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Antonie Pannekoek Archives

Pressedienst

Quelle: a.a.a.p.


Pressedienst

Gruppe Internationaler Kommunisten (Holland) : p.i.k.: Pressedienst der Internationalen Kommunisten-Holland, 1928-1933. – Transkribiert und herausgegeben für Rätekommunismus ; Mitarbeit von der Association Archives Antonie Pannekoek; €15,80.


Die Umwälzungen in Deutschland


Quelle:  Pressedienst der g.i.k., Nr. 3, Juni 1933 (i.i.s.g. ); Transkribiert und herausgegeben für Rätekommunismus ; Mitarbeit von der Association Archives Antonie Pannekoek.


II. Das Ende der kommunistischen Partei

Die Geschichte der Kommunistischen Partei Deutschlands zeigt uns das Bild einer Organisation, die zur Förderung und Führung der proletarischen Revolution in Westeuropa berufen schien, aber schon in ihrer ersten Jugend zu einer scheinrevolutionären Partei entartete.

Sie entstand aus den kleinen Gruppen, die während des Weltkrieges in schärfster Opposition zu der Sozialdemokratie durch revolutionäre Propaganda und Aktion den Kriegsimperialismus der Bourgeoisie bekämpften. Während der revolutionären Bewegungen nach dem Kriege unter dem anfeuernden Beispiel der russischen Revolution schlossen sie sich zur KPD zusammen, die den Klassenkampf zur Durchführung der proletarischen Revolution in Westeuropa auf ihre Fahnen schrieb und Massenaktion und Sowjetsystem an die Stelle des Parlamentarismus und der Gewerkschaften stellte. Aber die Aktionen der Arbeiter wurden gewaltsam niedergeschlagen und die hervorragenden Führer, Liebknecht und Rosa Luxemburg, ermordet. Da standen die deutschen Kommunisten vor der Frage ihrer weiteren Politik. Die Mehrheit der Partei sah ein, dass die Revolution in Westeuropa ein längerer Prozess sein wird, in der die Arbeiterklasse durch eine gründliche Aufklärung und die Praxis der Massenaktionen allmählich die Macht zur Beseitigung der Bourgeoisie aufbauen muss, und dass dazu in erster Linie das Überwinden der parlamentarischen Illusionen und der gewerkschaftlichen Führerherrschaft nötig war. Aber die Interessen Russlands standen dem entgegen. Russland wurde schwer durch die Angriffe der von Westeuropa unterstützten weißen Armee bedrängt, und es brauchte die Hilfe der westeuropäischen Arbeitermassen, die durch ihren Druck auf ihre Regierungen diese von weiteren Angriffen auf Russland zurückhalten sollten. Die Dritte Internationale, aus den vielen kommunistischen Parteien Europas gebildet, wurde zum Organ dieser russischen Politik. Dazu mussten möglichst große Arbeitermassen rasch für die Partei gewonnen werden und von ihren sozialdemokratischen Führern losgelöst werden; also Benutzung des Parlamentarismus und Eintreten in die Gewerkschaften, um sie, wie es hieß, zu revolutionieren, will sagen: die alten Führer durch neue russlandfreundliche zu ersetzen. Unter dem Einfluss der von Moskau gesandten russischen Parteivertreter, unter Benutzung der finanziellen Abhängigkeit von Moskau wurden 1919 die Vertreter einer westeuropäisch - revolutionären Taktik hinausgeworfen, und die k.p.d. stellte sich auf den Boden des „revolutionären“ Parlamentarismus und der Gewerkschaftstaktik.

Seitdem ist die k.p.d. die deutsche Filiale von Moskau geblieben. Dabei bestimmten nicht nur die russischen Interessen, sondern auch das russische Beispiel ihre Taktik und ihre Anschauungen. Nach dem Vorbild Russlands sollten die Revolutionen in Europa gemacht werden. Der große Unterschied - in Westeuropa ein hochentwickelter Kapitalismus, wo ein entwickeltes Proletariat als Bevölkerungsmehrheit durch Aufbieten ihrer ganzen Klassenkraft die mächtige Bourgeoisie zu besiegen hat, Russland ein primitives Bauernland mit einer Minorität von Industriearbeitern - wurde dabei übersehen. Russland, wo eine unfähige und veraltete Regierung und eine schwache Bourgeoisie durch die Arbeiter mit Hilfe der Bauern gestürzt war, konnte als Bauernland nur durch eine kräftige zentrale Bürokratie regiert werden, die als Aufgabe die rasche Industrialisierung des Landes hatte. So wurde die bolschewistische Partei, namentlich ihre Bürokratie, zur Regierung des Landes; die Industrie wurde Organ des Staates und die Arbeiter standen im Dienst der staatlichen Industrie. Dieses sich in Russland entwickelnde System des Staatskapitalismus wurde mit dem traditionellen Namen des Kommunismus belegt; und diese – unkenntlich gewordenen „kommunistischen“ Lehrbestimmungen – wurden Anschauungen und Ziele aller der Dritten Internationalen angeschlossenen kommunistischen Parteien.

Die Diktatur des Proletariats verwirklicht sich in der Diktatur der kommunistischen Partei – dieser Satz bildet ihre Grundlage. Anstatt der Selbstherrschaft des ganzen Proletariats tritt die Herrschaft der Partei über das Proletariat. Die revolutionäre Minorität, nicht die ganze Klasse, macht die Revolution. Die Kommunistische Partei ist es, nicht die proletarische Masse, die die Bourgeoisie besiegt und dann den Sozialismus durchführt – und in diesem Sozialismus wieder, wie in Russland, die Parteibürokratie als Leiter, als Meister, die Arbeiter als gehorsame Hände.

Natürlich spielt auch die Masse ihre Rolle, als Mitläufer, als Gefolgschaft, als Anhänger. Sie braucht nicht selbst von klarer revolutionärer Einsicht erfüllt zu sein; sie braucht nur den Losungen der Führer folgen. Wenn sie nur in entscheidenden Augenblicken mitgerissen werden kann – mag es sogar durch falsche Nachrichten sein – und durch ihre Wucht den Widerstand bricht und der Partei zum Siege verhilft, so hat sie ihre Aufgabe erfüllt. Der Massenbetrug ist der Hebel der Weltrevolution, so wurde schon 1919 diese Auffassung charakterisiert.

Massen als Anhänger gewinnen, damit die Partei Macht bekommt und ihre Ziele durchführen kann, das ist das Ziel des „revolutionären“ Parlamentarismus. Seiner Qualität nach steht er also noch unter dem alten sozialdemokratischen Parlamentarismus, wo Erziehung der Massen zum Klassenbewusstsein und zu demokratischer Selbstständigkeit das proklamierte Ziel war. Er brauchte nicht mehr, als in radikalen Reden die sozialdemokratischen Forderungen zu übertrumpfen; aber gerade durch diesen Gegensatz gegen die vorsichtige Leisetreterei jener Partei bekam er einen revolutionären Schein und konnte so die Empörung der vom Kapital bedrückten Arbeiterschichten zum Ausdruck bringen – natürlich einen völlig wirkungslosen Ausdruck. Dieser Wortradikalismus hinderte die KP nicht, zugleich in Versuchen zu Koalitions- und Stellenpolitik die Prinzipienlosigkeit ihres scheinrevolutionären Parlamentarismus zu bekunden.

Massen als Anhänger gewinnen war auch das Ziel ihrer Gewerkschaftspolitik. Statt den Massen zu zeigen, dass die Gewerkschaften gegen das Monopolkapital unbrauchbare Waffen sind und dass hier Massenkämpfe nötig sind, die durch unmittelbar von den Arbeitern selbst abhängige Aktionsausschüsse, Arbeiterräte, geleitet werden und sich stets erweitern – suchte sie die Führung der Gewerkschaften in ihre Hand zu bringen. Könnte sie die bestehende Bürokratie beseitigen – indem sie die Machtlosigkeit der Gewerkschaften der Unfähigkeit oder dem bösen Willen dieser Leute zuschrieb –  so hätte sie einen Apparat in der Hand, der ihre Parteimacht gewaltig steigern würde in allen von Moskau verordneten Wandlungen ihrer Gewerkschaftspolitik – bald hinein, um die Leitung zu erobern, bald hinaus, um möglichst große Teile als r.g.o. abzusplittern, immer war der leitende Gedanke: Anhänger gewinnen und damit Parteimacht. Wo ein Konflikt zwischen Arbeitern und Kapitalisten ausbrach, mischten sie sich ein, nicht, wie die Sozialdemokraten, um zu beschwichtigen, sondern um den Kampf anzufachen; aber dabei war ihr Ziel nicht, die selbstständige Kampfführung durch die Arbeiter zu unterstützen, sondern die Führung des Kampfes selbst in die Hand zu bekommen. Wenn von der Partei eine Streikleitung eingesetzt war, nannte sie das: Leitung des Kampfes durch die Arbeiter selbst – ähnlich wie sie in Russland das Kommando des Fabrikdirektors über die Arbeiter mit dem Namen Selbstherrschaft der Arbeiterklasse mittels der KP bezeichnet.

Massen als Anhänger gewinnen – dazu griff sie nicht bloß zu dem Parlamentarismus, der immerhin noch einer alten sozialistischen Tradition entspricht. Als während der Ruhrbesetzung die Wellen des Nationalismus hochgingen, machte sie auch in Nationalismus. Sie suchte dem emporkommenden Nationalsozialismus Konkurrenz zu machen, biederte sich beim Stahlhelm an und ließ im Reichstag den nationalistischen Parteien ein Bündnis gegen Frankreich anbieten. Allerdings muss zur Entschuldigung gesagt werden, dass sie hier nicht aus eigenem Trieb sündigte, sondern dem Gebot aus Moskau gehorchte. Was in erschreckender Weise ans Licht trat war die Tatsache, dass auch die einfachsten Gebote des politischen Klassenkampfes gegen die Bourgeoisie vor den augenblicklichen Bedürfnissen russischer Staatspolitik weichen mussten.

Man fragt sich, wie die deutschen Kommunisten dies alles schluckten. Waren sie so blind, dass sie nicht den Widerspruch dieser ganzen Taktik zu den Bedingungen des Klassenkampfes in einem großkapitalistischen Lande erkannten? Gewiss, fortwährend traten Mitgliedergruppen in Opposition zu der Partei und wurden ebenso regelmäßig hinausgeworfen; aber da keine prinzipielle Klarheit, sondern Empörung über eine praktische Tat die Ursache war, blieben die abgesplitterten Gruppen meist auf halbem Wege stehen. Die materielle Abhängigkeit von Moskau, verbunden mit der mächtigen Tradition der russischen Revolution, verhinderte die geistige Entwicklung zu einem eigenen, selbstständigen Standpunkt. Indem diejenigen, die Bedenken trugen, die durch russische Interessen bedingten Wandlungen der Taktik mitzumachen, hinausflogen, blieb nur die schmiegsame Gefolgschaft der prinzipienlosen Parteiführer, immer wieder ergänzt durch jüngere Arbeiter, deren Kampflust und revolutionärer Tatendrang sich durch scheinkommunistische Losungen mitschleppen ließen. Ihre Begeisterung und Hingabe, nicht geleitet durch eigene Einsicht, wurde dabei zu einem gehorsamen Parteifanatismus, der jede wirklich kommunistische Kritik niederprügelte.

Aus solchen Anhängern wurden bewaffnete Kampfgruppen gebildet in Nachahmung der russischen Roten Armee. Die k.p. glaubte, sich damit den Kern der Armee zu bilden, mit der sie einmal die Macht erobern wollte. Damit wird das Bild vollständig: statt der Arbeiterklasse, die durch den Aufbau ihrer eigenen geistigen und organisatorischen Massenkraft fähig wird, die Bourgeoisie zu besiegen und ihre Herrschaft über die Gesellschaft aufzurichten, eine Partei, die geleitet durch Parteiführer, mit der Masse als unwissende Gefolgschaft und mit einem bewaffneten Partei-Freikorps die Bourgeoisie besiegen zu können glaubt. Als ob solche kindische Soldatenspielerei in irgendeiner Weise gegen die Militärmacht, die die Bourgeoisie sich mit ihren ungeheuerlichen staatlichen und finanziellen Mittel verschaffen kann, aufkommen könnte.

Als dann zuletzt die Bourgeoisie auftrat, den Nationalsozialismus großzog und ihn in die Macht setzte, da brach der ganze Scheinrevolutionarismus der k.p.d. zusammen. Dann zeigte sich, wie sie all diese junge Begeisterung missbraucht und irregeleitet hatte. Statt sie zu einsichtsvollen Klassenkämpfern zu machen, mit denen eine nicht großmäulige, sondern wirklich revolutionäre Arbeiterbewegung allmählich aufgebaut wäre, hat sie sie zu blinden Werkzeugen ihrer Parteiziele gemacht. Die vielen Tausende von Kommunisten, die jetzt im Konzentrationslager misshandelt werden, sie sind die Opfer der falschen Politik der k.p.d., die der deutschen Arbeiterklasse nur Ohnmacht gebracht hat. Opfer in erster Linie der Machthaber in Russland, die das Interesse des westdeutschen Proletariats und der Weltrevolution immer hinter ihre eigenen Interessen zurückstellten. Opfer auch alle diejenigen Wortführer, die vor 12 Jahren, entgegen allen Warnungen, die k.p.d. auf diesen verhängnisvollen Weg des Opportunismus führten.

Dem deutschen – und internationalen – Proletariat wird es nicht leicht gemacht, den Weg zur Befreiung zu finden. Die Sozialdemokratie, die es in dem ersten halben Jahrhundert aufbaute, verwandelte sich in eine Reformpartei im Dienst der Bourgeoisie. Die k.p., die die revolutionären Elemente dann aufbauten, verwandelte sich bald in ein scheinrevolutionäres Werkzeug des russischen Staatskapitalismus. Das Proletariat wird wieder von Neuem anfangen müssen.


Compiled by Vico, 21 August 2021