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Antonie Pannekoek Archives

Pressedienst

Quelle: a.a.a.p.


Pressedienst

Gruppe Internationaler Kommunisten (Holland) : p.i.k.: Pressedienst der Internationalen Kommunisten-Holland, 1928-1933. – Transkribiert und herausgegeben für Rätekommunismus ; Mitarbeit von der Association Archives Antonie Pannekoek; €15,80.


Die Sozialisierung der Landwirtschaft – I.


Quelle:  Pressedienst der g.i.k., September 1930 (i.i.s.g. ); Transkribiert und herausgegeben für Rätekommunismus ; Mitarbeit von der Association Archives Antonie Pannekoek.


Die Verballhornungen des Marxismus

Die „Agrarpolitischen Bemerkungen“ der französischen Genossen vom L’Ouvrier Communiste (siehe Kampfruf, Nr. 30, 1930), die als Erwiderung auf unserer Schrift über die „Entwicklungslinien in der Landwirtschaft“ geschrieben wurden, machen nähere Erläuterungen unsererseits notwendig. Es muss vor allem mit vollem Nachdruck betont werden, dass die „Entwicklungslinien“ einen ganz besonderen Zweck haben. Es geht nicht um die Entwicklungslinien „an sich“, sondern um die Entwicklungslinien von dem Gesichtswinkel der sozialen Revolution aus. Das Kernstück unserer Betrachtungen ist, Breschen zu schlagen in die staatskapitalistischen Auffassungen über die soziale Umwälzung, so wie diese bei den Sozialdemokraten, Moskoviten, als auch zum Teil noch innerhalb der Unions-Bewegung vertreten werden.

In der Frage der sozialen Revolution handelt es sich um ein vollständiges „Umlernen“ der Verballhornungen des Marxismus, wie wir diese seit Jahrzehnten von den Marx-Epigonen gelernt haben.

Die radikale Sozialdemokratie (Bolschewiki) sowohl als die reformistische hat die marxistische Lehre gerade in dem entscheidenden Punkt der „Assoziation freier und gleicher Produzenten“ … „revidiert“, was wieder zurückzuführen ist auf eine „Revidierung“ der marxschen Auffassung der Vergesellschaftung des Arbeitsprozesses. Im marxistischen Sinne ist die Vergesellschaftung des Arbeitsprozesses nichts mehr und nichts weniger, als dass die Warenproduktion im Laufe der Entwicklung zur herrschenden Produktionsweise wird. Immer weitere Kreise von Produzenten arbeiten für den Markt. Jeder fertigt, was er selbst nicht verbraucht; er schafft Produkte für andere. Jeder arbeitet für die Gesellschaft und dadurch wird jede Arbeit zu gesellschaftlicher Arbeit.

Die Sozialdemokratie aller Schattierung verballhornt aber diese Auffassung der Vergesellschaftung des Arbeitsprozesses. Sie sieht die Vergesellschaftung der Produktion in dem Wachsen der Syndikate, Trusts und Kartelle. Sie verwechseln die Vergesellschaftung mit den Formen, in welchen die kapitalistische Produktion sich organisiert. In Wahrheit nichts anderes als die Form, in welcher die privatkapitalistische (oder kollektivkapitalistische) Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel, das Produkt und die gesellschaftliche Arbeit sich organisiert und konzentriert. Sie verwechselt die speziell kapitalistischen Organisationsformen zur Beherrschung der gesellschaftlichen Arbeit mit der gesellschaftlichen Arbeit selbst!

Kein Wunder, dass bei dieser Begriffsverwechslung die Auffassung des Kommunismus eine ganz andere Richtung nimmt, als aus der marxistischen Auffassung der Vergesellschaftung der Arbeit folgt. Für die radikale Sozialdemokratie (Bolschewiki) sowohl als für die reformistische wird dadurch der vertikale Trust das Musterbild der kommunistischen Produktion („Die ganze Volkswirtschaft organisiert nach dem Beispiel der Post […] das ist unsere erste Aufgabe.“ Lenin: „Staat und Revolution“, S. 50 der holländischen Übersetzung (*)).

Wie wirkt die Verballhornungen des Marxismus sich nun in der Agrarfrage aus?

Die Tatsache, dass die Landwirtschaft nicht in zentralen Knotenpunkten (Trusts, Syndikaten) organisiert ist, wird dahin gedeutet, dass die agrarwirtschaftliche Arbeit noch nicht vergesellschaftet ist. Und gerade durch das Fehlen der zentralen Beherrschungspunkte wäre die „Sozialisierung“ der Agrarbetriebe nicht durchzuführen. Die soziale Revolution muss daher nach dieser Auffassung vor der Agrarwirtschaft halt machen, oder aber, sie muss die zentralen Beherrschungspunkte sofort schaffen, indem sie die Parzellierung aufhebt und die einzelnen Bauernbetriebe zu Riesenbetrieben unter einheitlicher Verfügungsgewalt zusammenlegt.

Letztere Auffassung haben sich die Genossen der L’Ouvrier Communiste zu eigen gemacht. Wir betrachten sie aber als völlig verfehlt, weil eine derartige Wirtschaftsgestaltung nur zu einer Diktatur über die Arbeiterklasse führt. Die Frage des Kommunismus ist nicht in erster Instanz eine Frage der Organisation der Bedarfswirtschaft, sondern eine Frage der inneren Bewegungsgesetze des Systems. Diese sind entscheidend für den organisatorischen Aufbau.

Die marxistische Auffassung über die Vergesellschaftung des Arbeitsprozesses bezieht sich nicht auf ihre organisatorische Form. Sie besagt nur, dass die Wirtschaft zur Warenproduktion übergegangen ist, weiter nichts. In der Schrift „Entwicklungslinien in der Landwirtschaft“ ist nur nachgewiesen, dass auch die Agrarwirtschaft zur Warenproduktion übergegangen ist, dass diese Arbeit also vergesellschaftet ist, obwohl sie sich ganz anderer Organisationsformen bedient als die Industrie.

Die soziale Revolution

Die Arbeiterklasse hat aus diesen Tatsachen ihre Konsequenzen zu ziehen. Wir müssen in der althergebrachten Auffassung über die kommunistische Wirtschaftsgestaltung vollständig „umlernen“. Die Sache ist, dass wir uns vorläufig nicht nur auf Probleme zweiter Ordnung drängen lassen dürfen. Vorläufig haben wir noch nichts mit dem Problem der rationalen Wirtschaftsgestaltung zu schaffen. Vorläufig interessiert es uns nicht, inwieweit der Großbetrieb dem Kleinbetrieb überlegen ist, oder ob und inwieweit es angebracht ist, zentrale Beherrschungspunkte der gesellschaftlichen Arbeit zu schaffen. Die Frage der Aufhebung der Parzellierung in der Agrarwirtschaft und die Formierung agrarischer Riesenbetriebe steht noch nicht zur Debatte. Derartige Probleme können erst behandelt werden, wenn wir über den Charakter der neuen Produktions- und Rechtsverhältnisse, welche für das ganze Wirtschaftssystem Geltung haben und auf welchem die organisatorischen Umwandlungen vor sich gehen, im Klaren sind.

Das ist der entscheidende Punkt. Es genügt nicht zu sagen, dass die soziale Revolution neue Produktions- und Rechtsverhältnisse schafft, vielmehr müssen wir eine Zielsetzung haben, wie diese umgestaltet werden sollen.

Alles Gerede über rationale Wirtschaftsgestaltung oder über die Organisierung der Bedarfswirtschaft muss als leerer sozialdemokratischer oder anarchistischer Utopismus zurückgewiesen werden, wenn es nicht seinen Ausgangspunkt in den neuen Produktionsverhältnissen nimmt, das heißt, wenn es nicht auf dem exakten Boden der neuen Ökonomie der Bedarfswirtschaft fußt. Tatsache ist doch, dass die Aufhebung des sozialen Verhältnisses Kapitalist-Lohnarbeiter das Legen eines neuen Verhältnisses der Produzenten zum gesellschaftlichen Gesamtprodukt (Regelung des Konsums) bedingt. Andererseits bedingt die Aufhebung des Privatbesitzes an Produktionsmitteln das Festlegen eines neuen Verhältnisses der Arbeiter zu den von ihnen bearbeiteten Produktionsmittel und dem hergestellten Produkt (Regelung der Güterbewegung). Mit anderen Worten: Die neuen Produktionsverhältnisse werden zu neuen Rechtsverhältnissen.

Es handelt sich bei den neuen Produktionsverhältnissen darum, die ganze Wirtschaft zu einem geschlossenen Ganzen zusammenzuschweißen. Zwar sind jetzt alle Betriebe, seien es industrielle oder agrarische, durch den gesellschaftlichen Arbeitsprozess technisch verbunden, aber durch die Profitinteressen der Privatbesitzer führen sie den Kampf aller gegen alle, und sie können daher ökonomisch kein einheitliches Ganzes bilden. (Zweiter Ordnung heißt nicht, dass sie von weniger Wichtigkeit sind, sondern dass diese erst an zweiter Stelle gelöst werden können.) Die soziale Revolution hat daher die Aufgabe, die jetzt schon technisch verbundenen Betriebe auch ökonomisch zu einer Einheit zu verbinden und dadurch diese Gegensätze aufzuheben. An deren Stelle tritt eine wirkliche Regulierung des Gesamtprozesses. In Anlehnung an Marx und Engels haben wir anderswo ausgeführt, dass diese Regulierung nichts anderes ist, als dass jeder Betrieb seinen Verbrauch an gesellschaftlichen Gütern berechnet, um die Produktionszeit des Produkts festzustellen. Die gesellschaftlich durchschnittliche Produktionszeit wird damit zu dem zentralen Begriff, der das ganze Wirtschaftsgetriebe reguliert und zusammenschweißt. Damit sind dann für alle Produzenten die gleichen ökonomischen Bedingungen für ihre Produktion geschaffen; das heißt, sie nehmen alle unter den gleichen ökonomischen Bedingungen an dem Gesamtprozess teil; das heißt, sie sind zu gleichen Produzenten geworden.

Das ist eben das Großartige im Kommunismus. Jeder Betrieb ist nicht mehr als eine Zelle im großen Gesamtwirtschaftskörper. Aber auch nicht weniger! Jede Zelle hat ihre eigenen Aufgaben (ihre eigene Differenzierung), welche sich nur in Selbstbewegung vollziehen kann. Und zugleich ist diese Selbstbewegung nur möglich in und gerade durch den begrenzenden Rahmen der allgemeinen Bewegungsgesetze des Gesamtkörpers. In dem begrenzenden Rahmen entfaltet sich die freie Selbstaktivität und Selbstbewegung, und daher werden die Arbeiter durch diese Begrenzung zu freien Produzenten. Die Bindungen, welche die Produzenten durch ihre Betriebsorganisation mit ihrer „Umwelt“ machen, verwesentlichen so die Assoziation freier und gleicher Produzenten.

In dieser Auffassung der sozialen Revolution ist es also ziemlich gleichgültig, ob die Betriebe hoch entwickelt oder noch zurückgeblieben sind, ob sie industrieller oder agrarischer Natur sind, ob die Wirtschaftsbranche sich nach Klein- oder Großbetrieben vollzieht. Die einzige Bedingung, welche gestellt wird, ist diese, dass der Betrieb bei der gesellschaftlichen Arbeit eingeschaltet ist. Zweck der Schrift „Über die Entwicklungslinien in der Landwirtschaft“ ist nun nachzuweisen, dass dies in der Landwirtschaft tatsächlich der Fall ist und dass damit die ganze Gesellschaft reif für die Assoziation der freien und gleichen Produzenten ist.

Scheinbare Lösungen des L’Ouvrier Communiste

Zu unserem Bedauern sind die französischen Genossen an diesem Kernpunkt unserer Auffassungen stillschweigend vorbeigegangen, was nichts anderes heißen soll, als dass es uns nicht gelungen ist, die Lösung der Probleme der sozialen Revolution auf neue Bahnen zu lenken. Wir sind offensichtlich noch nicht deutlich genug gewesen, ein Mangel, den wir hier versucht haben, einigermaßen nachzuholen. Es muss aber betont werden, dass die Genossen den Eindruck erwecken, als nehmen sie die Assoziation freier und gleicher Produzenten zum Ausgangspunkt ihrer Betrachtungen bezüglich der Sozialisierung der Landwirtschaft, weil die Wirtschaft sich vollziehen soll unter „Aufhebung des Marktes, des Geldes und der erzwungenen Arbeit“, während sich „die (kollektive) Leitung der produktiven Kräfte durch die Produzenten“ vollzieht.

Es muss hierbei auffallen, dass hier nur scheinbar eine Umschreibung der Bedarfswirtschaft gegeben wird. In Wirklichkeit schwebt dies in der Luft, weil nur angegeben ist, was nicht sein soll: Kein Markt, kein Geld und keine erzwungene Arbeit. Das Ding hat nicht Hand noch Fuß, und es ist nichts damit anzufangen. Es ist darum nicht zu verwundern, dass diese „Grundlage“ bei den Genossen weiter keine Rolle spielt bei der Untersuchung der Probleme der Sozialisierung der Landwirtschaft. Die „Grundlage“ ist ein fremdes Element in den weiteren Untersuchungen.

Nach diesen einleitenden Bemerkungen müssen wir die „agrarpolitischen Bemerkungen“ der französischen Genossen näher prüfen. Wir wollen dabei die Nebensächlichkeiten außer Acht lassen und uns auf das Wesentliche beschränken. Darum betrachten wir erstens die Aufhebung der Parzellierung, so wie die Genossen das notwendig erachten (Zusammenschluss der Betriebe), zweitens den Gegensatz Großbetrieb-Kleinbetrieb und drittens die Betriebsräte in der Landwirtschaft.


Redaktionelle Anmerkung

*) Lenin, Werke, Bd. 25, S. 440.


Compiled by Vico, 21 August 2021


























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