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Antonie Pannekoek Archives

Pressedienst

Quelle: a.a.a.p.


Pressedienst

Gruppe Internationaler Kommunisten (Holland) : p.i.k.: Pressedienst der Internationalen Kommunisten-Holland, 1928-1933. – Transkribiert und herausgegeben für Rätekommunismus ; Mitarbeit von der Association Archives Antonie Pannekoek; €15,80.


Der Unterschied in den Auffassungen der I.W.W. und der Rätebewegung in Deutschland


Quelle:  Pressedienst der g.i.k., April 1931 (i.i.s.g. ); Transkribiert und herausgegeben für Rätekommunismus ; Mitarbeit von der Association Archives Antonie Pannekoek.


III. (Schluss)

Wir bauen die Struktur der neuen Gesellschaft in der Hülle der alten

Zum Schluss wollen wir noch darauf hinweisen, dass die i.w.w. die Struktur der neuen Gesellschaft in der Hülle der alten aufbauen will, während die a.a.u. solche kühnen Pläne nicht in ihrem Programm hat, – dies ist eine der Grundprinzipien der i.w.w., so viel wie ihr Glaubensbekenntnis; es ist die kurze kräftige Formulierung, nach der sie die Arbeiter für den Kommunismus sammelt; es ist der zentrale Programmpunkt, der in jeder Zeitung abgedruckt wird und den man in allen Artikeln und Reden wiederfindet. Die i.w.w. sieht in der Bildung von Industrie-Organisationen auf allen Gebieten die nicht zu umgehende Vorbedingung für die Durchführung des Kommunismus. So glaubt die i.w.w. zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen: Durch die Vereinigung der Arbeiter in Industrie-Organisationen sind sie dem Industriekapital gewachsen, und sie bauen zugleich damit die Organe, die die Produktion nach der Eroberung der ökonomischen Macht fortsetzen.

Eigentlich war es ziemlich überflüssig von der i.w.w., diesen Punkt in ihr Programm aufzunehmen. Es ist nun einmal so, dass jede Organisation sich anmaßt, berufen zu sein, die Produktion nach der Überwindung des Kapitalismus in die Hand nehmen zu müssen. Jede Organisation im Klassenkampf denkt, dass sie „die Struktur der neuen Gesellschaft im Schoße der alten“ aufbaut. Die Tatsache, dass die verschiedenen Organisationen eine verschiedene Struktur haben, drückt auch aus, dass sie alle eine verschiedene Auffassung von der Durchführung des Kommunismus haben. Die Struktur einer Organisation für den praktischen Klassenkampf und ihre Auffassung über den Kommunismus stehen in direkter Beziehung zueinander. Es ist dies eine so enge Beziehung, dass man aus der Struktur einer Organisation ihre Auffassungen über den Kommunismus ableiten kann. In Europa tritt diese Erscheinung in der Gewerkschaftsbewegung (Gildensozialismus und Betriebsdemokratie) und auch in den politischen Parteien (die radikale Sozialdemokratie vom Typ Moskau und die Reformisten der Zweiten Internationalen) sehr deutlich zutage. Die föderative Struktur der syndikalistischen Gewerkschaften stimmt auch wieder überein mit einer Auffassung über den Kommunismus, die ihm einen ausgeprägt föderalistischen Charakter gibt. Und darum war es wirklich überflüssig diesen Punkt besonders im Programm der i.w.w. aufzunehmen. Alle sogenannten sozialistischen oder kommunistischen Organisationen sind der Ansicht, dass sie die Struktur der neuen Gesellschaft im Schoße der alten aufbauen. Die Moskau-Kommunisten zum Beispiel gedenken das zu tun durch die Schaffung einer Partei mit eiserner Parteidisziplin und der „Eroberung“ der Gewerkschaften. Die Partei wird dann im Kommunismus zum Kern des Staatsapparates, während die Gewerkschaften als Vermittler auftreten müssen zwischen den Arbeitern und dem Staat (Die Gewerkschaften sollen kollektive Arbeitsverträge mit den Führern der Staatsbetriebe abschließen). Das ist ihre Auffassung vom Bauen der Struktur der neuen Gesellschaft in der Hülle der alten.

Wenn also die i.w.w. diese Formulierung in ihr Programm aufgenommen hat, dann wird dies an sich keinen Unterschied mit der Rätebewegung ausmachen. Es kommt nur darauf an, was die i.w.w. darunter versteht. Aber gerade diese nähere Erklärung bildet einen direkten Gegensatz zu den Auffassungen der Rätebewegung. Eine Organisation mit den Auffassungen der i.w.w. in Europa würde hier mit aller Schärfe bekämpft werden, weil diese Auffassung in scharfem Gegensatz zu der revolutionären Entwicklung in Europa steht.

Die i.w.w. hat wohl die soziale Revolution auf ihrem Programm, aber sie macht diese abhängig von der organisatorischen Macht der i.w.w.. Sie übersetzt den bekannten Satz von Marx, dass die neue Gesellschaft im Schoße der alten geboren wird, in dem Sinne, dass die Arbeiterklasse im Laufe der Zeit sich in der Organisation der i.w.w. den Apparat aufbaut, womit sie die Produktion fortsetzen kann. „Nur wenn das Proletariat eine Form entwickelt hat (gemeint wird ein organisatorischer Apparat – g.i.c.), die die Interessen des Menschen beherzigen kann, dann wird die soziale Revolution eine der Tatsache der Geschichte werden.“ (The i.w.w. what it is … Seite 29). Solange die i.w.w. noch nicht genügend Industrien organisiert hat, kann von einer sozialen Revolution keine Rede sein. „Wenn die organisierte Macht des Proletariats größer wird als die organisierte Macht der anderen Klasse, dann wird die soziale Revolution kommen.“ (25 Years, Seite 12)

Die Organisation, die diese organisierte Macht zustande bringen soll, die alle Arbeiter, welche Arbeit sie auch verrichten, umfasst, das soll die One Big Union (eine große Union), die i.w.w. sein. Sie baut ihre Organisation so auf, dass diese, ihrer Meinung nach, die Produktion ohne Weiteres von den Unternehmen übernehmen kann.

Die Organisation ist zu diesem Zwecke in sechs Departements zusammengefasst (zum Beispiel die Departements für Landwirtschaft, Transport, öffentliche Betriebe usw.), in denen die dazugehörenden Industrie-Organisationen zusammengefasst sind. Je mehr Industrien die i.w.w. zu organisieren weiß, desto vollständiger ist sie in den Departements zusammengefasst.

Wenn schließlich die Mehrheit der Arbeiter in diesem Sinne verbunden ist, dann steht dem organischen Funktionieren der Produktion nur noch das Gewinninteresse der Unternehmer und Kapitalisten im Wege. Darum ist auf dieser Stufe von organischer Entwicklung eine Revolution unvermeidlich, denn „sowohl in der Theorie als in der Praxis beginnt und endigt die i.w.w. mit der Idee, dass, wenn die Arbeiter der Welt die Industrien in der Welt beherrschen, sie diese auch besitzen und kontrollieren müssen.“ (The i.w.w. in Theory and Practice, Seite 5).

Die i.w.w. ist darum auch ein Gegner des bewaffneten Aufstandes im Klassenkampf. Sie ist davon überzeugt, in militärischer Hinsicht niemals dem Kapital gewachsen zu sein, sie überlässt darum die Gewalt der herrschenden Klasse. Aber niemals schreckt sie vor den Maschinengewehren und Gasbomben der Bourgeoisie zurück, sie nimmt sie als die nun einmal notwendigen „Kriegskosten“ hin. Ein unerschütterlicher Idealismus gibt den Wobblies die Kraft, um mit Ruhe den Mörderbanden des amerikanischen Kapitals unbewaffnet entgegenzutreten. Der Sieg der Arbeiterklasse ist nicht der mit Erfolg durchgeführte bewaffnete Aufstand, sondern dieser Sieg, die soziale Revolution, fällt als eine reife Frucht in die Hände der Arbeiterklasse, wenn die Arbeiter überall in Industrie-Organisationen zusammengefasst sind. Darum sieht die i.w.w. das Wachsen der sozialen Revolution in dem Wachsen ihres organisatorischen Apparates. Der Lohnkampf ist dabei der Hebebaum des Kommunismus. Der Lohnkampf soll den Mehrwert fortwährend weiter angreifen, so dass dieser „auf Null“ gebracht ist, während zugleich der Kampf um die Kontrolle der Produktion den Kommunismus Schritt für Schritt näherbringt. „Wenn wir organisiert sind, werden wir, die Arbeiterklasse, die Macht haben. Mit dieser Macht werden wir zurücknehmen, was uns gestohlen ist. Wir werden stets mehr Lohn von unseren Unternehmen fordern. Wir fordern und erzwingen stets weniger Arbeitsstunden. Wenn wir diese Forderungen durchsetzen, vermindern wir dadurch die Gewinne der Unternehmer. Wir nehmen ihnen die Macht weg und gewinnen diese Macht für uns. Wir werden fortwährend besser diszipliniert und bekommen stets mehr Selbstvertrauen.“ (The revolutionary i.w.w., Seite 11)

„Die industrielle Macht ist die unwiderstehbare Kraft, die die i.w.w. auf den Kampfplan bringen wird. Wenn die Macht der Arbeit, die in jeder Industrie und in allen Industrien notwendig ist, kontrolliert wird durch eine Organisation, die alle Arbeiter, welche Arbeit sie auch verrichten, umfasst, wird es nicht nur möglich, sondern sogar sicher sein, dass diese Kontrolle angewandt wird in der Richtung zur Erlangung eines höheren Lebensstandards, als Meilensteine auf dem Weg zur industriellen Freiheit.“ (The i.w.w., what it is, Seite 37)

In Wirklichkeit ist „das Bauen der Struktur der neuen Gesellschaft in der Hülle der alten“ nach der Auffassung der i.w.w. ein revolutionärer Prozess. Wir wachsen so langsam in den Kommunismus hinein. Wir höhlen langsam den fetten Käse des Mehrwertes von innen aus, so dass die Hülle später als ein überflüssiges Ding, durch niemanden begehrt, weggeworfen wird.

In der gleichmäßigen Entwicklung zum Kommunismus zeigt die i.w.w. also eine wunderbare Übereinstimmung mit den Auffassungen der reformistischen Gewerkschaftsbewegung in Europa. Der Unterschied zwischen beiden besteht darin, dass die Gewerkschaftsbewegung diesen Zustand glaubt erreichen zu können durch Zusammenarbeit von Kapital und Arbeit (kollektive Arbeitsverträge), während die i.w.w. sich dessen bewusst ist, dass der Wachstumsprozess sich unwiderruflich gegen das Kapital vollziehen muss. (Eine i.w.w.-Organisation in Montana wurde als Organisation aus der i.w.w. ausgeschlossen, weil sie einen Kontrakt mit den Unternehmern abgeschlossen hatte. Siehe: The i.w.w. in theory and practice, Seite 78).

Es liegt auf der Hand, dass die Rätebewegung diese Auffassung vom „Bauen der Struktur der neuen Gesellschaft in der Hülle der alten“ nicht teilen kann. Nach unserer Auffassung ist das Entstehen einer Revolution nicht gebunden an „die organisierte Macht“ des Proletariats. Die Revolution klopft an die Tür der Geschichte, wenn die Illusion von der Demokratie und den Verbesserungen der Lebensbedingungen innerhalb des Kapitalismus gebrochen ist und der anhaltende Druck auf die Massen so gewaltig geworden ist, dass nicht die geringste Hoffnung auf einen Ausweg übrigbleibt. Dann entladen sich die physischen Spannungen in Selbstaktivität, ohne erst das Hauptquartier der i.w.w. Chicago oder auch in Berlin zu fragen: Seid ihr bereit mit euren Industrie-Organisationen?

Die Erfahrung hat uns gelehrt, dass sich die Massen erst in der Revolution organisieren, aber nicht nach den Prinzipien der Industrie-Organisation. Und darum kann die Rätebewegung die Präambel (Prinzipienerklärung) der i.w.w. nicht anerkennen: Nicht wegen dem, was darinsteht, sondern wegen der näheren Erklärung, wie sie in den Schriften der i.w.w. niedergelegt ist.

Die Rätebewegung und der Kommunismus

Wie steht nun die Rätebewegung der Durchführung des Kommunismus gegenüber? Ist aus der Struktur der Rätebewegung auch ihre Auffassung über den Kommunismus abzuleiten? Das ist sicher der Fall. Wohl baut sie nicht die neue Gesellschaft im Schoße der alten auf, wohl baut sie ihren Apparat in Wirklichkeit erst in der Revolution, aber doch werden ihre Auffassungen durch ihre Auffassungen [über] ihre Struktur bestimmt, weil wir der Meinung sind, dass das Betriebsleben unter der Verwaltung der Betriebsorganisation fortgesetzt wird.

Es ist eigentlich nicht ganz richtig von den Auffassungen über den Kommunismus in der Rätebewegung zu sprechen. Ihre Auffassungen gehen nicht über die Parole hinaus: „Nimm die Produktionskräfte durch die Betriebsorganisationen in eigene Hände.“ Sie spricht wohl von der Aufhebung der Lohnarbeit, aber sie sagt nicht, wie das geschehen soll, sie sagt nicht, an welche Bedingungen das gebunden ist. Mit anderen Worten: Sie hat keine Vorstellung von den Bewegungsgesetzen des kommunistischen Betriebslebens. Die französischen Genossen gehen scheinbar einen Schritt weiter, indem sie die Aufhebung der Lohnarbeit verlangen durch die Abschaffung des Marktes und des Geldes, während das Betriebsleben sich „ohne Arbeitszwang“ vollziehen soll. Doch dies ist nur scheinbar ein Schritt weiter, weil nur angegeben wird, wie es nicht sein soll, – ohne Markt, ohne Geld und kein Arbeitszwang. Aber damit können wir sehr wenig anfangen, weil wir wissen müssen, wie es wohl sein muss. In dieser Frage schweigen die Räteorganisationen in allen Sprachen, wodurch nicht mehr gesagt wird, als dass man in Wirklichkeit keine Vorstellung von der konkreten Aufgabe der sozialen Revolution hat.

Dies ist natürlich eine unhaltbare Position für eine Bewegung, die die Durchführung des Kommunismus auf ihre Fahne geschrieben hat. Die Rätebewegung fordert die Arbeiter auf, das Lohnsystem zu vernichten, aber eine Vorstellung von den Bedingungen, die damit verbunden sind, hat sie nicht. Ein Teil der Rätebewegung ist sich dieses Mangels sehr gut bewusst, während ein anderer Teil der Meinung ist, dass sich dies von selbst finden wird. Hier ist das Wort von Wagner am richtigen Platz: „Die AAU bewegt sich, aber sie weiß nicht wohin.“ Sie weiß nicht wohin, weil sich tatsächlich immer „die Dinger finden“. Nur ist damit nicht immer gesagt, dass der gefundene Weg zum Kommunismus führt. Russland hat ein ausgezeichnetes Beispiel von einem Zustand gegeben, in dem der Privatbesitz an Produktionsmitteln in der Industrie aufgehoben ist, während die Arbeiter doch Lohnarbeiter geblieben sind. Es ist darum in der Rätebewegung von zwei Seiten der Versuch unternommen worden, mit einem klaren, konkreten Programm vor die Massen zu treten, so dass wir sagen können: Hier habt ihr unsere Auffassungen vom Kommunismus. Und so müssen wir es durchführen. Der eine Versuch wurde von der a.a.u. (Frankfurt) unternommen durch die Herausgabe der Schrift: „Vom Manifest zum Gesetz“. Der andere Versuch ging von der Gruppe der Internationalen Kommunisten (Holland)“ aus, die ihre Ansicht in den „Grundprinzipien kommunistischer Produktion und Distribution“ klarlegte.

Bis jetzt haben diese Versuche noch zu keiner einheitlichen Auffassung geführt. Aber doch steht die Rätebewegung in Hinsicht auf die Durchführung der sozialen Revolution günstiger da als die i.w.w., weil die Rätebewegung Raum lässt für die Entfaltung der Selbstaktivität der Massen, während die i.w.w. sie in ihren organisatorischen Apparat pressen will. Dies muss natürlich mit einem Fiasko enden. Worauf es ankommt ist, diese psychischen Kräfte zu ordnen, zu richten und ihnen die gleiche Richtung zu geben. Die Ordnung ist aber nicht in erster Linie eine organisatorische Angelegenheit, sondern ökonomischer Art. Diese Ordnung kommt zustande durch die Einführung allgemeiner Regeln für die Produktion, wonach die Arbeiter die Betriebe selbstständig leiten und verwalten können. Damit nehmen alle Arbeiter unter gleichen ökonomischen Bedingungen am Betriebsleben teil und werden dadurch zu gleichen Produzenten. Zugleich muss die Rätebewegung allgemeine Regeln für die Konsumtion geben, das heißt, sie muss die Arbeitszeit als Maßstab für den individuellen Konsum durchführen. Dadurch nehmen dann alle unter den gleichen Bedingungen am Konsum teil, das heißt, die Arbeiter sind auch gleich als Konsumenten.

Auf dieser Grundlage können die Arbeiter selbstständig die Betriebe verwalten und sind dann freie Produzenten, während die Verbindungen, die Betriebe untereinander schaffen, zu der „Assoziation der freien und gleichen Produzenten“ führen.

Nachschrift

Genossen der i.w.w. und a.a.u.d.,

Aus der obigen Artikelserie ist ersichtlich, dass die Gruppen der Internationalen Kommunisten (Holland) der Ansicht sind, dass die Auffassungen der i.w.w. und der a.a.u.d. in Bezug auf die soziale Revolution derart auseinander gehen, dass von einer organisatorischen Verschmelzung keine Rede sein kann. Doch wenn wir auch in unseren Grundauffassungen auseinander gehen, so sind wir doch keine Feinde. Darum sind wir im augenblicklichen Stadium angewiesen auf ein „getrenntes Marschieren“ und gemeinsames Handeln, wo dies möglich ist. Die Praxis des internationalen Klassenkampfes muss die Bildung der Einheit bringen.


Compiled by Vico, 28 May 2021


























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