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Antonie Pannekoek Archives

Pressedienst

Quelle: a.a.a.p.


Pressedienst

Gruppe Internationaler Kommunisten (Holland) : p.i.k.: Pressedienst der Internationalen Kommunisten-Holland, 1928-1933. – Transkribiert und herausgegeben für Rätekommunismus ; Mitarbeit von der Association Archives Antonie Pannekoek; €15,80.


Der Klassenkampf in England:


Quelle:  Pressedienst der g.i.k., Nr. 12, 1929 (i.i.s.g. ); Transkribiert und herausgegeben von Hans-Peter Jacobitz und Thomas Königshofen; Mitarbeit von der Association Archives Antonie Pannekoek.


Die Gewerkschaften als Unterhändler
Der Charakter der Krise
Das Verhalten der Kommunistischen Partei in England

Die englische Arbeiterklasse, früher die Arbeiteraristokratie der Welt, die am besten bezahlten Lohnsklaven auf dem Erdball, hat ihre bevorrechtete Position seit der großen Krise von 1921 aufgeben müssen.

Die eine Industrie nach der anderen erklärte, bei den hohen Löhnen nicht mehr als „Konkurrent“ auf dem Weltmarkt auftreten zu können, und darum war es von „allgemeinem Interesse“, im Interesse der nationalen Industrie, dass die Löhne herabgesetzt werden. Die Arbeiter mussten begreifen, dass, wo nichts ist, auch nichts zu holen sei.

Wenn nun auch die Arbeiter dieses nicht in gewünschter Weise begriffen, die Gewerkschaftsführer verstanden es nur zu gut. Sie ließen es darum selten oder nie zum Streik kommen, weil sie sehr gut wussten, dass er nicht zu gewinnen war. Sie wussten weiter, dass ein Streik die Rentabilität des in die Produktion gesteckten Kapitals nun nicht gerade erhöht. Wenn es auch im Ausnahmefall so sein mag; in der Regel leidet der Profit. Die Gewerkschaften nahmen dann auch den Streik nicht auf und stimmten nach einigem Hin- und Hergerede einer Lohnherabsetzung zu. Vom „Kampf“ für Verbesserung der Arbeitsbedingungen blieb nur noch übrig, dass die Gewerkschaftsführer über die Höhe der Lohnherabsetzung verhandelten. Verlangten die Unternehmer z.B. 15% Verminderung und kam es beim Verhandeln zu 10%, dann endete der „Kampf“ mit einem Sieg der Gewerkschaften, denn sie hatten 5% Abzug abgewehrt.

So ging und geht die englische Arbeiterklasse (und nicht nur die englische) stets siegend ihrem Untergang entgegen.

Die Krisis:

Die anhaltende Malaise in der englischen Industrie ist tatsächlich keine Phantasie der Unternehmer, sondern die nackte Wirklichkeit. Sie ist der Ausdruck der Tatsache, dass die Produktionskosten in England höher sind als z.B. in Deutschland oder Amerika; sie zeigt an, dass industriell angelegtes Kapital sich nicht rentiert. Nun ist das an und für sich nichts Besonderes, es ist eine in der kapitalistischen Warenproduktion ständig wiederkehrende Erscheinung. Die kapitalistische Produktionsweise schafft für einzelne Unternehmungen eine besondere Lage. Sie arbeitet für den Profit, das ist also die Grundlage ihrer Existenz. Aber durch den gegenseitigen Konkurrenzkampf zwischen den Unternehmungen wird dieser Profit fortwährend bedroht. Verbesserte Arbeitsmethoden und bessere Maschinen verändern ständig die Bedingungen für das Einbringen des Profits. Die Unternehmung, die nicht gleichen Schritt halten kann und zurückbleibt in der technischen Entwicklung, erzielt schließlich keinen Profit mehr. Das darin angelegte Kapital rentiert sich nicht und wird dadurch selbst entwertet, vernichtet.

Das Tempo dieser Entwicklung und damit zugleich der Veränderung der Bedingungen der Profitgewinnung ist gerade nach dem Kriege rasend schnell geworden. Haben schon die letzten hundert Jahre an technischer Entwicklung mehr gebracht als in 20 Jahrhunderten davor, in den letzten 10 Jahren geht es in Sprüngen. Bei diesem Tempo ist der englischen Industrie der Atem ausgegangen.

Ist also nichts Besonderes dabei, dass sich das englische industrielle Kapital nicht genügend rentiert, so ist es doch bezeichnend, dass es diesen Zustand nicht überwinden kann. Die Ursache davon ist das „Alter“ der englischen Industrie.

In den letzten Jahren ist die „Rationalisierung der Betriebe“ das Leitmotiv der Industrie in der ganzen Welt geworden. Neue Arbeitsmethoden wurden eingeführt, der Produktionsapparat umgebaut und dadurch die Produktionskosten derart gesenkt, dass das Kapital sich wieder rentierte. Natürlich nur so lange, bis auch hier wieder die Grenze erreicht ist. Die englische Industrie aber konnte diesem lockenden Beispiel der französischen, deutschen, amerikanischen und italienischen Betriebe nicht folgen. England ist das älteste industrielle Land und hat deswegen auch den ältesten Produktionsapparat am Halse. Es dreht sich hier um einen Umbau der Betriebe; um einen modernen Produktionsapparat daraus zu machen, muss nahezu alles abgebrochen werden. Das bedeutet demnach, dass Millionen in der Industrie investierten Kapitals einfach abgeschrieben werden müssen, m.a.W.: Die englische Bourgeoisie, die diese Betriebe besitzt, muss in Wirklichkeit enteignet werden, in dem Sinne, dass die heutigen Betriebe wertlos werden.

In den leitenden Kreisen der englischen Bourgeoisie ist man sich dessen sehr gut bewusst, doch damit ist ihnen natürlich nicht geholfen.

Es ist für die englische Bourgeoisie ein hoffnungsloser Fall. In dieser Situation finden sie keinen anderen Ausweg, als die Herabsetzung der Produktionskosten durch die Arbeiter bezahlen zu lassen: Sie setzen die Löhne herab. Doch auch dies wird wenig nützen. Der verschärfte Konkurrenzkampf, der international mit fortwährend größerer Heftigkeit geführt wird, bewirkt, dass der englische Produktionsapparat stets mehr ins Hintertreffen gerät. Die Löhne werden darum stets mehr herabgesetzt werden müssen, die absolute Verelendung ist für die englische Arbeiterklasse eingetreten. (Dies ist auch für die ganze Arbeiterklasse der hochindustriellen Länder der Fall, aber aus anderen Ursachen.)

Die englische Arbeiterklasse wird damit in Wirklichkeit vor die Frage der Revolution gestellt, einer Revolution, die die Bewegungsgesetze der Warenprodukten, der Produktion um den Profit, der Rentabilität des Kapitals aufhebt. Die Linkssozialisten in England haben nun wohl ein scheinbar ausgezeichnetes Programm aufgesetzt, um die Betriebe, die bei einem „auskömmlichen“ Lohn für die Arbeiter nicht bestehen können, zu „nationalisieren“, aber damit wird die Produktivität nun nicht gerade erhöht, die Produktionskosten nicht herabgesetzt. Der einzige Nutzen von derlei Experimenten würde sein, dass der Bankrott des Staatskapitalismus schnell offenbar wird. Auch das Rezept einer „Arbeiterregierung“ verändert an diesem Zustand nichts.

Es fragt sich nun, wie die englische Arbeiterklasse auf die fortwährenden Angriffe auf ihren Arbeitslohn reagiert. Und da muss gleich gesagt werden, dass sich wohl eine sogenannte Nörglerstimmung gegen die Gewerkschaftsführer durchsetzt. Man beschimpft sie als „Verräter“ und „Bundesgenossen des Kapitals“, doch von einer eigentlichen Aktion gegen die Gewerkschaften, von einem selbstständigen Kampf außerhalb und gegen die Verbände ist noch wenig zu bemerken. Die kommunistische Partei Englands fühlt sich berufen, die Unzufriedenen um sich zu versammeln; wenigstens muss man solches schließen aus den Äußerungen ihres Organs Workers Life. Das Blatt gibt dem Volke kund: „Der Kampf der Textil-, Eisenbahn- und Bergarbeiter bricht aus.“ „Der Generalstreik bricht sich überall Bahn“, doch ist wohl nur der Wunsch der Vater des Gedankens. Weiter verkündet sie, dass der Kampf gegen die Gewerkschaftsbürokratie unabhängig von dieser geführt werden soll und muss. Den Arbeitern wird zugerufen: Bildet Betriebskomitees, wählt eigene Streikleitungen, nehmt euch in Acht vor den Schlichen der Bonzen und bedenkt, was Lohnkürzungen bedeuten.

„Unabhängiger Kampf ist der alleinige Weg.“

Weiter erfahren wir aus dieser Zeitung vom 20. September 1929, wie als Protest gegen die Lohnkürzungen in der Baumwollindustrie (die mit Hilfe der Gewerkschaft durchgeführt wurden) Resolutionen von Arbeitern eingebracht wurden, die den Streik verlangten und auch, dass die Arbeiter sich weigern wollten, weiter Beiträge an die Gewerkschaften zu bezahlen. Die Antwort der k.p.e. ist darauf:

„Die Gewerkschaften zu verlassen is nicht gut“

Das kann ein Mensch mit gesundem Verstand nicht mehr verstehen. Die k.p.e. ruft auf zum selbstständigen Kampf außerhalb und gegen die Gewerkschaften: Es muss eine Lohnerhöhung von 12½% verlangt werden, während der Kampf unter der Leitung von aus der Masse gewählten Textilarbeitern geführt werden soll. Man muss kämpfen gegen die Bürokraten und absehen von der Streikunterstützung der Gewerkschaften. Und doch lautet der Befehl: Bleibt in den Gewerkschaften.

Diese Haltung ist schließlich nur so zu verstehen, dass man sich als Revolutionär ausgibt, tatsächlich aber die Bildung einer Kampffront verhindern will.

Es hat wenig Sinn, den Ereignissen in England vorauszueilen. Doch so viel ist sicher, dass der wirkliche Kampf der Massen nicht ausbleiben kann. Sie stehen dann, ebenso wie überall in den hochindustriellen Ländern, ihren Gewerkschaften gegenüber, d.h., dass auch in England die Gewerkschaften vernichtet werden müssen, bevor man von einer siegenden Arbeiterklasse in England sprechen kann.


Compiled by Vico, 21 August 2021