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Anton Pannekoek an Erich Mühsam, 1921Quelle: Die Aktion, Jg. 11 (1921), Nr. 11-12 (19. März), K. 162-168); Quelle der Transkription: Raum gegen Zement , hier etwas verbessert. A. Pannekoek an Erich MühsamW.G. [Werte Genosse] Pfemfert: Ich ersehe aus einer der letzten Nrn. der aktion – für deren Zusendung ich bestens danke – daß Erich Mühsam den Vorschlag, den er mir schickte, auch in Ihrem Organ veröffentlichte. Daher mag es angebracht sein, daß Sie den nachlichen Teil der Antwort, von dem ich hier eine Kopie beilege, in der gleichem Weise Ihren Lesern zur Kenntnis bringen. … Wenn ich Ihre Auffassung richtig verstehe, tadeln Sie den Moskauer Kongreß, weil er einen Teil der Revolutionäre ausschloß, damit dem gleichen Fehler der engherzigen Intoleranz verfallend wie der Haager Kongreß 1872 und der Londoner 1896 der 1. und 2. Internationale. Und Sie schlagen vor, daß alle außerhalb der Moskauer Internationale gestellten revolutionären Gruppen und Parteien sich zu einem losen Bund vereinigen, der in gegenseitiger Duldsamkeit jedem seine Freiheit der Agitation und Aktion läßt. Dem möchte ich nun folgendes entgegenstellen: Was wir an den Beschlüssen des Moskauer Kongresses tadeln, ist nicht seine Intoleranz, sondern seine viel zu große Toleranz. Wir machen den Führern der 3. Internationale nicht zum Vorwurf, daß sie uns ausschließen, sondern daß sie möglichst viele Opportunisten einzuschließen suchen. Nicht um uns handelt es sich in unserer Kritik, sondern um die Taktik des Kommunismus; wir kritisieren nicht die belanglose Tatsache, daß wir außerhalb der kommunistischen Gemeinschaft gestellt werden, sondern die wichtige Tatsache, daß die 3. Internationale für Westeuropa eine falsche Taktik befolgt, die dem Proletariat zum Verhängnis werden kann. Das Ausschließen ist nun einmal die unangenehme Form der notwendigen Trennung dessen, was nicht zusammengehört, was zum gegenseitigen Kampf Ellbogenfreiheit braucht und nicht friedlich auseinandergehen kann. Und der gegenseitige Kampf der Richtungen ist nötig, damit das Proletariat seinen Weg findet. Nötig ist nicht, daß alle revolutionär empfindenden Seelen sich brüderlich umschlingen und sich gegenseitig freuen über ihre Vorzüglichkeit; nötig ist, daß das Proletariat, die große Millionenmasse, sich klar wird über Weg und Ziel, nicht mehr zögert und unsicher hin und her schwankt, sondern fest wird zur Tat. Das kommt nicht durch Gefühlsduselei der Einigkeit; das kommt nur durch eine klare, feste Kampftheorie, die sich durchsetzt, die in der Härte von Not und Streit zu Fleisch und Blut der Massen wird. Daher hatte die 1. Internationale recht, als sie 1872 die Anarchisten ausschloß; daher hatte auch die 2. Internationale recht — trotzdem der Opportunismus schon in ihren Reihen emporkam — als sie diesen Aussfchluß 1896 wiederholte. Denn die Kampftheorie, die allein das Proletariat zum Siege führen kann, ist der Marxismus. Nur auf dem Boden der umwälzenden Gesellschaftswissenschaft von Marx wächst die klare Erkenntnis der Bedingungen der proletarischen Revolution. Man soll sich nicht dadurch irre machen lassen, wie der Marxismus in den letzten Jahren verhunzt wurde von denen, die seine Lehren als Beschwörungsformeln gegen die Revolution mißbrauchten – zuerst geschah das bei den Hütern der Marxtradition in der USP, später folgte auch die „Rote Fahne“ diesem Weg. Daher muß mal deutlich ausgesprochen werden, daß in der Agitation und Taktik der KAP, die Marx am wenigsten nennt, mehr echter praktischer Marxismus, mehr von Marxens revolutionärem Feuergeist vorhanden ist, als bei den Wortführern der USP und des Spartakusbundes, die seinen Namen stets im Munde führen. Aber gerade weil jetzt durch diesen Mißbrauch der Marxismus bei vielen jüngeren revolutionären Elementen einigermaßen in Verruf gekommen ist, als sei er wirklich eine Lehre der mechanischen Entwicklung und des fatalistischen Sichergebens, gerade deshalb muß seine Bedeutung für die Revolution mit aller Kraft betont werden. Wir meinen das nicht in dem Sinne, daß die buchstabenfestesten Marxgelehrten die besten Kämpfer seien — die Erfahrung beweist hundertmal, daß theoretische Durchbildung und feurige Aktionskraft durch die dem zu Grunde liegenden Charakteranlagen einander oft aussehließen, und daß viele ohne Theorie, durch intuitive Erfahrung die Kraft zum richtigen revolutionären Handeln finden — sondern in dem Sinne, daß die revolutionär-materialistische Welt- und Gesellschaftsanschauung von Marx die Massen durchdringen muß, um ihnen Klarheit und Sicherheit zu geben. Sie wollen einen Bund aller von Moskau ausgeschlossenen revolutionären Gruppen bilden. Wir wollen das nicht, weil ein solcher Bund von selbst eine Spitze gegen Moskau bekommen würde. Wir fühlen uns, trotzdem der Moskauer Kongreß unsere Richtung ausschloß, völlig solidarisch mit den russischen Bolschewiki. Wir werfen ihnen vor, daß sie die westeuropäischen Verhältnisse, die schwierigen Kampfbedingungen in den Kernländern des Jahrhunderte alten Kapitalismus nicht genügend kennen oder berücksichtigen, und sich daher — in dem Glauben, derart rasch zur Weltrevolution zu kommen — mit den großen opportunistischen Parteien Westeuropas verbündet haben. Wir sagen: nicht diese Leute, sondern wir gehören zu Euch. Sollten wir dann, aus Ärger über ihr Vorgehen, einen Bund gegen sie bilden? Wir werfen ihnen vor, daß sie die enormen Unterschiede zwischen Rußland und Westeuropa, zwischen ihrer bolschewistischen Partei und den westeuropäischen Parteien nicht beachtet haben, und daher den Fehler machten, die Macht der Führer in Westeuropa zu stärken, deren Beseitigung hier die Bedingung der proletarischen Revolution ist. Es wäre aber beschränkter Doktrinarismus, wenn wir in den gleichen Fehler verfallen wollten, die westeuropäischen Streitpunkte auf Rußland übertrügen, und unsere Auffassung des Führerproblems in Westeuropa zum Maßstab unserer Beurteilung der in ganz anderen Umständen aufgewachsenen, und daher eine ganz andere Rolle spielenden Führer der russischen Revolution machten. Wir bleiben daher solidarisch, nicht nur mit dem russischen Proletariat, sondern auch mit seinen bolschewistischen Führern, trotzdem wir ihr Auftreten innerhalb des internationalen Kommunismus aufs Schärfste kritisieren müssen. Es ist offenbar die gleiche Stellung — vollkommene brüderliche Solidarität mit den russischen Kommunisten unter gleichzeitiger schärfster Ablehnung ihrer für Westeuropa befolgten Taktik — die die KAPD versucht hat zum Ausdruck zu bringen in dem Angebot, als ,,sympathisierende“ Partei in Beziehung zur 3. Internationale zu treten. Mag dieser Vorschlag angenommen oder abgelehnt werden: jedenfalls ist damit ausgesprochen, wie auch wir zu Moskau stehen. Und damit ist es ausgeschlossen, daß wir einem Bund beitreten, der logischerweise in Gegensatz zum Bolschewismus treten muß… [Mit einen Nachwort der Redaktion] © Obgleich die Kommunistische Linke im Allgemeinen keine Urheberrechte bzw. „intellektuelle Eigentumsrechte“ für sich eingefordert hat, können einige Veröffentlichungen auf dieser Webseite urheberrechtlich geschützt sein. In diesem Fall steht ihr Gebrauch nur zum Zweck persönlichen Nachschlags frei. 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