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Quelle: a.a.a.p. Gruppe Internationaler Kommunisten (Holland) : p.i.k.: Pressedienst der Internationalen Kommunisten-Holland, 1928-1933. – Transkribiert und herausgegeben für Rätekommunismus ; Mitarbeit von der Association Archives Antonie Pannekoek; €15,80. |
Bolschewismus und KommunismusQuelle: Pressedienst der g.i.k., Nr. 5, September 1933 (i.i.s.g. ); Transkribiert und herausgegeben für Rätekommunismus ; Mitarbeit von der Association Archives Antonie Pannekoek. I.Die Revolution des Nationalsozialismus hat der deutschen Arbeiterklasse, ohne es zu beabsichtigen oder es zu wollen, einen großen Dienst geleistet. Hat sie den äußeren Druck auf die Arbeiter erschwert, so hat sie zugleich die Hemmnisse aus dem Wege geräumt, die der Einheit und der Selbstständigkeit der Arbeiterklasse, jenen Vorbedingungen zur Befreiung, im Wege standen. Die Arbeiter waren machtlos, weil sie gespalten waren in verschiedene Parteien und Gewerkschaften, und darin, unter dem Scheine der Demokratie, von den Parteihäuptern, von den Gewerkschaftsvorständen, von dem ganzen bürokratischen Apparat beherrscht wurden. Der Nationalsozialismus hat alle diese Apparate zerschlagen und vernichtet. Jetzt stehen die Arbeiter in den Werkstätten einfach als Arbeitsgenossen, als Klassengenossen nebeneinander. Ihre Interessengemeinschaft kann nicht mehr durch die alten überlebten Trennungen verdunkelt werden. Ihre „Führer“ sind nicht mehr Verbandsangestellte, die ihre Interessen verraten, sondern Regierungsagenten, die sie beaufsichtigen; also offene Gegner. Sobald der Druck des Kapitals zu schwer wird, steht nichts mehr den Arbeitern im Wege, zusammen als eine geschlossene Einheit den Kampf gegen das Kapital und seine Agenten aufzunehmen. Aber das alte Wort, dass die Befreiung der Arbeiter nur ihr eigenes Werk sein kann, gilt auch hier. Der Nationalsozialismus hat die äußeren Formen und Werkzeuge der Klassenspaltung zerschlagen. Aber die Arbeiter haben selbst das Wichtigste zu tun, diese Spaltung innerlich zu überwinden. In dem Geiste der meisten leben noch die alten Parteianschauungen, die alten Traditionen, die zu früheren Formen des Kampfes gehörten, die alten Gewohnheiten der Unterordnung unter dem Diktat der Führer und der Parteizeitungen. Solange diese nicht überwunden sind, kann die Klasseneinheit nicht wirklich fest werden. Nur durch Selbstdenken können die Arbeiter ihre Selbständigkeit in ihrer Einheit sichern. Nur durch Lernen durch Umlernen können die neuen Epochen des Befreiungskampfes kommen. Der erste und vernichtende Schlag der neuen Herrscher traf die k.p.d. Sie hatte auf weite Arbeiterkreise eine große Anziehungskraft ausgeübt, weil in ihr das Beispiel der russischen Revolution verkörpert war, weil ihre scheinrevolutionären Reden und Aufrufe die nach Kampf und Taten drängende Arbeitergeneration mitrissen, und weil sie durch die Finanzhilfe von Moskau eine große Propaganda führen konnte. Alles das konnte keine innere Kraft geben. Politisch war sie ein Werkzeug der Auslandspolitik der russischen Stalinregierung. Statt revolutionäre Kraft und Einsicht aufzubauen, verzettelte sie die Ansätze in fruchtloser Lärm- und Putschpolitik, die mit dem prinzipienlosesten Reformismus zusammengingen. Ihre Verherrlichung der revolutionären Gewalt, ohne die klare Erkenntnis der Ziele des proletarischen Klassenkampfes, hat dahin geführt, dass die jungen Köpfe vielfach zu einer Beute der nationalsozialistischen Propaganda wurden. Bei diesem Mangel an innerer Kraft kann auch eine opferbereite Verschwörertaktik nicht gegen den neuen Druck aufkommen. Die k.p.d. wird sich von der Katastrophe nicht wieder erheben. Aber in anderer Form können allerdings ihre Prinzipien sich aufs Neue behaupten; und daher ist es notwendig, diese ernsthaft und kritisch zu prüfen. Die russische Revolution als das größte welthistorischer Ereignis der letzten Jahrzehnte hört nicht auf, ihre Wirkung auf die deutschen wie auf die Arbeiter der ganzen Welt auszuüben. Was sie dabei mächtig anzieht, ist nicht das staatskapitalistische „Vaterland der Arbeiter“ von heute, sondern der revolutionäre Freiheitskampf vor 15 Jahren. Nicht Stalin oder Molotow sind die großen Namen dieser Revolution, sondern Lenin und Trotzki. Und Trotzki ist schon in Frankreich damit beschäftigt, die oppositionellen und die Splittergruppen der früheren k.p.d. um sich zu sammeln, um als Führer aller derjenigen Parteigruppierungen aufzutreten, die – im Gegensatz zu der Sozialdemokratie – den Kampf gegen Faschismus und Kapitalismus mit revolutionären Mitteln führen wollen. Es gehen allerdings Gerüchte herum, dass Agenten von Stalin mit Trotzki verhandeln, um zu einer Verständigung zu kommen; in diesem Fall käme es einfach zu einer Neuauflage der k.p.d.-Geschichte, zu einer neuen Tragödie der Irrungen und Wirrungen, die das europäische Proletariat daran hindern werden, die richtige Lehre aus dem deutschen Zusammenbruch zu ziehen. Besser täte es der bolschewistischen neuen Trotzki-Partei, wenn sie nicht um der Augenblicksvorteile wegen ihre Zukunft auf das Spiel setzt dadurch, dass sie sich sofort in den Sumpf der Stalin‘schen Russlandpolitik hineinziehen lässt, sondern als internationale Opposition zur Dritten Internationale Stellung nimmt. Für die revolutionären Arbeiter macht es den Unterschied, dass sie sich dann prinzipiell mit dem Bolschewismus auseinanderzusetzen haben. Dabei handelt es sich dann nicht mehr um die russische Auslandspolitik, noch um die Sowjetgranaten für die Reichswehr, sondern um den Gegensatz zwischen Bolschewismus und Kommunismus, um die Prinzipien der proletarischen Revolution. II.Die Grundlagen des Bolschewismus, die Grundauffassung von Lenin und Trotzki, ist, dass die proletarische Revolution in Westeuropa nach dem Vorbilde, dem Muster der russischen Revolution stattfinden muss. In Russland war es die Kommunistische Partei, die die Arbeiter in den Kampf führte und nach dem Sieg die Herrschaft in die Hand nahm; in Westeuropa soll die Kommunistische Partei es genauso machen. Zu der Marx’schen Losung der „Diktatur des Proletariats“ proklamiert sie das Prinzip: „Die Diktatur des Proletariats verwirklicht sich in der Diktatur der kommunistischen Partei.“ Für Russland war es nicht anders möglich. Das Proletariat war weniger als ein Zehntel der Bevölkerung; nur zusammen mit den Bauern, die die übergroße Mehrheit bilden, konnte es die Bourgeoisie und die Grundbesitzer stürzen. Diese Bauernmasse, in der die Tendenz steckte, sich als Privateigentümer persönlich bereichern zu wollen, konnte nur durch eine starke, fest organisierte Zentralgewalt beherrscht werden. Die erste wirtschaftliche Notwendigkeit, im schnellen Tempo aus primitivster Barbarei zur modernen Höhe der Produktivität emporzusteigen, erforderte ebenfalls eine Konzentration der politischen Gewalt. Die russische Arbeiterklasse, zu einem bedeutenden Teil noch bäuerlich und mit dem Dorf verwachsen, musste sich dabei als Gefolgschaft der Führung seines entwickeltsten Teiles, eben der Partei, unterordnen. Mit ungeheurer Begeisterung, Ausdauer und Opferwilligkeit hat die russische Kommunistische Partei ihre Aufgabe angefasst, die Organisation der Produktion als Staatssozialismus aufzubauen, die technischen Produktivkräfte zu heben, die Widerstände niederzuhalten, die alte Barbarei und Unwissenheit aufzuheben, die Jugend zu einem opferbereiten Nachwuchs zu erziehen. In einer stürmischen Entwicklung, unter den größten Schwierigkeiten, versuchte sie in Russland durchzuführen, was in Europa in einem Jahrhundert von bürgerlichen Revolutionen und von Kapitalismus sich entwickelte, mit noch dazu einem Teil dessen, was hier erst die proletarische Revolution leisten wird. Nach diesem Muster soll nun, nach bolschewistischer Auffassung, auch in Westeuropa die proletarische Revolution gemacht werden. Eine bewusste revolutionäre Minorität tritt an die Spitze; sie kennt die Verhältnisse, sie beschließt die Taktik, und die große Masse hat nur als Gefolgschaft ihren Losungen zu gehorchen. Daher schon 1919 die Taktik Lenins, große unklare, sozialdemokratische Gruppen wie die deutsche u.s.p. zum Anschluss an die Dritte Internationale zu bringen. Daher das unaufhörliche Bestreben, die Gewerkschaften zu „erobern“, das heißt, die Spitzen, die Vorstandsposten mit Leuten der Partei zu besetzen und damit die ganze Mitgliederschaft als gefügige Armee kommandieren zu können. Daher die Taktik des Parlamentarismus, wo auch die Wählermassen von Millionen als passive Gefolgschaft der Partei und der Parteiführer auftritt, die die eigentliche Arbeit machen. Die Partei bildet den Generalstab, das denkende Haupt, auf deren Anweisung die Massen, als die physische Kraft, den Gegner niederschlagen. Diese Auffassung der Revolution passt völlig in die Tradition der früheren bürgerlichen Revolutionen. Auch da hatten die Massen die alte Herrschaft niederzuwerfen, aber die Führung hatte die Bourgeoisie inne. Es handelte sich um die Ersetzung einer alten Herrschaft durch eine neue, bessere, zeitgemäßere Herrschaft, ohne eine völlige Selbstbefreiung der Massen. Und daher war der zu überwindende Widerstand relativ gering, und die herrschende Klasse, eine dünne bedeutungslose Oberschicht, ohne Rückhalt in den Massen, war zu einem erfolgreichen zähen Kampf nicht fähig. So war es auch in Russland; die Bourgeoisie war schwach und die ganze Staatsgewalt desorganisiert, und daher konnte eine gute disziplinierte, klar bewusste kleine Partei, auf die großindustriellen Arbeitern sich stützend und die Bauernmassen mit sich ziehend, die Macht erobern und eine neue Herrschaft aufrichten. III.Aber für die politische Revolution in den Ländern des hoch entwickelten Kapitalismus, in Westeuropa und Nordamerika, liegen die Verhältnisse ganz anders. Es handelt sich hier um die Selbstbefreiung der ganzen proletarischen Klasse, und sie steht einem Gegner gegenüber, viel mächtiger als irgendeine frühere herrschende Klasse. Die kapitalistische Bourgeoisie besteht nicht bloß aus einer dünnen Oberschicht von reichen Fabrikanten und Monopolbesitzern, sondern aus einer großen Klasse von kleineren Unternehmen, Mittelschichten und Bauern, die alle fanatisch dem Prinzip der persönlichen Bereicherung ergeben sind und daher wie eine Mauer der Arbeiterklasse entgegenstehen. Sie verfügt nicht nur über die Machtmittel der Staatsgewalt, sondern auch noch dazu über unermessliche finanzielle und materielle Hilfsquellen, womit sie Gewaltmittel und Mietstruppen kaufen kann. Sie verfügt über alle Wissenschaft und Bildung einer hochentwickelten Gesellschaft; sie hält durch ihre geistigen Machtmittel, Schule, Kirche, Presse, Kino, und dergleichen die Massen in geistiger Abhängigkeit; und bürgerliche Grundanschauungen herrschen bis tief in die Arbeiterklasse hinein. Gegen eine solche Klassenmacht ist eine Partei, eine Minorität geschulter Revolutionäre, mag sie noch so fest diszipliniert sein, machtlos wie ein Kindersäbel aus Pappe. Gerade dieser Glaube, mittels einer Partei durch die Kraft fähiger Führer eine soziale Revolution machen zu können, ist eine bürgerliche Auffassung; er bekundet damit die geistige Macht der bürgerlichen Klasse, die bis in die Reihen der Revolutionäre selbst reicht und so das Proletariat schwächt. Ein solcher Glaube ist allerdings verständlich und verzeihlich für Osteuropäer, die nicht aus eigener Lebenserfahrung das Wesen der westeuropäischen bürgerlichen Welt kennen. Die einzige ebenbürtige Macht, die die Bourgeoisie besiegen kann, ist die Arbeiterklasse. Das ist die Grundlage des Kommunismus, dass nur der Kampf der Klassen selbst, nur die Arbeiterklasse selbst, in ihrer Masse aktiv auftretend, die Revolution durchführen kann. Zwar erscheint sie jetzt machtlos, durch die gewaltige Macht der Bourgeoisie bedrückt und in Respekt gehalten, durch deren geistige Macht gespalten, unsicher, ohne Ideale, unfähig zur Aktion, weit zurückstehend gegen die revolutionäre Tatkraft der russischen Arbeiter - daher forderten ja die Bolschewisten, dass die westeuropäischen Arbeiter als zurückgebliebene Schüler die Russen als ihr Vorbild anerkennen und ihnen nachfolgen sollten. Aber das westeuropäische Proletariat besteht noch aus ganz anderem Material: Durch seine Abstammung aus einem alten selbstständigen Kleinbürger – Bauerntum steckt ein kräftiger Individualismus in seinem Innern, später durch den Druck eines Jahrhunderts von Kapitalismus und durch die Schule der Maschine zu Organisation und Disziplin erzogen. Das ist keine Masse mit nur physischer Kraft, die von einer geistig überlegenen Gruppe geführt, befreit, gebildet und erzogen werden muss. Es ist eine Klasse, die, sobald und wo sie sich erhebt, immer ihre eigenen Geschicke in die Hand nimmt, als Gesamtheit ihre Aktion beschließt und durchführt, und damit sich selbst erzieht und zu stets größerer geistiger Macht und Einheit emporhebt. Während in dem Parteisystem die Fähigsten als Gruppe sich von der Klasse absondern und sie zu beherrschen suchen, besitzt die Arbeiterklasse in dem Rätesystem die Organisationsform, die ihre Gesamtheit in einheitlichem Handeln zusammenfügt und auch die Kraft der Fähigsten in diese Gesamtheit einordnet. Ist es dann nicht richtig, dass die Partei durch ihre Klarheit hoch über der zumeist unbewussten und gleichgültigen Masse steht? Die Parteien sind in ihren Programmen und Theorien die Träger der Tradition früherer Kämpfe und Revolutionen. Darin liegt ihre Bedeutung, dass sie in ruhigen Zeiten die Lehren dieser früheren Erfahrung den jungen Generationen übermitteln. Daher erscheinen sie dann als die am meisten fortgeschrittene und revolutionäre Elite, und die Massen erscheinen ihnen gegenüber passiv und rückständig. Aber in Zeiten der Revolution ändert sich das Verhältnis. Da sind es gerade die Massen, die als schöpferische Kraft auftreten und neue Kampfmethoden gleichsam instinktiv anwenden – aus der Notwendigkeit der jeweiligen Klassenkampfsituation heraus. Vor der Ungeheuerlichkeit der Aufgabe, der Befreiung des Proletariats, wo sich nach jedem Erfolg riesiger die Macht des Feindes auftürmt, muss die Kraft einer Partei, einer Teilgruppe bald versagen. Sie wird sich daher auf den Teilerfolg, auf das beschränkte Ziel festlegen, zum Beispiel den Staatskapitalismus als Ziel proklamieren, und den Arbeitern einreden, dies sei das eigentliche praktisch erreichbare Ziel. Damit kann sie aber die Macht der Bourgeoisie nicht besiegen. Demgegenüber kann nur aus den Tiefen der Arbeiterklasse selbst, wo sie als aktive Gesamtmasse auftritt, die unerschöpfliche Kraft und die Rücksichtslosigkeit entspringen, die gegen jede neue Machtentfaltung des Gegners eine größere Macht entfaltet und ihn niederwirft. Der Kommunismus fordert von der ganzen Klasse die höchste Ausbildung ihrer geistigen und organisatorischen Kraft als notwendige Bedingung zu ihrer Selbstbefreiung, zu ihrer eigenen Herrschaft. Der Bolschewismus, als Lehre der Unterordnung der Klasse als gehorsame Gefolgschaft einer bewussten Minorität einer Partei, kann diese Kraft nicht wecken. Compiled by Vico, 21 August 2021 |
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