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Ein Brief des Genossen Pannekoek, 1920Quelle der Transkription: Arbeiterstimmen ; Originalquelle: Der Kommunist, Flugzeitung der k.a.p.d. (Sachsen) 1920, Nr. 30 (Juli); der Kommunistischen Arbeiter-Zeitung (k.a.z.) der Berliner k.a.p.d. entnommen; transkription: F.C., Dezember 2018, Korrekturen: H.C., 9. February 2019; English. In diesem Brief kritisiert Pannekoek die Auffassung der Arbeiterunion, wie diese u.A. im Programm der k.a.p.d. vertreten wurde, eine Kritik die elf Jahre später teilweise in den Positionen der g.i.k. zurückkehrt. In einer Schärfe die ihm ungewöhnlich war, verurteilt Pannekoek weiter die nationalbolschewistischen und antisemitischen Positionen von Laufenberg und Wolffheim. (F.C.). Ein Brief des Genossen Pannekoek (Der Kommunist, K.A.P.D. Sachsen, Juli 1920)Bussum, 5. Juli 1920 Aus meinen K. Horner-Artikeln in dem Hamburger Blatt, in denen ich im Winter und Frühjahr zu den Streitfragen der Kommunistischen Partei Stellung nahm, wissen Sie daß ich in ihrem Gegensatz zu der k.p.d. an ihrer Seite stehe. Ich finde das auch bestätigt in Ihrem Programm, das Sie mir zuschickten. Nur in einem Punkte – ich will das sofort hinzufügen – erscheint mir der darin dargelegt Standpunkt nicht auf die Dauer haltbar. Es betrifft die am meisten umstrittene Frage der deutschen Entwicklung: Die Betriebsorganisation – wohl deshalb die schwierigste Frage, weil die alten Gewerkschaften anscheinend so feste Massenorganisationen sind. Sie denken sich die Betriebsorganisation als die Organisation derjenigen aufgeklärten Arbeiter – die in einem Betrieb noch Minderheit sind – die bewußt die reaktionäre Rolle der Gewerkschaften erkennen und sich von ihnen abwenden und an ihre Stelle eine neue, auf dem Betrieb beruhende Organisationsform setzen. Damit haben wir zwei Organisationen der voranstehenden, richtunggebenden, aufgeklärten Arbeiter: 1. die Kommunistische Partei, 2. diese revolutionäre Betriebsorganisation, und diese beiden stehen als kleine Gruppe inmitten der großen, noch untätigen, an die alten Gewerkschaften festhaltende Masse. So verstehe ich den Standpunkt, den Sie einnehmen. Nun scheint es mir – auch mit Rücksicht auf die russische Erfahrung – daß diese Doppelorganisation auf die Dauer unnötig ist; die Mitglieder der Betriebsorganisation werden dieselben Kommunisten sein, die sich im Allgemeinen als Vortruppe hervortun – Arbeiter, die aus den Gewerkschaften treten, aber nicht Kommunisten werden, wird es wenige geben (vielleicht einige syndikalistische Gruppen, aber damit wird man doch nicht viel anfangen können, es sei denn, daß sie zum kommunistischen Standpunkt übergeführt werden). Auf die Dauer wird man haben: 1. als Grundlage der proletarischen Demokratie die Zusammenfassung aller in einem Betrieb Tätiger, die durch ihre Vertreter, Betriebsräte, die politische und gesellschaftliche Leitung in die Hand nehmen – die Sowjets in Russland (und diese betriebsweise Organisation der ganzen Arbeiterschaft wird doch zumeist Betriebsorganisation genannt); 2. als treibende bewußte Minorität, der infolge ihrer klaren Einsicht und revolutionären Willens die Führung zufällt in revolutionären Zeiten: die Kommunisten. Eine zweite Minderheitsgruppe, die doch auch fast nur aus Kommunisten besteht, wird man, wie es mir scheint, dabei nicht brauchen. Ich lege ihnen deshalb diese abweichende Auffassung vor, weil es vorkommen kann, daß der weitab wohnende Theoretiker, gerade weil er nicht mitten in den zwingenden Verhältnissen lebt und die Entwicklungstendenzen verschiedener Länder vergleichen kann, weniger unter dem Einfluß zeitweiliger Umstände steht und das Allgemeine und Bleibende eher im Auge behält. Aber ich verkenne dabei nicht, daß die besonderen, gerade in Deutschland herrschenden Verhältnisse ihnen vielleicht mit zwingender Gewalt Euren Standpunkt auferlegen – und deshalb sollen meine Ausführungen auch nicht bezwecken Euch von Eurem Standpunkt als einem “falschen” abzubringen, sondern höchstens verhüten daß Sie ihn als allzu absolut fest und zu sehr als allgemein-richtiges Dogma auffassen, damit Sie also bedenken, daß bei Änderung und Entwicklung der Verhältnisse ein anderer Standpunkt sich nötig erweisen kann. Bei der heutigen Macht der Gewerkschaften ist für denjenigen, der sie als eine schädliche konterrevolutionäre Macht betrachtet, kaum ein anderer Standpunkt möglich – die Methode der k.p.d. und Radeks zwecks “Zusammenbleibens mit der Masse” nicht aus den Gewerkschaften zu treten, führt praktisch dazu, diese Macht nicht zu bekämpfen. Aber in revolutionären Zeiten kann es sich ändern und kann es sein, daß die Massen – trotzdem die Gewerkschaftsführer sich schon darauf vorbereiten, den Apparat des Rätesystems in die Hand zu nehmen – nicht mehr auf die Gewerkschaften hören und ohne sie massenhaft zu [verlassen], doch ihre Werkstattsvertretungen unabhängig von und gegen die Gewerkschaftsführer und -beamten aufbauen (also ähnlich wie es in England in der Kriegszeit schon die Werkstattkomitees taten); und dann wäre es von Übel, wenn die revolutionären Betriebsorganisationen sich auf Grund dieser Programmauffassung von einer solchen Entwicklung einer revolutionären Massenkraft getrennt hielten. Aber immerhin: Sie die Sie mitten in der Bewegung und in den Massen stehen, werden am besten entscheiden, was hier richtig ist. Ich will auch noch hinzufügen, daß die Art und Weise, wie sie in Ihrer Zeitung die Agitation führen, mir sowohl prinzipiell wie formell richtig erscheint. Formell durch die Methode der sachlichen Aufklärung im Gegensatz zu der auf Augenblickserfolg und Augenblickserringung berechneten Methode der “Roten Fahne”, die in jeder Hinsicht den alten Organen der s.p.d. vor dem Krieg ähnelt und denselben Widerspruch zwischen äußerem Schein und innerem Wesen fühlen läßt, und im Gegensatz zu dem Hamburger Blatt, das immer mehr die Kraft der Agitation in der Denunziation persönlicher Verfehlungen der Gegner sucht – wenn eine falsche Politik ihre Befürworter oft zu Gaunern macht, ist umgekehrt damit eine bestimmte Politik nicht damit zu bekämpfen, daß sie eine Erfindung von Gaunern sei: auch die Politik der k.p.d. hat so viele natürliche Gründe, die in der Tradition der alten s.p.d.-Lehre und in der schwierigen Entwicklung liegen, daß ganz ehrliche, vernünftige Leute sie verfechten können und tatsächlich verfechten. Und prinzipiell sind die Abirrungen der Hamburger von einem klaren marxistischen und revolutionären Standpunkt so ungeheuerlich – erstens in dem ganzen nationalistischen Standpunkt, dann in der Beschuldigung, der Levi habe durch eine Tat die ganze Revolution verdorben, neulich in dem antisemitischen Artikel: weil der Levi ein Jude ist, deshalb spiele er die Karte des jüdischen Finanzkapitals; alles gleich hirnverbrannt – daß sie die kommunistische Erziehung der Massen m. E. [meines Erachtens] aufs schwerste hemmen und schädigen und demgegenüber der Berliner Standpunkt umso schärfer in seinem Wert für die revolutionäre Aufklärung hervortritt. Mir erscheint ihre Kritik des Nationalbolschewismus nicht nur sehr richtig, sondern noch viel zu sanft; sie unterschätzen das Übel, das er anrichtet, da er prinzipiell die Grundgedanken des Kommunismus untergräbt, und sie werden m.E. nicht mit Laufenberg und Wolffheim zusammen bleiben können. Soll die k.a.p.d. zu einer führenden, richtunggebenden macht werden, die den revolutionären Massen in Deutschland eine feste Klarheit gibt, dann ist ein klarer Standpunkt gerade in der nationalen Frage absolut notwendig; und diesen muß die Partei auf dem nächsten Kongreß festlegen. Ich verstehe die Schwierigkeit bei dem großen Einfluß, die L. und W. in Hamburg ausüben, und bei der vortrefflichen Agitation, die sie früher, vor einem Jahre, in dem Hamburger Blatt machten. Aber die Diskussion darüber soll möglichst immer wieder angefaßt werden; in diesen Fragen darf keine Unsicherheit bleiben, da sie die scharfe Abgrenzung gegen jede reaktionär-bürgerliche Ideologie bedeutet. Über die allgemeinen Fragen der revolutionären Entwicklungstendenzen und der Taktik des Kommunismus habe ich vor einigen Monaten einen großen Artikel (*) nach Moskau gesandt; durch die Schwierigkeit der Verbindung wird er erst neulich da angelangt sein, und er wird also schwerlich dort vor dem internationalen Kongreß gedruckt sein, also keinen Einfluß zuvor mehr ausüben können. Vielleicht wird er nachher doch noch eine Wirkung haben; sollte er aber dort nicht mehr gedruckt werden, so wäre zu erwägen, ob er in Deutschland herauszugeben wäre. Unsere Richtung wird auch ohnehin in Moskau gute Verteidiger finden; aber ich fürchte, daß trotzdem der Opportunismus zur internationalen Taktik des Kommunismus proklamiert werden wird – eine Folge der langsamen Entwicklung im Westen, des äußeren Erfolges Russlands der alle schwankenden Elemente im Westen heranzieht, und der schwierigen inneren Lage dieses Landes. In diesem Falle müssen wir uns darauf vorbereiten, als radikale Minderheit Opposition zu treiben, bis der Fortgang der Revolution in Zentral-Europa der Entwicklung einen neuen Stoß gibt. Mit freundschaftlichem Gruß Redaktionelle Anmerkung*) Wahrscheinlicht ist gemeint: Weltrevolution und kommunistische Taktik, 1920. Compiled by Vico, 15 February 2019 |
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