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Antonie Pannekoek Archives

Pressedienst

Quelle: a.a.a.p.


Pressedienst

Gruppe Internationaler Kommunisten (Holland) : p.i.k.: Pressedienst der Internationalen Kommunisten-Holland, 1928-1933. – Transkribiert und herausgegeben für Rätekommunismus ; Mitarbeit von der Association Archives Antonie Pannekoek; €15,80.


Französischer Hafenarbeiterstreik


Quelle:  Pressedienst der g.i.k., Nr. 8 vom 13. Januar 1929 (i.i.s.g. ); Transkribiert und herausgegeben für Rätekommunismus ; Mitarbeit von der Association Archives Antonie Pannekoek.


Von Edo Fimmen (*)

Edo Fimmen, der „revolutionäre Gewerkschaftler“ der i.g.b., Mitarbeiter an unserem Pressematerial? Wie die großen Herren sich doch erniedrigen können, werdet ihr denken. Doch es ist nicht so schlimm, er weiß nichts davon. Wir wollen hier nur einen Bericht wiedergeben, den er in der Zeitung der Linkssozialisten geschrieben hat. Zusammenfassend steht folgendes darin:

Es geht eine Streikwelle durch das französische Hafenproletariat in Le-Havre, Nantes, Bordeaux, Marseille, St. Malo, Corsica. Über den Streik in Bordeaux wird dann von Fimmen hauptsächlich berichtet, weil er diesen persönlich mitmachte.

Nach langandauernden Unterhandlungen mit dem Hafenkapital wurde endlich am 23. September von der „reformistischen“ Gewerkschaft (c.g.t.) mit der Forderung, den Tagelohn von 31 auf 36 Francs zu bringen, der Streik proklamiert. Er endete nach acht Wochen buchstäblichem Hungern durch Schlichtung mit vier Francs Lohnerhöhung.

So weit ist nicht viel Bemerkenswertes dabei. Betrachtet man die Dinge aber näher, dann kommen schon die „besonderen französischen Verhältnisse“ ans Licht. Es waren hier 2500 Streikende, wovon 150 organisiert in der c.g.t. und 150 in der „revolutionären“ Gewerkschaft, der c.g.t.u.. Also im Ganzen 300, d.h. fast 90% unorganisiert.

Die Unterstützung der Streikenden wurde von den beiden Gewerkschaften organisiert, reichte aber nur für 1,50 Mark [Francs (?)] per Woche. Weiter muss bemerkt werden, dass der sozialistische Gemeinderat zweimal 50 Francs für jedes Kind der Streikenden zur Verfügung stellte. Wenn die Arbeiter unter diesen Umständen acht Wochen mit Erfolg durchgehalten haben, dann kann man nur einen Salut an ihre feste Entschlossenheit bringen.

Die eigentliche Leitung des Streiks geschah von einem Ausschuss von 15 bis 20 Mann, zum Teil Mitglieder der Gewerkschaften und eine „größere Zahl Unorganisierter“, wodurch man die Einigkeit nach Außen demonstrierte. „Am Anfang wurde diese ‚Einigkeit‘ so weit getrieben, dass in den Versammlungen der Streikenden weder der Sekretär der ‚reformistischen‘ Zentrale noch der der ‚revolutionären‘, sowie überhaupt kein Vertreter der Gewerkschaften zugelassen wurden. Später ist man auf diesen Idioten(?)-Beschluss zurückgekommen.“


Es fragt sich nun, wie es eigentlich mit der ideologischen Beschaffenheit dieser Hafenarbeiter bestellt ist. Nach Auffassung Fimmens ist die große Zahl Unorganisierter auf soziale Rückständigkeit der Arbeiter zurückzuführen. Sicher könnte das der Fall sein, doch ihre Haltung entspricht dem absolut nicht. Bei sozialer Rückständigkeit hätten die Unorganisierten die gewerkschaftliche Leitung, welche doch eine gewisse finanzielle Unterstützung sicherte, als eine Selbstverständlichkeit hinnehmen müssen. Es zeigte sich aber eine unzweideutige, prinzipielle Ablehnung gewerkschaftlicher Führung. Die Tatsache, dass selbst die Vertreter der zugehörigen Gewerkschaften, die doch schließlich den Streik ausgerufen haben, nicht in die Versammlungen der Streikenden zugelassen wurden, zeigt zur Genüge, dass sich hier die Ideologie des Selbsthandelns und der Selbstaktivität offenbarte. Zwar waren „Mitglieder [der] Gewerkschaften“ im Streikausschuss, aber offensichtlich waren sie dort als Arbeiter, die noch im Produktionsprozess stehen. Die Hafenarbeiter brachten zum Ausdruck, dass sie ihre Einheit nur als Gesamtheit finden können, als „Betriebsganzes“, mit Beiseitestellung der Gewerkschaften.

Schließlich haben die Proleten aber ihren „Idioten-Beschluss“ aufgehoben und sich vor der Bonzokratie gebeugt. Letztere hat also noch den Sieg über die Selbsttätigkeit der Arbeiterschaft davontragen können. Diese Niederlage der neuaufkommenden Ideologie hat zwei Wurzel. Erstens waren die Streikenden auf die Unterstützungsgelder der Gewerkschaften angewiesen und zweitens brauchte man, durch das Fehlen eigener Schlagkraft, die Berufshändler in Arbeitskraft noch, um die „parlamentäre Abwicklung des Kampfes“ in die Wege zu leiten.

Der Streik in Bordeaux öffnet, insbesondere für Frankreich, noch andere Gesichtspunkte von mehr allgemeiner Bedeutung. Wir sind gewohnt, die ideologische Einstellung der Arbeiterschaft an ihren Organisationen abzumessen. In diesem Stadium der Arbeiterbewegung von „Umwertung aller Werte“ ist aber viel wichtiger festzustellen, wie das Leben in der Arbeiterschaft selbst sich durchringt [?]. Das Treiben der Organisationen ist wichtig, aber der schüchtern einsetzende Drang nach „Selbstbestimmung“ der Arbeiterkämpfe ist wichtiger. Gerade die Keime des neuen Lebens kommen in den altmodischen Organisationen nicht zum Ausdruck, und darum ist eine genaue Durchstudierung aller einzelnen Kämpfe auf Motive und Handlung der Arbeiter selbst das Gebot der Zeit. Die Kritik an den alten Organisationen ist gut, aber besser ist, der Arbeiterschaft vor Augen zu führen, inwieweit sie den Weg zur „Selbstbestimmung“ schon gefunden hat. Das gibt Kraft und Stärkung, und die haben wir als Klasse vor allem nötig.

Von diesem Gesichtspunkt aus können wir mit den von Fimmen so freundlich mitgeteilten Tatsachen vorläufig zufrieden sein. Wir schließen daraus, dass in Frankreich ein Gebiet liegt für prinzipielle antigewerkschaftliche Propaganda und für die ideologische und praktische Vorbereitung der Betriebsorganisationen als Waffen in der sozialen Revolution und als Selbstverwaltungskörper der kommunistischen Wirtschaft (**).


Redaktionelle Anmerkungen

*) Edo Fimmen  (1882-1942) war ein niederländischer und internationaler Gewerkschaftsfunktionär.

**) Empfehlung der Herausgeber: Die Kommunen vor der Kommune 1870/71 : Lyon-Le Creusot-Marseille-Paris  / Detlef Hartmann, Christopher Wimmer. – Hamburg : Verlag Assoziation A, 2021. – 144 Seiten, €14,00.


Compiled by Vico, 20 August 2021