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Antonie Pannekoek Archives

1978

Jan Appel in the summer of 1978 in his appartment in Maastricht; photo made by C.d.N. (Source: a.a.a.p.)


Der Zwang zur Revolution / Jan Appel, 1920


Der Zwang zur Revolution / Von Jan Appel. – In: Die Aktion, 10. Jg. (1920), Heft 35-36 (4. September), S. 478-479; transkribiert von F.C., 31. Januar 2022, Quelle: “Left Wing” Communism – an infantile disorder? , hier korrigiert.


Schon vor dem Kriege geriet die kapitalistische Wirtschaft zeitweise in Unordnung. Die sogenannten Wirtschaftskrise, hervorgerufen durch Überproduktion, waren ihre Zeichen; es war zu viel produziert worden. Man möchte nun annehmen, daß dadurch ein Überfluss bei der Bevölkerung entstanden sei. Doch das Gegenteil war der Fall; Not und Entbehrungen waren die Folge bei den Erzeugern. Die kapitalistische Wirtschaft suchte einen Ausweg aus dieser Krise dadurch, daß sie sich den Absatzmarkt im Auslande zu erobern suchte. Dabei gerieten die Interessen der verschiedenen kapitalistischen Staaten in Gegensatz zueinander. Man rüstete, um sich mit starker militärischer Macht einen möglichst großen Raum, einen möglichst großen Markt zu sichern. Der Weltkrieg war die Fortsetzung, die Folge dieser Politik. Aber auch der Krieg war ein Betätigungsfeld der kapitalistischen Wirtschaft; man konnte für die Zerstörung arbeiten. Auf der anderen Seite waren Not und Entbehrung bei den Erzeugern, der werktätigen Bevölkerung, das Gegenstück. Nach dem Kriege setzte ein Mangel an allen Bedarfsartikeln ein, so daß eine Entwicklung der Industrie zur Befriedigung des inländischen Marktes zu erwarten gewesen wäre. Doch wiederum das Gegenteil trat ein. Es wurde nicht gearbeitet, nichts produziert. Warum nicht? Die kapitalistische Wirtschaft konnte bei dieser Beschäftigung nicht bestehen, denn sie rentierte sich nicht. Der Kapitalist kam nicht auf seine Rechnung. Der Markt, den die kapitalistische Wirtschaft brauchte, um arbeiten, um bestehen zu können, würde alles sofort aufnehmen, alles aufsaugen, wenn es vom Willen dieses Marktes abhängen würde. Doch der Markt hat nicht die Mittel in der Hand, um die Waren abzunehmen. Diese Mittel – das bare Geld – befinden sich in den Händen der Großkapitalisten. Weiter fordert das Kapital in Gestalt der hohen Preise hohe Tribute. Der Erzeuger, d.i. der Kopf- und Handarbeiter, bekommt für die geleistete Arbeit höchstens ein Viertel des wirklichen Wertes. Die restlichen drei Viertel summieren aus Grundrente, Profit oder Gewinn des Kapitals, den staatlichen Lasten, die wieder zum großen Teile hervorgerufen sind durch Ansprüche der Kapitalisten an den Staat, wie z.B. Kriegsanleihen, Staatsschulden, Entschädigung an die Entente usw. Wir sehen also, die hohen Tributansprüche des Kapitals nehmen dem Markt und damit den Erzeugern die Mittel, mit denen sie die Produkte von der Industrie aufkaufen können; folglich hat die Industrie keinen Absatz. Deshalb wird nicht produziert, die Betriebe stehen still. Dem Wiederaufbau steht im Wege der Tributansprüche, der Profit des Kapitals. So wird auch der Widersinn bei den wirtschaftlichen Krisen vor dem Kriege erklärlich. Die Tributansprüche, des Kapitals verhinderten eine vermehrte Abgabe der zu viel geschaffenen Waren. Man wartete, bis die Waren zu hohen Preisen, d.h. die mit dem Profit belasteten Waren allmählich aufgekauft waren. Währenddessen wurde die Produktion eingeschränkt. Arbeitslosigkeit, Not bei dem Proletariat war die Folge. Das Kapital hatte auf dies Weise weniger Risiko, aber desto mehr Profit. Das Risiko war eben nur auf Seiten der Erzeuger, der Arbeiter.

Auch das Kulturwidrige im Imperialismus findet seine Erklärung in der Profitwirtschaft. Im eignen Lande, bei den Kultur- und sonstigen notwendigen Arbeiten war kein oder nicht genügend Profit zu erzielen. Der Inlandsmarkt war überladen mit Tributansprüchen. Die Ausbeutung fremder Märkte versprach daher mehr Profit. Aber auch: mit der Herstellung von Kriegsmaterial und durch Kriegslieferungen war mehr Profit zu erzielen, wenn dadurch auch die größten Kulturwerte zerstört wurden, und diese Zerstörungsarbeit auch im schroffen Widerspruch zu den Interessen der arbeitenden Bevölkerung stand, das Kapital entwickelte sich dabei glänzend. Wohin man sieht, das Profitinteresse, die Tributansprüche des Kapitals sind allenthalben die Widerstände, die sich dem Fortgange der Entwicklung entgegenstemmen. Nun muß aber naturnotwendig das Privatkapital Profit oder Gewinn erzielen. Wer ohne Gewinn arbeitet, kann nicht konkurrieren, wird vom anderen Kapital überwuchert. Ein schlechter Kaufmann, der mit Verlust arbeitet, ein schlechter Betrieb mit Unterbilanz.

Die Triebkraft der heutigen Wirtschaftsweise ist der Profit. Ist kein Profit mehr möglich, dann fehlt diese Triebkraft. Aus alledem ist zu ersehen, daß, wenn die Produktion für den Markt keine Profite für die Kapitalisten mehr verspricht, automatisch unabhängig vom Willen einzelner die Wirtschaft zum Stillstand kommen muß. Jeder einzelne Unternehmer ist dem System der kapitalistischen Wirtschaftsweise unterworfen. Er muß Profite erringen, will er sich nicht der Gefahr seines Unterganges aussetzen. Damit wird jeder Kapitalist, jeder private Eigentümer zum Vertreter dieses Systems.

Die Verhältnisse reden eine deutliche Sprache. Viele Betriebe werden geschlossen, die notwendigste Arbeit wird unterlassen, weil sich diese Arbeit nicht rentiert, keinen Profit verspricht. Die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung ist nicht mehr kaufkräftig, daher kein Absatz, kein Profit. Zwar erlebten Teile der Industrie während des letzten Jahres einen Aufschwung, so die Möbelindustrie, die für das Ausland arbeitete. Sie erzielte ungeheuren Absatz infolge der billigen Preise, die durch die Valutaunterschiede möglich waren. Das gleiche zeigte sich bei der Luxusindustrie, die für die Bedürfnisse des durch die Kriegslieferungen großgezüchteten Spekulanten- und Schiebertums arbeitete. Seitdem jedoch die deutsche Valuta gestiegen ist, liegt z.B. die Möbelindustrie schon wieder danieder.

Die Verfügung über die Produktionsmittel, die Waren und Gebrauchsgegenstände liegt bei den privaten Besitzern. Das allgemeine bürgerliche Gesetzbuch, der Staat, die Gerichte und Staatsanwälte, alle Einrichtungen, unseres bürgerlichen Lebens, ja sogar die sogenannte öffentliche Meinung sichert den privaten Besitzern dieses Verfügungsrecht. Der Rechtsbegriff des Privateigentums ist die Grundlage unseres heutigen Wirtschaftslebens. Und doch liegt gerade in dem Verfügungsrecht über das Eigentum, welches von den privaten Besitzern in deren Profitinteresse ausgeübt wird die Ursache des Zusammenbruchs der Wirtschaft. Zwei Gegensätze zeigen sich scharf und klar: Privatinteresse und Allgemeininteresse. Das Allgemeininteresse fordert die Aufnahme der Arbeit ohne Rücksicht auf private und Profitinteressen. Der Staat, die ganze Ordnung überhaupt schützt die privaten Interessen gegen die Interessen der Erzeuger, der Mehrheit der Bevölkerung: Will die Menschheit nicht zugrunde gehen, dann muß sie diese Ordnung stürzen und an ihre Stelle die Ordnung setzen, die die Allgemeininteressen wahrnimmt gegen die Privatinteressen. Aufhebung des Privateigentums und seine Überführung in. Allgemeineigentum – das heißt soziale Revolution, heisst Rätemacht, heißt Herrschaft der Arbeiterklasse.


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Compiled by Vico, 31 January 2022