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Quelle: a.a.a.p. Gruppe Internationaler Kommunisten (Holland) : p.i.k.: Pressedienst der Internationalen Kommunisten-Holland, 1928-1933. – Transkribiert und herausgegeben für Rätekommunismus ; Mitarbeit von der Association Archives Antonie Pannekoek. |
Die Holländische Sozial-Demokratie und ihre linke StrömungQuelle: Pressedienst der g.i.k., Nr. 6 vom 10. Dezember 1928 (i.i.s.g. ); Transkribiert und herausgegeben für Rätekommunismus ; Mitarbeit von der Association Archives Antonie Pannekoek. I. Der Reformismus als „natürliche“ IdeologieEine Betrachtung über die Sozialdemokratie als solche ist für die deutsche revolutionäre Arbeiterschaft ziemlich überflüssig, weil sie, hier wie dort, genau dieselben Charakterzüge aufweist. Nur muss man bedenken, dass ihre konterrevolutionäre Rolle hier nicht so stark ausgeprägt ist wie in Deutschland, was leicht zu erklären ist aus der Tatsache, dass die Sozialdemokraten es hier noch nicht zu einem Ministersessel gebracht haben und die Praxis die Arbeiter noch nicht über Minister-Illusionen belehrt hat. Auch war die hiesige Sozialdemokratie noch nicht berufen, eine Revolution niederzuschlagen; kurz: Sie hatte es noch nicht nötig, sich so weit in den Augen der Massen zu kompromittieren wie die deutsche Sozialdemokratie. Man muss daraus aber nicht schließen, dass es bei den Arbeitermassen noch irgend welche Illusionen gibt in Bezug auf die Haltung der Sozialdemokratie bei einer eventuellen revolutionären Bewegung. Die s.d.a.p. und die freien Gewerkschaften haben sich im Laufe der „ruhigen“ Zeit schon unzweideutig als Streikbrecherorganisationen ausgewiesen, und in 1918 stellte sich klar heraus, dass sie eine revolutionäre Bewegung als „unsinnig“ und „verbrecherisch“ betrachten. Das Festhalten der Massen an diesen Organisationen ist denn auch nur zu erklären aus der ganz „natürlichen“ Ideologie des Reformismus, in deren Banne sie sich befinden. Man muss nicht vergessen, dass in dem „reichen“ Holland in den Jahren vor dem Anfang der industriellen Entwicklung (um 1850) sage und schreibe ein Drittel der Bevölkerung „armlastig“ war, das heißt, von der Armenpflege genährt werden musste. Die holländische Arbeiterklasse lebte im wahren Sinne des Wortes im Pauperismus. Der Aufschwung des industriellen Kapitalismus, ein neu einsetzender Goldstrom von aberhunderten Millionen aus den indischen Kolonien führte zu der Möglichkeit einer erheblichen Verbesserung der Lebenslage der Arbeiterklasse, und es waren eben die reformistischen Methoden von Partei und Gewerkschaften, welche diese Möglichkeit realisierten. Als „natürlicher“ ideologischer Überbau musste sich darum der Glaube an die fortwährende Besserung der Lebenslage innerhalb des Kapitalismus entwickeln. Diesen Sachverhalt darf man nicht unterschätzen. Wenn wir jetzt, etwa 100 Jahre in der Geschichte zurückblickend, den Nährboden der reformistischen Ideologie auf dem rationalen Wege erkennen können, so formt sich die Ideologie selbst doch auf „irrationalem“ Wege. „Rationale“ Überlegungen spielen dabei eine sehr untergeordnete Rolle. Es ist die tägliche Praxis, die tägliche Erfahrung, die sich im Gehirn niederschlägt und schließlich zur „Wahrheit“ verhärtet. „Wahrheiten“ nun werden sehr schwer aufgegeben, offensichtliche Widersprüche werden so umgebogen, dass sie schließlich doch der „verhärteten Wahrheit“ angepasst sind. Das ist eben eine Eigentümlichkeit des menschlichen Geistes, mit dem wir alle behaftet sind. Es müssen ungeheuer viel quantitative Änderungen im Umfang und Inhalt unserer Begriffe stattfinden, bevor die Quantität in die Qualität umschlägt und eine neue Ideologie geboren wird. Doch kehren wir zur Sozialdemokratie zurück, obwohl es zum guten Verständnis der verschiedenen Schattierungen in der Arbeiterbewegung nützlich wäre, die Bildung der Ideologien näher zu betrachten. Für unser heutiges Thema stellen wir nur fest: Durch die Praxis der letzten 50-70 Jahre und durch die Möglichkeiten, die die Entwicklung des Kapitalismus in dieser Zeit bot, sind die „Wahrheiten“ des Reformismus so verhärtet, dass die organisatorischen Träger, s.d.a.p. und Gewerkschaften, nicht mehr davon zu trennen sind. Sie müssen mit den Organisationen der Bourgeoisie durch den praktischen Klassenkampf vernichtet werden. Die jetzt herangewachsene Generation hat schon keine „Vorteile“ des Reformismus mehr erlebt. Seit 1914 kann man nicht nur von einer relativen, sondern sogar von einer absoluten Verelendung sprechen. Die Ideologie des Reformismus lebt daher in der jungen Generation nur noch fort durch die bürgerliche Erziehung, durch die Gedankenübertragung der Alten. Aber die so übertragenen „Wahrheiten“ werden nicht mehr von der täglichen Praxis gehärtet und geraten damit in ein labiles Gleichgewicht. Die heutige Zeit zeigt diesen Prozess sehr deutlich. Der linke Flügel in der Sozialdemokratie und die Moskauer Kommunisten sind zwei verschiedene Stadien in der aus dem Gleichgewicht geratenen reformistischen Ideologie; sie sind das Ergebnis der von der täglichen Praxis bewirkten Änderung der Begriffsinhalte. Bei der jungen Generation haben aber praktische Erfahrungen, wie die letzte große Aussperrung in Deutschland, eine tiefgehende revolutionäre Wirkung, eben weil sie der Ideologie der „Vorteile“ des Reformismus einen neuen Schlag versetzen. Auf dem rechten Flügel der Sozialdemokratie und in den Gewerkschaften mit ihren „verhärteten Wahrheiten“, wirken sich solche Geschehnisse ganz anders aus. Dort fängt der Kampf um die Demokratie, um die Zusammenarbeit von Kapital und Arbeit, nun erst recht an. Dort führt es nicht zur Revolutionierung, sondern zu einer weiteren Versumpfung in der bürgerlichen Gedankenwelt. Diese Tatsache zeigt sich auch in Holland. Die großen Niederlagen der Arbeiterklasse haben einerseits zu einer linken Strömung geführt und andererseits treiben sie den rechten Flügel weiter auf den Weg der Verbürgerlichung. Die Niederlagen auf ökonomischem Gebiet sollen durch engere Zusammenarbeit mit der holländischen Bourgeoisie wettgemacht werden. Darum ist jetzt die ganze Politik auf einen Sieg bei den im nächsten Jahr stattfindenden Wahlen eingestellt, und zwar, um eine Koalitionsregierung von Katholiken und Sozialdemokraten bilden zu können. Alle politischen und sozialen Probleme werden ganz offen von diesem Gesichtspunkt aus behandelt. Um welche Probleme es sich in der Hauptsache handelt, werden wir in unseren weiteren Artikeln über die linke Strömung näher angeben. (Fortsetzung folgt.) Korrespondenz:L. in F.: Wir beantworten Euren Brief – den wir freudig begrüßen – auf diesem Wege. Das tun wir, weil einmal die Beantwortung der Fragen, die Ihr gestellt habt, breitere Kreise interessieren wird und wir andererseits einige Bemerkungen zu Eurer Information bezüglich der Unionsbewegung in Deutschland machen wollen. Spaltungsseuche oder ideologischer KlärungsprozessEure Schilderung zeigt das Bild eines Zersetzungsprozesses, von unaufhörlichen Abspaltungen der in 1919 und 1920 mächtig anwachsenden Unionsbewegung. An sich ein beklagenswerter Zustand, jeder Revolutionär würde es begrüßen, wenn die Rätebewegung als ein geschlossenes Ganzes aufmarschierte. Doch wenn man die Dinge aus der Ferne besieht, wie hier in Holland, scheint es nicht ganz so trostlos als für diejenigen, die mittendrin sitzen, die jede neue Abspaltung als ein Wegreißen vom eigenen Körper empfinden müssen. Sieht man von der Organisation als solche ab, um nur die Ideologie ins Auge zu fassen, dann ist festzustellen, dass die Räteideologie ziemlich weit verbreitet ist und unter anderem über verschiedene Zeitungen verfügt. Man kann es auch so sagen: Die Organisationen müssen sich in der heutigen Periode offensichtlich teilen, aber die Ideologie geht nicht unter, sondern setzt sich auf anderer Grundlage fort. Wir sehen in dem, was wir Räteideologie nennen, das Werden einer neuen, revolutionären Gedankenwelt des Proletariats, die sich erst aus den alten verknöcherten Formen der reformistischen Partei und Gewerkschaftsbewegung loslösen muss. Diese neue, werdende Ideologie ist vor allem stark in der Abkehrung von allem, was sie als Hemmnis und Bedrückung empfunden hat. Und sie wird sich erneut zur Wehr setzen, wo sie in einer neuen Organisation die eben über Bord geworfenen Übel glaubt wiederzufinden. Dieser Prozess des Abwendens vom Alten ist negativ, aber er beginnt sich in der neuen revolutionären Richtung positiv auszuwirken, wo die neue organisatorische Bindung beginnt. Die Räteideologie sucht die neuen Formen für die Bindung der revolutionär-kommunistischen Kräfte. Aber da sie selbst noch ein werdender Prozess ist, nach Auffassung, Tradition und Entwicklung verschieden gruppiert, zeigen auch die Organisationen dieses Bild. Solange dieser Prozess des Abkehrens von alten Hemmungen und Bedrückungen zur Bildung neuer und besserer Formen der Bindung revolutionärer Kräfte führt, liegt er auf der Entwicklungslinie zur Herausbildung derjenigen Bindungsformen, welche die kommunistische Gesellschaft notwendig hat. Führt die Abkehr vom Alten allerdings zum Ablehnen jeder organisatorischen Bindung, dann hat man sich selbst aus der Entwicklungslinie ausgeschaltet, denn Organisation ist die Lebensform kommunistischer Ideologie. Wir sagen darum dies: So gerne man eine geschlossene Bewegung sehen möchte, so verkehrt wäre es, diesen Entwicklungsprozess in eine Organisation zu pressen, die verschieden gerichteten Kräfte sprengen sie doch, wie die Erfahrung gelehrt hat. Was man wohl tun kann ist, uns allen mehr das Wesentliche des ganzen Entwicklungs-prozesses und seine Richtung vor Augen zu führen, dann wird man auch die besonderen Erscheinungen in der Bewegung besser verstehen und schätzen lernen. Aber noch mehr: Eine Genossin aus Berlin schreibt uns gerade, dass dort viele kleine Organisationen sind, die ihrer Meinung nach als geschlossene Organisationen ein viel größeres Gewicht hätten und deren Differenzen auch kaum zu unterscheiden seien. So kann man es sehen, und dann begreift man die Zersplitterung nicht. Aber es ist doch eine gute Seite daran. Die wichtigste Aufgabe ist doch in dieser Periode die Durchbrechung der Führerideologie, dass die Massen selbst die Leitung der Kämpfe in die Hand nehmen. Nun, sie tun es vorläufig, indem sie kleine Organisationen bilden, die sie in der Hand haben. Das sie alle einigende Band kann dann nur die sich klärende Räteideologie sein. Wir glauben nun, dass wir auf diesem Wege ein gutes Stück voran kommen, wenn klare Vorstellungen über das allen gemeinsame Ziel, die zukünftige Gemeinwirtschaft, geschaffen werden. Alle Gruppen haben Programme und Prinzipienerklärungen, es werden vorzügliche und schlechte Analysen über ökonomische und politische Erscheinungen im Kapitalismus gemacht, aber in dem Kernproblem der sozialen Revolution, der Wirtschaftsgestaltung im Kommunismus, kommt man nicht von der Stelle. Nur ganz verschwommene Vorstellungen bestehen. Während es doch klar ist, dass man, wenn man eine neue Welt bauen will, doch wenigstens wissen muss, auf welcher Grundlage sie aufgebaut werden soll. Bei der Aufhebung der kapitalistischen Warenwirtschaft haben deren Bewegungsgesetze keine Gültigkeit mehr und die der kommunistischen Wirtschaft treten an ihre Stelle. Welche sind es? In welchen Kategorien bewegen sich Produktion und Verteilung? Die Rätebewegung muss eine Antwort darauf geben, will sie bewusst den Wirtschaftsprozess umwälzen. Die Gruppe der Internationalen Kommunisten Holland hat in kollektiver Arbeit eine nähere Untersuchung der kommunistischen Wirtschaftsweise angestellt. „Gildensozialismus“ und „Staatskommunismus“ wurden in ihren ökonomischen Grundlagen untersucht, und so stellte sich dann heraus, dass beide eine neue Beherrschung der Arbeiter bedingen. Ohne näher an dieser Stelle auf diese Probleme einzugehen, stellen wir nur fest, dass der Kommunismus allein gesichert ist in der „Association freier und gleicher Produzenten“ auf der Grundlage der Betriebsorganisation, die durch die Arbeitszeitrechnung das exakte Verhältnis von Produzent zu Produkt festlegt. Wenn in Kürze die erwähnte Schrift („Die Grundprinzipien der kommunistischen Produktion und Verteilung“) erscheint, dann wird sich zeigen, dass gerade durch die Aufrollung dieser Frage die Rätebewegung neue Richtungspunkte und Kräfte gewinnt. Wie groß auch die Zerrissenheit der Rätebewegung im Augenblick sein mag, sie wird groß und stark und vereinigt werden, wenn die Geister sich klären. Und die Klärung der Geister wird gerade dadurch gefördert, wenn alle die verschiedenen Auffassungen die Gelegenheit haben, in aller Öffentlichkeit ihren Wert oder Unwert zu beweisen. Eure Fragen:Aus welcher Bewegung kommt eure Gruppe, die Gruppe der Internationalen Kommunisten Hollands? Seid ihr eine Abzweigung der k.a.p. oder a.a.u. oder kommt ihr direkt von der c.p.h.? Was treiben H. Roland Holst (*) und die sonstigen linkskommunistischen Gruppen Hollands? Antwort:Linkskommunisten als Anhängsel der Moskauer gibt es hier in Holland überhaupt nicht. Es gab zwar einen „Bond voor komm. strijd en propaganda“-(b.k.s.p.) doch war das nur die Brücke für den Übergang zur alten s.d.a.p. Im Jahre 1924 von H. Roland Holst gegründet (die erste Nummer ihrer Wochenzeitschrift: „de Kommunist“ erschien am 5. Juli 1924) war „de Kadt“ die führende Person, um sich unter dessen Führung im Jahre 1926 aufzulösen und zur Sozialdemokratie überzugehen. Roland Holst, der in der Zwischenzeit noch eine längere Gastrolle bei der Communistische Partei gab, steht jetzt „über den Parteien“ oder eigentlich nirgends. Im Augenblick ist so etwas wie eine „linke Sozialdemokratie“ am Werden, hier ist H. Roland Holst dann wohl zu Hause. Über diese „Linksbewegung“ werden wir in nächster Nummer Näheres schreiben. Die Gruppe der Internationalen KommunistenDie Gruppe setzt sich zusammen aus alten Genossen der früheren k.a.p.-Bewegung in Holland und jungen Marxisten, die vordem noch nicht in der Arbeiterbewegung organisiert oder tätig waren. Eine eigentliche Organisation haben wir nicht, wenigstens nicht im alten Sinne. Wir formen nur Arbeitsgruppen, die regelmäßig zusammenkommen zur Verteilung der Arbeit und zur Durchsprechung des eingelaufenen Materials. Diese Arbeitsweise gefällt bis jetzt außerordentlich gut. Erweiterung der Gruppen kommt nur so weit in Frage, als neue Kräfte in die Arbeitsgruppen aufgenommen werden können, denn nur Diskutierende gibt es bei uns nicht. Die Gruppe der Internationalen Kommunisten hat bis jetzt noch keine Prinzipienerklärung und doch stehen alle Mitglieder, als Schüler Herrmann Gorters und Anton Pannekoeks, auf demselben Boden, der dann im Allgemeinen der der k.a.p.d. und a.a.u. ist, denn einen guten Teil unserer Anschauungen haben wir diesen Organisationen entlehnt. Allerdings legen wir das Gewicht der Propaganda, anders als die k.a.p.d., weniger auf die Bekämpfung der II. und III. Internationale, sondern suchen vor allem die hier und dort anwesenden antigewerkschaftlichen Tendenzen zu stärken und zu klären. In diesem Stadium der Entwicklung der Arbeiterbewegung erscheint uns diese Arbeit wichtiger und dabei kommen dann die parteipolitischen Schiebereien von selbst zur Behandlung. Die Tätigkeit nach außen geschieht durch das Abhalten öffentlicher Versammlungen, wofür wir in der Hauptsache das Thema „Betriebsorganisation“ und „Kommunistische Wirtschaft“ kennen. Das heißt dann: Alle Probleme werden von diesem Gesichtspunkt aus durchgenommen. Ferner geben wir einen holländischen und einen deutschen Pressedienst heraus und unterhalten freundschaftliche Beziehungen mit allen Organisationen, die sich zum Räteprinzip bekennen. Redaktionelle Anmerkung*) Henriette Roland Holst (1869–1952) war eine niederländische Dichterin und Kommunistin. Compiled by Vico, 20 August 2021 |
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