Home | Contact | Links       
Antonie Pannekoek Archives


Sehe auch: Lichtstrahlen.

For more by/on Julian Borchardt: Rätekommunismus .


Die Volkswirtschaftlichen Grundbegriffe nach der Lehre von Karl Marx / Julian Borchardt, 1920


 Die Volkswirtschaftlichen Grundbegriffe nach der Lehre von Karl Marx / Julian Borchardt. – Berlin : Buchverlag Rätebund, 1920. – 134 S. – (Rätebücher ; Band 4)
Quelle pdf: Müncherner Digitalisierungs Zentrum , Digitale Bibliothek, Bayerische Staatsbibliothek.
Transkription und Herausgeber: © 2023 Copyright by Thomas Königshofen; Umschlag: © 2023 Copyright by Thomas Königshofen; Hinzufügungen und aktualisierte Literaturverweise des Herausgebers der hier vorliegenden Ausgabe sind in eckige Klammern gesetzt; gesperrt oder fett gedruckte Passagen im Original werden in Kursivschrift wiedergegeben; die Regeln der aktuellen deutschen Rechtschreibung werden in der Regel beachtet, zeittypische sprachliche Besonderheiten – auch die falsche Verwendung von Superlativen – hingegen in den Transkriptionen beibehalten; andere offensichtliche Fehler sind korrigiert.
HTML 2023 by Antonie Pannekoek Archives, the notes by the author were added.


Zur Einführung

Mit dem vorliegenden Werke geben wir der Reihe unserer Rätelehrbücher die notwendige Ergänzung. Notwendig vom Gesichtspunkt des Verlages, der die Grundlage seines gesamten Wirkens für die Rätebildung allein in dem konsequenten kompromisslosen Wirtschaftssozialismus von Karl Marx findet. Notwendig vom Gesichtspunkt der sozialistischen Allgemeinheit, deren planvolles und sinngemäßes Wirken für den sozialistisch-proletarischen Gedanken nur in stetem Zusammenhang mit der festen theoretischen Grundlage gesichert bleiben kann und der in diesem Zeitpunkt ein Werk fehlt, das mit allgemeiner Verständlichkeit wissenschaftliche Durchdringung des Stoffes vereint.

Für die Erfüllung solcher Voraussetzungen scheint der Verfasser besonders geeignet, der als Lehrer der marxistischen Volkswirtschaftslehre ein jahrzehntelanges erfolgreiches Wirken hinter sich hat und dessen Schriften über diese Fragen weitverbreitetes Interesse gefunden haben. Die hier vorliegende Arbeit des Verfassers stellt eine Erneuerung und Fortführung seiner früheren, nicht mehr im Buchhandel vorhandenen Schrift „Grundbegriffe der Wirtschaftslehre“ dar, die vielen Sozialisten die Einführung in die Gedankengänge der Marxschen Nationalökonomie gegeben hat.

In der Praxis der politischen und wirtschaftlichen Kämpfe muss immer wieder der theoretische wissenschaftliche Sozialismus als Prüfstein und Maßstab für die Übereinstimmung einer Handlung mit dem erstrebten Ziele herangezogen werden. Immer wieder muss an der Theorie dargetan werden, wie der Mechanismus der kapitalistischen Wirtschaft den Forderungen der Arbeiterklasse entgegenwirkt. Die Theorie allein kann durch alle Fehler und Enttäuschungen des Klassenkampfes stets aufs Neue zur klaren Erkenntnis des Notwendigen führen.

Ganz besonders gilt dies für den Betriebsrat, der im Kampf mit dem Kapitalisten um die Produktionskontrolle der Gefahr am meisten ausgesetzt ist, von kapitalistischen Illusionen umgarnt zu werden, sei es nun, dass er aus Unkenntnis ihnen selbst unterliegt, sei es, dass er der bewussten Irreleitung von Seiten des Kapitalisten verfällt. Aus steter Berührung mit dem Mutterboden der marxistischen Lehre wird der Sozialist aber immer neue Erkenntniskraft schöpfen. Je vollkommener die geistige Grundlage ist, desto klarer und gewisser wird dem Sozialisten sein Handeln werden.

Der Verlag


1. Warum betreiben wir volkswirtschaftliche Studien? – Die Unentbehrlichkeit der Theorie für die Praxis

Wir leben in einer Zeit äußerster politischer Erregung. Noch war der ungeheure Weltkrieg nicht beendet, da begann die deutsche Revolution. Und diese haben wir noch lange nicht hinter uns, wir stehen noch mitten darin. Gewaltiges haben wir durchgemacht und ebenso schwere Erschütterungen stehen uns sicher noch bevor. Jeden Tag kann sich das Verhängnis von neuem entladen, und lange Zeit wird wohl vergehen, bis ein Zustand des Gleichgewichts, welcher Art dieses auch sei, eintreten mag.

Ist es da an der Zeit, sich behaglich in den Lehnstuhl zu setzen und in beschaulicher Ruhe theoretische, nationalökonomische Studien zu treiben? Kann man, ja darf man auch nur Interesse erwarten für ein solches Buch, wie dieses, – jetzt, wo jede Fiber angespannt sein müsste zur Erfüllung näher liegender, unmittelbarer Aufgaben? Wo jeder Mann und jede Frau ihre ganze Kraft aufbieten müsste zur Lösung der großen politischen Fragen, die jeder Tag uns von neuem stellt?

Man kann und darf es nicht nur, sondern man muss es sogar. Denn die Dinge, die wir hier abhandeln wollen – scheinbar ganz fern den Tagesereignissen und sicher ganz abseits aller Tagespolitik – stehen nichtsdestoweniger mit ihnen im allerengsten Zusammenhang. Ja, die Tagesfragen sind schlechthin unlösbar ohne eine genügende Kenntnis der tiefer liegenden wirtschaftlichen Zusammenhänge, und man darf kühnlich behaupten: wenn die Tagesfragen bisher so schlecht gelöst worden sind, wenn die Aufgaben der deutschen Revolution immer noch so weit von ihrer Erfüllung sich befinden, so liegt das zum großen Teil auch daran, dass es um die Kenntnis der Wirtschaftszusammenhänge nicht nur bei der großen Masse der Laien, sondern besonders auch bei den politischen Führern sämtlicher Parteien so überaus kläglich bestellt ist.

Wie außerordentlich eng die alltägliche Praxis mit der Theorie zusammenhängt, mit der wir uns hier beschäftigen wollen, das lässt sich leicht nachweisen an einer Frage, die das allgemeine Interesse beherrscht: an der Preisfrage.

Man weiß, dass die deutschen Regierungen auch während des Krieges schon versucht haben, die Preissteigerung zu verhindern. Schon in den allerersten Kriegstagen, am 4. August 1914, wurde das erste Gesetz über Höchstpreise erlassen, welches die Behörden ermächtigte, für Gegenstände des täglichen Bedarfs amtliche Höchstpreise festzusetzen. Die ursprüngliche Absicht war zweifellos, jede Warenverteuerung während des Krieges unmöglich zu machen. Denn man sah darin nichts weiter, als den unzulässigen und höchst unmoralischen Versuch der Verkäufer, sich unter Ausnutzung der allgemeinen Not des Vaterlandes zu bereichern.

Als nun aber die Behörden daran gingen, diese Absicht in die Tat umzusetzen, stießen sie sofort auf allerlei Hindernisse. Dem Publikum kam es natürlich auf die Preise im Kleinhandel an; es sollte dafür gesorgt werden, dass jeder das, was er brauchte, im Laden zu alten Preisen weiter bekäme. Damit wären die Konsumenten zufrieden gewesen.

Aber die Behörden waren sich natürlich darüber klar, dass sie nicht einseitig nur den Kleinhändlern jede Preissteigerung verbieten durften. Dann hätte es leicht kommen können, dass die Kleinhändler beim Verkauf nicht einmal so viel erzielten, wie sie beim Einkauf selbst bezahlt hatten, und der gesamte Kleinhandel wäre erdrosselt worden. Wollte man nun aber auch den Großhandel und die Fabrikation in das Verbot jeder Preissteigerung einbeziehen – wer sollte das kontrollieren, wer all die Millionen Preise überwachen! Außerdem waren ja auch vor dem Kriege schon die Preise nicht unverändert geblieben. Man hat es heute fast vergessen, dass wir auch damals schon, zumal in den Jahren 1912 und 1913, über maßlose Teuerung geklagt haben. 18 Jahre lang vor dem Kriege, von 1896 bis 1914, waren die Preise sämtlicher Waren unablässig in die Höhe gegangen. Das stand damals noch in frischer Erinnerung. Man wusste also, dass es auch Preissteigerungen gab, die nicht durch den Krieg verursacht waren, und nur letztere sollten ja verhindert werden.

Praktisch stellte sich demnach die Aufgabe für die Behörden so, dass nicht schlechthin jede Preissteigerung verboten werden durfte, sondern nur die „übermäßige“. Man musste die Höchstgrenze so bemessen, dass dem Kleinhandel ein „angemessener Nutzen“ blieb, damit er seine Existenz- und Leistungsfähigkeit nicht verlor. Wer hätte denn so plötzlich an seiner Stelle die Zuteilung der Waren an die einzelnen Konsumenten übernehmen sollen? So sagt denn auch die Begründung zum ersten Höchstpreisgesetz, nicht sämtliche Preissteigerungen seien zu vermeiden, sondern nur solche, „die nicht in der Natur der Verhältnisse begründet sind.“

Aber welche sind das? Da musste man vorerst feststellen, wie „die Natur der Verhältnisse“ auf die Preise einwirkt. Mit anderen Worten: beim allerersten Schritt in die Praxis zeigte sich die Unentbehrlichkeit der Theorie!

Man brauchte eine theoretische Kenntnis darüber, wie die Preise überhaupt zustande kommen, wie die Verhältnisse auf sie und sie auf die Verhältnisse einwirken. Ohne das konnte man auch nicht einen einzigen Schritt zur praktischen Verwirklichung der Höchstpreise tun.

Eine solche Theorie haben denn auch die Behörden zur Grundlage ihrer praktischen Tätigkeit gemacht. Keine neue, die sie erst jetzt durch wissenschaftliche Untersuchungen herausfanden oder von ihren Professoren herausfinden ließen, sondern die alte, bekannte, in der bürgerlichen Nationalökonomie herrschende Theorie von „Angebot und Nachfrage“. Auf die oben gestellte Frage nämlich, welche Preissteigerungen denn nicht „in der Natur der Verhältnisse begründet“ sind, gibt sie Begründung des ersten Höchstpreisgesetzes die Antwort: solche, die eintreten, „auch wenn an sich genügend Vorräte zur Versorgung der Bevölkerung vorhanden sind.“

Die Behörden waren also der Ansicht, dass sich je nach dem Verhältnis zwischen dem Bedarf und den vorhandenen Vorräten irgendein Preis bildet, und dass es ihre Aufgabe nur sei, dafür zu sorgen, dass es bei diesem Preise auch bleibe. „Nicht die wirtschaftlichen Grundtatsachen, die auf den Preis wirken, ausschalten, nicht einen willkürlichen Preis erfinden, sondern vielmehr den richtigen, angemessenen, aus den erreichbaren Vorräten und dem dauernden Bedarf sich ergebenden Preis auffinden,“ so bezeichnet es Professor Thieß, der im Auftrage des Kriegsernährungsamts diese Dinge bearbeitet hat (1).

Wir wissen, dass sämtliche Höchstpreismaßnahmen während des Krieges misslungen sind. Ohne die geringste Unterbrechung sind die Preise höher und höher gestiegen, und nach Beendigung des Krieges hat sich das in der gleichen Weise, sogar in noch schnellerem Tempo fortgesetzt, so dass auch weiterhin die wirtschaftliche Aufgabe der Regierung dieselbe geblieben ist. Auch während der ganzen Revolution standen die Ernährungsminister immer von neuem vor der einen großen Frage, die „richtige“ Höhe der Preise zu finden.

Aus der bloßen Tatsache des Misslingens darf man natürlich nicht schließen, dass die Theorie, auf der die Höchstpreispolitik beruhte, falsch sein muss. Eine an sich richtige Theorie kann falsch aufgefasst, kann in der Praxis falsch angewendet werden; es können äußere Umstände eintreten, die ihre richtige Anwendung oder ihre Wirkung vereiteln. Aus unserer Betrachtung folgt also noch nichts darüber, ob die Theorie der Preisbildung, auf welche die deutschen Behörden sich gestützt haben, richtig oder falsch sei. Aber soviel folgt mit aller Klarheit, dass eine Theorie nötig ist.

Sollen die Aufgaben der praktischen Wirtschaftspolitik gelöst werden, sollen die Maßnahmen, die wir zur Regelung unseres Wirtschaftslebens und damit zur Regelung unseres politischen Lebens überhaupt treffen, irgendeinen Erfolg haben, so muss vorher eine klare Einsicht darüber bestehen, wie die Preise überhaupt zustande kommen, wonach sich ihre Höhe richtet.

Weit nötiger also noch als in Zeiten der Ruhe und des Friedens, brauchen wir gerade in der jetzigen wilden Gärung die national ökonomische Theorie.

2. Vom „richtigen“ und vom „gerechten“ Preis

Welches ist der „richtige“ Preis der Waren? Auch heute noch, genau wie im Kriege, steht die Frage im Mittelpunkt aller wirtschaftspolitischen Maßnahmen und damit im Mittelpunkt aller Politik überhaupt, wenn das auch den meisten Menschen kaum zum Bewusstsein kommt.

Aber ganz unvermerkt hat sich, schon in den wenigen Ausführungen, die wir bisher darüber gemacht haben, an Stelle des „richtigen“ Preises ein anderer Begriff geschoben. Worauf es ankommt, das ist ja schließlich nicht, den „richtigen“ Preis zu finden, wie er sich aus irgendwelchen äußeren Umständen, z.B. aus dem Verhältnis von Angebot und Nachfrage ergibt, sondern vielmehr denjenigen Preis, der allen berechtigten Ansprüchen Genüge tut; denjenigen Preis, bei dem alle Beteiligten bestehen können: der Fabrikant, in dessen Unternehmen die Ware produziert ist, der Arbeiter, der dabei beschäftigt war, der Zwischenhändler, soweit er zum Vertrieb der Ware sozial und wirtschaftlich notwendig ist, und endlich der Käufer. Also nicht den „richtigen“ Preis gilt es zu finden, sondern den „gerechten“ Preis. Das ist die Form, die die Frage in der praktischen Politik annimmt.

Da ist es nun interessant, dass dieses Suchen nach dem „gerechten“ Preis keineswegs erst eine Erscheinung unserer Zeit ist. Schon seit undenklichen Zeiten, ja man kann sagen, schon immer seit es überhaupt Waren und Preise gibt, hat es die denkende Menschheit beschäftigt. Jedoch trat die eben gemachte Unterscheidung nicht immer klar ins Bewusstsein. In unserer deutschen Sprache sind ja die beiden Begriffe „richtig“ und „gerecht“ ganz deutlich unterschieden. Richtig ist etwas Sachliches, etwas Objektives. Z.B. kann man mit den Verfassern des ersten Höchstpreisgesetzes sagen: richtig ist derjenige Preis, der sich aus dem Verhältnis des Bedarfs zu den vorhandenen Vorräten ergibt. Es handelt sich da letzten Endes um ein Rechenexempel. Gerecht dagegen ist etwas Persönliches, etwas Subjektives, etwas, das in unserer Empfindung lebt. Es kann z.B. vorkommen, dass der objektiv ganz richtige Preis, wie er sich aus dem Verhältnis zwischen Bedarf und Vorrat errechnen lässt, so hoch ausfällt, dass die meisten Käufer zu arm sind, um ihn zu erschwingen. Wenn es sich nun dabei um Lebensnotwendigkeiten handelt, so mag der Preis so „richtig“ sein, wie er will, wir werden ihn doch nicht als „gerecht“ empfinden. Ja, in gewissem Sinne entspringt aus diesem Unterschied die ganze Misere unserer Zeit. Eben weil die sachlich vielleicht ganz richtigen Preise als höchst ungerecht empfunden werden, deshalb haben wir die Beschwerden, unter denen wir leiden.

Aber dieser feine Unterschied zwischen den Begriffen „richtig“ und „gerecht“ wird in den romanischen Sprachen nicht gemacht. Im Lateinischen – der Sprache des gebildeten Mittelalters und seiner Wissenschaft – wie im Französischen gibt es für beide Begriffe nur einen und denselben Ausdruck. Lateinisch justum pretium, französisch juste prix, bedeutet sowohl den richtigen als auch den gerechten Preis.

Es kann deshalb nicht Wunder nehmen, dass schon die Forscher des frühen Mittelalters, als sie – auf Grund ihrer Zeitverhältnisse genauso wie wir auf Grund der unsrigen – nach dem justum pretium suchten, dabei die beiden Begriffe durchaus durcheinanderwarfen.

Und das vermischte sich mit einer anderen Schwierigkeit, die auch heute in der nationalökonomischen Wissenschaft noch nicht ganz überwunden ist. Wir werden sie uns am besten durch einen Vergleich mit der viel weiter vorgeschrittenen Naturwissenschaft veranschaulichen können.

Alle Welt ist sich darüber einig, dass auch die Naturwissenschaften – ebenso wie die Nationalökonomie und jede andere Sozialwissenschaft – den Zweck hat, unser Leben zu verbessern und zu verschönern. Wir treiben Mathematik, Physik, Chemie usw., um mit Hilfe dessen, was sie uns lehren, Maschinen zu konstruieren, Brücken zu bauen usw., kurz, uns in der Umwelt besser einrichten zu können, ebenso wie wir Nationalökonomie treiben, um mit Hilfe ihrer Lehren das Wirtschaftsleben zu vervollkommnen. Also die Naturwissenschaften ebenso wie die Nationalökonomie sollen uns Mittel liefern, um das, was bisher gemacht wurde, besser zu machen.

Aber bei der Naturwissenschaft ist sich alle Welt auch darüber einig, dass sie, um ihren Zweck zu erfüllen, nicht etwa Vorschriften austifteln darf, wie die Dinge in der Natur sein sollen, sondern dass sie mit kühler, nüchterner Unparteilichkeit, „voraussetzungslos“, untersuchen muss, wie sie in Wirklichkeit sind. Lachen würde man über einen Chemiker, der etwa, anstatt zu beobachten, wie sich die Stoffe, die er in der Retorte gemischt hat, tatsächlich verhalten, ihnen vorschreiben wollte, wie [sie] sich verhalten sollen.

Das erscheint uns heute selbstverständlich. Trotzdem hat auch die Naturwissenschaft lange Zeit, Jahrhunderte, gebraucht, bis sie sich zu dieser Klarheit durchgerungen hat. In den Sozialwissenschaften (insbesondere Nationalökonomie und Geschichte) fehlt es selbst heute noch vielfach an solcher Klarheit. Selbst heute passiert es sehr sachkundigen und gescheuten [gescheiten?] Fachleuten immer wieder, dass sie an Stelle der Beobachtung dessen, was ist, eine Spintisiererei setzen über das, was sein sollte.

Noch viel mehr verfielen diesem Fehler jene Forscher im frühen Mittelalter, von denen wir soeben sprachen. Was sie suchten, war der „gerechte“ Preis, d.h. derjenige Preis, der die berechtigten Ansprüche aller Beteiligten befriedigte, so dass alle dabei bestehen konnten. Also der Preis, wie er sein sollte. Dazu kann man – genau wie in der Naturwissenschaft – nur gelangen, wenn man zunächst ohne Voreingenommenheit untersucht, wie denn der Preis ist, wie er tatsächlich zustande kommt. Also nur auf dem Umwege über den objektiv „richtigen“ Preis gelangt man zu irgendwelcher Erkenntnis des subjektiv „gerechten“ Preises. Diese Voraussetzungslosigkeit hatte man aber damals, in den Kindheitstagen der Wissenschaft, noch nicht gewonnen – ist man doch vielfach selbst heute noch nicht soweit – und so begegnet es jenen Forschern immer wieder, dass sie Pläne schmieden, wie der Preis in gerechter Weise bemessen werden sollte, anstatt die Umstände zu untersuchen, nach denen er sich tatsächlich bemisst.

Gerade aber weil die Gerechtigkeit eine durchaus subjektive Empfindung ist, kann man sehr verschiedene Ansichten darüber haben, je nach dem Standpunkt, auf den man sich stellt. Bei jedem Kauf sind mindestens zwei Parteien beteiligt, der Käufer und der Verkäufer. Was dem einen gerecht erscheint, braucht es noch lange nicht dem andern. Je nachdem man nun die Sache von der einen oder von der anderen Seite her betrachtet, müssen sich zwei verschiedene Beobachtungsweisen ergeben.

3. Subjektivistische und objektivistische Werttheorie. – Das Gesetz von Angebot und Nachfrage

Sobald in jenen fernen Jahrhunderten der Zustand der Eigenproduktion überwunden war, sobald Austausch und Produktion von Waren zur regelmäßigen Gewohnheit geworden, war die richtige Proportion des Austauschs von größter Wichtigkeit für den Bestand des Gemeinwesens und damit für die Existenz jedes Einzelnen. So sagt z.B. der gelehrte Dominikaner-Mönch Graf von Bollstädt, der von 1193 bis 1280 lebte, mit seinem wissenschaftlichen Namen Albertus Magnus (Albert der Große) genannt (2), der Lehrer und Vorgänger Thomas von Aquinos:

„Das Bestehen des Gemeinwesens beruht auf einem Austausch im richtigen Verhältnis. Ein Gemeinwesen kann nämlich nur dann bestehen, wenn die Bedürfnisse der Bürger befriedigt werden; dies ist aber unmöglich ohne einen derartigen (d. h. im richtigen Verhältnis stehenden) Austausch eines Gegenstandes gegen den andern. Denn keiner kann alle seine Bedürfnisse aus sich selbst befriedigen. Wenn er persönlich Getreide besitzt, so braucht er Schuhe, Wohnung, Bett, und wenn er selbst eine Sache herstellt, so kann er zur Herstellung einer andern keine vollkommene Geschicklichkeit besitzen. Daher bedarf jeder des andern und auf einem derartigen Austausch beruht das Wohl der bürgerlichen Gemeinschaft.“

Die Notwendigkeit des richtigen Verhältnisses, der richtigen Proportion beim Austausch beweist Albertus Magnus wie folgt:

„Der Maurer muss vom Schuhmacher dessen Arbeitsprodukt bekommen und ihm dafür zahlen, was dem Schuhmacher nach gerechter Wiedervergeltung zukommt. Denn nur dann wird Übereinstimmung nach Arbeit und Kosten herrschen. […] Wenn aber bei solchen Tauschverträgen nicht so verfahren wird, so führt diese Nichtbeachtung der proportionellen Gleichheit zur Auflösung der Gemeinschaft, weil keine Wiedervergeltung nach Arbeit und Kosten stattfindet.“

Die Ausdrucksweise ist noch nicht ganz klar, der Verfasser hat sich noch nicht zur völligen Beherrschung des Stoffes aufgeschwungen, aber was er meint, ist wohl zu verstehen, besonders wenn man noch einige spätere Stellen dazu nimmt. Es ist das folgende.

Die Menschen sind gerade wegen der Verschiedenheit ihrer Kenntnisse und Fertigkeiten aufeinander angewiesen. Sie leben im Gemeinwesen zusammen, um sich gegenseitig die Dienste zu leisten, die der Einzelne selbst sich nicht leisten kann.

„Zwei Ärzte bilden nämlich keine Gemeinschaft, wohl aber ein Arzt und ein Landmann; und allgemein gesprochen, kommt eine Gemeinschaft nur zustande aus ganz verschiedenen Handwerkern, die ihren Verrichtungen nach nicht gleich sind.“
Oder an anderer Stelle spricht er von der „Gemeinschaft; wo die Schar der Handwerker füreinander eintritt und dadurch den Bestand der Gemeinschaft ermöglicht.“

Also jeder Einzelne ist mit seiner Existenz darauf angewiesen, dass jeder andere seinen Beruf ausübt und ihm die Dienste und Waren liefert, deren er benötigt. Wenn nun der Austausch ihrer gegenseitigen Produkte und Leistungen nicht in solcher Proportion erfolgt, dass jeder den richtigen Ersatz dessen bekommt, was er gibt, dann ist er nicht imstande, weiter zu liefern und zu leisten, und das ist nicht nur sein Schade, sondern den andern fehlt dann seine Lieferung oder Leistung und die Gemeinschaft kann nicht länger bestehen.

Demnach handelt es sich darum, den richtigen Maßstab für die Proportion des Austauschs zu finden. Und je nachdem nun beim Suchen danach – wie oben bemerkt – der Forscher den Vorgang von der Seite des Käufers oder des Verkäufers betrachtet, müssen zwei verschiedene Anschauungen herauskommen.

Stellen wir uns zunächst auf die Seite des Käufers. Ich gehe in einen Laden und will z.B. einen Hut kaufen. Der Verkäufer nennt einen Preis. Jetzt habe ich zunächst unmittelbar das Gefühl: der Preis ist angemessen oder nicht. Es ist das in den meisten Fällen eine blitzschnelle persönliche Abschätzung, die der Käufer vornimmt, ohne dass er ich überhaupt Rechenschaft darüber ablegt, warum ihm dieser oder jener Preis angemessen erscheint.

Natürlich hat es trotzdem seine Gründe – ohne Grund gibt's nichts auf der Welt – und bei einigem Nachdenken findet man sie schon heraus: ich vergleiche den Preis, den ich zahlen soll, mit dem Nutzen, den ich mir vom Gebrauch des Gegenstandes verspreche. Je nützlicher mir die Ware zu sein scheint, je besser in ihrer Qualität, desto mehr werde ich geneigt sein, dafür zu zahlen. Steigert sich der Nutzen zur dringenden Notwendigkeit, so werde ich noch mehr geben, um die Ware zu kriegen.

Zugrunde liegt also für den Käufer die Befriedigung seines Bedürfnisses. Je dringender dieses Bedürfnis und je geeigneter die Ware zu seiner Befriedigung erscheint, desto höher der Preis, den der Käufer noch als gerecht empfindet, und umgekehrt. Von dieser Seite her gesehen, erscheint also das menschliche Bedürfnis als richtiger Maßstab des Preises. Der Wert der Waren scheint sich nach dem rein subjektiven Moment des menschlichen Bedürfnisses zu richten. Das ist denn auch in der Tat von der einen Richtung der nationalökonomischen Forscher schon seit den frühesten Zeiten behauptet worden. So sagt der durch das Schicksal berühmt gewordene französische Philosoph Jean Buridan (3), der ungefähr von 1300 bis 1360 lebte:

„Die Güte und den Wert einer Sache ermisst man nach dem Zweck, um dessen willen man sie sich verschafft. […] Der natürliche Zweck aber, zu dem die Gerechtigkeit im Austausch die äußeren Gegenstände des Tausches ordnet, ist die Befriedigung eines Bedürfnisses. Wenn ich z.B. ein Bedürfnis nach Getreide und du Wein nötig hast, an dem ich Überfluss habe, dann tausche ich dir den Wein gegen Getreide. Und auf diese Weise ist unser beider Bedürfnis befriedigt, ist also das wahre Maß der Gegenstände des Austauschs. Das Maß der Befriedigung ist aber offenbar bestimmt durch die Größe des Bedürfnisses. Denn die Befriedigung besitzt einen höheren Wert, die ein stärkeres Bedürfnis stillt. So ist z.B. umso mehr Wein zur Füllung eines Fasses nötig, je größer dessen Fassungsfähigkeit und leerer Raum ist. Der Schluss ergibt sich damit.“

Er stützt diese These dann noch durch die weiteren Ausführungen:

„Dasselbe erhellt aus folgendem Beweise: wir sehen nämlich, dass zu der Zeit, wo Mangel an Wein herrscht, derselbe teurer wird, eben weil wir seiner mehr bedürfen. Desgleichen ist der Wein, wo er nicht wächst, teurer als dort, wo er wächst; wieder aus dem Grunde, weil wir dort nach ihm ein stärkeres Bedürfnis empfinden. Und ebenso ist es mit anderen Dingen.“
„Endlich wird beim Tausche der Wert der Tauschgegenstände nicht geschätzt nach dem Wert, der ihnen ihrer natürlichen Rangordnung nach zukommt. Denn dann besäße eine Fliege höheren Wert als das ganze Geld der Welt. Wir schätzen vielmehr danach, dass sie unserem Gebrauche dienen. Und unserem Gebrauch dienen sie nur zur Befriedigung unserer Bedürfnisse.“

Diese Theorie leitet also den Wert, die Höhe des Preises ab aus der rein persönlichen, subjektiven Abschätzung des Käufers. Deshalb nennen wir sie die „subjektivistische Werttheorie“.

Die Einseitigkeit dieser Betrachtungsweise springt in die Augen. Von Seiten des Verkäufers, der doch schließlich auch mit dazu gehört, nehmen sich die Dinge ganz anders aus. Wann wird dem Verkäufer der Preis, den er kriegt, gerecht erscheinen?

Auf den ersten Blick zeigt sich, dass man hier mit der rein subjektiven Abschätzung nicht auskommt. Der Verkäufer hat bei der Berechnung des Preises stets eine sachliche, eine objektive Grundlage, nämlich die Kosten, die ihm selbst die Beschaffung der Ware verursacht hat. Doch nicht nur das, was er selbst dafür gezahlt hat, muss beim Verkauf mindestens wieder herauskommen, sondern noch ein Aufschlag, weil ja darüber hinaus der Verkäufer Mühe, Arbeit und Zeitverlust mit der Ware gehabt hat, sei es nun, dass er die Ware selbst produziert, oder dass er sie vom Produzenten gekauft und herbeigeschafft hat. Für diese Mühe, Arbeit und Zeitverlust beansprucht er eine angemessene Entschädigung. Auch diese Entschädigung bemisst sich nach einer bestimmten objektiven Grundlage, nämlich eben nach der Mühe und Arbeit, die ihm die Ware verursacht hat.

So entstand, neben der oben erwähnten, noch eine andere, eine „objektivistische Werttheorie“, als deren Vertreter wir bereits Albertus Magnus kennen gelernt haben. Denn er verlangt ja (in den oben zitierten Aussprüchen) die Bemessung des Preises so, dass eine „gerechte Wiedervergeltung nach Arbeit und Kosten“ stattfindet. Auch sein Schüler Thomas von Aquino (1225 bis 1274) gehört derselben Richtung an.

Aus diesen verschiedenen Elementen hat sich diejenige Werttheorie herausgebildet, die heute noch in den Universitäten und in der bürgerlichen Nationalökonomie die herrschende ist. Sie ist ein Gemisch aus objektivistischen und subjektivistischen Teilen und besagt im Wesentlichen folgendes.

Der erste Bestimmungsgrund des Preises ist das Bedürfnis des Käufers. Hat ein Gegenstand keinen Gebrauchswert, befriedigt er nicht irgendein Bedürfnis, so hat er überhaupt keinen Wert. Dieses Bedürfnis wirkt aber nicht rein subjektiv, nicht rein nach beliebiger Abschätzung, sondern es hat objektive Unterlagen und Grenzen. Nämlich einerseits die Zahlungsfähigkeit des Käufers; nicht das Bedürfnis an sich wirkt auf den Preis, sondern nur das kaufkräftige Bedürfnis. Was der Käufer für die Ware geben will, das schätzt er subjektiv ab, aber nicht allein nach der Größe und Dringlichkeit seines Bedürfnisses, sondern auch nach der Größe seiner Einkünfte oder seines Vermögens, kurz nach der Menge Geld, die ihm zur Verfügung steht. Das ist die Nachfrage.

Ihr gegenüber steht die Preisforderung des Verkäufers. Sie hat von vornherein eine objektive Unterlage in der Erstattung der Selbstkosten nebst einem angemessenen Gewinn. Höchstens darüber hinaus, für einen etwaigen Sonderaufschlag findet beim Verkäufer eine rein subjektive Abschätzung statt. Das ist das Angebot.

Damit sind zwei Grenzen gegeben, oben das Höchstmaß dessen, was der Käufer nach Maßgabe seines Bedürfnisses und seiner Zahlungsfähigkeit zu geben geneigt ist, unten die Selbstkosten des Verkäufers plus angemessenen Gewinn. Zwischen diesen beiden Grenzen pendelt der tatsächlich gezahlte Preis hin und her nach Maßgabe des Verhältnisses von Angebot und Nachfrage. Damit ist das Verhältnis zwischen Angebot und Nachfrage zum tatsächlichen Regulator und Bestimmungsgrund der Preise erklärt, und das ist auch die Meinung der heute herrschenden Richtung in der bürgerlichen Nationalökonomie.

„Der bei freier Konkurrenz sich bildende Marktpreis einer Ware hängt unzweifelhaft von dem Verhältnis der Nachfrage zum Angebot ab, und man kann im allgemeinen sagen, dass der Preis steigt, wenn die Nachfrage in stärkerem Verhältnis wächst als das Angebot, und dass er fällt, wenn umgekehrt das Angebot stärker zunimmt als die Nachfrage.“

So Professor Lexis im „Wörterbuch der Volkswirtschaft“. (Band 2, S. 646.)

4. Unzulänglichkeit des Gesetzes von Angebot und Nachfrage

In seiner vollständigen Form besagt das Gesetz von Angebot und Nachfrage folgendes:

Wenn von irgendeiner Ware mehr angeboten als verlangt wird, so müssen die Verkäufer, um nicht mit ihrem Vorrat sitzen zu bleiben, den Preis ermäßigen; die Konkurrenz, die sie sich gegenseitig machen, zwingt sie dazu. – Infolge der Verbilligung der Preise nimmt aber die Zahl der Käufer zu, denn je billiger eine Ware zu haben ist, desto größer die Zahl der Personen, die sie sich kaufen können und auch wirklich kaufen. Andererseits nimmt das Angebot ebenso allmählich ab. Denn je billiger die Ware, desto geringer der Vorteil des Verkäufers. Schließlich würde ein Preis erreicht, wo das Angebot überhaupt aufhört, weil er dem Verkäufer gar keinen Vorteil mehr lässt.

Somit ist eine vollständige Umkehrung in dem Verhältnis von Angebot und Nachfrage eingetreten: Das Angebot ist jetzt gering oder hört sogar gänzlich auf, die Nachfrage ist groß. Infolgedessen beginnt der Preis wieder zu steigen. Die Konkurrenz wirkt jetzt unter den Käufern; sie müssen sich gegenseitig im Preise überbieten, um die wenigen vorhandenen Waren an sich zu ziehen. Bei steigendem Preise lohnt das Geschäft wieder, mithin beginnt das Angebot von neuem und wird immer stärker, je mehrt der Preis steigt. Hand in Hand damit geht ein Nachlassen der Nachfrage, denn je teurer eine Ware, desto geringer die Zahl der Personen, die sie sich kaufen können. So wird das Verhältnis zwischen Angebot und Nachfrage wieder umgekehrt, und so fort. Das Verhältnis zwischen Angebot und Nachfrage gilt also nicht nur als Bestimmungsgrund der Preise, sondern zugleich als deren Regulator: es verhindert sie selbsttätig, allzu hoch zu steigen oder allzu tief zu sinken.

Das gehört wesentlich mit zum Gesetz von Angebot und Nachfrage, und es macht daraus gewissermaßen die oberste, ausschlaggebende Instanz im gesamten Wirtschaftsleben. Nach dieser Anschauung heilt es alle wirtschaftlichen Schäden sozusagen von selbst, und die Menschen haben nur nötig, dem natürlichen Spiel von Angebot und Nachfrage freien Lauf zu lassen. Nicht nur jede Bewegung der Preise, sondern auch alle anderen Wirtschaftsvorgänge, jede Absatzstockung, jede übermäßige Produktionsvermehrung, jede Veränderung der Valuta usw. usw. muss an irgendeinem Punkte von selbst zur Umkehr kommen, weil Angebot und Nachfrage sich gedreht haben. Daher die außerordentliche Bedeutung, die allgemein, in der Tagespresse wie in der Fachwissenschaft dem Gesetz von Angebot und Nachfrage beigemessen wird.

Es erscheint indessen zweifelhaft, ob die wirklichen Vorgänge im Wirtschaftsleben mit diesem schönen Schema übereinstimmen. Zum Beispiel könnte eine länger andauernde Abweichung der Preise nach oben oder nach unten, eine Teuerung, die sich über ein Jahrzehnt und länger erstreckt, gar nicht möglich sein, wenn das Verhältnis von Angebot und Nachfrage sie stets selbsttätig korrigiert. Tatsächlich sind aber in Deutschland in den 18 Jahren von 1896 bis 1914 sämtliche Preise unablässig und in beträchtlichem Maße gestiegen. Soll angesichts dessen das Gesetz von Angebot und Nachfrage dennoch richtig sein, so würde das voraussetzen, dass trotz gestiegener Preise die kaufkräftige Nachfrage nicht nur nicht nachgelassen hat, sondern noch gewachsen ist. Dies würde bedeuten, dass die Einkünfte der großen Volksmassen noch schneller gestiegen seien als die Preise, was offensichtlich nicht zutrifft; denn dann hätten sich die Leute bei der Teuerung sehr wohl befunden und nicht andauernd darüber geklagt. Auch sonst, wenn man die wirkliche Bewegung der Preise nicht innerhalb kurzer Fristen, sondern über große Zeiträume hinweg verfolgt, z.B. während der hundert Jahre von 1816 bis 1914, passt ihr Verhalten ganz und gar nicht zu dem Gesetz von Angebot und Nachfrage. (4)

Aber auch rein theoretisch, bei streng logischem Durchdenken der Sache stellen sich dem Gesetz von Angebot und Nachfrage schwere Bedenken entgegen. Wenn die Preise sich nach einem so schönen glatten Schema immer auf und ab bewegen, wenn heute, weil das Angebot stark überwiegt, der Preis einer Ware sehr niedrig ist, wenn er dann, entsprechend dem nachlassenden Angebot, allmählich steigt, bis das umgekehrte Verhältnis der beiden ihn wieder zum Sinken bringt, dann muss doch irgendwo und irgendwann der Punkt erreicht werden, wo Nachfrage und Angebot sich gerade decken, d. h. wo von der Ware genau so viel angeboten wie verlangt wird. Oder vielmehr, dieser Fall muss sehr oft eintreten, bei jedem Hinauf- und Hinabgleiten der Preise einmal. Hier hören doch Nachfrage und Angebot auf, irgendetwas zu erklären. Wonach richtet sich dann der Preis?

Mit anderen Worten: genauere Überlegung zeigt, dass die Preise um einen Mittelpunkt herum schwanken, von dem sie sich – in normalen Zeiten – nicht allzu weit entfernen. Diese Schwankungen sind durch das Spiel von Angebot und Nachfrage veranlasst. Wenn eine goldene Uhr regulär 350 Mark kostet, kann sich der Preis bei starker Nachfrage erhöhen, auf 360, 370, 380 Mark, vielleicht gar auf 400 Mark. Aber über irgendeine gewisse Grenze hinaus geht er nicht.

Niemals wird er die Höhe von 10 000, von 100 000 Mark, von einer Million erreichen. Bei sinkender Nachfrage und starkem Angebot wird die Uhr billiger zu haben sein, für 340, 330, vielleicht für 300 Mark, aber niemals für 1 Mark oder für 50 Pfennig. Die Schwankungen des Preises um den Mittelpunkt herum sind durch Angebot und Nachfrage erklärt, aber nicht der Mittelpunkt selbst. Und auf den gerade kommt's an! Derselbe Wechsel im Verhältnis von Angebot und Nachfrage, der den Preis der Uhr von 350 auf 360 Mark treibt, würde ihn auch von 10 000 auf 10 010 Mark treiben. Warum bleiben die Schwankungen (im angenommenen Beispiel) immer in der Nähe von 350 Mark, warum nicht in der Nähe von 10 000 oder 100 000 oder sonst einer beliebigen Zahl? Das ist die Frage, die es zu lösen gilt.

Hierbei helfen offenbar Angebot und Nachfrage gar nichts. Oder vielmehr, sie stören sogar. Sie verdecken und verschleiern den Tatbestand. Die Preise, die von einem zum andern Tage für gleichartige Waren bezahlt werden, bieten infolge des Spiels von Angebot und Nachfrage eine verwirrende Fülle und Mannigfaltigkeit. Durch sie muss man erst wie durch einen Nebelschleier hindurchdringen, um zu erkennen, welches denn eigentlich derjenige Preis sei, den es zu erklären gilt. Aus einer langen Reihe wirklich gezahlter Preise muss man den Durchschnitt errechnen; denjenigen Stand des Preises muss man heraussuchen, wo Angebot und Nachfrage sich decken und deshalb ihre Wirkung gegenseitig aufheben. Und wenn ein solcher Stand in der Wirklichkeit niemals eintritt, muss man ihn sich errechnen, sich ausdenken, fingieren. Das heißt, man muss zuerst tun, womit alle wissenschaftliche Arbeit beginnt: die Abstraktion. Man muss von Angebot und Nachfrage abstrahieren (absehen), man muss sich ihre Wirkung wegdenken. Dann erst bekommen wir das Problem in der Form zu sehen, die erlaubt, ihm auf den Leib zu rücken (5).

5. Selbstkosten plus Profit

Diesen Schwierigkeiten glaubt die vulgärökonomische Theorie zu begegnen, indem sie als sozusagen „natürlichen“ Preis, als festen Punkt für die alltäglichen Preisschwankungen diejenige Summe hinstellt, die sich ergibt, wenn der Fabrikant einer Ware seine Selbstkosten zusammenrechnet und auf diese einen angemessenen Gewinn aufschlägt. So schreibt z.B. der schon genannte Professor Lexis (im „Wörterbuch der Volkswirtschaft“ Band 2, Seite 647):

„Hier kommen nun die Produktionskosten als Bestimmungsgrund des Preises […] in Frage. Diese Kosten schließen alle Aufwendungen ein, die nötig sind, um die Ware auf dem Markte zur Verfügung des Käufers zu stellen, also auch die Transport- und Handelskosten. Sie setzen sich in letzter Instanz zusammen aus den Materialkosten für die Herstellung und Bewegung der Waren, bezahlten Löhnen (nebst den Vergütungen für die selbst mitarbeitenden Unternehmer) und dem Gewinn des an Produktion und Handel beteiligten Kapitals (Zins und Unternehmergewinn).“

Man sieht, dass hier das Wort „Produktionskosten“ nicht in seinem eigentlichen Sinne genommen ist als das, was die Produktion der Ware kostet, sondern dass da schon verschiedene andere Beträge mitgerechnet sind, nämlich eine Vergütung für die Tätigkeit des Unternehmers und darüber hinaus sogar noch zweierlei Kapitalgewinn: einmal der Gewinn des Unternehmers – also außer seiner Arbeitsvergütung – und zweitens die Zinsen, die er dem Kapitalbesitzer zahlen muss, falls er mit geliehenem Kapital arbeitet, oder die er sich selbst in Anrechnung bringt, falls das Kapital ihm gehört.

Doch auf den Namen kommts ja schließlich nicht an. Als fester Punkt in dem Durcheinander der täglich hin und herwogenden Preise, als Durchschnitt, um den sie infolge des Spiels von Angebot und Nachfrage auf und ab schwanken, gilt hier jedenfalls der Betrag der Selbstkosten vermehrt um die Aufschläge, welche der kapitalistische Unternehmer üblicher Weise darauf zu rechnen pflegt. In der Tat kommen ja so die Preise in der alltäglichen Kalkulation der Fabrikanten und Händler zustande.

Indessen bedarf es nicht eben großen Nachdenkens, um einzusehen, dass hier die allerwichtigsten Dinge unbeantwortet bleiben. Man kann sich zur Not vorstellen, dass die Herstellungskosten (im eigentlichen Sinne) eine bestimmte Summe ausmachen: soviel kostet das Material, so viel muss auf Abnutzung von Maschinen, Werkzeugen und Baulichkeiten verrechnet werden, so viel betragen die Arbeitslöhne. Aber wie hoch ist der Zins und wie hoch der Unternehmergewinn? Nach welchen Regeln bestimmen sie sich? Sie haben bekanntlich in verschiedenen Gewerbszweigen verschiedene Höhe. Warum gilt in dem einen Zweige gerade dieser Prozentsatz als „angemessen“ und dem anderen jener? Solange wir das nicht wissen, ist offenbar die Frage der Preisbildung noch nicht gelöst. Denn bei einem anderen Prozentsatz des Zinses und des Unternehmergewinns fällt der Preis ganz anders aus.

Auf alle diese Fragen weiß die vulgäre Nationalökonomie überhaupt nichts zu antworten. Professor Lexis schreibt weiter (S. 648):

„Für den Kapitalzins bildet sich unter Voraussetzung voller Sicherheit der Anlage ein leicht erkennbarer Normalsatz.“

Es „bildet sich“! Wir wollen doch aber gerade wissen, wie und warum er sich bildet. – Weiter:

„Der Kapitalgewinn aber […] muss zwar im Allgemeinen als höher angenommen werden als der normale Zins, aber es lässt sich nicht mit Bestimmtheit sagen, welches seine übliche Höhe zu einer gegebenen Zeit sei, und man muss sich mit einer Durchschnittsschätzung begnügen. Tatsächlich wird er in vielen Fällen unter diesem Durchschnitt bleiben, manchmal auch den normalen Zins nicht erreichen und zuweilen sogar auf oder unter Null sinken. Überhaupt ist der Satz von der Preisbestimmung durch die Produktionskosten nicht auf den einzelnen Fall anwendbar, sondern er kommt nur in der Gesamtheit der Marktvorgänge mit fortwährenden Schwankungen im Durchschnitt zur Geltung.“

Machen wir uns an einem zahlenmäßigen Beispiel klar, was diese Worte bedeuten. Ein Unternehmer muss für die Herstellung einer Ware alles in allem 50 M. aufbringen; Kapitalzinsen hat er 4 Prozent zu zahlen, das macht 2 M.; eigenen Gewinn will er, nach dem in seiner Branche üblichen Satz, 7 Prozent haben, macht 3.50 M. Die Ware wird also im Verkauf 55,50 M. kosten. Das heißt, sagt Professor Lexis, das mit den 3,50 M. ist nicht so sicher; der Unternehmergewinn kann größer sein, er kann auch kleiner sein, er kann sogar auf oder unter Null sinken. Mit anderen Worten: die Ware kann 55,50 M. kosten, sie kann auch mehr, sie kann auch weniger kosten. Überhaupt kann ich vorher nichts darüber sagen, wie hoch der Unternehmergewinn sein wird; erst hinterher, wenn soundso viel Waren verkauft sind, kann ich den Durchschnitt ziehen, wie hoch der Unternehmergewinn ausgefallen ist!

Sind wir durch solch Gerede auch nur einen einzigen Schritt weitergekommen? Sind wir im Geringsten gefördert in der Erkenntnis der Entstehung des Preises? Oder wäre es nicht weit einfacher und zugleich würdiger, wenn man, anstatt einen solchen Schwall von Worten zu machen, auf unsere Frage klipp und klar antwortete: ich weiß es nicht?

Doch es kommt noch besser. Wir haben in unserm Beispiel angenommen, dass die Herstellungskosten der Ware 50 M. betragen. Aber wie sind denn die zusammengekommen? Es stecken darin zum Beispiel die Kosten des Rohmaterials, sagen wir 30 M. Der Unternehmer hat also 30 M. etwa für ein bestimmtes Quantum Baumwolle bezahlt. Und warum gerade 30 M.? Weil der Verkäufer der Baumwolle auf seine Selbstkosten ebenfalls den „üblichen“ Kapitalzins und den „angemessenen“ Unternehmergewinn aufgeschlagen hat. Und dasselbe gilt für die Maschinen und Werkzeuge, für die Hilfsstoffe usw., kurz für den größten Teil der Summe von 50 M. Mit anderen Worten: diese 50 M., die uns als sicherer Ausgangspunkt dienten zur Erklärung des Preises, sind selbst nichts weniger als sicher, sondern der Erklärung bedürftig.

Und endlich sagt Professor Lexis, dass für die Kleinhandelspreise, auf die es doch in letzter Linie ankommt, seine gelehrten Auseinandersetzungen überhaupt nicht passen:

„Im Laden steht der Käufer nur einem einzigen Verkäufer gegenüber, und aus Bequemlichkeit zahlt er oft lieber einen höheren Preis, als dass er in mehreren Geschäften nach dem billigsten Preis sucht. Auch wirken Gewohnheit, Mode und Standesrücksichten und andere persönliche Momente auf das Verhalten des Käufers ein. Der Detailverkäufer andererseits übernimmt zugleich eine persönliche Dienstleistung, die er sich in Anrechnung bringt, und zwar mit Rücksicht auf die soziale Stellung seiner Kundschaft.“

Demnach wirken also die Herstellungskosten, der Kapitalzins und der Unternehmergewinn, die uns oben als die Faktoren der Preisbildung genannt wurden, beim Kleinhandelspreis gar nicht oder doch nur in ganz untergeordnetem Maße mit. Man denke nur, was das für den praktischen Fall besagen will. Schweinefleisch, Rindfleisch, Roggenbrot sind teurer und immer teurer geworden. Natürlich interessiert den Käufer nur ihre Verteuerung im Kleinhandel; die Vorgänge im Großhandel könnten ihm gleichgültig bleiben, wenn sie nicht auf die Detailpreise einwirkten. Die Detailpreise aber, so lehrt die vulgäre Nationalökonomie, sind von so viel einzelnen Rücksichten abhängig, dass sich ihre Entstehung überhaupt nicht erklären lässt! Denn das und nichts anderes ist doch der Sinn der Ausführungen von Lexis über die Detailpreise. Das heißt also: auf eine Erklärung der Entstehung der Detailpreise – und damit auf die Aufhellung der Ursachen der Preisbildung – müssen wir verzichten!

Unwillkürlich wird man da an ein treffendes Gleichnis erinnert, das Genosse Pannekoek einst in der „Neuen Zeit“ wie folgt verwendet hat: „Wenn man eine Erscheinung untersucht und man kommt zu dem Ergebnis, dass sie bald so, bald anders stattfindet und völlig unberechenbar ist, so beweist das bloß, dass man die wirkliche Ursache, die sie beherrscht, nicht gefunden hat. Wenn jemand zum Beispiel nach einer Betrachtung der Monderscheinungen das Ergebnis seiner Untersuchungen dahin zusammenfasst, dass der Mond bald im Nordosten, bald im Süden, bald im Westen steht, ganz regellos und unberechenbar, dann wird jeder mit Recht sagen, dass die Untersuchung resultatlos geblieben ist, aber nicht, dass es eine regelnde Ursache für die Erscheinungen des Mondes nicht gibt.“

6. Die Durchschnittsprofitrate

Wir haben gesehen: Angebot und Nachfrage erklären nur die Schwankungen um den mittleren, den sogenannten „natürlichen“ Preis herum, aber nicht diesen selbst.

Der „natürliche“ Preis setzt sich zusammen aus Selbstkosten plus Profit.

Der Profit seinerseits besteht aus zwei Teilen, Kapitalzins plus Unternehmergewinn.

Über deren Höhe aber, bzw. über ihre Entstehungsgründe weiß die vulgäre Nationalökonomie absolut nichts auszusagen.

Darin liegt, dass sie auch über die Höhe der Selbstkosten nichts zu sagen weiß. Denn in den Selbstkosten steckt stets auch schon Zins plus Unternehmergewinn.

Beim Fabrikanten setzen sich die Selbstkosten zusammen aus:
dem Preis der Materialien (Rohstoffe, Hilfsstoffe),
dem Preis der Maschinen, Geräte, Gebäude (so viel davon abgenutzt wird),
dem Arbeitslohn.

Fangen wir beim letzten an, beim Arbeitslohn, so ist die Frage: warum hat er gerade die bestimmte Höhe, die der Fabrikant bezahlen muss? Denn wenn er eine andere Höhe hätte, 3 Mark z.B. die Stunde statt 6, so wäre auch die Höhe der Selbstkosten anders und damit zugleich, nach obiger Berechnungsweise, der Preis. Warum also ist der Arbeitslohn gerade so hoch und nicht anders?

Die Antwort scheint einfach: Mindestens muss der Arbeiter so viel kriegen, dass er mit seiner Familie davon leben kann; darüber hinaus mögen dann Angebot und Nachfrage den Arbeitslohn regeln. Wenn also z.B. im Juli 1914 die Nahrungsmittel für eine kleine Familie 25 Mark, und das sonst Unentbehrliche 10 Mark pro Woche kostete, so waren damals 35 Mark die Mindestgrenze, die der Wochenlohn erreichen musste.

Mit anderen Worten: er richtet sich nach den Preisen der Lebensmittel, der zum Lebensunterhalt notwendigen Waren.

Warum aber sind die gerade so hoch? In den 25 Mark stecken vielleicht 10 Brote zu 50 Pfg., zusammen 5 Mark für Brot. In diesen 50 Pfg. steckt Profit des Bäckers. Und in dem Preis des Fleischers, das die Arbeiterfamilie verzehrt, steckt Profit des Fleisches, in den Kleidern Profit von Webereien und Spinnereien. Kurzum, der Arbeitslohn hat seine bestimmte Höhe deshalb erreicht, weil die Preise all der Waren, die der Arbeiter kaufen muss, sich zusammensetzen aus Selbstkosten plus Profit. Weiß ich nicht, weshalb der in den Unterhaltsmitteln enthaltene Profit gerade diese bestimmte Höhe hat, so kann ich auch die Höhe des Arbeitslohnes nicht erklären und folglich auch nicht die Höhe der Selbstkosten.

Es ist nicht nötig, erst noch besonders nachzuweisen, dass dies für die Materialien und Geräte genau ebenso ist. Auch in den für sie bezahlten Preisen stecken Selbstkosten plus Profit.

Vielleicht lichtet sich das Dunkel, wenn wir bis auf die ursprüngliche Produktion zurückgehen? Irgendwo und irgendwann muss ja die Produktion einmal anfangen. Die Kohle, die noch unberührt in der Erde Tiefen schlummert, der Baum noch ungebrochen im Urwald, kostet ja nichts. Rohstoffe sind jedenfalls zu ihrer Produktion nicht nötig, sie liefern den Stoff selbst. Die Kosten beginnen erst in dem Augenblick, wo Arbeit an sie gesetzt wird.

Aber wenn auch z.B. in die Kalkulation des Kapitalisten, der aus dem Urwald Mahagonistämme schlagen und herausholen lässt, keine Kosten für Rohstoffe eingehen, so doch sehr bedeutende Kosten für Arbeitsmittel, Maschinen, Werkzeuge, Fuhrwerk, durch Tiere oder durch Naturkräfte bewegt, und für Arbeitslöhne. Und wir haben gesehen, dass in beiden sich Profit befindet.

Es bleibt also dabei: ehe wir nicht die Entstehung und die Höhe des Profits erklärt haben, bleibt auch der Preis unerklärbar.

Dazu kommt jedoch noch eine andere Schwierigkeit, und das ist die Tatsache des Durchschnittsprofits.

Wir fanden oben keinen vernünftigen Grund dafür, warum der Verkäufer auf 50 Mark Selbstkosten gerade 11 Prozent aufschlägt. Doch wussten wir bereits und arbeiteten auch mit dieser Kenntnis, dass dies keinesfalls in seinem schrankenlosen Belieben steht. Vielmehr gibt es in jeder Branche einen „üblichen“ Profitsatz, der allgemein als „angemessen“ gilt. Er ist in den verschiedenen Branchen verschieden hoch, und ihn zu kennen, gehört zum Handwerkszeug des Kaufmannes. Natürlich versucht jeder im einzelnen Fall, je nach der Gunst der augenblicklichen Umstände, mehr herauszuschlagen. Doch liegt auf der Hand, dass innerhalb der Branche der gesamte Profit, den das einzelne Unternehmen macht, sich zwar nicht mathematisch genau, aber doch annähernd mit den Profiten aller Konkurrenten ausgleichen muss. Dafür sorgen Angebot und Nachfrage. Einem Unternehmen, das besonders hohe Preise nimmt, würden die Konkurrenten bald durch Unterbietung die Kunden wegfangen.

Also dass innerhalb jeder Branche die Profitrate (d.h. der Prozentsatz des Profits) für alle Unternehmungen annähernd gleich ist. darüber herrscht kein Streit. Daraus folgt dann aber schon, dass es nicht die subjektive Willkür des einzelnen Unternehmers ist, die die Höhe seines Profits und damit die Höhe des Preises seiner Waren bestimmt. Sondern es ist etwas Objektives, außer ihm Vorhandenes da, der Durchschnittsprofit. Den muss er kennen und danach muss er sich richten, wenn er mit seinem Geschäft bestehen will. Durch welche Macht der Erde dieser Durchschnittsprofit bestimmt wird – er weiß es nicht.

Das ist aber noch nicht alles. Auch die verschiedenen Branchen können in ihren Profiten nicht allzu weit voneinander abweichen, aus denselben Gründen der Konkurrenz, die auch innerhalb jeder einzelnen Branche walten. Auch für die verschiedenen Branchen, das heißt also für die gesamten Unternehmungen eines Wirtschaftsgebietes besteht eine annähernd gleiche Durchschnittsprofitrate, die den Profit so verteilt, dass auf jedes Kapital annähernd derselbe Prozentsatz Profit entfällt.

Diese Tatsache ist für die Vulgärökonomie außerordentlich unbequem. Denn es liegt auf der Hand, dass sie deren ganze Preiserklärung mit einem Schlage umwirft. Wenn der Profit, den ein bestimmtes Unternehmen macht, nur in kleinen Grenzen durch die Tätigkeit des Unternehmers hinauf- oder hinabgetrieben werden kann, in der Hauptsache aber abhängt von der Größe des Kapitals, so zwar, dass auf jede 100 Mark Kapital fast genau derselbe Betrag an Profit entfällt, gleichgültig in welchem Unternehmen das Kapital angelegt ist und welcher Unternehmer es leitet, wenn also der Profit jedes einzelnen Unternehmens der Durchschnitt ist irgendeines Gesamtbetrages, dann folgt daraus, dass dieser Gesamtbetrag objektiv und unabhängig von dem Einzelunternehmen vorhanden sein muss. Dann aber kann keine Rede davon sein, dass der Preis einer Ware etwa dadurch entsteht, dass der einzelne Unternehmer seine Selbstkosten zusammenaddiert und hinterher mehr oder minder nach Belieben seinen Profit draufschlägt. Sondern dann ist der Unternehmer offenbar in seiner Kalkulation gebunden an eine bestimmte Menge Profit, die schon vorher und unabhängig von ihm vorhanden ist, auch wenn er nichts von diesem Zusammenhang weiß.

Die bloße Existenz des Durchschnittsprofits versetzt also den Lehren der Vulgärökonomie den Todesstoß. Wie hilft sie sich dagegen? – Sie leugnet ihn einfach ab. Und das fällt ihr auch nicht allzu schwer. Denn in der alltäglichen Praxis sieht und hört man nichts von ihm. Darin aber besteht gerade das Wesen der Vulgärökonomie, dass sie nur die alleroberflächlichsten Vorgänge des Wirtschaftslebens aufzählt und beschreibt. (6) Was nicht auf den allerersten Blick sichtbar wird, existiert nicht für sie. Auf den ersten Blick aber erscheinen die Profitraten der verschiedenen Branchen außerordentlich verschieden. In der einen sind 25 Prozent „üblich“, in der anderen 35, hier 60 und dort 75. Das sieht der Vulgärökonom. Was er aber nicht sieht, ist, dass diese Sätze nur zu dem Zweck so verschieden sind, um nach Abzug der höchst verschiedenen Generalunkosten einen annähernd gleichen Nettoprofit übrig zu lassen. So bekommt es z.B. Professor Kleinwächter von der Universität Czernowitz fertig schreiben: (7)

„Will man etwa allen Ernstes behaupten, dass beispielsweise in Bosnien jedes Kaffeehaus den gleichen Gewinn (den gleichen Prozentsatz) abwerfen muss wie ein dortiges Elektrizitätswerk?“

Demgegenüber ist es ein wahres Labsal, zu hören, wie die großen Forscher im Bereich des Wirtschaftslebens die Sache betrachtet haben, diejenigen, die sich nicht mit Herumplätschern an der Oberfläche begnügten, sondern die Zusammenhänge wirklich zu ergründen suchten, die deshalb Großes geleistet haben, und die ein jeder, ob er mit ihren Ergebnissen einverstanden sei oder nicht, als die Klassiker im Bereich unserer Wissenschaft verehrt.

David Ricardo, der von 1772 bis 1823 in London lebte, von Beruf praktischer Bankier war und sich durch seine national- ökonomischen Forschungen einen unsterblichen Namen gemacht hat, schreibt darüber: (8)

„Im gewöhnlichen Verlauf der Dinge gibt es keine Ware, die für längere Zeit genau in derjenigen Menge geliefert wird, welche die Bedürfnisse und Wünsche der Menschen erfordern; und deshalb gibt es keine, die nicht zufälligen und vorübergehenden Preisveränderungen unterworfen wäre.“
„Nur infolge solcher Veränderungen passt sich das Kapital genau in der erforderlichen und keiner größeren Menge der Produktion der verschiedenen Waren an, die gerade verlangt werden. Mit dem Steigen oder Fallen der Preise werden die Profite über ihren allgemeinen Gleichgewichtsstand erhoben oder darunter herabgedrückt, was zur Folge hat, dass Kapital entweder in die Branche, in der die Veränderung eingetreten ist, hinein- oder aus ihr herausströmt.“
„Solange es jedermann freisteht, sein Kapital anzulegen, wo es ihm gefällt, wird er natürlich die vorteilhafteste Anlage dafür suchen, er wird natürlich nicht mit 10 Prozent Profit zufrieden sein, wenn er durch Zurückziehung seines Kapitals 15 Prozent erzielen kann. Dieses rastlose Begehren aller Kapitalbesitzer, ein weniger einträgliches Geschäft zugunsten eines vorteilhafteren zu verlassen, hat eine starke Tendenz, die Profitrate für alle auszugleichen, oder sie in solchen Verhältnissen festzusetzen, dass sich nach der Schätzung der Beteiligten ein Vorteil, welchen einer vor dem andern voraus hat oder zu haben scheint, ausgleicht. Es ist vielleicht sehr schwer, die Schritte zu verfolgen, wodurch dieser Wechsel bewirkt wird: wahrscheinlich wird er nicht so bewirkt, dass ein Unternehmer ganz und gar seinen Gewerbszweig wechselt, sondern nur so, dass er die Größe des Kapitals vermindert, welches er im Geschäft stecken hat. In allen reichen Ländern gibt es eine Anzahl Menschen, welche die Klasse der Geldbesitzer bilden; diese betreiben kein Gewerbe, sondern leben von den Zinsen ihres Geldes, welches in Wechselgeschäften oder in Darlehen an den betriebsameren Teil des Gemeinwesens angelegt ist. Auch die Bankiers verwenden ein großes Kapital auf die gleiche Weise. Dieses so verwandte Kapital bildet ein umlaufendes Kapital von großem Betrage und wird in größeren oder kleineren Anteilen von allen verschiedenen Gewerben des Landes angewendet. Es gibt vielleicht keinen Fabrikanten, selbst unter den Reichen, der sein Geschäft nur so weit ausdehnt, wie es seine eigenen Mittel erlauben, stets hat er einen Teil dieses umlaufenden Kapitals, der zu- oder abnimmt, je nach der Lebhaftigkeit der Nachfrage nach seinen Waren. Nimmt die Nachfrage nach Seide zu, während die Nachfrage nach Tuch sinkt, so geht der Tuchmacher nicht gerade mit seinem Kapital zur Seidenbranche über, aber er entlässt einen Teil seiner Arbeiter, er unterbricht seine Geldaufnahme bei Bankiers und Geldbesitzern; beim Seidenfabrikanten geht zugleich das Umgekehrte vor sich: er wünscht mehr Arbeiter einzustellen, und hat so Anlass, mehr zu borgen; er borgt mehr, und auf diese Weise wird Kapital von einer Branche in die andere übertragen, ohne dass darum ein Fabrikant seine gewohnte Beschäftigung aufzugeben braucht.“

Hier ist der Vorgang der Ausgleichung der Profitrate mit so plastischer Klarheit dargestellt, dass man nun ohne weiteres versteht, warum eine wesentliche Abweichung des Nettoprofits in den verschiedenen Branchen gar nicht stattfinden kann. Nur so ist es ja auch erklärlich, dass – wie schon Adam Smith bemerkt hat (9) – der Kapitalgewinn „sich lediglich nach dem Werte des aufgewendeten Kapitals richtet und je nach dem Umfang dieses Kapitals größer oder geringer ist“. Es bleibt schon dabei: jede 100 Mark angewendetes Kapital bringen ihrem Besitzer annähernd denselben Profit, ganz gleich, wo und wie dieses Kapital angelegt ist. Eine allgemeine, gleiche Durchschnittsprofitrate für sämtliche Branchen ist tatsächlich vorhanden.

7. Übergang zum Wert aus Arbeit

Der Profit entsteht nicht – wie es auf den ersten Blick aussieht – indem der Fabrikant einer Ware auf seine Selbstkosten einen beliebig hohen Betrag aufschlägt, sondern er kann nichts anderes aufschlagen, als den in seiner Branche „üblichen“ Prozentsatz. Dieser wird ohne sein Zutun bestimmt durch fremde, außer ihm waltende, ihm unbekannte Mächte. Er ist so bemessen, dass, nach Abzug der – in jeder Branche verschiedenen – Generalunkosten, für jedes Kapital annähernd der gleiche Nettoprofit übrigbleibt. 100 Mark Kapital des einen Unternehmens bringen im gleichen Zeitraum annähernd denselben Nettoprofit wie irgendwelche 100 Mark Kapital eines beliebigen anderen Unternehmens. Das sind die Tatsachen des Durchschnittsprofits.

Aus diesen Tatsachen ergibt sich mit zwingender Notwendigkeit der Schluss, dass der Profit jedes einzelnen Unternehmens der prozentual gleiche Anteil einer schon vor der Preiskalkulation vorhandenen Profitmenge ist. Es muss unabhängig von den Fabrikanten und ihren Wünschen ein gewisses Quantum Wert vorhanden sein, in das sie sich nach Maßgabe der Größe ihrer Kapitalien teilen. Der Profit ist etwas objektiv Vorhandenes, das nicht erst durch die Kalkulation, den Preisaufschlag, das Profitbegehren der kapitalistischen Unternehmer geschaffen wird.

Nun aber bleibt nichtsdestoweniger wahr, dass der Preis jeder einzelnen Ware gewissermaßen vor unseren Augen sich bildet, indem der Fabrikant zu seinen Selbstkosten den auf ihn entfallenden Profit addiert. Die Selbstkosten sind ohnehin eine objektiv vorhandene Größe, zu der der Fabrikant wenig oder nichts tun kann. Die Waren, die er zu seiner Fabrikation einkauft, haben ihre bestimmten Preise, die er, vielleicht mit geringen Schwankungen, eben bezahlen muss. Jetzt sehen wir, dass der Profit, den er hinzutut, und von dem man im allgemeinen annimmt, dass er der persönlichen Einwirkung des Fabrikanten (oder überhaupt des Verkäufers) in weitestem Maße unterliege –, dass dieser Profit ebenfalls eine objektiv vorhandene Größe ist, die der Fabrikant im großen Ganzen (d. h. wiederum mit geringen Abweichungen) so hinnehmen muss, wie sie eben ist.

Resultat: die beiden Teile, aus denen der Preis einer Ware sich zusammensetzt, Selbstkosten plus Profit, sind beide objektiv vorhanden, sind beide unabhängig von den subjektiven Wünschen und Bedürfnissen der Beteiligten. Der Wert ist etwas Objektives, das nicht nur in unserem Empfinden existiert, nicht erst durch uns gewissermaßen in die Waren hineingedacht wird, sondern das wirklich in ihnen selbst steckt. Und wir haben nur noch die Frage zu lösen, was dieses Objektive, in den Waren selbst Steckende sei.

Der Gedanke, dass es die menschliche Arbeit sei, die den Waren ihren Wert verleiht, ist durchaus nicht so fernliegend, sozusagen an den Haaren herbeigeholt, wie es die Vulgärökonomie darzustellen liebt. Im Gegenteil, die Gebrauchsgegenstände – also aller „Reichtum“ – erhalten das, was sie uns nützlich, „wertvoll!“ macht, durch Arbeit. Der Baum im Urwald hat zunächst gar keinen Wert; erst wenn die Arbeit ihn von seinem Standort wegholt und in Bretter zerlegt, bekommt er Wert. Und je weiter die Verarbeitung vorschreitet, desto höher wird der Wert. Sind die Bretter sauber zurechtgeschnitten, gehobelt und poliert, so sind sie wertvoller als im rohen Zustande. Ist endlich aus den Brettern eine Bank, ein Tisch, ein Schrank gezimmert, so ist der Wert noch höher gestiegen.

Für alle an der Produktion Beteiligten versteht es sich deshalb ganz von selbst, dass es die Arbeit ist, die die Waren wertvoll macht. Das gilt nicht nur für die Arbeiter, die das instinktiv empfinden; es gilt ebenso auch für die Fabrikanten. Der Webwarenfabrikant Otto Tröger in Plauen z.B., ein Mann, der im öffentlichen Leben seiner Vaterstadt als Führer der liberalen Parteien eine Rolle spielt, veröffentlichte am 10. März 1907 im dortigen „Vogtländischen Anzeiger“ einen Aufsatz, der der Bekämpfung der Sozialdemokratie gewidmet war. Er wollte nachweisen, dass es ganz verkehrt von den Arbeitern sei, wenn sie gegen hohe Profite der Kapitalisten Sturm laufen. Denn je mehr die Kapitalisten einnehmen, desto mehr verbrauchen sie. Je mehr sie aber verbrauchen, desto mehr müsse wieder neu produziert werden. So schaffen sie Arbeitsgelegenheit, Nachfrage nach Arbeitern, und damit Steigerung des Arbeitslohnes. Die Arbeiter hätten also das größte Interesse daran, dass die Kapitalisten möglichst viel Profit machen. Man sieht, in wie scharfem Gegensatz zum Sozialismus dieser Aufsatz steht. Nichtsdestoweniger enthält er wörtlich folgenden Satz:

„Der Stein, der im Steinbruch noch ungebrochen liegt, der Lehm in der Lehmgrube, das Holz, noch ungeschlagen im Walde, ist ganz wenig wert, erst […] die Arbeit macht es wertvoll.“

Wenn hier auch noch die Vorstellung mit unterläuft, dass das unbearbeitete Material etwas Wert habe, so ist dem Verfasser doch völlig klar, dass die Arbeit ihm sehr viel größeren Wert zusetzt, dass also die Arbeit Wert schafft. Jedem unmittelbar an der Produktion Beteiligten ist das eben etwas schlechthin Selbstverständliches, eine unmittelbare, ihm in Fleisch und Blut übergangene Überzeugung, die er aus seiner alltäglichen Praxis schöpft.

So taucht denn auch in der Wissenschaft der Gedanke außerordentlich früh auf. Wir trafen ihn schon bei Albertus Magnus im 13. Jahrhundert, von dem wir oben (S. 13) den Ausspruch zitierten, dass der Preis eine „Wiedervergeltung nach Arbeit und Kosten“ bringen müsse. Nicht nur, was er für die Beschaffung der Ware ausgegeben hat, soll der Verkäufer wiederbekommen, sondern auch, was er durch seine Arbeit an Wert hineingelegt hat.

Aber schon in dieser primitiven Form sehen wir auch die Schwierigkeit der Sache. Wie viel ist denn das? Die Kosten, die einer, sei es zum Ankauf der Materialien und Werkzeuge, sei es zum Ankauf der Ware selbst, ausgegeben hat, sind eine bestimmte Summe. Aber die Arbeit? Wie soll man das, was einer zur Herstellung einer Ware an Mühe und Arbeit aufgewandt hat, in Zahlen ausdrücken? Wie soll man eine Zahlengleichung herstellen zwischen der Arbeit, die zur Produktion einer Ware nötig war, und ihrem Preis.

Das ist die Frage, deren Lösung die wichtigste Aufgabe der national ökonomischen Wissenschaft Jahrhunderte lang gewesen ist. Die glänzendsten Forscher haben ihr ganzes Können dafür eingesetzt. Wir können diesen „Leidensweg der Arbeitswerttheorie“ hier nicht in allen seinen Einzelheiten verfolgen. Nur einige wenige aus der Reihe jener berühmten Namen können wir anführen, um zu zeigen, mit wie unsäglicher Mühe man der Lösung Schritt vor Schritt nähergekommen ist, bis man sie endlich gefunden hat.

8. Der Leidensweg der Arbeitswerttheorie

Als „Vater der Arbeitswerttheorie“ wird allgemein William Petty bezeichnet, ein Engländer, der von 1623 bis 1687 lebte und von Beruf Mediziner, Generalarzt der Armee von Irland war, sich aber durch seine nationalökonomischen Arbeiten einen bedeutenden Namen gemacht hat. Er ist einer der ersten, vielleicht überhaupt der erste, der die Gleichung zwischen Arbeit und Preis gefunden zu haben glaubt. Auf die Frage, wie hoch der Preis einer Ware sein muss, um dem Verkäufer das zu ersetzen, was er an Arbeit aufgewendet hat, antwortet Petty dem Sinne nach: Der Preis zweier Waren (darunter auch Gold und Silber) ist dann gleich, wenn ich mit derselben Arbeit mir die eine oder die andere verschaffen kann. Käufer und Verkäufer müssen also solche Waren miteinander austauschen, die sie sich, wenn kein Tausch stattfände, mit der gleichen Arbeit selbst hätten beschaffen können. Dann bekommt jeder den richtigen Gegenwert dessen, was er fortgibt.

So heißt es z.B. in einer 1662 erschienenen Schrift Pettys: „Über Steuern und Abgaben“ (10):

„Wenn jemand eine Unze Silber aus der Erde Perus nach London bringen kann in derselben Zeit, welche er nötig hat, um einen Scheffel Getreide zu erzeugen, so ist das eine der natürliche Preis des andern. Und ferner, wenn vermittelst neuer ergiebigerer Minen ein Mann ebenso leicht zwei Unzen Silber gewinnen kann, wie früher eine Unze, dann wird Getreide zu 10 Schilling den Scheffel ebenso billig sein, wie früher zu 5 Schilling, vorausgesetzt, dass die übrigen Umstände gleich sind.“

Dasselbe hat kurze Zeit darauf, womöglich noch einfacher und hausbackener, der Amerikaner Benjamin Franklin (1706-1790 wie folgt ausgesprochen (11):

„Unterstelle z.B., ein Mann sei beschäftigt, Korn zu produzieren, während ein anderer Silber gräbt und raffiniert. Am Ende des Jahres oder nach irgendeiner anderen bestimmten Zeit, sind das volle Produkt an Korn und das an Silber natürliche Preise voneinander, und wenn das eine 20 Scheffel, das andere 20 Unzen ist, dann ist eine Unze Silber wert die zur Produktion eines Scheffels Korn verwandte Arbeit. Wenn aber durch die Entdeckung von näheren, leichter zugänglichen, ergiebigeren Minen ein Mann nun 40 Unzen Silber produzieren kann, so leicht wie früher 20, und dieselbe Arbeit wie früher erforderlich bleibt zur Produktion von 20 Scheffel Korn, dann werden 2 Unzen Silber nicht mehr wert seit als dieselbe Arbeit verwandt zur Produktion von einem Scheffel Korn, und der Scheffel, welcher früher eine Unze galt, wird nun zwei gelten, sofern die sonstigen Umstände gleich bleiben. So ist der Reichtum eines Landes zu schätzen durch die Arbeitsquantität, die seine Einwohner fähig sind zu kaufen.“

Dies ist in der Tat die Auffassung, zu der man bei streng logischem Denken zunächst gelangen muss.

Sehen wir ab von den Kompliziertheiten unseres gegenwärtigen Wirtschaftszustandes, stellen wir uns das Verhältnis zwischen Käufer und Verkäufer in seiner einfachsten, ursprünglichen Form vor, so stehen einander zwei Leute gegenüber, die gegenseitig ihre eigenen Produkte verkaufen wollen, Gegenstände, die sie selbst mit eigener Arbeit angefertigt haben. In einem ganz primitiven Gesellschaftszustande bietet z. B. ein Jäger Felle an, wofür er beim Waffenschmied Pfeile eintauschen will. Der Jäger wird da, sagen wir, für eine Bärenhaut sicherlich genau so viel Pfeile verlangen, wie er, anstatt zu jagen, den Bären zu erlegen, ihm die Haut abzuziehen und sie so weit herzurichten, in der gleichen Zeit, mit der gleichen Arbeit selbst hätte Pfeile machen können. Bärenfell und Pfeile sind also so weit gleichwertig, wie in dem einen und in den anderen gleich viel Arbeit steckt.

Das erscheint einfach und klar. Indessen, sogar schon für die primitiven Zeiten, die wir bisher im Auge hatten, ist es nicht ganz richtig. Schon hier werden zwei Quantitäten Arbeit gleichgesetzt, die nicht völlig gleich sind. Sobald nämlich die Teilung der Arbeit auch nur einigermaßen dauernden Charakter angenommen hat, sobald der eine in der Regel Waffen zu schmieden, der andere in der Regel zu jagen pflegt und beide sich nur nebenbei mit anderen Arbeiten abgeben, würde der Jäger, wenn er die Pfeile selbst machen wollte, sehr viel mehr Zeit und Arbeit dazu brauchen als der in solcher Arbeit geübte Waffenschmied. Noch viel mehr gilt das natürlich für die Zeit, in der Petty und Franklin lebten. Da war die Arbeitsteilung schon seit vielen Jahrhunderten durchgeführt und bis ins einzelne ausgebaut. Das Quantum Arbeit also, das ein englischer Landmann brauchen würde, um eine Unze Silber in Peru zu produzieren und überdies noch nach England zu bringen, wäre bei weitem größer als die berufsmäßigen Silberproduzenten dazu brauchten.

Allerdings scheint dies in den Beispielen von Petty und Franklin berücksichtigt zu sein. Denn sie sprechen ja nicht von der Arbeit, die die Produktion dem Käufer kosten würde, sondern von der Arbeit, die sie dem Verkäufer wirklich gekostet hat. Gleichwohl erscheint es fraglich, ob ihnen der Unterschied völlig klar geworden ist. Jedenfalls hat ihn erst Adam Smith (12) in seinem 1776 erschienenen Buche „Untersuchung über das Wesen und die Ursachen des Volkswohlstandes“ zum klaren Ausdruck gebracht. Er schreibt dort (13):

„In dem ersten rohen Zustande der Gesellschaft, welcher der Kapitalansammlung und Landaneignung vorhergeht, scheint das Verhältnis zwischen den Arbeitsmengen, die zur Erlangung der verschiedenen Gegenstände notwendig sind, der einzige Umstand zu sein, der einen Maßstab für den Tausch des einen gegen den anderen bilden kann. Wenn es unter einem Jägervolke in der Regel zweimal so viel Arbeit kostet, einen Biber zu erlegen als ein Reh, so müsste naturgemäß ein Biber zwei Rehe wert sein. Es ist begreiflich, dass dasjenige, was gewöhnlich das Produkt von zweier Tage oder zweier Stunde Arbeit ist, doppelt so viel wert sein muss, wie das, was das Produkt einer eintägigen oder einstündigen Arbeit zu sein pflegt.“

Dies also, sagt Adam Smith, sei der Maßstab des Tausches gewesen in jenem primitiven Gesellschaftszustand, wo es noch keine Kapitalansammlung und keinen Privatbesitz an Grund und Boden gab. „In diesem Zustand der Dinge“, heißt es weiter (S. 66), „gehört das ganze Arbeitsprodukt dem Arbeiter.“ Aber das war ja im 18. Jahrhundert lange vorüber, die Zeiten hatten sich gründlich geändert. Im 5. Kapitel des ersten Buches (14) schreibt Adam Smith:

„Nachdem einmal die Teilung der Arbeit überall Eingang gefunden hat, kann eines Menschen eigene Arbeit ihn nur mit einem sehr kleinen Teil dieser Dinge (nämlich des Lebensbedarfs) versorgen. Den bei weitem größeren Teil muss er von der Arbeit anderer erwarten Der Wert einer Ware ist demnach für denjenigen, der sie besitzt und der sie nicht selbst zu gebrauchen oder zu konsumieren, sondern gegen andere Waren umzutauschen gedenkt, gleich dem Quantum Arbeit, welches zu kaufen oder über welches zu verfügen sie ihm gestattet […] Der wirkliche Preis jedes Dinges, das, was jedes Ding demjenigen, der es zu erwerben wünscht, wirklich kostet, ist die Mühe und Schwierigkeit der Beschaffung. Was jedes Ding für den Mann, der es erworben hat und zu veräußern wünscht, oder für etwas anderes zu vertauschen wünscht, wirklich wert ist, das ist die Mühe und Beschwerlichkeit, die es ihm ersparen und auf andere Leute abwälzen kann.“

Hier ist also deutlich von zwei verschiedenen Arbeitsmengen die Rede. Doch ist das nicht die Hauptsache. Entscheidend ist vielmehr, dass zur Zeit Pettys und Franklins auch der vorgeschrittene Zustand der bloßen Arbeitsteilung schon überholt war, auf die Gegenwart schon nicht mehr passte. In der Tat war ja deren Voraussetzung, dass auf beiden Seiten, Verkäufer so gut wie Käufer, der Mann im Besitz der Ware sich befindet, der sie selbst angefertigt hat. Dieser Zustand aber bestand schon lange nicht mehr, und Adam Smith hat erkannt, dass infolgedessen das Wertgesetz in jener primitiven Form, die Petty und Franklin ihm gaben, nicht mehr zutreffen konnte. Er schreibt, wie oben bereits erwähnt (15):

„In diesem (nämlich dem primitiven) Zustand der Dinge gehört das ganze Arbeitsprodukt dem Arbeiter, und die zur Beschaffung oder Hervorbringung einer Ware gewöhnlich aufgewendete Arbeitsmenge ist der einzige Umstand, nach dem sich diejenige Arbeitsmenge richtet, für welche man jene Ware gewöhnlich kaufen oder eintauschen muss.“

Aber, heißt es dann an einer anderen Stelle (16) (S. 91, im 8. Kapitel, das vom Arbeitslohn handelt):

„Dieser ursprüngliche Zustand, in welchem der Arbeiter das ganze Produkt seiner Arbeit genoss, konnte nicht länger dauern, als bis die Bodenaneignung und Kapitalansammlung eintraten. Er war daher schon längst vorüber, bevor die größten Fortschritte in der Produktivkraft der Arbeit gemacht wurden. […]“

Ein neuer, ein anderer Zustand war eingetreten, und es galt untersuchen, wonach in diesem neuen Zustand Wert und Preis der Waren sich richten.

Hält man nun fest an jener durch den Instinkt der unmittelbar Beteiligten und durch die einfachste Überlegung gegebenen Erklärung, dass der Wert durch Arbeit entstehe, und vergegenwärtigt man sich daneben den Zustand der kapitalistischen Produktion: dem einen gehören die Produktionsmittel, der andere handhabt sie und leistet die Arbeit, wobei das fertige Produkt nicht Eigentum des Arbeiters wird, sondern dem Besitzer der Produktionsmittel verbleibt – so muss sich bei klarem, logischem Denken das folgende ergeben.

Der Wert der fertigen Ware setzt sich zusammen aus der gesamten Arbeit, die zu ihrer Produktion hat geleistet werden müssen. Diese Arbeit ist von dem Kapitalisten gekauft worden, zu dessen Eigentum die fertige Ware dadurch geworden ist. Sehen wir also zu, was für Arbeit der Kapitalist gekauft und bezahlt hat, so muss, scheint es, sich die Summe des in der Ware steckenden Wertes ergeben.

Da ist zunächst und erstens die bei der Fabrikation neu geleistete Arbeit, also in einer Tuchfabrik z.B. das Weben. Dafür bezahlt der Kapitalist einen bestimmten Lohn, und so wird der Arbeitslohn zum ersten Bestandteil des Wertes der fertigen Ware. Aber nicht nur diese letzte, jetzt zu leistende Arbeit gehört dazu, sondern es muss schon viel vorgetane Arbeit vorhanden sein. Das Garn, aus dem der Stoff gewebt werden soll, muss zuvor gesponnen sein, die Wolle oder Baumwolle muss in der Landwirtschaft besorgt sein, der Webstuhl und die vielen sonstigen Maschinen und Apparate, die Fabrikräume müssen gebaut, Kohlen müssen aus der Erde gefördert und herangeschafft sein usw. Das alles bezahlt der Kapitalist beim Ankauf der Produktionsmittel, und so setzt sich (scheinbar) der Wert der fertigen Ware aus zwei bestimmten Summen zusammen: erstens dem Arbeitslohn, zweitens dem Preis der Produktionsmittel.

Indessen, diese Produktionsmittel sind selbst Produkte früherer Arbeit. Ihr eigener Wert – das ist der Preis, den der Tuchfabrikant für sie bezahlen muss – setzt sich seinerseits in genau derselben Weise zusammen, aus dem Wert der bei ihrer Produktion verbrauchten Produktionsmittel plus dem dabei bezahlten Arbeitslohn. Und wenn wir immer weiter zurückgehen bis zur Urproduktion – Bergbau, Landwirtschaft – dann kommen wir zuletzt zu einer Produktion, die keine Produktionsmittel braucht. Zwar wird auch sie heutzutage zum Zweck größerer Ergiebigkeit mit Werkzeugen und sogar Maschinen betrieben. Aber man kann sich vorstellen, wie z.B. ein Bach Gold so bequem mit sich führt, dass es mit bloßen Händen zu greifen ist. Dann sind gar keine Produktionsmittel zur Goldproduktion nötig, und alles, was für die Produktion dieses Goldes gezahlt werden muss, ist einzig und allein der Lohn der Arbeiter, die es herausfischen. So lässt sich aller Wert sämtlicher Waren letzten Endes auf Arbeitslohn zurückführen. Alles, was irgendwie für irgendeine Ware bezahlt wird, löst sich letzten Endes in Arbeitslohn auf, und der Arbeitslohn scheint der einzige Bestimmungsgrund der Preise zu sein. Die Schwierigkeit scheint damit gelöst. Denn der Arbeitslohn ist eine bestimmte Summe. Auf die Frage: Wie viel ist das, was die Arbeit an Wert in die Waren hineinlegt, wäre die Antwort: so viel, wie die Arbeit selbst kostet, d.h. so viel der Arbeitslohn ausmacht.

Es ist ein Beweis der Größe und Bedeutung von Adam Smith, dass er diesem so nahe liegenden Fehler nicht oder wenigstens nicht völlig verfallen ist. Er führt diesen Gedankengang nicht bis zu seiner vollen Konsequenz durch, weil er offenbar spürt, dass da irgendwo ein Fehler stecken muss, wenngleich es ihm nicht gelungen ist, ihn herauszufinden. Das Endergebnis, dass der Wert der Ware nur aus Arbeitslohn bestehe, ist so offenbar falsch, dass er davor zurückschreckt, solchen Schluss zu ziehen. (17) Es ist doch einfach nicht wahr, dass nur Arbeitslohn für die Waren bezahlt wird, es leben nicht nur die Arbeiter davon, sondern auch andere Personen ziehen ihre Einkünfte daraus. Vor dieser Tatsache verschließt Adam Smith nicht die Augen; sie zwingt ihn, seinen Gedankengang, etwas unlogisch, am Schluss umzubiegen und zu erklären: Nicht der Arbeitslohn allein, sondern Arbeitslohn, Kapitalprofit und Grundrente setzen den Preis der Waren zusammen. Diese drei Summen muss der Kapitalist für die Produktion der Ware bezahlen, sie rechnet er dem Käufer an, und so kommt der Preis zustande.

Im 6. Kapitel des 1. Buches handelt Adam Smith von den „Bestandteilen des Warenpreises“ und kommt zu dem Ergebnis (S. 72):

„Arbeitslohn, Kapitalgewinn und Grundrente sind die drei ursprünglichen Quellen alles Einkommens wie aller Tauschwerte […]“

Und daraus zieht er im folgenden Kapitel (S. 76-77 der deutschen Ausgabe) die Schlussfolgerung (S. 76-77):

„Wenn der Preis einer Ware weder höher noch niedriger ist, als er sein muss, um die Grundrente, den Lohn der Arbeit und den Gewinn des Kapitals, die auf Produktion und Zubereitung sowie auf den Markttransport der Ware verwendet werden, nach ihrem natürlichen Satze zu bezahlen, so wird die Ware für den Preis verkauft, den man ihren natürlichen nennen kann. Die Ware wird dann genau für das verkauft, was sie wert ist, oder was sie demjenigen, der sie zu Markte bringt, wirklich kostet.“

Die Ware ist so viel wert, wie sie dem, der sie zum Verkauf stellt, wirklich kostet – das wäre demnach das Endergebnis, wozu Adam Smith gelangt.

***

Bevor wir zur Kritik dieser Theorie übergehen, sei bemerkt, dass Smiths großer Nachfolger David Ricardo (1772-1823) nichts Wesentliches daran geändert hat. Nur führt er eine Unterscheidung ein zwischen solchen Gütern, die beliebig vermehrbar, und solchen, die nur in bestimmter Zahl vorhanden sind, wie „seltene Bildsäulen und Gemälde, seltene Bücher und Münzen, Weine von eigentümlicher Güte“, die nur auf besonderem, in geringer Menge vorhandenen Boden wachsen. Bei ihnen, sagt Ricardo, ist der Tauschwert „von der zu ihrer Produktion notwendigen Arbeit ganz und gar unabhängig“ und wird „einzig und allein durch ihre Seltenheit bestimmt“ Denn (18):

„Keine Arbeit kann die Menge solcher Güter vermehren, und deshalb kann ihr Wert nicht durch vermehrtes Angebot gesenkt werden.“

Es lässt sich nicht verkennen, dass Ricardo hiermit eine Lücke reißt, durch die das ganze Gebäude der Arbeitswerttheorie zum Einsturz gebracht werden kann. Denn einmal führt er hier den Wert der Güter doch wieder auf Angebot und Nachfrage zurück, obgleich er an anderer Stelle (19) mit der größten Entschiedenheit sagt:

„Es sind die Produktionskosten, welche letzten Endes den Preis der Waren regeln müssen, und nicht, wie oft gesagt worden ist, das Verhältnis zwischen Angebot und Nachfrage.“

Sodann aber sind Waren mit „Seltenheitswert“ keineswegs solche Ausnahmefälle, wie Ricardo glaubt. Er sagt zwar: „Solch Waren bilden nur einen sehr geringen Teil der Warenmassen, die täglich auf dem Markt zum Austausch gelangen.“ Indessen, wenn man einmal die Einschränkung zugibt, dass sich der Wert der Waren nicht nur nach der Arbeit richtet, sondern unter Umständen auch nach der größeren oder geringeren Menge, die man von ihnen fabrizieren kann, so hat Gonner offenbar recht mit dem Hinweis, da es solcher Umstände, die auf die Menge der herstellbaren Waren Einfluss ausüben, weit mehr gibt, als Ricardo annimmt. Dahin gehören dann nicht nur die von Ricardo genannten Kunstwerke, die überhaupt nur einmal existieren, und die Produkte eines besonderen Bodens, wovon nur so viel existieren kann, wie dieser Boden hergibt – was übrigens auch schon für besonders gut Kohlen, besonders gute Erze, besondere Hölzer, Tonerde usw. von ungeheurer Bedeutung werden kann – sondern dahin gehören dann auch Waren, die von besonders geschickten Arbeitern hergestellt werden, Waren, deren Fabrikation nicht durch die Natur, sondern durch die Menschen monopolisiert ist, kurz überhaupt Waren, die unter irgendwelchen besonderen Umständen produziert werden. In irgendeiner Weise trifft es schließlich auf jede Ware zu, wenn auch oft nur vorübergehend, dass sie nur in bestimmter Menge fabriziert werden kann, und so wäre zuletzt durch diese Lücke die Bestimmung des Werts durch die Arbeit völlig entschlüpft und an ihre Stelle wäre die Bestimmung durch die „Seltenheit“, d.h. durch Angebot und Nachfrage, getreten. Da wir uns jedoch schon überzeugt haben, dass hiermit nichts anzufangen ist, so müssen wir die von Ricardo konstruierte Ausnahme von der Arbeitswerttheorie mit aller Entschiedenheit verwerfen. Soll der Satz, dass der Wert der Waren durch Arbeit bestimmt wird, richtig sein, so muss er ausnahmslos für alle Waren gelten.

Hiervon abgesehen, hält Ricardo mit noch größerer Strenge als Adam Smith an der Lehre fest, dass es die Produktionskosten sind, die den Wert der Waren bestimmen, wie insbesondere die oben von uns zitierte Stelle zeigt.

***

Auch an dieser Lehre ist mancherlei auszusetzen, auch sie kann uns nicht voll befriedigen. Wir haben gesehen, dass Adam Smith notgedrungen doch nicht den Wert einzig und allein auf Arbeitslöhne zurückführt und deshalb die Grundrente wie auch den Kapitalprofit dem Arbeitslohn gleichsetzen muss. Sein ursprünglicher Gedanke war: Wert ist Arbeit; eine Ware hat so viel Wert, wie Arbeit in ihr steckt; es steckt so viel Arbeit darin, wie der Kapitalist bezahlt hat. So kommt er zu dem Resultat: Wert ist Arbeitslohn. Nun aber stutzt er und die Gedankenreihe verschiebt sich ihm: die Höhe des Preises entsteht, indem so viel für die Ware bezahlt wird, dass alle an der Produktion Beteiligten davon leben können. Das sind aber nicht nur die Arbeiter; folglich setzt sich der Wert nicht nur aus Arbeitslohn zusammen, sondern außerdem noch aus Kapitalprofit und Grundrente.

Eine so völlige Gleichsetzung von Arbeitslohn mit Kapitalprofit und Grundrente ist jedoch unhaltbar. Das hat wiederum niemand besser dargestellt und nachgewiesen als Adam Smith. In dem (6.) Kapitel über die Bestandteile des Warenpreises sagt er (S. 67.):

„Man könnte glauben, der Kapitalgewinn sei nur ein anderer Name für den Lohn einer besonderen Art Arbeit, derjenigen nämlich, die in der Aufsicht und Leitung besteht. Der Kapitalgewinn jedoch etwas ganz anderes, wird durch ganz andere Prinzipien bestimmt und steht zu der Menge, der Beschwerlichkeit und dem Talenterfordernis jener vorausgesetzten Arbeit der Aufsicht und Leitung in keinem Verhältnis. Er richtet sich lediglich nach dem Werte des aufgewendeten Kapitals und ist je nach dem Umfange dieses Kapitals größer oder geringer […] Mithin bildet im Preise der Waren der Kapitalgewinn einen vom Arbeitslohn durchaus verschiedenen und nach ganz anderen Grundsätzen geregelten Bestandteil.“

Es kann also nicht sein, dass der Kapitalprofit in derselben Weise auf den Wert der fertigen Ware einwirkt wie der Arbeitslohn. Doch nicht nur das, gerade durch die Klarheit und Durchsichtigkeit der Darstellung von Smith wird hier noch eine andere Schwierigkeit sichtbar. Wenn der Wert der Ware sich nach der Höhe des Arbeitslohnes richten soll, wonach richtet sich dann die Höhe des Arbeitslohnes selbst? Wir finden an dieser Stelle eine Angabe dafür: nach „der Menge, der Beschwerlichkeit und dem Talenterfordernis der Arbeit“. Was ist denn aber das? Wieviel ist es? Wie groß sind diese drei Erfordernisse? Lassen sie sich in Zahlen ausdrücken? – Offenbar nicht! Dann aber sind wir voll ständig bei der ersten, ursprünglichen Schwierigkeit stehengeblieben, nicht einen Schritt über sie hinausgekommen. Erinnern wir uns nur: oben (auf Seite 29) wurde gezeigt, dass es darauf ankommt, die Mühe und Arbeit, welche die Herstellung einer Ware erfordert, in Zahlen auszudrücken, eine Zahlengleichung herzustellen zwischen der Arbeit, die zur Produktion einer Ware nötig ist, und ihrem Preis. Der Lösung dieser Aufgabe galt die ganze vielhundertjährige Denkarbeit der Forscher bis Adam Smith und Ricardo. Man glaubte die Lösung gefunden zu haben, indem man den Arbeitslohn an Stelle der Arbeit setzte. Nun wir aber wissen wollen, wie denn die Zahlen des Arbeitslohnes zustandekommen, werden wir verwiesen auf „Menge, Beschwerlichkeit und Talenterfordernis“ der Arbeit, Begriffe, die wiederum in Zahlen nicht ausdrückbar sind. Mit anderen Worten: Die Aufgabe ist nicht gelöst, sie steht in ihrer ganzen Ursprünglichkeit noch vor uns.

Indessen ist dies nicht die einzige Antwort, die Adam Smith auf die Frage nach dem Bestimmungsgrund des Arbeitslohns gibt, An einer anderen Stelle (im 8. Kapitel, das über den Arbeitslohn handelt, S.&nsp;94 der deutschen Ausgabe) sagt er:

„Ein Mensch muss stets von seiner Arbeit leben, und sein Lohn muss wenigstens hinreichend sein, um ihm den Unterhalt zu verschaffen. In den meisten Fällen muss er sogar noch etwas höher sein; sonst wäre der Arbeiter nicht imstande, eine Familie zu gründen, und das Geschlecht solcher Arbeiter würde mit der ersten Generation aussterben.“

Genau dasselbe sagt Ricardo (Kapitel 5, „Vom Arbeitslohn“ gleich am Anfang):

„Der natürliche Preis der Arbeit ist derjenige, welcher notwendig ist, um die Arbeiter, einen mit dem andern, instand zu setzen, zu bestehen und ihr Geschlecht ohne Vermehrung oder Verminderung fortzupflanzen.“

Nehmen wir diesen Bestimmungsgrund des Arbeitslohns, so habe wir jenen logischen Trugschluss, den man als „fehlerhaften Kreislauf“ bezeichnet, klar auf der Hand. Wir fragen: wonach richtet sich der Preis der Waren? Antwort: nach der Höhe des Arbeitslohns, – Wir fragen weiter: wonach richtet sich die Höhe des Arbeitslohns? Antwort: nach den Kosten des Lebensunterhalts, der bekanntlich aus Waren besteht, also – nach dem Preis der Waren.

Alle die viele bis hierher geleistete Arbeit hat die Lösung des Problems noch nicht zu bringen vermocht. Indessen dürften unsere letzten Ausführungen schon gezeigt haben, wo der Fehler steckt: in der Gleichsetzung von Arbeit und Arbeitslohn. Alle diese bisher genannten Denker haben angenommen, die zur Produktion einer Ware nötige Arbeit sei gleich der für ihre Produktion bezahlten Arbeit. Das ist der Punkt, an dem Karl Marx eingesetzt und die Frage zur endgültigen Lösung gebracht hat.

9. Die Arbeitswerttheorie nach Karl Marx

I.

Unter „Wirtschaft“ verstehen wir alle diejenige Tätigkeit der Menschen, welche darauf abzielt, den Lebensunterhalt zu erwerben. Das Wort Lebensunterhalt ist dabei im weitesten Sinne genommen, so dass es nicht nur die Nahrung, sondern auch die Wohnung, Kleidung, kurz alles bezeichnet, was der Mensch braucht.

Wie machen es die Menschen heutzutage, um das zu kriegen, was sie zum Leben brauchen? – Die Antwort auf diese Frage weiß jeder: Sie kaufen es. Will jemand sich verschaffen, was er für des Lebens Notdurft braucht, so wird er Käufer, gibt dem Verkäufer Geld und bekommt dafür Ware.

Da dies die Regel ist, nach der bei zivilisierten Völkern heutzutage sämtliche Bedürfnisse gedeckt werden, so folgt daraus, dass der gesamte Reichtum solcher Völker aus Geld und Waren besteht. Ein Drittes gibt es nicht.

Nun wird bekanntlich der Reichtum eines Menschen meist nach dem Gelde geschätzt, das er besitzt. Das ist ja so weit auch ganz richtig. Nur soll man dabei nicht übersehen, dass uns das Geld zwar reich macht, aber doch nicht durch sich selber. Wer viel Geld hat, ist freilich reich, aber doch nur deshalb, weil er imstande ist, alles, was er braucht, im Überfluss zu kaufen. Wäre das nicht, so wäre er mit allem Gold und Silber der Welt so arm wie eine Kirchenmaus. Wenn Robinson auf seiner einsamen Insel einen Haufen Gold findet, aber nichts zu essen, so ist er arm; findet er im Überfluss alles, was er braucht, nur kein Geld, so ist er reich, ohne einen Pfennig zu besitzen. Im Grunde ist es also nicht das Geld, das uns reich oder arm macht, sondern die Gegenstände unseres Bedarfes: wir sind reich, wenn sie uns im Überfluss zur Verfügung stehen; wir sind arm, wenn sie uns fehlen. Kein Mensch nimmt doch das Geld, um es zu behalten, sondern jeder will es wieder fortgeben. Man nimmt es nur, weil man sicher ist, dass man es wieder loswird und dass man dafür etwas eintauschen kann, was man braucht.

Nicht durch sich selbst macht das Geld uns reich, sondern nur als Stellvertreter von Waren. Nirgends hat es eine bleibende Statt, es soll wieder fortrollen, es soll den Platz für die Waren vorbereiten und sichern.

Wir sagten vorhin, der Reichtum bei zivilisierten Völkern bestehe heutzutage in Geld und Ware. Nun haben wir aber gefunden, dass das Geld weiter nichts ist, als ein Stellvertreter der Ware, gewissermaßen ihr Vorläufer. Überall da, wo Geld ist, soll Ware hinkommen. Mithin können wir nunmehr sagen: Der Reichtum der heutigen Gesellschaft besteht in Waren.

Was ist eine Ware?

Zunächst mag man geneigt sein zu sagen, dass alle Gegenstände Waren seien. Aber das ist offenbar falsch. Luft, Wasser, die Bäume im Urwald, und vieles andere sind keine Waren. – Wer sich das überlegt, wird vielleicht sagen, alle Gegenstände unseres Gebrauchs seien Waren. Aber auch das stimmt nicht; gerade Luft, Wasser, Bäume usw. brauchen wir sehr nötig. – Wir merken allmählich, dass die Sache doch nicht ganz so einfach ist, wie sie auf den ersten Blick schien. Wohl kennen wir eine ganze Menge Gegenstände, von denen wir ohne weiteres wissen, dass sie Waren sind, und ebenso kennen wir viele, von denen wir ohne weiteres das Gegenteil sagen können. Aber was ist nun eigentlich der Unterschied zwischen ihnen?

Also vergleichen wir. Stellen wir nebeneinander, auf der einen Seite solche Gegenstände, die ganz sicherlich Waren sind, zum Beispiel Schuhe, Kleider, Spielwaren; und auf der anderen Seite solche, die es ganz sicherlich nicht sind, zum Beispiel Luft und Wasser.

Eines fällt sofort in die Augen: Luft und Wasser sind reine Naturprodukte, die Schuhe, die Kleider, die Spielsachen müssen durch menschliche Arbeit hergestellt werden.

Darf man hiernach sagen: Waren sind diejenigen Gebrauchsgegenstände, welche von der menschlichen Arbeit erzeugt sind? Damit sind wir allerdings ganz nahe der richtigen Antwort. Aber ganz haben wir sie doch noch nicht. In der Tat ist der Satz richtig, da alle Waren Produkte menschlicher Arbeit sind (20). Aber gilt auch das Umgekehrte? Ist auch jedes Produkt menschlicher Arbeit eine Ware? Keineswegs.

Versetzen wir uns im Geiste an den Ort, wo die Waren so recht eigentlich zu Hause sind, in den Laden eines Kaufmanns. In einem Konfektionsgeschäft zum Beispiel befinden sich mancherlei Gegenstände: Kleider, Hüte, Schuhe, Wäsche. Das alles sind die Waren dieses Kaufmanns. Aber daneben gibt es dort noch andere Dinge: Ladentische, Regale, Kisten und Kasten, Kontobücher, Tinte, Federn, Papier kurz all die Materialien, die der Kaufmann zum Betriebe seines Geschäftes braucht. Weder er selbst, noch sonst jemand wird die zu seinen Waren rechnen. Die Schürze, die er verkaufen will, ist Ware; das Buch, worin er seine Einnahmen und Ausgaben notiert, ist keine Ware.

Daraus folgt: nur solche Produkte menschlicher Arbeit sind Waren, die zum Verkauf bestimmt sind.

Aus dem Gesagten folgt und ist genau festzuhalten, dass an und für sich kein Gegenstand Ware ist. Vielmehr kann jeder Bedarfsgegenstand (sofern er nur von menschlicher Arbeit angefertigt ist) Ware sein und kann auch nicht Ware sein. Gleichwohl haben die Dinge, solange sie Waren sind eine Eigenschaft, die ihnen sonst abgeht, nämlich ihren Preis. Nur solche Gegenstände, die verkauft werden sollen, also nur die Waren haben Preise.

Unter dem Preis einer Ware versteht man bekanntlich die Summe Geldes, die sie kostet.

Das Geld spielt in der heutigen Wirtschaft eine ganz hervorragende Rolle. Es fällt mehr in die Augen, als die Ware selbst, obgleich es sie nur vertritt. Aber es vertritt sie bei fast allen Geschäften.

Was ist das Geld? – Eine Frage, die schon zu den schwierigeren Problemen der Wirtschaftslehre gehört. Begnügen wir uns mit weniger und fragen wir zunächst nur, was das Geld tut, d.h. welche Funktion es in der heutigen Wirtschaft ausübt.

Am häufigsten sehen wir das Geld in derjenigen Tätigkeit, in der es uns schon ganz am Anfang begegnet ist: als Vermittler beim Kauf und Verkauf, als Tauschmittel. Dies ist aber keineswegs seine einzige Funktion. Nehmen wir zum Beispiel ein Glashändler habe eine Vase für 6 M. zu verkaufen, und brauche einen Stuhl. Nun kann es sich treffen, dass er einem Möbelhändler begegnet, der die Vase nehmen und ihm einen Stuhl dafür geben will. Dann können sie die beiden Waren austauschen, ohne den Geldbeutel aufzumachen. Das Geld funktioniert dann nicht als Tauschmittel. Aber überflüssig war es bei diesem Handel trotzdem nicht. Denn der Glashändler nimmt zwar für seine Vase einen Stuhl in Zahlung, aber nicht jedweden, sondern nur einen solchen, der ebenso viel wert ist. Und umgekehrt lässt ihn der Möbelhändler nicht jeden beliebigen Stuhl aussuchen, sondern nur einen solchen von gleichem Werte. Woher wissen nun aber die beiden, welche Ware des anderen denselben Wert hat wie die eigene? Nur durch den Preis. Für die Vase, die 6 M. kostet, wird ein Stuhl ausgesucht, der ebenfalls 6 M. kostet. Und da der Preis nichts anderes ist als eine Summe Geldes, so lernen wir hier eine zweite höchst wichtige Funktion des Geldes kennen: es gibt im Preise den Wert der Waren an.

Das Geld hat noch weitere wichtige Funktionen, die jedoch für gegenwärtiges Thema nicht in Betracht kommen. Deshalb wollen wir uns damit nicht aufhalten, sondern nur einige Folgerungen kurz beleuchten, die aus den bisher festgestellten Funktionen des Geldes zu entnehmen sind. Die beiden Funktionen sind: als Tauschmittel zu dienen und den Wert der Waren anzugeben.

Man erkennt, dass beide Funktionen nichts mit dem Metall zu tun haben. Heute dient als Geld ausschließlich Gold und Silber (21). Aber das Wesen des Geldes besteht darin, dass es obige beide Funktionen ausübt. Und es leuchtet ein, dass die auch von anderen Stoffen ausgeübt werden könnten. Jeder Stoff – sei es Papier, sei es Leder, sei es was es wolle – sobald er nur als allgemeines Tauschmittel dient und den Wert der Waren angibt, würde Geld sein. Zu den Eigenschaften, die das Geld haben muss, gehört nicht, dass es unbedingt Metall sein muss.

Aber andere Eigenschaften muss es unbedingt haben. Wenn ein Gegenstand als allgemeines Tauschmittel bei jedem Kauf und Verkauf dienen soll, so ist offenbar notwendig, dass er von jedermann in Zahlung genommen wird. Es muss also ein Gegenstand sein, der Wert hat; einen wertlosen Gegenstand würde niemand in Zahlung nehmen. Daraus folgt, dass nicht jeder beliebige Gegenstand, sondern nur eine Ware die Funktion des Geldes ausüben kann.

Aber nicht jede Ware eignet sich dazu. Einen Wagen, ein Brot, einen Ballen Baumwolle nimmt nur, wer ihn gerade brauchen kann. Die Ware aber, die als Geld fungieren (dienen) soll, muss jedem jederzeit annehmbar sein. Mit anderen Worten: Das Geld selbst darf, wenn es gegen andere Waren ausgetauscht werden soll, keinen Vermittler nötig haben; es muss ohne Vermittlung austauschbar sein. Dazu wird offenbar eine Ware gehören, die sehr kostbar ist und die sich außerdem nicht schnell abnutzt, so dass sie ihren Wert nicht leicht verliert. Und dazu eignen sich die edlen Metalle am besten. Sie haben von Natur gewisse Eigenschaften, die sie zu diesem Dienst besonders passend machen. Sie sind, wie man weiß, kostbar. Schon kleine Stücke haben einen großen Wert. Dazu sind sie dauerhafter als die meisten anderen Stoffe. Es kann sie jeder nehmen ohne Furcht, sie möchten ihren Wert verlieren, ehe er sie weitergibt. Dazu kommt noch, dass man sie nach Belieben in kleine Quantitäten zerteilen und umgekehrt aus den kleinen Stücken wieder größere zusammensetzen kann. Man kann also leicht Stücke in jeder beliebigen Größe, entsprechend jedem beliebigen Wert von Waren, herstellen. Das sind die Gründe, weshalb man unter allen Waren gerade die edlen Metalle ausgesucht hat, um sie als Geld zu benutzen. Geld zu sein, ist also keine natürliche Eigenschaft der edlen Metalle. Vielmehr ist ihnen diese Eigenschaft von den Menschen beigelegt worden und kann ihnen folglich auch von den Menschen wieder genommen werden. Aber man hat ihnen diese Funktionen beigelegt auf Grund ihrer natürlichen Eigenschaften.

Sobald eine Ware endgültig zum allgemeinen Tauschmittel geworden ist, das heißt, sobald es zur Regel geworden ist, dass alle anderen Waren sich gegen sie austauschen, muss es ganz von selbst dazu kommen, dass alle anderen Waren ihren Wert in diesem Tauschmittel ausdrücken, wodurch das Geld zum allgemeinen Ausdruck der Werte wird.

Es versteht sich, dass mit diesen kurzen Ausführungen das Wesen und die Bedeutung des Geldes bei weitem nicht erschöpft ist. Aber es ist alles darin enthalten, was für unser gegenwärtiges Thema vom Gelde zu wissen nötig ist.

***

Um über Preis und Geld ins Klare zu kommen, haben wir in unsere Erörterungen wieder einen neuen Begriff einführen müssen, nämlich den Begriff Wert. Wir müssen somit auch diesen Begriff näher untersuchen und uns die Frage vorlegen: was ist der Wert?

Die Frage muss auf den ersten Blick überraschen. Denn in der Sprache des gewöhnlichen Lebens werden die Worte „Preis“ und „Wert“ gleichbedeutend genommen. Wenn ein Stuhl 6 M. kostet, so sind 6 M. sein Preis und auch sein Wert. Da wird kein Unterschied gemacht.

Nun haben wir vorhin gesagt, dass der Preis eine Summe Geld sei, welche den Wert der Ware angibt. Es leuchtet ein, dass dieser Satz sinnlos ist, wenn Wert und Preis wirklich dasselbe bedeuten. Er würde dann besagen, dass der Preis den Preis oder der Wert den Wert angibt, was nichts erklären würde. Wir haben deshalb allen Grund nachzuprüfen, ob die Sprache des gewöhnlichen Lebens recht hat, ob die Worte Wert und Preis in der Tat gleichbedeutend sind.

Wenn es uns gelänge nachzuweisen, dass der Wert irgendwo existiert, wo es keinen Preis gibt, so wäre damit bewiesen, dass beide nicht dasselbe sein können. Stellen wir uns deshalb vor, dass aus irgendeinem Grunde heute das Geld verschwände, indes sonst alle Zustände genau so blieben, wie sie heute sind. Es soll also, genau wie heute, alles gekauft und verkauft werden, nur soll es kein Geld geben. Dann würde der Preis nicht existieren, denn der Preis ist eine Summe Geldes, daran ist nicht zu rütteln. Gibt es kein Geld so gibt es auch keinen Preis. Aber wie ist es mit dem Werte?

Denken wir an unseren Glashändler, der eine Vase zu verkaufen hat und einen Stuhl dafür haben will, und versetzen wir ihn in die geldlose Zeit. Da es kein Geld gibt, so ist er darauf angewiesen, unter allen Umständen einen Möbelhändler aufzusuchen, der die Vase zu kaufen geneigt ist. Nehmen wir an, er finde ihn. Da stehen die beiden wieder vor der Frage, was für einen Stuhl der eine annehmen, der andere geben soll. Und ist klar, dass es (22) wieder nicht der erste beste sein kann, sondern ein solcher Stuhl, der ebenso viel wert ist wie die Vase. Ohne Geld wird es ja einige Schwierigkeiten machen, den Wert der beiden Waren zu ermitteln, aber auf irgendeine Weise muss es geschehen, sonst wird einer der beiden Händler bei dem Geschäft zu kurz kommen. – Die Sache wird noch klarer, wenn wir annehmen, dass der Stuhl nicht einer, sondern zwei Vasen gleichwertig ist. Dann kann sich der Möbelhändler nicht mit einer Vase zufriedengeben, er muss zwei haben. Also auch jetzt müssen bei jedem Verkauf die beiden Beteiligten fragen, wieviel ihre Waren wert sind, und somit existiert der Wert, auch wenn es kein Geld gibt. Freilich kann er dann nicht in Geld ausgedrückt werden, wohl aber in anderen Dingen. Zum Beispiel kann man sagen: ein Stuhl ist wert zwei Vasen. Dann ist der Wert des Stuhles in Vasen, und der Wert der Vasen in Stuhl ausgedrückt, obgleich es keinen Preis gibt.

***

Was ist nun aber der Wert? – Wir kennen jetzt verschieden Weisen, den Wert einer Ware auszudrücken. Sehen wir uns diese Ausdrücke genau an, sehen wir zu, was sie denn eigentlich ausdrücken; das wird ja wohl der Wert sein müssen.

Der erste Wertausdruck lautete:

1 Stuhl ist wert 6 M.

Die Frage: „was ist der Wert?“ hat einen gelehrten, geheimnisvollen Anstrich. Und das färbt ab auf den obigen Satz. Aber man lege nur das Vorurteil ab, dass hier unbedingt etwas Geheimnisvolles dahinterstecken müsse, man betrachte den Satz mit unbefangenen Augen, und man wird zugeben müssen, dass jedermann ganz genau weiß, was er bedeutet. Es kommen da in Betracht zwei Personen. Die eine hat einen Stuhl, die andere hat Geld. Für den Besitzer des Stuhles drückt der Satz zweierlei aus, nämlich:

1. wenn ich einen Stuhl verkaufe, bekomme ich dafür 6 M., nicht mehr noch weniger;
2. wenn ich 6 M. haben will, muss ich dafür einen Stuhl geben; ein halber reicht nicht, zwei sind nicht nötig, es muss gerade ein Stuhl sein.

Und dem entspricht die Bedeutung, die der Satz für den Geldbesitzer hat:

3. wenn ich 6 M. gebe, kriege ich dafür gerade einen Stuhl, nicht zwei Stühle, auch nicht einen halben; und
4. wenn ich einen Stuhl haben will, muss ich dafür gerade 6 M geben, nicht 5 noch 7.

Gewiss wird jeder zugeben, dass er diese Bedeutung des Satzes auch schon vorher gekannt hat. Doch wir werden gleich sehen, wozu es nützt, bekannte Dinge so breit auseinanderzufalten. Zuvor jedoch [44] wollen wir auch noch den anderen Wertausdruck, dem wir vorhin begegneten, ebenso zerlegen. Er lautete:

1 Stuhl ist wert 2 Vasen

Und drückt, gleich dem ersten Werteausdruck, folgende vier Tatsachen aus:

5. wer einen Stuhl gibt, kriegt dafür zwei Vasen;
6. zwei Vasen haben will, muss einen Stuhl geben;
7. wer zwei Vasen gibt, kriegt dafür einen Stuhl;
8. wer einen Stuhl haben will, muss zwei Vasen geben.

So haben wir nun acht verschiedene Wertausdrücke. Stellen wir sie untereinander und betrachten sie mit unbefangenem Blick, so ist gar kein Irrtum darüber möglich, was sie angeben und angeben sollen: die Menge anderer Waren, die man im Tausch für eine bestimmte Ware bekommt oder geben muss. Und zwar ist die Menge, die Anzahl, die Hauptsache dabei. Auf die Anzahl Vasen, auf die Anzahl Stühle, auf die Anzahl Mark kommt es an, die miteinander ausgetauscht werden.

Der Wert einer Ware ist die Menge anderer Waren, gegen welche sie ausgetauscht wird. Das ist somit das Ergebnis unserer Erwägungen. Oder allgemein ausgedrückt: Der Wert ist das Austauschverhältnis der Waren.

II.

Werfen wir jetzt einen Rückblick auf die Sätze, die wir bisher über Wert, Preis und Geld gefunden haben, so sehen wir, dass sie samt und sonders den Tausch voraussetzen, dass sie samt und sonders sich auf den Tausch beziehen. Existiert der Wert nur im Tausch? Gibt es anderswo, als im Tausch, keinen Wert?

Es hat Zeiten in der Geschichte gegeben, wo überhaupt noch nicht getauscht (das heißt gekauft und verkauft) wurde, weil jeder selbst produzierte, was er brauchte. Stellen wir uns vor, dass in solcher Zeit jemand einen Tisch zimmert, natürlich, nicht zum Verkauf, sondern zum eigenen Gebrauch. Da kann auch keine Rede davon sein, dass jemand sich den Kopf darüber zerbricht, wieviel der Tisch wert sei. Diese Frage taucht erst auf, wenn man den Tisch verkaufen will, denn dann muss man wissen, wieviel andere Gegenstände man dafür fordern soll. Erst dann also bekommt der Tisch Wert.

Doch wie? Sollte der Tisch nicht dennoch Wert haben? Nehmen wir an, eine Familie habe bis dahin keinen Tisch besessen und diesen Mangel oft lästig empfunden. Das war der Grund, weshalb endlich Vater und Söhne sich an die Arbeit machten und den Tisch zurechtzimmerten. Nun ist er da. Wird nun nicht die Familie erleichtert aufatmen und sagen: dieser Tisch hat einen großen Wert für uns?  – Sicherlich wird sie das.

Wie ist denn nun aber die Sache? Existiert der Wert in einer solchen Gesellschaft oder existiert er nicht? Gibt es Wert nur beim Tausch, oder auch, wo nicht getauscht wird?

Ein wenig Geduld und gespannte Aufmerksamkeit wird das Rätsel lösen.

Wenn jemand einen Tisch verkaufen will, so gilt der Satz: der Tisch ist 3 Gänse wert oder der Tisch ist 20 M. wert. – Wenn er ihn nicht verkaufen, sondern in eigenen Gebrauch nehmen will, so sagt er vielleicht: der Tisch hat einen großen Wert für mich.

In beiden Fällen wird das Wort „Wert“ gebraucht. Aber hat es beide Mal denselben Sinn? – Das erste Mal gibt es die Anzahl anderer Gegenstände an, die man im Tausch für den Tisch bekommt; das zweite Mal drückt es aus, dass der Tisch dem Besitzer nützlich ist. Zwei ganz verschiedene Dinge. Wie sehr sie verschieden sind, zeigt sich schon in der äußeren Form der beiden Ausdrücke. Das erste Mal hat der Wert eine ganz bestimmte Menge. Es kann und es muss sogar angegeben werden, wieviel der Tisch wert ist. Nichts dergleichen das zweite Mal. Wohl sagt man, dass ein Tisch uns nützlicher oder weniger nützlich sei als ein anderer Gegenstand (was übrigens auch nur eine Ungenauigkeit des gewöhnlichen Sprachgebrauchs ist). Aber man kann keine Menge angeben; man kann nicht sagen, um wieviel der eine, Gegenstand den anderen an Nützlichkeit übertrifft. Mit einem Wort: man kann den Wert, soweit er die Nützlichkeit eines Gegenstandes bedeutet, nicht in Zahlen angeben. Das kann man aber und das muss man sogar, wenn es sich darum handelt, den Wert im Verkauf anzugeben.

Noch eine andere Überlegung zeigt die große Verschiedenheit der beiden Arten Wert. Der Wert eines Gegenstandes, der seine Nützlichkeit bedeutet, kann für jeden Menschen ein anderer sein. Derselbe Tisch, der für den einen den allergrößten Wert (im Sinne von Nutzen) hat, der ihm vielleicht unentbehrlich ist, der ist für seinen Nachbar vielleicht ganz überflüssig und deshalb wertlos. Kann dieser keinen Gebrauch von solch einem Tische machen, oder hat er Tische genug, dann ist er für ihn ganz ohne Wert. – Dahingegen der Wert eines Gegenstandes, der sein Tauschverhältnis bedeutet (und bei den zivilisierten Völkern heutzutage immer als Preis ausgedrückt wird), ist ein und derselbe für jedermann. Ist der Tisch einmal 20 M. wert, so ist er es für jedermann ohne Unterschied. Selbst wenn ihn jemand ganz unnötigerweise kauft, der ihn vielleicht gar nicht gebrauchen kann, so muss er doch 20 M. dafür bezahlen.

Es ist also klar, dass das Wort „Wert“, wenn es den Nutzen bezeichnet, den der Gebrauch eines Dinges bringt, einen ganz anderen Sinn hat, als wenn er das Tauschverhältnis eines Gegenstandes bezeichnet. Um Missverständnisse zu vermeiden, ist es nötig, für zwei so verschiedene Begriffe auch zwei verschiedene Worte zu haben. Deshalb nennt man in der Wirtschaftslehre das eine, nämlich den Nutzen, Gebrauchswert, und das andere, nämlich das Tauschverhältnis, den Tauschwert.

Sämtliche Sätze über den Wert, die wir bisher gefunden haben, beziehen sich nicht auf den Gebrauchswert, sondern auf den Tauschwert. Und dieser allerdings existiert nur im Tausch. Der Tauschwert eines Gegenstandes ist ja nichts anderes als sein Tauschverhältnis, oder, noch einfacher, die Anzahl anderer Gegenstände, die sich regelmäßig mit ihm austauschen; und das hat natürlich nur im Tausch einen Sinn. Wo nicht getauscht wird, gibt es auch keinen Tauschwert. Da wir nun wissen, dass diejenigen Gegenstände, die man austauscht (das heißt, die zum Verkauf stehen), Waren genannt werden, so folgt daraus, dass nur die Waren Tauschwert haben. Andere Gegenstände haben keinen Tauschwert. – Der Gebrauchswert dagegen hat mit dem Tausch nichts zu tun. Er ist ganz einfach die Nützlichkeit eines Gegenstandes. Wenn ein Gegenstand Nützlichkeit hat, so hat er sie offenbar immer, ganz gleich, ob er ausgetauscht wird oder nicht.

Dinge, die keinen Gebrauchswert haben, das heißt, die der Mensch zu nichts verwenden kann, wird natürlich niemand kaufen. Folglich haben sie auch keinen Tauschwert, und wir können als allgemeine Regel den Satz aufstellen: ohne Gebrauchswert kein Tauschwert. – Das Umgekehrte gilt nicht. Gerade weil wir wenige fanden, die keinen Tauschwert und doch Gebrauchswert haben, wurden wir ja auf den doppelten Sinn des Wortes „Wert“ aufmerksam.

Der Unterschied zwischen Gebrauchswert und Tauschwert ist so wichtig, dass wir noch ein wenig dabei verweilen müssen. Wir hatten festgestellt, dass der Tauschwert eine Quantität (Menge) ist. Der Gebrauchswert dagegen ist keine Quantität. Ein Gegenstand ist uns nützlich oder unnütz; er hat Gebrauchswert oder hat keinen. Aber er kann nicht mehr oder weniger Gebrauchswert haben. Der Gebrauchswert ist eine Qualität, das heißt eine Eigenschaft der Dinge. Allerdings spricht man im gewöhnlichen Leben oft von mehr oder weniger Gebrauchswert. Doch wie bereits bemerkt, ist das nur eine Ungenauigkeit des gewöhnlichen Sprachgebrauchs. Wenn zum Beispiel jemand sagt, ein Werktisch sei ihm nützlicher als ein Schreibtisch, meint er da wirklich, in dem Werktisch stecke „mehr“ Nutzen als im Schreibtisch? Ganz gewiss nicht. Sondern er will nur ausdrücken, die Nützlichkeit des Werktisches sei von anderer Art als die des Schreibtisches, und passe für seinen Gebrauch. Also nicht von verschiedenen Mengen Nützlichkeit ist die Rede, sondern von verschiedenen Sorten.

Verschiedene Waren unterscheiden sich immer dadurch, dass sie verschiedenen Gebrauchswert haben. Zum Beispiel ein Tisch und eine Glasvase. Ihr Unterschied besteht eben in dem verschiedenen Gebrauchswert. Hätten sie den gleichen Gebrauchswert, so wären es zwei Tische oder zwei Vasen, aber nicht zwei verschiedene Waren. Dagegen können sie sehr wohl den gleichen Tauschwert haben. Wenn der Tisch 20 Mark kostet, so hindert das nicht, dass die Vase ebenfalls 20 Mark kostet. Ja noch mehr: wenn zwei Waren miteinander ausgetauscht werden sollen, so müssen sie verschiedenen Gebrauchswert und gleichen Tauschwert haben. Wer einen Tisch verkauft, will nicht einen gleichen anderen Tisch dafür haben, sondern eine andere Ware von verschiedenem Gebrauchswert. Dagegen verlangt er, dass die andere Ware den gleichen Tauschwert habe wie sein Tisch.

***

Nachdem wir die Überzeugung gewonnen haben, dass ein Unterschied besteht zwischen Gebrauchswert und Tauschwert, müssen wir jeden von ihnen einzeln genauer betrachten. Nehmen wir zuerst den Gebrauchswert. Woher kommt es, dass ein Gegenstand Gebrauchswert für uns hat?

Manche Gegenstände haben ihn von Natur, zum Beispiel Luft, Wasser, wild wachsende Früchte und dergleichen. Es sind aber nur wenig Gegenstände, die wir so ohne weiteres gebrauchen können, und überdies sind es gerade diejenigen, die bei regelmäßigen Zuständen niemals Ware werden. Der gesellschaftliche Reichtum – wir haben das ganz im Anfange festgestellt – besteht aber aus Waren. Beschränken wir also unsere Frage auf die Waren und nehmen wir, wie immer, ein ganz einfaches Beispiel, eine Ware, die man täglich sieht, einen Stuhl. Woher hat der Stuhl seinen Gebrauchswert?

Die Antwort liegt so klar zutage, dass ein Zweifel gar nicht möglich ist: er verdankt ihn offenbar der Arbeit, die ihn geschaffen hat. Ehe des Tischlers Arbeit aus dem Holz einen Stuhl machte, hatte das Holz freilich auch einen Gebrauchswert, aber einen anderen als den des Stuhles. Erst die Tischlerarbeit war es, die den Gebrauchswert Stuhl schuf. Hätte der Tischler eine andere Art Arbeit darauf verwendet, so wäre vielleicht ein Tisch daraus geworden, ein anderer Gebrauchswert. Hätte statt des Tischlers ein Zimmermann das Holz verarbeitet, so hätte er auch etwas Nützliches daraus gemacht, aber es wäre wieder ein anderer Gebrauchswert geworden. Je nach der Art der Arbeit, die auf einen Stoff verwendet wird, kommt ein anderer Gebrauchswert heraus. Der Gebrauchswert einer Ware hängt von der Art der Arbeit ab, die sie geschaffen hat.

Wie steht es nun mit dem Tauschwert? – Nehmen zum Beispiel folgende Reihe:

Tauschwert eines Tisches = 20 M.
Tauschwert eines Stuhles = 6 M.
Tauschwert eines Paares Stiefel = 12 M.
Tauschwert einer Vase = 3 M.

Man sieht auf den ersten Blick, dass hier von verschiedener Qualität gar nicht die Rede ist, sondern nur von verschiedener Quantität. Aus der Tatsache, dass der Tauschwert aller möglichen verschiedenen Waren sich in demselben Gegenstand, dem Geld ausdrücken kann, folgt, dass in allen Waren ein und dieselbe Art Tauschwert existiert. Vom Tauschwert gibt es nur eine Sorte; der Tauschwert, den eine Ware hat, ist von derselben Art, wie der, den die andere Ware hat; nur hat sie mehr oder weniger davon. Der Möbelhändler zum Beispiel gibt seinen Stuhl gern hin für 6 Mark, weil er genau weiß, dass er in den sechs Silberstückchen ebenso viel Wert wiederbekommt, wie er in dem Stuhl weggibt. Silber ist eine ganz andere Ware als Stuhl; aber der Wert, der in beiden steckt, muss von der gleichen Art sein. Man gibt den Stuhl hin, weil man sicher ist, von demselben Ding, Wert genannt, das man in dem Stuhl fortgibt, ebenso viel in den sechs Silberstücken wiederzukriegen. Die einfache Tatsache, dass man die Waren miteinander austauscht, beweist, dass der Wert in ihnen allen etwas Gleichartiges ist.

Eine andere Überlegung führt zum selben Resultat. Alle die verschiedenen Waren sind bekanntlich total verschiedenartige Gegenstände. Röcke, Stiefel, Töpfe, Messer, Stühle usw. usw. sind Dinge, die zunächst gar nichts miteinander gemein haben. Man sieht an ihnen nur Verschiedenartigkeiten.

Aber alle diese verschiedenartigen Dinge haben, wenn sie Waren sind, ihre Preise. Und durch die Preise stehen sie in einem Zahlenverhältnis miteinander. Jede Ware ist gleich viel oder mehr oder weniger wert als jede andere.

Kann man denn aber verschiedenartige Dinge in ein Zahlenverhältnis miteinander bringen? Kann man zum Beispiel zwei Äpfel und drei Birnen miteinander addieren? – Allerdings kann man das. Jedes Kind lernt es in der Schule und wird ohne Besinnen die Antwort finden: 2 Äpfel und 3 Birnen sind 5 Früchte.

Aber wenn man in dieser Weise Äpfel und Birnen addiert, so hat man sie nicht als Äpfel und Birnen genommen. Vielmehr hat man zuvor abgesehen von ihren Besonderheiten, abgesehen von dem, was sie gerade zu Äpfeln und Birnen macht, und nur das in Betracht gezogen, was ihnen gemeinsam ist. Man hat sie addiert auf Grund einer Gemeinsamkeit, einer Gleichartigkeit, nämlich dass sie beide Früchte sind.

Und das gilt immer und überall. Man kann verschiedenartige Dinge in Zahlenverhältnisse setzen, aber nur indem man von ihrer Verschiedenartigkeit; von ihren Besonderheiten absieht (abstrahiert), nur auf Grund von irgendetwas, das ihnen gemeinsam ist, nur auf Grund von irgend etwas Gleichartigem. 7 Nachtwächter und 5 Pferde sind 12 Lebewesen. Oder, um ein ganz drastisches Beispiel zu wählen 8 Sterne und 4 Kochtöpfe = 12 Gegenstände. Auch diese Zahlenoperation lässt sich ausführen, aber da hat man denn auch von allem und jedem abstrahiert, was an Sternen und Kochtöpfen wesentlich ist, man hat sie jedes eigenen bestimmten Begriffes entkleidet. Tut man das nicht, so ist es eben unmöglich, etwas Gleichartiges an Sternen und Kochtöpfen zu entdecken, und sogleich ist auch ein Zahlenverhältnis zwischen ihnen unmöglich.

Wir kommen also zu dem Ergebnis: Zahlenverhältnisse zwischen verschiedenartigen Dingen lassen sich nur auf Grund von irgendetwas Gleichartigem errichten.

Nun wissen wir, dass die verschiedenen Waren durchaus verschiedenartige Dinge sind; wir wissen aber weiter, dass sie nicht nur bei jedem Austausch in ein Zahlenverhältnis miteinander gesetzt werden, sondern dass sie sogar ohnedies durch ihre Preise in einem ständigen Zahlenverhältnis zueinanderstehen. Und zwar auf Grund ihres Wertes. Von jeder beliebigen Ware kann man mit Hilfe ihres Preises stets ohne weiteres sagen, ob und um wieviel sie mehr oder weniger wert ist als jede beliebige andere Ware. Also einerseits: verschiedenartige Dinge lassen sich in ein Zahlenverhältnis nur auf Grund von irgendetwas Gleichartigem setzen.

Anderseits: sämtliche Waren – diese ganz verschiedenartigen Dinge – stehen in einem ständigen Zahlenverhältnis auf Grund ihres Wertes.

Daraus folgt mit unumstößlicher Sicherheit, dass der Wert in allen Waren etwas Gleichartiges ist. Es gibt nur eine und dieselbe Sorte Wert in allen Waren; jede einzelne hat mehr oder weniger davon, aber immer von der gleichen Art.

Ist man einmal so weit, dann ergibt sich die weitere Schlussfolgerung von selbst. Der Wert muss etwas Gleichartiges sein in allen Waren. Gibt es denn so etwas? Hat nicht jede Ware ihre besonderen Eigentümlichkeiten? Ist nicht jede Ware ganz etwas anderes als jede andere Ware?

In der Tat ist es nicht leicht, etwas Gemeinsames in all den verschiedenen Waren aufzufinden, weil sie nur eine einzige gemeinsame Eigentümlichkeit haben, und das ist, dass sie Produkte menschlicher Arbeit sind. In allen Waren, sie mögen so verschieden sein, wie sie wollen, steckt menschliche Arbeit, und das ist das einzige Gemeinsame, das in ihnen steckt.

Mithin: wenn der Wert in allen Waren etwas Gemeinsames, Gleichartiges sein muss, und wenn die menschliche Arbeit das einzige Gemeinsame in allen Waren ist, so ist der Wert nichts anderes als menschliche Arbeit.

III.

Gegen die Marxsche Wertlehre werden allerhand Einwände erhoben, von denen drei einer näheren Betrachtung würdig sind:

1. außer der Arbeit gibt es noch etwas Gemeinsames in allen Waren, nämlich ihre Nützlichkeit, ihren Gebrauchswert;
2. Es gibt Arbeiten, die nicht zu Wert werden, nicht als Wert zählen;
3. es gibt Wert (zum Beispiel im Grund und Boden), der nicht von Arbeit herrührt.

Von diesen drei Einwänden widerlegt sich der erste sehr leicht. Allerdings haben sämtliche Waren Gebrauchswert, aber nicht denselben. Im Gegenteil, eine Ware unterscheidet sich von einer anderen gerade durch ihren verschiedenen Gebrauchswert. Der Unterschied zwischen einem Topf und einem Rock zum Beispiel besteht ja gerade in ihrem verschiedenen Gebrauchswert. Nun haben wir aber festgestellt, dass der Wert etwas Gleichartiges in allen Waren sein muss. Mithin kann der Gebrauchswert dafür nicht in Betracht kommen.

Jedoch dahinter steckt noch mehr. Woher kommt denn der Gebrauchswert selber? Die Antwort kennen wir schon und sie ist nicht zweifelhaft, sobald man sie sich an einem bestimmten Beispiel klar macht. Woher hat ein Rock seinen Gebrauchswert? Die Frage kommt ganz einfach darauf hinaus: woher kommt es, dass der Rock gerade ein Rock geworden ist und nicht irgendetwas anderes? Und das ist offenbar eine Folge der Arbeit, die den Rock geschaffen hat. Vorher war Stoff vorhanden, ebenfalls ein Gebrauchswert, aber ein anderer. Dieser Gebrauchswert ist durch die Arbeit in den Gebrauchswert Rock umgewandelt worden.

Also der Gebrauchswert der Waren ist ebenfalls nichts anderes als die Arbeit, die in ihnen steckt; und wer behauptet, dass der Wert auf dem Gebrauchswert beruht, der behauptet im Grunde auch nichts anderes, als was wir sagen, nämlich, dass der Wert auf Arbeit beruht. Nur begeht er den folgenden schwerwiegenden Fehler:

Dass der Stoff zum Rock wurde, ist nicht die Folge irgendeiner beliebigen Arbeit, sondern die Folge der ganz bestimmten Arbeit, die den Rock schuf. Es musste gerade ein Schneider sein, der den Stoff bearbeitete; ein Hutmacher hätte etwas anderes daraus gemacht. Und der Schneider musste auch gerade diese bestimmte Sorte von Schneiderarbeit auf den Stoff verwenden; sonst wären vielleicht ein paar Hosen daraus geworden.

Folglich: wer vom Gebrauchswert einer Ware redet, der redet allerdings von der Arbeit, die in ihr steckt, aber von der Arbeit mit all ihren ganz bestimmten Eigentümlichkeiten, die sie von allen anderen Arbeiten unterscheidet. (Er redet von der „konkreten“ Arbeit.) Der Gebrauchswert eines Rockes, das bedeutet Schneiderarbeit, und noch dazu eine ganz bestimmte Sorte Schneiderarbeit. Will er nun hierauf den Wert begründen, so verfährt er gerade so wie jemand, der Äpfel und Birnen addieren wollte, ohne von ihren unterscheidenden Merkmalen abzusehen. Nicht als Äpfel und Birnen, das heißt nicht als konkrete Früchte, kann man sie addieren, sondern nur als Früchte schlechthin, nachdem man von ihren Besonderheiten abgesehen (abstrahiert) hat.

Ebenso mit dem Wert. Er beruht allerdings auf der Arbeit, aber nicht auf der konkreten Arbeit, das heißt nicht auf der Arbeit des einen oder des anderen mit all ihren unterscheidenden Besonderheiten, sondern auf menschlicher Arbeit schlechthin, nachdem man von diesen Besonderheiten abgesehen (abstrahiert) hat; also auf „abstrakter“ menschlicher Arbeit.

Aus der wissenschaftlichen Ausdrucksweise in die gewöhnliche Sprache übersetzt, würde das etwa so lauten: man tauscht zwei verschiedene Waren, zum Beispiel einen Rock und einen Tisch, aus auf Grund des Quantums der in ihnen enthaltenen Arbeit; für den Wert der beiden kommt es also nicht auf die Art der in ihnen enthaltenen Arbeit an, nicht darauf, dass es Schneiderarbeit und Tischlerarbeit ist; von dieser verschiedenen Art wird abgesehen, die beiden Arten Arbeit werden gleichgesetzt als allgemein menschliche Arbeit.

Wir kommen zum zweiten Einwand. Nicht alle Arbeiten zählen als Wert. In der Tat, wenn jemand zur Herstellung einer Ware bedeutend mehr Arbeit verrichtet als seine Fachgenossen, dann zählt der Überschuss nicht als Wert. Dieser Überschuss, dieses Mehr an Arbeit, das er da geleistet hat – sei es infolge von Untüchtigkeit oder aus Liebhaberei – ist seine private, persönliche Angelegenheit. Für die anderen Menschen, für die Gesellschaft war es nicht notwendig. Deshalb kommt ihm die Gesellschaft dafür auch nicht auf. Nur die „gesellschaftlich notwendige Arbeit“ ist Wert.

Endlich der Wert des Grund und Bodens sowie anderer Güter, die nicht Arbeitsprodukte sind. Er widerspricht nur scheinbar unserem Wertgesetz. Denn unser Wertgesetz besagt nur, dass jeder Wert von Arbeit herrührt; also auch der Wert, der für den Grund und Boden bezahlt wird, rührt von Arbeit her. Wo und wann diese Arbeit geleistet worden, darüber besagt unser Wertgesetz zunächst noch gar nichts. Denn es weiß sehr wohl, dass in der heutigen Wirtschaft vielerlei Mittel und Wege bestehen, um den einmal geschaffenen Wert von einem Ort und von einer Person auf einen anderen Ort und auf eine andere Person zu übertragen. Der Grund und Boden hat in Wirklichkeit überhaupt keinen Wert. Wer's nicht glaubt, der versuche mal zu erklären, wieso ein Grundstück von genau gleichen Qualität, Lage usw. in der größeren Stadt doppelt so viel kostet, wie in der kleineren, und wieso auch innerhalb derselben Ortschaft die Preise von Grund und Boden oft rapide wechseln. Der Grund und Boden ist vielmehr nur ein Mittel für seinen Besitzer, um anderen Leuten Wert aus der Tasche zu holen, und zwar Wert, der lediglich durch Arbeit geschaffen wurde.

10. Woher kommt der Profit? – Der Mehrwert

I.

In der (im vorigen Kapitel dargestellten) Form, die Karl Marx ihr gegeben hat, ist die Arbeitswerttheorie streng logisch und unangreifbar. Sie erbringt den schlüssigen und unwiderleglichen Beweis, dass der Wert nichts anderes ist als menschliche Arbeit. Wiederholen wir noch einmal in aller Kürze den Gedankengang.

Die verschiedenen Waren sind an sich durchaus verschiedenartige Dinge. Gleichwohl stehen sie alle in bestimmten Zahlenverhältnissen zueinander, und zwar auf Grund ihres Wertes. Eine Zahlengleichung zwischen verschiedenartigen Dingen – z.B. ein Hut ist wert zwei Messer, ein Stuhl ist wert 6 Mark – ist nur möglich durch Abstraktion, durch Reduktion auf etwas Gemeinsames. Folglich ist der Wert etwas Gemeinsames in allen Waren. Nur ein Gemeinsames gibt es in sämtlichen Waren, das ist die menschliche Arbeit, die sie produziert hat. Also ist der Wert menschliche Arbeit.

Diese Beweisführung von Marx ist so schlagend, dass niemals auch nur der Versuch gemacht worden ist, sie zu widerlegen. Jahrzehnte lang nach Erscheinen des Marxschen Hauptwerkes „Das Kapital“ (22) hat sich die Vulgärökonomie, die an den Universitäten und in der offiziellen Wissenschaft noch immer die herrschende ist, die erdenklichste Mühe gegeben, Marx zu widerlegen und seine Lehre zu töten. Aber an diesen ersten seiner Grund- und Kernsätze hat sie sich nie herangewagt. Meist machten sich die Marx feindlichen Doktoren und Professoren irgendeinen anderen Gedankengang zurecht, den Marx nie aufgestellt noch behauptet hat; den widerlegten sie dann nach Herzenslust und bildeten sich ein, damit Marx und seine Lehre erledigt zu haben. (23)

Wissenschaftlich also steht diese Werttheorie unerschüttert da. Die Frage nach Ursprung und Natur des Wertes ist durch sie endgültig gelöst. Aber dennoch wird auch sie uns nicht befriedigen, wenn sie nicht imstande ist, Antwort auf diejenigen Fragen zu geben, welche die vulgäre Theorie unbeantwortet gelassen hat. Erinnern wir uns nur. Auch die vulgäre Werttheorie erschien auf den ersten Blick durchaus einleuchtend und zufriedenstellend. Stutzig wurden wir erst, als sich herausstellte, dass sie die Höhe der Preise nicht erklären konnte (und damit dann allerdings bei den gesamten Wirtschaftsvorgängen versagte; denn mit der Höhe der Preise hängt die Gestaltung des Arbeitslohnes zusammen, die Krisen, die Arbeitslosigkeit, die Teuerung, kurz die Gesamtheit des Wirtschaftslebens). Dies aber vermochte sie deshalb nicht, weil sie keine Erklärung wusste für Entstehung und Höhe des Zinses und des Unternehmergewinnes, also des Kapitalprofits.

Wie steht es nun hiermit bei der Marxschen Werttheorie? Mag sie wissenschaftlich und logisch so unanfechtbar sein, wie sie will – befriedigen wird sie nur dann, wenn sie ihrerseits die Antwort weiß auf die Frage: woher kommt der Profit? Erst das wird der wahre Prüfstein sein. Gerade da müssen aber zunächst große Bedenken aufsteigen.

Wenn der Wert etwas Objektives ist, das in den Waren steckt, also z.B. das Quantum Arbeit, das zu ihrer Produktion nötig war, so kann dieses Quantum nicht mehr wachsen oder abnehmen, sobald die Ware fertig, die Arbeit geleistet ist. Gerade dann aber sehen wir zuallermeist den Profit entstehen, beim Verkauf der Ware, im Handel. Nachdem ein bestimmtes Quantum Arbeit geleistet ist, die Ware also – nach der Arbeitswerttheorie – einen bestimmten Wert hat, an dem nun selbstverständlich nichts mehr geändert werden kann, sehen wir, dass sie zu einem anderen, höheren Wert verkauft wird. Und gerade dieser Überschuss an Wert, der ihr erst beim Verkauf sozusagen neu zuwächst, gerade der ist es, der den Profit ausmacht. Was also vermag uns die Marxsche Werttheorie über die Entstehung des Profits zu sagen?

II.

Legt man einem Durchschnittsbourgeois die Frage vor, woher der Profit kommt, so wird sie ihm recht überflüssig erscheinen. Der Profit entsteht dadurch, dass man die Waren teurer als zum Selbstkostenpreise verkauft, wird er antworten. – Aber so ist unsere Frage nicht gemeint. Wir wollen nicht wissen, welche Umstände es dem Kapitalisten ermöglichen, eine bestimmte Wertsumme als Profit einzustreichen, sondern durch welche Arbeit diese Wertsumme entstanden ist. Nach dieser Aufklärung wird uns der Bourgeois erst recht verwundert ansehen und wird sagen: natürlich durch die Arbeit des Kapitalisten selbst; muss er nicht als Fabrikant den Betrieb leiten? Muss er nicht die unzähligen oft mühsamen Arbeiten leisten, die für den Zusammenhalt des Ganzen und somit für das ordnungsmäßige Zustandekommen des Produktes unentbehrlich sind? Muss er nicht als Kaufmann für den richtigen Ausgleich von Produktion und Konsum sorgen? nicht durch geschickte Disposition die Befriedigung aller Bedürfnisse des Weltmarktes ermöglichen? Ist das nicht schwere und nützliche Arbeit, die er da leistet?

Recht gut und schön, werden wir antworten. Es fällt uns nicht ein, zu bestreiten, dass die Leitung der Produktion wie die Vermittlung des Austausches notwendige Arbeiten sind und dass mithin die Personen, die sich darin betätigen, sich der Gesellschaft nützlich machen. Nur will es uns zweifelhaft erscheinen, ob die Entstehung ihres Profites mit dieser ihrer Arbeit zusammenhängt. Denn erstens mal gibt es doch auch Kapitalisten, die nicht arbeiten und doch Profit einstreichen, zum Beispiel die Aktionäre. Wenn jemand heute für 100 000 Mark Aktien von einem Bergwerk besitzt, so bekommt er, falls die Dividende 10 Prozent beträgt, Jahr für Jahr 10 000 Mark aus den Überschüssen des Bergwerkes, ohne dass er den Betrieb je zu betreten braucht. Dieser Profit ist also auf keinen Fall die Frucht seiner Arbeit. – Zweitens: selbst bei den Kapitalisten, die arbeiten, richtet sich die Größe des Profites nicht nach der Menge ihrer Arbeit. Wenn ein kleiner Krauter sein Geschäft mit 10 000 Mark Kapital betreibt, so kann er sich die Zunge aus dem Halse arbeiten, er wird nie so viel Profit machen wie sein Konkurrent, der eine Million im Geschäft stecken hat, selbst wenn dieser Konkurrent viel weniger arbeitet als er. Nicht nach der Arbeit des Kapitalisten richtet sich die Größe des Profites, sondern nach der Größe des Kapitals. – Und endlich drittens: wieviel der Kapitalist durch die Arbeit der Leitung usw. an Wert schafft, lässt sich einigermaßen abschätzen durch Vergleich mit solchen Betrieben, wo die Leitung durch Angestellte besorgt wird. Stellen wir uns zwei ganz gleiche Betriebe vor, deren jeder 100 000 Mark jährlich abwirft; der eine wird von seinem Besitzer geleitet, der andere gehört einer Aktiengesellschaft, ihm steht ein angestellter Direktor vor, der 20 000 Mark Jahresgehalt bekommt. Wenn wir uns nun vorstellen wollen, dass die Arbeit der Leitung wirklich einen Wert von 20 000 Mark jährlich erzeugt (was zweifellos viel zu hoch gegriffen ist), nun, dann hat eben auch der Besitzer des ersten Betriebes mit seiner gewiss höchst nützlichen Arbeit einen Wert von 20 000 Mark erzeugt. Aber darüber hinaus bekommt er noch 80 000 Mark; die sind erst sein Profit und haben mit seiner Arbeit offenbar gar nichts zu tun.

Unser Bourgeois macht ein langes Gesicht. So hat er sich die Sache noch nie überlegt. Ihm war es bisher ganz selbstverständlich erschienen: der Kapitalist arbeitet doch, arbeitet manchmal viel und schwer, folglich sei es auch nur recht und billig, dass er Profit bekommt. – Nun, ob es recht und billig ist, darüber wollen wir nicht streiten; die Ansichten über Recht und Billigkeit gehen gar zu weit auseinander. Wir lassen jedem seine Ansichten. Nur die Tatsachen möchten wir doch mit einiger Genauigkeit feststellen. Und deshalb fragen wir noch einmal: Durch wessen Arbeit ist die Wertsumme entstanden, die der Kapitalist als Profit einstreicht? Durch des Kapitalisten eigene Arbeit offenbar nicht, das haben unsere drei obigen Argumente schlagend bewiesen. Also durch wessen Arbeit denn?

Hei, denkt unser Bourgeois, die Sache ist ja einfach. Profit wird ja doch beim Verkauf gemacht, Profit ist ja doch der Überschuss, der dem Verkäufer der Waren bleibt. Also was ist da weiter zu überlegen? Der Kaufmann verkauft die Waren teurer als er sie eingekauft hat, folglich nimmt er die überschießende Wertsumme einem Kunden ab.

Auch diese Antwort ist indes keineswegs so einfach, wie sie zu sein scheint. Es fragt sich, wie sie gemeint ist. Hat ein Kleiderhändler einen Anzug, der 60 Mark wert ist, und verkauft er ihn für 60 Mark, so macht er offenbar keinen Gewinn. Profit würde er erst haben, wenn er ihn teurer als für 60 Mark verkauft. Und so ist es natürlich auch gemeint: entweder der Anzug wird für 60 Mark verkauft, dann ist er keine 60 Mark wert; oder er ist 60 Mark wert, dann wird er teurer als für 60 Mark verkauft.

Also wenn gleichwertige Waren (Äquivalente) ausgetauscht werden, entsteht kein Profit. Es muss notwendigerweise angenommen werden, dass die Waren über ihrem Wert verkauft werden. Und zwar nicht etwa ausnahmsweise, denn das würde ja auch die Entstehung des Profits nur ausnahmsweise erklären – sondern dauernd und regelmäßig.

Leider stößt aber auch bei dieser Voraussetzung die Erklärung des Profites auf Schwierigkeiten, wie wir alsbald sehen werden.

Die gewöhnliche Ansicht, dass der Profit einfach durch Überteuerung der Waren entsteht (das heißt durch Verkauf über dem Wert), wird scheinbar bestätigt durch die Erfahrungen des praktischen Lebens. Erstens mal ist es eine bekannte und unbestreitbare Tatsache, dass solche Betrügerei oft genug im Handel vorkommt. Der Kunde kann in der Regel nicht wissen, wieviel die Ware wert ist, und zahlt, was ihm abverlangt wird, und kaum dürfte es einen Kaufmann geben, der es nicht für sein gutes Recht hielte, sich das gelegentlich zu Preisaufschlägen zunutze zu machen. Zweifellos aber gibt es Händler, die überhaupt nur von derartigen Praktiken leben. Lasen wir doch vor nicht langer Zeit in den Zeitungen, dass es in Berlin Konfektionsgeschäfte gibt, die nur von der Ausplünderung der Prostituierten leben, indem sie ihnen zum Beispiel für ein Kleid, das etwa 80 Mark wert ist, ungeniert 1000 Mark abnehmen, und dergleichen mehr. Also, dass tatsächlich vielfach die Waren über ihrem Wert verkauft werden, das zu bestreiten wird niemandem einfallen.

Dazu kommt, dass selbst der reellste Kaufmann stets zwei Preise für seine Waren hat: einen Einkaufspreis und einen Verkaufspreis, und gerade aus der Differenz zwischen beiden zieht er ja seinen Profit. Nun kann doch aber offenbar nur einer von beiden Preisen dem Werte gleich sein. Ist es der Verkaufspreis, so wird der Lieferant übervorteilt. Aber der Lieferant ist in der Regel selbst ein gewiegter Kaufmann oder Fabrikant, der den Wert der Ware ganz genau kennt und sich nicht übervorteilen lässt. Also wird es doch wohl der Kunde sein, der bluten muss.

Das ist die Überlegung, die der gewöhnliche „gesunde Menschenverstand“ anstellt – falls er sich überhaupt die Mühe macht, über solche Dinge nachzudenken – und mit der er sich beruhigt, weil sie den Ursprung des Profits vollkommen zu erklären scheint. Wer sich aber dabei nicht beruhigt, sondern weiterdenkt, der stößt alsbald auf allerlei ungeahnte Schwierigkeiten.

Die Annahme ist jetzt, dass alle Waren dauernd und regelmäßig über ihrem Wert verkauft werden. Sagen wir, mit 25 Prozent Aufschlag. Stellen wir uns nun einmal vor, wie unter dieser Voraussetzung der Handel vor sich geht.

Ein Möbelhändler will einen Tisch für 20 Mark verkaufen. Wert ist der Tisch natürlich nur 16 Mark, die anderen 4 Mark sind Profit. Der Handel gelingt, und in der Tat ist der Möbelhändler dadurch um 4 Mark reicher geworden. Was macht er nun mit dem goldenen 20-Mark-Stück? – Er kann gar nichts anderes damit anfangen, als wieder etwas dafür zu kaufen. Mag er es vorläufig sparen, mag er es auf die Bank geben, das bleibt sich völlig gleich: früher oder später kommt doch der Moment, wo wieder etwas dafür gekauft wird. Denn das ist der einzige Gebrauch, der von Geld gemacht werden kann.

Ist aber dieser Augenblick gekommen, so hat sich das Blättchen gedreht. Jetzt ist der Möbelhändler Käufer und steht einem Verkäufer gegenüber, der seinerseits Profit machen will. Braucht der Möbelhändler zum Beispiel einen Rock, so wird ihm der Kleiderhändler selbstverständlich für das 20-Mark-Stück einen Rock geben, der nur 16 Mark wert ist. Er kann gar nicht anders, denn wo bliebe sonst des Kleiderhändlers Profit?

Was ist demnach das Ende vom Lied? Ursprünglich besaß der Möbelhändler einen Tisch, der 16 Mark wert war; zuletzt besitzt er einen Rock, der auch nur 16 Mark wert ist! Dass er dazwischen ein Holdstück im Werte von 20 Mark in Händen hatte, nützt ihm nichts. Den Profit, den er beim Verkauf des Tisches eingestrichen hat, musste er beim Kauf des Rockes wieder drangeben. Wie gewonnen, so zerronnen!

Ganz so einfach, wie man es sich gewöhnlich vorstellt, scheint es demnach mit der Entstehung des Profites durch Überteuerung der Waren doch nicht zu sein.

Selbstverständlich imponieren jedoch unsere bisherigen Bedenken dem „gesunden Menschenverstand“ noch lange nicht. Mit überlegener Miene entgegnet er: „Das wissen wir längst, mein Lieber, dass auch der Kaufmann, wenn er Einkäufe macht, ebenso überteuert wird, wie jeder andere Käufer. Aber was macht ihm das aus? Die Einkäufe für seinen Privatbedarf sind stets viel geringer als seine Verkäufe; er verliert dort folglich viel weniger, als er bei seinen Verkäufen einstreicht. Nehmen wir zum Beispiel einen Kaufmann mit sehr großem Privatbedarf, der für seinen Haushalt 50 000 Mark jährlich ausgibt. Der würde – bei 25 Prozent Profit – für seine 50 000 Mark nur Waren im Werte von 40 000 Mark kriegen, also 10 000 Mark jährlich verlieren. Aber ein solcher Kaufmann, der 50 000 Mark jährlich für die Privatbedürfnisse ausgeben kann, hat einen jährlichen Umsatz von mindestens einer Million; sein Profit beträgt also 200 000 Mark, so dass er die 10 000 Mark Verlust gut und gerne tragen kann und doch immer reicher dabei wird. Der Verlust bei seinen privaten Einkäufen kann also seinen Profit bei weitem nicht wett machen. Und wenn er Waren einkauft für sein Geschäft, so kann ihm die Überteuerung ganz gleichgültig sein, denn die holt er ja mit Vorteil von seinen Kunden wieder heraus. Er schlägt ja seine 25 Prozent auf den von ihm gezahlten Einkaufspreis; je teurer der ist, desto mehr müssen die Kunden zahlen.“

Also der letzte Käufer, der Konsument, das Publikum, an dem soll schließlich alles hängen bleiben. Das Publikum soll bei seinen Einkäufen alle die Preisaufschläge bezahlen, die vorher – natürlich nicht nur von dem letzten Kaufmann, sondern von allen, die mit der Ware je zu tun hatten – auf den Wert gemacht worden sind.

Das ist in der Tat die Vorstellung, die man sich gewöhnlich vom Hergang der Sache macht. Wir werden auch sie näher prüfen müssen.

III.

Nach der Arbeitswerttheorie ist die Ware so viel wert, wie ihre Herstellung Arbeit erfordert hat, also – nach der Darlegung von Adam Smith und den früheren – so viel Arbeit, wie für ihre Herstellung bezahlt worden ist. Auf diese Produktionskosten schlägt der Fabrikant seinen Profit. Schon er verkauft sie demnach über ihrem Wert. Von ihm kauft noch lange nicht das Publikum, sondern in der Regel passiert jede Ware eine ganze Reihe von Zwischenhänden, bevor sie an den Konsumenten kommt. Jeder einzelne, durch dessen Hände die Ware geht, schlägt nun auf das, was er bezahlt hat, einen Profit und verkauft sie mit dieser Verteuerung weiter, so dass der Konkurrent alles in allem eine enorme Überteuerung zu tragen hätte.

Es wird nützlich sein, zunächst einmal ein kleines Rechenexempel anzustellen, um wieviel die Ware schließlich dem Publikum überteuert sein müsste, wenn die Dinge wirklich diesen Verlauf nähmen.

Zur Produktion von Baumwollhemden zum Beispiel muss zuerst der Pflanzer in Amerika Baumwolle produzieren. Nehmen wir an, er habe einen Ballen im Werte von 100 Mark fertig. Darauf schlägt er seinen Profit von, sagen wir, 10 Prozent. Er verkauft also die Baumwolle für 110 Mark an den Spinner. Die in der Spinnerei geleistete Arbeit setzt natürlich der Baumwolle neuen Wert zu. Doch können wir sie aus der Rechnung lassen, weil ja der Spinner auf alle seine Produktionskosten den Profit aufschlägt. Er stellt die 110 Mark, die er für die Baumwolle gezahlt hat, in eine Kalkulation und schlägt dann die 10 Prozent auf seine gesamten Selbstkosten. Demnach berechnet er sich im Garn 121 Mark das, was nur 100 Mark wert ist. – Vom Spinner kauft der Weber. Wenn dieser seinen Verkaufspreis kalkuliert, muss er schon für den gleichen Wert 133,10 Mark in Rechnung setzen. Der fertige Baumwollstoff geht an den Hemdenfabrikanten, in dessen Verkaufspreis die Summe, die für den Wert von 100 Mark gezahlt wird, bereits auf 146,60 Mark anschwillt. Diesen Preis zahlt der Großhändler, und wenn wir nun annehmen, dass der Großhändler die Hemden direkt an das Publikum verkauft, so hätte schon nach dieser mäßigen Rechnung der Konsument 161,05 Mark zu zahlen für etwas, was nur 100 Mark wert ist.

Dabei ist aber die Rechnung viel zu mäßig. Denn erstens haben wir ja alle Zwischenhändler ausgelassen, und zweitens ist der Profit viel höher als 10 Prozent. In der Wirklichkeit schiebt sich allermindestens zwischen Pflanzer und Spinner, zwischen Spinner und Weber, zwischen Großhändler und Publikum je ein Zwischenhändler. Meist sind es sogar mehrere. Berücksichtigen wir nur die hier genannten, so steigt der Preis schon auf 235,80 Mark! Und was den Profit anbetrifft, so ist nicht 10 Prozent, sondern sogar noch 25 Prozent ein mäßiger Satz. Setzen wir diesen in die Rechnung ein, so kommt ein Betrag von 400-500 Mark heraus, den das Publikum zu zahlen hätte für etwas, das nur 100 Mark wert ist!

Man wird zugeben, das ist eine so enorme Überteuerung, dass schon dieses bloße Nachrechnen es schwer macht, an die Richtigkeit eines solchen Herganges der Sache zu glauben. Wo sollte das Publikum die kolossalen Wertmengen wohl hernehmen, die es solchergestalt tagaus tagein an die Kapitalisten ohne Gegenwert abtreten müsste? Wer ist überhaupt das kaufende Publikum, das so ununterbrochen gewaltige Wertmassen verschenken kann?

Zum kaufenden Publikum gehört jedermann. Aber die Kaufleute und Fabrikanten fallen von vornherein außer Betracht. Denn die streichen ja auf alle Fälle sehr viel mehr ein, als sie bei ihren Einkäufen verlieren. Nun gibt es freilich außer ihnen noch sehr reiche Leute unter den Käufern, nämlich die anderen Kapitalisten, die ihr Geld, wie man zu sagen pflegt, „angelegt“ haben und dafür Renten, Zinsen, Dividenden und dergleichen beziehen. Wenn so ein Mann, dem man den Reichtum schon von weitem ansieht, in einen Laden kommt, um Einkäufe zu machen, so wird sich freilich der Kaufmann mit Wonne darauf stürzen und ihm, wenn möglich, 400 bis 500 Prozent zu viel abnehmen. Und das scheint den Profit zu erklären, solange man nur einen einzelnen Reichen und einen einzelnen Kaufman betrachtet. Doch leider schwindet der falsche Schein, sobald man vom einzelnen auf die gesamte Klasse übergeht.

Das Einkommen dieser reichen Leute, womit sie den Kaufmann bezahlen, besteht in Zinsen, Renten, Dividenden und dergleichen, Wo stammen denn die her? – Stellen wir uns vor, der reiche Geldmann A. hat sein Vermögen auf eine Bank gelegt, die ihm alljährlich so und so viel Tausende an Zinsen gibt. Wie ermöglicht das die Bank? Nun, sehr einfach: sie hat das Vermögen des Herrn A. in irgendwelche industriellen Unternehmungen gesteckt, dort wird Profit gemacht, und die Zinsen, die A. bekommt, sind ein Teil dieses Profites. Auf diese Weise einzig und allein kommt das arbeitslose Einkommen der Geldleute zustande. Sie haben es aus dem Profit der Kaufleute und Fabrikanten erhalten, und wenn sie dann beim Einkaufen noch so sehr begaunert werden, so geben sie damit immer nur den Kaufleuten einen Teil dessen zurück, was sie ihnen vorher abgenommen. Das Einkommen der Geldleute erklärt sich aus dem Profit, aber nicht umgekehrt.

Aber nun ist ja noch eine große Zahl von Käufern da, nämlich die Arbeiter. Auch diese werden zweifellos häufig bei ihren Einkäufen übervorteilt. Doch leider kann auch das nicht die Entstehung des Profits erklären, denn das gesamte Einkommen der Arbeiterklasse reicht ja dazu nicht aus. Es handelt sich, wie wir oben berechnet haben, um eine Überteuerung um 400 bis 500 Prozent. Es soll erklärt werden der Ursprung einer Summe, die vier- bis fünfmal so groß ist wie der gesamte Wert der Waren. Aber männiglich weiß doch, dass das Einkommen der Arbeiter noch nicht einmal so groß ist wie der Gesamtwert der Waren, sondern bedeutend kleiner. Wie sollten sie da eine 4-5mal größere Summe bezahlen können?

Mit der Entstehung des Profits im Handel, die erst so selbstverständlich und einfach erschien, scheint es also doch seinen Haken zu haben.

IV.

Unsere bisherigen Erörterungen haben bewiesen, dass – entgegen der allgemeinen Ansicht – der Profit nicht im Handel entstehen kann, und dass auch hier wieder mal der Schein trügt. Selbstverständlich bestreiten wir nicht, dass vielfach die Waren über ihrem Wert verkauft werden, aber das erklärt nicht die Entstehung des Profits. Auch wenn die Waren zu ihrem richtigen Wert verkauft werden, wird Profit gemacht.

Daraus ergibt sich notwendigerweise der Schluss, dass der Kaufmann selbst die Waren unter ihrem Wert einkaufen muss. Aber ist das möglich? Letzten Endes kauft der Kaufmann vom Fabrikanten. Kann denn der die Ware unter ihrem Wert abgeben? Das wäre nur denkbar, wenn er selbst sie noch billiger, also weit unter ihrem Wert, bekommt. Der Fabrikant kann aber doch unmöglich weniger dafür zahlen als eben ihre Produktionskosten, und die sollen ja – nach der landläufigen Ansicht – ihrem Werte gleich sein.

Wenn das stimmt, so schwindet jede Möglichkeit, den Ursprung des Profits zu erklären. Ob es aber stimmt, das werden wir zunächst einmal nachprüfen dürfen.

Vergleichen wir also die Höhe der Produktionskosten einer Ware mit ihrem Wert, um zu sehen, ob beide wirklich gleich sind.

Die Produktionskosten finden wir in der Kalkulation jedes Fabrikanten. Wenn jemand zum Beispiel eine Fabrik baumwollener Hemden betreibt, so wird er, um die Herstellung eines Dutzend Hemden zu berechnen, zunächst die Kosten für den Baumwollstoff ansetzen, der dabei verbraucht worden. Ebenso die Kosten der etwa dazugehörigen Hilfsstoffe, wie zum Beispiel Farbe. Die ganze Baumwolle nebst den ganzen Hilfsstoffen, die zur Herstellung dieser zwölf Hemden nötig waren, gehört zu ihren Produktionskosten. Weiter gehört dazu die Abnutzung der Maschinen und Werkzeug. Der Fabrikant weiß aus Erfahrung, für wieviel Dutzend Hemden eine jede Maschine ausreicht, er berechnet also auf jedes Dutzend den entsprechenden Teil vom Wert der Maschine. Genauso verrechnet er die Abnutzung der Baulichkeiten, in denen die Produktion der Hemden betrieben wird. Hilfsstoffe für die Maschinen, wie Schmieröl, Kohlen usw., sowie auch solche für die Gebäude, Heizung und Beleuchtung zum Beispiel, lassen sich ebenfalls genau pro Dutzend Hemden berechnen. Zum Schluss kommt dann der Arbeitslohn, von dem ebenfalls genau festgestellt wird, wieviel pro Dutzend bezahlt ist. – Folgendes sind demnach die Bestandteile, aus denen der Herstellungspreis (die Produktionskosten) sich zusammensetzt:

1. ein Teilchen vom Wert der Gebäude,
2. ein Teilchen vom Wert der Maschinen und Werkzeuge,
3. der gesamte Wert der verbrauchten Rohstoffe und Hilfsstoffe
4. der Arbeitslohn.

Das wären die Produktionskosten. Vergleichen wir nun hiermit den Wert dieses selben Dutzend Baumwollhemden.

Der Wert einer Ware ist die zu ihrer Herstellung gesellschaftlich notwendige Arbeit. Welche Arbeit nun ist gesellschaftlich notwendig zur Herstellung eines Dutzend Baumwollhemden?

Offenbar vor allen Dingen die Arbeit in der Hemdenfabrik selbst. Mit den bereitstehenden Maschinen und Werkzeugen muss der Arbeiter die bereitliegende Baumwolle nebst Hilfsstoffen zu Hemden verarbeiten. Damit er das kann, müssen die Maschinen, Werkzeuge, Gebäude, sowie auch die Baumwolle und ihre Hilfsstoffe vorher fertiggemacht sein. Also ist zur Herstellung der Baumwollhemden auch diejenige Arbeit notwendig, welche die Maschinen, Werkzeuge, Gebäude, Rohstoffe und Hilfsstoffe erzeugt hat. Und alle diese verschiedenen Arbeiten setzen den Wert der Baumwollhemden zusammen. Es versteht sich, dass der Wert aller dieser Produktionsmittel genau in derselben Weise zum Wert der Baumwollhemden beiträgt, wie vorher zu ihren Produktionskosten. Eine Maschine zum Beispiel dient zur Herstellung vieler Dutzend Hemden; folglich verteilt sich ihr gesamter Wert auf alle diese vielen Dutzend, und auf ein einzelnes Dutzend kommt nur ein entsprechender Teil ihres Wertes. Dasselbe gilt für die Gebäude. Dagegen wird ein bestimmtes Quantum Baumwolle ganz und gar verbraucht für ein Dutzend Hemden, somit geht auch sein Wert ganz und gar in dieses Dutzend über, und ebenso steht es mit den Hilfsstoffen.

Bis hierher haben wir also in der Tat völlige Übereinstimmung des Wertes mit den Produktionskosten. Dasselbe Teilchen vom Wert der Gebäude, das wir in den Produktionskosten fanden, finden wir im Wert der Baumwollhemden wieder, ebenso dasselbe Teilchen vom Wert der Maschinen und Werkzeuge. Desgleichen gehört der gesamte Wert der verbrauchten Rohstoffe und Hilfsstoffe, wie zu den Produktionskosten, so auch zum Wert der Hemden.

Es bleibt der letzte Posten übrig, der Arbeitslohn. Das ist bekanntlich die Summe Geldes, die der Arbeiter für die Herstellung der Hemden bekommt. Diese Summe geht selbstverständlich nicht in den Wert der Hemden über, denn sie wird ja vom Arbeiter verzehrt. An ihrer Stelle erscheint im Wert der Hemden die neue, in der Hemdenfabrik geleistete Arbeit, und es fragt sich, ob auch das dieselbe Wertgröße ist wie der Arbeitslohn.

Um dies zu ergründen, fragen wir uns zunächst einmal, was der Arbeitslohn eigentlich ist.

Der Arbeitslohn ist diejenige Summe Geldes, welche für geleistete Arbeit bezahlt wird. Er ist – nach der allgemeinen Ansicht – der Preis der Arbeit. Nun ist der Preis einer Ware nichts anderes als ihr in Geld ausgedrückter Wert. Man kann den Wert einer Ware in jeder beliebigen anderen Ware ausdrücken. Zum Beispiel ein Tisch kann wert sein drei Stühle oder vier Hüte oder einen Stock oder zwei Paar Stiefel usw. Jedes Mal ist hier der Wert des Tisches in einer anderen Ware ausgedrückt. Ebenso kann man ihn auch in Geld ausdrücken, zum Beispiel ein Tisch ist wert 20 Mark. In diesem Falle hat man den Preis des Tisches.

Da also das Wort „Preis“ nichts anderes bedeutet, als „in Geld ausgedrückter Wert“, so muss der Arbeitslohn, falls er der „Preis der Arbeit“ sein soll, der in Geld ausgedrückte „Wert der Arbeit“ sein.

Nun haben wir aber gesehen, dass der Wert selbst nichts anderes ist als Arbeit. Nicht jede Arbeit ist Wert, wie wir sahen, aber jeder Wert ist Arbeit. – Aber dann kann doch die Arbeit keinen Wert haben und der Ausdruck „Wert (oder Preis) der Arbeit“ ist sinnlos! Es wäre gleichbedeutend mit „Wert des Wertes“ oder „Arbeit der Arbeit“, was offenbar keinen Sinn hat.

Hieraus folgt mit zwingender Notwendigkeit, dass der Arbeitslohn nicht der Preis der Arbeit sein kann, und dass uns der Schein der Dinge wieder einmal in die Irre geführt hat. Es gilt zu erkennen, welch tatsächlicher Zusammenhang sich hinter diesem falschen Schein verbirgt.

Um das festzustellen, werden wir freilich von dem falschen Schein ausgehen müssen, da kein anderes Material zur Beobachtung vorhanden ist. Nehmen wir also zunächst an, der Arbeitslohn sei wirklich der „Wert der Arbeit“, und fragen wir, wodurch dieser angebliche Wert bestimmt wird? Selbstverständlich, ebenso wie der Wert jeder anderen Ware, durch die zu ihrer Produktion gesellschaftlich notwendige Arbeit. Das heißt also: der „Wert der Arbeit“ (wenn es so etwas gibt) ist diejenige Menge Arbeit, die zur Herstellung der Arbeit gesellschaftlich notwendig ist.

Bleiben wir bei unserem Beispiel von der Hemdenfabrikation und fragen wir weiter: was für Arbeit ist denn notwendig, um die Arbeit des Hemdenmachens zu schaffen? – Die Antwort ist nicht schwer. Um Hemden zu machen, muss der Arbeiter zunächst sein Fach gelernt haben; außerdem muss er seinen Körper und seine Kenntnisse ständig in gutem Zustande erhalten. Beides geschieht durch den Verzehr der nötigen Unterhaltsmittel. Die Produktion dieser Unterhaltsmittel ist also notwendig, um die Arbeit des Hemdenfabrizierens zu ermöglichen. Und somit wäre der „Wert der Arbeit“ gleich derjenigen Menge Arbeit, die zur Produktion dieser Lebensmittel gesellschaftlich notwendig ist.

Bis zu diesem Punkt ist die Überlegung bereits von Marx großen Vorgängern gefördert worden. Mit ihnen nahm man allgemein an, dass der „Wert der Arbeit“ gleich sei dem Wert derjenigen Menge Lebensmittel, die der Arbeiter verzehren muss. Genaue Betrachtung zeigt aber, dass diese Ansicht nicht tief genug geht.

Was wird denn durch den Verzehr dieser Lebensmittel geschaffen? Keineswegs die Arbeit, sondern die Arbeitsfähigkeit oder Arbeitskraft. Wenn der Arbeiter der Hemdenfabrik täglich die notwendigen Lebensmittel verzehrt, so ist er imstande, Hemden zu machen; ob er’s wirklich tut, ist noch eine andere Frage. Also durch den Verzehr der Lebensmittel entsteht nicht die Arbeit selbst, sondern die Arbeitskraft. Folglich stellen sie nicht den „Wert der Arbeit“ dar, sondern den Wert der Arbeitskraft. Der sinnlose Ausdruck ist aufgelöst und auf seine wahre Bedeutung zurückgeführt.

Der Arbeitslohn ist der Preis der Arbeitskraft. Er bestimmt sich, wie der Preis aller anderen Waren, nach dem Wert der Arbeitskraft, das heißt nach derjenigen Menge Arbeit, die gesellschaftlich notwendig ist zur Erzeugung der Lebensmittel, durch deren Verzehr die Arbeitskraft entsteht. Auf der Grundlage dieses Wertes wird der Lohn (das heißt der für die Arbeitskraft wirklich gezahlte Preis) beeinflusst von Angebot und Nachfrage, wie wir das früher bereits abgehandelt haben.

Was der Kapitalist vom Arbeiter kauft, ist mithin – wiederum entgegen der allgemeinen Ansicht – nicht die Arbeit, sondern die Arbeitskraft. Diese verwendet er zusammen mit den Maschinen, Rohstoffen usw. zur Produktion. Indem die Arbeitskraft sich betätigt, erzeugt sie Wert. Nirgends aber steht geschrieben, dass die von ihr erzeugte Wertsumme ebenso groß sein muss wie die für sie bezahlte Wertsumme. Der Wert der Arbeitskraft ist diejenige Menge Arbeit, die geleistet werden muss, um die nötigen Lebensmittel des Arbeiters zu produzieren; der beim Hemde fabrizieren geschaffene Wert ist diejenige Menge Arbeit, die der Hemdenmacher leistet. Im regelmäßigen Verlauf der Dinge ist die letzte Summe stets größer als die erste. Zur täglichen Erzeugung seiner Arbeitskraft braucht der Arbeiter keineswegs einen ebenso großen Wert, wie er durch seine Arbeit täglich schaffen kann und – im regelmäßigen Verlauf der Dinge – auch tatsächlich schafft.

Sobald wir nun die hier gewonnene Erkenntnis nutzbar machen für unseren Vergleich der Produktionskosten einer Ware mit ihrem Wert, enthüllt sich ein bedeutsamer Unterschied zwischen beiden. Zu den Produktionskosten gehörte der Arbeitslohn; im Wert der Ware tritt an dessen Stelle die in der Hemdenfabrik neu geleistete Arbeit. Und wir haben nun gesehen, dass diese größer ist als der Arbeitslohn Folglich ist der Wert einer jeden Ware größer als ihre Produktionskosten. In dem Unterschied zwischen der für die Produktion einer Ware geleisteten und der dafür bezahlten Arbeit liegt die Lösung des Geheimnisses, der selbst Adam Smith und Ricardo noch nicht auf die Spur zu kommen vermochten.

Damit ist der Ursprung des Profites aufgeklärt: der Fabrikant kann dem Kaufmann die Ware zu einem Preise überlassen, der geringer ist als ihr Wert und trotzdem höher als die Produktionskosten; der Kaufmann kann sie zu ihrem richtigen Wert verkaufen; so machen beide Profit, selbst wenn der Kunde die Waren nur zu ihrem Werte bezahlt. Nicht im Handel entsteht der Profit durch Überteuerung der Kundschaft, sondern in der Produktion der Waren durch Ausbeutung der Arbeiter.

Jedoch bleibt nicht der ganze auf solche Art entstandene Überschuss in den Händen der Kaufleute und Fabrikanten; vielmehr müssen sie Teile davon als Renten, Zinsen, Dividenden usw. an andere Kapitalisten abtreten. Unter Profit versteht man aber nur denjenigen Teil des Überschusses, der schließlich den Kaufleuten und Fabrikanten verbleibt. Um nun auch für den gesamten Überschuss eine Bezeichnung zu haben, hat Marx ihm den Namen „Mehrwert“ gegeben.

11. Allerlei Schwierigkeiten

Mit dieser Mehrwerttheorie ist die Entstehung des Profits erklärt, aber noch keineswegs die Bildung der Preise. Es ist bisher nur allgemein die Quelle aufgedeckt, aus der der Profit stammt. Aber noch in keiner Weise ist gezeigt, warum im einzelnen Fall der Profit gerade diese bestimmte Größe hat. Darauf aber kommt es an. Denn wir erinnern uns: jeder Preis kommt zustande, indem der Fabrikant auf seine Selbstkosten den in seiner Branche üblichen Profit aufschlägt, und der Bankrott der Vulgärökonomie ward offenbar, als sie nicht zu entschleiern vermochte, warum in dem einen Fall gerade dieser und im andern Fall gerade jener Profitsatz „üblich“ ist. Denn je nachdem der Profit 25 oder 35 oder vielleicht 45 Prozent beträgt, ergibt sich ein ganz anderer Preis.

Kann die Marxsche Mehrwerttheorie dieses Rätsel lösen? – Auf den ersten Blick möchte es scheinen, als sei es schon gelöst. Ein Fabrikant beschäftigt, sagen wir, 100 Arbeiter. Eine bestimmte Menge Produktionsmittel von bestimmtem Wert muss er ihnen zur Verfügung stellen; sagen wir 1000 Mark. Desgleichen zahlt er ihnen einen bestimmten Lohn, etwa 500 Mark. Das Kapital, das er ins Geschäft steckt, beträgt also 1500 Mark. Angenommen nun, die Arbeiter erzeugen, bei der Verwandlung dieser Pm (Produktionsmittel) in Produkt, genau doppelt so viel neuen Wert, wie ihr Lohn betrug, so sind im fertigen Produkt die 500 Mark für Arbeitslohn verschwunden, an ihre Stelle aber sind 1000 Mark neuer Wert getreten, und zusammen mit dem Wert der Pm ist das Produkt zuletzt 2000 Mark wert. Der Fabrikant hat 500 Mark Mehrwert erzielt. Rechnet nun der Fabrikant etwa folgendermaßen: 1500 Mark habe ich insgesamt an Selbstkosten aufgewandt, 500 Mark Mehrwert habe ich gemacht, das ergibt einen Preis von 2000 Mark – so wäre alles klar. Mit anderen Worten: wenn die Waren in der Wirklichkeit zu ihren Werten verkauft würden, dann wäre durch die Erkenntnis, wo der Mehrwert herkommt, auch die Preisbildung ohne weiteres erklärt.

Aber so rechnet der Fabrikant ja nicht. Vom Mehrwert, von dessen Existenz, von dessen Größe hat er ja keine Ahnung. Er kennt nur den in seiner Branche üblichen Profitsatz. Der aber stimmt ganz sicher nicht mit dem in derselben Branche erzielten Mehrwert überein. Das lässt sich durch eine leichte Überlegung sofort beweisen.

Vergessen wir nicht, dass der Mehrwert – d.h. also diejenige Summe, um welche der Wert des fertigen Produkts den vorher vorhandenen Kapitalwert übertrifft – nur aus der lebendigen, neu geleisteten menschlichen Arbeit entspringt. Die Maschinen, die Rohstoffe, kurz alles, was an Material und Hilfsmitteln zur Produktion nötig ist, übertragen ihren Wert bei sachgemäßer Behandlung auf das Produkt; aber sie können ihn in alle Wege nicht vergrößern. Soviel er vorher in Pm betrug, soviel beträgt er nachher im fertigen Produkt, und nicht ein Jota mehr (unter Umständen, bei nachlässiger Arbeit, bei schlechter Geschäftsführung, bei Verderb oder Verlust von Material, sogar weniger). Nur allein die menschliche Arbeit erzeugt durch ihre Tätigkeit einen neuen Wert, der nicht schon vorher vorhanden war, und der infolgedessen größer sein kann als der Arbeitslohn. Dieser Satz ist ein unerlässliches Fundament der Marxschen Wert- und Mehrwerttheorie.

Nun aber gibt es Branchen, in denen überhaupt nicht produziert wird, die also auch keine produzierenden Arbeiter beschäftigen, und die dennoch Profit machen. Wir nennen nur Handel und Banken. Wie kämen sie zu ihrem Profit, wenn jedes Unternehmen das bekäme, was es selbst an Mehrwert aus den Arbeitern herausholt?

Weiter: wenn die Sache sich so einfach abspielen würde, wie oben angedeutet, dann müsste jeder Fabrikant Profit machen genau im Verhältnis zur Zahl seiner Arbeiter. Je mehr Arbeiter er beschäftigt, desto größer sein Profit, und die Fabrikanten müssten ein Interesse daran haben, möglichst viele Arbeiter zu beschäftigen. Wir wissen aber schon aus unseren früheren Betrachtungen, dass die Größe des Profits sich nicht nach der Zahl der Arbeiter richtet, sondern nach der Größe des Kapitals. Und wir wissen ferner, dass die Kapitalisten sich bemühen, immer weniger Arbeiter zu beschäftigen, und dass sie gerade dadurch ihren Profit steigern.

Endlich kennen wir die Existenz der Durchschnittsprofitrate. Sie ist mit der Annahme, dass sich der Profit nach der Anzahl der beschäftigten Arbeiter richtet, gänzlich unvereinbar.

In den verschiedenen Gewerbszweigen geht die Teilung des Kapitals in Pm und Arbeitslohn (24) nach ganz verschiedenen Maßstäben vor sich. Je weiter eine Industrie technisch vorgeschritten, je größer in ihr die Produktivität der Arbeit ist, desto mehr Rohstoffe, Maschinen usw. kann jede einzelne Arbeitskraft bewältigen und in Produkt verwandeln. Der Grad der technischen Entwicklung ist in den verschiedenen Industrien sehr verschieden. Manche ist rückständig, die Produktivität der Arbeit in ihr noch nicht hoch entwickelt, so dass verhältnismäßig viel Arbeitskräfte nötig sind, um kleine Mengen von Produktionsmitteln zu verarbeiten. Hier muss der Kapitalist von 100 Mark seines Kapitals einen großen Teil für Arbeitslohn ausgeben, einen kleinen für die Produktionsmittel. In anderen ist es umgekehrt. Die „organische Zusammensetzung“ des Kapitals – so nennt Marx die Einteilung in konstantes und variables Kapital – ist also sehr verschieden.

Stellen wir uns nun drei verschiedene Kapitale (aus drei verschiedenen Gewerbszweigen) vor, deren organische Zusammensetzung wie folgt aussieht:

Kapital I besteht aus 20 c (konstant) + 80 v (variabel)
Kapital II besteht aus 50 c + 50 v
Kapital III besteht aus 80 c + 20 v

Wieviel Mehrwert jedes dieser Kapitale macht, hängt natürlich auch von dem Grad der Ausbeutung ab. Je größeren Wert jeder einzelne Arbeiter alltäglich erzeugt, umso mehr wird die Summe seinen Arbeitslohn übersteigen, und das kann in den verschiedenen Branchen ebenfalls sehr verschieden sein. Um vergleichen zu können, wollen wir annehmen, dass dieser Ausbeutungsgrad in allen drei Branchen derselbe sei und 100 Prozent betrage. Das bedeutet, dass die gesamten Arbeitskräfte genau doppelt so viel Wert erzeugen, wie sie in ihrem Arbeitslohn bekommen, so dass für die Kapitalisten genau ebenso viel Mehrwert übrig bleibt, wie sie Arbeitslohn bezahlt haben.

In diesem Falle erzeugen
die Arbeiter von Kapital I 80 m (Mehrwert)
die Arbeiter von Kapital II 50 m
die Arbeiter von Kapital III 20 m

Diese Tabelle zeigt ganz klar, dass die Menge Mehrwert, die auf je 100 Mark Kapital erzeugt wird, in den verschiedenen Branchen, nach ihrer organischen Zusammensetzung, höchst verschieden sein muss. Wenn nun die Waren zu ihrem Wert verkauft würden, d.h. wenn jeder einzelne Fabrikant auf seine Selbstkosten gerade den tatsächlich von ihm erzielten Mehrwert aufschlüge, dann müsste die Profitrate in den verschiedenen Branchen höchst verschieden sein. Im obigen Beispiel würde der Profit in der rückständigsten Branche 80 Prozent, in der mittleren 50 Prozent, in der vorgeschrittensten nur 20 Prozent betragen, was zugleich eine Prämie auf die Rückständigkeit bedeuten würde. In Wahrheit jedoch ist der Profit (auf je 100 Mark Kapital) in allen Branchen annähernd gleich.

Lassen sich alle diese Schwierigkeiten auf Grund der Marxschen Wert- und Mehrwerttheorie lösen?

12. Die Preisbildung in der Praxis

Es ist nötig, sich vor allen Dingen noch einmal die Existenz und das Zustandekommen der Durchschnittsprofitrate mit aller Deutlichkeit vor Augen zu führen. Da leuchtet denn ein, dass es die Konkurrenz ist, die den Gewinnsatz ausgleicht; wollte jemand mit seinen Preisen bedeutend höher gehen, als es die Selbstkosten plus angemessener Profit gestatten, dann würden ihn die Konkurrenten unterbieten, so dass er gar nichts verkaufen könnte. Freilich erhebt sich hier sofort die Frage, warum denn gerade dieser Profit „angemessen“ ist. Doch wollen wir das zunächst beiseitelassen. Wenn aber die Konkurrenz innerhalb einer Branche solche Wirkungen erzielt, so muss sie notwendigerweise zwischen den verschiedenen Branchen genau dieselbe Rolle spielen. Denn nur die Menschen, die Kaufleute, die Fabrikanten, die landwirtschaftlichen Unternehmer sind mehr oder minder an eine bestimmte Branche gebunden – wie lose selbst sie, zeigte die allgemeine „Umorganisierung“ aus Anlass des Krieges – aber nicht die Gelder, die Kapitalien. Sobald in einer Branche besonders hohe Profite gemacht werden, strömen Kapitale aus anderen Branchen, die nicht so günstig gestellt sind, in die bevorzugte Branche hinein. Oder die fortwährend neu entstehenden Kapitale, die nach gewinnbringender Anlage suchen, wenden sich mit Vorliebe solchen besonders rentablen Branchen zu; deren Produktion müsste alsbald bedeutend wachsen, und um die stark vermehrten Waren an den Mann zu bringen, müssten die Preise und damit die Profite ermäßigt werden. Das Umgekehrte müsste eintreten, wenn in irgendeiner Branche besonders niedrige Profite gemacht werden. So wirkt die Konkurrenz auf eine allgemeine Ausgleichung der Profitraten in allen Branchen hin. Natürlich ist darum der Profit nicht etwa in allen Branchen mathematisch derselbe, aber doch annähernd gleich. So groß auch die Unterschiede sein mögen, die in den einzelnen Fällen durch besondere Geschäftstüchtigkeit usw. entstehen, eine allgemeine Durchschnittsprofitrate ist darum doch vorhanden. Allerdings springt sie nicht so ins Auge wie die Gleichheit der Profitrate innerhalb einer Branche, weil in den verschiedenen Branchen die allgemeinen Unkosten, die Verwendung und Abnutzung von Maschinen usw. sehr verschieden sein können. Um diese Verschiedenheiten auszugleichen, kann es sein, dass der Bruttoprofit in der einen Branche wesentlich höher oder niedriger ist als in der anderen, was den wahren Sachverhalt verschleiert. Aber nach Abzug der verschiedenen Unkosten bleibt eben doch in den verschiedenen Branchen ein annähernd gleicher Nettoprofit übrig.

Sobald man diese Tatsache erkannt hat, macht es keine Schwierigkeit mehr zu verstehen, warum die Preise der einzelnen Waren sehr weit von ihren Werten abweichen können und dennoch, insgesamt genommen, die Waren nur zu ihren Werten verkauft werden. Die Gesamtheit der vorhandenen Kapitale hat einen bestimmten Wert (der sich aus dem Wert der Produktionsmittel und aus den Arbeitslöhnen zusammensetzt), sagen wir 500. So viel Wert also ist vor Beginn der Produktion vorhanden. Nun beginnt die Produktion, und dabei produziert jedes Einzelkapital Mehrwert, aber in verschiedenem Maße. Zum Beispiel wie folgt:

Kapital I = 100erzeugt 20% Mehrwert, sein Produkt ist wert 120
Kapital II = 100erzeugt 30% Mehrwert,sein Produkt ist wert 130
Kapital III = 100erzeugt 40% Mehrwert,sein Produkt ist wert 140
Kapital VI = 100erzeugt 15% Mehrwert,sein Produkt ist wert 115
Kapital V = 100erzeugt 5% Mehrwert,sein Produkt ist wert 105
Insgesamt = 500 Gesamtwert aller Produkte 610

Würde nun jedes einzelne Produkt zu seinem richtigen Wert verkauft, so würden allerdings die Profite der verschiedenen Kapitale ganz verschieden groß sein. Dies aber, wie gezeigt, verhindert die Konkurrenz. Sie bringt es durch allmählichen Ausgleich dahin, dass der gesamte vorhandene Profit von 110 gleichmäßig auf die fünf einzelnen Kapitale verteilt wird, so dass auf jedes von ihnen 22 kommt. Es bildet sich der „übliche“ Profitsatz von 22 Proz., den jeder Kapitalist kennt, und nun verkauft jeder seine Waren, deren Anfertigung ihm 100 gekostet hat, zu 122. Wie viel seine Waren wirklich wert sind, weiß er nicht, kümmert ihn auch gar nicht, sofern er nur weiß, wieviel er auf je 100 seiner Selbstkosten aufschlagen muss, um den „angemessenen“ Preis zu errechnen (25). Auf diese Weise richtet sich schließlich der Profit jedes einzelnen Kapitalisten nach der Größe seines Kapitals, und dies trägt sehr zu der falschen Vorstellung bei, als ob der Profit gewissermaßen von selbst aus dem Kapital erwachse, wie die Früchte aus einem Baum.

„Beim Verkauf ihrer Waren ziehen daher die Kapitalisten der verschiedenen Branchen genau die in der Produktion dieser Waren verbrauchten Kapitalwerte zurück. Anders dagegen steht es mit dem Mehrwert oder Profit. Hiervon fließt dem einzelnen Kapitalisten nicht diejenige Summe zu, die bei der Produktion seiner Waren erzeugt worden ist, sondern so viel, wie nach dem geltenden Durchschnittsprofit vom gesamten Mehrwert der ganzen Kapitalistenklasse auf sein Kapital entfällt. Pro 100 zieht jedes vorgeschossene Kapital, welches immer seine Zusammensetzung, in jedem Jahr den Profit, der für dieses Jahr auf 100 des Gesamtkapitals kommt. Die verschiedenen Kapitalisten verhalten sich hier, soweit der Profit in Betracht kommt, wie bloße Aktionäre einer Aktiengesellschaft, worin die Anteile am Profit gleichmäßig pro 100 verteilt werden, und daher für die verschiedenen Kapitalisten sich nur unterscheiden nach der Größe des von jedem in das Gesamtunternehmen gesteckten Kapital; nach der Zahl seiner Aktien. Und in dieser Weise ist in der Gesellschaft selbst – die Gesamtheit aller Produktionszweige betrachtet – die Summe der Preise aller Waren gleich der Summe ihrer Werte.“ (26)

13. Arbeit und Profit im Handel

I.

Nun aber gilt dies alles zunächst bloß von den produzierenden Kapitalien. Das Handelskapital aber beschäftigt keine produktiven Arbeiter, erzeugt keinen Mehrwert, sondern setzt bloß die vorhandenen Werte um, ohne sie zu vergrößern. Wie kann ihm Profit zufließen, anders als durch einen neuen, nun aber doch willkürlichen Aufschlag auf die Preise?

Der Unterschied, um den es sich hier handelt, Unterschied zwischen dem produzierenden Kapital und dem Handelskapital, ist sehr subtil. Wir wollen ihn deshalb noch einmal mit anderen Worten vortragen.

Wenn ein Fabrikant sein Geschäft mit einem Kapital von 100 (z.B. 100  000 M.) beginnt, so vergrößert er während der Produktion diesen Wert. Sind die Waren fertig, so hat er also einen Wert von, sagen wir, 120 bereits in der Hand. Durch den Verkauf will er nur diesen jetzt schon vorhandenen Wert von 120 in Geld umsetzen.

Anders der Kaufmann. Er fabriziert nicht und produziert nicht. Er kauft nur ein und kann den Wert der eingekauften Waren in keiner Weise vergrößern. Demnach scheint es doch, als ob sein Profit nur aus Überteuerung der Waren über ihren Wert entstehen könne?

Vielleicht kommen wir am besten zum Verständnis, wenn wir zuerst einmal an einfacheren Verhältnissen früherer Zeiten uns mit aller Deutlichkeit die Rolle des Handels klar machen.

„Jene uraltertümlichen kleinen indischen Gemeinwesen (27), die zum Teil noch fortexistieren, beruhen auf gemeinschaftlichem Besitz des Grund und Bodens, auf unmittelbarer Verbindung von Ackerbau und Handwerk und auf einer festen Teilung der Arbeit. […] Die Hauptmasse der Produkte wird für den unmittelbaren Selbstbedarf der Gemeinde produziert, nicht zum Verkauf. […] Nur der Überschuss der Produkte wird verkauft“ (zum Teil auch erst durch den Staat, der sie von der Gemeinde in natura als Abgabe erhält). – Hier leuchtet ohne weiteres ein, dass als „produktiv“ nur diejenige Arbeit gelten kann, die etwas produziert; nur sie ernährt die Gemeinde. „In der einfachsten Form bebaut die Gemeinde das Land gemeinschaftlich und verteilt seine Produkte unter ihre Glieder, während jede Familie Spinnen, Weben usw. als häusliches Nebengewerbe treibt. Das ist die produktive Arbeit, womit die große Masse der Gemeindemitglieder beschäftigt ist. Daneben finden wir etwa ein Dutzend Beamte, den Richter, den Polizisten, den Grenzwächter, den Pfarrer, den Schulmeister usw., bei denen über die „Unproduktivität“ ihrer Arbeit kein Zweifel sein kann, und unter ihnen auch den – Buchhalter. Freilich rechnet zu diesem Dutzend auch der Schmied, der Zimmermann, der Töpfer, deren Arbeit zweifellos produktiv ist. Fragt man aber, warum man zum Beispiel die Arbeit des Schmiedes, der die Werkzeuge und Geräte liefert, produktiv nennt, die des Pfarrers aber nicht, so wird die Antwort ohne Schwanken lauten: weil der Schmied zur Herstellung der Produkte beiträgt, was der Pfarrer nicht tut.

Hier tritt nun klar zutage, welch sorgfältigen Unterschied man machen muss zwischen den Begriffen „produktiv“ und „nützlich“. Der Pfarrer, der Schullehrer, der Grenzwächter kann außerordentlich nützliche, ja unentbehrliche Arbeit leisten, produktiv wird sie darum nicht, weil sie eben nichts produziert. Es ist ja auch vollkommen klar, dass die Ernährung und Versorgung dieser Beamten durch die Produkte mit geschieht, welche die übrigen Gemeindegenossen angefertigt haben. Durch die Arbeit des Pfarrers, des Schullehrers, des Grenzwächters – sie mag so nützlich sein, wie sie wolle – wird die Summe der für den Konsum vorhandenen Produkte um nichts vermehrt. Ihr Einkommen bildet einen Abzug von diesen Produkten.

Genau das gleiche gilt offenbar auch für den Buchhalter. Soll die Produktion dem vorhandenen Bedürfnis gerecht werden, so ist die Arbeit des Buchhalters unentbehrlich. Aber „die Produktion und die Buchführung über die Produktion bleiben ebenso verschiedene Dinge wie die Schiffsladung und der Ladeschein. Im Buchhalter ist ein Teil der Arbeitskraft der Gemeinde der Produktion entzogen und die Kosten seiner Funktion werden nicht durch seine eigene Arbeit ersetzt, sondern durch einen Abzug vom Gemeindeprodukt“ (Marx).

Hieran wird natürlich nichts geändert, wenn der Buchhalter, anstatt für eine kommunistische Gemeinde, für einen modernen Kapitalisten arbeitet. Seine Arbeit ist nützlich, ist unentbehrlich aber sie erzeugt keine Produkte.

Erzeugt sie Wert? – In jenen einfachen Verhältnissen gibt es noch keinen Wert (außer dem Gebrauchswert). Die Arbeit, welche in einem Produkt steckt, zu vergleichen, zu messen mit der Arbeit, die in einem anderen Produkt steckt, und demgemäß zu sagen, wieviel das eine im Verhältnis zum anderen wert sei, dazu entsteht der Anlass erst, wenn man eins gegen das andere vertauschen, verkaufen will. Aber wenn der Wert nichts anderes ist als die in einem Produkt steckende Arbeit, dann kann eine Arbeit, die kein Produkt erzeugt, auch keinen Wert erzeugen. Damit ist diese Frage geregelt für alle Wirtschaftsweisen, für alle Gesellschaftsformen bis auf den heutigen Tag. Eine Ware ist so und so viel wert, sagen wir zum Beispiel, ein Hut ist 10 M. wert, das bedeutet: zur Herstellung ein solchen Hutes ist ebenso viel Arbeit nötig wie zur Herstellung eines Zehnmarkstückes oder zur Herstellung jeder anderen Ware, die ebenfalls 10 M. wert ist. Der Buchhalter stellt weder Zehnmarkstücke, noch Hüte, noch sonst etwas her; er produziert überhaupt nichts, folglich auch keinen Wert. Die Summe Wert, die er für seine Arbeit als Lohn bekommt, ist nicht durch seine Arbeit geschaffen, sondern muss von den Werten genommen werden, die anderer Leute Arbeit geschaffen hat. Was wiederum nicht das mindeste gegen die Nützlichkeit seiner Arbeit besagt. Sie teilt dieses Schicksal zum Beispiel mit der Arbeit des Arztes, des Bürgermeisters und viel anderer höchst nützlicher Arbeiter.

Soweit also wäre die Frage klar. Aber die Buchführung ist nicht die einzige kaufmännische Arbeit. Ja, sie ist nicht einmal die wesentlichste, nicht diejenige, welche das Wesen des Kaufmanns ausmacht, wie sich schon daraus ergibt, dass sie selbst da nötig war und ist, wo es gar keine Kaufleute gibt. Welche umfassende Buchführung erfordert nicht heutzutage zum Beispiel jede städtische Verwaltung, obgleich dort von Kaufleuten gar keine Rede ist. Sondern das wesentliche am Kaufmann, das, was ihn zum Kaufmann macht, wie es schon sein Name besagt – eben das Kaufen und Verkaufen.

Nun bedarf es sicherlich keiner besonderen Erörterung, um nachzuweisen, dass durch Kaufen und Verkaufen auch nicht ein Atom neuen Wertes geschaffen werden kann. Eine gewisse Menge Waren ist produziert worden, eine gewisse Menge Produktionsarbeit steckt darin – diese und nichts anderes ist ihr Wert. Dadurch, dass der Kaufmann die Ware vom Fabrikanten übernimmt und sie an andere Kaufleute oder an die Konsumenten weiterverkauft, wird an ihrem Wert nicht das geringste geändert. „Der Umsatz kostet Zeit und Arbeitskraft, aber nicht, um Wert zu schaffen, sondern um die Umsetzung des Werts aus einer Form in die andere zu bewerkstelligen, wobei der wechselseitige Versuch, bei dieser Gelegenheit ein überschüssiges Quantum Wert sich anzueignen, nichts ändert. Diese Arbeit, vergrößert durch die beiderseitigen böswilligen Absichten schafft so wenig Wert, wie die Arbeit, die bei einem gerichtlichen Prozess stattfindet, die Wertgröße des streitigen Objekts vermehrt.“ (28)

Immer jedoch muss wiederholt werden, dass dies nicht das Geringste zu tun hat mit der Frage, ob des Kaufmanns Arbeit nützlich sei. Sie kann es nicht nur sein, sondern sie ist es in eminentem Maße, vielleicht am besten ein kurzer Rückblick auf ihre tatsächliche Bedeutung in Vergangenheit und Gegenwart dartun wird.

II.

Kaufmann werden wir einen Mann nennen, der das Kaufen und Verkaufen nicht nur gelegentlich, sondern gewerbsmäßig, als Hauptberuf, betreibt. Vereinzelt gab es das schon sehr früh. Aus der ältesten bekannten Zeit der germanischen Geschichte erzählt zum Beispiel Georg Steinhausen (29): „Die Verbreitung der Gewerbsprodukte (Gefäße aus Metall und Ton, Schmucksachen, Waffen, Gewebe) setzt wenigstens einen primitiven Handel voraus. Zieht man dazu den großen Import fremden Guts in Betracht, so muss der Handel […] als einfacher Austausch keine geringe Rolle im germanischen Leben gespielt haben. […] Römische Handelsleute waren zum Beispiel in dem Hauptsitz des Markomannenkönigs Marobod ziemlich zahlreich ansässig und werden ebenso auf einer Insel der Bataver erwähnt […] (Darüber hinaus) muss sich doch früh auch ein Teil der Germanen selbst mit Handelsgeschäften abgegeben haben, – Erwerbssinn hat der Germane zudem nie verleugnet. Insbesondere […] das Heranholen der von den Römern begehrten Dinge, des Bernsteins, des Pelzwerkes, der Früchte (Rüben), der Gänsefedern, Viehes, der Flussperlen, der Sklaven aus fernen Gegenden und der Vertrieb römischer Waren unter den inneren Stämmen wird vielfach von Germanen getragen worden sein […] Mit den Slawen werden germanische Händler auch verkehrt haben; ebenso bestand ein Handelsverkehr zwischen Skandinaviern und Südgermanen. Weiter haben wir frühe Kunde von einem aus dem Seeraub sich entwickelnden Seehandel der Nordseegermanen; auf Grund ihrer günstigen geographischen Lage kamen die Friesen zum Vertrieb ihrer Produkte – kurz, ein deutscher Handel bestand in geringem Umfang zweifellos.“

Doch abgesehen von solchen primitiven Anfängen gewann der Handel – bei den Deutschen, wie bei allen Völkern – eine größere Bedeutung erst auf einer weit späteren Stufe ihrer geschichtlichen Entwicklung. Die wachsenden Bedürfnisse zwangen zur Teilung der Arbeit. Aus dem uralten, mehr oder minder kommunistischen Gemeinwesen, das vorwiegend oder ausschließlich für den eigenen Bedarf arbeitete, wurde die mittelalterliche Gemeinde der Ackerbürger und Handwerker: wenn der eine nur Schuhe und Stiefel angefertigt, der andere nur Hausgeräte, der dritte nur Nahrungsmittel usw., so wird mehr fertig, als wenn jeder alles macht. Zuerst waren die so entstehenden Handwerker Leibeigene, die auf dem Herrenhof für die Bedürfnisse der Herrschaft arbeiteten. (Man lese zum Beispiel bei Lassalle „Herr Bastiat-Schulze von Delitzsch“ – Vorwärts-Ausgabe 1893, S. 176 ff. – die anschauliche Schilderung, was alles die leibeigenen Handwerker für die Bedürfnisse des Herrenhofes zu liefern hatten.) Aber da eben durch die Teilung der Arbeit ihre Produktivität immer mehr stieg, also immer mehr Produkte fertig wurden, so überstieg deren Masse schließlich den Bedarf der Herren wie der Leibeigenen, und man musste daran denken, den Überschuss zu verkaufen. Wie hieraus neue Wirtschaftsformen und somit neue soziale Klassen entstanden, das ist von entscheidender Bedeutung für den weiteren Verlauf der Geschichte: um ihre Produkte –&nzuerst im Auftrag der Herren, später zu eigenem Nutzen – zu kaufen, besuchen die Handwerker die bereits von den ausländischen durchziehenden Kaufleuten eingerichteten Messen und Märkte; mit der Zeit siedeln sie sich an den Marktplätzen an, die Städte entstehen, in ihnen das Bürgertum, das schließlich ganz und gar für den Verkauf produziert und sich in langen heftigen Kämpfen allmählich von der Herrschaft des Grundadels befreit, zu einer neuen sozialen Macht neben ihm heranwächst.

Es leuchtet ein, dass in einem solchen Wirtschaftsleben der Kaufmann, der gewerbsmäßige Händler bereits unentbehrlich ist. Die Produkte, die der Handwerker herstellt, müssen verkauft werden. Beschäftigt sich ein Mann zum Beispiel tagaus tagein damit, Stiefel zu machen, so kann er davon nur leben, wenn die Stiefel auch verkauft werden. Wohl besorgt der Handwerker das ursprünglich selbst, und gerade hierbei fällt wieder der Unterschied zwischen „nützlicher“ und „produktiver“ Tätigkeit grell in die Auge: Produktiv ist offenbar nur diejenige Arbeit des Schuhmachers, die Schuhe und Stiefel herstellt; die Zeit und Arbeit, die er zum Verkaufen braucht, geht ihm von seiner produktiven Tätigkeit verloren. Es bezahlt ihm niemand einen Pfennig mehr für seine Schuhe und Stiefel, weil er vielleicht einen ganzen Wochentag verbraucht, um das Produkt der fünf übrigen Tage zu verkaufen. Sie empfanden das auch sehr klar als Verlust, weshalb man nach Möglichkeit die Messen und Märkte auf kirchliche Feiertage verlegte.

Doch außer dem Zeitverlust kommt noch anderes in Betracht. Solange der Handwerker nur für seine Nachbarschaft arbeitet, kennt er deren Bedürfnisse genau, weiß er im Voraus, was und wieviel von seinen Produkten in absehbarer Zeit gebraucht wird. Dehnen sich aber die Beziehungen aus, wird für fremde Städte oder gar für ferne Länder gearbeitet, so geht dem Handwerker der Überblick über den Markt verloren. Und wollte er ihn sich verschaffen, wollte er stets auf dem Laufenden bleiben über Qualität und Quantität des Bedarfs in aller Herren Länder, so würde ihm das so viel Zeit kosten, dass für seine Schuhmacherei bald nichts mehr übrigbliebe, und es zeigt sich so am deutlichsten, dass das Verkaufen nicht „produktiv“ ist: vor lauter Verkaufen kämen keine Produkte mehr zustande.

Ebenso deutlich aber zeigt sich hier, wie nützlich der Kaufmann ist. Ohne ihn würde die Produktion alsbald lahmliegen. Er muss dazwischentreten, muss dem Handwerker die Zeit und Arbeit des Verkaufens abnehmen und ihn dadurch instand setzen, sich voll und ganz dem Produzieren zu widmen. Das geschieht, indem der Kaufmann dem Schuhmacher seine Produkte abkauft, überdies durch seine Bestellungen die Produktion in die Bahnen lenkt, die dem Bedarf auf fremdem Markt entsprechen, und dann seinerseits die Schuhe und Stiefel an die Konsumenten verkauft. Selbst wenn er dabei dem Handwerker weniger zahlt, als dieser vielleicht von den Konsumenten kriegen könnte, steht sich doch auch der Handwerker bei diesem Verfahren besser. Denn er kann seine ganze Zeit, Mühe, Aufmerksamkeit, Fähigkeit auf das Produzieren richten. Wohl muss er einen Teil kaufmännischer Arbeit immer noch verrichten, nämlich das Verkaufen an den Kaufmann selbst. Aber das ist ja nur eine Kleinigkeit neben der großen Entlastung, die ihm zuteilwird. Und so fahren durch das Eingreifen des Kaufmanns alle Teile besser: der Kaufmann, indem er seinen Profit macht, der Handwerker, indem er mehr produzieren und gewinnen kann, und endlich die Allgemeinheit, indem mehr Produkte fertig werden.

Nachdem wir uns so über den gewaltigen sozialen Nutzen der kaufmännischen Arbeit in der Vergangenheit klar geworden sind, werfen wir noch einen Blick auf die Gegenwart. Da finden wir denn, dass im Grunde die Dinge genau ebenso liegen: auch heute erzeugt die kaufmännische Arbeit keinen Wert, auch heute ist sie nicht „produktiv“, aber doch eminent nützlich oder vielmehr unentbehrlich für die Allgemeinheit.

Jedes produzierende Kapital – sei es in Industrie, Bergbau oder Landwirtschaft – muss die fertige Ware in Geld umsetzen und für das Geld wieder neue Rohstoffe und sonstige Produktionsmittel sowie Arbeitskräfte kaufen. Es muss also beständig einkaufen und verkaufen. Ganz wie dem Handwerker des Mittelalters wird auch dem modernen Großkapitalisten ein Teil dieser Tätigkeit von Kaufleuten mit selbständigem Kapital abgenommen. Auch was der moderne Kaufmann tut, ist also nur ein Teil der Arbeit, die sonst der Fabrikant neben seiner Produktion verrichten müsste. Nehmen wir an, der Fabrikant besorge das Verkaufen selbst, so ist wieder (gerade wie beim Handwerker) ganz klar, dass die Zeit und Arbeit, die er darauf verwendet, von seiner produktiven Tätigkeit abgeht. Die Erzeugung von Wert (und Profit) wird also dadurch vermindert, nicht vermehrt. Ganz ebenso, wenn er mit diesem Geschäft einen Angestellten betraut. Es ist vollkommen klar, dass der Lohn dieses Angestellten aus dem Profit des Fabrikanten genommen werden muss, ohne dass seine Arbeit dem Quantum oder dem Wert der vorhandenen Waren das geringste zusetzt. „Er lebt von seiner Arbeit“, die im Kaufen und Verkaufen besteht, „wie ein anderer zum Beispiel vom Spinnen oder vom Pillendrehen […] Er arbeitet so gut wie ein anderer, aber der Inhalt seiner Arbeit schafft weder Wert noch Produkt. Er selbst gehört zu den Unkosten der Produktion. (Marx, Kapital, Bd. II, S. 108.)

Wenn nun an Stelle des Fabrikangestellten ein selbständiger Kaufmann tritt, der nicht für Rechnung des Fabrikanten, sondern auf eigene Rechnung die Waren übernimmt und weiter verkauft, so wird dadurch am Charakter der Tätigkeit natürlich nichts geändert. Aber es werden dadurch trotzdem wesentliche Vorteile für die Produktion und für die Allgemeinheit erreicht.

Man stelle sich vor, dass alle Fabrikanten (in Person oder durch eigene Angestellte) ihre Waren bis auf das letzte Stück an die Konsumenten verschleißen müssten, so müsste jeder einzelne von ihnen ein bestimmtes Kapital nebst Reservefonds eigens für diesen Zweck bereithalten. Und die Summe wäre nicht klein, denn es gehörte dazu außer den in den Waren selbst steckenden Werten das Geld für Lagergebäude, Transport, kaufmännische Lohnarbeiter usw. Nun übernimmt das ein selbständiger Kaufmann mit einem besonderen Kapital. Da er sich ausschließlich mit Kaufen und Verkaufen befasst, wird ihm zunächst der Umsatz schneller gelingen. Sodann kann er mit seinem Kapital mehrere, sogar viele Kapitale von Fabrikanten ersetzen. Der Leinwandfabrikant z.B. kann immer nur die Leinwand verkaufen, die er fertig hat; der Leindwandhändler dagegen, der heute 30 000 Ellen Leinwand eines Fabrikanten verkauft hat, kann morgen schon von einem anderen Fabrikanten Leinwand, übermorgen von einem dritten Seide kaufen usw., bis der erste Fabrikant wieder neue Leinwand fertig hat. Alles in allem wird so das gesamte Kapital, das die Allgemeinheit in der unproduktiven Tätigkeit des Verkaufens festlegen muss, bedeutend kleiner sein, als es ohne selbständige Kaufleute wäre. In der modernen kapitalistischen Wirtschaft hat somit der berufsmäßige Handel nicht nur denselben sozialen Nutzen für die Allgemeinheit, wie in der Zeit des Handwerks, nämlich dass er andere Leute für produktive Tätigkeit freimacht und dadurch das Maß der unproduktiven, aber notwendigen Arbeit vermindert, sondern darüber hinaus noch den weiteren, dass er anderes Kapital für die Produktion freisetzt und dadurch das Maß des in unproduktiver Funktion gebundenen Kapitals verkleinert.

Es bedarf keiner besonderen Erläuterung, dass diese soziale Nützlichkeit der kaufmännischen Arbeit selbstverständlich nur insoweit innewohnt, wie sie für den Bedarf der Allgemeinheit wirklich notwendig ist. Leider trifft das heute nur für einen Teil der kaufmännischen Arbeit zu. Kein Vernünftiger wird bestreiten, dass heutzutage sehr viel Kapital und Arbeit aus rein privaten Rücksichten, ohne jede soziale Notwendigkeit, im Handel angewendet wird. Soweit das Maß des für die Allgemeinheit Notwendigen überschreitet, sie nicht nur unnütz, sondern direkt schädlich, weil sie dann mehr Kapital und Arbeit in einer unproduktiven Tätigkeit bindet, als notwendig, also das gerade Gegenteil dessen tut, was ihre Aufgabe ist.

Auf der anderen Seite darf freilich nicht unerwähnt bleiben, dass der Kaufmann bis zu einem gewissen Grade mit seiner Arbeit auch Wert schafft. Wir haben oben als produktiv und wertbildend alle diejenige Arbeit angesprochen, die zur Herstellung der Produkte nötig ist. Die Herstellung ist aber erst dann fertig, die Produktion erst dann vollendet, wenn das Produkt fix und fertig für den Konsum ist. Dazu genügt nicht die Herstellung in der Fabrik, sondern es muss auch dem Konsumenten zugänglich gemacht werden. Deshalb ist die Transportarbeit ohne weiteres produktiv und erhöht den Wert der Produkte (wie denn Marx den Transport ausdrücklich als „Industrie“ bezeichnet). Dazu ist aber auch eine gewisse kaufmännische Tätigkeit unentbehrlich, freilich nicht das Verkaufen, wohl aber das Disponieren. Insoweit also wird durch die Handelsarbeit auch direkt Wert erzeugt.

Doch ist darum nicht minder wahr, dass die überwiegende Masse der im Handel geleisteten Arbeit zwar höchst nützlich und sozial notwendig ist, aber trotzdem den Waren keinen Wert zusetzt.

III.

Wenn wir uns überzeugt haben, dass die kaufmännische Arbeit, trotz ihrer sozialen Unentbehrlichkeit, doch keine Produkte und folglich auch keinen Profit erzeugt, auf welche Weise strömt dann dem Handelskapital Profit zu?

Der normale Verlauf ist der, dass der Fabrikant die Waren herstellt und sie dann dem Kaufmann übergibt, dessen Sorge es bleibt, sie an die Konsumenten zu bringen. Der Verkaufspreis des Fabrikanten ist also der Einkaufspreis des Händlers.

Nun haben wir bisher angenommen, dass der Fabrikant auf seine Selbstkosten den Durchschnittsprofit aufschlägt und dass dadurch – für die Gesamtheit der Waren – ihr voller Wert erreicht wird. Das heißt, wir haben angenommen, dass die Durchschnittsprofitrate sich bildet ohne Berücksichtigung des Handelskapitals! Das ist aber eine ganz unmögliche Voraussetzung. Vielmehr muss der moderne Fabrikant, genauso wie der mittelalterliche Handwerker, dem Kaufmann für seine Vermittelung einen Teil des Profits abtreten. Der Verkaufspreis des Fabrikanten, der Einkaufspreis des Kaufmanns muss unter dem Wert der Waren bleiben, so dass der Kaufmann sie zu ihrem Wert verkaufen und dennoch Profit machen kann. Dies geschieht, indem die Durchschnittsprofitrate sich unter Mitwirkung des Handelskapitals bildet. Marx (30) veranschaulicht das wie folgt:

Gesetzt, es sei zur Produktion insgesamt ein Kapital von 900 nötig, welches einen Mehrwert von 180 abwirft, so beträgt der Wert des Produkts 1080 und die Durchschnittsprofitrate 20 Prozent. Aber nun müssen die Fabrikanten das Produkt ja verkaufen, und hierzu wäre außer den 900 noch ein weiteres Kapital nötig, sagen wir von&bsp;100. Besorgen die Fabrikanten den Verkauf selbst, so müssen sie auch selbst die weiteren 100 vorschießen, und dann mögen sie die Berechnung machen, wie sie wollen; entweder können sie sagen, die 900 bringen 20 Proz. und die 100 nichts, oder sie können sagen, die 1000 bringen 180, d.h. 18 Proz. Nur würden sie dann für den Verkauf ein sehr viel größeres Kapital als 100 brauchen, ihr Profit wäre also kleiner als 18 Proz.

Bedienen sie sich aber der Vermittelung des Handels, so ist es der Kaufmann, der die letzten 100 vorschießt und dafür, weil er den 10. Teil des Kapitals beisteuert, auch den 10. Teil des Profits beansprucht, d.h. 18 von 180. Dann bleiben für die Fabrikanten 162 übrig, genau 18 Proz. von ihren 900.

14. Harmonie der Interessen oder Klassengegensatz?

Nachdem wir das Ganze der Marxschen Wert- und Mehrwerttheorie kennengelernt haben, ist es nötig, sich darüber klar zu werden, dass ihre Bedeutung weit über das Gebiet des rein Wirtschaftlichen hinausreicht.

Erinnern wir uns: Die Lehre, dass der Wert Arbeit sei, ergab sich aus der genauen Betrachtung der Tatsachen und aus der scharfen Kritik der subjektivistischen (vulgären) Werttheorie. Die Arbeitswerttheorie in ihren früheren Vertretern, von Petty bis Ricardo, konnte nicht befriedigen, sie ließ manches offen und unerklärt. Ihre Vollendung, ihre klassische, unangreifbare Form hat sie erst durch Marx erhalten. Aus der Arbeitswerttheorie aber in der Form, die Marx ihr gegeben hat, folgt logisch und unabwendbar die Mehrwerttheorie.

Die Mehrwerttheorie erklärt alles das, was die früheren nicht zu erklären vermochten, nämlich:

1. den Durchschnittsprofit; durch die Ausbeutung (31) der Arbeiter wird eine bestimmte Summe Profit geschaffen, die sich dann auf dem Wege der Konkurrenz gleichmäßig über alle Kapitalien verteilt. Wir kennen somit die Summe, wovon der gleichmäßige Profit der Kapitalisten der Durchschnitt ist;
2. vermittels des Durchschnittsprofits ist die Höhe von Zins und Unternehmergewinn erklärt; jeder einzelne Unternehmer muss einen Teil des auf ihn entfallenden Profits dem Geldbesitzer als Zins geben, der Rest bleibt sein Unternehmergewinn;
3. auch der „absolute“ Preis (d. h. der von Angebot und Nachfrage unbeeinflusste Preis, der mittlere Preis, der sich bildet, wenn Angebot und Nachfrage sich decken), ist jetzt erklärt; es sind die Selbstkosten des Fabrikanten unter Hinzurechnung des Durchschnittsprofits (was Marx den „Produktionspreis“ nennt).

Nur nebenbei sei bemerkt, dass die Marxsche Theorie vom Wert und Mehrwert auch vieles andere restlos erklärt, worüber die Vulgärökonomie nur Worte vorzubringen weiß, so die Krisen, die Teuerung, die Höhe der Arbeitslöhne usw. doch gehört das nicht in ein Buch über die Grundbegriffe.

Was nun aber die Gestaltung der Preise anbelangt, so wird durch die Mehrwerttheorie die bisher (und immer noch) allgemein Anschauungsweise direkt umgekehrt, auf den Kopf gestellt.

Der Vulgärökonom stellt sich die Sache folgendermaßen vor: Zuerst ist nichts da. Dann kauft der Fabrikant die Rohstoffe, Arbeitsmittel usw., kurz, die gesamten Pm. Das ist der erste bestimmte Betrag. Dann bezahlt er den Arbeitslohn. Und dazu rechnet er zuletzt den Kapitalprofit. So wächst allmählich aus drei verschiedenen Bestandteilen, Pm, Arbeitslohn und Kapitalprofit, der Preis heran. Folglich, je höher einer der drei Teile, desto höher der Verkaufspreis der fertigen Ware. Daher z.B. die Lehre, dass jede Steigerung des Arbeitslohns unfehlbar zu einer Verteuerung der Ware führen müsse.

Aus dieser Anschauung über die wirtschaftlichen Vorgänge bei der Preisbildung ergibt sich auf sozialem Gebiet die Lehre von der Harmonie der Interessen zwischen Kapital und Arbeit. In der Tat, wenn die Dinge wirklich so vor sich gehen, dann laufen die Interessen von Kapital und Arbeit durchaus parallel. Dann sind beide gleichermaßen interessiert, entweder an möglichst teuren Preisen, damit Löhne wie Profite hoch sein können, oder an möglichst niederen Löhnen, damit man die Waren billig verkaufen und so mehr absetzen kann.

Beispiele aus der Praxis: von 1879 an bis in das erste Jahrzehnt unseres Jahrhunderts haben die Agrarier als wesentliche Begründung ihrer Forderung um Erhöhung der Zölle angegeben, nur bei hohen Verkaufspreisen ihrer Produkte könnten sie den Landarbeitern hohe Löhne gewähren. Umgekehrt, als nach Beendigung des Weltkrieges, 1919 und 1920, die immer schwindelhafter steigenden Preise zur Absatzstockung führten, wurden die Kapitalisten aller Gewerbszweige nicht müde darzulegen, dass die Arbeiter selbst das größte Interesse an der Senkung ihrer Löhne hätten, weil nur dadurch die Preise ermäßigt, der Verkauf wieder in Gang gebracht und Arbeitslosigkeit vermieden werden könne.

Durch all solche Rechnungen macht nun die Mehrwerttheorie von Marx einen dicken Strich. Denn sie lehrt über die Gestaltung der Preise ganz etwas anderes. Sie lehrt:

Nach Beendigung der Arbeit ist in den fertigen Waren eine bestimmte Summe Wert vorhanden. Diese Summe steht fest und kann nicht durch willkürliche Rechenkunststücke der Kapitalisten verändert, weder vermehrt noch vermindert werden. Sie ist also nicht durch den allmählichen Aufbau jener drei Bestandteile und nach Maßgabe ihrer Größe emporgewachsen, sondern umgekehrt. Entstanden ist sie unabhängig von Arbeitslohn und Profit, aus dem Wert der Pm und der neu geleisteten Arbeit. Im Vergleich zu Arbeitslohn und Profit ist also diese Summe vorher vorhanden und löst sich nun in jene drei Bestandteile auf. Der Wert der pm ist eine feststehende Größe und muss in voller Höhe ersetzt werden (damit neue Pm zu neuer Produktion angekauft werden können). Was darüber hinaus übrig bleibt, darein müssen sich Kapital und Arbeit teilen.

Dies ist also der wesentliche Unterschied gegenüber der vulgärökonomischen Anschauung: die Preise der Waren können nicht durch Erhöhung oder Senkung von Lohn und Profit nach Belieben erhöht oder gesenkt werden, sondern die Preise der Waren in ihrer Gesamtheit sind eine bestimmte feststehende Summe, in die sich, nach Abzug des Wertes der Pm, Kapital und Arbeit teilen müssen.

Daraus ergibt sich sozial ein ganz anderes Bild, nämlich dies, dass durch Erhöhung des Arbeitslohns keineswegs der Preis gesteigert. sondern nur der Profit verringert wird, und umgekehrt. Anstelle der bürgerlich-friedlichen Harmonie der Interessen tritt der scharfe und unüberbrückbare Gegensatz zwischen Kapital und Arbeit. Je größer der Profit, desto kleiner der Lohn; je größer der Lohn, desto kleiner der Profit. Eine bestimmte Summe ist nur da, sie muss für beide reichen. Bekommt der eine mehr, so bleibt für den andern umso weniger übrig. Um den Profit zu steigern, gibt es in alle Wege kein anderes Mittel als Senkung des Lohns. Und die Arbeiter können ihren Lohn, ihren Anteil an der Gesamtheit der Produkte durchaus nicht anders vermehren als durch Minderung des Profits, d.h. durch Minderung des Anteils der Kapitalisten. Nicht gleich gerichtet sind die Interessen beider Klassen, sondern entgegengesetzt. Keine Harmonie besteht zwischen ihnen, auch nicht einmal Friede, sondern Klassengegensatz und darum Klassenkampf.

Aus der Erkenntnis dieser Tatsache ergibt sich der ganze Sozialismus.

Diese Konsequenzen sind unausweichlich. Wer einmal die Marxsche Lehre vom Wert zugibt, der muss auch die Mehrwerttheorie zugeben. Wer die Mehrwerttheorie anerkennt, kann sich der Anerkennung des Klassengegensatzes nicht entziehen. Wer einmal so weit ist, den führt Logik und Denken unerbittlich weiter zur Lehre vom Klassenkampf, zum historischen Materialismus und zum Sozialismus.

Diese Aussichten haben die Vertreter der Vulgärökonomie derart erschreckt, dass sie noch im letzten Augenblick – um den Marxschen Voraussetzungen zu entgehen – die verzweifelten Versuche gemacht haben, sie alte, subjektivistische Werttheorie doch noch zu retten. Einen dieser Versuche, der am meisten von sich hat reden machen, wollen wir noch kurz kennen lernen.

15. Grenznutzentheorie

Keineswegs kommt es den Vertretern der Vulgärökonomie zum Bewusstsein, dass es die Furcht vor dem Sozialismus ist, die sie zur Wiederbelebung der subjektivistischen Werttheorie und zum Versuch ihrer Rettung treibt. Die Ehrlichkeit ihrer wissenschaftlichen Überzeugung soll nicht angezweifelt werden. Aber man braucht nur die sogenannte Grenznutzentheorie, das angesehenste ihrer neueren Systeme, zu betrachten, so wird die wirkliche, wenn auch wohl unbewusste Triebfeder ihres Handelns klar.

Es handelte sich darum, den Satz umzustoßen, dass der Wert nichts anderes ist als Arbeit. Denn diesen Satz einmal zugegeben, fließen aus ihm alle Weiterungen und Konsequenzen bis zum Klassengegensatz und Sozialismus als eine logische Kette, aus der es kein Entrinnen gibt.

Um nun diesem Satz und seinen ehernen Folgen zu entgehen, gab es keine andere Möglichkeit als die Rückkehr bis weit hinter Ricardo, Adam Smith und Petty; die Rückkehr zu der vulgären Anschauung, dass der Wert eben doch nichts weiter sei, als das subjektive Empfinden, die rein persönliche Abschätzung des Warenbesitzers. Eine Anschauung, die ja von der ersten oberflächlichen Betrachtung der Dinge – und zu einer anderen, tieferen kommt man im Alltagsleben überhaupt nicht – bestätigt zu werden scheint: für mich ist eine Ware so viel Wert, wie ich sie schätze.

Der Wunsch, eine Ware zu besitzen und folglich die Geneigtheit, mehr dafür zu bezahlen, steigt jedoch offenbar mit dem Grade ihrer Nützlichkeit. Je bessere Dienste mir eine Ware leistet, desto höher werde ich sie schätzen. Wird die bloße Nützlichkeit zur Notwendigkeit, d.h. wird aus der bloßen Annehmlichkeit, die mir der Besitz einer Ware gewährt, die Befriedigung eines Bedürfnisses, so muss ihr Wert umso höher sein. Und er muss immer weiter steigen, je dringlicher das Bedürfnis ist. Nach dem Grade ihrer Nützlichkeit oder Notwendigkeit müsste also der Wert der verschiedenen Waren sich richten.

Das stimmt nun aber mit der Wirklichkeit absolut nicht überein. Man vergleiche z.B. Lebensmittel, Möbel und Diamanten. Am notwendigsten sind uns die Lebensmittel, ohne sie können wir nicht existieren; weit weniger dringend brauchen wir Möbel; und Diamanten sind nur ein Luxus, den wir gut und gern entbehren können. Wenn also der Wert sich nach dem Grade der Notwendigkeit der Waren richtete, so müssten Lebensmittel unerschwinglich teuer, Möbel eben gerade noch zu bezahlen, und Diamanten fast umsonst zu haben sein. In Wirklichkeit ist das bekanntlich umgekehrt.

Hierauf kann man nicht etwa entgegen, dass nicht das absolute Bedürfnis den Preis bestimmt, sondern das Verhältnis zwischen Bedürfnis und Angebot; der hohe Wert der Diamanten käme daher, dass vielleicht gerade wegen ihrer geringen Nützlichkeit das Angebot noch viel seltener sei als die Nachfrage. Solche Entgegnung wäre ganz abwegig. Denn es leuchtet ein: mag aus irgendeinem Grunde das Angebot an Diamanten wachsen, oder mag – was in der Wirklichkeit, wegen gesunkener Kaufkraft der Liebhaber gar nicht selten eintritt, – die Nachfrage nachlassen, so wird wohl der Preis der Diamanten sinken, aber niemals bis auf den Preis der Lebensmittel; niemals, mag das Verhältnis zwischen Angebot und Nachfrage sein, wie es will, niemals wird ein Pfund Diamanten ebenso billig sein, wie ein Pfund Käse oder Brot.

Hier galt es also für die Retter der subjektivistischen Werttheorie, eine erste Lücke auszufüllen. Es galt zu erklären, warum – nicht etwa nur in Ausnahmefällen, sondern ganz allgemein – der Wert der Waren sich nicht nach der Dringlichkeit des Bedürfnisses richtet, das sie zu befriedigen vermögen.

Diese Erklärung soll die sogenannte Grenznutzentheorie leisten. Sie ist deutschen und englischen Ursprungs, eine ausführliche Darstellung findet man z.B. bei dem österreichischen Professor Böhm-Bawerk (32). Doch leidet sie dort an einer ungemeinen Breite und Weitschweifigkeit. Wir wollen deshalb lieber die knappe und anschauliche Darstellung eines ihrer französischen Vertreter in wörtlicher Übersetzung hier wiedergegeben. Professor Gide (33) schreibt:

„Nehmen wir das klassische Beispiel vom Wasser. Stellen wir uns vor, das Quantum Wasser, über das ich täglich verfügen kann, sei in 5, 6, 10, 20 usw. Eimern auf einer Etagere aufgestellt. Der Eimer Nr. 1 hat für mich die größte Nützlichkeit, denn er soll meinen Durst löschen; Eimer Nr. 2 ist auch noch sehr, wenngleich minder nützlich, ich brauche ihn zum Kochen; noch geringere Nützlichkeit hat der Eimer Nr. 3, in dessen Inhalt ich mich waschen will; Eimer Nr. 4 soll mein Pferd tränken, Nr. 5 meine Blumen begießen; mit Nr. 6 soll die Küche gescheuert werden. Setzen wir nun den Fall, Eimer Nr. 6 sei der letzte, mehr gibt mein Brunnen nicht her und anderswo kann ich auch nichts beschaffen – in diesem Falle wird jeder der 6. Eimer einen gewissen Wert haben, aber keiner einen größeren als der letzte. – Warum? Weil dies der einzige ist, dessen Verlust ich empfinden würde. In der Tat, wenn z.B. der erste Eimer, dessen Inhalt meinen Durst löschen soll, aus Versehen umgegossen würde, werde ich Zeter schreien, dass ich nun verdursten muss? Ich werde einfach statt seiner einen andern Eimer nehmen. Welchen? Offenbar den, der für mich den geringsten Nutzen hat, den Eimer Nr. 6. Das ist der Grund, weshalb dieser den Wert aller anderen bestimmt. Unterstellen wir nunmehr, mein Brunnen liefere mir 10, 20 Eimer Wasser, so ist klar, dass wir zuletzt zu einem Eimer Nr. 10 oder Nr. 20 gelangen, mit dem ich nichts mehr anzufangen weiß und dessen Nützlichkeit infolgedessen gleich Null ist. Sofort zieht er in seinen Wertsturz alle anderen Eimer Wasser mit hinein. Gerade das trifft in der Regel in unseren Ländern zu. Deshalb sagt man in dieser Theorie, der Wert ist bestimmt durch den Grenznutzen oder, besser noch, durch die Intensität des letzten befriedigten Bedürfnisses.“

Und Gide fügt hinzu, diese Theorie löse „sehr glücklich“ die alte Schwierigkeit, die so lange ein Stein des Anstoßes war: warum das Wasser, trotz seines großen Nutzens, so wenig und der Diamant, bei geringem Nutzen, so viel wert sei.

Wir haben absichtlich einen Anhänger der Theorie zu Worte kommen lassen, um auch die Möglichkeit einer unbeabsichtigten Verzerrung von vornherein abzuschneiden. Doch glauben wir, wer unser Buch bis hierher gelesen hat, wird eine ausführliche Kritik und Widerlegung der Grenznutzentheorie von uns nicht mehr verlangen. Wir beschränken uns auf die folgenden kurzen Hinweise.

1. Die Theorie ist nur ein neuer Aufputz des alten Gesetzes von Angebot und Nachfrage: je mehr wir von einer Ware haben, desto weniger ist sie wert. Folglich, was das Gesetz von Angebot und Nachfrage nicht erklären konnte, dass kann auch dieser Aufguss nicht erklären.
2. Die Frage Diamanten und Wasser ist hierdurch keineswegs gelöst. Angenommen selbst die Theorie sei richtig, so würde sie erklären, warum die Diamanten für sich genommen und das Wasser für sich genommen, unter Umständen größeren und unter Umständen geringeren Wert haben. Niemals aber ermöglicht sie die quantitative Vergleichung von Diamanten und Wasser. Eine solche – und gerade Mathematiker sollten das vor allen anderen wissen – ist immer nur möglich durch die Reduktion auf ein Gemeinsames, also auf dem Wege, den Marx eingeschlagen hat.
3. Die ganze Theorie beruht auf der Beibehaltung des schweren logischen Fehlers, den Gebrauchswert messen zu wollen, eine Qualität als Quantität zu behandeln. Hierüber ist das Notwendige in unserm 9. Kapitel (Seite 49-53 dieses Buches) gesagt worden (34).

Ist schon bisher diese Theorie reichlich kompliziert, so ist das jedoch noch gar nichts gegen die Erklärung des Profits, die ihre Vertreter vortragen. Das ist ja die Hauptsache. Wir erinnern uns, der Hauptgrund, weshalb die subjektivistische Werttheorie verworfen werden musste, war ihre Unzulänglichkeit gegenüber der Gestaltung der Preise. Sie konnte uns nicht sagen, warum die Preise gerade so hoch und nicht anders sind. Und dies konnte sie nicht, weil sie für den Ursprung des Profits keine Erklärung wusste. Soll sie gerettet werden, so ist dies die wichtigste Lücke, die ausgefüllt werden muss.

Hier nun bleibt uns nichts anderes übrig, als uns an Böhm-Bawerk selbst zu halten. Jedoch können wir ihn nicht wörtlich zitieren, wir müssten sonst hunderte von Druckseiten opfern. Wir müssen schon versuchen, nach unseren schwachen Kräften einen Extrakt seiner Lehre zu geben. Zum Zweck der Kontrolle verweisen wir auf sein schon genanntes Werk (35).

Nachdem mit Hilfe der Grenznutzentheorie die subjektivistische Wertlehre, welche den Wert einer jeden Ware aus ihrer Nützlichkeit und dem nach ihr empfundenen Bedürfnis herleitet, angeblich gerettet ist, braucht der Ursprung des Profits nicht mehr – wie Marx es tut – in der Produktion gesucht zu werden. Wir erinnern uns, dass Marx sich abquälte mit der Frage: wie ist es möglich, dass im Handel gleiche Werte ausgetauscht werden und dass bei dieser Gelegenheit dennoch auf der einen Seite ein Überschuss entsteht? Das ist jetzt nicht mehr nötig, diese ganze Arbeit sind wir los. Denn, wenn jede Ware für jeden einzelnen Menschen so viel wert ist, wie er persönlich sie schätzt, dann hat sie offenbar für verschiedene Personen verschiedenen Wert. Dann braucht man bloß zum alten Condillac zurückzukehren, der schon im Jahre 1776 geschrieben hat (36):

„Es ist falsch, dass man im Warenaustausch gleichen Wert gegen gleichen Wert austauscht. Umgekehrt. Jeder der beiden Kontrahenten gibt immer einen kleineren für einen größeren Wert. Tauschte man in der Tat immer gleiche Werte aus, wäre kein Gewinn zu machen für irgendeinen Kontrahenten. Aber alle beide gewinnen oder sollten doch gewinnen. Warum? Der Wert der Dinge besteht bloß in ihrer Beziehung auf unsere Bedürfnisse. Was für den einen mehr, ist für den andern weniger und umgekehrt. […] Wir wollen eine uns nutzlose Sache weggeben, um eine uns notwendige zu erhalten, wir wollen weniger für mehr geben.“

Freilich, wer sich in seinem Leben mit dem großen und kleinen Einmaleins abgegeben hat, kann hiermit nicht recht zufrieden sein. Wie ist denn die Sache? Jemand verkauft z.B. einen Tisch für 40 M. Für unseren gewöhnlichen Verstand ist hier nur einer von den drei folgenden Fällen möglich: entweder der Tisch ist genau 40 M. wert, dann macht niemand Profit; oder er ist weniger als 40 M. wert, dann macht der Verkäufer Profit; oder endlich, er ist mehr als 40 M. wert, dann macht der Käufer Profit. Dagegen die Behauptung, dass beide Kontrahenten gewinnen, setzt voraus, dass er gleichzeitig weniger als 40 M. und auch mehr als 40 M. wert ist, was das Fassungsvermögen eines gewöhnlichen Menschenverstandes offenbar überschreitet.

Indessen, wer dies einmal ohne inneren Schaden geschluckt hat, dessen Konstitution ist dann freilich kräftig genug, um noch mehr zu verdauen. Im Anschluss an die Behauptung, dass der Wert einer Sache nichts weiter ist, als unsere persönliche Abschätzung und dass infolgedessen sehr wohl möglich sei, dass dieselbe Sache für den einen mehr und für den anderen weniger wert sei, stellt Böhm-Bawerk den Satz auf:

Gegenwärtige Güter sind in aller Regel mehr wert als künftige Güter gleicher Art und Zahl.“

Dieser Satz ist, wie er andauernd betont, der Kern- und Mittelpunkt seiner Zinstheorie. Und in der Tat, wenn für den Tauschwert einer Ware bestimmend ist das Bedürfnis, das ich nach ihr empfinde und ihre Geeignetheit zu dessen Befriedigung, so liegt auf der Hand, dass unmittelbar vorhandene Güter mehr wert sein müssen, als solche, die man erst in Zukunft zu kriegen hofft. Man versteht nicht recht, weshalb Böhm-Bawerk ungezählte Druckseiten daran wendet, um das noch zu beweisen. Dass der Sperling in der Hand vorzuziehen sei der Taube auf dem Dache, ist doch schon von Uralters her bekannt, und wir können uns nicht denken, dass das jemand bestreiten sollte. Nur weil es einen ausgezeichneten Einblick in das Wesen der Vulgärökonomie gewährt, sei ein Stück aus seiner Beweisführung hier erwähnt, obgleich es Dinge streift, die nicht mehr den Grundbegriffen der Wirtschaftslehre gehören und deshalb in diesem Buch sonst nicht abgehandelt werden. Böhm-Bawerk schreibt (37):

„Es ist eine elementare Erfahrungstatsache, dass zeitraubende Produktionsumwege ergiebiger sind; das will sagen, dass mit der gleichen Menge von Produktionsmitteln eine desto größere Menge von Produkten erzielt werden kann, je langwierigere Produktionsmethoden man dabei einschlägt.“

Man muss sich das erst ins Deutsche übersetzen, um es richtig zu erfassen. Wenn im mittelalterlichen Haushalt eine Frau das Spinnrad vornahm und zu arbeiten begann, kriegte sie in, sagen wir 6 Stunden, eine bestimmte Menge Garn fertig. Dagegen in einer mit den modernsten Maschinen ausgerüsteten Spinnerei des 20. Jahrhunderts schafft jede einzelne Arbeiterin in 6 Stunden unvergleichlich viel mehr Garn. Dazu waren allerdings mancherlei Vorarbeiten erforderlich. Die Arbeiterin darf nicht, wie es im Mittelalter wohl oft geschah, die Schafe selbst besorgen und scheren usw., sondern sie muss vorgearbeitete Wolle in großen Quantitäten geliefert bekommen, die Maschinen, sowohl die Arbeits-, wie die kraftliefernden Maschinen müssen von anderen Leuten fix fertig fabriziert und an Ort und Stelle gebracht sein, Kohlen müssen bereit liegen usw. Kurz, die Produktion des Garns geschieht nicht auf dem kurzen und direkten Wege wie im Mittelalter, sondern sie schlägt allerlei Umwege ein, die natürlich zeitraubend sind. Diese Umwege nun und den dadurch veranlassten Zeitverlust hält Böhm-Bawerk für die eigentliche Ursache der Steigerung der Produktivität!

Das ist typisch für den Vulgärökonomen. Er sieht die äußerlichen Vorgänge und beschreibt sie. Irgendwie in den Zusammenhang der Dinge einzudringen, ist ihm nicht gegeben. Könnte er das, so würde er sehen, dass der Umweg und der damit verbundene Zeitverlust wirklich nichts weiter ist, als eben – Zeitverlust, und dass die Produktivität wächst in dem Verhältnis, wie es gelingt, Umweg und Zeitverlust zu vermeiden, indes die wahre Wurzel der steigenden Ergiebigkeit in der Arbeitsteilung und dem planmäßigen Zusammenarbeiten mehrerer Menschen liegt (38).

Aber für Böhm-Bawerk, den Vulgärökonomen, gilt die Äußerlichkeit. Er schlussfolgert: je länger die Produktion dauert und je größere Umwege sie einschlägt, desto ergiebiger ist sie! Und auf der Grundlage dieser pyramidalen Behauptung stellt er lange Berechnungen an, die man beim besten Willen nur noch als komisch bezeichnen kann.

Er sagt nämlich: ein Arbeitsmonat aus dem Jahre 1909, der zu direkter Produktion verwandt wird, liefert eine bestimmte Menge Konsumgüter. Wird er dagegen zu einem Produktionsumwege benutzt, so dass seine Früchte erst 1910 in die Erscheinung treten, so liefert er mehr Produkte. Noch mehr, wenn der Umweg größer ist und die Produkte erst 1911 reifen, und so weiter. So wird das gegenwärtige, in diesem Jahr vorhandene Gut immer wertvoller, je weiter in die Zukunft hinein sich seine Wirkung erstreckt. Und diese angebliche Tatsache – wir müssen schon sagen, dieser schier kindliche Irrtum ist, wie er selbst sagt, der „Grundpfeiler seiner Zinstheorie“.

Nämlich: wenn ich im Besitz von 1000 M. bin, die ich zu direkter Produktion (ohne Umwege) oder zu sofortigem Konsum benutze, so sind sie eben 1000 M. wert, nicht mehr oder weniger. D.h. ich habe davon eine bestimmte Menge Güter. Benutze ich sie dagegen zu einer langwierigen Produktion, so bekomme ich durch sie übers Jahr mehr Güter, in 2 Jahren noch mehr, in 3 Jahren wiederum mehr und so fort je länger die Produktion dauert. Es liefern mir also dieselben 1000 M., wenn ich ihre Früchte erst übers Jahr genieße, mehr als wenn ich sie sofort verzehre. Habe ich dieselben 1000 M. erst übers Jahr in der Hand, so können sie auch erst dann eine produktive Verwendung finden. Sie liefern also umso weniger Güter und sind umso viel weniger wert. Folglich, wenn ich heute einem andern 1000 M. leihe mit der Bedingung, sie in einem Jahr zurückzukriegen, und wenn er mir dann wirklich übers Jahr nur 1000 M. zurückgibt, so würde er mir weniger geben, als er bekommen hat. Erst wenn er etwas zulegt, sage 50 M., hat er mir denselben Wert zurückerstattet, den er von mir empfangen hat. So wäre der glorreiche Beweis erbracht, dass 1000 = 1050!

Womit denn Mathematik, Logik und gesunder Menschenverstand gleichermaßen in Grund und Boden hinein argumentiert sind. Bemerkenswert an dieser Theorie ist nur das eine, dass sie diejenige ist, die neuerdings in der gelehrten bürgerlichen Ökonomie die meisten Anhänger gefunden hat. Ein Beweis, zu welchen unglaublichen Bocksprüngen und Gliederverrenkungen sich die bürgerliche Ökonomie gezwungen sieht, nur weil sie die einfache Wahrheit nicht anerkennen mag, dass der Wert menschliche Arbeit ist. Nachdem so der letzte Versuch der bürgerlichen Ökonomie ad absurdum geführt ist, kehren wir zur Marxschen Wirtschaftslehre zurück.

16. Die Umwälzung der Produktionsweise durch das Kapital

I.

Der Mehrwert ist Ziel und Zweck des Kapitals. Seine Erzeugung unablässig zu vergrößern und zu vervielfachen, darauf läuft alles wirtschaftliche Streben unter dem Kapitalismus hinaus. Infolge dieses Strebens hat das Kapital nach und nach die gesamte Produktionsweise, wie es sie bei seiner Entstehung vorfand, und damit zugleich die gesamten Lebensverhältnisse der Menschen von Grund auf umgewälzt. Und hierin liegt die historische Bedeutung des Kapitals.

Mehrwert wird erzeugt durch Anwendung der Arbeitskraft. Das Kapital kauft die Arbeitskraft und zahlt dafür den Lohn. Indem dann der Arbeiter arbeitet, erzeugt er neuen Wert, der nicht ihm, sondern dem Kapitalisten gehört. Eine Weile muss er freilich arbeiten, um nur den Wert des Arbeitslohns wieder zu erstatten. Aber nachdem dies geschehen, hört er nicht auf, sondern arbeitet noch einige Stunden des Tages. Der neue Wert, den er jetzt erzeugt und der also den Betrag des Arbeitslohns übersteigt, ist der Mehrwert.

Nehmen wir, um ein Beispiel zu haben, an, der gesamte Arbeitstag dauere 12 Stunden. Davon seien 10 Stunden erforderlich, um den Wert des Arbeitslohns zu ersetzen, und während der übrigen 2 Stunden werde der Mehrwert erzeugt. Welche Mittel hat nun das Kapital, um die Erzeugung von Mehrwert zu steigern?

Zuerst die Verlängerung der Arbeitszeit. Diese ist bekanntlich in den Jahrhunderten kapitalistischer Produktion vielfach versucht worden und wird auch heute noch vielfach versucht. Aber sie hat ziemlich enge, unübersteigbare Grenzen. Schließlich hat der Tag doch nur 24 Stunden, und einige davon braucht der Arbeiter zum Schlafen und zum Essen. Dazu kommt, dass bei jeder neuen Verlängerung der Arbeitszeit notwendig die Intensität der Arbeit abnimmt. Wer 15 Stunden täglich arbeiten muss, hat lange nicht so frische Kräfte, als wer 8-9 Stunden arbeitet. Die Menge des neu geschaffenen Werts hängt aber von der Intensität der Arbeit nicht minder ab, als von ihrer Dauer. Endlich haben die Arbeiter ihren eigenen Willen und setzen sich gegen eine gar zu weit getriebene Verlängerung der Arbeitszeit zur Wehr.

Ein zweites Mittel zur Steigerung des Mehrwertes ist die Herabdrückung des Lohns. Auch diese spielt in der Geschichte der kapitalistischen Produktion bis auf den heutigen Tag eine große Rolle. Aber auch sie ist nicht endlos und kein unbedingt sicheres Mittel. Die unablässige Steigerung des Mehrwertes muss auch dann möglich sein, wenn die Arbeitskraft wirklich zu ihrem vollen Werte bezahlt wird. Folglich, so sehr das Streben des Kapitals nach Unterbezahlung der Arbeitskraft eine Tatsache ist, so genügt es doch nicht.

Da bietet sich denn dem Kapital eine dritte Möglichkeit zur Steigerung des Mehrwerts. In unserm Beispiel betrug die „notwendige“ (d.h. zum Ersatz des vollen Werts der Arbeitskraft notwendige) Arbeitszeit 10 Stunden, die Mehrarbeit betrug 2 Stunden. Wenn nun der volle Wert der Arbeitskraft ein geringerer würde, so dass er in weniger als 10 Stunden ersetzt werden könnte, so würde offenbar die zur Mehrarbeit verfügbare Zeit zunehmen. Es erwächst also dem Kapital die Aufgabe, die Arbeitskraft zu verbilligen (wohl verstanden: ihren wirklichen Wert zu verringern, nicht etwa sie unter ihrem Wert zu bezahlen).

Unter dem Wert der Arbeitskraft versteht man (gleichwie unter dem Wert jeder anderen Ware) diejenige Menge Arbeit, die zu ihrer Herstellung gesellschaftlich notwendig ist. Die Arbeitskraft wird durch den Verbrauch von Lebensmitteln (39) hergestellt. Folglich, wenn es gelingt, die Produktion der Lebensmittel des Arbeiters zu verbilligen, so dass er alles, dessen er bedarf, für weniger Geld kriegt, so ist der wirkliche Wert der Arbeitskraft gesenkt und von der 12 stündigen Arbeitszeit (in unserem Beispiel) dient ein größerer Teil als bisher der Erzeugung von Mehrwert.

Lebensmittel der Arbeiter in dem hier gemeinten Sinne sind fast alle Erzeugnisse menschlicher Tätigkeit mit Ausnahme einzelner ganz weniger Artikel des reinsten Luxus. Da der Wert einer jeden Ware bestimmt wird durch die Menge derjenigen Arbeit, die zu ihrer Herstellung notwendig ist, so wird ihr Wert gesenkt, sobald es gelingt, die Ware mit weniger Arbeit als bisher herzustellen. Mit anderen Worten: sobald es gelingt, mit dergleichen Menge Arbeit ein größeres Quantum Waren herzustellen, ist der Wert jeder einzelnen Ware geringer. Mit der gleichen Menge Arbeit eine größere Menge Waren herzustellen, das bedeutet: die Produktivkraft (Ergiebigkeit) der Arbeit steigern. Sofern davon Waren betroffen werden, die zum Lebensunterhalt der Arbeiter gehören, ist der Wert der Arbeitskraft gesenkt, der Mehrwert vergrößert.

Da nun zum Lebensunterhalt der Arbeiter fast alle Waren gehören, so wird die Vergrößerung des Mehrwerts, die das Kapital anstrebt, erreicht durch eine allgemeine Steigerung der Produktivkraft der Arbeit.

Das Kapital hat sich diesen Zusammenhang zwar niemals theoretisch klar gemacht, aber in der Praxis hat es instinktiv sehr rasch begriffen, dass seine Aufgabe von vornherein sein musste, die Produktivkraft der Arbeit zu steigern.

II.

Die Produktivkraft der Arbeit steigern – das bedeutet, wie wir gesehen haben: mit der gleichen Menge Arbeit eine größere Menge Produkte herstellen als zuvor. Dies erreichte das Kapital zunächst durch bloße Vereinigung mehrerer Arbeiter an derselben Arbeitsstätte, was man mit einem Fremdwort Kooperation (Zusammenarbeiten) nennt. Die Kooperation ist in der Geschichte die erste Betätigung des Kapitals gewesen.

Wie kann durch die bloße Zusammenfassung mehrerer Arbeiter, welche alle unabhängig voneinander arbeiten, die Menge des Produkts vermehrt werden? Zunächst durch Ersparnis an Arbeitsmitteln. Wenn zum Beispiel 20 Schuhmacher in einer Werkstatt arbeiten, so kostet die Werkstatt nicht so viel, wie 20 Werkstätten für je einen Schuhmacher. Auch wird nicht jeder einzelne in jedem Augenblick dasselbe Werkzeug brauchen wie der andere. Der eine wird den Hammer handhaben, indes der andere das Messer nimmt usw. So wird für je zwei oder drei nur immer eine Garnitur Handwerkszeug nötig sein. – Sodann erwächst durch das Beisammensein vieler Arbeiter die Möglichkeit, manche Arbeiten auszuführen, die einer allein überhaupt nicht machen könnte. Wenn zum Beispiel ein schwerer Kettenbaum auf den Webstuhl zu heben ist, so ist ein einzelner außerstande, das zu tun. Drei oder vier Arbeiter tun es mit Leichtigkeit. Es erwachsen also aus dem bloßen Beisammensein vieler Arbeiter gewissermaßen neue Produktivkräfte, die vorher nicht vorhanden waren.

Dies ist besonders wichtig bei Arbeitszweigen, welche es erfordern, in einem bestimmten Augenblick große Mengen von Arbeit unverzüglich zu leisten, damit das Produkt nicht verdirbt. Zum Beispiel bei der Ernte, beim Heringsfang und dergleichen. Auch sonst gibt es Arbeiten, die nur gefördert werden können, wenn sie sozusagen vorn und hinten zugleich angefasst werden, z.B. Häuserbau, Straßenbau, Kanalbau.

Von allen Fachleuten wird ferner bestätigt, dass das bloße Nebeneinanderarbeiten an derselben Arbeitsstätte ganz von selbst einen Wetteifer unter den Arbeitern erzeugt, welcher die Produktivkraft der Arbeit merkbar vermehrt. In einer größeren Arbeiterzahl werden sich immer neben besonders tüchtigen Leuten auch weniger tüchtige befinden; solche, die die durchschnittliche Leistung übertreffen, und solche, die unter dem Durchschnitt bleiben. Es ist verständlich, dass die letzteren sich nach Kräften bemühen werden, wenigstens nicht gar zu weit hinter den andern zurückzubleiben.

Endlich ergibt sich unmittelbar aus dem Zusammenarbeiten vieler eine gewisse Arbeitsteilung, die dem Produkt außerordentlich förderlich wird. Wollte etwa ein Maurer die Steine, die er braucht, sich selbst holen, so würde er sehr viel weniger schaffen, als wenn ein anderer sie ihm zuträgt. Oder man denke, wie viel schneller die Steine auf den Bau gelangen, wenn die Maurer eine Kette bilden und sie sich zureichen, als wenn jeder einzelne ständig auf und nieder klettert. Oder beim Fischfang: einer rudert, der andre steuert, der dritte wirft das Netz oder die Harpune aus; zusammen erreichen so alle drei ein Resultat, das einzeln keiner erreichen könnte. – Dies leitet hinüber zu der weiteren Arbeitsteilung, von der wir später handeln werden.

Unsere bisherige Betrachtung zeigt klar und deutlich, dass die Erhöhung der Produktivkraft der Arbeit, die vermittels der Kooperation zustande kommt, das Werk der Arbeit und der Arbeiter ist. Es ist die Arbeit, die all dies leistet, sobald sie nicht mehr vereinzelt, sondern in größerer Menge vereint, also kollektiv oder gesellschaftlich angewandt wird. Was dabei zum Vorschein kommt, sind Produktivkräfte, die in der Arbeit selbst liegen; sie sind ihr nicht durch irgendetwas von außen herzugetragen. Dieser klare Zusammenhang wird verdunkelt durch die Zustände, unter denen die Kooperation zuerst geschaffen wurde.

Das Mittelalter war die Zeit des Handwerks. Wohl arbeitete auch damals der Meister nicht ganz allein, sondern beschäftigte einige Gesellen; aber der Hauptzweck ihrer Beschäftigung war ihre Ausbildung zum Meister, und durch Zunftgesetze war ihre Zahl festgesetzt und beschränkt.

Am Ausgang des Mittelalters hatten sich die festen sozialen Verhältnisse aufgelöst. Es gab nicht nur Reichere und Ärmere, sondern sogar ganz Arme. Wie das gekommen war, beschäftigt uns hier nicht, sondern gehört ins Gebiet der Geschichte (40).

Die Armen konnten aus sich heraus an keine Kooperation denken, denn sie hatten weder Lebensmittel noch Werkzeuge. Sich in einer Werkstatt zum Zusammenarbeiten vereinigen, konnten sie nur, wenn sich jemand fand, der Werkzeuge kaufen und den Lohn zahlen konnte – der Kapitalist.

Also rein sachlich genommen, wären alle die Vorteile der Kooperation auch entstanden, wenn sich die Arbeiter freiwillig und ohne Kapitalisten zu gemeinsamer Arbeit vereinigt hätten. Dass sie das nicht konnten, sondern erst durch den Kapitalisten zur Kooperation zusammenberufen werden mussten, war eine Folge der sozialen Zeitumstände.

Nun hatten die Arbeiter vor ihrer Vereinigung genau dasselbe getan, was sie – zunächst wenigstens und vor den weitergehenden Umwälzungen, die wir noch betrachten werden – nach ihrer Vereinigung taten. Und doch war ihre Arbeit durch die bloße Vereinigung viel produktiver geworden. Die Vereinigung aber war das Werk des Kapitals. Was Wunder, dass der Schein entstand, auch die Erhöhung der Produktivkraft sei das Werk des Kapitals! Oder vielmehr, weil das Kapital ja das einzige war, was – roh betrachtet – zu dem vorher schon Vorhandenen hinzugekommen war, so musste der Schein entstehen, es sei dies überhaupt keine Produktivraft der Arbeit, sondern eine Produktivkraft des Kapitals! Es sei eine Produktivkraft, welche erst vom Kapital in die Arbeit hineingelegt worden.

Dieser falsche Schein musste sich befestigen, weil alsbald das Kapital eine wirkliche Funktion im Arbeitsprozess übernahm, nämlich die Leitung. Bei gemeinsamer Arbeit sind gewisse Verwaltungsarbeiten nötig. Es müssen rechtzeitig genügend Werkzeuge, Arbeitsräume, Rohstoffe usw. beschafft werden, jedem muss sein Platz, sein Rohstoff, zugeteilt werden, kurz, es muss dafür gesorgt werden, dass alles zur rechten Zeit und in der rechten Art fertig wird. Dies fiel naturgemäß dem Kapitalisten zu, denn er war ja der Besitzer der Werkzeuge, der Rohstoffe und des Produkts, er war im Grunde der einzige, der an sachgemäßer Erledigung des ganzen Vorgangs ein persönliches Interesse hatte. Diese Verwaltungsarbeiten machten ihn alsbald nicht nur zum fachlichen Leiter, sondern auch zum persönlichen Befehlshaber der Arbeiter. Auf diese Weise kam es aber auch dahin, dass er nach außen hin den gesamten Prozess, d. h. sowohl die gesamten Arbeiter als auch die gesamte Arbeit repräsentierte. Auch dies musste den Schein verstärken, als ob das, was die Arbeiter jetzt mehr leisteten, als früher, sein Werk und das Werk seines Kapitals war.

Endlich sind die Vorteile der Kooperation natürlich umso größer, je zahlreicher die Arbeiterschar. Je mehr Arbeiter beschäftigt werden sollen, desto größer muss das Kapital sein. Mithin wächst die Produktivkraft des Kapitals. – Alle diese Umstände haben es bewirkt, dass die Bourgeoisie heutzutage ausnahmslos die Produktivkraft der Arbeit für eine Produktivkraft des Kapitals hält.

III.

Kooperation in ihrer einfachen Form, wie wir sie bisher betrachtet haben, vereinigte mehrere Arbeiter (Handwerker), die alle dasselbe taten. Sie kann aber auch Handwerker verschiedener Branchen zu gemeinsamem Werk vereinigen. Zum Beispiel ist die Herstellung einer Kutsche das Werk einer ganzen Reihe von Handwerkern: Stellmacher, Sattler, Schlosser, Schneider usw., welche bisher unabhängig, nun aber unter dem Kommando desselben Kapitals vereinigt arbeiten. – In beiden Fällen entsteht infolge der Kooperation eine neue Teilung der Arbeit.

Die Arbeitsteilung an sich ist nicht erst durch die Kooperation oder das Kapital geschaffen worden. Vielmehr ist ihr seit Jahrtausenden jede Vermehrung der Produktivkraft der Arbeit zu danken gewesen. Doch war sie bisher nur so weit fortgeschritten, dass sie die verschiedenen Produktionszweige, die verschiedenen Berufe voneinander getrennt hatte. Indes der Mensch der Urzeit alles, was er brauchte – sein Haus, sein Bett, sein Werkzeug, seine Feldarbeit usw. – selbst machte (41), gab es jetzt Maurer, Tischler, Schlosser usw., deren jeder seine ganz bestimmte Spezialität machte. Als Handwerker stellte nun jeder ein ganzes, gebrauchsfertiges Produkt her. Nachdem aber die Kooperation eine Reihe von Handwerkern, sei es der gleichen, sei es verschiedener Branchen, zu gemeinsamem Werk vereinigt hatte, ergab sich alsbald Gelegenheit, die Herstellung eines einzelnen Produkts unter mehrere Arbeiter zu verteilen. Der Tischler des Mittelalters z.B. hatte Tische, Stühle, Schränke und auch sämtliche sonstigen Tischlerarbeiten gemacht. Nunmehr dagegen wurde seine Arbeit dahin spezialisiert, dass er nur einen ganz bestimmten Teil eines Schrankes machte, indes die anderen Teile von seinen Kollegen gemacht wurden und die Fabrik, in der er arbeitete, überhaupt nur Schränke, aber keine Tische oder Stühle oder sonstige Tischlerarbeit mehr lieferte.

Damit sind wir endgültig heraus aus der Zeit des mittelalterlichen Handwerks und in die kapitalistische Zeit übergetreten, und zwar zunächst in ihre erste Periode, die Manufaktur (42), welche etwa von der Mitte des 16. Jahrhunderts bis zum letzten Drittel des 18. gedauert hat.

Diese neue Teilung der Arbeit (43) zeigte alsbald ihre bewährte Wirkung in einer bedeutenden Vermehrung der Produktivkraft. Nehmen wir als Beispiel die Nadelfabrikation. Die Herstellung einer Nadel erforderte damals ungefähr 20 verschiedene Operationen, die vordem ein einziger Handwerker nacheinander ausgeführt hatte. Nun wurden sie unter 20 Arbeiter verteilt, deren jeder hinfort nur ein und dieselbe Operation immer von neuem wiederholte. Der Erfolg war (wie der englische Nationalökonom Adam Smith berechnet hat), dass sie 240mal so viel Nadeln an einem Tage fertig brachten wie vordem.

So vorteilhaft diese neue Produktionsweise für die Vermehrung der Produkte war, so nachteilig war sie jedoch von vornherein für den Arbeiter. Denn ihre unmittelbare Folge war, dass der Arbeiter seine vielseitige Geschicklichkeit verlor, die er vordem besessen hatte. Betrachten wir z.B. die Kutschenfabrikation. Solange der Sattler, der Schlosser, der Schneider selbständige Handwerker gewesen, arbeiteten sie gelegentlich an einer Kutsche, aber daneben machten sie auch viele andere Arbeiten, die in ihren Beruf fallen, ohne gerade zur Herstellung einer Kutsche zu dienen. Sie blieben also in der Übung für alle möglichen Arbeiten ihres Berufs. Nun sie aber vom Kapital in eine Kutschenfabrik gestellt waren, bekamen sie jahraus jahrein nichts anderes mehr zu tun als Kutschenarbeit. So verloren sie die Übung und mit der Zeit auch die Fähigkeit für andere Arbeit; und – was vielleicht noch wichtiger – der Nachwuchs, die Lehrlinge brauchten andere Arbeit nicht mehr zu lernen und fanden auch keine Gelegenheit dazu, so dass mindestens die zweite oder dritte Generation seit Beginn der Kooperation das vollständige Handwerk nicht mehr auszuüben verstand, sondern in ihrer Geschicklichkeit vereinseitigt, d.h. verkümmert war. Ganz dasselbe gilt für Arbeiten wie das Nadel machen, welche in ihre Teiloperationen aufgelöst wurden. Der einzelne Arbeiter wurde ein Virtuose in der einzelnen Operation, die ihm Zeitlebens zugewiesen war, aber er verstand nicht mehr die Kunst, eine einzige ganze Nadel zu machen.

Somit wurde der Arbeiter vom Zusammenarbeiten mit anderen abhängig. Der Handwerker, der ein vollständiges Gebrauchsgut herzustellen gelernt hatte, konnte arbeiten (und somit sich ernähren), sobald ihm Rohmaterial und Werkzeug zur Verfügung stand. Dem Manufakturarbeiter nützte auch das noch nichts, solange die anderen Arbeiter fehlten, welche die anderen Teile des Gegenstandes herzustellen verstanden, an dem er nur mitarbeitete. Mit anderen Worten: der Arbeiter, der ehedem auf eigenen Füßen gestanden, war jetzt in einen Produktions-Organismus eingefügt, war einzelnes Organ eines Gesamtkörpers geworden, konnte nur im Zusammenhang mit dem Gesamtkörper produzieren und folglich auch nur im Zusammenhang mit ihm leben.

Je weiter diese Entwicklung fortschreitet, desto fester wird der einzelne Arbeiter in den Organismus eingepresst. Die ständige Beschäftigung mit ein und derselben ziemlich einfachen Teiloperation führt zur Verkrüppelung des Körpers wie des Geistes, da weder Körper noch Geist Gelegenheit finden, ihre sonstigen Fähigkeiten zu üben, und diese somit verkümmern müssen. Dies macht den Arbeiter mit der Zeit immer unfähiger, losgelöst vom Produktionsprozess zu existieren. Anderseits, weil die Arbeiter innerhalb eines Manufakturbetriebs einander in die Hände arbeiten, so ist auch Geschwindigkeit, Geschicklichkeit und Intensität der Arbeit nicht mehr Privatsache des einzelnen, sondern die Arbeit des einen muss an Schnelligkeit wie an Qualität ganz genau zur Arbeit des andern passen. Durch die Notwendigkeit, unablässig so viel Material und dieses in der richtigen Qualität zu liefern, wie es der nächste Teilarbeiter braucht, wird der einzelne gezwungen, sich genau in die Bedürfnisse des Betriebes einzupassen. Die Produktion innerhalb eines Manufakturbetriebs ist eine planmäßige geworden, der einzelne erzeugt nicht beliebig viel Produkte und auch nicht von beliebiger Qualität, sondern so viel und von solcher Beschaffenheit, wie sie für den gemeinsamen Zweck gebraucht werden, der vorher planmäßig festgestellt wurde.

Trotz alledem aber ist und bleibt während der Manufaktur die persönliche Geschicklichkeit des Arbeiters die Grundlage der Produktion.

IV.

Unsere bisherigen Betrachtungen zeigten bereits recht bedeutende Veränderungen, welche die Erzeugung von Mehrwert in der Produktion herbeigeführt hatte. Die Produktionsweise des Mittelalters war das Handwerk. In ihm war Zweck und Ziel der Arbeit hauptsächlich der Gebrauchswert, d.h. die Herstellung guter zweckdienlicher Produkte. Selbstverständlich musste der Handwerker seine Produkte verkaufen, um davon zu leben, und insofern war seine Arbeit auch auf den Tauschwert, d.h. aufs Geldverdienen gerichtet. Aber dazu gab es – wenigstens in der Blütezeit des Handwerks – kein anderes Mittel, als die Anfertigung guter Waren; denn andere hätte man ihm nicht abgekauft. Dann trat jene Auflösung der festen sozialen Zustände ein, welche das Ende des Mittelalters bedeutet: auf der einen Seite die Ansammlung von Kapitalien, insbesondere durch Handel und Wucher; auf der anderen Seite das Versinken zahlreicher Arbeiter in völlige Besitzlosigkeit. Die Folge davon war die (von uns bereits betrachtete) Kooperation.

Der Kapitalist, der die Kooperation bewerkstelligte, ging natürlich von vornherein darauf aus, Geld zu verdienen Doch mag es sein, dass er das zunächst nur durch den Verkauf möglichst vieler Waren zu erreichen trachtete, so dass also auch jetzt noch der Gebrauchswert hauptsächlicher Zweck der Produktion blieb. Aber die einfache Kooperation war ja nur ein kurzer Übergang zur Manufaktur, d.h. sie leitete hinüber zur Teilung der Arbeit innerhalb der Werkstatt. Und sobald diese begann, hörte der Gebrauchswert auf, treibendes und Richtung gebendes Motiv der Produktion zu sein, und an seine Stelle trat der Tauschwert. Das heißt: der bewusste Zweck, die Absicht der Kapitalisten war nun nicht mehr die Herstellung guter Waren, sondern die Verbilligung der Waren. Die wahre wirtschaftliche Bedeutung dieses Vorgangs – die, wie wir gesehen haben, darin besteht, den Wert der Arbeitskraft zu senken und dadurch den Mehrwert zu vergrößern – ist den Kapitalisten unbekannt. Sie wissen nur, dass sie durch Verbilligung der Waren ihren Absatz, ihre Kundschaft vergrößern. Doch ob mit oder ohne klare Erkenntnis der Zusammenhänge – der Tauschwert, die Verbilligung der Waren wird von nun an treibendes und mit der Zeit sogar einziges Motiv der Produktion.

Verbilligung der Produktion bedeutet so viel wie: Erhöhung der Produktivkraft der Arbeit, oder Erzeugung einer größeren Menge Waren mit dem gleichen Quantum Arbeit. Das Kapital strebt also danach, das Quantum Rohstoffe, welches durch ein gegebenes Quantum Arbeit in Ware verwandelt wird, immer mehr zu vergrößern.

Stellen wir nun die Frage: wie ist es bei diesem Vorgang mit der Erzeugung von Wert und Mehrwert? – und das ist ja der entscheidende Gesichtspunkt für das Kapital – so kommt die Verbilligung der Produktion darauf hinaus, dass diejenigen Werte (an Rohstoffen und Werkzeugen), welche ein und dieselbe Arbeitskraft verarbeitet, immer größer werden. Wenn die Arbeitskraft am Werke ist, so werden sowohl Rohstoffe wie Werkzeuge verbraucht. Die Rohstoffe verschwinden sofort, die Werkzeuge durch Abnutzung mit er Zeit. Aber ihr Wert geht nicht verloren, sondern wird auf das Produkt übertragen. Wenn aus einigen Pfund Baumwolle soundso viel Paar Strümpfe gemacht sind, so steckt der Wert der verbrauchten Baumwolle in den Strümpfen. Und ebenfalls steckt in den Strümpfen der Wert der verbrauchten Werkzeuge, der sich auf sämtliche Strümpfe verteilt, die mit diesen Werkzeugen hergestellt werden. Also der Wert der Rohstoffe und Arbeitsmittel verändert sich nicht in der Produktion. Er bleibt im Produkt derselbe, der er in den Rohstoffen und Arbeitsmitteln war. Deshalb nennt Marx diese Dinge konstantes (d.h. unveränderliches) Kapital. Dagegen das für Arbeitslohn ausgegebene Kapital existiert nicht mehr im fertigen Produkt, sondern an seiner Stelle erscheint der neue Wert, welchen die Arbeitskraft geschaffen hat. Dieser neue Wert ist größer als der Arbeitslohn. Mithin hat sich der Wert des für Arbeitslohn ausgegebenen Kapitals in der Produktion verändert, und Marx nennt es deshalb variables (d. h. veränderliches) Kapital.

Wenden wir diese Namen auf die oben gefundenen Sätze an, so wird die Produktion billiger, sobald das konstante Kapital (Rohstoffe und Werkzeuge), das auf ein bestimmtes variables Kapital (Arbeitslohn) kommt, größer wird. – Ein Beispiel wird das noch klarer zeigen. Angenommen, zur Verarbeitung eines bestimmten Quantums Rohstoff mit bestimmten Werkzeugen seien 10 Arbeiter nötig. Jetzt wird eine Erfindung gemacht, welche die Produktivkraft der Arbeit verzehnfacht. Neun Arbeiter werden entlassen; der eine, der übrig bleibt, verarbeitet – mit den neuen Werkzeugen – dasselbe Quantum Rohstoff in derselben Zeit, wie früher die zehn. Dann ist das Produkt enorm verbilligt. Das variable Kapital ist nur noch ein Zehntel dessen, was es früher war; das konstante Kapital dagegen ist wahrscheinlich größer geworden, weil der Wert des verarbeiteten Rohstoffs sich gleichgeblieben und solche neuen Werkzeuge in der Regel teurer sind als die alten. Allgemein ausgedrückt: das konstante Kapital hat sich im Verhältnis zum variablen Kapital vergrößert.

Das ist ein Gesetz, das immer gilt: je größer das konstante Kapital im Verhältnis zum variablen, desto geringer ist der Wert des Produkts.

Betrachten wir nun den Manufakturarbeiter und sein Werkzeug, sowie das Quantum Rohstoff, das er damit verarbeiten kann, so lehrt der erste Blick, dass sein Arbeitslohn (das variable Kapital) neben dem Wert der Produktionsmittel (dem konstanten Kapital) noch recht sehr ins Gewicht fällt.

Dazu kommt, dass die Produktion in der Manufaktur noch durchaus auf der persönlichen Leistungsfähigkeit und Tüchtigkeit des Arbeiters beruhte, woraus die Notwendigkeit einer immerhin noch langwierigen und kostspieligen Lehre folgt, welche den Wert der Arbeitskraft wesentlich erhöhte.

Demnach war das Kapital darauf angewiesen, ein Mittel zu finden, welches die Masse des von ein und derselben Arbeitskraft zu bewältigenden konstanten Kapitals enorm vermehrte und zugleich die Produktion von der persönlichen Leistungsfähigkeit Arbeiters unabhängig machte.

Dieses Mittel war die Maschine.

V.

Was die Maschine vom Werkzeug des Handwerkers wie des Manufakturarbeiters unterscheidet, ist dies, dass die eigentliche Arbeit, das heißt die Einwirkung auf den Rohstoff vermittels des Werkzeugs, nicht mehr von einem Menschen, sondern von einem mechanischen Apparat ausgeführt wird. Also nicht das ist das Wesentliche an der Maschine, dass sie durch Dampf, Wind oder Wasser getrieben wird. Auch wenn der Mensch mit seinem Arm das Schwungrad drehen würde, bliebe der Apparat doch eine Maschine, so lange die Werkzeuge, welche den Rohstoff bearbeiten nicht von Menschenhänden, sondern vom Apparat geführt werden.

Es leuchtet ohne weiteres ein, warum gerade dies das wesentliche an der Maschine ist: weil nämlich dadurch die Herstellung des Produkts von der persönlichen Leistungsfähigkeit des Arbeiters unabhängig wird. Das zeigt sich schon rein äußerlich, indem die Maschine beliebig viele Werkzeuge auf einmal führen kann. Man braucht nur den Apparat zu vergrößern und die Triebkraft entsprechend zu vermehren, so kann man immer neue Werkzeuge an die Maschine ansetzen und folglich eine sehr große Menge von Produkten auf einmal erzeugen. Der Manufakturarbeiter dagegen hat nur seine zwei Hände zur Verfügung, und sehr selten ist der Fall, dass er mit ihnen auch nur zwei Werkzeuge gleichzeitig regieren kann, weil er ja auch seine Aufmerksamkeit in der Regel nicht auf zwei Arbeitsprozesse zersplittern darf.

So wird durch die Maschine die Menge des Produkts vom Arbeiter unabhängig gemacht. Ebenso aber auch dessen Qualität. Ob das Produkt gut oder schlecht wird, hängt nun nicht mehr vom Arbeiter ab, sondern von der Präzision und Genauigkeit der Maschine. Dies ist freilich sozusagen die Nabelschnur, mit welcher die beginnende maschinelle Industrie an ihrer Mutter, der Manufaktur, hing. Denn zuerst wurden die Maschinen selbst natürlich von Manufakturarbeitern hergestellt, und somit hing ihre eigne Präzision – und folglich auch die Qualität ihres Produkts – von der persönlichen Leistung jener Arbeiter ab. Es dauerte viele Jahrzehnte, bis die Maschinen selbst vollständig durch Maschinen hergestellt wurden.

Damit sind die beiden für das Verwertungsbedürfnis des Kapitals wesentlichen Faktoren erreicht: wenig Arbeitskraft (variables Kapital) kann eine gewaltige Menge von Rohstoff (konstantem Kapital) in Produkt verwandeln. Da zugleich die Maschine, die ebenfalls zum konstanten Kapital gehört, weit kostspieliger ist, als das alte Werkzeug, so ist das konstante Kapital noch mehr vergrößert im Verhältnis zum variablen.

Wird denn aber das Produkt billiger durch Verteuerung des Arbeitsmittels? Da die Maschine – ebenso wie früher das Werkzeug – ihren ganzen Wert auf das Produkt überträgt und da dieser Wert jetzt ein viel größerer ist, so ist ganz selbstverständlich die gesamte Wertsumme, welche bei der Arbeit in das Produkt hineinkommt, jetzt viel größer als zur Zeit der Manufaktur. Trotzdem wird der Wert der einzelnen Ware geringer, weil die Maschine unverhältnismäßig mehr einzelne Waren produziert als die Manufaktur. Um den viel größeren Wert des Arbeitsmittels und einen viel größeren Wert an Rohstoffen in das Produkt hineinzutragen, ist jetzt viel weniger Arbeitskraft nötig, so dass, auf gleiche Produktmassen berechnet, der Wert des Produkts viel kleiner ist.

Ein Beispiel mag das klar machen. Nehmen wir an, Werkzeug im Werte von 50 M. reiche aus zur Verarbeitung von Rohstoffen für 500 M. Dazu sei neue Arbeit nötig, die einen Wert von 10 M. erzeugt. Dann haben wir im Produkt einen Gesamtwert von

50 M. vom Werkzeug
+ 500 M. vom Rohmaterial
+ 10 M. von der neuen Arbeit
= 560 M.

Nun wird durch eine Maschine die Masse des konstanten Kapitals, das durch dasselbe Quantum Arbeit verarbeitet werden kann, verdoppelt. Dann stecken im Produkt die folgenden Werte:

100 M. von der Maschine
+ 1000 M. vom Rohmaterial
+ 10 M. von der neuen Arbeit
= 1110 M.

Ein bedeutend höherer Wert, aber auch doppelt so viel Produkt; die gleiche Menge Produkt wie früher ist jetzt nur noch 555 M. wert.

Dabei haben wir jedoch angenommen, dass die Maschine selbst um ebenso viel teurer ist, wie sie die Produktivkraft der Arbeit erhöht. Das braucht aber keineswegs der Fall zu sein. Eine Maschine, die zehnmal so viel kostet wie das Werkzeug, kann möglicherweise die Produktivkraft verhundertfachen. Dann stellt sich der Wert des Produkts wie folgt:

500 M. von der Maschine
+ 50 000 M. von den Rohstoffen
+ 10 M. von der neuen Arbeit
= 50 510 M.
dividiert durch 100, ergibt nur noch 505,10 M. Wert desselben Produktenquantums, das, mit dem Werkzeug hergestellt, 560 M. Wert war.

***

Werfen wir nun einen Rückblick auf die gesamten bisherigen Betrachtungen dieses Kapitels, so zeigt sich, wie das Verwertungsbedürfnis des Kapitals – d.h. sein Bedürfnis nach Vergrößerung des Mehrwerts – die gesamte Produktionsweise allmählich umgewälzt hat. Vom Handwerk geht der Weg über Kooperation und Manufaktur bis zu der mit Maschinen betriebenen Industrie. War im Handwerk noch der Mensch und seine persönliche Leistung der wichtigste, ja eigentlich der einzige Träger der Produktion, dem das Werkzeug als bloßes Hilfsmittel diente, so wächst schon in der Manufaktur die Bedeutung des Werkzeugs neben dem Arbeiter, besonders auch deshalb, weil die Arbeit „vergesellschaftet“ worden ist. Der einzelne Arbeiter ist nichts mehr, wenn die andern fehlen, die mit ihm zusammenarbeiten müssen. Dies wird in der großen Industrie auf die Spitze getrieben. Die Maschine ist ein Arbeitsmittel, das von vornherein nur gesellschaftlich vernutzt werden kann. Zugleich nimmt sie dem Arbeiter die eigentliche Leistung ab, so dass das Verhältnis gerade umgekehrt ist wie zur Zeit des Handwerks: der eigentliche Träger der Produktion ist die Maschine, der Mensch ist nur noch ihr Hilfsmittel und Anhängsel. Der Handwerker wusste genau, was er persönlich mit seiner Arbeit geschaffen hatte; beim Manufakturarbeiter war das schon nicht mehr möglich, höchstens konnten mehrere ein gemeinsames Produkt aufweisen, unter der Herrschaft der Maschine ist am Produkt jede Spur von dem ausgelöscht, was der eine oder der andere persönlich geleistet hat.

Selbstverständlich hat diese unablässige Vermehrung und Verbilligung der Produkte im Interesse des Kulturfortschritts gelegen. Denn Verbilligung der Waren heißt ja an und für sich nichts anderes, als Verminderung der zu ihrer Herstellung erforderlichen Arbeit. Im Interesse der Menschheit kann es nur liegen, dass auf dieser Bahn immer weiter fortgeschritten wird. Doch nun stoßen wir auf eine Schranke, welche das Kapital nicht überschreiten kann.

Die Anwendung der Maschine soll Arbeit ersparen. Das hat natürlich nur Sinn, wenn sie selbst nicht mehr Arbeit zu ihrer Herstellung erfordert, als sie erspart. Wenn z.B. eine Maschine die Produktivkraft der Arbeit verzehnfacht, so würde sie von 10 Arbeitern immer 9 überflüssig machen. Nehmen wir an, dass jeder Arbeiter täglich 6 M. neuen Wert schafft und dass die Maschine für eine Arbeit vorhält, wozu die zehn Arbeiter 1000 Tage brauchen würden, dann ersetzt sie eine Arbeit, die sich im Werte von 9 x 6 x 1000 = 54 000 M. darstellt. Natürlich darf sie selbst nicht mehr kosten als 54 000 M. Solange sie jedoch weniger kostet, ist ihre Anwendung für die Menschheit nutzbringend. Aber nicht für das Kapital! Denn dieses zahlt ja den Arbeitern keineswegs die ganzen 54 000 M., die sie mit ihrer Arbeit schaffen, sondern nur einen Teil davon. Nehmen wir an, die Hälfte, so beträgt der Arbeitslohn für dieselben Produkte nur 27 000 M. Infolgedessen wird die Maschine für das Kapital schon unverwendbar, sobald sie mehr als 27 000 M. kostet. Wir gelangen hier also an eine Stelle, wo das Kapital an der Grenze seiner Leistungsfähigkeit angekommen ist und die im Interesse der Menschheit notwendige Erhöhung der Produktivkraft der Arbeit nicht weiter fortsetzen kann. (Nebenbei bemerkt, ist die Grenze umso enger, je mehr der Arbeitslohn gedrückt ist.) An eine Stelle also, welche bereits über den Rahmen der kapitalistischen Produktionsweise hinausweist.

Nachdem wir gesehen haben, wie das Kapital vermöge seines Verwertungsbedürfnisses die Produktionsweise umgewälzt hat, werden wir nunmehr uns der Frage zuwenden, welche Einflüsse daraus auf das Leben der Menschen (auf die „sozialen Zustände“) erwachsen sind.

17. Arbeiter und Maschine

I.

Wer die wirtschaftlichen Zusammenhänge unseres kapitalistischen Zeitalters begreifen will, darf nie außer Acht lassen, dass die Produktion unter der Herrschaft des Kapitals zwei ganz verschiedenen Zwecken dient: die Herstellung von Gebrauchsgütern, die eigentlich der einzige Zweck der Produktion sein sollte, wird benutzt als Mittel zu dem Zweck, Wert und Mehrwert zu gewinnen. Deshalb muss man am kapitalistischen Produktionsprozess stets unterscheiden seine produktbildende und seine wertbildende Seite (oder seine Gebrauchswert bildende und seine Tauschwert bildende Seite).

Es liegt auf der Hand, dass die Umwälzung der Produktionsweise, die wir im vorigen Kapitel studiert haben, für die gesamte Menschheit einen gewaltigen Kulturfortschritt bedeutet. Mag das Kapital Absichten haben, welche es wolle – jedenfalls hat es bewirkt, dass heute mit viel weniger Arbeit viel mehr Produkte erzeugt werden als zur Zeit unserer Vorfahren. Es hat die wertbildende Seite des Produktionsprozesses nur verbessern können durch weitgreifenden Ausbau seiner produktbildenden Seite.

Doch freilich wird dadurch der Zwiespalt des Interesses nicht aus der Welt geschafft, der zwischen den Kapitalisten und der Menschheit besteht. Denn was den Kulturfortschritt förderte und damit dem allgemeinen Interesse der Menschheit diente, das war die Vermehrung der Produkte, also der Gebrauchswert. Die aber war an und für sich dem Kapital ganz gleichgültig; sie war ihm nur Mittel zum Zweck der Vergrößerung des Mehrwertes; ihm war also die Hauptsache der Tauschwert.

Das ist ein Zwiespalt, der sich auswächst, je mehr die kapitalistische Produktion selbst sich auswächst. In der einfachen Kooperation fällt beides noch fast ganz zusammen. Die Vergrößerung des Mehrwerts wird hier noch lediglich erreicht durch Vermehrung der Produkte. In der Manufaktur tritt daneben auch eine direkte Entwertung der Arbeitskraft: infolge der Teilarbeit wird die Ausbildung der Arbeitskraft verkürzt und vereinseitigt. Ihr Wert sinkt also noch schneller als der Wert der Produkte. Den Höhepunkt erreicht der Zwiespalt im Zeitalter der großen Industrie. Die Maschine verbilligt die Produkte in kolossalem Maßstabe; aber ebenso kolossal entwertet sie die Arbeitskraft direkt, weil sie ja dem Arbeiter das Handwerkzeug vollständig aus der Hand nimmt; aus dem eigentlichen Träger der Produktion, der er früher war, macht sie ihn zu ihrem bloßen Hilfsmittel und Anhängsel. Es schwinden also die Kosten der Ausbildung. Überdies macht die Maschine meist auch die körperliche Kraft des Arbeiters entbehrlich. Die Folge ist ein neue, bis dahin ungeahnte Quelle direkter Entwertung der Arbeitskraft: die Frauen- und Kinderarbeit.

Der Wert einer Ware ist gleich der zu ihrer Wiederherstellung nötigen Arbeit. Nicht diejenige Arbeit bestimmt ihren Wert, die zu ihrer eigenen Herstellung nötig war, sondern die „gesellschaftlich notwendige“, das ist diejenige Arbeit, die zur Herstellung einer neuen, gleichartigen Ware erforderlich ist. Wenn z.B. eine neue Erfindung gemacht wird, so sinkt dadurch auch der Wert der schon fertigen Waren, die ohne Hilfe der neuen Erfindung produziert sind. Denn die größere Menge Arbeit, die ihre Produktion verschlang, ist jetzt gesellschaftlich nicht mehr notwendig. Und nur die gesellschaftlich notwendige Arbeit ist Wert.

Das gilt auch für die Ware Arbeitskraft. Auch ihr Wert ist gleich der Arbeit, die zur Herstellung einer neuen, gleichartigen Arbeitskraft gesellschaftlich notwendig ist. Dazu gehört offenbar nicht nur die Lebenshaltung des Arbeiters selbst, sondern auch der Unterhalt seiner Familie; denn ohne diese gäbe es keine Herstellung neuer Arbeitskräfte. Als nun die Maschine zur Anwendung kam, wurden die Frauen und Kinder der Arbeiter instandgesetzt, ihren Lebensunterhalt selbst zu erwerben oder wenigstens einen Teil dazu beizutragen. Die eigentliche Herstellung des Produkts war dem Arbeiter aus der Hand genommen und seine Tätigkeit in unzählig vielen (wenn auch freilich nicht in allen) Fällen eine rein mechanische geworden; häufig bestand sie z.B. nur in der Ein- und Ausrückung eines Hebels und dergleichen, wozu weder besondere Kenntnisse noch körperliche Kraft gehörten. Dazu brauchte man keine erwachsenen Männer mehr, das konnten auch Frauen und Kinder besorgen. Der Gedanke, Frauen und Kinder hierzu zu verwenden, lag umso näher, da zu gleicher Zeit viele häusliche Arbeiten, die früher Sache der Frauen gewesen, von der Maschine übernommen wurden, z.B. Spinnen und Weben.

So war unter der Herrschaft des Kapitalismus die Frauen- und Kinderarbeit unmittelbare Folge der Anwendung der Maschine. Hier sieht man mit allerdeutlichster Klarheit, wie der Trieb nach Vergrößerung des Mehrwerts den wohltätigen sozialen Folgen der Verbilligung der Produktion entgegenwirkt: die Maschine einfach als Mittel zur Vermehrung der Produkte ist ein Segen für jedermann, ein gewaltiger Hebel des Kulturfortschritts; die Maschine als Mittel zur Vergrößerung des Mehrwerts ruft auf der Stelle die Frauen- und Kinderarbeit hervor.

Welche entsetzlichen Wirkungen für die Lebenslage der Arbeiter aus der Frauen- und Kinderarbeit entsprungen sind, setzen wir bei unsern Lesern als bekannt voraus. Da es uns hier nur darauf ankommt, den inneren theoretischen Zusammenhang dieser Dinge in möglichster Kürze aufzuzeigen, so übergehen wir eine Schilderung der furchtbaren Leiden, welche die Frauen- und Kinderarbeit über die Arbeiter gebracht hat, und weisen nur kurz darauf hin, dass man in Marx’ „Kapital“, Band l, 4. Abschnitt, 13. Kapitel, Nr. 3a ein reichhaltiges und höchst anschauliches Tatsachenmaterial hierüber findet (44??). Für die neuere Zeit liefert Willoughby, „Die Arbeitergesetzgebung in den Vereinigten Staaten“ ähnliches Material. Doch ist dieses Buch nur in englischer und französischer, leider nicht in deutscher Sprache erschienen. Weiteres findet sich für die ältere Zeit in Fr. Engels „Lage der arbeitenden Klasse in England“, die neuere Zeit bei Otto Rühle, „Kinderelend“ und Käthe Duncker, „Die Kinderarbeit und ihre Bekämpfung“. – Nur das sei noch einmal mit allem Nachdruck hervorgehoben, dass diese Entwicklung der Dinge dem wertbildenden Charakter des Produktionsprozesses – dessen Ziel die Vergrößerung des Mehrwerts – durchaus entsprach, ebenso entschieden aber seinem produktbildenden Charakter – dessen Ziel die Versorgung der Menschen mit Produkten – widersprach.

II.

Die zweite unmittelbare Folge der kapitalistischen Anwendung der Maschine war die Verlängerung des Arbeitstages. Solange der Arbeiter mit seiner Hand das Werkzeug führte, war mit seiner körperlichen Erschöpfung eine unübersteigbare Grenze des Arbeitstages gegeben. Die Maschine dagegen kann – theoretisch wenigstens – Tag und Nacht ununterbrochen laufen. In der Praxis ist es nicht ganz so schlimm, denn auch die Maschine bedarf mancher „Erholungspausen“ zum Reinigen, Schmieren, Reparieren usw. Doch macht das bekanntlich viel weniger aus als die nötigsten Erholungspausen des Arbeiters. Das Verwertungsbedürfnis des Kapitals hat nun vielerlei Veranlassung, auf möglichst unaufhörliche Tätigkeit der Maschinen zu drängen. Wie bereits erwähnt, besteht das Geheimnis der Verbilligung des Produkts durch die Maschine darin, dass die Maschine darin, dass die Maschine unverhältnismäßig mehr Produkte liefert als die menschliche Arbeit. Je größer die Anzahl Waren, zu deren Produktion die Maschine ausreicht, desto kleiner der Wertteil, den die Maschine jeder einzelnen Ware zusetzt. Nun hängt die Lebensdauer der Maschine nicht allein von ihrer Tätigkeit ab. Auch wenn sie stillsteht, leidet sie unter dem Einfluss der Witterung. Folglich ist es nicht gleichgültig, ob die Maschine, sagen wir 1500 Tage à 24 Stunden oder 3000bsp;Tage à 12 Stunden vorhält. Im ersteren Falle liefert sie insgesamt mehr Produkte als im zweiten. Dazu kommt, dass bei verlängertem Arbeitstag das sonstige fixe Kapital (die Gebäude zum Beispiel) für eine weit größere Summe von Produkten ausreicht. Wichtiger noch – und das eigentliche Maßgebende im Bewusstsein des Kapitalisten – sind die Gesetze des sogenannten „Umschlags“, die wir an dieser Stelle nicht auseinandersetzen, wohl aber kurz andeuten können.

Einen „Umschlag des Kapitals“ nennt man die Zeit vom Augenblick an, wo der Kapitalist das Geld aus der Tasche nimmt, um Maschinen, Rohstoffe, Arbeitskraft zu kaufen und anzuwenden, bis zu dem Augenblick, wo die fertigen Waren verkauft sind, so dass das Geld wieder in der Tasche des Kapitalisten anlangt. Dann hat er sein Kapital einmal „umgeschlagen“. Die Geschwindigkeit, mit welcher dieser Umschlag vor sich geht, hat für den Kapitalisten große Bedeutung. Jedermann weiß, dass man mit einem kleinen Kapital durch schnelleren Umschlag ebenso viel Profit erwerben kann, wie mit einem großen, das langsamer umschlägt. 300 M. Kapital, in einem Jahr zehnmal umgeschlagen, bringen ihrem Besitzer genau so viel Profit wie 3000 M., die in der gleichen Zeit nur einmal umschlagen. Hier ist also ein weites Feld für die Betriebsamkeit und Tüchtigkeit des Kapitalisten. Durch Beschleunigung des Umschlags kann er sein Kapital für seinen Privatvorteil fruchtbarer machen. Selbst wenn dadurch die Gesamtmasse des erzeugten Mehrwerts nicht größer wird, so lenkt er doch einen größeren Teil davon in seine Tasche. Es liegt aber auf der Hand, dass jede Verlängerung des Arbeitstages den Umschlag beschleunigt. Das war zwar auch schon in der Manufakturperiode der Fall. Aber erst die großen Kapitalsummen, welche die Anwendung von Maschinen erfordert, machen es zu einem dringenden Gebot für den Kapitalisten.

Ein wesentlicher Grund für die Verlängerung des Arbeitstages durch die Maschine ist ferner der folgende: Nicht die Maschine, sondern nur die lebendige Arbeitskraft kann Mehrwert erzeugen. Nun wird aber die Verbilligung des Produkts bekanntlich gerade durch die Verdrängung lebendiger Arbeitskräfte erreicht. Das Mittel also, das durch Entwertung der Arbeitskraft auf der einen Seite den Mehrwert vergrößert, hemmt auf der anderen Seite seine Zunahme, indem es einen großen Teil der Arbeitskräfte, welche die einzige Quelle von Mehrwert sind, außer Betrieb setzt. Dies sucht das Kapital natürlich durch möglichst lange Benutzung der übrigbleibenden Arbeitskräfte einigermaßen auszugleichen.

Endlich sei nicht vergessen, dass jede Maschine ständig in der Gefahr schwebt, durch neue Erfindungen überholt und vor der Zeit völlig wertlos gemacht zu werden. Dem vorzubeugen, gibt es nur ein Mittel: möglichst schnelle Aufnutzung der Maschine, also möglichst ausgedehnten, ja, wenn irgend möglich ununterbrochenen Betrieb, bis die Maschine aufgebraucht ist.

Alle diese Umstände haben zu einer geradezu verwüstenden Verlängerung der täglichen Arbeitszeit geführt. Die Einzelheiten übergehen wir, da es uns hier, wie gesagt, nur auf die theoretischen Zusammenhänge ankommt. Nur ein Fall sei zur Illustration angeführt. Am 14. Januar 1860 bemerkte in einer Versammlung zu Nottingham in England ein Beamter: „Was soll man denken von einer Stadt, die eine öffentliche Versammlung abhält, um zu petitionieren, dass die Arbeitszeit für Männer auf 18 Stunden täglich beschränkt werden solle!“

III.

Die maßlose Verlängerung des Arbeitstages, die eine unmittelbare Folge der Einführung der Maschine war, zeitigte in der Praxis alsbald zwei Wirkungen, die dem Hunger des Kapitals nach Mehrwert entgegenwirkten. Die Erschöpfung der Arbeiter nahm dermaßen überhand, dass sehr schnell der Punkt erreicht wurde, wo die Intensität der Arbeit so stark nachließ, dass der Nutzen ihrer langen Dauer mehr als aufgewogen wurde. Für die Menge des Wertes, der geschaffen wird, sind ja keineswegs die Arbeitsstunden allein maßgebend; vielmehr kommt es vor allem darauf an, wieviel Arbeit in diesen Stunden geleistet wird. Und es ist klar, dass bei 15, 16, 17 Stunden täglicher Arbeit die Intensität, d.h. die Leistung pro Stunde, nur noch eine recht geringe sein kann. Die Kapitalisten freilich waren der Meinung, dass auf die Frische der Arbeiter wenig ankomme, weil ja die Maschine das Werk verrichte. Und diese – so meinten sie – leiste eben in 17 Stunden mehr als in 16. Nun machte sich aber die Verwüstung der Gesundheit der Arbeiter so deutlich bemerkbar, dass der Staat sich gezwungen sah, einzuschreiten, um die völlige geistige wie körperliche Verkümmerung der Nation zu verhüten. In England – dem Lande, wo zuerst die Maschine in ausgedehntem Maße zur Anwendung kam –, wurden schon seit dem Jahre 1802 Arbeiterschutzgesetze erlassen. Sie blieben freilich so lange völlig wirkungslos, bis die Organisationen der Arbeiter genügend erstarkt waren, um ihre eigene Macht dahinter zu setzen. Dann aber, als allmählich der Arbeitstag immer mehr und mehr verkürzt wurde, lehrte die Praxis den engen Zusammenhang zwischen Arbeitszeit und Arbeitsleistung: die Intensität der Arbeit nahm ganz von selber zu, bloß infolge der größeren Aufmerksamkeit und Emsigkeit der Arbeiter, sobald sie nicht mehr ganz so überbürdet waren.

Das Kapital hat es verstanden, sich auch das zunutze zu machen. Es verlegte sich darauf, die Intensität der Arbeit künstlich weiter zu steigern und durch schärfere Anspannung der Arbeiter in der kürzeren Zeit ebenso viel aus ihnen herauszuholen wie früher in der längeren.

Zwei Mittel brachte es dazu in Anwendung: es beschleunigte die Geschwindigkeit der Maschinen, und es überwies dem einzelnen Arbeiter eine immer größere Anzahl Maschinen zur Überwachung. Die Folge war eine so kolossale Erhöhung der Intensität der Arbeit, eine so kolossal gesteigerte Ausnutzung der Arbeiter in der kürzeren Zeit, wie sie sich vorher niemand hatte träumen lassen.

An ein paar Beispielen wollen wir das veranschaulichen. 1847 wurde in einem Teil der Textilfabriken (Webereien und Spinnereien) Englands der Zehnstundentag eingeführt. Alsbald wurde der Gang der Spinnmaschinen um 10–20 Prozent beschleunigt. In den sechs Jahren von 1856 bis 1862 nahm in der Seidenfabrikation die Anzahl der Spindeln um fast 27 Prozent, die der Webstühle um etwa 15% Prozent zu; die Zahl der daran beschäftigten Arbeiter nahm um 7 Prozent ab. Viel weniger Arbeiter hatten eine viel größere Anzahl viel schneller laufender Maschinen zu bedienen! 1863 wurde im englischen Parlament erklärt: Statt dass früher eine Person mit Gehilfen zwei Webstühle bediente, bedient sie jetzt drei ohne Gehilfen, und es ist gar nichts Ungewöhnliches, dass eine Person vier Webstühle bedient. Ebenfalls schon in den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts fabrizierte ein Weber in 60 Stunden pro Woche auf zwei Dampfstühlen 26 Stück einer gewissen Art Tuch, wovon er auf dem alten Webstuhl nur vier hatte fabrizieren können. 1841 verlangte man von einem Baumwollspinner nur die Überwachung von etwa 75 Spindeln; 1871 hatte er ungefähr 350 Spindeln zu überwachen und produzierte mindestens siebenmal soviel Garn wie 1841.

Das sind Tatsachen, die Marx schon aus der Mitte des vorigen Jahrhunderts anführt. Doch hat sich diese Entwicklung bis in die neueste Zeit fortgesetzt und ist keineswegs abgeschlossen, sondern bewegt sich ständig in der gleichen Richtung weiter. Ein reichhaltiges Tatsachenmaterial hierüber findet man z.B. in dem Buche des Engländers John Rae, „Der Achtstunden-Arbeitstag“, wovon eine deutsche Übersetzung (1897 bei Felber in Weimar) erschienen ist. Doch lässt auch dieses Buch noch die rapide Entwicklung der elektrischen Industrie außer Betracht, die zum Teil erst seit 1900 eingetreten ist und die Intensität der Arbeit, die Anspannung aller Nerven und Muskeln des Arbeiters aufs Neue enorm gesteigert hat. Kein Mensch kann sagen, was uns auf diesem Gebiete vielleicht schon die nächste Zukunft noch bringen mag.

Überblickt man diese Entwicklung der Dinge, so kann man in der Tat zweifelhaft sein, ob die Segnungen der von den Arbeitern so heiß ersehnten und oft mit so schweren Opfern erkämpften Verkürzung der Arbeitszeit vom Kapital nicht mehr als aufgewogen sind. Denn die erhöhte Intensität der Arbeit bringt furchtbare Gefahren mit sich. Davon zeugt nicht nur die viel schnellere Vernutzung der Lebenskraft des Arbeiters, der naturgemäß viel eher aufgebraucht ist bei intensiverer Arbeit, sondern auch die grauenhafte Vermehrung der Anfälle bei der Arbeit.

IV.

Mit den bisher von uns betrachteten Tatsachen sind die traurigen Einwirkungen der Maschine auf das Leben des Arbeiters noch lang nicht erschöpft. Alle die Nachteile, welche die Unterordnung des Arbeiters unter das Kapital schon früher mit sich gebracht hatte, sind durch die Maschine auf die Spitze getrieben worden. Schon die Manufaktur – die bekanntlich die Herstellung eines Gegenstandes unter mehrere Arbeiter verteilte – verursachte dadurch eine gewisse Vereinseitigung des Arbeiters. Er lernte nur noch eine Teiloperation und blieb sein Leben lang an diese gefesselt, wodurch seine Arbeit viel von ihrem früheren Reiz verlor. Die Maschine nahm ihm selbst diese Teiloperation ab und ließ ihm nur ein paar mechanische Handgriffe übrig. Damit wurde der Arbeit jeder belebende und interessante Inhalt geraubt. Das ist für den Arbeiter von der furchtbarsten Bedeutung, denn sein Leben ist fast ganz von der Arbeit ausgefüllt. Die Arbeit ist fast seine einzige Lebensbetätigung. Wir haben – leider! – nicht nötig, unsern Lesern des längeren auszumalen, wie es auf Körper und Geist des Arbeiters wirkt, wenn er täglich viele, viele Stunden lang nichts weiter zu tun hat, als etwa ein Stückchen Blech unter einen Prägestempel zu schieben oder Kohlen in ein Ofenloch zu schütten. Was in der Manufaktur erst eine beginnende Vereinseitigung war, führt unter der Herrschaft der Maschine zur vollkommenen geistigen und körperlichen Verkrüppelung des Arbeiters. Wer das aus der eigenen Erfahrung noch nicht kennt oder sonst sich weiter darüber zu belehren wünscht, der lese Engels „Lage der arbeitenden Klassen in England“ oder Zolas herrlichen Roman „Arbeit“.

Weiter hat die Maschine alle persönliche Freiheit des Arbeiters bei der Arbeit unterdrückt. Im Handwerk kam alles auf die persönliche Geschicklichkeit und Eigenart des Arbeiters an. In der Manufaktur wurde das eingeschränkt, immerhin aber wurde der Arbeiter, wenn auch einseitig, so doch für die Teiloperation ausgebildet, für die sich seine Persönlichkeit besonders eignete. Er hing freilich von der Arbeit ab, er musste sich in den Organismus der anderen Teilarbeiter einfügen; er konnte nicht, wie der Handwerker, zu jeder ihm beliebigen Zeit das Werkzeug aufnehmen oder niederlegen. Aber umgekehrt hing auch die Arbeit von ihm ab, von seiner Eigenart, von seiner Persönlichkeit, ja von seiner Stimmung. Mit alledem hat die Maschine ein Ende gemacht. Da sie das ganze Werk verrichtet, kommt alles darauf an, dass sie in der richtigen Weise bedient wird, insbesondere dass ihr regelmäßiger, ununterbrochener Gang nicht gestört wird. Dazu ist nötig, dass sich der Arbeiter ihr und ihrem Gange anpasst. Er muss genau zur Minute am Platze sein, er darf, solange seine Arbeitszeit dauert, auch nicht einen Augenblick seine Aufmerksamkeit herabmindern, kurz, erst die Maschine hat jene kasernenmäßige Fabrikdisziplin geschaffen, die heute jede Spur von persönlicher Freiheit des Arbeiters ertötet, solange er bei der Arbeit ist. Da aber, wie bereits erwähnt, die Arbeit fast seine ganze Lebenszeit ausfüllt, so ist das fast gleichbedeutend mit der Aufhebung jeder persönlichen Freiheit überhaupt.

Und weiter, immer weiter wütet die Maschine. Nicht nur Freiheit, Lebensfreude, Lebensgenuss raubt sie dem Arbeiter, sondern sogar das Leben selbst! Erhöhung der Produktionskraft der Arbeit bedeutet bekanntlich, dass mit der gleichen Arbeitskraft mehr Produkte hergestellt werden. In der Manufakturperiode wurde im wesentlichen nur dieser Erfolg erzielt. Es wurden also nur mit den vorhandenen Arbeitskräften bedeutend mehr Waren produziert als früher. Die Maschine aber hat von vornherein die Produktivkraft der Arbeit so kolossal gesteigert, dass sie massenhaft Arbeiter aus Lohn und Brot warf. Jedes Mal wenn die Maschine in einen Produktionszweig neu eingeführt wird, bedeutet sie den langsamen oder schnellen Hungertod für unzählige Arbeiter. Das sind keine Wortspielereien noch Übertreibungen, sondern nackte Tatsachen. Wir erfahren von Marx: „Die Weltgeschichte bietet kein entsetzlicheres Schauspiel als den allmählichen, über Jahrzehnte verschleppten, endlich 1838 besiegelten Untergang der englischen Handbaumwollweber. Viele von ihnen starben am Hungertod, viele vegetierten lange mit ihren Familien auf 2½ d (etwa 20 Pfennig) täglich.“ Und für die Jahre 1834-1835 konstatierte der Generalgouverneur von Britisch-Ostindien: „Das Elend findet kaum eine Parallele in der Geschichte des Handels. Die Knochen der Baumwollweber bleichen die Ebenen von Indien.“ – Wenn aber die Maschine eingeführt ist, hört sie nicht auf, in der gleichen Richtung zu wirken, nur dass man es nicht mehr so krass merkt. Aus den Berichten der englischen Fabrikinspektoren zitiert Marx eine Unmenge Beweise hierfür. So 1858: „Der beständige Zweck verbesserter Maschinerie ist, die Handarbeit zu vermindern.“ Oder 1856: „Die Anwendung von Dampf- und Wasserkraft auf Maschinerie, die bisher mit der Hand bewegt wurde, ist das Ereignis jedes Tages.“

Die Arbeitslosigkeit als Massenerscheinung, die früheren Zeiten ganz unbekannt war, ist somit ebenfalls eine Wirkung der Maschine. Wohl gab es auch früher Arbeitslose, und wenn Krieg oder Missernte oder sonst ein großes Unglück gewesen, dann gab es wohl auch mal massenhaft Arbeitslose. Aber das waren Ausnahmefälle. Die massenhafte Arbeitslosigkeit als eine ständige, regelmäßige Erscheinung verdanken wir erst der kapitalistisch angewendeten Maschinerie.

Die vielen aus Lohn und Brot gedrängten Arbeitslosen suchen nun natürlich irgendwo unterzukommen, überfluten andere Produktionszweige und setzen das Kapital instand, den Lohn unter den Wert der Arbeitskraft herabzudrücken.

V.

Eine furchtbare Kette von Leiden hat, wie unsere Betrachtung zeigt, die Anwendung der Maschine über den Arbeiter gebracht. Zuerst die Auflösung der Familie durch Hereinzerrung der Frauen und Kinder in die Erwerbsarbeit. Dann die maßlose Verlängerung des Arbeitstages und zugleich eine enorme Erschwerung der Arbeit, eine immer intensiver werdende Anspannung aller geistigen und körperlichen Kräfte, die zu viel schnellerer Vernutzung der Lebenskraft des Arbeiters und zu unheimlicher Vermehrung der Unfälle bei der Arbeit führte. Zugleich hat die Maschine die Arbeit alles Inhalts und Interesses beraubt, hat sie zu einer stumpfsinnigen, Geist und Körper verkrüppelnden Langweiligkeit herabgedrückt; sie hat zudem die persönliche Freiheit des Arbeiters völlig aufgehoben; sie hat eine massenhafte Arbeitslosigkeit gezeitigt und noch überdies das Kapital instandgesetzt, den in Beschäftigung verbliebenen Arbeitern den Lohn unter den Wert ihrer Arbeitskraft herabzudrücken.

Wahrlich, man braucht sich der Erkenntnis nicht zu verschließen, dass die Maschine nicht überall solche Wirkungen herbeigeführt hat – es gibt tatsächlich einige Berufe, in denen trotz der Maschine bis auf den heutigen Tag die Arbeit an die Geschicklichkeit und persönliche Leistungsfähigkeit des Arbeiters sehr hohe Anforderungen stellt, wie es auch Berufe gibt, in welche die Maschine noch nicht stark genug eingedrungen ist, um so pestartig unter den Arbeitern aufzuräumen – man braucht diese Ausnahmen durchaus nicht zu verkennen, und man begreift doch vollkommen den furchtbaren Hass, mit dem die Arbeiter zuerst der Maschine entgegentraten. Sie fühlten am eigenen Leibe die Gräuel der Verwüstung, die Vernichtung ihres Wohlstandes, die Zerrüttung ihrer Familie, die Zerreibung ihres Lebens selbst, sie sahen, dass es die Maschine war, die all das vollbracht, und in flammender Wut wandten sie sich gegen die Maschine, zertrümmerten sie, riefen den Staat an um Hilfe gegen sie, und meinten, so das Unheil wenden zu können.

Sie waren in schwerem Irrtum befangen. So wenig ein Messer in der Hand des Mörders schuld ist an dem Verbrechen, zu dem es diente, so wenig ist die Maschine schuld an dem Unheil, das mit ihrer Hilfe vollbracht worden ist. Die Maschine an sich ist ein freundlicher Helfer des Menschen, sie nimmt ihm alle schweren und unangenehmen Arbeiten ab, sie setzt ihn instand, sich gänzlich höherer und edleren Aufgaben zu widmen und seine Kulturarbeit fortzusetzen. Was die Maschine an sich den Menschen bringt, sollte also nur Segen sein. Was aber diesen Segen in Fluch gewandelt hat, das ist die kapitalistische Anwendung der Maschine. Das Verwertungsbedürfnis des Kapitals, d. h. die Verwendung der Maschine zur Vergrößerung des Mehrwerts, wie wir das im Einzelnen betrachtet haben, das ist es, was aus dem freundlichen Helfer und Befreier des Menschen ein Mittel seiner grausamen Unterdrückung gemacht hat.

Es liegt nun auf der Hand, dass die aufs Pflaster geflogenen Arbeiter zunächst sehen müssen, irgendwo einen Unterschlupf zu finden. Daher rührt die große Ausdehnung der Heimarbeit im 19. Jahrhundert. Sie hat einen ganz anderen Charakter als die Heimarbeit früherer Jahrhunderte. Jene war die häusliche Arbeit der Frauen und Mädchen für den Familienbedarf, diese ist Lohnarbeit für das Kapital und bedeutet eine besonders scheußliche Form der Ausbeutung. Dieser Unterschlupf ist nun aber sehr schnell eingeengt worden durch die Fabrikgesetzgebung. Wir reden nicht von Deutschland. Das offizielle Deutschland ist der Welt in nichts anderem voran als in der Ruhmredigkeit, im prahlerischen Ausposaunen eigener angeblicher Tüchtigkeit. Dem Kenner der wirtschaftlichen Tatsachen kann es nur lächerlich vorkommen, wenn immer behauptet wird, Deutschland habe mit der Sozialgesetzgebung den Anfang gemacht. In England hat man nämlich die ersten wirksamen Sozialgesetze volle fünfzig Jahre früher geschaffen. Daran ist nun weiter nichts Wunderbares, denn in England hat auch die große Industrie fünfzig Jahre eher begonnen als in Deutschland. Wunderbar ist nur, dass das offizielle Deutschland in seiner Ruhmredigkeit sich darauf versteift hat, aus den englischen Erfahrungen nichts, aber auch rein gar nichts zu lernen, sondern alle die Schwierigkeiten, die in England schon ausgeprobt waren, noch einmal durchzukosten. Wir hatten schon Gelegenheit zu sehen, wie die englischen Fabrikanten sich lange gegen die gesetzliche Verkürzung der Arbeitszeit stemmten mit der Begründung: je kürzer die Arbeitszeit, desto weniger werde geleistet. Bekanntlich machen es die deutschen Fabrikanten heute noch genauso und setzen bei der deutschen Regierung ihren Willen durch, trotzdem die englische Erfahrung inzwischen längst gezeigt hat, dass jene Begründung falsch ist. Genau dasselbe erleben wir bei der Heimarbeit, speziell beim Kinderschutz, So z.B erzählt Marx aus den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts „Jede (gesetzliche) Regulierung der sogenannten Hausarbeit stellt sich sofort als direkter Eingriff in die elterliche Autorität dar, ein Schritt, wovor das zartfühlende englische Parlament lange zurückzubeben affektierte.“ Wer erinnert sich nicht, dass wir in Deutschland vor ein paar Jahren, als das Kinderschutzgesetz geschaffen werden sollte, genau dieselben Flausen von dem Eingriff in die „heiligen Rechte der Familie“ zu hören bekamen? Die Engländer aber hatten schon zirka 45 Jahre früher eine Kommission zur Untersuchung der Kinderarbeit eingesetzt, die 1866 amtlich berichtete: Unglücklicherweise leuchtet aus der Gesamtheit der Zeugenaussagen hervor, dass die Kinder beiderlei Geschlechts gegen niemand so sehr des Schutzes bedürfen als gegen ihre Eltern.“ Die deutschen Kapitalisten und Menschenfreunde“ von 1903 hatten natürlich nicht nötig, diese englischen amtlichen Berichte von 1866 zu kennen.

Genug, indem die Sozialgesetzgebung mehr und mehr auf die Heimarbeit und sonstige rückständige Industrien ausgedehnt wurde, verstopfte sie den Zufluchtsort, den die von der Maschine aus andern Industrien verdrängten Arbeiter hier gefunden hatten. Denn der Betrieb solcher rückständigen Industrien lohnt sich nur bei maßloser Ausbeutung der Arbeiter. Sobald die Gesetzgebung diese verhindert, ist es häufig für den Kapitalisten vorteilhafter, zum Maschinenbetrieb überzugehen.

Was den englischen Staat zur Fabrikgesetzgebung trieb, war natürlich keine „Humanitätsduselei“, sondern im Wesentlichen ­– gerade wie in Deutschland – die wachsende Macht der Arbeiterklasse selbst, die auf ihrem Zusammenhalten, ihrer Solidarität beruht. Es war ferner die Einsicht, dass bei schrankenloser Willkür des Kapitals die gesamte Arbeiterbevölkerung tatsächlich in absehbarer Zeit hätte zugrunde gehen müssen. Dann aber wär’s mit der Mehrwerterzeugung überhaupt vorbei. So sieht sich die kapitalistische Gesellschaft gezwungen, einerseits das Leben des Arbeiters mehr und mehr zu vernichten und zugleich andererseits gegen diese drohende Vernichtung einzuschreiten – einer jener inneren Widersprüche, an denen der Kapitalismus so reich ist und aus denen er keinen Ausweg finden kann, durch welche er aber zugleich die Bausteine einer neuen, besseren Gesellschaftsordnung liefert.

Um nun zu verstehen, wie unter diesen zwiespältigen Bestrebungen des Kapitals sich das Los der Arbeiterklasse tatsächlich gestaltet hat, ist es nötig, die Selbstvermehrung des Kapitals (die man mit einem Fremdwort seine Akkumulation nennt) kennen zu lernen.

18. Das heilige Eigentum

I.

Da das Wesen des Kapitals in der Aneignung von Mehrwert besteht, so ist Kapitalist derjenige, welcher dem seine Tätigkeit widmet. Wenn jemand einmal eine Summe als Kapital verwendet, das heißt, einmal Mehrwert daraus zieht und dann nicht mehr, so ist er noch nicht Kapitalist. Denn er lebt dann noch nicht vom Mehrwert, dieser ist noch nicht seine dauernde Einnahmequelle. Das wird er erst durch die dauernde Wiederholung des gleichen Vorganges. Die Produktion wäre noch nicht kapitalistisch, wenn nur ausnahmsweise hin und wieder Mehrwert angeeignet würde. Die dauernde Wiederholung gehört somit zu den wesentlichen Charaktereigenschaften der kapitalistischen Produktion.

Betrachten wir nun die kapitalistische Produktion in dieser ihrer wirklichen Gestalt, d.h. nicht als einzelnen, sondern als ständig wiederholten Vorgang, so kommen wir zu mancherlei neuen Resultaten. Nach der gewöhnlichen Redeweise müssen die Kapitalisten den Lohn der Arbeiter „vorschießen“. Die Arbeiter haben nichts und würden verhungern, wenn nicht die Kapitalisten so gütig wären, ihnen aus den Lebensmitteln, die sie sorglich angesammelt haben, einen „Vorschuss“ zu gewähren. So nimmt sich die Sache vom bürgerlichen Standpunkt aus, und man hat damit einen Rechtsanspruch der Kapitalisten auf den Profit und noch obendrein auf des Arbeiters Dankbarkeit begründen wollen. Indessen, die Wissenschaft hat Rechtsansprüche weder zu begründen noch zu widerlegen; vielmehr hat sie zunächst nur die Tatsachen des Wirtschaftslebens festzustellen. Die aber sind doch wesentlich anders.

Bekanntlich bekommen die Arbeiter von den Kapitalisten keine Lebensmittel, sondern Geld, d.h. eine Summe Wert. Die bekommen sie aber erst, nachdem sie ihre Arbeit geleistet haben. Durch ihre Arbeit haben sie jedoch bereits Wert geschaffen, und zwar nicht nur ebenso viel wie ihr Lohn ausmacht, sondern sogar mehr. In Wirklichkeit besitzt die Kapitalistenklasse, wenn sie den Lohn zahlt, bereits längst den von den Arbeitern geschaffenen Wert und Mehrwert. Sie schießt also den Arbeitern nichts vor, sondern bezahlt sie mit einem Teil des von ihnen selbst bereits vorher geschaffenen und von den Kapitalisten angeeigneten Wertes.

Nun ist das Geld, das die Arbeiter als Lohn bekommen, freilich nur eine Anweisung auf Lebensmittel. Sie können nichts anderes damit anfangen, als es der Kapitalistenklasse zurückzugeben, um Lebensmittel dafür zu kaufen. Wie aber ist die Kapitalistenklasse in den Besitz dieser Lebensmittel gelangt? Sie sind in früheren Produktionsakten von der Arbeiterklasse erzeugt worden. Mithin wird die Arbeiterklasse in Wirklichkeit bezahlt mit einem Teil der von ihr selbst erzeugten Produkte. Die Kapitalistenklasse kann den Arbeitern nur deshalb Lebensmittel „vorschießen“, weil sie sie in früheren Produktionsakten der Arbeiterklasse abgenommen hat. Von einem „Vorschuss“ der Kapitalisten kann also in Wirklichkeit keine Rede sein.

Dieser richtige Zusammenhang verdunkelt sich, wenn man nur einen einzigen Kapitalisten betrachtet, der etwas fabriziert, was seine Arbeiter von ihm nicht kaufen, etwa goldene Löffel. Dann entsteht der falsche Schein, als habe er den Lohn aus seinem Eigenen vorgeschossen und müsse nun warten, bis der Verkauf der Waren ihn wieder ersetzt. Der Schein schwindet, sobald man die beiden Klassen der Arbeiter und der Kapitalisten in ihrer Gesamtheit betrachtet, und dazu nicht einen einzelnen Produktionsakt, sondern die Produktion in ihrem Zusammenhange, in ihrer dauernden Wiederholung. Dann sieht man, dass die Arbeiterklasse selbst den Fonds geliefert hat, aus welchem ihr Lohn angeblich „vorgeschossen“ wird.

Eine andere beliebte Vorstellung der Bourgeoisie ist, dass die Kapitalisten ihr Kapital – wenn schon nicht den Arbeitern – so doch der Produktion, d.h. dem Interesse der gesamten Menschheit vorschießen. Auch dieser Schein widerlegt sich durch die Betrachtung der kapitalistischen Produktion in ihrer dauernden Wiederholung.

Jedes Jahr fällt der Kapitalistenklasse eine gewisse Summe Mehrwert zu. Setzen wir zunächst den einfachsten Fall, dass dieser ganze Mehrwert jedes Jahr von den Kapitalisten rein aufgebraucht werde. Wie verhält sich dann die Sache?

Es betrage das gesamte Kapital 1000 Milliarden Mark. Bei 10 Prozent beträgt der Mehrwert jährlich 100 Milliarden Mark. Aber nicht nur einmal, sondern Jahr für Jahr. Haben die Kapitalisten diese Summe zehn Jahre lang verausgabt, so haben sie 1000 Milliarden Mark für sich verbraucht, genau so viel, wie ihr Kapital ausmacht. Mit anderen Worten: sie haben die ganze Summe aufgebraucht, die sie ursprünglich vielleicht einmal vorgeschossen haben mögen (obgleich auch das, wie wir später sehen werden, nicht zutrifft), und sind trotzdem am Ende der zehn Jahre immer noch im Besitze der 1000nbsp;Milliarden Mark und obendrein im Besitze eines Anspruchs auf weitere 100 Milliarden Mark jährlich. Bei Lichte besehen, bedeutet dies: ihr ursprüngliches Eigentum von 1000 Milliarden Mark ist überhaupt nicht mehr vorhanden; sie haben es verbraucht, vielleicht verjubelt. Es ist ihnen aber aus dem Mehrwert Jahr für Jahr ersetzt worden, so dass das Kapital, das sie nun besitzen, bei Heller und Pfennig aus angesammeltem Mehrwert besteht.

Wir nahmen der Einfachheit halber den Fall, dass die Kapitalistenklasse ihren ganzen Mehrwert Jahr für Jahr verausgabt. In Wahrheit tut sie das nicht. In Wahrheit verbraucht sie nur einen Teil des Mehrwertes, den andern schlägt sie zum Kapital. Dadurch wird zwar die Zeit verlängert, bis sie das ursprüngliche Kapital vermehrt hat. Aber früher oder später tritt der Zeitpunkt doch ein. Und anderseits wird durch die direkte Anhäufung von Mehrwert das Kapital sehr schnell vergrößert, so dass umso schneller der Zeitpunkt eintritt, wo das gesamte Kapital aus angesammeltem Mehrwert besteht.

II.

Die Arbeiter werden entlohnt mit einem Teil des Wertes, den sie selbst vorher geschaffen; mit einem Teil der Waren, die sie selbst früher produziert haben. Das war das Ergebnis, zu dem wir gelangten. Wie aber sind denn diese Werte, diese Waren in fremden Besitz gekommen? Beruht denn nicht das Eigentum auf Arbeit? Die bürgerliche Wissenschaft wie die Verteidiger der bestehenden Wirtschaftsordnung werden ja nicht müde, uns zu versichern, dass das Eigentum gerade deshalb heilig sei, weil unter keinen Umständen geduldet werden könne, dass jemand der Früchte seiner Arbeit beraubt werde. Jedem müsse das Eigentum an dem Ertrage seiner Arbeit gesichert sein, und auf keine andere Weise dürfe man zu Eigentum gelangen können als durch Fleiß, durch Tüchtigkeit, durch Arbeit.

Aber ist es denn auch wahr, dass heutzutage der Ertrag der Arbeit dem gehört, der die Arbeit geleistet hat?

Wir haben soeben gesehen, dass das Kapital sich aus aufgehäuftem Mehrwert ansammelt. Der Mehrwert, der Profit gehört den Kapitalisten. Haben ihn die mit ihrer eigenen Arbeit geschaffen? Offenbar nein. Denn wenn es auch Kapitalisten geben mag, die tüchtig arbeiten, so hat doch ihr Profit mit ihrer eigenen Arbeit gar nichts zu tun. Die Größe des Profits richtet sich nicht danach, wieviel der Kapitalist selbst gearbeitet hat, sondern einfach nach der Größe seines Kapitals. Wer eine Fabrik mit einem Millionenkapital betreibt, macht mehr Profit als ein kleiner Krauter, der nur 10 000 Mark in sein Geschäft stecken kann; und gleichwohl weiß ein jeder, dass der kleine Krauter sich oft bitter quälen muss, während der Millionär, wenn er will, spazieren gehen kann. Am deutlichsten zeigt sich das bei den Besitzern von Aktien, Staatspapieren und dergleichen. Jemand, der für 100 000 Mark Aktien eines Bergwerks oder Staatspapiere besitzt, braucht nicht im geringsten zu arbeiten und bezieht doch alle Jahre mehrere tausend Mark Profit. In der Tat gibt es viele Aktionäre, wohl die meisten, die kaum wissen, wo das Bergwerk oder die Brauerei, kurz das Unternehmen, aus dem sie ihren Profit ziehen, sich befindet; jedenfalls haben sie niemals darin gearbeitet.

Die bürgerliche Behauptung, dass der Ertrag der Arbeit dem gehört, der die Arbeit leistet, trifft also nicht zu.

Unsere Beweisführung ist denn auch so schlagend, dass heute kein Denkender mehr zu behaupten wagt, der Profit sei vom Kapitalisten erarbeitet. Stattdessen behauptet man, das Kapital selbst habe der Kapitalist durch eigene Arbeit erworben, und deshalb habe er ein Anrecht auf den Profit.

Nehmen wir einmal an, es sei richtig, dass die Kapitale ursprünglich durch die eigene Arbeit ihrer Besitzer entstanden seien, und sehen wir uns dann die Sache näher an. Zwar, eine Einschränkung müssen wir machen: heutzutage kann schlechterdings kein Mensch mit seiner Arbeit ein Kapital erwerben. Wer’s nicht glaubt, mag’s nur probieren. Wollten wir es für die gegenwärtige Zeit annehmen, so hieße das, den Tatsachen dermaßen ins Gesicht schlagen, dass unsere Schlussfolgerungen von vornherein jede Wahrscheinlichkeit verlieren. Aber früher soll ja die „alte, gute Zeit“ gewesen sein. Vielleicht war's früher möglich.

Setzen wir also den Fall, dass im 15. oder 16. Jahrhundert jemand durch Fleiß und Sparsamkeit ein Kapital von 100 000 Mark zusammengebracht hat, das er nun in Unternehmungen steckt, die ihm 10 Prozent Profit einbringen. So ist er nach Ablauf eines Jahres im Besitz von 10 p;000 Mark Profit, die seiner Arbeit nicht entsprungen sind.

Wo hat er sie her? Weshalb hat er sie? Einzig und allein, weil er die 100 000 Mark besaß. Hätte er die nicht, so könnte er sich im gleichen Jahr zwar ebenfalls Geld ersparen und vielleicht auch ebenso viel; aber diese 10 000 Mark wären es nicht. Die bekommt er nur deshalb, weil ihm vorher schon die 100 000 Mark gehörten.

Schon dies zeigt eine merkwürdige und sehr charakteristische Wandlung des Eigentumsprinzips unter der Einwirkung des Kapitals. Ehedem erwarb man Eigentum durch Arbeit, man musste das Eigentum, das man haben wollte, selbst erarbeiten. Jetzt erwirbt der Kapitalist Eigentum, nicht weil er dieses Eigentum selbst erarbeitet, sondern weil er früher einmal anderes Eigentum erarbeitet hat. Nicht neue Arbeit verschafft ihm neues Eigentum, sondern das tut sein alter Besitz.

Nun sagen die Vertreter des Kapitals: dieser Profit ist der gerechte Lohn dafür, dass der Kapitalist so enthaltsam war, die 100 000 Mark in die Produktion zu stecken, anstatt sie auszugeben. Er hätte sie ja verjubeln können. – Aber wie hätte er das machen sollen? Die Leckerbissen aller Art, welche die „enthaltsamen“ Kapitalisten für ihr Geld hätten kaufen mögen, die können doch nur existieren, wenn sie vorher produziert worden sind. Dazu aber gehören Maschinen, Rohstoffe usw. kurz Produktionsmittel aller Art. Wenn also die Kapitalisten überhaupt irgendetwas verzehren wollen, so müssen sie notwendig einen Teil ihres Kapitals für Maschinen, Rohstoffe usw. verwenden. Sie können gar nicht alles verzehren, solange sie nicht die Kunst gelernt haben, Maschinen und Rohstoffe zu essen. – Außerdem haben wir soeben gesehen, dass sie zwar nicht das Kapital, wohl aber einen Teil des Profits verzehren und damit bald weit größere Summen für sich verbrauchen, als sie vom Kapital zu verzehren „sich enthalten“.

Was also tut der Kapitalist mit den 10 000 Mark Profit? Wir wissen es schon: einen Teil davon verzehrt er, den andern schlägt er um Kapital, oder, wie man das mit einem Fremdwort nennt, er akkumuliert“ ihn (d.h. er häuft ihn an).

Um wiederum einfache Rechnung zu haben, wollen wir annehmen, dass er die ganzen 10 000 Mark zum Kapital schlägt und seinen eigenen Bedarf anderweitig deckt. (Z.B. steht nichts im Wege anzunehmen, dass der Profit insgesamt 20 Prozent beträgt, wovon die Hälfte verzehrt, die Hälfte akkumuliert wird.) Er beginnt also das zweite Geschäftsjahr mit einem Kapital von 110 000 Mark.

Nach Ablauf des zweiten Jahres ist er im Besitz von 121 000 Mark, nämlich 100 000 Mark ursprüngliches Kapital, 10 000 Mark Mehrwert vom ersten Jahre und 11 000 Mark Mehrwert vom zweiten Jahre. Diese letzteren 11 000 Mark müssen aber nach ihrem Ursprung wiederum unterschieden werden in 10 000 Mark, die das ursprüngliche Kapital im zweiten Jahre gebracht hat, und weitere 1000&sp;Mark Profit, die dem im ersten Jahre akkumulierten Mehrwert entsprossen sind.

Von den 10 000 Mark, die das ursprüngliche Kapital im zweiten Jahre bringt, gilt alles das, was über den Mehrwert des ersten Jahres gesagt worden ist. Der Kapitalist kann sie sich aneignen, weil er früher einmal gearbeitet und dadurch Besitz erworben hat. Wie aber steht es mit den letzten 1000 Mark? Sie sind der Profit der im vorigen Jahre angeeigneten 10 000 Mark. Sie stehen mit der eigenen Arbeit des Kapitalisten auch nicht mehr im leisesten Zusammenhang. Sondern diese 1000 Mark kann der Kapitalist sich einzig und allein deshalb aneignen, weil er – sich vorher die 10 000 Mark auch schon angeeignet hat! Die ersten 10 000 Mark erwarb er vielleicht, weil er früher einmal gearbeitet hat; diese 1000 Mark aber erwirbt er aus keinem anderen Grunde, als weil er vorher auch schon etwas erworben hat.

Doch damit ist die Sache nicht zu Ende. Sondern Jahr für Jahr bringt das ursprüngliche Kapital 10 000 Mark Profit, diese werden Jahr für Jahr zum Kapital geschlagen und werfen Jahr für Jahr 1000 Mark ab. Auch diese werden akkumuliert und bringen Jahr für Jahr je 100 Mark. Und nichts steht im Wege, auch diese 100 Mark zu akkumulieren und Jahr für Jahr je 10 Mark aus ihnen zu ziehen, und so weiter bis ins Unendliche! Wenn der Kapitalist das tut – und das ist, wohlgemerkt, kein Phantasiegemälde, sondern er tut es wirklich –, so ist in bloßen acht Jahren sein ursprünglich erarbeitetes Kapital mehr als verdoppelt: aus den 100 000 Mark sind 214 000 Mark geworden. In nur zwanzig Jahren ist der aufgehäufte Mehrwert so groß, dass die ursprünglichen 100 000 Mark daneben kaum noch in Betracht kommen. Man rechne nur nach.

Und nun bedenke man, dass seit mehr als vier Jahrhunderten bereits das Kapital auf die eben geschilderte Weise Zins auf Zins, Profit auf Profit häuft, und man wird ermessen, was es zu bedeuten hat, wenn heute jemand sagt, das Kapital sei von den Kapitalisten durch eigene Arbeit erworben. Die Geschichte lehrt uns, dass auch die ursprünglichen Kapitale nicht durch die Arbeit ihrer Besitzer entstanden sind, sondern auf ganz andere Weise, durch Raub und Mord, durch Gewalt und Betrug, insbesondere durch Ausplünderung der Kolonien in Indien und Amerika. Aber selbst wenn man davon ganz absehen will, selbst wenn man glauben will, dass vor Jahrhunderten einmal sich einzelne Menschen so große Summen durch ihre Arbeit erwerben und zusammensparen konnten (was in Wirklichkeit damals ebenso unmöglich war wie heute) – selbst wenn man das alles zugeben will, so ist das doch heute ohne alle Bedeutung. Die heutigen Kapitale bestehen ganz und gar aus zusammengehäuftem Profit, es ist auch nicht ein Pfennig eigenen Arbeitsverdienstes dabei.

Wir sehen somit, wie das Eigentumsprinzip durch die Einwirkung des Kapitals in sein gerades Gegenteil verkehrt worden ist. Früher gründete sich das Recht auf Eigentum auf die eigene Arbeit, heute gründet es sich auf schon vorhandenen Besitz; früher eignete man sich etwas an, weil man gearbeitet hatte, heute, weil man sich vordem auch schon etwas angeeignet hat! Infolgedessen kann heutzutage auch nur derjenige etwas erwerben, der schon etwas besitzt. Und das ist der Grund, weshalb all die kolossalen Reichtümer, welche die menschliche Arbeit seit 400 Jahren geschaffen, immer nur einem Teil der Menschen zufließen, nämlich nur denen, die schon etwas besitzen. Oder, wie Marx es treffend ausdrückt „Eigentum erscheint jetzt, auf Seite der Kapitalisten, als das Recht, fremde unbezahlte Arbeit oder ihr Produkt, auf Seite des Arbeiters, als Unmöglichkeit, sich sein eigenes Produkt anzueignen.“

19. Reichtum und Armut

I.

Akkumulation bedeutet auf deutsch „Anhäufung“. Akkumulation des Kapitals geht in der Weise vor sich, dass die Kapitalistenklasse den in einem Jahre angeeigneten Mehrwert nicht vollständig verzehrt, sondern einen Teil davon zum Kapital schlägt. Das Kapital (d.h. das gesamte Kapital der ganzen Kapitalistenklasse) wird also von Jahr zu Jahr größer. Jedes Jahr werden neue gewaltige Mehrwertsummen als Kapital verwendet.

Um seine Summe als Kapital zu verwenden, muss man bekanntlich Maschinen, Geräte und Rohstoffe kaufen und dann Arbeiter anstellen, die mit Hilfe der Maschinen usw. die Rohstoffe verarbeiten. Die Summe, die als Kapital dienen soll, wird also in zwei Teile geteilt, mit dem einen Teil werden Produktionsmittel (dies der gemeinschaftliche Name für Maschinen und Rohstoffe) gekauft, mit dem andern Arbeitskraft. Den ersten Teil des Kapitals, der in Produktionsmitteln besteht, nennen wir konstantes Kapital, der zweite, der zu Arbeitslohn wird, heißt variables Kapital.

Wenn wir nun annehmen, dass alle sonstigen Umstände gleichbleiben, so muss mit der Zunahme des gesamten Kapitals auch dessen variabler Bestandteil wachsen. Wenn jedes Jahr große Mehrwertsummen zu Kapital werden, dann heißt das nichts anderes, als dass jedes Jahr neue große Mengen von Produktionsmitteln angeschafft und neue Mengen von Arbeitern an ihnen beschäftigt werden. Es muss also mit dem Fortgang der Akkumulation die Nachfrage nach Arbeitern wachsen. Dies wird, wenn sonst keine Störungen eintreten, notwendigerweise den Arbeitslohn in die Höhe treiben und die gesamte Lebenslage der Arbeiter bessern.

So wie wir die Sache bis hierher dargestellt haben, geht sie in der Wirklichkeit zwar nicht immer, aber doch manchmal vor sich. Es treten in der Tat von Zeit zu Zeit Perioden ein, wo das Kapital akkumuliert, ohne dass seine sonstigen Umstände sich verändern. Und dann lassen die günstigen Folgen für die Arbeiterklasse nicht auf sich warten. Das sind allerdings nur Ausnahmefälle, wie wir alsbald sehen werden. Aber diese Ausnahmefälle haben der bürgerlichen Wissenschaft genügt, um daraus ihre Lehre von einer angeblichen „Harmonie der Interessen“ zwischen Kapital und Arbeit herzuleiten. Da sieht man ja doch – so erklärt sie – dass möglichstes Gedeihen des Kapitals auch dem Arbeiter die günstigsten Umstände bringt; denn je schneller die Akkumulation des Kapitals, desto stärker die Nachfrage nach Arbeitern mit all ihren segensreichen Folgen.

Indessen, diesen segensreichen Folgen ist eine Schranke gesetzt durch die Akkumulation selbst. Die Größe der Akkumulation hängt selbstverständlich von der Größe des Mehrwerts ab, der zum Kapital geschlagen werden kann. Und die Größe dieses Mehrwerts hängt von der Größe des Arbeitslohnes ab.

In jedem Jahr wird durch die lebendige Arbeitskraft eine gewisse Menge neuen Wertes geschaffen. Dieser neue Wert gehört zum Teil der Arbeiterklasse als Arbeitslohn, zum andern Teil der Kapitalistenklasse als Mehrwert. Folglich: je größer der Arbeitslohn, desto kleiner der Mehrwert, und umgekehrt. – Ist viel Mehrwert vorhanden, so wird viel Mehrwert akkumuliert, und es tritt jene Steigerung des Arbeitslohnes ein, die wir erwähnten. Jede Steigerung des Arbeitslohnes vermindert aber den Mehrwert, und wenn nun der Arbeitslohn so weit steigen sollte, dass nicht mehr Mehrwert übrig bleibt, um den Kapitalisten das zu gewähren, was sie einen „angemessenen“ Profit nennen, dann – verlangsamt sich natürlich die Akkumulation! Es ist ja nicht mehr so viel Mehrwert vorhanden, also kann auch nicht mehr so viel Mehrwert akkumuliert werden wie früher. Und alsbald hört die Nachfrage nach Arbeitern auf, der Arbeitslohn steigt nicht mehr, worauf er dann bald – aus Gründen, die wir noch betrachten werden – anfangen wird zu sinken.

Es ist das, nebenbei bemerkt, die wichtigste Regel, nach der sich die Höhe des Arbeitslohnes richtet. Der Mittelpunkt für die Höhe des Arbeitslohnes ist, wie bei allen andern Waren, der wirkliche Wert der Arbeitskraft. Von diesem Mittelpunkt weicht er nach oben und unten ab infolge des Wechsels von Angebot und Nachfrage. Die bürgerliche Wissenschaft, welche die hier entwickelten Zusammenhänge nicht kennt, nimmt nun an, dass der Wechsel von Angebot und Nachfrage herrührt von der Zahl der Arbeiter. Gibt es wenig Arbeiter, so steigt der Lohn; gibt es viel, so sinkt er. Sie rät deshalb den Arbeitern, in der Kindererzeugung Maß zu halten. Auch das sogenannte „eherne Lohngesetz“, das die Sozialdemokratie früher einmal für richtig hielt, beruht auf dieser falschen Voraussetzung. Es liegt aber auf der Hand, dass eine beträchtliche Zunahme der Arbeiterbevölkerung auf dem Wege der Kindererzeugung doch immer erst in 15 bis 20 Jahren auf den Lohn wirken könnte. In Wahrheit beruht denn auch das wechselnde Verhältnis von Angebot und Nachfrage nach Arbeitern nicht auf der absoluten Anzahl der Arbeiterbevölkerung, sondern auf der wechselnden Geschwindigkeit und Stärke der Akkumulation des Kapitals.

Somit kann die „Harmonie der Interessen“ selbst in den wenigen Fällen, wo sie scheinbar vorhanden ist, nie sehr weit gehen. Der Widerstreit zwischen der Größe des Mehrwerts und der Größe des Arbeitslohnes tritt alsbald in Kraft und ertötet jeden Rest von Harmonie. Aber selbst in diesem beschränkten Anfang existiert sie nur ganz selten, nur in Ausnahmefällen, nämlich wie wir oben sagten, nur dann, wenn beim Fortgang der Akkumulation alle sonstigen Umstände gleich bleiben. Das tun die sonstigen Umstände in der Regel aber keineswegs. Im Gegenteil.

II.

Starke Akkumulation ist die Vorbedingung der im vorigen Abschnitt betrachteten Besserung der Lage der Arbeiterklasse. Starke Akkumulation ist selbstverständlich nur möglich, wenn viel Mehrwert vorhanden ist. Mithin tritt starke Akkumulation nur ein, wenn die Kräfte wirken, die eine Vermehrung des Mehrwerts herbeiführen. Was sind das für Kräfte? Es sind samt und sonders Kräfte, die den Arbeitslohn verringern, denn Vergrößerung des Mehrwerts ist nur möglich durch Verringerung des Arbeitslohnes. Entweder wird die tägliche Arbeitszeit verlängert, oder der Lohn wird unter den Wert der Arbeitskraft herabgedrückt. In beiden Fällen liegt klar auf der Hand, dass die Vergrößerung des Mehrwerts erkauft worden ist durch eine Verschlechterung der Lage der Arbeiterklasse. Beide Methoden werden vom Kapital vielfach angewandt, aber seine wichtigste Methode zur Vergrößerung des Mehrwerts ist eine andere.

Der Tageswert der Arbeitskraft entspricht dem Wert derjenigen Menge Lebensmittel, deren Verbrauch notwendig ist zur täglichen Wiederherstellung der Arbeitskraft. Wenn diese Lebensmittel ihrerseits mit weniger Arbeit produziert und dadurch billiger werden, dann sinkt der Wert der Arbeitskraft und der Mehrwert wird größer, selbst wenn die Arbeitskraft zu ihrem vollen Werte bezahlt wird. Deshalb ist das Kapital von Anbeginn an darauf aus⸗ gegangen, die Produktionsweise zu verbessern und mit immer weniger Arbeit immer mehr Produkte herzustellen, wie wir das in früheren Kapiteln ausführlich kennen gelernt haben.

Das wichtigste und erfolgreichste Mittel zur Steigerung des Mehrwerts und damit zur Steigerung der Akkumulation, dasjenige Mittel, das den Gang der Wirtschaftsgeschichte in den letzten vier Jahrhunderten entscheidend beeinflusst hat, war also die Erhöhung der Ertragskraft (Produktivkraft) der Arbeit. Wo diese nicht eintritt, oder wo sie zeitweilig aussetzt, kann auch nicht stark akkumuliert werden, und die Besserung der Lage der Arbeiterklasse, wie sie die Theorie von der „Harmonie der Interessen“ behauptet, bleibt aus.

Wenn aber die Erhöhung der Produktivkraft der Arbeit eintritt, so muss sie notwendigerweise eine andere Folge nach sich ziehen. Die Arbeit wird produktiver – das bedeutet, wie gesagt: dasselbe Quantum Arbeit bringt mehr Produkte fertig. Wenn es aber mehr Produkte fertigbringt, so muss es selbstverständlich auch mehr Produktionsmittel verarbeiten. Nehmen wir an, in der Fabrikation von Baumwollhemden werde die Produktivkraft der Arbeit verdoppelt. Dann verbraucht ein Arbeiter in derselben Zeit doppelt soviel Baumwollstoff wie früher, doppelt soviel Hilfsstoffe usw. Auch die Maschinen und Werkzeuge werden doppelt so rasch vernutzt als bisher; mit einem Wort, dieselbe Arbeitskraft verbraucht doppelt soviel konstantes Kapital.

Drücken wir diese Tatsache in allgemeiner Fassung aus, so lautet sie: Durch schnelle Akkumulation wird freilich das Kapital schnell vermehrt, aber sein konstanter Teil wächst viel schneller als sein variabler.

Nun richtet sich aber die Nachfrage nach Arbeitern nicht nach dem konstanten Kapital, sondern nur nach dem variablen. Dass die Menge der Rohstoffe, die verarbeitet werden sollen, und die Menge der Maschinen und Werkzeuge, die dazu dienen, sich unablässig vergrößert, das nützt dem Arbeiter wenig, wenn die Zahl der Arbeitskräfte, die dabei gebraucht werden, nicht im gleichen Maße mitwächst. Und das ist eben nicht der Fall. Sondern jedes neue Jahr braucht das Kapital zu seiner Verwertung zwar große Mengen neuer Produktionsmittel, aber (infolge der Erhöhung der Produktivkraft der Arbeit) nicht ebenso große Mengen neuer Arbeitskräfte.

Diese Zusammenhänge leugnet die bürgerliche Wirtschaftswissenschaft. Sie verschließt die Augen vor den harten Tatsachen und macht den Unterschied zwischen konstantem und variablem Kapital überhaupt nicht. Für sie ist das gesamte Kapital eine unterschiedslose Masse, und das erlaubt ihr den kühnen Schluss, dass jede Zunahme des Kapitals auch die Arbeitsgelegenheit vermehren und die Nachfrage nach Arbeitern steigern muss. Wie weit dieser Schluss sich von der Wahrheit entfernt, zeigen unsere Betrachtungen. Sie lehren, dass im Fortgang der Akkumulation sich zwar die Produktionsmittel rapide vermehren, dass sie aber durchaus nicht im gleichen Maße wie bisher Beschäftigungsmittel für Arbeiter bleiben. Das variable Kapital bleibt in seinem Wachstum weit hinter dem konstanten zurück, die Zusammensetzung des Kapitals ändert sich, der Mehrwert, der in jedem neuen Jahr zum Kapital geschlagen wird, teilt sich nicht im gleichen Verhältnis wie bisher in konstantes und variables, sondern ein größerer Teil wird konstantes, ein kleinerer variables Kapital. Die Nachfrage nach Arbeitern steigt also keineswegs im gleichen Schritte mit der Zunahme des Kapitals, und folglich kann auch die Besserung der Lage er Arbeiterklasse keine so große sein, wie man aus dem bloßen Wachstum des Kapitals schließen möchte.

Bis hierher haben wir immer noch angenommen, dass das variable Kapital wächst – wenn auch nicht ebenso schnell wie das konstante. Eine tiefer dringende Betrachtung bringt aber hierüber noch unerwartete Aufklärung.

III.

Im Fortgang der Akkumulation ändert sich die Zusammensetzung des Kapitals; sein konstanter Bestandteil (die Produktionsmittel) wird größer, sein variabler (für Arbeitslohn aufgewendeter) Teil wird verhältnismäßig kleiner. Und dieses Missverhältnis verschärft sich, je stärker die Akkumulation fortschreitet. Denn Akkumulation ist ja Vergrößerung des gesamten Kapitals. Jede größere Zusammenballung von Produktionsmitteln und Arbeitern zu gemeinsamem Werk entfesselt aber, wie wir früher gesehen haben, neue Produktivkräfte, macht die Arbeit ertragreicher, produktiver. Und je produktiver die Arbeit, desto kleiner das variable Verhältnis zum konstanten.

Soweit wir die Sache bis hierher betracht haben, wächst immer noch das variable Kapital. Es wächst nicht so schnell wie das konstante; aber es wächst doch. Das ist immer noch einigermaßen günstig für die Arbeiterklasse. Wenn ein ursprüngliches Kapital im Betrage von 100, bestehend aus 60 konstant und 40 variabel, in einem Jahre einen Mehrwert von 10 ansetzt, und wenn dieser kapitalisierte Mehrwert sich zwar nicht mehr in 6 konstant und 4 variabel aufteilt, aber doch z.B. in 7 konstant und 3 variabel, so ist immerhin der variable Teil des gesamten Kapitals gewachsen, wenn schon nicht von 40 auf 44, so doch wenigstens auf 43. Es werden also immerhin in diesem Jahre mehr Arbeiter gebraucht als im vorigen, die Nachfrage nach Arbeitern steigt, und der Lohn muss, soweit er von der Nachfrage abhängig ist, ebenfalls steigen.

Das Verhältnis zwischen konstantem und variablem Kapital wird aber von Jahr zu Jahr ungünstiger für die Arbeiterklasse. Im nächstfolgenden Jahr teilt sich der kapitalisierte Mehrwert vielleicht schon in 8 konstant und 2 variabel (46), dann in 9 konstant und 1 variabel, und so fort. Denkt man sich dies eine Reihe von Jahren fortgesetzt – und es dauert jetzt schon über 400 Jahre oder, wenn man nur seit Ausbreitung der Maschine rechnen will, über 100 Jahre –, so muss früher oder später der Zeitpunkt eintreten, wo die Vergrößerung des Kapitals überhaupt keine vermehrte Nachfrage nach Arbeitern hervorruft.

Doch damit nicht genug. Es bleibt das ursprüngliche Kapital zu betrachten, die ersten 100. Wir nahmen an, dass sie aus 60 konstant und 40 variabel bestehen. Dabei kann es nicht bleiben. Sondern wenn die Produktivkraft der Arbeit wächst, so muss sich auch das ursprüngliche Kapital den neuen Zuständen anpassen. Sonst würde es zu seiner Bearbeitung mehr als die gesellschaftlich notwendige Arbeit erfordern und demzufolge wenig Wert und Mehrwert gewinnen. Mindestens wenn die ursprünglichen Maschinen usw. ausgedient haben – meist aber schon früher – müssen sie durch solche neuerer Konstruktion ersetzt werden, d.h. durch Produktionsmittel, die weniger Arbeitskräfte als bisher erheischen. Auch das ursprüngliche Kapital ändert dann seine Zusammensetzung, es bleibt nicht bei 60 konstant und 40 variabel, sondern passt sich genau der Zusammensetzung an, die der inzwischen erreichten Produktivkraft der Arbeit entspricht. wird zu 70 konstant und 30 variabel, 80 konstant und 20 variabel usw.

Wenn man sich dies aus dem Theoretischen ins Praktische übersetzt, was bedeutet es? Dass das neu angesetzte, alljährlich aus Mehrwert gewonnene Kapital nicht so viel neue Arbeiter braucht, wie seiner Größe entspricht, ja schließlich gar keine mehr – und dass zugleich das alte Kapital von den Arbeitern, die es bisher beschäftigte, einen Teil entlässt. Während auf der einen Seite neue Arbeiter immer weniger gebraucht werden, werden auf der andern Seite immer mehr und mehr Arbeiter überflüssig. Es entsteht die massenhafte Arbeitslosigkeit, die „industrielle Reservearmee“, von der alsbald noch einiges zu sagen sein wird.

Das lehrt die rein theoretische Betrachtung. Aber haben wir vielleicht zu schwarzgemalt? Ist die Wirklichkeit vielleicht nicht so schlimm? Leider genügt ein Blick ins praktische Leben, um zu zeigen, wie diese Theorie nur die inneren Zusammenhänge dessen enthüllt, was in der Praxis wirklich vor sich geht. Die industrielle Reservearmee ist eine traurige Wahrheit. Seit vor etwa 100 Jahren durch die Einführung der Maschine die kapitalistische Wirtschaftsweise ihren gewaltigen Aufschwung nahm, ist die massenhafte Arbeitslosigkeit zur Regel geworden. Wohl gab es auch früher Arbeitslosigkeit, hier und da auch mal massenhafte. Aber das waren Ausnahmen, Folgen von Krieg, Seuche, Misswachs und dergleichen. Es war Zeichen einer Zersetzung, einer Desorganisation der Gesellschaft. Heute, unter der Herrschaft des Kapitalismus, gibt es stets und regelmäßig Zehntausende von Arbeitslosen. Heute ist die massenhafte Arbeitslosigkeit eine organische Begleiterscheinung der regelrecht funktionierenden Produktion. Diese Tatsache der Praxis wird durch unsere theoretische Betrachtung erklärt als eine notwendige und unvermeidbare Folge der kapitalistischen Wirtschaftsweise.

IV.

Haben wir nachgewiesen, dass die massenhafte Arbeitslosigkeit ein notwendiges Erzeugnis der kapitalistischen Wirtschaftsweise ist, so dass da, wo kapitalistisch produziert wird, die regelmäßige Arbeitslosigkeit vieler Tausende früher oder später eintreten muss – so zeigt die weitere Betrachtung, dass diese für die Arbeiter unheilvolle Tatsache dem Kapital gewaltigen Vorteil bringt. Dass durch das stets vorhandene starke Angebot von Arbeitslosen der Lohn der Beschäftigten auf das nachteiligste beeinflusst und oft sogar unter den Wert der Arbeitskraft herabgedrückt wird, liegt auf der Hand und ist bereits früher in einem andern Zusammenhange von uns erwähnt worden. Es versteht sich, dass dadurch diese wachsende „Übervölkerung“ wieder zu einem Hebel stärkerer Akkumulation wird. Denn je kleiner der Lohn (der gesamten Arbeiterklasse), desto größer der Mehrwert (der gesamten Kapitalistenklasse); und je größer der Mehrwert, desto stärker die Akkumulation, die dann natürlich die bisher geschilderten schlimmen Folgen immer noch mehr verschlimmert. Dazu kommt aber noch ein anderes.

Im Fortgang der kapitalistischen Produktion treten von Zeit zu Zeit Umstände ein, die eine plötzliche, stoßweise Ausdehnung des Kapitals notwendig machen. Als Beispiel diene uns eine der wichtigsten Tatsachen aus der Wirtschaftsgeschichte des 19. Jahrhunderts. Auf dem von uns bisher geschilderten Wege war die Produktivkraft der Arbeit immer weiter gestiegen, massenhaft Produkte wurden erzeugt und immer massenhafter wurde ihre Zahl. Es genügt aber nicht, Produkte zu erzeugen; sie müssen auch verkauft werden. Da nun leicht ersichtlich ist, dass durch all die von uns bisher erörterten Vorgänge die Kaufkraft der Arbeiter – die den allergrößten Teil der Bevölkerung ausmachen – nicht eben gefördert wird, so ist das Kapital darauf angewiesen, für möglichst schnelle und möglichst weite Verbreitung seiner Produkte Sorge zu tragen. Ebenso braucht es für die massenhafte Produktion eine möglichst schnelle und billige Heranschaffung der Rohprodukte und sonstigen Produktionsmittel. Mit einem Wort: ein ganz neues Transport- und Verkehrswesen machte sich notwendig. Bekanntlich wurde das durch Dampfschifffahrt, Eisenbahnen und Telegraphen geschaffen. Man erkennt leicht, dass ohne diese neuen Verkehrsmittel der Absatz der massenhaften Produkte unmöglich gewesen wäre. Damit wäre aber auch der weitere Aufschwung der kapitalistischen Produktion unmöglich gewesen; sie hätte sozusagen in ihrem eigenen Überfluss ersticken müssen. und zwar mussten die neuen Transportmittel auf der Stelle geschaffen und ausgebaut werden, d.h. in einem Zeitraum von höchstens 20 bis 30 Jahren.

Nun bedenke man, was das bedeuten will. Ganz neue Industrien mussten gewissermaßen aus dem Boden gestampft werden. Der Bau von Lokomotiven, von Schiffsmaschinen, von Eisenbahnwagen, von Dampfschiffen ganz neuer Konstruktion erforderte die Anlage einer Unzahl neuer Fabriken, die ihrerseits einen neuen massenhaften Verbrauch von Kohle, Eisen, Holz usw. herbeiführten. Dazu der Bau der Eisenbahnen selbst, der Bahnhöfe, der Güterschuppen usw., dann der Ausbau der Landstraßen und Kanäle in Anpassung an das neue Eisenbahnnetz. Und endlich der Betrieb der neuen Verkehrsmittel, der zu Wasser wie zu Lande, im Binnenlande wie in den Hafenstädten eine große Menge von Arbeitskräften erforderte. Das alles musste, wie gesagt, im Handumdrehen errichtet werden. Früher dauerte es meist viele Menschenalter, bis ein neuer Produktionszweig entstand und sich ausbildete. Jetzt war es für das Kapital eine Frage von Leben und Tod, dies alles – also eine ganze Reihe von neuen Produktionszweigen – in höchstens einem halben Menschenalter fertig zu bringen. Wo hätte es die Menschenmassen, deren es dazu benötigte, hernehmen wollen, wenn sie ihm nicht in dem großen Heer der Arbeitslosen zur Verfügung gestanden hätten? Es ist eine unglaublich naive Annahme der bürgerlichen Wissenschaft, dass das Kapital mit seinen kolossalen Unternehmungen sich nach dem Schneckengang der natürlichen Volksvermehrung richte! Nein, die Arbeitslosen bilden die große Armee, worin das Kapital jederzeit die nötigen Reserven findet, deren es zur plötzlichen Ausdehnung seiner Betriebe von Zeit zu Zeit bedarf. Das ist der Sinn des Ausdrucks „industrielle Reservearmee“, den Marx für die massenhafte Arbeitslosigkeit erfunden hat. Und da nun, wie wir soeben gezeigt haben, die Möglichkeit plötzlicher Ausdehnung zu den Lebensbedingungen der kapitalistischen Produktion gehört, ohne die sie nicht existieren könnte, so ergibt sich, dass die massenhafte Arbeitslosigkeit, die „industrielle Reservearmee“, nicht nur notwendigerweise durch die kapitalistische Produktion entsteht, sondern auch eine der Grundlagen ist, worauf der Reichtum des Kapitals nur allein erzeugt werden kann.

Was aber bedeutet dauernde und regelmäßige massenhafte Arbeitslosigkeit für die Arbeiterklasse?

V.

Die vorangehenden Erörterungen zeigten uns, dass die kapitalistische Produktion notwendigerweise, in ihrem natürlichen regelmäßigen Verlauf, massenhafte Arbeitslosigkeit erzeugt; dass aber zugleich die Existenz vieler Arbeitslosen erforderlich ist, wenn die kapitalistische Produktion bestehen und sich weiter entwickeln soll. Mit andern Worten: der in der kapitalistischen Gesellschaft vorhandene Reichtum hätte in dieser Form und in dieser Masse nicht erzeugt werden können, wenn es nicht zahlreiche Arbeitslose gäbe.

Die Arbeitslosigkeit ist ein Los, dem wohl jeder Arbeiter während seines Lebens ein oder einige Male verfällt. Kaum dürfte es heute noch irgendwo in kapitalistischen Ländern einen Arbeiter geben, der nicht wenigstens zeitweise schon arbeitslos gewesen ist. Deshalb weiß auch jeder, was sie bedeutet, nämlich Hunger, Obdachlosigkeit, Kälte usw. Und doch können sich die noch glücklich schätzen, die nur zeitweise arbeitslos sind. Gibt es doch in der Arbeiterklasse gar manchen, dem dauernde Arbeitslosigkeit vom Schicksal im Voraus bestimmt zu sein scheint.

Da sind z.B. gewisse Arten von jugendlichen Arbeitern. Es gibt Berufe, die nur von jugendlichen Arbeitern ausgeübt werden, weil für Erwachsene der Lohn zu gering ist. Laufburschen und andere Handlanger für erwachsene Arbeiter gehören hierher. Zu solchen Diensten nimmt man nur junge Leute im Alter von 14 bis 18 Jahren. Übrigens gehören dahin auch viele, die angeblich als Lehrlinge angenommen worden sind. Werden sie älter, so entlässt man sie und nimmt sich wieder den eben von der Schule kommenden jungen Nachwuchs. Die Entlassenen tauchen unter in dem großen Strom der Arbeitslosen, der so jedes Jahr neuen Zufluss erhält. Dem einen gelingt es, bald Arbeit zu bekommen, dem andern nicht; der eine hat Glück und findet eine Stelle auf Jahre hinaus, der andere fliegt alle paar Wochen aufs Pflaster und wird Jahrzehnte lang zwischen kurzer Vollbeschäftigung, halber Beschäftigung und völliger Arbeitslosigkeit hin und her geworfen.

Zu den eben entlassenen Jugendlichen gesellen sich die „zu Alten“. Man hat berechnet, dass die mittlere Lebensdauer der Arbeiter in gewissen Berufen nicht höher als 37 Jahre ist. Will man aber auch nicht so weit gehen, so ist doch zweifellos, dass heutzutage des Arbeiters Vollkraft mit höchstens 45 Jahren verbraucht ist. Überschreitet er dieses Alter, so ist er nicht mehr voll leistungsfähig und das Kapital sucht ihn abzuschieben. Bis vor kurzem gab es wohl noch hier und da Arbeiter, die sich einbildeten, eine „Lebensstellung“ zu haben. Jetzt dürfte das nur noch ein Märchen aus alter Zeit sein. Ist doch die ganze Heimarbeit mit ihren Schrecken letzten Endes nichts weiter als eine Unterkunft für Arbeitslose.

Rechnen wir hierzu nun noch die Opfer der Industrie, die Verstümmelten, die Kranken, die Witwen, die Waisen, so haben wir die Hauptzuflüsse kennengelernt, aus denen sich das Heer der Arbeitslosen ohne Unterlass rekrutiert.

Halten wir also die Tatsache fest: fast jeder Arbeiter ist zeitweise in seinem Leben arbeitslos. Bei einer großen Anzahl muss man dagegen umgekehrt sagen, dass sie zeitweise arbeiten, meist aber arbeitslos sind. Daneben gibt es dann noch eine große Anzahl, die eigentlich immer arbeitslos sind und ihr Leben durch Gelegenheitsarbeit, Heimarbeit, schließlich durch Betteln und Stehlen fristen.

Betteln und Stehlen! Damit haben wir das letzte Ende, zu dem es notwendig kommen muss. Wenn regelmäßig jahraus jahrein eine so große Menge von Menschen arbeitslos ist, wenn sie nichts haben, ihren Hunger zu stillen, ihre Blöße zu decken, ihre Kinder zu sättigen und zu wärmen, und insbesondere wenn sie der regelmäßigen Arbeit entwöhnt werden, so kann es gar nicht fehlen, dass mindestens ein Teil von ihnen allmählich auch die Fähigkeit zur Arbeit verliert und in vollständige Verelendung versinkt, die sich durch Vagabondage und Verbrechen äußert.

Nun haben wir vorher gesehen, dass die massenhafte Arbeitslosigkeit ein notwendiges Erzeugnis der kapitalistischen Produktion ist. Wir sehen jetzt, dass die massenhafte Arbeitslosigkeit mindestens für einen Teil der Betroffenen notwendig vollkommene Verelendung erzeugt. Daraus folgt klar und deutlich, dass die kapitalistische Produktion mindestens für einen Teil der Arbeiterklasse die totale Verelendung nach sich ziehen muss.

Einem anderen Teil der Menschen bringt die kapitalistische Produktion Reichtum und Überfluss. Und wenn wir nun bedenken, dass dieser Reichtum nicht erzeugt wird, ohne dass andere dadurch in Arbeitslosigkeit und Elend gestoßen werden, so enthüllt sich uns der Zusammenhang, die enge Wechselbeziehung zwischen Reichtum und Armut. Der Reichtum und Überfluss der einen kann nicht existieren ohne die Armut und Not der anderen. Deshalb, wer den Reichtum und Überfluss in der jetzigen Art beibehalten und verewigen will, der will auch Jammer und Not und Elend verewigen. Wer Kapitalismus will, der will auch Pauperismus (Verelendung).

Wer denkt hierbei nicht an die alte Weisung des Christentums, das den Reichtum als Sünde verflucht? Soll doch eher ein Kamel durch ein Nadelöhr gehen, ehe ein Reicher in den Himmel kommt. Hatten vielleicht die Stifter des Christentums auch schon erkannt, dass die Armut nicht beseitigt werden kann, solange der Reichtum bestehen bleibt?


Anmerkungen des Verfassers

1) Die Preisbildung im Kriege. Beiträge zur Kriegswirtschaft, herausgegeben vom Kriegsernährungsamt. Belin, Reimar Hobbing, 1916. Seite 8.

2) In dem Werke Ethica Bd. 4, Buch 5, Teil 2, Kapitel 9.

3) In einem Buche „Fragen über 10 Bücher der Ethik von Aristoteles“, Buch 5, Frage 16.

4) Siehe einige Tatsachen hierzu in den „Lichtstrahlen“, Zeitschrift für wissenschaftlichen Kommunismus, an %. Dezember 1919 (Jahrg. 5, Nr. 5), S. 113 bis 116.

5) Rosa Luxemburg, Die Akkumulation des Kapitals, Seite 6: „Um das Problem des Wertes rein darzustellen und zu lösen, müssen wir von den Schwankungen der Preise absehen. Die vulgär-ökonomische Auffassung sucht stets das Wertproblem durch hinweise auf die Schwankungen der Nachfragen und des Angebots zu lösen. Die klassische Ökonomie van Smith bis Marx hat die Sache umgekehrt, indem sie erklärte: Schwankungen im gegenseitiger Verhältnis der Nachfrage und des Angebots können nur Abweichungen des Preises vom Wert, nicht aber den Wert selbst erklären. Um herauszufinden, was der Wert der Waren ist, müssen wir das Problem unter der Voraussetzung packen, daß sich Nachfrage und Angebot die Ware halten, d.h. der Preis und der Wert sich decken. Das wissenschaftliche Wertproblem beginnt also gerade dort, wo die Wirkung der Nachfrage un des Angebots aufhört.“

6) Marx Kapital, Bd. III, 1. Teil, S.bsp;342. „Sein“ (des Vulgärökonomen) Tiefsinn besteht hier wie immer nur darin, die Staubwolken der Oberfläche zu sehen und dies Staubige anmaßlich als etwas Geheimnisvolles und Bedeutendes auszusprechen.

7) Kleinwächter, Lehrbuch der Nationalökonomie. Leipzig, Hirschfeld 1902. S. 405.

8) Wir übersetzen wörtlich aus der von Gonner besorgten englischen Ausgabe der „Principles of Polcal Economy and Taxation“ (Grundsätze der politischen Ökonomie und des Steuerwesens), London, Bell u. Sons, 1895. S. 65-67 (Kapitel 4, Über den natürlichen und den Marktpreis).

9) Adam Smith, „Untersuchung über das Wesen und die Ursachen des Volkswohlstandes“, 1776, Buch I, Kapitel 6. Deutsche Übersetzung von F. Stöpel, Berlin 1878, Bd. I, S. 67.

10) Zitiert bei W. Liebknecht „Geschichte der Werttheorie in England“, Jena, Gustav Fischer, 1902, S. 4; Karl Marx „Theorien über den Mehrwert“, Stuttgart, Dietz, 1905, S. 1; Diehlund Mombert „Ausgewählte Lesestücke zum Studium der politischen Ökonomie“, Karlsruhe, Braun, Bd. I, S. 43.

11) Zitiert bei Karl Marx, „Zur Kritik der politischen Ökonomie“, Stuttgart, Dietz, 1897, S. 37.

12) Lebte von 1723-1790, war Universitätsprofessor, in seinen letzten Lebensjahren Zollkommissar in Schottland.

13) Adam Smith, „Untersuchung über das Wesen und die Ursachen des Vswohlstandes“, 1776. Deutsch von F. Stöpel, Berkin, Merkur 1878. 1.&nbsolBuch, Kapitel^nbsp;6 (S. 65)

14) S. 41 der deutschen Ausgabe. Vergleiche auch W. Liebknecht „Geschichte der Werttheorie in England“, S. 4.

15) S. 66 der deutschen Ausgabe.

16) Vergleiche auch Karl Marx, Theorien über den Mehrwert, Bd. I, S. 126-127.

17) Wodurch er sich sehr zu seinem Vorteil von der heute landläufigen Nationalökonomie unterscheidet, die gerade in unseren Tagen nicht müde wird, jede Verteuerung und Verbilligung der Waren aus dem Steigen oder Sinken der Arbeitslöhne zu erklären.

18) Ricardo, Grundsätze der politischen Ökonomie und des Steuerwesens, erschienen 1817, Kapital 1, Absatz 1, § 4, Deutsch bei Diehl u. Mombert, Ausgewählte Lesestücke zum Studium der politischen Ökonomie. Bd. 4. Wert und Preis.

19) Zu begin des 30. Kapitels „Über den Einfluss von Angebot und Nachfrage auf die Preise“, bei Mombert, Seite 100, englische Ausgabe von Gonner, 1895, Seite 373.

20) Es kommt allerdings vor, dass auch reine Naturprodukte zur Ware werden, zum Beispiel Wasser in der Wüste. Das find aber überaus seltene Ausnahmen, die zudem nur in ausnahmeweisen Verhältnissen vorkommen. Hier haben wir es indes nicht mich Ausnahmen, sondern mit regelmässigen wirtschaftlichen Zustanden zu tun.

21) Nickel und Kupfer sind nur Stellvertreter der Edermetalle. Die Einzelheiten dieser Zusammenhänge gehoren nicht in unser Thema. – Das Papiergeld besteht nur aus Anweisungen auf Metall. Man lese aufmerksam einen Hundertmarkschein. Darauf steht: „100 M. zahlt die Reichsbank“ dem Einlieferer dieser Banknote.

22) Karl Marx, geboren 1818 zu Trier, starb 1883 zu London. „Das Kapital, Kritik der politischen Ökonomie“, umfasst drei Bände von zusammen 2200 Druckseiten. Der erste Band erschien 1867; die beiden anderen wurden erswt nach Marx’ Tode von seinem Freunde MI herausgegeben, der zweite Band 1885, der dritte in zwei Hälften 1894. – 1914 erschien eine „Volksausgabe“ des ersten BAndes, herausgegeben von Karl Kautsky, welche die Verdeutschung vieler Fremdwörter und ein gutes Register bringt. – Eine „gemeinverständliche Ausgabe“, besorgt von Julian Borchardt, erschien 1920. Sie enthält auf 325 Druckseiten den gesamten grundlegenden Gedankengang des Werkes in Marx’ eigenen Worten. – Dazu die Biographie „Karl Marx, Geschichte seines Lebens“ von Franz Mehring, Leipzig, 1918.

23) Einzelheiten darüber würden uns hier zu weit führen. Nur folgender Hinweis sei gestattet. Eine grosse Rolle bei diesem „Wiederlegungen“ spielte die Verwechslung dessen van ist, mit den, was sein soll. Während Marx einzig und allein erforscht, was der Wert in der gegenwärtigen kapitalistischen Wirtschaftsordnung ist und wie er hier gemessen wird, bildeten such die Herren oft ein, Marx habe ein System aufstellen wollen, wie man in einer zukünftigen sozialistischen Wirtschaftsordnung mit dem Wert – d.h. mit dem Austauschverhältnis der Waren – verfahren solle. Und dann zeigten sie mit viel Pleiss und Scharfsinn, dass es so nicht gehen würde. Natürlich kann das die Marx’schen Sätze nicht treffen.

24) Wie oben gezeigt, bleibt das in Pm angelegte Kapital während der Produktion von unverändertem Werte; Marx nennt es deshalb Konstantes (d.h. unveränderliches) Kapital. Der für Arbeitslohn ausgegebene Kapitalteil dagegen vergrössert sich in der Produktion; deshalb nennt ihn Marx variables (veränderliches) Kapital.

25) Siehe Marx, Kapital, Band II, 1. Teil, Kapitel 9 (S. 132-151). – Gemeinverständliche Ausgabe von Julian Borchardt, Kapitel 7 (S. 43-48).

26) Marx, Kapital, Gemeinverständliche Ausgabe, S. 45.

27) Marx, Kapital, Band I, Kapitel 12, Nr. 4 (Volklsausgabe, S. 304

28) Marx, Kapital, Band II, Kapitel 6. – Gemeinverständliche Ausgabe, S. 238.

29) Dr. Georg Steinhausen, Germanische Kultur in der Urzeit. Leipzig, Teubner, 1905. S. 151/52.

30) Marx, Kapital, Band III, 1. Teil, Kapitel 17 (S. 264-286. – Gemeinverständliche Ausgabe, Kapitel 19 (S. 244-262).

31) Das Wort „Ausbeutung“ sollbei Marx keinen „hetzerischen“ Sinn haben; essoll nur kurz und unzweideutig die Tatsache bezeichnen, dass die Arbeiter grösseren Wert für den Kapitalisten erzeugen, als ihr Lohn beträgt; es soll aber kein moralisches Urteil darüber abgeben.

32) Eugen v. Böhm-Bawerk, Positive Theorie des Kapitals, Innsbruck 1909. 3. Buch, 1. Abschnitt. Wiedergegeben bei Diehl-Mombert, Ausgewählte Lesestücke zum Studium der politischen Ökonomie, 5. Band, S. 131.

33) Charles Gide, Principes d’Economie politique (Gründsätze der Politischen Ökonomie), 6. Aufl. Paris, Larose, 1898. S. 60-62.

34) Wer die betreffenden Kapitel von Bohm-Bawerk liest, muss insbesondere über die Naivität staunen, womit der Verfasser voraussetzt, dass dieselbe Ware für verschiedene Menschen verschiedenen Wert habe. Das trifft für den Gebrauchswert zu, für den Tauschwert (Preis) ist das Gegenteil richtig.

35) E. v. Böhm-Bawerk, Positive Theorie des Kapitals, Innsbruck 1909. 4. Buch, Der Kapitalzins. Wiedergegeben bei Diehl-Mombert, Ausgewählte Lesestücke zum Stidium der Politischen Ökonomie, 8. Band, S. 145.

36) Zitiert bei Marx, Kapital, Bd. I, Kapitel 4, 2. Volksausgabe, S. 115-116.

37) Bei Diehl-Mombert, 8. Band, S. 165.

38) Vgl. hierzu Julioan Borchardt, Einführung in den wissenschaftlichen Sozialismus, Berlin-Lichterfelde, Verlag der Lichtstrahlen, 1919, S. 59 ff.

39) Lebensmittel im weitesten Sinne, d.h. nicht nur, was zum Essen und Trinken dient, sondern auch Kleidung, Wohnung, Heizung, usw.

40) Näheres darüber in „Einführung in den wissenschaftlichen Sozialismus“. Von Julian Borchardt. Berlin-Lichterfelde. Verlag der Lichtstrahlen. 1919. S. 54.

41) Freilich nicht in Einzelarbeit, sondern in Gemeinschaft, als Familie, Stamm usw.

42) Aus dem Lateinischen: „manu“ mit der hand, „factum“ gemacht; bezeichnet also nur, dass noch keine Maschinen angewandt wurden.

43) Marx nennt sie „Teilung der Arbeit innerhalb der Werkstatt“ zum Unterschied von der „Teilung der Arbeit innerhalb der Gesellschaft“.

44) Gemeinverständliche Ausgabe, besorgt von Julian Borchardt, S. 93.

45) Marx, Kapital, Gemeinverständliche Ausgabe, S. 159.

46) Unsere Zahlen sollen selbstverständlich immer nur Verhältnis deutlich machen, illustrieren, aber nicht etwa als tatsächliche Angaben genommen werden. Dieser Hinweis scheint für jeden verständigen Menschen überflüssig zu sein, ist es abet keineswegs, wenn man bedenkt, daß der Kaiserlich-Königliche Universitätsprofessor Kleinwächter zu Czernowitz in seinem "Lehrbuche der Nationalökonomie (S. 153) allen Ernstes erzählt, Marx habe behaupter, daß die notwendige Arbeitszeit etwa sechs Stunden betrage – während in Wirklichkeit Marx diese Zahl einmal als Illustration verwendet hat.


Buchverlag „Räte-Bund“ Berlin NW. 6


Lehrer und Lernende
in Räteschulen und proletarischen Bildungskurzen!
Erleichtert euch die Arbeit durch den Gebrauch der
Räte-Lehrbücher
In den Räte-Lehrbüchern werden die Wissensgebiete, die heute für den Sozialisten wichtig geworden sind, von sozialistische Fachleuten behandelt, die mit sachlichem Wissen reiche Erfahrungen im Räteunterrichtswesen vereinen.
Ausser dem voliegenden Band 4 sind folgende Lehrbucher erschienen:

Band 1.
Richard Dehring:
De Organisation des modernen Fabrikbetriebes
Mit zahlreichen Abbildungen. Preis 6.– M.
Verfasser gibt im einleitenden Teil eine Einfḧrung in das Wesen der modernen Industrieunternehmung, um im besonderen Teil die Organisation der Erzeugung in einer Grossmaschinenfabrik darzustellen. wer diehier geschilderte Organisation einmal erfasst hat, findet auch leicht den Schlüssel zum Verständnis anderer Organisationen.

Band 2.
Dr. Alfons Goldschmidt:
Wie lesen Arbeiter und Angestellte eine Bilanz?
Preis 5.– M.
Hier lernt der Arbeiternehmer an geschickt gewählten Beispielen aus allen Industriezweigen hinter das Wesen der Zahlen zu dringen, welche die Bilanz sowie das Gewinn- und Verlustkonto verzeichen.

Band 3.
Erich Sambale:
Das Betiebsrätegesetz mit Kommentar
Preis 9.– M.
Was ist der wahre Geist des Betriebsrätegesetzes? Wie kann es der Betriebsrat im Interesse des Proletariats benutzen? Auf welche Bestimmungen kann er sich stützen im Kampf um das nächtste Ziel:"gründlichen Einblick in Produktionsgang und Aufbau der Unternehmung? Bei schärffter Kommentierung betrachtet der Verfasser doch das Gesetz nur als einen den revolutionären Anforderungen in keiner Weise genügenden Notbehelf.

Nr. 1-3 der Rätebücher sind dem Wirtschaftlichen Kampfbuche für Betriebsräte entnommen.

[Band 4.
Julian Borchardt:
Die volkswirtschaftlichen Grundbegriffe nach der Lehre von Karl Marx]

Band 5.
Fritz Fricke:
Die Rätebildung
Preis 9.– M.
Der Leiter der seit Beginn der Revolution bestehenden Räteschule der Gross-Berliner Arbeiterschaft gibt hier, gestützt auf die in der Praxis gewonnenen reichen Erfahrungen, einen Leitfaden dür alle an der Rätebildung Interessierten. Die Veranstalter von Bildungskurzen finden hier eine wertvolle Vorarbeit. Die Lehrer lernen die Bedingungen ihres Aufgabenkreises deutlich erfassen. Der Wissen suchende Sozialist, der Hörer und Schüler erhalten hier eine Einführung in das Wesen der Rätebildung, einen begründeten Lehrplan, eine Kritik der bestehenden Bildungsbestrebungen und finden so in der Schrift einen wichtigen Berater.

In Vorbereitung befinden sich weiter Lehrbücher, darunter:

Band 6.
Richard Dehring:
Taylor, Marx und die Arbeiterklasse
Diese Arbeit soll eine vom sozialistischen Standpunkte unternommene Kritik des Taylorsystems geben. Sie zeigt, welche Wirkungen die Taylorschen Vorschläge in der kapitalistischen Wirtschaft und in der sozialistischen Wirtschaft ausüben würden. Sie verhindert die Irreführung der Arbeiterklasse, welche durch falsche volkswirtschaftliche Schlussfolgerungen von kapitalistisch interessierter Seit erstrebt wird.


Dr. Alfons Goldschmidt:
Arbeiterräte! Wie führt Ihr die Sozialisierung durch? Preis 30 Pfennig. 1. bis 20. Tausend
Dr. Alfons Goldschmidt gibt hier eine Einführung in das Wesen der Sozialisierung, die geeignet ist, der Irrtümmern entgegenzuwirken, die in Zusammenhang mit diesem Worte bewusst onder unbewusst verbreitet werden. Der Inhalt der Schrift dürfte für Referenten, namentlich in engeren Kreisen, Diskutierabenden usw. eine gute Grundlage für einen einführenden Vortrag bilden.


Eberhard Fink:
Die Agrarkommune
Wirtschaftsprogramm für Landbau, Forst, Fischerei und die Landindustrie.
Preis 3.– M. 1. bis 5. Tausend.
Sehr zum Schaden des Sozialismus ist die Agrarfrage stark vernachlässigt worden; teils weil das Land schon im Zusammenhang mit der früheren Vorenthaltung des Landarbeiter-Koalitionsrechts für einen Propagandaboden von geringerer Bedeutung gehalten, teils weil die Sozialisierung einseitig auf die Industrie bezogen wurde. – Daher entwickelt Genosse Fink, der sowohl als praktischer Landwirt wie als Wissenschaftler grosse Erfahrungen besitzt, ein politisch, wie wirschaftlich gleichermassen konsequent durchdachtes Programm, das eine unverfälschte Form des Sozialismus enthält und den reinen Rätegedanken verwirklicht.


Friedrich M. Minck:
Wirtschaftssozialismus
Mit zwei Plänen. Preis 1.20 M. 1. bis 10. Tausend.
Der Verfasser stellt in der vorliegenden Schrfit zum ersten Mal einem volkommenen organisatorisch durchdachten Plan sozialistischer Wirtschaft dar, nicht mit dem Absicht, ein für alle Fälle gültiges System zu konstueren, sondern mit dem Zweck, dass jeder, ob Gegner oder Anhänger des Sozialismus, aus diesem Plan, der in einder einfachen und doch wissenschaftlichen Weise vorgetragen wird, erkennen könne, dass sozialistische Wirtschaft keine Utopie, kein wirklichkeitsfremde Theorie ist, sondern in einer durchaus den Grundgesetzen des Organischen entsprechenden Weise aufzubauen ist.


Unentbehrlich für jeden Betriebsrat!
Ein wirkliches Kampfbuch für den Betriebsrat nennt die under der Schriftleitung von Ernst Däumig stehende Wochenschrift „Der Arbeiterrat“ das Werk:
Wirtschaftliches Kampfbuch für Betriebsräte
herausgegeben von der
Rätegenossenschaft für wirtschaftlichen Aufbau unter Mitwirkung sozialistischer Fachmänner.
Inhalt:
Vorwort.
Einleitung: Wesen u. Bedeutung des Rätesystems. Von Ernst Jacobi.
I. Abschnitt: Die Organisation des modernen Fabriksbetriebes. Von Richard Dehring, Nationalökonom.
II. Abschnitt: Wie lesen Arbeiter und Angestellte eine Bilanz? Vom Dr. Alfons Goldschmidt, Nationalökonom.
III. Abschnitt: Die Grundlagen der sozialistischen Produktion. Von W.A.Th. Müller-Renhaus, Ingenieur und Nationalökonom.
IV. Abschnitt: DerAufbau der sozialistischen Wirtschaft. Von Friedrich M. Minck.
V. Abschnitt: Sozialisierung und Räteverfassung der Landwirtschaft. Von Eberhard Fink, Landwirtschaftslehrer u. Dipl. Landwirt.
VI. Abschnitt: Das Betriebsrätegesetz. Text und Kommentar. Mit Erläuterungen von Erich Sambale.
Ein wirkliches Handbuch, eind zusammenfassendes Werk über alle wesentlichen Gebiete, über die der sozialistische Betriebsrat einen Überblick besitzen muss.


© Obgleich die Kommunistische Linke im Allgemeinen keine Urheberrechte bzw. „intellektuelle Eigentumsrechte“ für sich eingefordert hat, können einige Veröffentlichungen auf dieser Webseite urheberrechtlich geschützt sein. In diesem Fall steht ihr Gebrauch nur zum Zweck persönlichen Nachschlags frei. Ungeschütztes Material kann für nicht-kommerzielle Zwecke frei und unentgeltlich verbreitet werden. Wir sind Ihnen erkenntlich für Ihren Quellenhinweis und Benachrichtigung. Bei beabsichtigter kommerzieller Nutzung bitten wir um Kontaktaufnahme.


Compiled by Vico, 11-24 October 2023



























Übersicht