus, der die Dinge selbst dadurch geändert wähnt, dass er ihre Benennungen ändert, stößt hier auf die für ihn unüberwindliche Schranke, die in der Realität der Machtstellung des Unternehmers, der Unterdrückung und Ausbeutung der Lohnarbeiter und des entspringenden Klassengegensatzes und Klassenkampfes in der gegenwärtigen kapitalistischen Gesellschaftsordnung besteht.


Anmerkungen

1. Die bis zum März 1934 regelmäßig als Beilage zum Amtsblatt des Reichsarbeitsministeriums (Reichsarbeitsblatt) erschienenen Berichte über den „Arbeitsmarkt“ sind seit April 1934 umbenannt in Berichte über die „Arbeitslosigkeit“. Eine inhaltliche Änderung ist damit nicht verbunden.

2. Dies bedeutet nicht etwa, dass nach dem alten Betriebsrätegesetz die Betriebsvertretung irgend ein Recht gehabt hatte, in die wirkliche Ausübung der „Betriebsleitung“ durch selbständige Anordnungen einzugreifen. Vielmehr war diese eigentliche Exekutivgewalt innerhalb des Betriebes auch bisher schon allein der Betriebsobrigkeit vorbehalten, und der Paragraph 36 Nr. 2 des a.o.g. von 1934, der dem Vertrauensrat eine solche „Anmaßung“ bei Strafe verbietet, brauchte sich in diesem Punkte nur an die ganz ebenso scharfe Sprache des Paragraphen 69 Satz 2 des Betriebsrätegesetzes von 1922 anzuschließen. Im Text handelt es sich nicht um die Ausführung, sondern nur um die Entscheidung im Einzelfalle. An dieser hatte der alte Betriebsrat gemäß Paragraph 1. 66 Nr. 1 und 2 usw. ein gewisses sehr beschränktes Mitwirkungsrecht, und wo dies der Fall war, lag gemäß Paragraph 69 Satz 1 des Betriebsrätegesetzes der Betriebsleitung grundsätzlich nur „die Ausführung der gemeinsam mit der Betriebsvertretung gefassten Beschlüsse“ ob. Dieses Recht der Betriebsvertretung ist heute durch Paragraph 2. 16. 19 Nr. 3 usw. des a.o.g. bis auf die eine im Text hervorgehobene Ausnahme radikal beseitigt.


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Compiled by Vico, 30 November 2020


























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