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Antonie Pannekoek Archives

Pressedienst

Quelle: a.a.a.p.


Pressedienst

Gruppe Internationaler Kommunisten (Holland) : p.i.k.: Pressedienst der Internationalen Kommunisten-Holland, 1928-1933. – Transkribiert und herausgegeben für Rätekommunismus ; Mitarbeit von der Association Archives Antonie Pannekoek.


Die „Groep van Internationale Communisten“, Holland, hat folgendes Begrüßungs- und Informationsschreiben der i.w.w. zugeschickt.

An die Konferenz der I.W.W. am 11 November 1928 in Chicago


Quelle:  Pressedienst der g.i.k., Nr. 5 vom 25. Oktober 1928 (i.i.s.g. ); Transkribiert und herausgegeben für Rätekommunismus ; Mitarbeit von der Association Archives Antonie Pannekoek.


Genossen!

Die „Groep van Internationale Communisten“ Holland, bringt hiermit ihre Grüße an die revolutionären Genossen der i.w.w. und wünscht Euch eine kameradschaftliche Diskussion, welche zu einer gekräftigten Position im Klassenkampf zur Vernichtung des Kapitalismus und zur Gründung der Assoziation freier und gleicher Produzenten führen möge.

Nach der Welle revolutionärer Aufstände in Europa sind die Proletarier geschlagen worden; der Kommunismus, welcher etwa 1918 innerhalb weniger Jahre verwirklicht zu werden schien, lebt scheinbar nur noch in den weiten Perspektiven der Geschichte. Die Massen kehrten zur sozial-demokratischen Methode der Parteipolitik und zum „Kampf ums Brot“ nach alter Gewerkschaftstaktik zurück.

Obwohl es den Anschein hatte, als sollte der Kapitalismus zusammenbrechen, hat er sich doch erholt, wenigstens in politischer Hinsicht. Die Ketten der Lohnsklaverei sind fester geschmiedet als je zuvor. Die verschiedenen internationalen kapitalistischen Konferenzen der Staats-Drahtzieher, des Völkerbundes: Es sind alles Ausdrücke einer internationalen politischen Konzentration der Staaten mit dem Ziel, eine internationale politisch kapitalistische Macht gegen das Proletariat aufzurichten.

Wir wissen alle, dass die politischen Erscheinungen die Reflexe der ökonomischen sind. In diesem Fall ist es die Widerspiegelung der internationalen Trustbildung, der internationalen ökonomischen, kapitalistischen Konzentration, welche eine mächtige, ökonomische Weltfront gegen die proletarische Revolution bildet. Das ist die Bedeutung des allgemeinen Rufs nach Demokratie, Weltfrieden und Entwaffnung; sie sind die bezaubernden Phrasen, unter welcher Maske die Organisation der Konterrevolution sich vollzieht.

Es ist traurig, feststellen zu müssen, wie die proletarischen Massen in diesen demokratischen Illusionen befangen sind, was man als den größten Sieg bezeichnen kann, den der moderne Kapitalismus je errang. Die kapitalistische Klasse unterwarf die Naturkräfte: Luft und Wasser, Dampf, Magnetismus, Elektrizität, alle mechanischen Kräfte und stellte sie in ihren Dienst. Aber die „lebende” Naturkraft, die Arbeitskraft der proletarischen Klasse, war nicht unterworfen, weil diese Klasse in unversöhnlichem Gegensatz zu denen stand, welche allein die Vorteile der mechanischen Kräfte für sich beanspruchten. Der Sieg der demokratischen Phrasen ist die Unterwerfung der „lebenden” Naturkraft, um diese als ein williges Werkzeug in das kapitalistische System einzuschalten.

Die „lebende” Naturkraft ist hauptsächlich verkörpert in der altmodischen Arbeiterbewegung der sozial-demokratischen Parteien und Gewerkschaften. Diese Organismen denken keinen Augenblick an einen Umsturz des Kapitalismus und Vernichtung des Lohnsystems. Ihr Lebensboden ist die Zusammenarbeit von Arbeit und Kapital; sie haben sich zu großen Trusts in den Händen ihrer Besitzer, der Bonzen, für den Verkauf der Arbeitskraft und der politischen Energie entwickelt. Wie der technische Produktionsapparat ein Instrument des Parasitismus ist, so sind die sozial-demokratischen Parteien und Gewerkschaften das Instrument des Strebertums, der personellen Interessen der Bonzen. So ist zu erklären, wie hier in Europa überall Lohnherabsetzungen, Verlängerung des Arbeitstages, Erhöhung der Ausbeutung durch „Rationalisierung” durchgeführt wurde mit Hilfe der sozialdemokratischen Parteien und Gewerkschaften gegen den Widerstand der Mitglieder.

Die Dritte Internationale ist vollkommen in diese Front der Konterrevolution aufgenommen. Die Massen, welche die sozial-demokratische und gewerkschaftliche Front verlassen, werden von den sog. „Kommunistischen Parteien” aufgefangen und unter der Maske der „Zellenbildung” mit revolutionären Phrasen in die hoffnungslose Front der Konterrevolution zurückgetrieben. Nicht die Destruktion, die Vernichtung, sondern die Beibehaltung des wichtigsten Stützpunktes der Kapitalherrschaft ist das Ziel der Dritten Internationale. Ihre Taktik ist einzig und allein von den Notwendigkeiten des russischen Staatskapitalismus, für den eine Weltrevolution nur eine Behinderung ist, vorgeschrieben. Russland braucht eine Zusammenarbeit mit den kapitalistischen Staaten der Welt für seine „nationale Ökonomie”. Das sind die Bewegungsgesetze einer Ökonomie, gegründet in privatem Bodenbesitz und Staatskapitalismus. Darum treibt sie die unzufriedenen Massen durch scheinrevolutionäre Parolen immer wieder in die Gewerkschaftsfront, die sich unzweideutig jeder revolutionären Bewegung, wenn nötig mit Kanonen, Bomben und Maschinengewehren, gerade wie der kapitalistische Staat, widersetzt. Die Rolle, welche Moskau in Asien spielt, passt vollkommen in dieses System und gehört zu dem Gemeinsten, das je vollführt wurde.

Die syndikalistische Gewerkschaftsbewegung in Europa ist durch die Entwicklung des Kapitalismus auf ein totes Gleis gekommen. Ihre Ziele sind wie vor Jahren die direkte „Besserung der Arbeitsbedingungen”, wodurch sie zugleich in direktem Konkurrenzkampf mit den „marxistischen Gewerkschaften” steht. Die syndikalistischen Organisationen wollen ihre Ziele durch revolutionäre Methoden erreichen; sie wollen nicht die Zusammenarbeit von Arbeit und Kapital, sondern den Streik als ihre Waffe gebrauchen. Aber die Praxis des Klassenkampfes hat schon bewiesen, dass sie nicht als revolutionärer Faktor auftreten können. Die Weise, in welcher sich die Arbeitskraft auf dem Markt realisiert, ist weder von dem Willen der kapitalistischen Klasse, noch von dem Willen der syndikalistischen oder anderen Organisationen determiniert. Wie die Arbeitsbedingungen fixiert werden, das wird von der technischen Konzentration des Kapitals bestimmt. Bei konzentriertem Kapital kann die Arbeitskraft nur durch Kollektivverträge, durch Zusammenarbeit von Kapital und Arbeit verkauft werden. Die syndikalistischen Organisationen beklagen sich immer mehr, dass sie von dieser Zusammenarbeit ausgeschlossen sind. Darum nähern sie sich immer mehr den reformistischen Bonzenmethoden der Klassenzusammenarbeit. Die i.a.a. aus Berlin ist dafür ein sprechendes Beispiel. Sie unterscheidet sich nur in der Phrase von der alten Gewerkschaftsbewegung.

Für die moderne proletarische Bewegung in Europa ist eine vollkommene Neugeburt notwendig. Die Taktik im Klassenkampf muss fußen auf der ökonomisch-technischen Struktur des Kapitalismus. Diese Struktur hat sich nach dem Kriege völlig geändert. Wenn ihr die Produktionsstatistiken studiert, bemerkt ihr, wie die Ziffern für Europa alle gesunken und für Amerika gestiegen sind. Obendrein ist Europa nicht mehr als eine Kolonie der amerikanischen Bankiers, welche jeden Tag einen Geldstrom von 10 Millionen Dollar als Zinsen der europäischen Staatsanleihen in ihren Geldschrank fließen lassen. Kurz gesagt: Der Mittelpunkt des Kapitalismus ist von Europa nach Amerika verlegt, Europa kann seine Stellung auf dem Weltmarkt nicht behaupten, die Linie der kapitalistischen Entwicklung in Europa geht nach unten.

Diese Entwicklung hat seine Konsequenzen für die proletarische Klasse. Wir haben hier 10 Millionen Arbeitslose, welche niemals mehr in der Produktion aufgenommen werden, während die Richtung der kapitalistischen Entwicklung bestimmt, dass der Kampf um die „Besserung der Arbeitsbedingungen” im großen Ganzen vollkommen utopisch geworden ist. Die proletarische Klasse hat überhaupt nur größere Unterdrückung als je zu erwarten.

In dieser Zeit dürfen wir darum nicht länger die Gewerkschaftsillusionen nähren. Die Gewerkschaftsideologie leitet die Aufmerksamkeit von den wirklichen Problemen des modernen Klassenkampfes und von den wirklichen Zielen des Kommunismus ab. Wir stehen vor dem harten Kampf der Niederwerfung des Kapitalismus ohne jeden Kompromiss. Im alltäglichen Klassenkampf haben wir immer wieder zu versuchen, die Gewerkschaftsfront von Klassenzusammenarbeit, durch Forcierung von Streiks, die von den Arbeitern selbst gegen die Gewerkschaften, seien es syndikalistische oder eine andere, geführt werden, zu durchbrechen. In diesem Kampf haben wir unsere Allgemeine Arbeiter Union nach dem Sowjet-System aufzubauen, um den Kapitalismus niederzuwerfen und die Assoziation freier und gleicher Produzenten aufzurichten.

Aus den Diskussionen im Industrial Worker (*) wisst ihr, wie in Deutschland die Keime einer solchen allgemeinen Union als ein Erfolg der revolutionären Bewegung 1919-1923 anwesend sind. In Österreich, Tschechoslowakei und Holland ist die Propaganda für das Selbsthandeln und Selbstleiten des Klassenkampfes im vollen Gang, und es ist charakteristisch, wie auch die syndikalistischen Gewerkschaften uns hierbei entgegentreten.

Wir wissen sehr gut, dass unser Kampf ein harter sein wird und dass die proletarische Klasse nicht in ein paar Jahren eine „große” Organisation haben wird. Aber wir erachten das Klassenbewusstsein und die Fähigkeit im Selbsthandeln von größerem Wert, als das schnelle Wachstum zu einer großen Organisation; denn die Befreiung der Arbeiterklasse kann nur das Werk der Arbeiter selbst sein.

Genossen der i.w.w.: Wir haben versucht euch einen Einblick zu geben, wie wir in Europa die Dinge sehen und hoffen, dass es von Nutzen sein kann für die Kenntnis der modernen europäischen proletarischen Bewegung im Zusammenhang mit euren Diskussionen im Industrial Worker.

Mit Gr.

Int. Büro Gr. v. int. Comm.

Unterschrift.


Redaktionelle Anmerkung

*) The Industrial Worker, „the voice of revolutionary industrial unionism“, is the magazine of the Industrial Workers of the World (IWW).


Compiled by Vico, 20 August 2021