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Quelle: a.a.a.p. Gruppe Internationaler Kommunisten (Holland) : p.i.k.: Pressedienst der Internationalen Kommunisten-Holland, 1928-1933. – Transkribiert und herausgegeben von Hans-Peter Jacobitz und Thomas Königshofen; Mitarbeit von der Association Archives Antonie Pannekoek; €15,80. |
Die holländische Sozial-Demokratie und ihre linke StrömungQuelle: Pressedienst der g.i.k., Nr. 10 vom 11. Februar 1929 (i.i.s.g. ); Quelle Transkription: Gruppe Internationaler Kommunisten (Holland) : p.i.k. : Pressedienst der Internationalen Kommunisten-Holland, 1928-1933. – Transkribiert und herausgegeben von Hans-Peter Jacobitz und Thomas Königshofen; Mitarbeit von der Association Archives Antonie Pannekoek; fortgesetzt als : Rätekorrespondenz, Amsterdam; V. Die Agrarfrage – II.Die Entwicklung zur Warenproduktion In den Augen der Staatskommunisten ist und bleibt die Landwirtschaft ein Stein des Anstoßes für die Durchführung des Kommunismus. Unserer Meinung nach hat der Kapitalismus die objektiven Bedingungen für den Kommunismus auch in der Landwirtschaft glänzend durchgeführt. Es hängt nur davon ab, wie man die Dinge sieht; ob man die Verwaltung der Produktion in die Hände der zentralen Regierungsbüros legen will, oder ob man sie von den Produzenten selber vollziehen lässt. Wir wollen zunächst den heutigen Charakter der Landwirtschaft ins Auge fassen. Ohne Zweifel finden wir hier nicht die ungeheure Konzentration der Produktion, wie wir diese in der Industrie beobachten. Aber dieser Tatsache zum Trotz ist der Landbau durch und durch kapitalistisch geworden. Die Warenproduktion ist das charakteristische Kennzeichen der kapitalistischen Wirtschaftsweise. „Waren“ sind Gebrauchsgegenstände, die der Produzent, bei Privatbesitz an Produktionsmitteln, nicht für den eigenen Verbrauch, sondern für den Bedarf anderer produziert. Der Warenproduzent schafft dasjenige, was er selber nicht verbraucht, und er verbraucht gerade das, was er nicht verfertigt. Auf dem Markt findet dann der allgemeine Händewechsel der Ware statt. Dadurch, dass der Warenproduzent nicht für sich selbst, sondern für andere produziert, ist seine Arbeit gesellschaftliche Arbeit. In dem gesellschaftlichen Prozess des Stoffwechsels sind daher alle Warenproduzenten untereinander verbunden, sie leben in vollkommen gegenseitiger Abhängigkeit und bilden damit ein geschlossenes Ganzes. Der alte Bauernbetrieb kannte die Warenproduktion nur als Nebensächlichkeit. Die geschlossene Hauswirtschaft der Bauern befriedigte fast den ganzen Bedarf aus eigener Arbeit. Der Bauer arbeitete für den eigenen Familienkreis, seine Produktion war nicht gesellschaftlich verbunden. Sein Produktionsumlauf vollzog sich fast ausschließlich in dem engen Kreis seines Hofes, solange er die Elemente seiner Produktion aus dem eigenen Produkt deckte. Nur das, was nicht in eigenen Verbrauch aufgenommen wurde, der Überschuss seiner Produktion, war für den Markt, womit diese Produkte Warenform annahmen. Der Bauernbetrieb war also kein Teil der gesellschaftlichen Arbeit, und das ist dann auch die Erklärung für die „unabhängige“ Existenz der Bauern. Die industrielle Warenproduktion hat diese Geschlossenheit durchbrochen. Wusste sie einerseits einen Strom billiger Produkte über die Erde zu streuen, andererseits wurde durch die Wirkungen des Kapitalismus der Pachtzins erhöht, während auch der Staat immer höhere Steuern verlangte. Es ist hier nicht unsere Aufgabe, den Zerschlagungsprozess der geschlossenen Hauswirtschaft zu verfolgen. (Siehe R. Luxemburg: „Die Akkumulation des Kapitals“). Wir wollen nur das Resultat feststellen, das für jeden deutlich zu Tage tritt: Der Bauer brauchte immer mehr Geld, um seinen Verpflichtungen gerecht zu werden. Geld kann er aber nur erhalten, wenn er als Warenproduzent auftritt und Mehrprodukt auf den Markt bringt. Hierzu lagen zwei Wege offen: Entweder der Bauer musste bei gleicher Produktion weniger verbrauchen, oder er musste die Produktivität seiner Arbeit steigern. Noch weniger zu verbrauchen als ein Bauer vom alten Schrot und Korn, gehört aber zu den Unmöglichkeiten. Die Steigerung der Produktivität erschien damit als einzige Lösung. Hier liegt nun der Punkt, wo die Ökonomen vom Fach sich in ihren Zukunftsspekulationen gründlich geirrt haben: Sie nahmen für den agrarischen Betrieb dieselbe Entwicklung an wie für die Industrie. In der Industrie wurde eine immer größere Produktivität erreicht durch das Zusammenfließen von Kapitalien, durch immer neue, produktivere Maschinen, durch die Entwicklung zum Groß- und Riesenbetrieb. Man nahm nun an, dass derselbe Konzentrationsprozess sich in der Landwirtschaft vollziehen müsse. Damit müsste der kleine und mittlere Bauer in der Hauptsache verschwinden und die Agrarkonsortien die entscheidende Rolle in der Landwirtschaft spielen. Die Ökonomen haben sich also in dieser Beziehung geirrt. Übrigens ein sehr verständlicher Irrtum, weil sie nur rechnen konnten mit den früher gegebenen Möglichkeiten. Doch ist es merkwürdig, dass die industrielle Entwicklung, welche die Konzentration in der Landwirtschaft herbeiführen sollte, selbst den Boden für eine ganz andere Entwicklung der Agrikultur bereitete. Es war insbesondere der Motor, der künstliche Dünger und die Agrarwissenschaft, welche die Produktivität des Landbaues gewaltig zu steigern wusste. Durch die moderne Düngung spielte die Beschaffenheit des Bodens eine untergeordnete Rolle, der Ertrag per Hektar wuchs gewaltig, wodurch der Bauer viel mehr „Waren“ auf den Markt bringen konnte, während der moderne Verkehr einen allseitigen Transport versorgen konnte. Gleichzeitig mit der Steigerung des Ertrags per Hektar vollzog sich eine Erscheinung von gewaltiger Bedeutung. Sobald die Produktion auf wissenschaftlicher Grundlage betrieben wird, tritt die Spezialisierung mit zwingender Kraft auf. „Der Spezialist ist ein Höhlenmensch. Er sieht nur einen kleinen Lichtstreifen des Weltraums, aber den sieht er sehr scharf“, sagt Multatuli (*) irgendwo. So sehen wir, dass der Bauer sich einrichtet, um nur ein bestimmtes Produkt zu liefern, aber um hier dann auch das Höchste zu erreichen, was bei dem heutigen Stand der Wissenschaft und… seinen finanziellen Mitteln nur zu erreichen ist. Er spezialisiert seinen Betrieb, d.h., er beschafft sich gerade die Werkzeuge, die er für das spezielle Produkt braucht. So ist heute die Lage der Landwirtschaft in einem großen Teil von West-Europa. In Holland und Dänemark ist dies am schärfsten ausgeprägt, während Frankreich, England, Deutschland in schnellem Schritt der Spezialisierung folgen. Für Viehzucht und Gemüsebau im Umkreis der großen Städte hat sich auch in diesen Ländern der Übergang vollzogen. Der Bauer ist damit Warenproduzent geworden im vollen Sinne des Wortes. Er bringt jetzt nicht mehr seinen „Überschuss“ auf den Markt, sondern sein ganzes Produkt. Er schafft dasjenige, was er selber nicht verbraucht und er verbraucht gerade das, was er selber nicht verfertigt. Er arbeitet also nicht für sich selbst, sondern für Andere, für die Gesellschaft, seine Arbeit ist bei der gesellschaftlichen Arbeit eingeschaltet. Die geschlossene Hauswirtschaft ist durch die Spezialisierung vernichtet, die Agrarwirtschaft ist übergegangen zur „industriellen“ Produktion. Möge der Bauer dabei noch der Eigentümer seiner kleinen Scholle geblieben sein, doch hat seine Stellung sich enorm verschlechtert. Allerdings kann er bei guter Konjunktur gute Geschäfte machen, aber er ist nun völlig von den Wechselfällen des Marktes abhängig, und schlechte Witterung in einem Jahr, eine Krankheit in einer bestimmten Pflanzenart kann ihn gründlich ruinieren. Diese Unsicherheit der Existenz galt zwar auch für die industriellen Unternehmungen, aber doch waren sie nicht so stark von der Natur abhängig. Die Produktivität wurde in der Weise gesteigert, dass die Akkumulation zu Stande kam durch Anwendung von immer produktiveren Maschinen, was schließlich auf eine Konzentration der Betriebe hinauslief. Für den Bauer nahm die Steigerung der Produktivität eine ganz andere Richtung, welche wieder bestimmt wurde vom Stand der Technik im Zusammenhang mit den Produktionsbedingungen des Bauernbetriebes. Die Akkumulation kam zu Stande durch die Beschaffung von Kunstdünger, Motoren und Traktoren, Einstellung auf ein Spezialprodukt. In derselben Richtung wirken die Bauern-Genossenschaften. Durch sie konnten die Viehbauern selbst Molkereien errichten, wodurch diese Industrie direkt der Viehwirtschaft aufgepfropft wurde. Die Bauern haben damit ein Organ geschaffen, das sie alle unzerbrechlich verbindet. Auch Landbau und Gartenbau ist auf genossenschaftlichem Wege teilweise stark konzentriert, während doch von einer Zusammenfassung der Betriebe in industriellem Sinne keine Rede ist. Die Tatsache, dass der Bauer Warenproduzent geworden ist, ist für die Revolution von größter Bedeutung, und die „Angst vor den Bauern“ ist zum guten Teil darauf zurückzuführen, dass ihre heutige Position falsch eingeschätzt wird. So wird z.B. viel darauf hingewiesen, dass das Proletariat in seiner Ernährung von den Bauern abhängig ist und dass man sie darum als Freunde halten müsse. Diese Ansicht ist abgeleitet aus dem Zustand der Agrarwirtschaft, wie sie in einer vergangenen Periode war. Man sieht die Frage so, als ob der Bauer noch der Bauer von früher, nicht der ausgesprochene Warenproduzent von heute sei, der nicht nur den „Überschuss“ seiner geschlossenen Hauswirtschaft, sondern sein ganzes Produkt auf den Markt bringen muss. In der heutigen Lage ist das Proletariat nicht mehr von den Bauern abhängig als umgekehrt. Liefern die Bauern dem Proletariat ihr Produkt nicht, dann sind sie ebenso dem Hunger ausgeliefert wie das Proletariat, so paradox es auch klingen möge. Der Bauer muss sein Produkt verkaufen, weil er nur produziert, was er selber nicht verbraucht, und verbrauchen muss, was er selber nicht produziert. Auch die Furcht, dass der Bauer lieber sein Produkt verfüttert, als es gezwungenermaßen zu verkaufen, ist beim spezialisierten Landbau ohne Grund. Der Viehbauer hat nur Vieh (abgesehen von den Nebenprodukten) und weiter nichts. Der Ackerbauer hat wohl Getreide, aber kein Vieh, der Hühnerbauer etliche hundert Hühner, der Gemüsebauer nur eine bestimmte Anzahl Gemüsesorten. Sie sind alle Spezialisten. Die Rückkehr zur geschlossenen Hauswirtschaft selbst ist unmöglich, denn selbst ein Bauer kann nicht ein Jahrhundert zurückgehen und allen Bedarf selbst verfertigen, weil er weder über die erforderlichen Fähigkeiten noch über die dazu notwendigen Werkzeuge verfügt. Mit der einmal vollzogenen Vergesellschaftung der Arbeit kann niemand sich mehr daran entziehen, und ein „Zurück“ ist unmöglich geworden. Wie man die Sache auch wendet und dreht: Die Bauern sind auf dem gesellschaftlichen Schiff und müssen mit. (Schluss folgt.) Redaktionelle Anmerkung*) Eduard Douwes Dekker (1820-1887) war ein niederländischer Schriftsteller. Bekannt wurde er unter dem Pseudonym Multatuli (lat. etwa: „ich habe vieles ge- oder ertragen“). Das Zitat ist nicht zu finden. Compiled by Vico, 21 August 2021 |
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