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Antonie Pannekoek Archives

Pressedienst

Quelle: a.a.a.p.


Pressedienst

Gruppe Internationaler Kommunisten (Holland) : p.i.k.: Pressedienst der Internationalen Kommunisten-Holland, 1928-1933. – Transkribiert und herausgegeben für Rätekommunismus ; Mitarbeit von der Association Archives Antonie Pannekoek; €15,80.


Ein wichtiges Buch!


Quelle:  Pressedienst der g.i.k., 2. Jg., No. 2, Februar 1930 (i.i.s.g. ); Quelle Transkription: Gruppe Internationaler Kommunisten (Holland) : p.i.k. : Pressedienst der Internationalen Kommunisten-Holland, 1928-1933. – Transkribiert und herausgegeben für Rätekommunismus ; Mitarbeit von der Association Archives Antonie Pannekoek.


Im vergangenen Jahre (1929) erschien ein sehr wichtiges Buch: „Das Akkumulations- und Zusammenbruchsgesetz des kapitalistischen Systems“, von Henrik Grossmann (1) (Verlag Hirschfeld, Leipzig. broschure 20M. gebunden 22M.).

In diesem Werk „rekonstruierte“ der Schreiber das Gesetz der kapitalistischen Akkumulation und des Zusammenbruchs des kapitalistischen Systems, so wie Marx es in „Das Kapital“ formulierte. Bekanntlich fand Marx als Resultat der Analyse der Bewegungsgesetze des Kapitalismus, dass auf einer bestimmten Stufe der Entwicklung die Produktionskräfte in Widerspruch mit den Eigentumsverhältnissen kommen, während die Rentabilität des Kapitals nur noch aufrecht erhalten werden kann durch die absolute Verarmung der arbeitenden Massen. Der Prozess der Mehrwertbildung wird schließlich dazu führen, dass auf der einen Seite ein ansehnliches Kapital in der Produktion keine Aufnahme mehr findet, während auf der anderen Seite eine ständig größer werdende Masse von Arbeitern aus dem Produktionsprozess ausgeschaltet wird. Überschuss von Kapital bei einem Überschuss der arbeitenden Bevölkerung. Das Resultat soll sein: schwere Krisen und schließlicher Zusammenbruch des Systems. Damit wird die Arbeiterklasse vor die Wahl gestellt: Entweder Aufhebung der Bewegungsgesetze der Warenproduktion und Zirkulation, d.h. Einführung des Kommunismus, oder Untergang in der Barbarei.

Nun kann ein Kind sehen, dass die Entwicklung ganz andere Wege gegangen ist. Der Kapitalismus bremste die Produktionskräfte nicht, sondern entfaltete sie zu der technischen Höhe, wie wir sie augenblicklich kennen. Der Kapitalismus führte nicht zu der absoluten Verarmung der Massen, sondern im Gegenteil zu einer Erhöhung der Lebenslage der Arbeiterklasse (wenigstens bis zum Jahre 1914). Es war darum keine Kunst, das Unhaltbare der Marx’schen Analyse mit der Wirklichkeit zu schlagen. Die Praxis ging ihren eigenen Weg, ohne sich um die „Stubengelehrtheit“ von Marx zu kümmern.

So leicht es für die Gegner war, Kritik an den Schlussfolgerungen von Marx zu üben, so schwierig war es für die Verteidiger, die Marx’sche Analyse zu behaupten. Unter der Führung des offiziellen Marx-Erklärers Kautsky wurden darum die Resultate der Analyse in dem Sinne umgebogen, dass die Produktionskräfte nicht mit den Eigentumsverhältnissen in Konflikt kamen, während die Bedeutung der absoluten Verarmung ebenfalls auf Kautsky’sche Weise erklärt wurde. Tat Kautsky dies anfänglich unter dem Schein, den Marxismus gegen seine Angreifer zu verteidigen, in seinem letzten Buch „Die historisch Materialistische Geschichtsauffassung“ (2) lässt er diese Methode fahren und tritt öffentlich gegen Marx auf.

In dieser Situation ist es das Verdienst von Henrik Grossmann, das Marx’sche Akkumulationsgesetz rekonstruiert zu haben. Mit verblüffender Deutlichkeit erscheinen die Zusammenbruchstendenz und die unwiderrufliche Notwendigkeit der absoluten Verarmung der Massen.

Wir sind überzeugt, dass dieses Buch durch die reformistischen Parteien und nicht weniger durch die Gewerkschaften, die sich auf der ganzen Linie nach einer Zusammenarbeit von Kapital und Arbeit bewegen, in Acht und Bann erklärt wird. Das muss so sein, weil sich aus den Bewegungsgesetzen der Warenproduktion sonnenklar erweist, dass „soziale Reformen” unmöglich werden, und dass selbst die mächtigste Gewerkschaftsbewegung, möge sie sich revolutionär nennen oder nicht, ihre Aufgabe der „Verbesserung der Arbeitsbedingungen“ nicht länger erfüllen kann. Denn es ist mehr als wahrscheinlich, dass wir bereits in das Stadium, wo die Rentabilität des Kapitals nur noch durch die absolute Verarmung der Massen gesichert werden kann, eingetreten sind.

Nun erheben sich zwei Fragen: 1. Wie ist es möglich, dass die Marx-Erklärer die Marx’sche Lehre im Grunde genommen eigentlich niemals begriffen haben; und 2. Warum kommt gerade jetzt jemand, der die wirkliche Bedeutung der Kapitalakkumulation wieder „rekonstruiert“?

Um bei der zweiten Frage zu beginnen, wird es von Nutzen sein zu bemerken, dass die Rekonstruktion jetzt kommen musste, weil der gesellschaftliche Zustand, dass bei einem Zuviel an Kapital zugleich einige Millionen Arbeiter seit Jahren außerhalb des Produktionsprozesses stehen, Wirklichkeit geworden ist. Bei der gewaltigen „Hausse-Periode“, besonders in Amerika, blieben doch noch fortwährend einige Millionen Arbeiter ohne Arbeit; eine Erscheinung, der wir auch in Deutschland begegnen. Die erste Frage, warum die Marx-Erklärer das Marx’sche Akkumulationsgesetz niemals begriffen haben, findet zu einem Teil ihre Antwort in der Tatsache, dass sie die Methode‚ die Denk- und Arbeitsweise von Marx, nicht genügend kannten.

Marx arbeitete in der Wissenschaft der Ökonomie ebenso wie der Naturwissenschaftler, der die Gesetze aufspürt, nach denen die Erscheinungen in der Natur verlaufen. Wenn der Naturwissenschaftler z.B. die Gesetze der Schwerkraft aufspüren will, dann arbeitet er nicht „ins Blaue hinein“, sondern er beginnt mit einer Reihe von Experimenten, die die Erscheinung so „rein“ wie möglich zum Vorschein bringen. Alle hindernden Umstände, die der Kraft der Erscheinung im Wege stehen, trachtet er so weit wie möglich auszuschalten. So lässt er verschiedene Gegenstände in einem luftleeren Raum fallen, weil die vorhandene Luft ein gegenwirkender Einfluss ist, der die Wirkung der Schwerkraft teilweise aufhebt. Auf diese Weise bringt der Naturwissenschaftler die Naturgesetze „rein“ zum Vorschein. Naturgesetze, wie sie in der Wirklichkeit niemals sind, wie sie allein in den naturwissenschaftlichen Büchern bestehen, die aber doch die feste Grundlage bilden, von wo aus die Wirklichkeit weiter untersucht und womit gearbeitet werden kann. Später bringt er dann für jede Erscheinung, die eine Abweichung von dem „reinen“ Gesetz im Gefolge hat, eine „Korrektion“ an, so dass er, nachdem alle Umstände berücksichtigt sind, ein getreues Bild der Wirklichkeit bekommt.

Dieser Methode folgt auch Marx bei dem Aufspüren der Gesetze, nach denen die Warenproduktion verläuft. Es stellt den Kapitalismus zuerst „rein“ vor, d.h., er schaltet erst verschiedene Umstände aus, welche die Erscheinung, die er untersuchen will, behindern.

Bei der Untersuchung des Problems der Akkumulation stellt er es darum auch zuerst „rein“ dar: Alle Erscheinungen, die das Wesen der Sache verschleiern oder beeinflussen, schaltet er aus. Er untersucht die Akkumulation, wie sie sich in der Wirklichkeit niemals vollzieht. Um die Wirksamkeit des Akkumulationsgesetzes so „rein“ wie möglich zu zeigen, geht er von den folgenden Voraussetzungen aus:

1. Es ist ein isolierter Kapitalismus (kein Außenhandel).

2. In diesem Kapitalismus sind nur Kapitalisten und Proletarier (keine sogenannten „dritte Personen“).

3. Die Waren werden zu ihrem wirklichen Wert getauscht. (Konkurrenz und Marktpreise sind ausgeschaltet).

4. Es gibt keinen Kredit.

5. Der Wert des Geldes ist konstant.

Das Resultat dieser Untersuchung ist dann, dass die Akkumulation, „rein“ dargestellt, dahinführt, dass die Rentabilität des Kapitals unmöglich wird, dass stets mehr Arbeiter aus dem Produktionsprozess herausgeschleudert werden und das Wirtschaftssystem zusammenbricht. Da sich nun aber kein einzelnes Gesetz „rein“ durchsetzt und jedes Gesetz nur das immanente Prinzip ist, das sich durch die verändernden Faktoren in tausendfacher Vielfältigkeit offenbart, so setzt sich auch das Akkumulationsgesetz nicht „rein“ durch, sondern wird durch die eine Einwirkung gebremst, durch die andere verstärkt. So wirkt z.B. das Anwachsen des Beamtenapparates als Beschleunigung des Zusammenbruchs, andererseits die ökonomischen Krisen mit ihrer Vernichtung von Kapital in großem Umfang als ein Gesundungsprozess, der den Marsch zum Zusammenbruch jedes Mal weiter verschiebt.

Nachdem Marx das Akkumulationsgesetz für den „reinen“ Kapitalismus formuliert hat, bringt er dieses Gesetz in Übereinstimmung mit der Wirklichkeit; d.h. alle Faktoren, die er zuerst ausgeschaltet hat, führt er nun Stück für Stück wieder ein, und geht dann ihrer Einwirkung auf den Akkumulationsprozess nach.

So entsteht dann das gewaltige Werk: „Das Kapital“, worin er im 1. Band den „Produktionsprozess“ beschreibt, im 2. Band den „Zirkulationsprozess“ und im 3. Band „den Gesamtprozess der kapitalistischen Produktion“. Der Inhalt das ersten Teils ist das eigentliche „reine Gesetz“, während in den beiden anderen Teilen hauptsächlich die einwirkenden Faktoren als „Korrektion“ zu Stande kommen. Die drei Teile bilden also ein geschlossenes Ganze.

Hier liegt der entscheidende Punkt, die die Marx-Ausleger aus dem Auge verloren oder niemals begriffen haben. Sie haben das „reine“ Gesetz als lebende Wirklichkeit genommen, während es ihre Aufgabe war, zu erklären, wodurch die Gegentendenzen die Kraft des Zusammenbruchsgesetzes aufheben konnten.

Inzwischen lässt ein „Gesetz“ sich wohl aufheben durch verschiedene Umstände, sowie diese aber aufhören zu wirken oder an Kraft nachlassen, dann setzt das Gesetz sich durch. Und in dieses Stadium von Entkräftung vieler „Gegentendenzen“ sind wir jetzt eingetreten, so dass die Zusammenbruchstendenz (vielleicht wäre es besser, von einer „Auflösungstendenz“ zu sprechen) sich durchzusetzen beginnt (3).


Redaktionelle Anmerkungen

1. http://pombo.free.fr/grossmann29.pdf

2. Gemeint: Die materialistische Geschichtsauffassung . 1927. (2 Bände) .

3. Siehe auch Brief von Paul Mattick an Anton Pannekoek, S. 37 [Probably intendent: Letter of 27 May 1934].


Compiled by Vico, 19 August 2021


























Also see: Theorien über kapitalistischer Krisen und Imperialismus.