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Antonie Pannekoek Archives

Revolutionärer Volkskrieg oder konterrevolutionärer Bürgerkrieg? / Heinrich Laufenberg, Fritz Wolffheim, 1920


Revolutionärer Volkskrieg oder konterrevolutionärer Bürgerkrieg? : Erste kommunistische Adresse an das deutsche Proletariat / Heinrich Laufenberg, Fritz Wolffheim. – Hamburg : Buchverlag Willaschek & Co., [1920]. – 15 S.; Quelle der Transkription: Unbekannt. Sehe auch: Der Hamburger „Nationalbolschewismus“: Heinrich Laufenberg (1872-1932) und Fritz Wolffheim (1888-1942)


Heinrich Laufenberg — Fritz Wolffheim
Revolutionärer Volkskrieg oder konterrevolutionärer Bürgerkrieg?
Erste kommunistische Adresse an das deutsche Proletariat
Buchverlag Willaschek & Co., Hamburg 3
11. 15. Tausend
[Hamburg 1920]


Die vorliegende Schrift erschien erstmalig als Beilage der k.a.z. Die Debatten über die Adresse haben zu einer lebhaften Nachfrage nach der gänzlich vergriffenen Veröffentlichung geführt, der der Verlag durch die Neuausgabe Rechnung trägt.


Die Adresse ist gezeichnet: Im Auftrage der Ortsgruppe Hamburg der Kommunistischen Partei Deutschlands. Im Anschluss an die Veröffentlichung hat in der Ortsgruppe Hamburg eine lebhafte Diskussion über die in der Schrift herausgearbeiteten Gesichtspunkte eingesetzt, bei deren Abschluss diejenigen Personen, die an der spezifisch spartakistischen Politik festzuhalten entschlossen waren, und die deshalb den Inhalt der Adresse ablehnten, aus der Ortsgruppe ausschieden. Die Ortsgruppe hat im Anschluss an diesen Reinigungsprozess endgültig jede Beziehung mit der Kommunistischen Partei Deutschlands (Spartakusbund) gelöst.

Die Verfasser.

Hamburg, am 1. Juni 1920

I.

Die Novembererhebung war der Ausdruck der Volksempörung über den verlorenen Krieg. Sie war getragen nicht nur von den revolutionären Schichten der Arbeiterschaft, sondern auch von der Armee und Teilen des Bürgertums. Eine proletarische Politik hätte Verbindung und Bündnis mit Sowjetrussland sofort hergestellt, hätte durch straffen Ausbau der Räteherrschaft und weitgehende Sozialisierung der Wirtschaft die Kräfte des Landes wie zu einem ehernen, zum Schlage bereiten Hammer zusammengefasst, um die volle Kraft der Revolution gegen die bürgerlichen Demokratien des Westens zu wenden, indem sie den revolutionären Widerstand organisierte, eine rote Armee ins Leben rief und die soziale Revolution über die besetzten Lande hinweg bis unmittelbar bis (sic!) an die Grenzen Frankreichs und Englands trug. Eine proletarische Politik hätte den Frieden von Versailles von vornherein zur Unmöglichkeit gemacht. Zwar verhalfen die Proletarier der Novembererhebung zum Siege, aber ihre Politik vermochte sich nicht durchzusetzen. Es siegten jene Tendenzen, die im Wesentlichen das eine Ziel verfolgten: Frieden um jeden Preis, um durch Anpassung der deutschen Staatsform an die Wünsche der anglo-amerikanischen Großfinanz von der Entente eine möglichst weitgehende Milderung der in sicherer Aussicht stehenden harten Friedensbedingungen zu erlangen.

Damit war die Niederlage Deutschlands, die auf den Schlachtfeldern nicht vollzogen war, vollendet, vollendet durch die Politikanten, in deren Hände das Schicksal der Novembererhebung fiel. Feige und erbärmlich, in schlotternder Angst vor der Bewaffnung des Proletariats, überboten sie noch die Verräterpraxis, die die Bourgeoisie der französischen Republik von 1871 wider das eigen Land trieb; ohne jeden Versuch, die revolutionäre Volkskraft zu organisieren, gaben sie das besetzte Gebiet preis und entwaffneten das Land, um der Willkür der feindlichen Generäle und ihrer Auftraggeber der Großfinanz ihrer Länder, die Bestimmung über das zukünftige Los der deutschen Nation zu schrankenlos überlassen. Was war eine Politik, von der von vornherein feststand, daß sie zur Unterzeichnung eines entehrenden Waffenstillstandes zum Vernichtungsfrieden von Versailles führte, was war diese Politik anders, als nackter Landesverrat? Landesverrat war die Propaganda für Völkerbund und Wilsonfrieden, Landesverrat war die Herausgabe deutscher Verkehrsmittel und Industriemaschinen, Landesverrat, den Hunderttausende mit dem Leben bezahlten, war die Auslieferung landwirtschaftlicher Produktionsmittel in einem Augenblick, in dem das Volk erschöpft durch die vierjährige Hungerblockade, von Seuchen und Hungersnöten durchwühlt, zusammenbrach. Die gleichen Parteien, die sich der Revolution entgegengestemmt hatten, solange das Volk noch die Kraft besaß, nach einer vollzogenen Revolution sofort den Widerstand gegen den feindlichen Imperialismus zu organisieren, die Sozialdemokraten und ihre unabhängigen Trabanten, die Demokraten und das Zentrum, nach vollzogenem Umsturz schwangen sie sich an die Spitze der neu entstandenen deutschen Republik, um sie zu erdrosseln, da sie sie nicht zu verhindern vermocht hatten.

Unter dem Geschrei, daß nur die Nationalversammlung und die willenlose Anpassung an alle die niederträchtigen Blutsauger- und Ausbeutungsgelüste der Entente, dem Volke Brot, Arbeit und Frieden verschaffen könne, wurden die Ansätze der bewaffneten Herrschaft der Arbeiterklasse zertrümmert, der kapitalistische Staat aufgerichtet, Volk und Land dem imperialistischen Landesfeinde überantwortet. Aber von all den verlogenen Versprechungen, mit denen man die Revolution zu entmannen gewusst hatte, traf nicht eine einzige ein. Kein Friede, kein Brot keine Arbeit – dafür die Vollendung des Bankerotts im Innern! Die Desorganisation der Wirtschaft, begonnen mit der Auslieferung lebensnotwendiger Gebiete an den imperialistischen Landesfeind, nimmt mit jedem Tag reißend zu. Das Geld ist zur Makulatur entwertet, die Valuta nähert sich dem Nullpunkt. Einzuführende Lebensmittel können nicht bezahlt werden, die Kohlen um deren Bergwerke die Regierung der Republik das Volk betrog, indem sie einen Teil von ihnen dem Ausland überantwortete, den anderen Teil zu sozialisieren sich weigert, gehen nach dem Ausland, indes das Volk zu erfrieren droht, die Nahrungsmittel im Lande, die bei der mittelmäßigen Ernte ohnehin nicht allzu reichlich vorhanden waren, werden von Spekulanten und Schiebern an das Ausland verhökert, während das Volk für sein entwertetes Geld nicht einmal die unter dem Existenzminimum sich haltenden Rationen erlangen kann, die ihm auf Karten zustehen. Bei alledem droht die Stockung des Verkehrs, hervorgerufen durch die Auslieferung tausender von Lokomotiven, hunderttausender Waggons an das Ausland, die einzelnen Wirtschaftsgebiete des Landes voneinander zu lösen. Schon machen sich Separationsbestrebungen in allen Teilen des Reiches bemerkbar, die die Landeseinheit in Frage stellen. Kein Friede, - nicht einmal ein Waffenstillstand, sondern das Herumtrampeln von bis an die Zähne bewaffneten Gegnern auf dem Körper eines Überwundenen, dem man vorher die Waffen zerschlug. Das ist das Resultat der bürgerlichen Nationalversammlung, der sozialdemokratischen Regierung der glorreichen deutschen Republik. Was soll werden? Ist ein Volk gezwungen, mit gebundenen Händen zu verhungern und zu Grunde zu gehen, während ein Ruck genügt, seine Ketten zu sprengen?

Der Friede von Versailles, von Deutschlands hündischsten Kreaturen anerkannt, von den Mächten der Entente trotzdem nicht ratifiziert, ist schon in Fetzen gerissen. Um Fiume raufen sich die Hetzhunde der Großmächte, vor Riga donnern die Kanonen deutscher Söldner unter den Fahnen der nationalrussischen Konterrevolution, in der russische und borussische Junker unter russisch-nationalen Fahnen ihre Klasseninteressen und die bevorzugte Stellung ihrer baltischen Vettern zu sichern suchen. Die Blockade, kaum aufgehoben, ist aufs Neue verhängt. Weit entfernt davon, den Weltkrieg zu beendigen, hat der Friede von Versailles den Krieg sogleich auf neuer Grundlage entfacht. Deutschland, ausgeschaltet aus der Reihe autonomer Staaten, ist zum Objekt dieses Krieges geworden, und während seine so genannte Regierung sich ängstlich an die papiernen Fetzen von Versailles gebunden erachtet, bedroht die erneuerte Blockade das Land mit einer bis zur Unerträglichkeit gesteigerten Hungersnot, mit Seuchen und der endgültigen politischen Zertrümmerung und wirtschaftlichen Verwesung. Über den zerrissenen Leib Deutschlands hinweg rollen die Kugeln neuer Entscheidungen von weltweiter Bedeutung.

Während Japan sich nie unmittelbar in die europäischen Händel einmischte, und die Vereinigten Staaten sich eiligst aus ihnen herauszuwickeln suchten, sind beide damit beschäftigt, ihre Stellungen auszubauen und sich auf den Entscheidungskampf um den Stillen Ozean vorzubereiten, so daß die zwischen ihnen bestehenden unausgleichlichen Gegensätze zunächst weniger akut erscheinen, treten die Angelegenheiten des östlichen Europas in den Vordergrund der Weltpolitik. Frankreich und England, einig nur, solange die Zertrümmerung Deutschlands auf der Tagesordnung der Geschichte stand, ringen um die Vorherrschaft in Osteuropa und Vorderasien. Der Friede von Versailles, der durch die Feigheit und Unfähigkeit der deutschen Regierungseunuchen zwar die Möglichkeit schuf, Deutschland am Boden zu halten, sollte zugleich eine Regelung der Ostfragen konstituieren, die den englisch-französischen Gegensatz dort dauernd beseitigte. Daß es vollkommen unmöglich war, dieses Ziel zu erreichen, beweist schon der fluchtartige Rückzug der amerikanischen Politik aus dem Gewirr der östlichen Interessengegensätze. Zwei große Komplexe von Interessengegensätzen klaffen auf. In Europa prallt der französisch-polnisch-tschechisch-rumänische Staatenbundsgedanke auf die englische Interessensphäre an der unteren Donau, in Ungarn und den jugoslawischen Ländern sowie im Baltikum. In Asien bedroht Frankreich, gestützt auf sein nordafrikanisches Reich und die enge Anlehnung an Italien und dessen nordafrikanische Gebiete unmittelbar die Schlüsselstellungen Englands am persischen Golf und in Ägypten.

Durch die Eingliederung von Persien und Afghanistan in sein Weltreich hat England die Länderkette, die sich um den Indischen Ozean legt, geschlossen. Vom Kaplande im Süden Afrikas bis hinauf nach Ägypten, von Ägypten über Arabien nach Indien, legt sich eine ununterbrochene Strecke englischer Kolonien und Einflusszonen. Das indische Weltmeer ist im vollen Sinne des Wortes zu einem englischen Binnensee geworden. Aber England vermochte es nicht zu verhindern, daß Frankreich die alten Traditionen seiner Politik wieder aufgriff und sich in Syrien und Palästina, in der für England gefährlichsten Nachbarschaft festsetzte. Und die Gefahr dieser Nachbarschaft wurde um so größer, als die französische Großfinanz mit vielem Geschick und unleugbarem Erfolg die Politik des deutschen Imperialismus wieder aufgegriffen hat.

Vom Baltikum über Polen, die Tschecho-Slowakei, Ungarn und Rumänien, dazu verbündet mit den konterrevolutionären Heerhaufen der Ukraine, sucht Frankreich den ganzen Randstaatengürtel des früheren Zarenreiches von der Ostsee bis herab ans Schwarze Meer sich politisch zu unterwerfen und zu einem großen Staatenkomplex unter französischer Hegemonie zusammenzufassen. Gelingt diese Absicht, so zwingt es vermöge seiner Stellung in Syrien und Palästina die umklammerte Türkei, mag ihre Staatsform sein, welche sie wolle, in seinen Bann. Es gefährdet damit nicht allein die englischen Schutzstaaten des Balkans vom Rücken her; gestützt auf jene quer durch Europa gelegte Staatenbarriere, bedroht es unmittelbar die englische Weltstellung am persischen Golf und in Ägypten. Damit wäre der Plan des deutschen Imperialismus verwirklicht, verwirklicht von einem ungleich gefährlicheren Rivalen als es der deutsche Imperialismus selber für England jemals war. Denn außer über seine europäischen Vasallenstaaten gebietet Frankreich über ein Kolonialreich, das die nördliche Hälfte des afrikanischen Kontinents von der Küste des Atlantischen Ozeans bis an die englische Zone in Darfur und im libyschen Hinterland umfasst, das sich von den Gestaden des Mittelmeeres bis über den Äquator erstreckt, um die vormals deutsche Kolonie Kamerun zum ewigen Zankapfel zwischen England und Frankreich zu machen. Überdies ermöglicht es die enge Verbindung Frankreichs mit Italien, sich auf dem italienischen Besitzstand in Tripolis und Erythrea zu stützen und aus unmittelbarer Nähe der Straßen von Suez und Aden, die in das Rote Meer führen, die beiden Zugänge zum Roten Meer, zum Verbindungswege nach Indien zu bedrohen. Die englische Stellung in der Welt sieht sich einem gigantischen französischen Aufmarsch gegenüber, und die Bedrohung wird vollendet durch die großen Flankenstellungen, die Frankreich im Indischen Ozean besitzt, Madagaskar im Westen und die hinterindischen Reiche Tonkin, Annam, Cambodscha und Cochinchina im Osten.

Das Ringen um das Mittelmeer und seine Randländer findet seinen Widerschein im Norden. Der Kampf um Ägypten und den Suez-Kanal als Achse des englischen Weltreichs wird letzterhand entschieden im Kampf um die strategische und maritime Grundlage des englischen Weltreichs in den heimischen Gewässern. Vermöge seines Übergewichts über Belgien beherrscht Frankreich die flandrische Küste, die Ausfalltore wider die Mündung der Themse. Stößt Frankreich jetzt auch an die Ostsee vor, entsteht hier unter seinem Einfluss ein junkerliches Baltikum, als nördlicher Ausläufer dieses Randstaatengürtels, dann ist es mit der alleinigen Herrschaft Englands über die Ostsee vorbei, die es der Verlumpung der deutschen Regierungshampelmänner verdankte, seitdem sie nach dem Zusammenbruch im Westen ihm den Weg in jenes Meer schrankenlos und ohne Not öffneten. Sobald aber Frankreich an der Ostsee selber Fuß fasst, wächst sein Einfluss in Dänemark, in Finnland und im skandinavischen Norden, und es tritt die Möglichkeit hervor, das Gewicht dieser Länder geschlossen gegen England zu kehren und seine politische Stellung an der Nordsee selber vom Rücken her aufzubrechen, wie sie bereits durch Frankreichs Stellung als größte Militärmacht des Kontinents und seine Vorherrschaft in Belgien in der Front bedroht und erheblich geschwächt ist. Während den Scharmützeln der Allliierten untereinander in Budapest vergleichsweise nur eine untergeordnete Bedeutung zukam, steht der Kampf um Fiume und der Kampf um Riga, der von allen Zeiten voll entbrannt ist, im Brennpunkt der weltpolitischen Entwicklung. Im Kampf um Riga brodeln alle Interessenkreuzungen der russischen und deutschen Konterrevolution, alle Sonderinteressen der einzelnen Glied- und Schutzstaaten des so genannten Völkerbundes wie in einem Hexenkessel durcheinander. Das Vordringen des französischen Einflusses, als dessen Vorhut der – von den Franzosen aus durchsichtigen Gründen vor der Öffentlichkeit zunächst noch verleugnete – russische Freibeuter Awaloff-Bermondt mitsamt seinen deutschen Landsknechten erscheint, der deshalb vom General Judenitsch des Landesverrats geziehen wird, hat England veranlasst, seinen ursprünglichen Plan der Zurückziehung aller englischen Truppen von russischem Gebiet  aufzugeben, und den Vorstoß des General Judenitsch auf Petersburg zu unterstützen, um im Falle der Übergabe dieser Stadt nicht allein dem französischen „Bundesgenossen“ zuvorzukommen, sondern einen Platz im Rücken der französischen Stellung in der Hand zu haben, falls es Frankreich tatsächlich gelingen sollte, durch den Fall von Riga an der Ostsee Fuß zu fassen und ein junkerliches Baltikum aufzurichten. Die hilfsbereite Landsknechtsunterstützung, die jetzt deutscher Landsknechtsgeist, ungebeten und ohne auf Dank rechnen zu können, auf dem Wege über Awaloff-Bermondt der französischen Militärpolitik angedeihen lässt, bedroht England mit der Zertrümmerung seiner Oberherrschaft über die Ostsee und damit seiner Stellung in ganz Nordeuropa. Wie Fiume ein Brennpunkt der gesamten Interessenkreuzungen im Mittelmeer ist, so ist Riga der Schlüssel zur Herrschaftsstellung im nördlichen Europa. Beide zusammen haben aber nur die Bedeutung von Vorposten, gemessen an den riesigen Ausmaßen jenes Gegensatzes zwischen der französischen und englischen Weltpolitik in ihrem Kampf um Asien.

Wenn der Völkerbund gesprengt war, kaum daß auf dem Papier seine Konstituierung vollzogen, wenn auch nach der Zertrümmerung Deutschlands der weltweite Gegensatz zwischen Frankreich und England, Japan und Nordamerika jäh aufblitzt, so wird die volle Entfesselung der Gegensätze bis auf weiteres noch gelähmt durch den Kampf gegen Sowjet-Russland, dessen Niederwerfung für alle Mächte des Völkerbundes ein gemeinsames Ziel gemeinsamen Handelns bildet. Gegen Sowjet-Russland marschieren noch gemeinsam jene Heere, die bestimmt sind, nach der Niederwerfung Räte-Russlands gegeneinander zu schlagen und während die Niederwerfung der proletarischen Republik für den Imperialismus des Völkerbundes die gleiche Lebensnotwendigkeit ist, wie die dauernde Niederhaltung Deutschlands, sucht die so genannte Reichsregierung Deutschlands, ungebeten und ohne auf Dank rechnen zu können, nach Mitteln und Wegen, wie sie dem Imperialismus der Henker Deutschlands das Werk der Niedertrampelung Räte-Russlands erleichtern kann.

Vor Petersburg kämpft Judenitsch mit englischen Schiffsgeschützen, auf Moskau rückt Denikin, im Osten reorganisiert der geprügelte Koltschak seine Heerhaufen – und um die wirtschaftlichen Nöte Russlands noch zu steigern, hat man zu den schärfsten Mitteln der Blockade gegriffen, an denen sich zu beteiligen die elende Regierung Deutschlands nicht grundsätzlich abgeneigt ist in der erbärmlichen Hoffnung, dadurch vielleicht eine Milderung der Blockade des eigenen Landes zu erlangen. Mit den konzentrisch zum Angriff angesetzten Heeren naht Russlands Schicksalsstunde heran. Fiele Räte-Russland und würde das Land eine Kolonie der Ententestaaten, von ihnen in Einflusssphären aufgeteilt, so wäre das Schicksal der einzigen Macht besiegelt, die Deutschland die Hand zu reichen vermag zur gemeinsamen Wiederaufrichtung. Die sogen. deutsche Regierung, die als elender Handlanger der Entente sich an der Erdrosselung Russlands offen und versteckt beteiligt, krönt damit das Werk des Landesverrates, das sie mit der Orientierung ihrer Politik nach dem Westen und der Unterzeichnung des Waffenstillstandsvertrages begann.

Gegenüber dem Ansturm der vereinigten Heerhaufen der Konterrevolution der imperialistischen Welt operieren die Bolschewiks mit militärischen und noch mehr mit politischen Mitteln. Der proletarische Gedanke, zum Staatswesen konsolidiert in Räte-Russland, jagt seine Funken durch die feindlichen Heere. In Denikins Rücken brach der Aufstand der ukrainischen Woroneschbauern aus und das wichtige Kiew ging verloren, im Baltikum suchen Esten und Letten und eine starke Schicht der Finnen die Verständigung mit der proletarischen Republik; in Polen, wo die Bourgeoisie noch weit mehr als im höher entwickelten Deutschland völlig abgewirtschaftet hat, droht jeden Tag der Aufstand aufzuflammen. Der Heldenmut der Roten Armee hat bisher siegreich allen Anstürmen der Konterrevolution getrotzt. Aber wie immer auch die Offensive der Denikin und Judenitsch enden mag – selbst wenn Petersburg und Moskau fiele – Russland wäre nicht verloren. Das föderative Zellensystem lokaler und territorialer Sowjets, das das Land bedeckt, ist nicht mit einigen Hieben zu zerreißen. Bevor nicht Schritt für Schritt ganz Sowjet-Russland erobert und von weißgardistischen Heerhaufen durchdrungen ist, lebt nach wie vor in Russland die proletarische Republik.

Die deutsche Revolution, von bürgerlicher Feigheit und Ideenlosigkeit getragen, hat zum Frieden von Versailles geführt. Die Lebenskraft der proletarischen Revolution in Russland wirkt zurück auf die Energie und den Lebenswillen der deutschen Proletariermassen und drängt sie zum Anschluss an Räte-Russland zum gemeinsamen Wiederaufbau. Russlands Schicksal hängt an Deutschlands Schicksal, wie Deutschlands Schicksal an Russlands Schicksal hängt. Denn nur vom Osten her kann sich der Wiederaufbau Deutschlands vollziehen, da ihm im Westen der französische Militarismus, der englische Imperialismus und die kleinen Kläffer des Völkerbundes den Weg versperren. Die Tatsache des Versailler Friedens, der nur durch die proletarische Revolution Deutschlands vernichtet werden kann, beweist es, daß nur im Kampf gegen den westlichen Imperialismus ein Wiederaufbau Deutschlands möglich ist.

Soweit die deutsche Politik des Kaiserreiches darauf gerichtet war, die uralten wirtschaftlichen Beziehungen Deutschlands zu den Völkern des Ostens und besonders zu den russischen Randvölkern enger zu knüpfen, lag diese Politik im Interesse der Volksgesamtheit. Ihre kapitalistischen, ihre imperialistischen Sonderziele, die auf die Auspressung dieser Völker im Interesse des deutschen Finanzkapitals hinausliefen, und unerreichbar waren ohne die Verknechtung vieler Völker im Sonderinteresse der schmalen, Kapital besitzenden Schicht einer Nation, machten diese Politik volksfeindlich und völkerfeindlich. Die Notwendigkeit der engsten wirtschaftlichen Verbindung mit dem kulturell und industriell hochstehenden Deutschland besteht in einer kommunistischen Wirtschaft für die Völker des Ostens erst recht. Russland kann weder selbst die kommunistische Wirtschaft organisieren, noch die kommunistische Organisation der Randstaaten vornehmen, da ihm dazu die wirtschaftlichen, technischen und organisatorischen Voraussetzungen fehlen. Wie die weiten russischen Ebenen Deutschland die notwendige agrarische Ergänzung und den nötigen Zuwachs an Rohstoffen sichern, so verfügt Deutschland über die schöpferische Kraft in Wirtschaft und Technik, um die industriellen Grundlagen zu schaffen, ohne die eine kommunistische Wirtschaft in den gegebenen Weltzusammenhängen nicht möglich ist.

II.

Der Friede von Versailles verdammt Deutschland zur Ohnmacht in weit höherem Grade, als es nach Abschluss des dreißigjährigen Krieges und während der napoleonischen Periode der Fall war. Am Ende des 17. Jahrhunderts besaß das Reich noch immer die Kraft, sich im Kampfe gegen die Türken zu behaupten und dem sich erst konsolidierenden Russlands als beachtenswerter Gegner zu erscheinen, während die Politik Brandenburgs den schwedischen Expansionsgelüsten einen Damm entgegensetzte und das später aufgeteilte Polen von der Ostseeküste abzudrängen begann. In der napoleonischen Epoche bewahrte die einfache Tatsache, daß die Unterdrückung Deutschlands im wesentlichen nur von einer Front aus, nur von Westen her aufrecht erhalten werden konnte, Preußen und Österreich die Möglichkeit einer selbständigen Politik und gab ihnen ihre Bewegungsfreiheit in dem Augenblick zurück, wo die französische Kriegspolitik im Osten zusammenbrach.

Heute dagegen, nachdem der staatliche Zusammenschluss mit Österreich endgültig aus der Hand gegeben, ist Deutschland – ganz abgesehen von den territorialen Absplitterungen im Westen und Osten, die seine strategische Lage schon an sich wesentlich verschlechtern – von allen Seiten eingekeilt und blockiert. Die Besetzung des Elsass, in Verbindung mit dem französischen Übergewicht in der Tschecho-Slowakei nehmen ganz Süddeutschland in eine Zange, um es bis zur Mainlinie militärisch, politisch und wirtschaftlich dem französischen Einfluss in vollem Umfang auszuliefern. Die Stellung Frankreichs in Belgien und Polen und sein Vordringen nach dem Baltikum bringt ganz Norddeutschland in die gleiche Situation.

Die französische Kontinentalpolitik ist nach dem Abschluss des Friedens von Versailles ein gigantischer Aufmarsch zur Aufbrechung der englischen Weltstellung unter gleichzeitiger Zertrümmerung ihrer Basis in den nordischen Meeren. Wann immer diese Gegensätze entbrennen und in vollem Umfange zum Austrag gelangen mögen – sei es als zweite oder als dritte Phase des Weltkrieges – entschieden werden kann der Kampf, genau wie der deutsch-englische Gegensatz, nur auf europäischen Schlachtfeldern. Und wie im ersten Weltkrieg, unabhängig von dem Schuld- und Sühnegestammel der unfähigen deutschen Diplomatie der Ebertinischen Republik, kraft seiner geschichtlichen Stellung und geographischen Lage mit zwingender Notwendigkeit Belgien es war, wo sich der Aufmarsch der Heere und die Entscheidung des Krieges im Kampfe um die flandrischen Küsten vollzog, so fiele in dieser Phase des Weltkrieges der niederdeutschen Tiefebene die Rolle zu, den englisch-französischen Heeresmassen zum Schlachtfeld zu dienen – nach belgischem Muster mit oder ohne Neutralität. Denn wenn Englands ganze Weltstellung abhängig ist von seiner dominierenden Stellung in den heimischen Gewässern, wenn der Vorstoß Frankreichs nach Riga, Finnland, Schweden, Norwegen und Dänemark in den französisch-englischen Gegensatz als Kampfobjekt mit einbezieht, wenn die dänischen Ansprüche auf Schleswiger Gebiet die wärmste Unterstützung und Förderung nicht bei England, sondern bei Frankreich finden, so wird ohne weiteres klar, weshalb in einer Ebene, die allen gegnerischen Kräften von allen Seiten offen liegt, weshalb gerade in der niederdeutschen Tiefebene sich der Entscheidungskampf zwischen Frankreich und England vollziehen würde.

Als im 18. Jahrhundert der große Kampf um die amerikanischen Kolonien zwischen England und Frankreich ausgefochten wurde, als die Vereinigten Staaten von heute sich mit englischer Hilfe aus der französischen Umklammerung lösten, fiel in der Zeit des siebenjährigen Krieges die Entscheidung zugunsten Englands, weil Frankreich so stark in die kontinentaleuropäischen Händel verwickelt war, daß ihm für die Durchfechtung seiner kolonialen Interessen in Nordamerika nicht Kraft genug übrig blieb. Wenn deshalb damals auf deutschem Boden sich der Aufstieg Englands zur Weltmacht entschied, so mag es ein nahe liegender Gedanke sein, durch Umkehrung dieser Politik und Unterstützung Frankreichs auch auf deutschem Boden die englische Weltmacht zertrümmern zu wollen. Aber die Stellung Deutschlands von heute ist nicht mehr die des 18. Jahrhunderts, und die Verhökerung deutscher Landsknechte an eine der beiden rivalisierenden Weltmächte zum Kampf gegen die russische Räte-Republik schafft dem Lande nicht die Möglichkeit, unter Ausnutzung der rivalisierenden Interessen eine eigene Politik zu treiben, sondern presst es nur um so erbarmungsloser und wehrloser in die Hände des Siegers von morgen. Und das nicht allein. Tobt jener Kampf sich aus auf den deutschen Schlachtfeldern, dann schwindet jede Aussicht und jede Möglichkeit, daß Deutschland aus eigener Kraft sich je wieder erhebt. Mag die deutsche Militärpolitik im Osten mit den Kapriolen der Reichsregierung nichts gemeinsam haben und von was für Gedanken auch immer geleitet sein: so lange sie im Dienste einer westlichen Macht steht, und sich gegen Sowjet-Russland richtet, unterscheidet sie sich nicht wesentlich von der Gesamtpolitik der deutschen Reichsregierung, ist sie im gleichen Umfange wie diese Landesverrat.

Das deutsche Volk steht an einem Abgrunde, in dem es unrettbar versinkt, wenn es nicht gelingt, eine Organisation zu schaffen, die alle seine Energien zusammenpresst zu einem geschlossenen Ganzen, das nach innen aufbaut und nach außen die Ketten sprengt. Diese Organisation vermag allein noch die proletarische Diktatur, das Räteregiment, den Arbeiterstaat, zu gewähren. Er allein vermag jene Aufgaben zu erfüllen. Wer, der klaren und gesunden Sinnes ist, zweifelt daran, daß der deutsche Kapitalismus in einen tödlichen Ruin verstrickt ist, aus dem es für ihn kein Entrinnen gibt? Die öffentliche Schuld, die unabträglichen Kriegslasten, der Stand der Valuta, die Entwertung des Geldes reden eine deutliche und für den deutschen Kapitalismus vernichtende Sprache. Der Zusammenbruch einer Gesellschaft lässt stets nur zwei Möglichkeiten offen, den Rückfall in niedere oder den Fortschritt zu höheren Formen des Staates und der Wirtschaft. Der Rückfall in niedere Lebensformen aber verschlimmert die Übel, statt sie zu heben. Nicht das steht in erster Reihe, ob wir eine kommunistische Organisation der Wirtschaft wünschen, und welcher Teil des Volkes an ihr zunächst interessiert ist, sondern, daß das Volk, die Gesamtheit, sie haben muss, um nicht als Volk, als Gesamtheit zu Grunde zu gehen. Wenn auch die kommunistische Organisation von Wirtschaft und Volk nicht aufhört, die Forderung einer Klasse zu sein, so ist sie zugleich zu einer unabweisbaren Notwendigkeit für die Gesamtheit, für das ganze Volk geworden, ohne die es keine Rettung, keine Lebensmöglichkeit mehr gibt.

Was aber ist der Zweck aller Politik? Soll sie einer schmalen Schicht innerhalb eines Volkes nützen, selbst um den Preis, daß das Volk als Ganzes darüber zu Grunde geht? Oder ist es das Ziel der Politik, innerhalb der Volksgesamtheit die Wege zu suchen, die dem Volksganzen die denkbar beste Möglichkeit der Existenz garantieren? Das deutsche Kapital, das sich selbst heute noch, nach dem vollzogenen eklatanten Volks- und Landesverrat, den seine Anbiederungen an das anglo-amerikanische Finanzkapital und den französischen Militarismus darstellt, als Träger der nationalen Idee aufspielt, ist nur noch existenzfähig als Büttel und Eintreiber ausländischer Gewalten. Die Bedingungen des Friedens von Versailles sind unerfüllbar, und jeder Versuch, die übernommenen Verpflichtungen zu leisten, entziehen dem Volksganzen ein Stück seiner Existenzmöglichkeit nach dem andern. Der kapitalistische Staat, der sich sozialistische Republik nennt, ist nichts als die Organisation und Konsolidierung des Volks- und Landesverrates zu Gunsten des Imperialismus des Völkerbundes. Kapitalistische Politik ist in Deutschland nur noch denkbar unter der Voraussetzung, daß die Kapitalisten Deutschlands sich zu Agenten des Finanzkapitals des Völkerbundes machen, daß sie durch ihre staatlichen Organe das Blutgeld eintreiben lassen, daß sie den Völkerbundsstaaten überantworten, um von ihnen die Schmiergelder entgegenzunehmen, die jene ihren deutschen Lakaien auszusetzen für gut befinden. Der Kampf gegen die Fremdherrschaft ist heute ein Kampf gegen das deutsche Kapital und seine staatlichen Organe, ein Kampf, dem die Entente mit allen Mitteln entgegenwirkt, weil es in ihrem Interesse liegt, nicht ihre getreuen Blut- und Wächterhunde verrecken zu lassen. Die Zertrümmerung der kapitalistischen Klasse und ihres Staates ist die Voraussetzung für die Zusammenfassung aller Volkskräfte gegen den Imperialismus des feindlichen Auslandes.

Die Tatsache, daß die Existenz des deutschen Kapitals die Existenzmöglichkeit des ganzen Volkes verneint, zwingt die Bourgeoisie zur Organisation des Bürgerkrieges in Permanenz durch eine straff durchgeführte Militärdiktatur gegen die Arbeiterklasse. Die Militärgewalt Deutschlands wird dadurch zu einem Büttel in der Hand der deutschen Kapitalisten und im Interesse des Auslandskapitals gegen das deutsche Volk. Mögen die Militärs glauben, durch ihre Aktionen der Ordnung und deshalb dem Volksganzen zu dienen, so übersehen sie, daß für breite Massen der arbeitenden Klassen auch die notwendigsten Existenzmittel einfach nicht da sind, daß Millionen von ihnen weder Arbeit noch Brot finden können, und daß dieser Zustand nicht geändert werden kann, ohne die Zertrümmerung des Friedens von Versailles, dessen Aufrechterhaltung die deutschen Kapitalisten und im Bunde mit ihnen das deutsche Militär, verbürgen. Daß, solange diese Zustände bestehen, aller Blut- und Eisen-Politik im Innern zum Trotz, lokale und territoriale Revolten sich folgen müssen, bis die überzähligen Millionen im Wege des Bürgerkrieges ausgerottet sind, ist eine absolute Notwendigkeit, wenn man von der Erhaltung der Macht der kapitalistischen Klasse ausgeht. Erst die Zertrümmerung der kapitalistischen Klasse entzieht dem Bürgerkrieg den Boden, erst die Aufrichtung der proletarischen Diktatur schafft die Möglichkeit wie zur Zerreißung des Friedens von Versailles, so zur Vereinigung der Arbeiterklasse in einer einzigen proletarischen Klassenorganisation und zur Herstellung der einheitlichen Volksorganisation.

Die Einheit der Arbeiterklasse im Kampf gegen die kapitalistische Ausbeutung im Interesse des Auslandes widerspricht aufs schärfste den Interessen der deutschen Kapitalisten selbst, die gesonnen sind, sogar um den Preis des Ruins des ganzen Volkes, ihre landesverräterischen Sondervorteile zu wahren. Wie sie auf der einen Seite durch den Versuch der Wiedereinführung des Akkordsystems die einheitliche Phalanx der Arbeitermassen – die unabhängig ist von der Spaltung der Parteien – zu durchbrechen suchen, so liegt es noch in weit höherem Grade im kapitalistischen Interesse, daß Teile der Arbeiterklasse sich wider einander bewaffnen und gegeneinander kämpfen. Jeder Versuch eines Teiles der Arbeiterklasse, durch bewaffnete Sonderorganisationen für einen eng umschriebenen Kreis von Führern die Macht zu erobern, und sich als Schutzgarde dieser Führerdiktatur zu organisieren, ist eine Kampfansage gegen die breiten Massen des Proletariats und wird immer unter allen Umständen die Mehrheit der gesamten Arbeiterklasse als Gegner finden. Es gilt, die proletarische Front über die Trennungslinien der Parteien hinweg herzustellen und die politische Macht der Arbeiterklasse in der Klassenorganisation aller Proletarier, deren Rahmen die Allgemeine Arbeiter-Union schon heute schafft, zu verankern.

Die Organisation herrschender Klassen löst sich auf, wenn sie mit der politischen Macht die Herrschaft über den wirtschaftlichen Apparat verlieren, und wenn die politische Macht zur Zertrümmerung dieses Apparates eingesetzt wird. Mit der Durchführung der proletarischen Volksorganisation fällt die Klassenherrschaft für immer und sie bietet an sich keine Schwierigkeiten. Denn proletarisiert ist heute das deutsche Volk in allen seinen Schichten, mit alleiniger Ausnahme jener schmalen Klasse von Menschen, die es verstanden haben, ihren privaten Reichtum aus dem allgemeinen Bankerott zu retten. Soll aber das deutsche Volk zu Grunde gehen, damit dieser Klasse von Spekulanten, Schiebern und Drückebergern ein bequemes Leben gewährleistet bleibt, oder hat nicht die Arbeiterklasse das Recht, als vollziehendes Organ der Volksgesamtheit die Grundlagen der Parasitenexistenz der Wenigen zu zertrümmern, zumal wenn davon, daß dies bald geschieht, die Existenz der Volksgesamtheit abhängt? Wenn sonach die Herstellung der proletarischen Klassenorganisation die Herrschaft der Bourgeoisie zertrümmert, so schaltet sie keinen aus, der sich der neuen Ordnung und ihrem Gesetz unterwirft, um in ihrem Rahmen seine Kräfte zu verwerten.

III.

Die Zertrümmerung des alten deutschen Reiches und die Unfähigkeit der Parteien für das Volksganze eine neue Form der Organisation zu finden, hat die Desorganisation des Volkes vertieft, die mit der Sprengung der Militärdiktatur, die vordem das Volk wie ein eherner Rahmen zusammenpresste, begonnen worden. Die Sammlung in Parteien, die vordem erträglich war, solange über dem Parteiwesen die militärische und bürokratische Zentralisation dem Volksganzen ein festes Gefüge gab, ist absolut unzureichend nach der militärischen und bürokratischen Auflösung, die mit der Revolution einsetzte. Eine neue Form der Zusammenfassung aller Kräfte, eine neue Zentralisation, die aus Landesteilen einen einheitlichen Staat zusammenschweißt, ist nur möglich auf breitester demokratischer Grundlage. Und zwar ist die proletarische Demokratie, das heißt, die Zusammenfassung und Gleichberechtigung aller Arbeitenden, die Basis, auf der sich durch die Formationen der Räte die neue Zentralisation erheben kann und erheben wird. Ohne proletarische Demokratie keine Räteverfassung – ohne Räteverfassung kein zentralisierter Staat. Das ist eine Lehre, die sogar die regierenden Sozialdemokraten aus dem organisatorischen Chaos gezogen haben könnten, das sie täglich zu vergrößern sich bemühen.

Nach welchen Gesichtspunkten wird beim Sturz der Bourgeoisie die proletarische Diktatur in Deutschland verfahren? Bei dem industriellen Hochstand Deutschlands liegt das Schwergewicht in den Massen der Arbeiterschaft der Riesenbetriebe, Massen, die durch den kapitalistischen Produktionsprozess selbst föderalistisch vereinigt sind, und vorzugsweise die menschliche Grundlage, wie der künftigen Wirtschaft so des staatlichen Neubaues abgeben. Für den kommunistischen Staat, der nichts anderes darstellt als die Organisation des Volksganzen durch die Arbeiterklasse, sind deshalb die Riesenbetriebe die ersten Zellen seiner Existenz, von denen die Organisation der Wirtschaft und des Staates ausgeht. Sie haben die Aufgabe, zunächst in ihren Betrieben über die trennenden Schranken der Parteien hinweg die proletarische Klassenorganisation ins Leben zu rufen, und aus ihr die ersten Stufen des Rätesystems in Betriebsräten und Ortsräten zu entwickeln. Nur soweit es sich um die Arbeitermassen handelt, die nicht in großen Betrieben vereinigt sind, wird die Organisierung nach Wohnbezirken durchgeführt werden, um zur Konstituierung von Ortsräten zu gelangen, wobei die Zugehörigkeit zur proletarischen Klassenorganisation die Voraussetzung für das Wahlrecht bildet, und diese Zugehörigkeit ist lediglich abhängig davon, daß produktive oder gemeinnützige Arbeit verrichtet wird. Die zwangsweise Ausschaltung aller Parteien und sonstigen Vereinigungen aus dem Wahlprozess, der die Grundlage der Räteverfassung erschafft, ist die erste organisatorische Aufgabe der proletarischen Diktatur.

Ist die proletarische Klassenorganisation hergestellt und die Konstituierung der politischen Gewalt in Ortsräten erfolgt, so zentralisieren sich die Ortsräte zu Bezirks- und Territorialräten, aus denen der Oberste Landesrat herauswächst, während sich die Tätigkeit der Räte nach Kommissariaten gliedert. Zugleich beginnt die Zusammenfassung der Spezialisten innerhalb der proletarischen Klassenorganisation nach Berufen und Funktionen. Lehrerräte, Technikerräte, Ärzteräte sowie Räte aller anderen Gruppen von Spezialarbeitern stehen den einzelnen Kommissariaten zur Verfügung, um mit ihnen gemeinsam die Durchorganisation der Wirtschaft und Verwaltung in die Hand zu nehmen. Die Kommissariate für Verkehrswesen, Schulwesen, Gesundheitswesen, für die Umstellung der gesamten Produktion, für den Aufbau der Roten Armee und so fort, die ihrerseits kontrolliert werden von den Orts-, Territorial- und Landesräten, haben durch die Vermittlung der Spezialräte jederzeit die tüchtigsten Facharbeiter zur Hand, um sie an den Platz zu stellen, wo sie von ihrer Arbeitskraft den für die Gesamtheit nutzbringendsten Gebrauch machen können, während die Verankerung der Politischen Räte in den Arbeitermassen selbst die absolute Gewähr dafür bildet, daß keine Instanz der Räteverfassung sich gegen die Interessen der Arbeiterklasse kehren kann.

Zur Sicherung der Wechselbeziehungen zwischen Stadt und Land ist die organisatorische Erfassung der Bauerschaft von ausschlaggebender Wichtigkeit. Soweit der Bauer im landwirtschaftlichen Produktionsprozess selbst mitarbeitend tätig ist, unterscheidet er sich vom Landarbeiter durch die Tatsache seines Besitzes an Grund und Boden und die Aneignung von Grundrente, nicht aber durch die Art der Arbeitstätigkeit. Die heutige Entwicklung der deutschen Volkswirtschaft beginnt den Besitz an Grund und Boden für die große Masse der Bauernschaft illusorisch zu machen, da es der Mehrzahl von ihnen nicht mehr möglich ist, Profite herauszuwirtschaften, während die Ertragsfähigkeit des Bodens beständig zurückgeht. Unabhängig von der späteren Regelung der ländlichen Besitzverhältnisse ist der Bauer schon durch seine Arbeitstätigkeit berechtigt zur Teilnahme an der Aufrichtung aller politischen und wirtschaftlichen Organe auf dem Lande, und die dörflichen Orts- und Wirtschaftsräte werden sicherlich keine größeren Schwierigkeiten haben, die Beziehungen mit ihrem bisherigen Absatzgebiet zu regeln, als es unter der verkrachten Zwangswirtschaft der bankerotten sozialistischen Republik der Fall ist.

Zweck der Herstellung der Räteverfassung ist Durchorganisation des ganzen Volkes auf der Grundlage und im Rahmen der proletarischen Organisation zur Unterstellung aller Wirtschaftsmittel und des gesamten Wirtschaftsprozesses unter die Kontrolle der Arbeiterklasse, was gleichbedeutend ist mit der Zerreißung des Friedens von Versailles. Gelangt das Proletariat an die Macht, und errichtet es seine Räterepublik, dann zwingt die Not der Stunde zu schnellem Handeln. Eisernes Zupacken ist unbedingte Voraussetzung dafür, daß die Konsolidierung des Volkes unter die Räte-Verfassung sich so schnell vollzieht, daß der imperialistische Landesfeind mit seinen der neuen Situation entsprechenden Vorbereitungen nicht Schritt halten kann. Errichtung der proletarischen Diktatur heißt Aufbau der Roten Armee. Aufbau der Roten Armee heißt Krieg dem Imperialismus der Entente: nichts wäre verhängnisvoller, als wenn die Herrschaften des Völkerbundes dies eher begriffen als das deutsche Proletariat. Und der Krieg wider den Imperialismus der Entente, der im Gegensatz zu dem der Jahre 1914 bis 1918 ein Krieg um die nackte Existenz ist, erfordert zu seiner glücklichen Durchführung eine noch schärfere Handhabung der Diktatur, als die militärische der ersten Kriegsjahre war. Die Arbeiterklasse, von der an der Eroberung der Macht nur die Minderheit durch eigenes Handeln beteiligt sein dürfte, ist in der Lage, diese Diktatur mit größter Energie durchzuführen, weil sie sogleich daran geht, als Träger dieser Diktatur unter diktatorischen Maßnahmen eine Klassenorganisation aufzubauen, in die sie nicht nur die Teile des Volkes einbezieht, die bisher Arbeiter genannt zu werden pflegten, sondern alle Werktätigen, gleichgültig welcher gesellschaftlichen Sphäre sie bisher angehörten.

Eine Diktatur aber, die auf der breiten Basis eines ganzen Volkes ruht, kann jeden Versuch eines Widerstandes mit eherner Gewalt im Keime ersticken. Wenn die Einberufungen zur Roten Armee in den Betrieben oder durch die Unterabteilungen der Ortsräte vorgenommen werden, dann dürfte es einem jeden sehr schwierig sein, sich den Dienstleistungen zu entziehen, für die er von den dafür maßgebenden Organen als geeignet befunden wird. Und wenn der gesamte Produktionsprozess unter der Kontrolle der Organe der Arbeiterklasse vor sich geht, wird jeder Versuch der Sabotage mit rücksichtsloser Gewalt unterdrückt werden. Daß diese Diktatur mit der gleichen ehernen Rücksichtslosigkeit jeden Widerstand auflösen wird, der ihr entgegengesetzt werden könnte, ist selbstverständlich. Gegenüber der Bourgeoisie, die ihrer Vorrechte entkleidet wird, und deren einzelnen Gliedern es frei steht sich der proletarischen Klassenorganisation anzuschließen, wird die proletarische Diktatur alle Maßnahmen treffen, die für die Durchführung ihrer Ziele erforderlich sind. Die Masseneinquartierung von Proletariern in die Wohnbezirke der Bourgeoisie ist die erste Voraussetzung dafür, daß bestimmte Stadtteile aufhören, als nicht proletarische Oasen eine Sonderexistenz zu führen, die sie zu Sammelpunkten der Konterrevolution und des Landesverrates machen können. Es würde aber mit dieser Einquartierung unerwünschter Hausgenossen der deutschen Bourgeoisie nichts anderes passieren, als was während der ersten Phase des Weltkrieges sich die Bourgeoisie der besetzten Gebiete von fremden Kriegern Jahre lang gefallen lassen musste. Abgesehen von den notwendigen Maßnahmen zur Sicherung der proletarischen Diktatur würde selbstverständlich von allen überflüssigen Schikanen abgesehen werden, wie jedem einzelnen Staatsbürger der unbedingte Schutz von Freiheit, Leben und Eigentum vor individuellen Eingriffen absolut gesichert wäre. In einem Augenblick, in dem es sich darum handelt, den Krieg wider das Ausland aufzunehmen, ist gerade die herrschende Klasse, die Arbeiterklasse, am Frieden im Innern ausschlaggebend interessiert. Und unter der Voraussetzung, daß die Bourgeoisie die vom Proletariat vollzogene Machtergreifung rückhaltlos anerkennt, wäre die proletarische Diktatur an der Aufrichtung eines revolutionären Burgfriedens wie im umgekehrten Verhältnis weiland Wilhelm II.

IV.

Auch eine auf der Grundlage der proletarischen Diktatur errichtete deutsche Volkswirtschaft wäre unfähig zu existieren, ohne die unbeschränkte wirtschaftliche Verbindung mit dem Osten. Auch unter der proletarischen Diktatur würden Millionen von Menschen durch Hunger, Seuchen und Verzweiflung zu Grunde gehen, wenn es nicht sehr rasch gelänge, die unbeschränkte Wirtschaftsverbindung mit dem Osten herzustellen, von dort Lebensmittel zu erhalten und nach dort zum Aufbau der kommunistischen Wirtschaft Russlands und der Randstaaten in großem Maßstabe Menschen und Maschinen zu senden. So wäre schon der erste Schritt der proletarischen Auslandspolitik, herausgeboren und diktiert aus der tödlichen Not des Volkes, gleichbedeutend mit der Zerreißung des Friedens von Versailles. Die Offensive im Osten mit dem Zweck, Polen, Litauen und das Baltikum zu durchstoßen, und die Vereinigung der russischen mit der roten Armee Deutschlands herzustellen, ist nichts, als die Selbstverteidigung eines Volkes, das um sein nacktes Leben ringt. Für die proletarische Revolution verliert das Wort Offensive und Defensive seinen bisherigen Sinn. Ihre Politik ist Defensive in höchster Potenz und muss doch offensiv sein gegen die Welt des Imperialismus, die sie zum Tode verurteilt hat. Die Offensive eines von Banditen ausgeplünderten halbverhungerten Einsiedlers gegen seine Räuber ist die einzige Defensive, die ihm übrig bleibt, wenn er nicht zu Grunde gehen will und für den zur Richtstätte Geführten besteht die einzig mögliche Form der Defensive darin, daß er seinen Henker niederschlägt.

Gelingt es in Deutschland, die proletarische Diktatur aufzurichten, so ist die Durchführung des östlichen Programms in allerkürzester Zeit notwendig. Es gilt, die kurze Zeit der Verblüffung in vollem Umfange auszunutzen, die sich der Staaten der Entente alsdann bemächtigen wird. Selbstverständlich werden die Mächte des Völkerbundes alles aufbieten, um ihre soeben demobilisierten Heere gegen die deutsche Räterepublik wieder auf die Beine zu bringen. Aber gerade dieser Versuch wird ihre Wirtschaft aufs Schwerste erschüttern und die Gärung der dortigen Arbeitermassen zur Siedehitze steigern, zumal da die deutsche Räterepublik, die um ihre nackte Existenz kämpft, selbstverständlich die Verpflichtung anerkennt, am Wiederaufbau der verwüsteten Gebiete Frankreichs und Belgien tätig mitzuwirken, ein Wiederaufbau mit deutscher Arbeitskraft, der nur geschehen kann, unter der Kontrolle deutscher und belgisch-französischer Arbeiterräte und für die kommunistische Wirtschaft Europas, nicht für einen imperialistischen Staatenbund.

So wird der Versuch, die deutsche Räterepublik zu Boden zu werfen, die Staaten des Völkerbundes zwingen, an Stelle ihrer bisherigen Massenheere Formationen von Weißgardisten ins Leben zu rufen, und die Kampfkraft einer Roten Armee gegenüber diesen Gebilden hat schon Russlands heldenhafter Widerstand erwiesen. Die Volkskraft Deutschlands, schwer erschüttert durch einen vierjährigen Krieg und durch die schamlose Landesverratspolitik der sozialistischen Republik, ist immer noch stark genug, sich gegen die Anfälle weißgardistischer Banden zur Wehr zu setzen. Wo es sich aber um einen Kampf für das nackte Leben handelt, um einen Kampf, der wirklich den Interessen des Volksganzen und nicht einer schmalen herrschenden Schicht dient, wird das Wort Bismarcks wahr werden und Deutschland in Waffen starren vom Belt bis zum Bodensee.


Im Auftrage der Ortsgruppe Hamburg der Kommunistischen Partei Deutschlands.

Hamburg, den 1. November 1919.

Heinrich Laufenberg, Fritz Wolffheim


Compiled by Vico, 1 April 2016