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Antonie Pannekoek Archives

Pressedienst

Quelle: a.a.a.p.


Pressedienst

Gruppe Internationaler Kommunisten (Holland) : p.i.k.: Pressedienst der Internationalen Kommunisten-Holland, 1928-1933. – Transkribiert und herausgegeben für Rätekommunismus ; Mitarbeit von der Association Archives Antonie Pannekoek; €15,80.


Angriff auf die Labourpartei in Glasgow


Quelle:  Pressedienst der g.i.k., Nr. 9 vom 27. Januar 1929 (i.i.s.g. ); Transkribiert und herausgegeben von Hans-Peter Jacobitz und Thomas Königshofen; Mitarbeit von der Association Archives Antonie Pannekoek.


Aktivitäten der antiparlamentarischen Kommunisten – 17 Verhaftungen

Als Vorbereitung für die in diesem Sommer stattfindenden großen Wahlen in England hatte die Labourpartei in Glasgow eine große Versammlung einberufen, wo „Onkle Arthur“, der große Arthur Henderson (1), das Wort führen sollte. Die Gruppe der antiparlamentarischen Kommunisten in Glasgow, die, wie unsere Leser wissen, „The Commune“ herausgibt, war der Meinung, dass es einer Beleidigung der Arbeiterschaft gleich käme, wenn dieser gerissene Kapitalistenknecht sich ohne Widerstand unter den Arbeitern bewegen könnte, und darum wollten sie versuchen, diese Versammlung zu sprengen. Ein paar Tage vor der Versammlung wurde eine Extra-Nummer der „Commune“ verbreitet, worin die Rolle Hendersons im Kriegsministerium gezeigt wurde. Wir brauchen nicht erst zu sagen, dass er sich bewegte auf der Linie, welche auch Ebert-Scheidemann mit so viel „Erfolg“ verfolgt haben. In leidenschaftlicher Sprache wird darauf hingewiesen, wie Henderson die sozialistische Presse unterdrückte, soweit diese sich dem Krieg widersetzte, wie er Sozialisten einsperren ließ und wie er der Urheber der allgemeinen Arbeitspflicht für Männer und Frauen im Dienste des Krieges war. Im Besonderen wird er verantwortlich gemacht für den Klassenjustizmord an dem Revolutionär James Connolly (2), der wegen Hochverrats hingerichtet wurde. Weiter wird in Erinnerung gebracht, wie Henderson noch bei der Behandlung der Kriegsgesetze am 2. April 1924 sich gegen folgenden Antrag erklärte:

1) Abschaffung der Todesstrafe.
2) Das Recht des Soldaten, gegen ein Todesurteil in höhere Instanz zu gehen.
3) Zu verweigern, bei Streiks aufzutreten.
4) Zu verweigern, einen Gottesdienst mitzumachen.

„Henderson stimmte gegen diesen Antrag, der selbst von einem kapitalistischen Reformisten verteidigt worden konnte.“

Beim Eröffnen der Versammlung stellte sich heraus, dass eine große Zahl Arbeiter dort war, um das Referat Hendersons unmöglich zu machen. Kaum hat der Vorsitzende das Wort ergriffen und den Namen Henderson genannt, und der Radau bricht los. Es knatterten Wutausbrüche wie „Weg mit dem Verräter“, „weg mit dem Spion“, „Mörder“! Darauf gab der Vorsitzende des anwesenden Labourgesangsvereins ein Zeichen, worauf dieser einen Labourgesang einsetzte. Als Antwort sprang unser Kamerad Aldred (3) auf einen Stuhl und setzte das „Lied von dem Aufstand“ des ermordeten Connolly ein. „Aufstand“ erwies sich stärker und der offizielle Chor wurde von dem revolutionären niedergebrüllt. Die Folge davon war, dass Polizisten gerufen wurden, die sich sofort zu Aldred wandten und ihn aufforderten, den Saal zu verlassen. Dieser weigerte sich, worauf sie ihn niederrissen und dann hinaustrugen. Damit kehrte Henderson zurück und nahm das Wort, aber schon beim ersten Satz entstand wieder Radau. Wieder Polizisten, ein paar Frauen wurden verhaftet. Dieses Spiel wiederholte sich noch mehrere Male, bis nach einer Stunde immer erneut einsetzender Unruhe 17 Personen verhaftet waren. Darauf stand einer der übrigen Opponenten auf, der seine Genossen aufforderte, als Protest den Saal zu verlassen. Etwa 50 Arbeiter verließen en bloc den Saal, und damit konnte die Versammlung ohne weitere Störung verlaufen. Die revolutionären Arbeiter hatten ihr Ziel also nicht erreicht, die Versammlung wurde nicht gesprengt.

Für Deutschland würde ein solcher Bericht nicht viel Bedeutung haben, solche Versammlungen hat es genug gegeben und gibt es sicher noch. In England ist das anders; da bedeutet eine solche offene Rebellion der Arbeiter gegen die offiziellen Führer, dass die theoretische Scheidung aus den Führerkreisen in die Massen eindringt. Dass die Arbeiter dann eine entschiedenere Sprache reden, spricht sicher nicht zu ihrem Nachteil. Wir können es nur begrüßen, wenn es zur Selbstverständlichkeit wird, dass Verräter an der Arbeiterklasse nicht in Arbeiterversammlungen sprechen dürfen. In diesem Sinne zeigt auch das Vorkommnis in Glasgow, dass die englischen Revolutionäre an der Arbeit sind.

Redaktionelle Anmerkungen

1. Arthur Henderson  (1863-1935) war ein britischerPolitiker. „1924 stellte die Labour Party unter Premierminister Ramsay MacDonald erstmals die Regierung, in der Henderson vom 23. Januar 1924 bis 4. November 1924 als Innenminister fungierte. In dieser Funktion beteiligte er sich am Genfer Protokoll über Abrüstungsfragen. Im zweiten Kabinett MacDonald war er vom 8. Juni 1929 bis 24. August 1931 Außenminister. In dieser Funktion war er unter anderem an den Haager Konferenzenzur Neuregelung der Reparationszahlungen des Deutschen Reiches sowie an der Flottenkonferenz von 1930 beteiligt. 1929 nahm Großbritannien unter seiner Ägide erstmals wieder diplomatische Beziehung zur Sowjetunion auf.“

2. James Connolly  (1868-1916 in Dublin) war ein irischer Gewerkschafter, marxistischer Sozialist, Theoretiker und Revolutionär. Connolly wird heute sowohl von Sozialisten, Gewerkschaftern als auch irischen Republikanern als ein Vorkämpfer geehrt. Er wurde nach dem Scheitern des Osteraufstands 1916 als Anführer der Irish Citizen Army von britischen Besatzern in Dublin hingerichtet.

3. Guy Aldred  (1886-1963), war ein britischer anarcho-communist. Sehe auch: The British Left.


Compiled by Vico, 21 August 2021