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Antonie Pannekoek Archives

Pressedienst

Quelle: a.a.a.p.


Pressedienst

Gruppe Internationaler Kommunisten (Holland) : p.i.k.: Pressedienst der Internationalen Kommunisten-Holland, 1928-1933. – Transkribiert und herausgegeben für Rätekommunismus ; Mitarbeit von der Association Archives Antonie Pannekoek; €15,80.


N.S.B.O., Nationalsozialistische Betriebszellenorganisation


Quelle:  Pressedienst der g.i.k., Nr. 3, Juni 1933 (i.i.s.g. ); Transkribiert und herausgegeben für Rätekommunismus ; Mitarbeit von der Association Archives Antonie Pannekoek.


Wir erhielten folgenden Artikel, welchen wir gekürzt abdrucken.


Was ist die n.s.b.o.? Wie der Name schon sagt eine Nachahmung bolschewistischer Zellentaktik zur Verseuchung der Betriebe, zur Verwirrung und Vernebelung der Arbeiterköpfe, zur Terrorisierung marxistischer Arbeiter, zur Niederschlagung jeder Ansätze klassenmäßigen Widerstandes gegen die Diktatur. Schon die Tatsache aber, dass ihre Funktion in die Produktionsstätten selber gelegt werden musste, dass sie von Betriebsarbeitern ausgeübt wird, hat schon in den ersten Wochen gezeigt, dass die Machthaber selbst auf dem Glatteis eines für sie gefährlichen gesellschaftlichen Bodens zu laufen hatten. Das ungeheure Tamtam, mit dem die Regierung sie in Szene setzte, der raffinierte Apparat von Feiern, Fackeln und Fahnen, die Phrasen von Ehre, Freiheit und Gleichberechtigung, mit denen man die Arbeiter umschmeichelt, bedeuten, dass man auf möglichst lange Zeit die Erfolge auf ideologischem Gebiet zu halten sucht. Trotzdem zeigen sich in verschiedenen Ansätzen, die natürlich nochmal weit von klassenbewusstem Handeln entfernt und eben überhaupt nur Ansätze sind, wie die Arbeiter – auch die nationalsozialistischen Arbeiter – keineswegs bereit sind, sich nur mit Versprechungen abspeisen zu lassen. Es entbehrt nicht einer gewissen Naivität, wenn die Nazi-Delegation des Ludwigshafener IG-Farbenwerks von ihrer Direktion die Beteiligung der Arbeiter bei der Dividendenausschüttung fordert, oder wenn die n.s.b.o. im Stahlwerk Haspe einen bei der Arbeiterschaft unbeliebten treu-nationalen Direktor festsetzt; in beiden Fällen haben sie sich wieder brav nach Hause schicken lassen - wie aber die Klassenkampftatsache ihres ganzen Lebens auch nationalsozialistische Arbeiter unbewusst klassenkampfmäßig reagieren lässt, das wird, wie verschüttet auch immer, in solchen kleinen Ereignissen blitzartig beleuchtet. Auch der Streik bei der Ullstein-Druckerei hat einen viel weitergehenden Inhalt als die deutschen Zeitungen berichten dürfen. Wenn auch hier die n.s.b.o., ihrer Fahne treu, unter dem Banner des Antisemitismus gegen jüdische Redakteure und Verlagsleiter vorging, so gingen die Streikenden darüber noch hinaus. Sie forderten auch das Ausscheiden von zwei nationalsozialistischen Redakteuren, und zwar des verantwortlichen Redakteur Dr. Timm und des Gerichtssaalberichterstatters von Claas, ferner die Auswechslung des nationalsozialistischen Betriebsrats, weil er „nicht radikal genug“ sei. Sie verlangten ferner die Herabsetzung der Spitzengehälter um die Hälfte.

Es wäre natürlich nichts falscher als solche Fälle zu verallgemeinern, oder gar in der n.s.b.o. Keime zu sehen, die sich zu revolutionären Betriebsorganisationen entwickeln könnten. Die Eroberung der n.s.b.o. wäre eine ebenso gefährliche Illusion wie die berühmte „Eroberung der Gewerkschaften“ durch die marxistische „Linke“. Aber schon die bescheidenen Ansätze primitiven Klassengefühls, wie sie im Betrieb auch bei begeisterten Nationalsozialisten in Erscheinung treten müssen, sind gefährlich. Die Aufgaben der n.s.b.o. sollen sein und bleiben: die Verbreitung und Erhaltung der nationalsozialistischen Phraseologie, die Verdummung und Bespitzelung der Arbeiterschaft, ihre mit dem nötigen kasernenhofmäßigen Drill eingebläute Bindung und Versklavung an die Interessen der herrschenden Klasse. Ganz im Sinne dieser Aufgabe ist der Erlass, den die Berliner Staatskommissare Dr. Lippert, Dr. Marotzki und Engel für die städtischen und gesamtwirtschaftlichen Berliner Gesellschaften und Werke erlassen hat:

„Noch immer wird lebhaft Klage darüber geführt, dass die Betriebszellorganisationen ihre Funktionen überschreiten und in die Betriebe und die Leitung der Werke selbst einzugreifen bestrebt sind. Die n.s.b.o. hat nur die große Aufgabe, die hohe politische Idee unseres Führers innerhalb der Belegschaft der Werke zu verbreiten und zu vertiefen und neue Anhänger für den Nationalsozialismus zu werben. Dagegen ist es völlig unstatthaft und mit der großen Wiederaufbauarbeit in Staat und Volk, die der Führer in Angriff genommen hat, unvereinbar, dass die Obmänner und Mitglieder der Betriebszellen in die technische und kaufmännische Führung, in die Personalbesetzung oder gar in die Leitung des Betriebes eingreifen […]“

Was Arbeiter von nationalsozialistischen Betrieben zu erwarten haben, das zeigen die Vorgänge in der Expedition von Goebbels „Angriff“ (*). Die Löhne der Zeitungsausträger sind um 33% gekürzt worden, worauf die Boten in Streik traten, so dass der „Angriff“ teilweise am Freitagabend nicht ausgetragen werden konnte. Durch Zwangsmaßnahmen mithilfe der SS und SA wurden die Boten zum Nachgeben gezwungen. Im Zusammenhang mit all diesen Vorgängen ist folgender Befehl des n.s.b.o.-Leiters Schumann erlassen worden: „In den letzten Tagen haben verschiedene Belegschaften eigenmächtige Eingriffe in die Betriebsführung vorgenommen, die teilweise zur Stilllegung der betroffenen Betriebe führten. Dieses unverantwortliche Vorgehen ist geeignet, schwerste Erschütterungen hervorzurufen. Ich verbiete hiermit allen n.s.b.o.-Mitgliedern aufs Strengste, sich an diesen Aktionen zu beteiligen. Ich fordere von allen n.s.b.o.-Mitgliedern in jedem Betrieb, derartige Versuche im Keim zu ersticken […]“

Es ist gar kein Zweifel, dass die n.s.b.o. gehorsam einschwenken wird und noch auf geraume Zeit Ansätze der geschilderten Art im Keim erstickt werden. Aber die weitere Entwicklung der Arbeiter in der n.s.b.o., in den Gewerkschaften und den Betrieben überhaupt wird als Stimmungsbarometer ständig beobachtet werden müssen. Dabei kann vor Überschätzung lokaler Ereignisse nicht genug gewarnt werden.


Redaktionelle Anmerkung

*) Der „Angriff“  war die Gauzeitung der Berliner n.s.d.a.p. und wurde von 1927 bis zur Auflösung der Partei herausgegeben.


Compiled by Vico, 21 August 2021