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Umschlag, 1922; Quelle: aaap.be |
Thema: Theorien über kapitalistischer Krisen und ImperialismusDie Todeskrise des KapitalismusQuelle: Die Todeskrise des Kapitalismus. – In: Proletarier, Zeitschrift für Kommunismus, [Jahrgang 2], [1921-1922], [Heft 2], Februar 1922; für die Lesbarkeit sind vett und g e s p e r r t in die Text hier nicht übernommen; kleinere druckfehler sind stillschweigend korrigiert. I. Der Kapitalismus als historisches Gesellschafts- und WirtschaftssystemFranz Mehring hat im ersten Kapitel seiner Abhandlung über die „Deutsche Geschichte“ unwiderlegbar nachgewiesen, daß die Behauptung der bürgerlichen Geschichtsschreibung, die antike Sklaverei das ökonomische System der römischen Weltherrschaft – sei am Christentum gestorben, eine aus demagogischen Gründen erfundene Lüge der Bourgeoisie ist und daß die antike Sklaverei vielmehr deswegen zu Grunde gegangen ist, weil sie „sich ökonomisch nicht mehr rentierte“: „Nachdem der römische Staat alle Länder um das Mittelmeerbecken herum unterworfen hatte, war er eine riesige Ausbeutungsmaschine geworden, die durch ihre Staatsfronen und Steuern die Masse der Bevölkerung in immer tiefere Armut drückte. Der Ackerbau bildete im Altertum die entscheidende Produktionsweise. Die römische Bauernklasse, die in endlosen Kriegen die römische Weltherrschafft errungen hatte, war in diesen Kriegen dahingeschmolzen. ln Italien hatten sich ungeheure Güterkomplexe zusammengeballt, die sogenannten Latifundien, die von Sklaven bewirtschaftet wurden. Mit dem Verfall des allgemeinen Wohlstandes rentierte sich diese auf Sklavenarbeit gegründete Latifundienwirtschaft nicht mehr, die damals die einzig mögliche Form des großen Ackerbaues war. So mußte man auf den kleinen Ackerbau zurückgehen. Die großen Güter wurden in Parzellen zerschlagen und an Kolonnen ausgetan, die dafür einen bestimmten Betrag zahlten, an die Scholle gefesselt waren und mit ihrer Parzelle verkauft werden konnten; sie waren zwar keine Sklaven, aber auch nicht frei, die Vorläufer der mittelalterlichen Leibeigenen. Die Sklaverei war ökonomisch unmöglich geworden. So ging das römische Weltreich im letzten Grunde an der Sklaverei unter.“ Aus dieser Analyse ergibt sich, daß die Erhaltung der wirtschaftlichen Produktionsweise der antiken Welt an den Folgeerscheinungen der sozialen Klassenteilung in Herren und Sklaven scheitern und einer neuen wirtschaftlichen Produktionsweise mit einem neuen gesellschaftlichen Klassensystem weichen mußte. In dieser neuen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung wurde die bisherige Form der sozialen Unterdrückung – die Sklaverei – abgelöst durch die Form der Leibeigenschaft, und zwar mit dem Unterschiede, daß das einzelne Glied der unterdrückten Klasse, das bisher seinem bestimten einzelnen Herrn auf Leben und Tod untertan war, nunmehr „an die Scholle gebunden“, d.h. dem jeweiligen Eigentümer eines bestimmten Stück Landes zur Dienstleistung auf Lebenszeit verpflichtet war. Als diese mittelalterliche Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung des Feudalismus sich bis zu demjenigen Grade entwickelt hatte, der den Widerspruch zwischen den ihr durch ihre Klassenschichtung gezogenen Schranken und den durch die Erfindung der Maschine gebotenen produktionstechnischen Möglichkeiten offen hervortreten ließ, brach auch sie – allerdings in weiten historischen Etappen – allmählich völlig zusammen. Die Einführung und immer weitere Verbreitung und Vervollkommnung der Maschine unterhöhlte, weil durch sie eine bedeutend rationellere Produktionsweise gegeben war, das bis dahin gültige Wirtschaftssystem immer mehr und mehr und verschaffte dem modernen Kapitalismus nach und nach in allen Ländern der Welt die Gelegenheit der freiesten Entwicklung und Ausdehnung. Der Kapitalismus, der in jahrhundertelanger Entfaltung produktionstechnisch alle bisherigen Produktionsweisen weit übertroffen, ganze Erdteile aus dem Zustande der Barbarei herausgerissen und die Menschheit der gesamten Erde miteinander in mittelbare Beziehungen gebracht hat, hat heute seine letzte praktisch-mögliche Entwicklungsstufe erreicht und befindet sich bereits mitten im Prozesse des Zusammenbruches. Mit dem Beginn des kapitalistischen Weltkrieges hat die letzte Krisis des Kapitalismus, seine Todeskrisis, eingesetzt, die zugleich die letzte historische Entwicklungsphase des Kapitalismus bedeutet. Es Ist Jener Punkt der Geschichte eingetreten, in welchem die kapitalistische Hülle der Eigentumsverhältnisse in unversöhnlichem Widerspruch mit der Entwicklung der technischen Produktionskräfte geraten ist und darüber hinaus eine den produktionstechnischen Möglichkeiten entsprechende rationelle Ausgestaltung der Produktionsweise verhindert. Der Kapitalismus als die geltende Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung beruht ebenso wie die beiden ihm geschichtlich vorhergehenden Gesellschaftssysteme auf dem Privateigentumsrecht an den Produktionsmitteln, unterscheidet sich aber grundlegend von ihnen in der Form des Privateigentumsrechtes, der Art der Produktionsmittel und des Verhältnisses der Klassen untereinander. Im Kapitalismus ist das Privateigentumsrecht von dem Inhaber dieses Privateigentums frei zu veräußern und zu übertragen, die Produktionsmittel sind maschinellen Charakters, und Jedes Glied der unterdrückten Klasse – des Proletariats – ist nicht einem einzelnen Kapitalisten auf Leben und Tod unterworfen oder an einem bestimmten Unternehmen gebunden, sondern von der Bourgeoisie als der gesamten herrschenden Klasse abhängig und nur insofern frei, als er sich rechtlich seinen Arbeitsherrn nach seinem Willen wählen kann. Im Gegensatz zu seinen beiden Vorgängern ist also der Kapitalismus die höchstentwickeltste Form der Warenwirtschaft, in welcher alles, auch die Arbeitskraft der unterdrückten Klasse, zur Ware geworden ist. Es ist die historische Mission des Kapitalismus, daß er alle beweglichen und unbeweglichen, sichtbaren und unsichtbaren Dinge zur Ware gestempelt hat und keinen Menschen in seinem Bereich leben läßt, der nicht imstande ist, irgend eine W are auf den Handelsmarkt zu werfen. Während die Bourgeoisie Waren aller Art, die sie sich im Produktionsprozeß vom Proletariat herstellen läßt, feilzubieten ln der Lage ist, kann das Proletariat stets nur ein Stück seiner selbst – seine Arbeitskraft – der Bourgeoisie zum Kaufe anbieten. ln dieser Tatsache wurzelt der gewaltige Klassengegensatz zwischen Bourgeoisie und Proletariat, die Allgewalt der Bourgeoisie und die Ohnmacht des Proletariats innerhalb des Kapitalismus. Alle Bewegungen und Kämpfe der Bourgeoisie und des Proletariats innerhalb des Kapitalismus gehen ohne Ausnahme von der Tendenz der Produktion bzw. des Verkaufes von Waren, soweit sie wirtschaftlicher Natur, und des Schutzes dieser Warenproduktion und Warenhandels, soweit sie politischer Natur sind, aus, sind daher auch nur in dieser Tendenz zu erfassen und zu untersuchen. Der Bestand des Kapitalismus als des geltenden Wirtschaftssystems ist an die Voraussetzung geknüpft, diese Warenproduktion und diesen Warenhandel fortgesetzt aufrechterhalten, und zwar unter der kapitalistischen Bedingung – ohne deren Erfüllung der Kapitalismus eben aufhört Kapitalismus zu sein –, daß die Aufrechterhaltung der Warenproduktion und des Warenhandels verbunden ist mit einer stetigen Steigerung des aus der Ausbeutung der proletarischen Arbeitskraft erzielten Überwertes, des kapitalistischen Profits. Sobald daher die fortschreitende Entwicklung diese Voraussetzung irgendwie verletzt, tritt eine Krisis – eine Störung der Harmonie zwischen Produktion, Absatz und Profitanhäufung – innerhalb des Kapitalismus ein, die seine Lebenskraft mehr oder minder gefährdet. Denn Produktion, Absatz und Akkumulation des Mehrwertes sind die drei fundamentalen Funktionen des kapitalistischen Wirtschaftssystems, die zu seiner Existenz und Erhaltung von lebenswichtiger Bedeutung sind. Scheidet auch nur eine dieser drei Funktionen aus, dann muß der Kapitalismus unrettbar als geltendes Wirtschaftssystem absterben. Alle bisherigen Krisen des Kapitalismus, die sich seit seiner geschichtlichen Geburt in unregelmäßigen Abständen wiederholten, wurden von der Bourgeoisie im Laufe einer gewissen Zeit überwunden. Die jetzige Krisis des Kapitalismus wird die Bourgeoisie nicht überwinden. Sie ist die Todeskrisis des Kapitalismus, aus der es für die Bourgeoisie keinerlei Rettungsmöglichkeiten gibt. Denn ihr letztes und endgültiges Resultat liegt in ihrem Wesen begründet, daß es für die Bourgeoisie ab Klasse keinen Weg und kein Mittel mehr gibt, die Harmonie zwischen Warenproduktion, Warenumsatz und Akkumulation des Mehrwertes wiederherzustellen, ohne die Grundlage des Kapitalismus selbst – das bürgerliche Privateigentum – zu zerstören. II. Das Wesen der kapitalistischen TodeskrisisDei Ausbruch des kapitalistischen Weltkrieges war das erste unverkennbare Signal der kapitalistischen Todeskrisis. Er hatte seine Wurzeln in dem seit der Jahrhundertwende (1900) sich immer stärkere Geltung verschaffenden Imperialismus der hochkapitalistischen Staaten und entsprang, wie dieser selbst, dem Drang der Bourgeoisie, sich neue Produktionsquellen und Absatzmärkte in der Welt zu verschaffen, seitdem der Bezirk des eigenen nationalen Staates und der eigenen nationalen Wirtschaft sich als zu eng erwiesen hatte. Denn bereits vor dem Kriege hatte die Entwicklung des Kapitalismus in den einzelnen Ländern durch die gesteigerte Verbesserung der Leistungsfähigkeit der maschinellen Produktionskräfte einerseits und die wachsende Verarmung der proletarischen Klasse andererseits zu einersolch immensen Warenanhäufung geführt, daß die Bourgeoisie der einzelnen Länder zur gewaltsamen Entscheidung untereinander greifen mußte, nur um die Katastrophe einer gänlichen Stillegung der Produktion, wie sie infolge der permanenten Absatzstockungen drohend bevorstand, zu verhüten. Die nationale Bourgeoisie bezweckte mit ihrer Kriegführung, sich die Herrschaft über die Absatzmärkte ihrer kapitalistischen Konkurrenten und zugleich die billigsten Produktionsquellen der Welt durch deren Eingliederung in ihr eigenes Staats- und Wirtschaftsgebiet anzueignen. Nichts Anderes als der aus ökonomischer Überproduktion geborene nackte imperialistische Expansionstrieb war die eigentliche Ursache des kapitalistischen Weltkrieges. Die Einleitung des kapitalistischen Weltkrieges verhalf dem insofern bereits zum Untergang geweihten System des Kapitalismus zu einer längeren Galgenfrist, als die bestehenden Absatzstockungen geradezu über Nacht dadurch behoben wurden, daß überall der Staat selbst als Käufer aller vorhandenen Waren auftrat und außerdem noch eine riesige Nachfrage nach vielen bisher nur in geringem Ausmaß produzierten Waren (Heeresgerät, Waffen, Munition usw.) erhob. Mit einem Schlage eröffnete der Weltkrieg der Bourgeoisie in ihrer größten Not ungeahnte Profitaussichtenv in Gestalt der Produktion und des Absatzes von Zerstörungsmitteln. Zugleich nahm der Staat durch die militärische und wirtschaftliche Mobilisierung des Proletariats diesem auf lange Zeit hinaus die Sorge für den Verkauf seiner Arbeitskraft, ein Umstand, der den tieferer ökonomischen Grund für die Zustimmung zu der Haltung der Sozialdemokratie und der Gewerkschaften bei Beginn und im Verlauf des Krieges durch die große Mehrheit der proletarischen Klasse bildet. Gerade in dem Bestreben, immer neue Verkaufsmöglichkeiten ihrer Waren – Waren im allgemeinen und allumfassenden Sinne bei der Bourgeoisie, Ware im speziellen Sinne „proletarische Arbeitskraft“ bei der Sozialdemokratie und den Gewerkschaften – zu finden, vereinigten sich, damals wie heute, deren gemeinsame Interessen, so daß es eigentlich sogar – historisch gesehen – falsch ist, von einem „Verrat“ der Sozialdemokratie und der Gewerkschaften am 4. August 1914 zu sprechen. Sie taten nur das, was ihrem ureigensten Wesen entsprach. Die unmittelbare Begleit- und Folgeerscheinung des kapitalistischen Weltkrieges veränderten die innere ökonomische und politische Struktur des Weltkapitalismus von Grund auf. Sie traten nicht nur in einer ungeheuren Umorganisierung bzw. Vernichtung der in den Kriegszustand versetzten Menschenmassen und Produktionsmittel, sondern ganz ungemein stark auch in einer Verschiebung der Eigentumsverhältnisse innerhalb der Klasse der Bourgeoisie und der einer Verschlechterung der sozialen Lebensverhältnisse des Proletariats und im weiteren Gefolge in einer gänzlichen Umgruppierung des politischen Kräfteverhältnisses der Staaten und Klassen in der Welt in die Erscheinung. Die über vierjährige, noch dazu bis auf den höchsten Gipfel getriebene Produktion und Anwendung von Zerstörungsmitteln hinterließ die grauenhaftesten Resultate und warf das Problem der kapitalistischen Krisis anstatt es zu lösen, nur noch in einem gewaltig gesteigerten Grad und Umfange von neuem auf. Von dem in einer Stärke von 75 Millionen Männern militärisch mobilisierten „Menschenmaterial“, von dem allein 13 Millionen – für 33 Pfennig pro Mann und Tag zum aktiven und passiven Totschießen! – auf den deutschen Militarismus entfielen, blieben nach den neuesten Ziffern der amtlichen Statistik des Deutschen Reiches auf der Strecke des kapitalistischen Weltkrieges:
Dabei sind dies nur die zuverlässig bekannt gewordenen Ziffern; in Wirklichkeit – so sagt dieselbe amtliche Statistik – beträgt die Gesamtzahl der Toten aller Heere schätzungsweise 10 Millionen, die der Verwundeten zwischen 20 bis 30 Millionen. Diese Zahl der militärischen – auf dem „Felde der Ehre“ gefallenen – Millionenopfer der kapitalistischen Todeskrisis bedarf jedoch zur Vollständigkeit noch der Ergänzung der zahllosen proletarischen Männer, Frauen und Kinder, die in der sogenannten Heimat dem Hunger und seinen Seuchen und Krankheiten erlagen; hinzu kommen obendrein die infolge der Kriegsverhältnisse erfolgten Selbstmorde innerhalb der verzweifelten proletarischen Bevölkerung. Die Zahl all dieser Kriegsopfer greift weit in die Hunderte von Millionen. Als besonders charakteristisch sei nur die amtlich registrierte Ziffer von wöchentlich 18 jugendlichen Selbstmördern lediglich in Preußen in den Kriegsjahren 1914-1918 erwähnt. Die unendliche Anzahl der direkt zerstörten Produktionsmittel, Häuser, Schiffe, Eisenbahnen und anderer Verkehrs- und Transportfahrzeuge, Vieh, Lebensmittel usw. ist – ganz abgesehen von dem über vierjährigem Ausfall der Produktion von Lebensmitteln, Gebrauchsartikeln und Maschinen wie in der Zeit vor dem Kriege statistisch überhaupt gar nicht zu erfassen oder zu berechnen. Eine unzweifelhafte Tatsache ist jedenfalls, daß der militärische Abschluß des kapitalistischen Weltkrieges Ende 1918 in den meisten Ländern die Produktionsmitel und die gesamte Staats- und Wirtschaftsordnung in einem Zustande der Desorganisation, teilweise sogar der Unbrauchbarkeit für die sog. Friedenswirtschaft zurückließ. So erwuchs der Bourgeoisie als erste schwierige Aufgabe der Nachkriegszeit die Notwendigkeit der Umstellung der bisherigen Produktionsweise für den Kriegsbedarf nunmehr auf den Friedensbedarf, der Umkrempelung der Kriegswirtschaft auf die Friedenswirtschaft. Diese Aufgabe war im wesentlichen produktionstechnischer Natur und innerhalb des Gebietes der kapitalistischen Produktion begrenzt, ohne sofort die Funktionen des kapitalistischen Warenabsatzes und der Akkumulation des Profits entscheidend zu berühren und zu beeinflussen. Daher erklärt es sich, daß die Bourgeoisie nach Kriegsende in der kapitalistischen Krisis im allgemeinen nur ein produktionstechnisches Problem sah und von dessen Lösung zugleich das Ende der ganzen Krisis erwartete: eine völlig einseitige und kurzsichtige Auffassung und ebenso trügerische und gefährliche Hoffnung. Von dem gleichen Irrglauben und der gleichen falschen Fragestellung „Wiederherstellung bzw. Verbesserung der technischen Produktionsmittel des Kapitalismus oder nicht?“ aus behandelte Trotzky auf dem vorjährigen Weltkongreß der 3. Internationale das Problem der kapitalistischen Todeskrisis und offenbarte damit deren innige Geistesverwandtschaft mit der ökonomischen Theorie und Praxis der Bourgeoisie. Die bisherige innere Entwicklung des Weltkapitalismus seit dem militärischen Abschluß des Krieges hat bereitz zur Evidenz erwiesen, daß die Quintessenz der kapitalistischen Krisis nicht allein oder in der Hauptsache in den Schwierigkeiten der Wiederherstellung und Reorganisation der technischen Produktionsmittel steckt, sondern daß dieses Problem zwar eine gefährliche, jedoch keine für die Existenz des Kapitalismus als System lebensgefährliche Begleiterscheinung ist und daß in Wirklichkeit das tödliche Gift in den immer unlösbarer werdenden Konflikten zwischen der kapitalistischen Warenproduktion, der Profitakkumulation und dem Warenabsatz verborgen ist. An den Tatsachen der Entwicklung selbst offenbart sich von Tag zu Tag deutlicher das Geheimnis der kapitalistischen Todeskrisis, das der theoretische Marxismus kraft seiner absolut sicheren Forschungsmethode schon seit Jahrzehnten aufgedeckt hat. So bedrohlich an und für sich auch der durch den Krieg verursachte Zerfall des kapitalistischen Produktionsapparates für den Bestand des Kapitalismus ist – diejenige Krankheit, an welcher der Kapitalismus sterben wird, ist die immer mehr sich verschärfende Unmöglichlichkeit des kapitalistischen Warenabsatzes infolge der fortgesetzt sinkenden Kaufkraft der proletarischen Klasse. Schon längst steht die Weltbourgeoisie wiederum vor demselben Problem, das sie in den Krieg hineinriß und daß sie damals durch die gewaltsame Auseinandersetzung untereinander lösen zu können vermeinte, nämlich die sogenannte Überproduktion des kapitalistischen Wirtschaftssystems zu beheben, ohne dessen Rahmen zu sprengen. Die kapitalistische Todeskrisis Ist geradezu die klassische Form der Überproduktion. Ihre Keime haben sich allerdings inzwischen viel tiefer in den Körper des Weltkapitalismus hineingefressen und seinen Organismus zermürbt. Es gibt kein Heilmittel mehr, das todkranke System des Kapitalismus am Leben zu erhalten. Alle anderlautenden Diagnosen der Bourgeoisie und der mit ihr an der Erhaltung des Kapitalismus interessierten Sozialdemokratie und Gewerkschaften verkennen bewußt oder unbewußt den wahren Zustand ihres Patienten, den keines Arztes Kunst mehr zu retten vermag. Zu der Sammlung falscher Diagnosen über die heutige kapitalistische Krisis gehört auch jene superkluge Analyse der unlängst von der Kommunistischen Arbeitspartei Deutschlands [=Kommunistischen Arbeiter-Partei Deutschlands] abgestoßenen reformistischen Berliner Clique, die diese sich auf ihrem sogen. Parteitage im Mai 1922 servieren ließ und zur Charakteristik dieser Nachläufer der Sozialdemokratie nebenbei hier wiedergegeben sein mag: „Die bisherigen Krisen, welche den Kapitalismus erschüttert haben, waren Krisen infolge Überproduktion. Die jetzige Kriese unterscheidet sich grundlegend von diesen. Die jetzige Krise ist das Resultat einer Verstockung der Produktion. Der Produktionsapparat war jahrelang eingestellt auf Vernichtung. An eine Erneuerung wurde nicht gedacht. Die Produktionsmittel selbst wurden verschlissen und aufgebraucht. Die einzige Lösung wäre, durch rationelle Organisation der Produktion die Preise der Waren der gesunkenen Kaufkraft anzupassen.“ Nicht minder als die einseitige Untersuchung der kapitalistischen Todeskrisis als eines ausschließlich produktionstechnischen Problems, führt auch der Versuch, auf Grund der wirtschaftlichen Lage einzelner Bourgois- oder Proletarierschichten oder aus der ökonomischen und politischen Situation einzelner Erdteile, Länder oder gar Städte Schlüsse auf den Grad der Schwere der kapitalistischen Krisis zu ziehen, zu völlig irrigen Ergebnissen. Dieses ist so trügerisch wie jenes und daher unbedingt zu vermeiden. Die riesige Kapitalsanhäufung einzelner Bourgeois in Amerika und die rauchenden Schornsteine der Fabriken in Deutschland sind heute ebensowenig ein Beweis für die Wiederbelebung oder den Untergang des Kapitalismus wie seinerzeit die Bachanalien der römischen Sklavenherren und das Leben und Treiben in Rom für die Lebensfähigkeit der Sklaverei oder der Luxus Ludwig XV. und die Hochkonjunktur der Versailler Perrückenmacher für die innere Kraft der feudalistischen Gesellschaftsordnung. Nur die eingehendste Untersuchung der Klassenlage der Welthourgeoisie und des Weltproletariats, ihres sozialen Verhältnisses zueinander und der politischen und ökonomischen Lage in allen ausschlaggebenden Ländern der Welt, also die Betrachtung des gesamten Weltkapitalismus in seinen Zusammenhängen als System berechtigt zu einem klaren und endgültigen Urteil über das Wesen, die Wirkung und das Resultat der gegenwärtigen kapitalistischen Krisis. III. Der Rückgang der Produktivität in der kapitalistischen TodeskrisisDie Bourgeoisie machte sofort nach Kriegsende, um dem drohenden gänzlichen Zerfall ihres Produktionsapparates aus dem Wege zu gehen, allseitige und energische Anstrengungen zur Umstellung der bisher für den Kriegsbedarf tätigen Unternehmungen auf Friedenproduktion und gleichzeitig zur Wiederherstellung der Produktion in dem Umfang und der Qualität der Friedensproduktivität. Sie stieß dabei sofort auf eine ganze Reihe von Schwierigkeiten, zumal eine solche Reorganisation des Produktionsapparates nicht von heute auf morgen zu bewerkstelligen war. Die für die Friedensproduktion brauchbaren Maschinen und Verkehrsmittel waren größtenteils nicht intakt und veraltet, teilweise sogar, wie in den militärischen Kampfgebieten des Krieges, gewaltsam vernichtet. Die Millionenmassen von Proletariern, die mit einem Male aus dem Heeresdienst entlassen wurden und ihre Arbeitskraft wieder wie früher zu verkaufen bestrebt waren, konnten nicht sofort in der Industrie untergebracht werden. Die Bourgeoisie versuchte zwar, die plötzlich auftretende Arbeitslosigkeit durch Einführung von Kurzarbeit zu mildern – die Einführung des Achtstundentages in Deutschland im November 1918 war nicht etwa gegen den Willen der Bourgeoisie bitter erkämpfte Errungenschaft der Revolution, sondern eine im damaligen Interesse der Bourgeoisie von dieser selbst begehrte Maßnahme –, vermochte jedoch die großen revolutionären Klassenkampfbewegungen des Proletariats in Rußland, Deutschland, Österreich, England, Italien und anderen Ländern nicht zu verhindern. Daneben drängten die in den Betrieben beschäftigten Arbeiter ihre Gewerkschaften zur Führung von neuen Streiks zwecks Verbesserung ihrer Lohn- und Arbeitsbedingungen, die zumeist schon in den Jahren nach Kriegsschluß mit einer Niederlage oder höchstens mit einem Pyrrhussieg der streikenden Proletarier endeten. Die langjährigen Strapazen und Entbehrungen iin Kriege und die darauf folgende Not und das Elend der Arbeitslosigkeit entkräfteten die physische Kraft der Proletarier und setzten ihre Leistungsfähigkeit im Produktionsprozeß auf ein Minimum herab. All diese Faktoren trugen zu einer enorm en Verminderung der Produktionsleistung bei. Dazu kam noch insbesondere anfangs die Verschlechterung der Produktionsqualität infolge des Mangels an guten Rohstoffen und der Zuhilfenahme von allerlei undefinierbaren Ersatzmitteln. Abgesehen von einigen wenigen Industriezweigen, vor allem in Amerika, sind gegenüber der Produktion von 1913 in fast allen Ländern und Branchen die Produktionsmengen bis heute ungemein stark zurückgegangen. Die nachstehenden Ziffern und Tabellen, die nicht etwa willkürlich ausgewählt sind, sondern typisch den Rückgang der gesamten kapitalistischen Produktivität seit 1913 illustrieren, werden diese Tatsache zur Genüge erhärten: Roheisen- und Rohstahlproduktion der Welt Nach den Feststellungen von „The Iron Trade Review“, Cleveland, Ohio, betrug die Roheisen- und Rohstahlproduktion der Welt im Jahre 1921 35 960 000 Tonnen bzw. 40 731 000 Tonnen und damit die geringste in den letzten zehn Jahren. Im Jahre 1913 waren die entsprechenden Zahlen 76 694 000 Tonnen bzw. 74 629 000 Tonnen. Die Zahlen der einzelnen Länder ergeben sich aus der folgenden Zusammenstellung:
In dem letzten Bericht der „Rheinischen Stahlwerke" sind die Ziffern über die Produktionsmenge und die Zahl der Belegschaft für das Geschäftsjahr 1913-1914 und 1920-1921 verzeichnet:
Danach entfällt auf je einen Mann der Belegschaft als Jahresbeitrag:
Das bedeutet also, daß die Leistungsfähigkeit der Proletarier weit über die Hälfte seit 1913 zurückgegangen ist. Die Eisenproduktion Schwedens ist seit 1913 unausgesetzt gesunken, z.B. von 1920 auf 1921:
Die Eisen- und Stahlproduktion der Vereinigten Staaten von Nordamerika und Englands betrug nach der offiziellen Statistik im Monatsdurchschnitt:
Kohlenproduktion der Welt Nach dem Londoner „Economist“ wurden im Jahre 1920 insgesamt 1300 Millionen Tonnen Kohle gefördert. Die Weltproduktion verteilte sich im Verhältnis zum Jahre 1913 auf die verschiedenen Erdteile folgendermaßen:
Seit 1920 vergrößerte sich der Rückgang der Weltkohlenproduktion außerordentlich. Der vorjährige Bergarbeiterstreik in England drückte die Produktionsziffer von 1920 ganz enorm unter das Friedensniveau herunter. Allein in England war der Ausfall im Jahre 1921 gegenüber der Produktion im gleichen Zeitraum 1920 über 25 Prozent:
Die Kohlenproduktion der Staaten von Nordamerika erreichte ebenfalls nicht mehr – im Gegensatz zum Vorjahr – die Friedenhöhe und gestaltete sich wie folgt:
Die Gesamtsteinkohlenförderung der Welt bezifferte sich 1921 auf nur noch 1 100 Millionen Tonnen. Einen bedeutenden Rückschlag erfuhr die Kohlenproduktion Deutschlands seit der Friedenszeit. Darüber geben die nachstehenden Zahlen bereit Auskunft:
Die Gesamtförderung des Ruhrgebietes, des Hauptkohlenbecken Deutschlands, belief sich im
Die arbeitstägliche Förderung ging in dieser Zeit von Juni 1913 bis Juni 1922 von 380 000 Tonnen auf 283 000 Tonnen zurück. Dieser Rückgang trat ein, trotzdem heute ungefähr 150 000 Bergarbeiter in Deutschland mehr beschäftigt sind als im Jahre 1913. Die riesige Verminderung der Leistungsfähigkeit des einzelnen Bergarbeiters spricht deutlich aus nachstehender Tabelle:
Ähnliche Ziffern über die Abnahme der Kohlenproduktion geben die Statistiken anderer Länder. Ohne Zweifel ist, daß die Gesamtkohlcnproduktion der Welt für das Jahr 1922 angesichts des amerikanischen Bergarbeiterstreiks und der noch in diesem Herbst und Winter zu erwartenden Kämpfe in den anderen Kohlenländern der Welt hinter der Produktionsmenge von 1913 oder auch der von 1920 und 1921 ganz erheblich Zurückbleiben wird. Zinkproduktion der Welt Die Welthüttenproduktion an Zink erlitt nach dem im Jahr 1913 erreichten Höhepunkt im Kriege eine Einbuße um über ein Drittel. In den Nachkriegsjahren hob sich die Zinkproduktion ein wenig wieder. Die Ziffern für 1913 und 1921 lauten:
Baumwollproduktion der Welt Während in dem Jahrfünft bis 1915 die nordamerikanische Baumwollernte jährlich durchschnittlich mehr als 14 Millionen Ballen betrug, sank sie von 1915 bis zur letzten Ernte 1921 auf 11 Millionen Ballen. Auch in Britisch-Indien ist die Abnahme bedeutend, von 5,8 Milionen Ballen im Jahre 1919-1920 sank sie im letzten Baumwolljahr auf 3,6 Millionen. In Ägypten war 1920 ein kleiner Fortschritt zu verzeichnen, gegenüber 5,3 Millionen Cantar 1919 erreichte sie etwa 6 Millionen, die Ernte im Jahre 1921 war wiederum um ein Drittel geringer. Gold- und Silberproduktion der Welt Die Goldproduktion der Welt ging von 470 Millionen Dollar im Jahre 1915 auf 339 Millionen Dollar 1920 zurück, wobei ein zirka 50 prozentige Entwertung der Kaufkraft des Dollar in Betracht gezogen werden muß, so daß also der reale Produktionsausfall rund 50 Prozent ausmacht. Die Silbergewinnung der Welt erfuhr ebenso wie die Goldgewinnung seit 1913 eine wesentliche Einschränkung. Sie betrug im Jahre 1921 nur 74,8 Prozent der Erzeugung von 1913. Sie fiel von 220 Millionen Unzen im Jahre 1913 auf 165 Millionen Unzen im Jahre 1921. Eisenerzproduktion der Welt Besonders interessant sind die Tabellen über die Eisenerzförderung Frankreichs, weil dessen wesentlichste Produktionsreviere innerhalb der militärischen Operationsbasis des Krieges gelegen sind. Hier ist die Produktionsmenge auf über ein Drittel der Vorkriegszeit zusammengeschrumpft. Die Eisenproduktion in Frankreich verringerte sich in den einzelnen Eisenerzgebieten, verglichen mit der Förderung in den gleichen Gebieten 1913, folgendermaßen:
Landwirtschaftliche Produktion der Welt Daß der Rückgang der Produktionsmengen durchaus nicht nur auf die Industrie beschränkt ist, zeigen die Statistiken der landwirtschaftlichen Produktion fast aller bedeutsamen Agrarländer der Welt. Sie verzeichnen überall einen wesentlich niedrigeren Ertrag für die letzten Jahre als für die Jahre vor dem Kriege. Diese 'Tatsache ist deshalb besonders bemerkenswert, weil die Arten und Formen der landwirtschaftlichen Produktion infolge des Krieges im Verhältnis zur Industrie entweder überhaupt nicht oder nur in ganz minimalem Umfange geändert wurden. Trotz der Einstellung einer vermehrten Anzahl von Arbeitskräften nach dem Kriegsende erniedrigte sich die Produktionsziffer der Weizenernte für Europa vom Jahre 1913 bis 1920 um ca. 30 Prozent:
Hier ist der Rückgang relativ noch größer, weil Rumäniens Territorien heute dreimal so groß ist wie 1915.
Österreich und Ungarn erlitten nach diesen Zahlen die stärkste Abnahme der landwirtschaftlichen Produktion unter allen Agrarländern der Welt. Im übrigen muß noch erwähnt werden, daß der Viehstand der Welt, insbesondere Europas, in den letzten zehn Jahren sich um einen nicht unbedeutenden Bruchteil vermindert hat. Ähnliche Ziffern wie die angeführten des – übrigens vom Wetter begünstigten – Erntejahres 1920 gelten auch für 1919 und 1921, wahrscheinlich auch für das laufende Jahr 1922. Eisenbahnen Deutschlands Die Leistungsfähigkeit der Eisenbahnen Deutschlands ist gegenüber der Vorkriegszeit geradezu ungeheuerlich zurückgegangen. Während die Betriebsleistungen um fast die Hälfte gesunken sind, ist die Anzahl der Beamten und Arbeiter fast dreifach so stark geworden wie vor dem Kriege. Die Zahl der gefahrenen Zugkilometer betrug 1913 rund 736 Millionen. Sie ist 1920 auf 441 Millionen, also um nicht weniger als 40 Prozent gesunken. Noch stärker vermindert hat sich die Leistung in der Güterbeförderung. Sie bezifferte sich 1913 auf rund 500 Millionen Gütertonnen, 1920 jedoch nur noch auf 287 Millionen Gütertonnen. Die Gesamtkopfzahl des Personals, die sich 1913 auf rund 740 000 Köpfe belief, war 1920 auf 1 122 000 Köpfe, mithin um rund 51,5 Prozent angewachsen. Diese Ziffern bedürfen kaum eines Kommentars. Die obige Gegenüberstellung von Produktionstabelln und Ziffern der Friedenszeit und der Nachkriegszeit in wichtigsten und verschiedenartigsten Produktionszweigen (Industrie, Landwirtschaft und Verkehr) beleuchtet in voller Klarheit den kolossalen Zerfall des kapitalistischen Produktionsapparates seit dem Jahre 1913. Dabei darf der Grad des Zerfalls nicht nur auf Grund des absoluten Rückgangs der Produktionsmengen, wie er in der gegebenen statistischen Aufstellung zum Ausdruck kommt, bewertet werden. Denn neben diesem absoluten Rückgang fällt doppelt erschwerend noch die Tatsache ins Gewicht, dal! das ganze letzte Jahrzehnt im krassen Gegensatz zu seinen Vorgängern die Entwicklung der kapitalistischen Produktivität auch relativ nicht einen Schritt vorwärts gebracht hat, und zwar trotz teilweise erheblicher Verbesserung der technischen Produktionsmittel. Zusammenfassend muß also nicht mir der absolute Rückgang, sondern auch der relative Stillstand der kapitalistischen Produktivität seit 1913 konstatiert werden. IV. Die Überproduktion und ihre Erscheinungsformen in der kapitalistischen TodeskrisisUnd dennoch – obwohl der Kapitalismus schon angesichts dieser beiden Tatsachen das Todesschicksal verdient hätte, sicherlich würde er seine Krisis letzten Endes überwinden, wenn seine Krankheit nur in diesen beiden Schwächen bestände und er sich sonst in blühender Gesundheit befände. Aber das gerade Gegenteil ist der Fall. Noch viel, viel mehr zermürbt und zersetzt ist die zweite Funktion seines wirtschaftlichen Organismus: der Prozeß des kapitalistischen Warenumsatzes. Schon ein oberflächlicher Blick ins Innere der kapitalistischen W irtschaft in ihrem heutigen Zustande enthüllt die wahnsinnige Wahrheit und den wahrhaften Wahnsinn der kapitalistischen Todeskrisis, daß trotz der ungeheuer verminderten Produktion in der ganzen Welt eine fast unbeschreibliche Überproduktion an Waren herrscht! Eine ernsthafte und tiefgehende Untersuchung der Verhältnisse auf dem kapitalistischen Weltmarkt fördert zugleich eine kaum zu bewältigende Fülle von Material über diese grundlegende Erscheinung der kapitalistischen Todeskrisis zu läge. Sie tritt hauptsächlich in fünf Formen auf, die alle untereinander aufs engste Zusammenhängen und in einander zeitlich und räumlich übergreifen. Diese fünf Formen treten in die Erscheinung als unaufhörliche Steigerung Von dem überaus reichhaltigen statistischen Nachrichtenmaterial ist im folgenden lediglich ein geringer Teil berücksichtigt worden. Aber selbst diese knappe Darstellung gibt schon eine charakteristische Rundschau über die niedrige Ausdehnung der Wesenserscheinungen der kapitalistischen Todeskrisis auf dem kapitalistischen Weltmarkt: Baumwollmarkt der Welt Trotzdem die Ernteergebnisse der Hauptproduktionsländer von Baumwolle in dem letzten Jahrfünft bedeutend niedriger sind als vor dem Kriege, sind die Baumwollvorräte der Welt so enorm, daß die Produzenten in Vorräten geradezu ersticken. Bis gegen Anfang Mai 1921 betrug die Exportziffer amerikanischer Baumwolle 4 070 000 Ballen. Obwohl dieselbe als Gesamtziffer der Saison bis auf 6 Millionen Ballen gestiegen ist, bedeutet das ein Minus im Vergleich zum Vorjahre von nicht weniger als 600 000 Ballen. Wenn wir weiter zurückgreifen, würde diese Ausfuhrziffer die von 1918/19 um 335 000, von I917-1918 um 1 840 000 und die von 1916-1917 um 260 000 Ballen übersteigen. Im Vergleich zu 1913-1914 würde sie um 200 000 Ballen, zu 1914-1915 um 2 370 000 geringer sein und gar 2 870 000 Ballen gegen 1913-1914 abfallen. Die höchste Exportziffer wurde 1911-1912 erreicht, als nicht weniger als 10 502 000 Ballen ausgeführt wurden. Die Lage des deutschen Marktes ist ungefähr folgende: vor dem Kriege gingen 2,75 Millionen Ballen im Werte von rund 750 Millionen Mark in Deutschland ein, der Selbstverbrauch der Industrie belief sich dabei auf 1,9 Millionen Ballen. Der Baumwollverbrauch in der Saison 1. August 1920 bis 31. Januar 1921 wies dagegen nur noch eine Gesamtziffer von 393 000 Ballen auf. Der Bericht der Arbeitgeberorganisation der Baumwollspinnereien in England legt dar, daß die Gesamtziffer der englischen Spindeln in einer Stärke von 51,2 Millionen nicht weniger als 32,2 Millionen im letzten Jahre zeitweilig durch Kurzarbeit oder Stillegung keine 48-Stundenwoche gearbeitet haben. In den vereinigten Staaten sind 2,4 Millionen Spindeln in dem Berichtsjahr überhaupt nicht in Betrieb genommen worden, während in Rußland von einer Gesamtzahl von 7,5 Millionen Spindeln, die vor dem Kriege vorhanden waren, nur noch 1,1 Million in Tätigkeit sind. Gunmimarkt der Welt Seit Anfang 1921 liegt der Gummimarkt der Welt vollkommen darnieder. Im letzten Jahre wurden die englischen Import- und Exporthäuser fortdauernd auf Grund älterer Terminkontrakte mit überschüssiger Ware beliefert, die also augenblicklich dort in den Lagerhäusern in einer Masse von 70 000 Tonnen lagert und sogar der Gefahr des Verderbens ausgesetzt ist. Es ist gegenwärtig mit einem sichtbaren Weltvorrat von 600 000 Tonnen Rohgummi zu rechnen, während der jährliche Weltverbrauch unter 300 000 Tonnen liegt. Normalerweise dürften mindestens 200 000 Tonnen Rohgummi in diesem Jahre aus neuer Produktion hinzukommen. Eine entschiedene Besserung des Gummimarktes ist bei der gewaltigen Überfiille an greifbarerer Ware in absehbarer Zeit kaum zu erwarten, wenigstens so lange nicht, als der auf über 150 000 Tonnen geschätzte amerikanische Vorrat nicht völlig verarbeitet sein wird. Kupfermarkt der Welt Der jetzige deutsche Verbrauch an Kupfer ist infolge der zeitweiligen Absatzkrisen, des Kohlenmangels und der andauernden Arbeitsschwierigkeiten auf weniger als ein Drittel des Verbrauchs im letzten Vorkriegsjahre zurückgegangen. Aber auch in Amerika ist die Hochkonjunktur, die 1918 ihren Höhepunkt erreicht hatte, wie in der ganzen Welt in das Gegenteil umgeschlagcn. Die internationale Krise auf dem Metallmarkte führte bei der General Electric Co. und anderen Konzernen zu umfangreichen Betriebseinschränkungen. Die Arbeitslosigkeit wächst auf allen Gebieten. Es hat sich in Amerika ein dauernd steigender Überschußbestand von Kupfer angesammelt, für den ein ausreichendes Absatzgebiet im Auslande sowie auch im Inlande fehlt. Zinnmarkt der Welt Der internationale Zinnmarkt stellt gleichfalls im Zeichen der Überproduktion und der mangelnden Nachtrage. Die Überproduktion ist so groß, daß allein in England die angesammelten sichtbaren und unsichtbaren Vorräte den Bedarf der englischen Industrie, der im Jahre 1921 9 994 Tonnen betrug, auf etwa zwei Jahre hinaus zu decken vermögen, was für Großbritannien als den bei weitem größten europäischen Zinnverbraucher besonders kennzeichnend ist. Dieser Umstand ist auf den Rückgang der englischen Ausfuhr in Weißblechen und verzinkten Blechen zurückzuführen, die 1913 494 497 Tonnen betrug. 1920 sich auf 353 058 Tonnen verringerte und 1921 sogar auf nur noch 226 482 Tonnen herabsank, wovon der größte Teil nach Ostindien ging. – Der europäische Verbrauch an Rohzinn ist in den letzten zehn Jahren von 62 000 Tonnen auf 44 000 Tonnen, d.h. um rund ein Drittel, zurückgegangen: die europäische Hüttenproduktion an Zinn jedoch nur um ein Fünftel. Zinkmarkt der Welt Auch hier ist trotz der Abnahme der Produktion eine starke Überproduktion zu verzeichnen. Der Weltverbrauch an Rohzink ist in den letzten zehn Jahren um ein Drittel, und zwar von rund einer Million Tonnen auf 667 000 zurückgegangen, während der europäische Verbrauch allein um die Hälfte, nämlich von fast 700 000 (MN) Tonen auf 350 000 Tonnen gefallen und der deutsche Zinkverbrauch sogar um zwei Drittel gesunken ist. Kohlenmarkt der Welt Die Lage des kapitalistischen Kohlenmarktes war in den Jahren nach dem Kriege äußerst wechselvoll. Vor dem großen mehrmonatigem Bergarbeiterstreik in England herrschte dort eine gewaltige Überproduktion an Kohle, ebenso in den Vereinigten Staaten vor dem Ausbruch des diesjährigen Kampfes zwischen den Bergarbeitern und den Zechenunternehmern. Der Ausfall der Produktion während des Streikes ließ zw ar die Überproduktion in England vorübergehend verschwinden, aber nur, um nach kurzer Zeit erneut aufzutreten. Die gleiche Entwicklung wird auch in Amerika vor sich gehen. ln Frankreich, Belgien und der Tschechoslowakei sind die Kohlenhalden schon seit den ganzen letzten Jahren zum Brechen gefüllt. Im Saargebiet mußten erst kürzlich Feierschichten wegen Absatzmangels eingerichtet werden. Luxuswarenmarkt der Welt Viele Ausfuhrartikel, die vom Balkan und aus Vorderasien stammen, sind in Konstantinopel aufgestapelt und können, obwohl Bedarf an diesen Dingen vorhanden ist, keinen Absatz finden. Arbeiterentlassungen, Betriebseinschränkungen fanden erst kürzlich in Konstantinopel statt, vor allem bei Handelshäusern. In der letzten Zeit schlossen sich auch die Banken dieser Entwicklung an. Persische Teppiche, orientalische Stickereien, Damaskus-Arbeiten (getriebenes Messing), Muscharabi-Arbeiten (Perlmutterwaren) sind in Massen auf dem großen Bazar in Konstantinopel aufgestapelt. Getreidemarkt der Welt Trotz des Niederganges der landwirtschaftlichen Produktion ging der Verbrauch derartig zurück, daß infolge der Absatzschwierigkeiten die großen landwirtschaftlichen Produktionsgebiete der Welt einen Getreideüberschuß ansammeln mußten, welcher dem der Friedenszeit um das Doppelte und mehr übertraf. Nach der Statistik umfaßte der Warenüberschuß 1920 von
Nach der „Deutschen Landwirtschaftlichen Presse", Nr. 21 (16. März 1921) hatten die Farmer in den Vereinigten Staaten am 1. März 1921 folgende Reserven (in Millionen bushels):
In einigen Bezirken Amerikas schwammen die Farmer so sehr in Getreideüberfluß, daß sie ihre Lokomotiven und im letzten Winter auch ihre Öfen mit Weizen anstatt mit Kohle heizten. Fleischmarkt der Welt In Argentinien (Südamerika) ist seit über einem Jahr eine „Fleischkrise“ , d.h. das Land erstickt wirtschaftlich in Fleischüberfluß, weil der Export nach Europa fast ganz eingestellt ist. Das „Berliner Tageblatt“ schreibt in seiner Abendausgabe vom 19. Juli 1922 darüber u.a. folgendes: „Der Engrospreis für Fleisch beträgt in Buenos Aires trotz unserer traurigen Valuta weniger als die Hälfte des hiesigen Engrospreises, wohlgemerkt, verglichen mit der argentinischen Hauptstadt. Im Innern, dort wo die Viehherden nach Zehntausenden zählen, wird das Fleisch nicht selten zu 10 Centavos per Kilo verkauft und das lebendige Stück Vieh verschenkt unter der Bedingung, daß der glückliche Erwerber das Feh zurückgibt. Argentinien weiß nicht, wo es seine Überproduktion an Fleisch unterbringen soll.“ Kaffeemarkt der Welt Das Verhältnis zwischen der Welterzeugung und dem Weltkonsum von Kaffee hat sich seit 1913 völlig verschoben. Die nachstehenden Ziffern geben Auskunft darüber, daß, während 1913 die Produktion nicht ausreichte zur Deckung des Bedarfs und die Bestände früherer Jahresernten angegriffen werden mußte, heute das gerade Gegenteil der Fall ist:
Teemarkt der Welt Dem Bericht des „London and China Telegraph“ ist zu entnehmen, daß nach den neuesten Schätzungen die Ernteerträge an Tee Indiens, Ceylons und Javas gegenüber dem normalen Ernteertrag um etwa 80 Millionen englischen Pfund zurückgeblieben sind. Aber auch die Ausfuhr von Javatee betrug im Jahre 1920-1921 nur noch72 Millionen Pfund gegenüber 133 im Vorjahr. In Java macht sich die Krise viel schwerer bemerkbar, als in Indien und Ceylon. In all diesen Ländern liegen zahlreiche Pflanzungen vollkommen brach, die meisten nach Meinung der Pflanzer selbst für immer. Die Händler machen große Anstrengungen, neue Kundschaft zu gewinnen. In Großbritannien ist die Nachfrage nach Tee, noch mehr aber auf dem europäischen Kontinent, zurückgegangen. Die Erzeugung von Tee in China wurde wegen des Überangebots eingeschränkt. Aus dem genannten Bericht geht hervor, daß die Händlerkreise mit einem weiteren Rückgang der Teeproduktion und des Teehandels rechnen. Schiffbau Englands In England hat die Schiffbau industrie im abgelaufenen Geschäftsjahr 1921-1922 nur die Hälfte der im Vorjahre hergestellten Schiffe fertiggestellt. Für das kommende Jahr hat diese Industrie fast gar keine Aufträge. Einige Werften haben überhaupt kein neues Schiff mehr im Bau. Dasselbe einheitliche Bild, wie es die vorstehenden Statistiken der einzelnen Produktionszweige geben, vermitteln die Berichte über die wirtschaftliche Lage in den einzelnen kapitalistischen Ländern und deren Kolonien: Überall die immer bedrohlicher werdenden Absatzstockungen, unvermeidlich verbunden mit zahlreichen Betriebseinschränkungen und Fabriksschließungen und riesenhafter Arbeitslosigkeit. Vereinigte Staaten von Nordamerika Gerade in den Vereinigten Staaten von Nordamerika, in denen ein oberflächlicher Beobachter auf Grund der riesenhaften Kapitalanhäufung und der die Welt beherrschenden Valuta eine völlig – im kapitalistischen Sinne – gesunde Wirtschaft vermuten könnte, hat die kapitalistische Krisis ihre größte und für den Bestand des Kapitalismus gefährlichste Ausdehnung erreicht. Die Industrie und Landwirtschaft sitzt mit großzügig erweiterten Produktionsanlagen und riesenhaften Beständen da, ohne diese abstoßen zu können. Die Lagerbestände von zwölf der größten Unternehmungen Amerikas erreichten bereits Ende 1920 eine Höhe von 280 Prozent der Vorkriegszeit. Seitdem haben sich die Absatzschwierigkeiten wesentlich verschlimmert. England Fast alle Industrien Englands, vor allem die chemische Industrie, die Textil- und die Stahlindustrie und der Bergbau leiden an einer Überproduktion, die in einer Reihe von Betriebsstillegungen ihren Ausdruck findet. Beinahe täglich meldet die Presse neue Produktionseinschränkungen auf allen Gebieten. Der englische Außenhandel erlitt allein vom Anfang bis zum Ende des Jahres 1921 folgenden Rückschlag:
Frankreich Frankreich steht unter allen kapitalistischen Staaten infolge seiner regen Tätigkeit für den Wiederaufbau der zerstörten Gebietsteile des Nordens, der Ausschaltung der 800 000 Mann seiner Armee aus dem Wirtschaftsleben und der lebhaft beschäftigten Rüstungsindustrie, soweit die Verkaufsmöglichkeiten seiner Waren in Frage kommen, verhältnismäßig günstig da. Trotzdem sind auch dort Absatzhemmungen an der Tagesordnung. Der Außenhandel zeigt folgende Abwärtsbewegung:
Belgien Welchen Umfang das Auftragsdefizit in Belgien haben muß, geht aus der Tatsache hervor, daß die seit dem Frühjahr 1921 eingetretene Betriebseinschränkung auf durchschnittlich 40, in vielen Fällen 50 Prozent normiert wird; im Hochofenbetrieb sind die Arbeitseinstellungen jetzt so stark, daß Belgien heute nur über knapp ein Dutzend noch tätiger Hochöfen von den bestehenden 50 verfügt. Italien Die Krisis der italienischen Industrie dehnt sich immer weiter aus. 50 Prozent der Seidenzwirnereien arbeiten seit Anfang Dezember 1921 mir drei Tage in der Woche, während 30 Prozent ganz still stehen. Die Papierindustrie hat ihre Erzeugnisse auf fast die Hälfte des Normalstandes einschränken müssen. Die anhaltenden Schwierigkeiten der beiden größten Montangesellschaften, der Ansaldo-Gruppe und des Ilva-Konzerns, haben gegen Jahresende 1921 den Zusammenbruch der italienischen Diskontobank herbeigeführt. Von den Metallwerken sind nur diejenigen, die Verträge mit den Staatseisenbahnen haben, in Betrieb. Tschechoslowakei In der Tschechoslowakei ist die Lage der Industrie eine schlechte. Die Brau- und Mühlenindustrie steht besonders schlecht. In der Hüttenindustrie arbeiten nur noch drei Hochöfen. In den Kokereien ist die Arbeit stark eingeschränkt. Die chemische Industrie arbeitet zu 45 Prozent, die Glasindustrie zu 70 Prozent. Nach Berichten aus Mährisch-Ostrau beabsichtigen die Kohlengruben infolge des schwierigen Absatzes die Entlassung der Hälfte der Arbeiter dieses Reviers. Es handelt sich um mindestens 20 000 Grubenleute. Auch der Rest der Belegschaft soll nur noch zwei Tage in der Woche fördern, wenn sich die Regierung nicht zu einer Ermäßigung der Kohlensteuer entschließt. In der böhmischen Glasindustrie hat sich nach einer Meldung vom Ende August 1922 die Absatzkrise derartig verschärft, daß die gesamte Glasindustrie vor dem Zusammenbruch steht. In sämtlichen Glasfabriken West- und Nord-böhmens wurde der gesamten Arbeiterschaft gekündigt. Die Gesamtzahl der Arbeitslosen dieser Industrie beläuft sich ungefähr auf 13 000. Weitere 20 000 Arbeiter und Arbeiterinnen, die nur zwei bis drei Tage in der Woche arbeiten, werden gleichfalls von der Gefahr völliger Arbeitslosigkeit bedroht. Das tschechische Parteiorgan der Sozialdemokratie beziffert die Zahl der gegenwärtig Arbeitslosen iu der Tschechoslowakei auf 600 000. Polen Der Betrieb ist großenteils eingeschränkt worden. Die mehrfachen Schichten haben ganz aufgehört. Das größte Lodzer Unternehmen, Scheibler, arbeitet nur noch an drei Tagen in der Woche, Poznanski, das zweitgrößte, nur noch an vier Tagen, viele andere an zwei Wochentagen, andere schließlich überhaupt nicht mehr. Die Produktion in Lodz erreicht kaum 40 v.H. der Vorkriegszeit. Wie in Lodz sieht es auch in Alexandrowo und anderen Industrieorten aus. Lettland und Litauen In Lettland sind mehrere Betriebe wegen Absatzmangels geschlossen worden. In Litauen herrscht die Kurzarbeit vor. In letzter Zeit wurden wiederum einige Holzbearbeitungsfabriken, eine Schuhfabrik, eine Sägerei, eine Porzellanfabrik und zwei Glasfabriken außer Betrieb gesetzt. Dänemark. Die dänische Nationalbank schilderte in ihrem letzten Jahresbericht die äußersten Schwierigkeiten der dänischen Wirtschaft im Jahre 1921. Die Schiffahrt wurde bedeutend eingeschränkt, die Arbeitslosigkeit in der Industrie war andauernd sehr groß und eine Anzahl von Betrieben sah sich zur Kurzarbeit veranlaßt. Schweden Der Absatz schwedischer Waren im Ausland ist stark beschränkt, vielfach sogar gleich null. Schwedischen Blättern zufolge hat sich zum Ausgang des Jahres 1921 die Lage der schwedischen Industrie sehr verschlechtert. In der Maschinenindustrie wurden am 1. September 1920 noch 60 000 Arbeiter beschäftigt. Die Zahl ist bis zum 1. Oktober 1921 auf 28 800 zusammengeschrümpft. In der Werftindustrie liegen von 28 Betrieben vier zurzeit vollkommen still. In der Elektrizitätsindustrie von 30 Betrieben bis jetzt zwei. Sehr schwer leidet vor allem die Eisenindustrie, deren Erzeugung und Export im Laufe des letzten Jahres um 50 Prozent gesunken ist. Eine Ausnahme bildet lediglich die Textilindustrie, die voll beschäftigt ist. Dagegen ist es um die Reedereien sehr schlimm bestellt. Der Prozentsatz gegenüber der Friedensbeschäftigung stellt sich in der schwedischen Eisen- und Stahlindustrie auf ungefähr 80 Prozent gegenüber 05 Prozent im Januar dieses Jahres. Eine Anzahl von Werken hat jedoch den Friedensstand noch lange nicht erreicht ist doch teilweise nur der dritte Teil der im Jahre 1913 beschäftigten Arbeiter in den Betrieben tätig. Norwegen In Norwegen sind infolge det Wirtschaftskrise mehrere Banken zusammengebrochen. Die elektrotechnische elektrometallurgische und die Holzveredelungsindustrie leiden schwer. Japan Der im Kriege erlebte Aufschwung des japanischen Kapitalismus setzte sich nach dem Kriege nicht fort. Die japanische Handelsbourgeoisie hatte nach dem Kriegsende große Vorräte an allen möglichen Rohstoffen angehäuft, und zwar in einem ganz ungeheuren Umfang: Anfang 1921 lagerte in den japanischen Häfen ein Jahresbedarf Wolle und Baumwolle, ein Halbjahresbedarf Seide. Die Industrie breitete sich immer weiter aus, bis auch die japanische Wirtschaft von der Absatzkrisis erfaßt wurde. Die Arbeitslosigkeit, bis dahin eine in Japan so gut wie unbekannte Erscheinung, stieg im Frühjahr 1920 auf 400 000, im Laufe des Jahres auf über 1 000 000. Für 1921 und 1922 werden noch ungünstigere Ziffern veranschlagt. Die gesamte Industrie hat umfangreiche Produktionseinschränkungen vornehmen müssen: 73 Farbstoffabriken stehen seit dem Vorjahre still, das bedeutet 65 Prozent der ganzen Farbstoffindustrie. In der Baumwollindustrie betragen die Betriebseinschränkungen 40 Prozent, und die Seidenspinnereien liegen fast insgesamt still Australien Nach der „Times“ wurde das große Stahlwerk in New Castel ende Januar vollkommen stillgelegt. 5 500 Arbeiter wurden dadurch brotlos. Die Broken Hill-Gesellschaft hat den Betrieb nur mit einer Arbeiterschaft von 1 800 Mann wieder aufgenommen. Gleichfalls wurden in Neu-Südwales einige große Maschinenfabriken geschlossen. Kolonien Das Kolonialreich des Kapitalismus blieb ebenfalls von der Krankheit der kapitalistischen Todeskrisis nicht verschont. Der Konsum für die Produkte NiederländischIndiens ist stark zurückgegangcn; viele Pflanzungen haben bereits im vorigen Herbst einen Teil ihrer europäischen und asiatischen Arbeiterschaft entlassen. In Ägypten flogen Ausgang des Jahres 1921 16 000 Zigarettenfabrikarbeiter auf die Straße. Der blutige Klassenkampf in Britisch-Südafrika hatte seine ökonomischen Wurzeln in den vorausgehenden Absatzstockungen. In Indien ist seit einiger Zeit das Problem der Arbeitslosigkeit in weitem Ausmaß akut geworden. Deutschland und Österreich Beide kapitalistischen Länder nehmen gegenüber den anderen hochkapitalistischen Ländern eine gewisse Sonderstellung insofern ein, als in ihrem Bereich aus verschiedenen Gründen die kapitalistischen Produktionsbedingungen günstiger als in den meisten übrigen Ländern sind und infolgedessen eine Hochkonjunktur des Warenabsatzes hervorgerufen haben. Die vielfach vorherrschende Annahme jedoch, daß der Grad der geg enwärtigen Hochkonjunktur in Deutschland und Oesterreich denjenigen der Zeit vor dem Kriege übertrifft, beruht auf völlig irrigen Voraussetzungen. Denn die Arbeitslosigkeit in Deutschland in den letzten Jahren bewegt sich durchaus in der Höhe der durchschnittlichen Arbeitslosigkeit im Frieden, die Österreichs ist heute bereits schon wieder wesentlich über den Satz von 1913 gestiegen. Gab es Anfang dieses Jahres kaum 10 000 Arbeitslose in Österreich, so heute schon fast 200 000. Bei einzelnen Branchen vermehrte sich die Arbeitslosenziffer schon bis Mitte April 1922 um ca. 400–1 300 Prozent, so in der
In diesem Zusammenhang ist ferner zu beachten, daß der deutsche Ausfuhrhandel, also derjenige Zweig der deutschen kapitalistischen Wirtschaft, in dem die Hochkonjunktur am meisten zum Ausdruck kommt, sogar im Monat Oktober 1921, in dem die seit 1913 bisher größte Ausfuhr zu verzeichnen war, noch immer um nicht weniger als 60-70 Prozent hinter der Friedenszeit zurückblieb. Rußland Rußland wurde durch die Revolution als Wirtschaftsfaktor aus dem Rahmen der kapitalistischen Weltwirtschaft zunächst jahrelang ganz ausgeschaltet. Auch seit der Entscheidung der Sowjetregierung für die Kapitalisierung Sowjetrußlands im Frühjahr 1921 haben sich seine Handelsbeziehungen mit der übrigen kapitalistischen Welt in sehr engen Grenzen gehalten. Die jüngsten Resultate der Eingliederung des neukapitalistischen Rußland in die kapitalistische Weltwirtschaft werden ebenso wie die neueren Entwicklungstendenzen in Deutschland und Österreich weiter unten erläutert werden. Der kapitalistische Arbeitsmarkt Neben den vier Folgeerscheinungen der kapitalistischen Überproduktion – der Absatzstockungen, der Warenaufhäufungen, der Betriebseinschränkungen und der Abnahme des Handelsverkehrs – ist das fünfte, umd zwar das am meisten typische Symptom dieser hauptsächlichsten Ausdrucksform der kapitalistischen Totleskrisis die riesenhafteste und umfassendste Arbeitslosigkeit, die die Entwicklung des Kapitalismus je erlebt hat. Sie ergibt sich von selbst aus den vier anderen Folgeerscheinungen der kapitalistischen Überproduktion; denn es ist nur die Kehrseite der Medaille, daß die Bourgeoisie, wenn sie ihre Waren nicht mehr loswerden kann, sich auch weigert, dem Proletariat seine Ware, die proletarische Arbeitskraft, abzukaufen. Die Stärke der industriellen Reservearmee der Friedenszeit nimmt sich im Vergleich mit den heutigen Ziffern der Arbeitslosigkeit wie ein Kinderspiel aus, und schon längst liegt es nicht mehr in der Hand der Bourgeoisie, die Zahl der Arbeitslosen lediglich zum Zwecke der Lohndrückern willkürlich und jederzeit zu regulieren. Die Bourgeoisie möchte, je eher, desto lieber, das Arbeitslosenproblem in seiner heutigen Gestalt aus der Welt geschafft sehen, aber die eiserne Dialektik der kapitalistischen Todeskrisis macht alle ihre Experimente zu schänden. Wenn die bürgerliche Statistik auch absichtlich die wahren Ziffern der gegenwärtigen in der Welt vorhandenen Arbeitslosigkeit zu verschleiern sucht, so läßt sich die Größe des Arbeitslosenheeres in den wichtigsten Ländern nach dem neuesten Stande ungefähr folgendermaßen abschätzen, wobei die Zahlen hoch eher zu niedrig, als zu hoch gegriffen sind:
Insgesamt sind nach dieser unvollständigen Tabelle annähernd 14 Millionen Proletarier der Welt völlig arbeits- und erwerbslos. Die Massen der nur kurzfristig beschäftigten Arbeiter, der sogenannte Kurzarbeiter, sind mindestens dreimaI so zahlreich. Ein Hoch deutlicheres Bild von der vorherrschenden Arbeitslosigkeit geben die Prozentsätze der arbeitslosen gegenüber den beschäftigten Proletariermassen. So wird z.B. die Ärbeitslosenzahl in den Vereinigten Staaten von dem Ausschuß der Erwerbslosenfürsorge in Newyork auf 20 Prozent der Gesamtarbeiterschaft geschätzt; desgleichen waren in England 18 Prozent der Gewerkschaftsmitglieder, in Schweden 31 Prozent, in Dänemark 24 Prozent ohne Arbeit. ln der Schweiz umfaßt die Arbeitslosigkeit sogar 38 Prozent, also fast zwei Fünftel der gesamten schweizerischen Arbeiterschaft. Die Erwerbslosen der Vereinigten Staaten machen nach den Angaben des Newyorker „Unrmployment Council“ (Arbeitslosen-Rat) zusammen mit ihren Familienangehörigen über 15 Millionen, d.h. etwa 14,3 Prozent der Gesamtbevölkerung, aus. Für diese Ziffern gibt es in der ganzen kapitalistischen Entwicklung vor dem Kriege keine auch nur annähernde Parallelen. V. Die Ursache der kapitalistischen TodeskrisisDas Problem der kapitalistischen Überproduktion resultiert nicht etwa aus der Hypothese, daß die lebende Menschheit für die Zeit ihrer Lebensdauer bereits so reichhaltig mit allen Bedarfsartikeln ausgestattet und mit allen Lebensmitteln versehen ist, daß sie keine Lust, zu noch größerem Konsum mehr aufzubringen vermöchte. Es sieht verdammt anders in der heutigen W elt aus! Diese Überproduktion mit all ihren Begleiterscheinungen ist nicht die Folge eines vollkommenen Sattseins, sondern das unmittelbare Resultat des nicht gestillten Hungers der Menschheit nach dem Notwendigsten, was sie zum Leben braucht. Sie ist mit dem Wesen des Kapitalismus, der gesellschaftlichen Klassenteilung in Bourgeoisie und Proletariat, tief innerlich verwachsen und auf keine andere Ursache zurückzuführen, als auf die seit dem Ausbruch des kapitalistischen Weltkrieges ungern ein gesteigerte Verelendung und Verarmung der proletarischen Klasse in der ganzen Welt. Der Kaufpreis der proletarischen Arbeitskraft hat nicht im mindesten mit der wachsenden Verteuerung der Lebenshaltung im Gefolge der Preiserhöhungen für alle anderen Waren Schritt halten können. Diese bittere Tatsache gilt nicht nur, wie es die Weltbourgeoisie häufig darzustellen beliebt, für die sogenannte valutaschwachen Länder, wie Deutschland und Österreich, sondern schlechthin für die ganze kapitalistische Welt. Wir bringen nachstehend einige Ziffern dafür zum Beweis, soweit sich dieser nicht schon aus den im vorigen Kapitel aufgeführten Tabellen über den Rückgang des Verbrauches ergibt. Vereinigte Staaten von Nordamerika Nach einer in Heft 11 von „Wirtschaft und Statistik“ 1921 veröffentlichten Zusammenstellung (entnommen aus dem Juliheft von „The Labor Market Bulletin“ ) betrugen die durchschnittlichen Wochenverdienste zu dieser Zeit im Staate Newyork:
Insgesamt ist der Durchschnittslohn von 1914 bis Juli 1921 von 12½ auf 25 Dollar gestiegen. Gleichwohl ist die Lebenshaltung des amerikanischen Arbeiters auch heute kaum besser, als in Friedenszeiten. Die amerikanische Indexziffer stand im Juli 1921 um 101 Prozent höher als im Frieden, eine Steigerung, der die Löhne zum großen Teil, wie die Lohnabgaben zeigen, nicht haben nachkommen können. Zudem sind im Vorjahre die Löhne noch bedeutend herabgesetzt worden (Zahlen darüber folgen weiter unten). Inzwischen sind bis zum Juni 1922 die Preise bedeutend gestiegen. Die monatlich veröffentlichte Indexziffer der Vereinigten Staaten von Nordamerika für Nahrungsmittel und andere Bedarfsartikel betrug für den Monat Juni 1922 12,1069. Sie war im Mai 11,9039 und im Juni vergangenen Jahres 10,7234. England In England wurde ein Komitee zur Berechnung des sogenannte Existenzminimums eingesetzt, und dieses Komitee erhielt Angaben von mehr als sechshundert Arbeiterfamilien-Haushaltungs-Budgets, die von Gewerkschaften, Genossenschaften usw. gesammelt wurden. Die Einsender teilten außerdem noch mit, daß viele notwendige Ausgaben unterbleiben mußten, weil der Lohn nicht ausreichte. Das Komitee stellte folgende Berechmmgen auf:
Die Lebenshaltungskosten waren also im September 1920 hundertfünfundachtzig Prozent hoher, als im Juli 1914. Die Indexziffer des Arbeitsministeriums zeigte aber mir hunderteinundsechzig Prozent an. Zur Berechnung der Löhne nach der gleiteriden Lohnskala wurden natürlich die amtlichen Angaben verwendet. Seit 1920 sind die Preise in England erheblich gesunken. Der offizielle Index zeigt folgende Bewegung: Juni 1914 = 100, Juni 1920 = 250, Juni 1921 = 222, Oktober 1921 = 203, Dezember 1921 = 192, Februar 1922 = 186, März 1922 = 182. Die Löhne wurden aber indessen in einem weit stärkeren Maße abgebaut. Im letzten Monat (Juni 1922) ist die Indexziffer in England wieder gestiegen. Frankreich Nach dem „Bulletin de Ia Statistique Générale de la France“ betrugen die durchschnittlichen Tageslöhne in Frankreich:
Demgegenüber ist die Indexziffer der Kleinhandelspreise für 13 verschiedene Waren seit 1911 um 324 Prozent gestiegen. Auch in Frankreich hat also die Steigerung des Lohnes mit der Steigerung der Lebenshaltungskosten nicht Schritt gehalten. Seit Anfang 1921 haben die Preise wiederum einen heftigen Sprung nach oben getan, so stiegen z.B. der Kartoffelpreis pro kg von 2 Francs im März 1922 auf 3 Francs im Mai 1922. Polen Über die Lebenshaltungskosten liegen genaue Berechnungen nur bis zum Januar 1922 vor. In diesem Monat waren die Lebenshaltungskosten für eine vierköpfige Arbeiterfamilie um das vierhundertneunundsechzigfache gegenüber der Vorkriegszeit gestiegen, die Löhne aber dem gegenüber wesentlich im Hintertreffen geblieben. Lettland Nach Berechnung des Zentralbüros der lettländischen Gewerkschaften betrug Anfang 1922 das Existenzminimum eines Arbeiters etwa 8430 lettische Rubel. Dies entspricht einem Tagelohn von 337 lettischen Rubeln. Nach der „Industrie- und Handelszeitung“ betrug (dagegen der Lohn des ungelernten Arbeiters im Durchschnitt 70 Rubel, der für einen gelernten Arbeiter 120 und 150 Rubel. Die Löhne lagen also tief unter den Kosten der Lebenshaltung. Deutschland Nach dem Großhandelsindex der „Frankfurter Zeitung“ betrug die Teuerung Anfang Juni 1922 das 78 fache, Anfang Juli das 91,4 fache und Anfang August das 139,3 fache des Jahres 1913. Das bedeutet im Monat Juli eine Steigerung um mehr als 50 Prozent. Nach dem Index des statistischen Reichsamtes wäre nur eine Teuerung von 41,6 Prozent zu verzeichneh. Die Berechnungen des statistischen Reichsamtes sind aber weitaus unzuverlässiger, als die der „Frankfurter Zeitung“. Angesichts der letzten Dollarhausse und der stündlich erhöhten Preise wird im laufenden Monat August die Steigerung um noch einige hundert Prozent zunehmen. Die Lohne sind selbst bei den sogenannte gutbezahlten Arbeitsschichten seit der Friedenszeit nur um das 30- bis höchstens 50 fache gestiegen. Man kann daran die Verelendung des deutschen Proletariats seit 1913 und seine augenblickliche wirtschaftliche Lage ermessen. Österreich Für Österreich hat an und für sich die Registrierung von Zahlen jeden Sinn verloren. Jede Angabe der Preise ist in der nächsten Minute bereits überholt. Zur Charakterisierung der österreichischen Verhältnisse sei nur die wilde Steigerung des Brotpreises erwähnt. Es kostete:
Es handelt sich also bei dieser Preissteigerung um eine 10 000 fache Erhöhung. Demgegenüber bleiben die Löhne des Proletariats weit zurück. Zwar werden sie nach der sogenannte gleitenden Lohnskala ausgezahlt, aber erstens stets nach den amtlich festgestellten Preistabellen und zweitens beispielsweise bei Lohnzahlungen im August nach der Preistabelle vom Juni, während in der Zwischenzeit die Preise bereits wieder einen großen Sprung nach oben genommen haben und die amtliche Tabelle also bereits völlig überholt ist, und drittens weiß jeder marxistisch denkende Arbeiter, daß jede sogenannte gleitende Lohnskala an sich schon ein Betrug für die proletarische Klasse darstellt. Neben diesem erschütternden Zahlenmaterial über die riesenhaft gewachsene Verarmung der proletarischen Klasse zeigen noch folgende Tatsachen sein elendes Schicksal von einer anderen Seite, aber im gleichen Licht: Das Preußische Statistische Landesamt hat es jetzt unternommen, den Fleischverbrauch in Preußen im Jahre 1921 festzustellen und mit dem des Jahres 1913 zu vergleichen. Darüber finden sich in der „Statistischen Korrespondenz“ folgende Ausführungen: Neuerdings werden von mehreren Stellen Berechnungen angestellt, in denen der Fleischverbrauch der Nachkriegszeit in Deutschland in Beziehung gesetzt wird zu dem der Friedenszeit, gewöhnlich mit dem Ergebnis, daß für die jetzige Zeit ein Rückgang des Verbrauchs auf ⅔ bis ½ des Friedensverbrauches vorliegt. Insgesamt ergibt sich nach den Berechnungen des Preußischen Statistischen Landesamtes folgender Fleischverbrauch (in kg):
Danach ist der Fleischverbrauch, soweit im Inland geschlachtete Tiere in Frage kommen, von 1913 bis 1921 auf 60,81 Prozent des Verbrauchs von 1913 zurückgegangen. Setzt man, um für den Verbrauch an Inlandsfleisch die Kopfquote zu erhalten, die Einwohnerzahlen für 19137 und 1921 (nach dem jetzigen Gebietsumfange mit 36,7 bzw. 36,1 Millionen ein, so entfällt auf den Kopf der Bevölkerung ohne Unterschied von Alter und Geschlecht ein Jahresverbrauch von 46,15 kg für 1913 und von 28,52 kg für 1921, also ein Rückgang von 100 auf 61,95. Für den Rückgang des Fleischverbrauchs in Berlin, gerade wahrend der letzten Wochen, ist die Tatsache bezeichnend, daß schon auf dem Schlachthof 500 Fleischergesellen arbeitslos geworden sind. Die einzelnen Fleischereibetriebe haben infolge des beträchtlich verringerten Verkaufsgeschäfts Gesellen bereits entlassen oder beabsichtigen sie zu entlassen. Auch vor dem Kriege wurden während des Sommers weniger Gesellen beschäftigt als in den anderen Jahreszeiten, doch liegt nach den Erklärungen der Berliner Fleischerinnung jetzt eine ausgesprochene Arbeitslosigkeit vor. Nachfragen in Geschäften der verschiedensten Gegenden ergaben, daß jetzt oft eine ganze Stunde hindurch kein Käufer einen Laden betritt, dessen Tür sonst nicht stillestand. Infolgedessen verdirbt jetzt viel Fleisch in den Geschäften, und die Fleischer kaufen, um Verlusten zu entgehen, immer weniger Ware ein. Im übrigen wird in Erwägung gezogen, dem Beispiel mancher süddeutschen Orte zu folgen und nur zwei Verkaufstage in der Woche abzuhalten. In den „Amtlichen Nachrichten des Reichsversicherungsamtes des Deutschen Reiches“ Wurden die Zahlen der im Jahre 1920 durch Unfall in gewerblichen Betrieben in Deutschland Getöteten und Verletzten veröffentlicht. Sie betrugen die grauenhafte Zahl von 9 338 Toten, 591 922 Verletzten! Zur gleichen Zeit der Veröffentlichung dieser Zahl registrierte das Berliner Polizeipräsidium 1468 gewaltsam getötete Menschen im ersten Halbjahr 1922 in Berlin, und nicht weniger als 104 Selbstmorde und 100 neue Fälle von Geisteskranken in Berlin in einem einzigen Monat (Juni 1922)! Wieviele Fälle mögen noch unregistriert bleiben! In der Zeitschrift „Sparkasse“ veröffentlicht Sparkassendirektor H. Rensch (Münster) folgende Aufstellung: Im Jahre 1919 war, mit Ausnahme des Novembers, die Summe der Einzahlungen bei den deutschen Sparkassen bedeutend größer, als in der Auszahlung. Ein ähnliches Bild ergibt sich für das Jahr 1920. Nur im Februar und im Oktober des Jahres 1920 überstieg die Zahl der Sparrückzahlungen die der Einzahlungen um 300 und um 250 Millionen Mark. Auch im Jahre 1921 war zunächst die Summe der Einzahlungen bedeutend größer, am größten im Januar, wo 1,6 Milliarden und im Juni, wo 1,4 Milliarden Mark mehr eingezahlt als ausgezahlt wurden. Mit Einsetzen der neuen Preiswelle im Herbst 1921 hat sich dies Bild vollkommen verschoben: Im Oktober des abgelaufenen Jahres überstieg die Summe der Rückzahlungen die der Einzahlungen um 1,8 Milliarden, im November gar um 1,9 Milliarden Mark. Da heute der gesamte Einlagebestand der von dieser Statistik erfaßten 232 Sparkassen nur 7,3 Milliarden Mark beträgt, so ist das Ausmaß der Rückzahlungen in den letzten beiden genannten Monaten ungeheuerlich. Es spiegelt sich in diesen gewaltigen Summen das wachsende Elend an der kleinen Sparer wieder, die infolge unzureichenden Lohnes oder Gehaltes ihre letzten Notgroschen von der Sparkasse zur Bestreitung ihrer Existenz abholen mußten. Die Bourgeoisie sucht mit allen möglichen Kniffen diese unerträgliche Verelendung der proletarischen Klasse, trotzdem sie in brutalster Nacktheit zutage tritt, abzuleugnen. So sucht sie auch die Arbeitslosigkeit der sogenannte hochvalutarischcn Länder mit allerlei falschen und schiefen Argumenten zu erklären, unter andere leitet sie sie von der „Überschwemmung dieser hochvalutarischen Länder mit den billigen Waren der Länder mit sinkender Valuta“ her. Aber schon auf dem Internationalen Freihandelskongreß, der im Herbst 1921 in Amsterdam tagte, wurde zahlenmäßig nachgewiesen, daß diese Behauptung falsch ist, daß insbesondere Deutschlands Ausfuhr nach England wie nach den Vereinigten Staaten von Amerika auf etwa ein Viertel der Vorkriegseinfuhr zurückgegangen ist, und daß in Wirklichkeit die Arbeitslosigkeit der hochvalutarischen Länder auf dem Mangeln an Kaufkraft der proletarischen Klasse in allen Ländern der Welt und vor allem in den untervalutarischen Ländern beruhe. Im krassesten Gegensatz zu dieser Verelendung der proletarischen Klasse steigerte sich im Laufe der Kriegs- und Nachkriegsjahre mit bis dahin unbekannter Rapidität die Profitakkumulation und zugleich die Konzentration des Kapitals an Grad und Umfang im Riesen kapital. Innerhalb der Klasse der Bourgeoisie wurden und werden die kleinen Kapitalisten immer mehr und mehr von den großen, größeren und größten verschluckt. Mit Riesenschritten schreitet dieser Konzentrationsprozeß innerhalb des Weltkapitalismus vorwärts, und an der unaufhörlichen Unterminierung der kleinkapitalistisdien bzw. der im Kriege unterlegenen kapitalistischen Staaten zeigt sich, daß die kapitalistische Todeskrisis ganz vornehmlich der Konzentration des Kapitals dienlich ist. Die nicht zur Ruhe kommende Dollarhausse und die ökonomische und politische Überfremdungsmethode in den besiegten Kapitalsstaaten sind ebenso wie die wachsende Schuldenlast der Staaten und die riesige internationale Vertrustung nichts anderes, als die an der Oberfläche des Wirtschaft lichen und politischen Lebens in Erscheinung tretenden Wirkungen des auf dem Untergründe tätigen Konzentrationsgesetzes des Kapitalismus (***). Die allmähliche Einführung der Staatskontrolle in Deutschland durch die Ententebourgeoisie, der Versuch Österreichs zur Schaffung einer Zollunion mit der Tschechoslowakei und Italien und nicht zuletzt das Angebot der österreichischen Regierung zur Übergabe der Staatsverwaltung an die Entente liegen ganz in der Richtung dieser Entwicklungsperspektive. Die Kapitalanhäufung in den Händen einzelner Kapitalisten, von denen schon vor dein Kriege der einzige, J. Pierpont Morgan, mit Hilfe geschickter Betrügereien gegenüber dem Staat über 22 Milliarden Dollar, d.h. viermal so viel wie die damaligen gesamten jährlichen Staatseinnahmen Amerikas, Englands, Deutschlands, Frankreichs und Italiens, zusammengeräubert hatte, hat nach dem Kriege einen geradezu phantastischen Umfang angenommen. Und es ist bei solchen Zahlen, und noch dazu bei der Vorherrschaft des Dollars in der ganzen Welt nicht weiter verwunderlich, daß dieser kapitalistische Finanzkönig Morgan die Frage: „Was kostet Europa?“ mit der selbstverständlichen Gewißheit seines unermeßlichen Geldsacks stellt. Die Tabelle der Schuldenlasten der Staaten der Welt an die Vereinigten Staaten von Nordamerika, die einen der vorzüglichsten Gradmesser des kapitalistischen Kräfteverhältnisses in der Welt darstellt, zeigt nach dem jüngsten Stande folgendes Aussehen:
Von allen diesen Schuldnern hat nur Kuba seine Zinsen bezahlt. Im Falle von Nicaragua sind keine Zinsen fällig, bis die Schuld zahlbar ist. Alle anderen haben bisher noch nicht bezahlt. Zur Zeit der Balfour-Note wurde in England die folgende Aufstellung der wechselseitigen Kriegsschulden gemacht:
Also schulden verschiedene Länder England im ganzen 1 786 000 000 Pfund Sterling. Wenn es England je je gelingen sollte, seine 865 Millionen Pfund an Amerika zu bezahlen, würde es dann ohne Bezahlung von seiten seiner europäischen Schuldner das erkleckliche Defizit von 2 651 000 000 Pfund Sterling aufzuweisen haben. VI. Versuche der Bourgeoisie zur Beseitigung der kapitalistischen TodeskrisisEs liegt im Wesen des Kapitalismus, daß der einzelne Kapitalist mit dem anderen konkurrieren muß, wenn er seine Waren absetzen will. Diese Gesetz der kapitalistischen Konkurrenz ist auch heute trotz des hohen technischen und organisatorischen Entwicklungsgrades des Kapitalismus noch nicht aufgehoben. Auf gehoben könnte es innerhalb des Kapitalismus erst dann werden, wenn das Eigentumsrecht über alle Produktionsmittel der Welt in der Hand eines einzigen Großkapitalisten vereinigt wäre, wenn m.a.W. einem einzigen Bourgeois alle Fabriken, Verkehrsmittel, Rohstoffe usw. auf der Welt gehörten. Solange jedoch auch nur noch zwei Kapitalisten sich in das Eigentum der Welt teilen und um die letzte Vorherrschaft gegeneinander kämpfen, besteht das Gesetz der Konkurrenz und treibt seine Wirkungen. Noch lange nicht ist jener nur in der Theorie denkbare Endpunkt der kapitalistischen Konzentration erreicht, an welchem ein einziger Riesenkapitalist über die gesamten Produktionsmittel der Erde als über sein alleiniges Privateigentum verfügen könnte. Noch immer und sogar in verschärftem Maße gilt das Gesetz der Konkurrenz, d.h. der Kampf der Bourgeoisie untereinander um die ergiebigsten Produktionsquellen und die profitreichsten Absatzmärkte der Welt. Diese Konkurrenz der Kapitalisten der Welt untereinander hat in der Todeskrisis des Kapitalismus einen ganz besonders scharfen Grad angenommen, eine Erscheinung, die ihre Ursachen vor allem in den riesigen Absatzstockungen auf dem kapitalistischen Weltmarkt zu suchen hat. Da sich nun diese Absatzstockungen von Tag zu Tag verschlimmern, verschärft sich auch der Konkurrenzkampf der Bourgeoisie untereinander immer mehr und mehr. So wird es der Bourgeoisie immer und immer wieder von den Gesetzen ihres kapitalistischen Wirtschaftssystems zur Pflicht gemacht, in diesem Kampf untereinander, in welchem „des einen Mannes Tod – des anderen Mannes Brot“ ist, nicht zu erlahmen. Die gesamte „Reparationspolitik“ Frankreichs und Englands, bei welcher es sich nicht etwa um eine Wiederherstellung der alten Zustände und eine Wiedergutmachung in diesem Sinne, sondern um eine gänzliche Neukonstruktion der kapitalistischen Weltwirtschaft handelt, ist lediglich eine Wiederaufnahme der anfangs gestellten Kriegsziele bzw. der Versuch ihrer Erfüllung und auch nur unter diesem Gesichtspunkt, d.h. letzten Endes als die Folge der durch die Überproduktion vor dem Kriege erzwungenen imperialistischen Eroberungsbestrebungen nach geeigneten Produktionsquellen und Absatzmärkten zu begreifen. Nicht umsonst war die eigentliche Streitfrage der letzten Londoner Konferenz (Juli 1922) die Eingliederung des Ruhrreviers in das Staats- und Wirtschaftsgebiet der französischen Bourgeoisie, die durch diese Maßnahme den imperialistischen Zweck ihrer Kriegführung zu erfüllen bestrebt ist. In dieser Richtung bewegten sich die Forderungen Poincarés auf der Londoner Konferenz: Errichtung der Zollgrenze zwischen Deutschland und Frankreich mit Einbeziehung des Ruhrgebiets in das west-rheinisch-französische Zollsystem, Einziehung der Steuern im Ruhrgebiet durch den französischen Staat, Kontrolle des deutschen Staatseigentums an den Wäldern und Bergwerken und Beteiligung an der deutschen Ruhr-Industrie durch Vermehrung des Aktienkapitals um 26 Prozent und Abgabe dieser neuen Aktien an die Reparationskommission. Diese Forderungen der französischen Bourgeoisie sind die deutlichsten Anzeichen für die Tatsache, daß die bisherigen politischen Grenzen des Kapitalismus in völligen Widerspruch mit der Entwicklung der wirtschaftlichen Produktivkräfte geraten sind. Denn an ihnen offenbart sich erneut, warum eigentlich das deutsche „Volk“ und das franffisische „Volk“ miteinander Krieg geführt haben, d.h. warum die deutsche und französische Bourgeoisie die Arbeiter beider Länder sich jahrelang gegenseitig die Schädel einschlagen ließen. An den Grenzen beider Länder liegen zwei Wirtschaftsbezirke, deren Zusammenschluß für die Möglichkeit weiterer Profitanhäufung für die deutsch-französische Bourgeoisie von lebenswichtiger Bedeutung ist. Diese zwei Wirtschaftsbezirke sind in Deutschland das Kohlenrevier des Ruhrgebiets und in Frankreich das Erzbecken von Briey und Longwy. Kohle und Erz sind die hauptsächlichsten und für die Eiseuproduktion unentbehrlichen Rohstoffe; ohne die Verfügung über diese beiden Rohmaterialien für den Bau von Maschinen ist die Bourgeoisie des einen Landes stets von der des anderen Landes abhängig. Die französische Bourgeoisie hat in ihrem Lande sehr viel Erz, aber zu wenig Kohle, die deutsche Bourgeoisie sehr viel Kohle, aber zu wenig Erz. Ist es also Wunder oder ist es nicht viel mehr eine klare und bewußte Interessenpolitik, wenn die französische Schwerindustrie heute mit gleicher Hast nach dem Ruhrgebiet greift, mit der gestern noch die deutschen Schlotbarone das Erzbecken von Briey und Longwy annektieren wollten? Die Arbeiter in Deutschland mögen sich nur einen Augenblick jenes Geschreis der deutschen Schwerindustrie nach der Annexion Brieys und Longwys in den Kriegsjahren erinnern, in das damals der sozialdemokratische Gewerkschaftsführer Hué ganz besonders begeistert einstimmte! Die Politik Poincarés in London ist nichts anderes als die Fortführung des Krieges mit anderen Mitteln. Die französische Bourgeoisie versucht durch die Eingliederung des Ruhrgebiets in ihren Machtbereich eine riesige westeuropäische Eisenproduktion unter ihrer Herrschaft und Verwaltung zu gründen, die ihr das Übergewicht sowohl über die deutsche und englische wie auch infolge der (durch den Rhein gegebenen günstigen Transportverhältnisse über die amerikanische Eisenproduktion verleihen und damit zugleich politisch eine überragende Stellung in Europa und in der ganzen kapitalistischen Welt verschaffen würde. Wie weit die französische Bourgeoisie ihre imperialistischen Hoffnungen durch dieses Manöver erreichen zu können glaubt, geht aus dem Aufsatz eines früheren französischen Kolonialbeamten, namens François DeIaisi, im „Rheinischer Beobachter“ hervor in welchem es heißt: „Wenn Frankreich die Kohle des Ruhrbeckens und auch das lothringische Eisen zur Verfügung Stande, konnte es durch Kontrolle des Brennmaterialbedarfs für Deutschland am Rhein und in Schlesien nicht nur die Siegener Stahlwerke, sondern auch die Textilfabriken Sachsens und die chemische Industrie Bayerns von sich abhängig machen, und es könnte ruhig seine Hilfstruppen in Polen, in der Tschechoslowakei in Rumänien und Rußland entfalten. Es würde in der ganzen Welt ein mächtiger Rivale Birminghams, Manchesters und Londons werden.“ Seite an Seite mit der politischen Aktion ihres Ministerpräsidenten in London unternahmen die französischen Kapitalisten selbst an der deutschen Börse einen Sturm zum Aufkauf von Aktien der Ruhrbergwerksunternehmungen, von denen sich ein sehr großer Teil schon seit einigen Jahren in ihrem Privateigentumsbesitz befindet. Hugo Stinnes und seine Kumpanen im Ruhr-Gebiet sehen wohl mit einem gewissen Neid auf ihre französischen Klassenkonkurrenten, weil sie lieber das Erz von Briey und die Kohle des Ruhrgehiets unter ihrer Führung vereinigt hätten, aber dieser Neid hindert sie durchaus nicht, ihr Profitinteresse aufs Spiel zu setzen, und daher machen sie – unter ihnen Hugo Stinnes besonders meisterhaft – das Geschäft mit der französischen Bourgeoisie zusammen. Während sie vor dem Kleinbürgertum und dem Proletariat das übliche programmmäßige nationalistische Entrüstungsgeschrei erheben, verbinden sie sich entweder direkt mit französischen Kapitalisten zur gemeinsamen Ausbeutung des Proletariats oder verkaufen ihre Aktien voll und ganz, um mit dem fetten Erlös in den noch valutaschwäcneren Ländern des östlichen Europas (Österreich, Polen, vor allem auch ,,Sowjet“-RußIand) Imperialismus auf eigene Art zu treiben. Es ist überaus charakteristisch, daß Lloyd George als Sachwalter der Interessen der englischen Bourgeoisie in denjenigen Punkten Poincaré beipflichtete, in denen es sich im großen und ganzen um Goldforderungen zur Sanierung des französischen Staatshaushaltes handelte, in allen jenen Punkten ihm aber schroff gegenübertrat, in denen dieser die ersten Schritte zur Eingliederung des Ruhrreviers in das französische Staatsgebiet forderte. Denn die englische Bourgeoisie will sich nicht durch diese Maßnahmen der französischen Bourgeoisie das gewaltige Absatzgebiet Deutschland und Osteuropa vor der Nase und vor ihrem Geldbeutel wegschnappen lassen. Die Unmöglichkeit des Warenabsatzes, die zu der permanenten Arbeitslosigkeit von über 2 000 000 Proletariern in England geführt hat, zwingt sie dazu, diesen Schritt der französischen Bourgeoisie zu verhindern, selbst auf die Gefahr hin, daß die entente cordiale (das herzliche Einvernehmen) zwischen beiden in die Brüche geht. Dies ist der tiefe, wahrhafte und eigentliche Grund des Abbruchs der Londoner Konferenz unter dem eigenen Eingeständnis des Unvermögens. Insofern war die Londoner Konferenz ein weiterer Prüfstein für die Stärke der nationalen kapitalistischen Gegensätze im gegenwärtigen Stadium der kapitalistischen Entwicklung selbst, wenn es der französischen Bourgeoisie gelingen sollte, sich „gütlich“ am grünen Tisch über die Eingliederung des Ruhrreviers in das französische Hoheitsgebiet zu einigen – was auf die Dauer nicht zu erwarten ist –, so würde sie sich dadurch zwar eine günstige Produktionsmöglichkeit, aber viel schlechtere Absatzmöglichkeit ihrer eigenen Produkte geschaffen haben. Denn schon die unmittelbar in Wechselwirkung mit der Londoner Konferenz aufgetretenen Erscheinungen, vor allem der neue Rekordsturz der deutschen Reichsmark und der österreichischen Krone, werden – wie heute schon fast jedes Schulkind weiß – die Armut der proletarischen Klassen in beiden Ländern und ihren Mangel an Kaufkraft infolge der unabsehbaren Preissteigerungen vervielfachen. Der Kapitalismus muß also sofort, selbst wenn es ihm gelingt, die Hindernisse der bestehenden politischen Grenzen zu beseitigen, an die Schranken seines eigenen Wesens stoßen. Es ist ein ewiger circulus vitiosus, ein verhängnisvoller Kreis, aus dem es kein Entrinnen gibt. So erscheint der Abbruch der Londoner Konferenz als ein neues, bedeutsames Zeichen der Unfähigkeit der Bourgeoisie, die kapitalistische Todeskrisis zu beseitigen. Stand bei der letzten Londoner Konferenz die Frage der Liquidierung des kapitalistischen Deutschlands im Vordergrund, so drehten sich die Konferenz von Genua und die ihr folgenden Verhandlungen der kapitalistischen Sachverständigen im Haag um das Problem der Kapitalisierung Sowjetrußlands. Der im Anfang 1921 offiziell eingeleitete Übergang der Sowjetregierung in das Lager der Weltbourgeoisie wurde bekanntlich seinerzeit von dieser mit großem Jubel begrüßt, weil sie durch die Kapitalisierung Sowjetrußlands d.h. durch die innere und äußere Umgestaltung der bis dahin gültigen politischen, wirtschaftlichen und rechtlichen Struktur Sowjetrußlands in ein völlig kapitalistisches Land, einen Ausweg aus ihrer Krisis gefunden zu haben glaubte. Aber das laute Geschrei und das riesige Interesse der Weltbourgcoisie an der Kapitalisierung Sowjet-Rußlands erfuhr bereits während der Konferenz von Genua und mehr noch in der Pause zwischen Genua und Haag eine ebenso unerwartete wie ungeheure Abschwachung. Die Ursache dieses Katzenjammers der Weltbourgeoisie war freilich nicht eine erneute proletarisch-revolutionäre Erhebung der Sowjetregierung deren versteckte Verbrüderung mit der Bourgeoisie bereits bis mindestens ins Frühjahr 1919 zu rüde reicht als sie sich durch Vermittlung des in allen Sätteln gerechten Karl Radek von dem kürzlich ermordeten Großkapitalisten Rathenau das Projekt für den Aufbau der russischen Industrie entwerfen ließ, sondern eine wirtschaftliche Erscheinung, und zwar die Rückwirkung der kapitaIistischen Todeskrisis auf Sowjetrußland selbst. Diese Erscheinung allein und nicht die theoretischen Haarspaltereien zwischen Lloyd George und Poincaré auf dem Genueser Varieté war auch der tiefere und eigentliche Untergrund des der Bourgeoisie anfangs völlig unbegreiflichen Mißerfolges von Genua. Die Bourgeoisie hatte eben von vornherein bei ihrer Kalkulation einen Fehler gemacht, der ihr sicherlich in anderem Zusammenhange noch mehr als einmal passieren wird, indem sie nicht beachtete, daß die bisher außerhalb ihrer todkranken kapitalistischen Weltwirtschaft befindliche Wirtschaft Sowjetrußlands im Augenblick ihrer Einbeziehung in diese todkranke kapitalistische Weltwirtschaft sofort von den gleichen Krankheitserscheinungen wie diese selbst angesteckt werden mußte. Die Krankheit des kapitalistischen Wirtschaftssystems ist aber, weil eben das eine Glied immer in das andere greift, ansteckender Natur und überträgt geradezu organisch ihre Keime auf jede neue Zelle ihres Gesamtkörpers. So konnte es nicht ausbleiben, daß die Wesenserscheinungen der kapitalistischen Todeskrisis alsbald auch in Rußland selbst ihren entsprechenden Ausdruck finden mußten. So klar die Notwendigkeit dieser Erscheinung theoretisch vorauszusehen war, so überraschend muß aber doch jedem die Schnelligkeit des Tempos anmuten, mit welcher die Todeskrisis des Weltkapitalismus dem inneren Wirtschaftsleben Rußlands bereits ihren Stempel aufgedrückt hat. Die Wesenserscheinung der kapitalistischen Todeskrisis macht sich schon heute in Rußland in einem so gewaltigen Ausmaß bemerkbar, daß alle bisherigen Traume und Hoffnungen der Weltbourgeoisie im Verein mit der Sowjetregierung wie Utopien blinder Phantasten oder Illusionen kleiner Kinder erscheinen. Die Sowjetregierung, die diese Dinge am liebsten nicht wahrhaben mochte, weil nunmehr ihr Verbrechen der Übergang auf die Seite der Bourgeoisie – in der ganzen Kraßheit ihrer falschen Spekulation sichtbar wird, sucht die wahren Berichte über die wirtschaftliche Situation in Rußland nach Möglichkeit zu unterdrücken, sieht sich aber in letzter Zeit doch schon unter dem Drunk der eigenen Hilfslosigkeit gezwungen, aussprechrn zu lassen, was ist. Nachdem schon im April d.J. Krshishanowski, der Vorsitzende der Behörde für den wirtschaftlichen Staatsplan in Sowjetrußland, erklärt hatte, daß die russische Industrie von der Absatzkrise vollkommen überrascht worden sei, gibt nun die Moskauer „Prawda“ , also das offizielle Parteiorgan der Sowjet-regierung, selbst eine Schilderung, aus welcher wir nur einige charakteristische Sätze zu erwähnen brauchen, um den wirklichen Sachverhalt zu erkennen: „Schon im Februar dieses Jahres hatte eine große Anzahl Trusts Schwierigkeiten beim Absatz ihrer Produkte und mußte ihre Arbeiter mit den eigenen Fabrikaten bezahlen. […] Mit einem Wort: Alle typischen Merkmale einer Überproduktion sind in dem Lande festzustellen, das unter kolossalem Warenmangel leidet. Einzelne Trusts (z.B. Trikotashing und Objedinennve Wolokrio – Vereinigte Faser, also die Textilfabriken) stehen vor dem Krach; sie haben für Trillionen Rubel Waren liegen, aber keine Möglichkeit, sie zu verkaufen oder Kredit zu erhalten!“ Welch schlimme Folgen die Krisis zeitigt, so schreibt unter andere auch die „Deutsche Bergwerks-Zeitung“, ersieht man audi daraus, daß es nach einer Meldung der „Krasnaja Gaseta“ gegenwärtig in Petersburg 50 000 Arbeitslose gibt. Infolge des massenhaften Andranges zu den Versorgungsstellen für Arbeitslose und zu den Arbeitsämtern in Petersburg ist dort eine neue Registrierung der Arbeitslosen angeordnet worden. Auch in anderen Städten ist die Zahl der Arbeitslosen ungeheuer; so registrieren die Gewerkschaften von Jekaterinoslaw (Ukraine) unter ihren Mitgliedern bis zu 85% Arbeitslose. Täglich werden weitere Fabriken in Petersburg geschlossen. Gleichzeitig hat der größte Teil der Zündholzfabriken iu den Gouvernements Nowgorod, Pleskau und Petersburg die Arbeit eingestellt. Die Petersburger Presse spricht von einer „verhängnisvollen Zukunft“ und verlangt von der Regierung „sofortige Hilfeleistung“ . Aber die Sowjetregierung ist ein Greis, der sich nicht zu helfen weiß. Sie, die selbst die ausländische Bourgeoisie angerufen und ins Land geholt hat, um die Produktion zu heben, steht nun vor dem Resultat ihres eigenen Werkes wie ein begossener Pudel, der vom Regen in die Traufe gekommen ist, und weiß nicht ein noch aus, ja, berät in ihrer Ohnmacht über den Export der in Rußland selbst produzierten und für die eigene Bevölkerung bestimmten Lebensmittel und Maschinen! Und wenn vordem das russische Proletariat hungerte, weil zu wenig Waren vorhanden waren, so muß es jetzt noch viel mehr hungern, weil – zuviel Waren vorhanden sind! In einem Lande, das die ganze Welt um Hungerhilfe anschreit, zuviel Waren, zuviel Lebensmittel, zuviel Kleider, zuviel Maschinen! Denn kein Proletarier und kaum ein Bauer hat die Mittel, um diese Waren zu kaufen. Und bekanntlich nützen dem Menschen im Kapitalismus die schönsten Dinge nichts, wenn er kein Geld hat, sie zu kaufen! So feiert der Wahnsinn des Kapitalismus gerade in Sowjetrußland seine blutigen und bittersten Triumphe, aber zugleich vollendet sidi auch sein Schicksal in jenem Lande, iu welchem er seinen todkranken Organismus zu heilen gedachte. Die Weltbourgeoisie und die Sowjetregierung sehen sich zu ihrem eigenen Schrecken zu dem Geständnis veranlaßt, daß sie gegenseitig aneinander nicht, wie erhofft, den Rettungsanker, sondern nur einen kümmerlichen Strohhalm gefunden haben, der nicht einmal einen von ihnen beiden retten kann. Die gleiche Bedeutung, den gleichen Zweck und die gleiche Hoffnung, wie sie für die europäische Bourgeoisie in dem Schema der Konferenzen von London, Genua und Haag bestand, trieb die amerikanische Bourgeoisie im letzten Winter zur Einberufung der größten aller Konferenzen, der Konferenz von Washington. Sie brachte ebensowenig eine endgültige Einigung aller an der KapitaIisierung Chinas interessierten kapitalistischen Mächtegruppen zustande, wie dic europäischen Verhandlungen am grünen Tisch von Genuar. Das einzige positive Ergebnis war lediglich, daß die Weltbourgeoisie untereinander das Terrain sondierte und die Kampfmittel normierte, mit denen sie später die auf dem Papier projektierte imperialistische Arbeitsteilung in der internationalen Ausbeutung des Weltproletariats in die Tat umzusetzen hofft. Vorausgesetzt, daß ihre Hoffnung auf China als Absatzgebiet ihres Warenüberschusses nicht vorher durch die gleiche ansteckende Krankheit der kapitalistischen Todeskrisis zunichte gemacht wird, wie diejenige der europäischen Bourgeoisie auf Deutschland und Sowjetrußland. Die bisherige Entwicklung in China läuft in beschleunigtem Tempo darauf hin, daß dies der Fall sein wird und damit die Spekulation der amerikanischen Kapitalskönige einen gründlichen Reinfall erleben wird. Neben diesen im großen Maßstabe angelegten Anstrengungen der nationalen Bourgeoisklassen zur Behebung ihrer Absatzstockungen hat sich der sterbende Kapitalismus unter dem Drucke des kapitalistischen Konkurrenzgesetzes die systematische Verbilligung des Preises der proletarischen Arbeitskraft zum Idealrezept zu seiner Erhaltung unter den Lebenden gewählt. „Herabsetzung des Arbeitslohnes und lange Arbeitszeit, das ist der Kern des rationellen und gesunden Verfahrens, das den Arbeitern erheben soll zur Würde eines rationellen Konsumenten, damit er einen Markt schaffe für die Masse von Gegenständen, die die Kultur und der Fortschritt der Erfindung ihm zugänglich gemacht haben“ (†). Die Bourgeoisie glaubt allen Ernstes, sich durch die schon von Karl Marx mit bitterem Hohn überschütteten Sanierungsmethoden „Herabsetzung des Arbeitslohnes und lange Arbeitszeit“ gesundmachen zu können, ohne in Wahrheit es verhindern zu können, daß gerade dieses „Heilmittel“ dasjenige sein wird, das ihn endgültig unter die Erde bringen wird. Denn: so gewinnbringend und gesundend diese Methoden für den einzelnen Kapitalisten zu sein scheinen, ebenso gefährlich und letzten Endes tödlich sind sie für den Kapitalismus als ganzes geltendes Wirtschaftssystem. In dieser dialektischen Rückwirkung der Geschichte auf die Entwicklung des Kapitalismus steckt die unvermeidliche Notwendigkeit des Zusammenbruches des Kapitalismus als System. Der einzelne Kapitalist, der weiß, daß er um so besser konkurrieren kann, je billiger er produziert, sucht aus dieser Erkenntnis heraus, um konkurrenzfähig und als Bourgeois lebensfähig zu bleiben, nach geeigneten Mitteln zur Verbilligung seiner Produktionskosten. Was liegt ihm in seiner Position und seinem Gedankenkreis als Kapitalist näher, als diese Verbilligung seiner Produktionskosten auf die in seinem Unternehmen tätigen Arbeiter abzuwälzen? Was liegt ihm näher, als „seine“ Arbeiter zur Verminderung des Arbeitslohnes zu zwingen, zur Verlängerung der Arbeitszeit und zur Steigerung der Produktionsleistung zu peitschen? So kommt es, daß gerade in der augenblicklichen Zeit die Offensive der internationalen Bourgeoisie gegen das Proletariat in dieser Richtung ansetzt und die Kämpfe zwischen Kapital und Arbeit sich insbesondere auf diesem Gebiet abspielen. Schon im Vorjahre drehte sich der große englische Bergarbeiterstreik um diese Frage, der bekanntlich mit einer schmählichcn Niederlage der Arbeite endete. Neben dem Kampf zwischen den Grubenbesitzern und den Bergarbeitern in England hatten noch eine Reihe anderer Kämpfe in dem gleichen Land ein ähnliches Schicksal. Nach einem jetzt veröffentlichten Bericht der größten englischen statistischen Zeitschrift, des „Economist“ , würden für das Jahr 1921 von der Herabsetzung des Arbeitslohnes mit einer Verminderung der wöchentlichen Lohnsumumme betroffen:
Im ganzen betrug die Zahl der durch Lohnherabsetzung im Jahre 1921 betroffenen Arbeiter in England zirka 6 000 000 und die Höhe der verminderten Lohnsumme über100 Millionen Shilling wöchentlich, also nach Umrechnung in die deutsche Markwährung zirka 40 Milliarden Mark, nach der „Labaur Gazette“ sogar 120 Millionen Shilling, also 48 Milliarden Mark. In Prozenten ausgedrückt war die Lohnhöhe nach den Kämpfen um rund 30 Prozent (!) niedriger, als zur Zeit des Höchststandes 1921. Im ersten Halbjahrnbsp;1922 hat die englische Bourgeoisie unter aktiver und passiver Beihilfe der Gewerkschaften noch weitere beträchtliche Lohnkürzungen in allen Industriezweigen vorgenommen. Typisch ist, daß die englischen Unternehmer in der Metallindustrie, nachdem erst der letzte Konflikt im Juni 1922 mit einer solchen Niederlage der Arbeiter geendet hatte, schon Ende Juli eine neue Lohnherabsetzung einleiteten. In den Vereinigten Staaten von Nordamerika setzten die Industriekapitalisten ohne auch nur den geringsten Widerstand der Gompersschen Gewerkschaften (American Federation of Labour) die Arbeitslöhne im Laufe des vorigen Jahres um nicht weniger als 40 bis 70 Prozent herab. Der Riesenstreik der 1 500 000 amerikanischen Eisenbahner und Transportarbeiter, der 500 000 Kohlenarbeiter und 600 000 Textilarbeiter im Frühjahr und Sommer 1922 bildete die Antwort auf eine erneute Provokation der Unternehmer in Form der Ankündigung von weitgehenden Lohnkürzungen. Die jüngste große Streikbewegung der italienischen Metallarbeiter wurde im Juli 1922 mit der Vereinbarung eines bedeutenden Lohnabbaus abgeschlossen. Ähnliche Angriffe auf den proletarischen Arbeitslohn hat die Bourgeoisie im Laufe der letzten Zeit in anderen Ländern geführt und mit ganz ähnlichen Resultaten beendet. So sind z.B. in der Tschechoslowakei Lohnherabsetzungen von durchschnittlich 30-40 Prozent für insgesamt zirka 300 000 Arbeiter erfolgt, neuerdings sogar eine solche von genau 80 Prozent geplant; in der Schweiz fiel der proletarische Arbeitslohn um 20 bis 25 Prozent; in Frankreich um 2 bis 3 Franken je nach dem Gewerbe (besonders im Bergbau und in der Textilindustrie); in den Niederlanden sank der Hauerlohn im Bergbau von 9,3 auf 7,8 Gulden; in den skandinavischen Ländern wurden die Löhne teilweise um über die Hälfte verringert. In Deutschland selbst hat es die Bourgeoisie gar nicht einmal nötig, den Lohn direkt herabzusetzen, da durch die fortschreitende Entwertung der deutschen Mark und die damit verbundene Steigerung der Preise der Realwert des Arbeitslohnes sowieso von Tag zu Tag vermindert wird, so daß die deutsche Bourgeoisie befriedigt ist, wenn sie die trotz allem unvermeidlichen zahlenmäßigen Lohnerhöhungen auf ein solches Maß beschränken kann, das in Wirklichkeit einer glatten Lohnherabsetzung gleichkommt! Dadurch, daß durch die Erhöhung des Nominallohnes das eigentliche Sinken des Reallohnes verschleiert wird, kann es die deutsche Bourgeoisie außerdem wagen, in besonderem Umfang und besonderer Schärfe den Kampf um die Verlängerung der Arbeitszeit auszudehnen. Die letzten Kämpfe der württembergischen Metallarbeiter, der Bergarbeiter, der Buchbinder usw. um die 46-Stundenwoche sind das absolut untrügerische Zeichen dafür. Aber auch in den übrigen kapitalistischen Ländern der Welt suchte die Bourgeoisie ihren Kampf gegen die proletarische Arbeitskraft aut das Gebiet der Arbeitszeit verIängerung auszudehnen. Der Achtstundentag (das jahrzehntelange Kampfziel der 2. Internationale) wurde bereits dort, wo er überhaupt je eingeführt wurde, systematisch auf sogenannte gesetzlichem – wie in der Schweiz – und ungesetzlichem Wege – wie in Deutschland, Italien, Polen, Dänemark usw. – wieder durchbrochen oder gänzlich beseitigt – die Bourgeoisie nennt das „Veredelung“ –, oft in Verbindung mit weiteren terroristischen Zwangsmaßnahmen gegen die proletarische Klasse. In Japan ist die 10-12-stündige Arbeitszeit sowieso noch die Regel; die Vereinigten Staaten von Nordamerika kennen ebenfalls keine gesetzliche Regelung der Arbeitszeit, so daß die Arbeiter dort auf Befehl des einzelnen Unternehmers oft über 10, ja noch heute häufig über 12 Stunden sich der Ausbeutung in den Fabriken unterwerfen müssen. Ein weites engmaschiges Netz zur restlosen Versklavung des Proletariats in der Form von gesetzlich verankerten Streikverboten und anderer Zuchthausgesetze wurde unter lebhafter Assistenz der Gewerkschaften im Taufe der letzten beiden Jahre über die ganze Welt geknüpft. Wo die Offensive der Bourgeoisie zur Verschlechterung der Lohn- und Arbeitsbedingungen wirtschaftliche Abwehrkämpfe der betroffenen Arbeitergruppen auslöste, wurden diese fast ausnahmslos mit einem Erfolge der Unternehmer und einer Niederlage der Arbeiter abgeschlossen. Diese Regelmäßigkeit der Niederlagen der Arbeiter in solchen Kämpfen, trotz zäh und energisch durchgeführter Streiks, wurzelt wiederum in der Tatsache der Todeskrisis des Kapitalismus selbst. Und die „Deutsche Bergwerkszeitung“ , das Spezialorgan von Hugo Stinnes, hat so ganz unrecht nicht, wenn sie die Ergebnislosigkeit dieser Kämpfe für die Arbeiter darauf zurückführt, daß diese „fast allgemein recht bald zu dem Gedanken sich bekannten, daß Arbeit gegen geringen Lohn keiner Arbeit und keinem Lohn vorzuziehen sei“. Mit diesem Satz kennzeichnet die Bourgeoisie ungewollt aber treffend die Unreife des proletarischen KIassenbewußtseins , das nur innerhalb des Kapitalismus über den Preis des Verkaufs der Ware ,,Arbeitskraft“ nachzudenken vermag und vor dem Sturz, der Bourgeoisie zurückscheut, weil dann „keine Arbeitgeber mehr da sein“. Die Resultate dieser wirtschaftlichen Lohn- und Arbeitskämpfe in der Todeskrisis des Kapitalismus aber sind ein bitterer, jedoch unzweifelhafter Beweis dafür, daß der Kampf um bessere Lohn- und Arbeitsbedingungen innerhalb des Kapitalismus in dem jetzigen Stadium seiner Todeskrisis eine glatte Utopie ist und daß daher auch die Gewerkschaften, deren einzige historische Aufgabe es ist, für den Verkauf der proletarischen Arbeitskraft an die Bourgeoisie Sorge zu tragen, mitsamt all ihren Zielen, ihren Kampfmitteln und ihrer Organisationsform durch den geschichtlichen Prozeß völlig überholte und daher konterrevolutionäre Gebilde sind. Die Gewerkschaften wissen, daß sie ihre Lebensrolle als Händler der proletarischen Arbeitskraft ausgespielt haben, sobald die Basis dieses Handels, das kapitalistische Wirtschaftssystem, zusammenbricht, und suchcn daher durch die Verschleuderung der proletarischen Arbeitskraft zu jedem Preis die Lebensfäden des Kapitalismus, die zugleich ihre eigenen sind, zusammenzuhalten. VII. Der sterbende Kapitalismus als Hindernis einer rationellen Ausgestaltung der ProduktionsweiseDie aus Torheit und Demagogie gepaarten Auslassungen der Bourgeoisie und ihrer sozialdemokratischen Helfershelfer über die vom Naturrecht verordnete Unsterblichkeit der kapitalistischen Gesellschaftsordnung können angesichts der von Tag zu Tag mehr in Erscheinung tretenden Auswirkungen der kapitalistischen Todeskrisis den wahren Sachverhalt der Dinge nicht mehr verschleiern. Die überwältigende Fülle des vorgebrachten Materials läßt, trotzdem sie nur in gedrängter Form die wesentlichsten Seiten der Todeskrisis berücksichtigt, an der Wahrheit der eingangs dieses Aufsatzes aufgestellten These, daß die kapitalistische Hülle der Eigentumsverhältnisse heute in unversöhnlichen Widerspruch mit der Entwicklung der technischen Produktivkräfte geraten ist, keinerlei Zweifel mehr Platz greifen. Sie spricht aus, was ist. Hatte schon angesichts dieser ersten Wahrheit der Kapitalismus sein Daseinsrecht als geltendes Wirtschaftssystem verwirkt, so noch viel mehr wegen der zweiten Wahrheit, daß darüber hinaus die kapitalistische Hülle der Eigentumsverhältnisse eine den produktionstechnischen Möglichkeiten entsprechende rationelle Ausgestaltung der Produktionsweise verhindert. Diese zweite Wahrheit enthüllt sich in grausam er Deutlichkeit an folgenden Tatsachen: Erstes Beispiel: Der altersschwache Kapitalismus, der in der Zeit seiner Jugendfrische und Manneskraft die Menschheit der ganzen Erde miteinander in engste Verbindung gebracht hat, zerreißt heute rücksichtslos auf seiner rast- und ruhelosen Suche nach Auswegen aus der Sackgasse auch diese von ihm selbst hergestellte Einheitlichkeit der kapitalistischen Weltwirtschaft. Um den Absatzstockungen der eigenen Wirtschaft Luft zu verschaffen, greift jede nationale Bourgeoisklasse zu der Methode der möglichst festen Abschließung ihres Wirtschaftsbereiches von dem ihrer Konkurrenten. Die Parlamente der hochkapitalistischen Staaten erklügeln und beschließen ein Schutzzollsystem nach dem ändern, um sich –&nsp;jeder für sich – wenigstens den eigenen inneren nationalen Markt als Absatzgebiet ihrer riesenhaften Überproduktion zu sichern. Sie greifen dabei auf das reaktionäre Wirtschaftssystem der preußischen Krautjunker – den sogenannte Neumerkantilismus – zurück, einerlei, ob dieses in den Antidumpinggesetzen Englands, dem unüberwindlichen Zolltarif der Vereinigtan Staaten von Nordamerika, dem gänzlichen Einfuhr- bzw. Einwanderungsverbot von Waren und Menschen aus Deutschland nach Australien, den gesetzlichen Bestimmungen zur „Verhinderung des Ausverkaufs“ in Deutschland, den 70 prozentigen Zollzuschlägen Spaniens, dem kürzlich erfolgten offiziellen Protest der französischen Industrieverbände oder dem – allerdings nur in ihrer eigenen Einbildung – bestehenden Außenhandelsmonopol der „Sowjet“-Regierung seinen Ausdruck findet. Alle verschiedenartigen Methoden führen zum gleichen Ziel: der systematischen Vernichtung der schon angebahnten weltwirtschaftlichen – wenn auch kapitalistischen – Organisation der Menschheit. Zweites Beispiel: Der in ungünstigen Produktions- und Konkurrenzbedingungen begründete Niedergang der schweizerischen Exportindustrie hat zur Folge, daß gerade die führenden und kapitalkräftigsten Unternehmungen sich ihre ausländischen Absatzgebiet durch die Gründung von Zweigbetrieben in weniger kaufkräftigen und billiger arbeitenden Ländern zu erhalten suchen. Es handelt sich bei dieser „Abwanderung“ industrieller Produktionsmittel aus der Schweiz um eine durchaus neuartige, der normalen wirtschaftlichen Expansion nach Ursache und Wirkung gerade entgegengesetzte Erscheinung. So verlegten die Nestlé- und die Bally-Gesellschaft ihren technischen Schwerpunkt mehr und mehr nach dem Ausland und beließen ihren schweizerischen Stammfirmen nur die finanzielle und kaufmännische Zentralverwaltung. Noch nachdenklicher müssen die Meldungen stimmen, wonach alte schweizerische Stickereifirmen ihre Maschinen nach Amerika abtransportieren, die qualifizierten schweizerischen Uhrenarbeiter ins Ausland abwandern, japanische Agenten durch die Anwerbung soldier Arbeiter versuchen, die starke schweizerische Uhreneinfuhr durch Verpflanzung der Produktion nach Japan zu ersetzen, ferner daß eine kapitalkräftige „Deutsch-schweizerische Uhrenfabrik A.-G.“ in Plauen eine schweizerische Uhrenfabrik erworben hat, um auch in Sachsen die Fabrikation von Uhrenteilen aufzunehmen, daß schweizerische Seidenweber nach Kanada auswandern, um ihr Gewerbe dort weiter zu betreiben, daß Genfer Bijouteriefabriken ihren Betrieb nach Frankreich verlegen. Zugleich haben erst jetzt wiederum 70 großer Fabriken der Tschechoslowakei den Plan geäußert, mit ihrem gesamten technischen Betrieb nach Ungarn übersiedeln zu wollen. Diese Abwanderung bedeutet nichts anderes, als daß eine Riesenmasse proletarischer Arbeitskraft aufgeboten werden muß, um die Maschinen zahlreicher Unternehmungen ihren Standort von einem Lande ins andere verlegen zu lassen, trotzdem in dem ersten Land die produktionstechnisehen Möglichkeiten viel besser als im zweiten sind, nur deswegen, weil auf dein zweiten Stück Erde größere Profitmöglichkeiten sind, als in dem ursprünglichen Gründungslande! Drittes Beispiel: Dem Londoner Blatt „Evening News“ zufolge liegen infolge des Niedergangs im Handel 800 bis 900 englische Schiffe mit einer Wasserverdrängung von zwei Millionen Tonnen untätig in ihren Häfen. Viertes Beispiel: Nach der neuesten Statistik beträgt die Stärke der stehenden Heere der 14 bedeutendsten Staaten, also die Gesamtzahl der – neben den Arbeitslosen usw. – aus dem Produktionsprozeß auf militärische Art ausgeschallteten Männer über 6 Millionen Mann. Fünftes Beispiel: Die deutsche Kali-industrie zählte 1880 4 Werke mit 685 799 dz Absatz. Heute zählt sie 206 Werke mit 9 236 135 Doppelzentner Absatz. Das bedeutet 5 050 Prozent Steigerung der Werke, aber nur 1 247 Prozent Produktionssteigerung. In punkto Produktivität ist die Senkung geradezu katastrophal. Die durchschnittliche Produktion eines Werkes betrug 1890: 160 927 dz; 1900: 138 368 dz; 1920: 44 837 dz. In Tausendstel ausgedrückt sieht das Bild so aus: 1890: 125; 1900: 66,6; 1920: 4,8. Nach Begutachtung autorisierter Sachverständiger könnte heute die Durchschnittsförderung eines Werkes 500 000 dz betragen; das kapitalistische Produktionssystem fördert aber weniger als den neunten Teil, nämlich 44 837 dz. Besonders schwer fällt diese Tatsache in Anbetracht des ungeheuren Mangels der Landwirtschaft an Kali, dem wichtigsten künstlichen Düngemittel, ins Gewicht. Sechstes Beispiel: Zu den eigenartigsten Konsequenzen führte die Überproduktion am Kautschuk markt. Nachdem man sich schon einmal zu einer Produktionseinschränkung entschlossen hatte, hat man jetzt erkannt, daß auch dieses Mittel nicht hilft, weil hier die Interessen der britischen und die der holländischen Pflanzer aufeinanderstoßen. ln dem unlängst erschienenen Bericht des britischen Untersuchungsausschüsses, über die gegenwärtige Lage der Kautschukplantagen in den britischen Überseebesitzungen wird der Weltvorrat zu Beginn des Jahres auf 310 000 Tonnen beziffert, während der Verbrauch im laufenden Jahr auf 260 bis 300 000 Tonnen (letztere Ziffer stellt den Durchschnitt des Konsums für die letzten drei Jahre dar) geschätzt wird. Der englische Ausschuß schlägt nun als Heilmittel eine Strafsteuer für die über einen gewissen Satz hinausgehende Kautschukgewinnung der einzelnen Gesellschaften vor. Man denkt daran, 60 Prozent der Ausbeute in der Zeit von November 1919 bis Oktober 1920 als Grundlage zu nehmen und mit einem Pence aufs Gewichtspfund zu besteuern, während bei einer Ausbeute von 90 Prozent beispielsweise 10 Pence aufs Gewichtspfund jeder über 60 Prozent hinausgehenden Menge zu zahlen wären. Während also noch weite Gebiete der Welt infolge der Valutawirrnis und der hohen Preise als Verbraucher von Kautschuk ausscheiden – man denke nur an die Möglichkeiten der Automobilindustrie in Sowjetrußland – besteuern die Kautschukproduzenten die Überproduktion, verteuern dadurch die Waren und schränken die Kaufkraft der proletarischen Klasse und damit die Absatzmöglichkeit noch mehr ein als zuvor! Siebentes Beispiel: Es gibt kein besseres Beispiel für das Wesen der kapitalistischen Todeskrisis und keinen einwandfreieren Beweis für die geschichtliche Unzulänglichkeit des Kapitalismus, als den Stand der kapitalistischen Kohlenwirtschaft in der Welt zur Zeit des amerikanischen Bergarbeiterstreiks. Die kapitalistische Kohlenproduktion der Welt wird da sie bekanntlich ebenso wie alle übrigen Produktionszweige nach dein Gesetz der Konkurrenz und den Möglichkeiten des Profits regiert wird, nicht von einem Zentralpunkt nach einheitlichem Plan geregelt, sondern die einzelnen kapitalistischen Interessengruppen suchen durch möglichst billige Produktion möglichst viel Waren zu produzieren und auf den Markt zu werfen zwecks Erzielung möglichst großer Profite. Dieser leitende Gesichtspunkt der kapitalistischen Produktionsweise hat auch in der Kohlenproduktion der Welt eine Reihe von Erscheinungen hervorgerufen, die in ihrem Zusammenhang untereinander den restlosen Zusammenbruch des kapitalistischen Wirtschaftssystems dokumentieren. Zunächst ist gegenüber den Vorkriegsziffern eine ungeheure Verminderung der Produktionsmengen zu konstatieren, eine Tatsache, die besonders noch in den letzten Monaten eine außerordentliche Verschärfung erfahren hat. Trotz dieser Verminderung der Gesamtkohlenproduktion der Welt herrschte bis vor wenigen Wochen in der ganzen Welt eine riesenhafte Absatzstockung auf dem Kohlenmarkt. Die Kohlenhalden Amerikas, Englands, Frankreichs und vieler anderer Länder waren bis zum Platzen gefüllt, ohne Absatz finden zu können. Diese Absatzstockung auf dem Kohlenmarkt, die eine Begleit- bzw. Folgeerscheinung des Absatzmangels auf dem gesamten kapitalistischen Weltmarkt überhaupt ist, ist zwar für den Augenblick durch den amerikanischen Bergarbeiterstreik behoben worden, um dafür aber bald noch viel schroffer hervorzutreten. Denn nachdem es den mit den Zechenunternehmem verbündeten amerikanischen Gewerkschaften gelungen ist, den Streik der amerikanischen Bergarbeiter mit deren Niederlage auf Grund der von der Bourgeoisie beabsichtigten Lohnkürzung, in der Vereinbarung der Wiederaufnahme der Arbeit zu den alten Lohnbedingungen bei gleichzeitigem Zwange zu vermehrter Arbeitsleistung und vor allem nach einer wesentlichen Steigerung der Preise seit Bestehen des Streiks, zu beendigen, so muß durch die verminderte Kaufkraft des amerikanischen Proletariats und die erhöhten Produktionsleistungen die kapitalistische Absatzkrisis ohne weiteres, anstatt beseitigt zu werden, noch an Umfang und Schärfe rapide zunehmen. Die gegenwärtige Konjunktur auf dem Kohlenmarkt wird also die Todeskrise nicht beheben, sondern ihr Endresultat beschleunigen. An der Tatsache, daß die amerikanischen Zechenunternehmer, um gegenüber den Kohlenbaronen der anderen Länder konkurrenzfähig zu bleiben, sich zu einer Lohnkürzung und einer Produktionssteigerung und die amerikanischen Arbeiter im Abwehrkampfe gegen diesen Plan zu einer Einstellung der Produktion veranlaßt sahen, offenbart sich der Wahnsinn der kapitalistischen Kohlenwirtschaft: Weil die Zechenunternehmer als Bourgeois und die Bergarbeiter als Proletarier weiterleben wollen und beides unter den vorliegenden Verhältnissen unmöglich ist, kann keine Kohle mehr produziert werden! Und zwar nicht deswegen, weil die Maschinen untauglich oder die Kohlenvorräte erschöpft sind, sondern deswegen, weil es die gesellschaftlichen Eigentumsverhältnisse nicht zulassen. Der Götze Privateigentum verbietet die Produktion! Der Stillstand der amerikanischen Kohlenproduktion zwang die amerikanische Bourgeoisie zur Einfuhr von Kohle aus anderen Ländern der Welt. Riesige Kohlenmengen wurden fortgesetzt über den Ozean gefahren, um den Bedarf des amerikanischen Kapitalismus zu befriedigen. So hatte diese Seite des Wahnsinns der kapitalistischen Kohlenwirtschaft eine andere Seite unmittelbar im Gefolge: Ungeheure Arbeitskräfte mußten in Bewegung gesetzt werden, um die Kohle, trotzdem sie in gleicher Qualität und genügender Quantität in Amerika selbst vorhanden ist, zu verladen und auf dem Tausende von Kilometern langen Weg über den Ozean ins Innerste von Amerika zu transportieren. Diese gleiche Erscheinung spielt sich gleichzeitig in gleicher Art und Weise in Europa selbst ab können sich die für Amerika, das „Paradies des Kapitalismus“, bestimmten Kohlen eine ganze Ozeanreise leisten, so begnügen sich die in Deutschland produzierten und für die Reparationserfüllung ausersehenen Kohlen zwar mit einer Sommerreise auf dem Rhein, um zu dem Orte ihrer Bestimmung zu gelangen, aber dafür zeigt hierbei der Wahnsinn des Kapitalismus außerdem noch seine groteske Laune. Die französische und belgische Bourgeoisie, die eifrig darauf bedacht ist, bei dem kapitalistischen Konkurrenzkampf in der Welt obenan zu bleiben, bezieht bekanntlich auf Grund des Versailler Vertrages monatlich bestimmte Kohlenmengen zu einem Spottpreise aus Deutschland, um mit Hilfe dieser billigen Kohlen möglichst billig produzieren zu können. Erst kürzlich hat die Reparationskommission für die Monate August bis Oktober ein neues Lieferungsprogramm aufgestellt, nach welchem die zu liefernde Kohlenmenge beträchtlich erhöht wird. Auf diese Forderung hat die deutsche Bourgeoisie mit einer neuen Auflage ihrer bekannten nationalistischen Entrüstungsstürme geantwortet, der jedoch allerhand wichtige und interessante Nachrichten über den Wahnsinn der kapitalistischen Kohlenwirtsdiaft ans Tageslicht gebracht hat. ln Deutschland herrscht infolge der abgelieferten Reparationskohlen große Kohlennot, d.h. die vorhandenen Kohlennmengen reichen nicht aus, um den Bedarf der Industrie zu decken: Die Hüttenindustrie im Ruhrgebiet kann zurzeit etwa nur die Hälfte ihrer Bedarfsmenge beziehen, so daß eine große Anzahl von Hochöfen deswegen zum Stillstand gebracht werden mußte. Die Gas- und Elektrizitätswerke haben meist nur einen für 4-5 Tage, die Eisenbahn für 12 Tage reichenden Kohlenvorrat auf Lager. Die städtischen Gaswerke in Berlin haben in den ersten drei Monaten dieses Jahres 16 verschiedene Sorten Kohlen verwenden müssen. Um die Reparationsforderungen zu erfüllen, muß die deutsche Regierung Kohlen aus dem Ausland, insbesondere Kohlen aus England, kaufen. Dagegen weiß die französische und belgische Bourgeoisie nicht, wie sie den gewaltigen Absatzmangel an Kohle in ihren Ländern beseitigen soll. Große Bestände sind dort angesammelt. Im Saarbergbau sind Feierschichten eingelegt worden wegen Absatzmangels. Aus Frankreich und Belgien erhalten die deutschen Kapitalisten im Ruhrgebiet Angebote über Kohlen, wobei es sich um deutsche Reparationskohlen handelt! Dieselben Schiffe, die die Reparationskohlen rheinabwärts bringen, fahren englische Kohlen gleicher Qualität ins Ruhrgebiet zurück, ja, es kommt sogar vor, daß die gleichen Kohlen zunächst als Reparationskohlen aus dem Ruhrgebiet nach Frankreich, dann von Frankreich nach Belgien, von Belgien nach England und schließlich als „englische“ Kohlen ins Ruhrgebiet zurücktransportiert werden, also nach dieser Dreiländerreise wieder an ihren Ausgangspunkt zurückgelangen! Der Beispiele, daß das kapitalistische Privateigentum überall und immer von neuem der rationellen Ausnutzung der Produktionsmittel und Produktivkräfte hindernd im Wege steht, gibt es übergenug. Muß noch erst an die Wirkungen des vergangenen, des gegenwärtigen und des kommenden Kriege erinnert werden, um die historische Unhaltbarkeit des Kapitalismus zu begründen? VIII. Die Perspektiven und die Resultate der kapitalistischen TodeskrisisDer sterbende Kapitalismus entwickelt seinen Wahnsinn bis zur letzten Konsequenz. Aber dieser Wahnsinn ist in Wirklichkeit der eigentliche Sinn der kapitalistischen Gesellschaftsordnung. Denn ihre historische Aufgabe besteht darin, die Klassengegensätze zwischen Bourgeoisie und Proletariat auf die höchste Spitze zu treiben. Diese höchste Spitze ist heute erreicht. Die Harmonie zwischen der kapitalistischen Warenproduktion, der Akkumulation des Mehrwerts und dem kapitalistischen Warenabsatz ist für alle Zukunft radikal zerstört. Das bürgerliche Privateigentum, der Götze der Bourgeoisie, laßt nicht mehr zu, daß die proletarische Klasse aus der Riesenmasse der von ihr selbst produzierten Waren auch nur jenen geringfügigen Teil erhält, der zur fortgesetzten Wiederherstellung seiner geistigen und physischen Arbeitskraft unbedingt erforderlich ist. Die Bourgeoisie setzt das sogenannte proletarische Existenzminimum unter das Maß der tierischen Lebensmöglichkeit herab, stellt sich in kriegerischer Position zwischen dem Überfluß an Lebensmitteln und dem Hunger der arbeitenden Klasse und schlägt jeden erbarmungslos nieder, der es wagt, diese Schranke zu durchbrechen. Denn sie ist sich dessen bewußt, daß es um ihr Leben als herrschende Klasse geht, aber sie ahnt nicht, daß die Geschichte bereits ihr Todesurteil gefällt hat und daß sie – die Bourgeoisie selbst – bereits herauf und dran ist, ihren eigenen Kopf unter das Richtschwert der Geschichte zu legen. Sie schwelgt im Überflusse wie nie eine herrschende Klasse in der ganzen Menschheitsgeschichte je zuvor und jubelt ob ihrer täglichen Erfolge im Kampfe zur Verschlechterung der Lohn- und Arbeitsbedingungen des Proletariats. Sie fühlt sich um so sicherer auf den Thronsesseln ihres Geldsacks, je mehr es ihr gelingt, das Lebensniveau der proletarischen Klasse zum Segen ihres Profits herabzudrücken. Die einzige Maxime ihres Denkens und Handelns ist die Vermehrung ihres Kapitals auf Kosten des Proletariats. Und weil sie über diesen Gesichtskreis nicht hinauszudenken vermag, saust sie der letzten Katastrophe ihrer kapitalistischen Gesellschaftsordnung mit derselben Hemmungslosigkeit entgegen, mit der sie in den Weltkrieg hineingeschliddert ist. Denn gerade die Erfolge der Bourgeoisie im Kampfe um die Herabsetzung des proletarischen Arbeitslohnes bei gleichzeitiger Zwang zu erhöhter Produktionsleistung und Arbeitszeitverlängerung sind Pyrrhussiege, Scheinerfolge im Augenblick, und tödliche Niederlage in der Zukunft. Der einzige Bourgeois siegt, aber an diesen Siegen der einzelnen Bourgeois wird die Klasse der Bourgeoisie und das System des Kapitalismus zugrundegehen. Deswegen nämlich, weil erstens durch dic Herabsetzung des Arbeitslohnes die Kaufkraft des Proletariats immer geringer wird, und zweitens durch die Verlängerung der Arbeitszeit und Anpeitschung zu erhöhter Produktionsleistung immer mehr Waren auf den kapitalistischen Weltmarkt geworfen werden, durch beide Methoden also die Absatzstockungen nicht geringer, sondern noch viel, viel größer werden müssen. Je mehr sich aber dieser Prozeß der Absatzstockungen auf dem kapitalistischen Weltmarkt verbreitet, desto näher gerät der Kapitalismus an sein eigenes Grab. Zugleich zwingen die riesenhaften Massen angehäuften Kapitals, das keinen Augenblick „pensioniert“ oder „arbeitslos“ liegen kann, und immer von neu Mehrwert hecken muß, zu vermehrter Produktion, zur Schaffung neuer, riesenhafter Produktionsanlagen in der ganzen Welt. Das Gründungsfieber neuer Unternehmungen in allen Ländern, vor allem in China und Sowjetrußland, hat infolgedessen in der kapitalistischen Todeskrisis einen überaus hochgradigen Charakter angenommen, trotzdem auch deren Produkte nirgends mehr einen genügenden Absatz finden können. So kommt der tote Punkt des Kapitalismus immer näher und näher: Durch ihr eigenes Werk zieht die Bourgeoisie die Grenzen ihrer Absatzmöglichkeiten fortgesetztengerund enger, bis diese Absatzstockungen jene Schärfe und jenen Umfang erreichen, in dem sie unaufhaltsam zu den letzten entscheidenden Hemmungen und Unterbrechungen im Akkumulationsprozeß des Kapitals und schließlich zum endgültigen Zusammenbruch des Kapitalismus als Systems führen: „Das Kapitalmonopol wird zur Fessel der Produktionsweise, die mit und unter ihm aufgeblüht ist. Die Zentralisation der Produktionsmittel und die Vergesellschaftung der Arbeit erreichen einen Punkt, wo sie unverträglich werden mit ihrer kapitalistischen Hülle. Sie wird gesprengt. Die Stunde des kapitalistischen Privateigentums schlägt. Die Expropriateurs werden expropriiert“ (‡). Die Bourgeoisie kann sich vor ihrem geschichtlichen Untergange nicht mehr retten. Selbst wenn sie den Gang der Dinge voraussähe und theoretisch zu dem Plan einer Rettung ihrer Gesellschaftsordnung vermittels der Steigerung der proletarischen Kaufkraft durch Erhöhung des proletarischen Arbeitslohnes ihre Zuflucht nehmen würde, um die Absatzstockungen zu beheben, in der Welt der praktischen Tatsam en würde das Gesetz der kapitalistischen Konkurrenz, das jeden Bourgeois zu möglichst billiger Produktion zwingt, um gegenüber seinen Konkurrenten immer konkurrenzfähig zu bleiben, schleunigst durch diese Rechnung einen Strich ziehen und dem kapitalistischen System einen nur noch gefährlicheren Rückfall der Krankheitssymptome bescheren. Es ist wahrscheinlich, daß die Bourgeoisie der Welt sich, oder, richtiger gesagt, das Proletariat sich noch einmal gegenseitig in einer bewaffneten Auseinandersetzung um die allerletzten Reste des kapitalistischen Absatzmarktes der Welt die Körper kaputschießen lassen wird, aber schiedlich und friedlich einigen wird sie sich nie mehr, weil jeder von ihnen Bourgeois bleiben will und um dessen willen ohne jede Scheu und Scham seinen Klassenbruder am liebsten von der Erdoberfläche verschwinden lassen möchte, wobei es für die Ausbeutung und Unterdrückung des Proletariats so gut wie ganz gleichgültig ist, ob die Bourgeoisie sich schlägt oder sich verträgt. Die Ausgleichung der Klassengegensätze ist leere Utopie, und alle seine liberalen, sozialdemokratischen, gewerkschaftlichen und pazifistischen Propheten bewegen sich im Bannkreise dieser leeren Utopie. Es gibt keinen Ausweg aus der kapitalistischen Todeskrisis innerhalb des Kapitalismus. Alle Wege führen zum Grabe der kapitalistischen Gesellschaftsordnung, auf dessen Gedenkstein die Geschichte die Wahrheit einmeißeln wird, daß der Kapitalismus seine Totengräber selbst erzeugt habe. Wie die römische Weltherrschaft an der Sklaverei zugrunde ging, wie die feudalistische Gesellschaft durch die Leibeigenschaft zermürbt wurde, so wird auch der Kapitalismus ein Opfer seines eigenen Werkes, der unversöhnlichen Klassenscheidung der Menschheit in Bourgeoisie und Proletariat. Die Tatsache der Todeskrisis des Kapitalismus stellt beide Klassen vor die Alternative „Tod und Leben“ , spitzt daher den Klassenkampf zwischen Bourgeoisie und Proletariat aufs äußerste zu und stellt das Proletariat unmittelbar vor die praktische Entscheidung zwischen Kommunismus oder Untergang in der Barbarei. Diese Notwendigkeit besteht für das gesamte Weltproletariat, wenn auch die objektive Entwicklungsreife des Weltkapitalismus in den verschiedenen Ländern verschiedene Grade zeigt. Denn der Weltkapitalismus ist als ganzes System morsch, und alle seine Glieder sind von den Keimen der Todeskrankheit durchsetzt. Damit sind die objektiven Voraussetzungen des direkten Kampfes des Proletariats zur Erfüllung seiner historischen Aufgabe (der Überführung des kapitalistischen Privateigentums in proletarisches Klasseneigentum) gegeben. Der Sturz der Bourgeoisie durch die Aufrichtung der Rätediktatur der proletarischen Klasse und die sofortige Verwirklichung der historischen Aufgabe des Proletariats ist eine gesellschaftliche Notwendigkeit geworden. Einzig und allein von dem Willen des internationalen Proletariats hängt es ab, daß sie zur Tat wird. Solange das internationale Proletariat diesen Willen nicht in sich trägt, wird es zweifellos der Bourgeoisie gelingen, auf Kosten der Lebenskraft des internationalen Proletariats den unvermeidlichen Abschluß der kapitalistischen Todeskrisis für eine gewisse Zeitdauer zu verschleppen. Sobald jedoch dieser Wille die Herzen und Köpfe des internationalen Proletariats ergreift, schlägt auch zugleich die Stunde der endgültigen Abschaffung des Kapitalismus und Emanzipation des internationalen Proletariats. Um die Herzen und Köpfe derArbeiterklasse aller Länder der Welt für ihren schweren Befreiungskampf reif zu machen, ist im Frühjahr dieses Jahres die kommunistische Arbeiter-Internationale gegründet worden. Der Aufbau der Kommunistischen Arbeiter-lnternationale fällt in eine Zeitperiode rapider Steigerung der kapitalistischen Todeskrisis, zugleich aber auch raschen Wachsens der opportunistischen Tendenzen in der internationalen Arbeiterbewegung trotz der riesigen Kämpfe zwischen Kapital Und Arbeit, die sich augenblicklich in allen Ländern der Welt abspielen, und des immer enger und geschlossener werdenden Bündnisses der internationalen Bourgeoisie gegen das Proletariat. Alle diese vier Erscheinungen mahnen und rufen zu erhöhten Anstrengungen, zu vervielfachter Tätigkeit und zu opferbereitester Solidarität aller kommunistisch-revolutionären Arbeiter der Welt im Rahmen und unter der roten Fahne der Kommunistischen Arbeiter-lnternationale! In diesem Sinne möge die junge Kommunistische Arbeiter-Internationale ihren Kampf fortsetzen, den Spott aller reformistischen Kleinbürger und feigen Renegaten über ihre Kleinheit mit dem zuversichtlichen Lachen des bewußten Sieges der Zukunft und der Geschichte quittieren und auf ihrem dornenvollen und schmutzbeworfenen Wege des Danteschen Wahlspruches. mit welchem Karl Marx den ersten Band seines unsterblichen „Kapital“ in die Welt hinaussandte, eingedenk sein: „Geh’ Deinen Weg Anmerkungen*) 1 Quarter ist gleich 282,4 Liter. **) 1 bushel ist gleich 35,3 Liter. ***) Darüber, insbesondere auch über den historischen Sinn der Markentwertung und die Verschiebung der Eigentumsverhältnisse innerhalb der Klasse der Weltbourgeoisie ist Grundsätzliches und Eingehendes bereits in dem Aufsatz „Entwicklungstendenzen im Weltkapitalismus“ im „Proletarier“ Nr. 9-10 im Oktober 1921 gesagt worden. Dieses Kapitel braucht hier deswegen nur kurz gestreift werden. Es empfiehlt sich, jenen Aufsatz im Zusammenhang mit diesem Artikel erneut nachzulesen. †) Karl Marx, „Das Kapital“, 1. Band. ‡) Karl Marx, „Das Kapital“, 1. Band. Redaktionelle Anmerkungen1) Dieser Satz fehlt, die fehlende Jahren sind Einschätzungen; es ist auch unklar was diese Ziffern bezeichnen. 2) Dieser Satz fehlt; von der Kontext ist es jedoch klar. Compiled by Vico, 29 June 2020
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