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Antonie Pannekoek Archives

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Thema: Die ökonomische Lösung für die Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Kommunismus


Die ökonomischen Grundlagen der Rätegesellschaft / [Henk Canne Meijer], 1985 (1948)


Herausgegeben unter der Titel: „Die Arbeiterrätebewegung in Deutschland“. Quelle: www.anarchismus.at .
„Der folgende Text erschien 1985 als Broschüre in der Edition „Soziale Revolution“. Es handelt sich dabei um einen rätekommunistischen Beitrag. Der Text kann als Anhaltspunkt für die Abgrenzung anarchosyndikalistischer und rätekommunistischer Vorstellungen dienen. Diese überschneiden sich zwar an verschiedenen Punkten, weisen aber auch deutliche Unterschiede in Theorie und Praxis auf. Deutsche Übersetzung und Erstveröffentlichung, als Vorlage diente die i.c.o.-Ausgabe, durch die Gruppe „Soziale Revolution“ Berlin, Nov. 1971.“
Gescannt von anarchismus.at, 2018.


Vorbemerkung der Herausgeber [„Soziale Revolution“]

Angesichts der gegenwärtig in der westberliner Linken begriffslos betriebenen Aneignung der „Geschichte der Arbeiterbewegung“ ist zu fragen, ob man die Vielfalt der so auf dem Büchermarkt gehandelten Darstellungen und Interpretationen trotzkistischer, stalinistischer, maoistischer, sozialdemokratischer oder schlicht bürgerlicher Couleur nun auch noch um eine rätekommunistische Variante bereichern soll. Der Abdruck des nachstehenden Artikels scheint die Frage zu bejahen, trotzdem muß erläutert werden, was die spezifischen Gründe waren, die uns zu einer Veröffentlichung dieser Arbeit bewogen haben. Zunächst einmal geschieht dies nicht aus dem Bedürfnis heraus, der Geschichtsklitterung, die von einigen Gruppen unverschämterweise als historisch-materialistische Geschichtsschreibung ausgegeben wird, nun die „richtige“, „korrekte“ Interpretation entgegenzuhalten. Auch geschieht die Veröffentlichung nicht nur deshalb, weil die Geschichte der Rätebewegung in Deutschland und die Geschichte ihrer verschiedenen Organisationen, die sie hervorgebracht hat, in den meisten der herkömmlichen Darstellungen entweder gänzlich unterschlagen oder nur verzerrt und denunziatorisch entstellt wiedergegeben wird. Die Veröffentlichung geschieht vielmehr deshalb, weil wir meinen, daß diese Arbeit, die von einem der Beteiligten verfaßt worden ist, in mehrfacher Hinsicht für die heutige Intellektuellenbewegung (um eine solche handelt es sich ja wohl noch zu größten Teilen) von aktueller Bedeutung ist.
Anhand dieser Arbeit wird vor allem zweierlei deutlich: Die Rätebewegung und die Versuche der Arbeiter sich zu organisieren entstanden, wenn sie Ansätze von Erfolg zeigten, spontan und wurden von den Arbeitern selbst geleitet, es mußten allerdings Ansätze bleiben, da die Bedingungen für eine neue Bewegung noch nicht die materiellen Bedingungen der ganzen Klasse gewesen sind, sondern diese vielmehr noch durch die Traditionen und Vorstellungen einer Epoche vergangener Kämpfe bestimmt war. Weiterhin zeigt die Arbeit, daß die Versuche, am Beispiel der linkskommunistischen Organisationen aufgezeigt, die Bewegung, nachdem sie einmal zusammengebrochen war, organisatorisch hinüberretten zu wollen in eine zukünftige Phase revolutionärer Kämpfe, zu einer fatalen Wandlung der Theorie und Praxis dieser Organisationen führen mußte; daß eine „Arbeiterbewegung“ ohne eine Bewegung der Arbeiter nicht existieren kann, will man nicht die verschiedenen Parteigruppen, Sekten, bürokratischen Gebildet etc. für das nehmen, für das sie sich ausgeben.
Die Schwäche der Arbeit liegt da, wo sie von der Darstellung zur materialistischen Erklärung überzugehen versucht, aber über den Versuch nicht hinauskommt. Sicher, das Fehlschlagen der revolutionären Anstrengungen kann nicht immer unmittelbar aus den ökonomischen Verhältnissen erklärt werden. Vielmehr ist die gesamte gesellschaftliche Situation bestimmend für die Aktionsmöglichkeiten und Erfolge einzelner Bevölkerungsteile. Diese Gesamtsituation ist aber natürlich durch die ökonomische Entwicklung bestimmt. Der Versuch, das Scheitern der Rätebewegung im Lichte des Faschismus oder der russischen Revolution zu erklären, steht allerdings noch aus.
Die Geschichte der Bewegung der Arbeiter kann nur verstanden werden als die Geschichte des Verhältnisses, in dem sich die Arbeiterklasse reproduziert; die Geschichte der Bewegung der Arbeiter ist die Geschichte der Entwicklung des Kapitalismus. Die Entwicklung des Kapitals setzt die Bedingungen, die die Arbeiterklasse zum revolutionären Handeln oder zu einem mehr oder weniger angepaßten Verhalten bewegen. Die Gesetze, nach denen die kapitalistische Gesellschaft sich entwickelt, sind die der Akkumulation des Kapitals. Die Notwendigkeiten und Schranken dieser Kapitalakkumulation erscheinen den Kapitalisten wie den Arbeitern als schicksalhafte Veränderungen ihrer Lebensbedingungen, die jedoch nur die fetischisierten Produktionsverhältnisse sind, in denen das Kapital als gesellschaftliches Verhältnis setzt und betätigt. Die Entwicklungsgesetze des Kapitals setzen sich a priori unabhängig von den Wünschen, Hoffnungen und Maßnahmen der Arbeiter und Kapitalisten durch, und die Entwicklung des Kapitals bestimmt, ob Kapitalist oder Arbeiter innerhalb der durch das Kapital gesetzten Lebensbedingungen ihr Auskommen haben. Für den Arbeiter ist der Stand der Kapitalakkumulation an seinen ganz konkreten Reproduktionsbedingungen erfahrbar: an der Sicherheit des Arbeitsplatzes, an der Höhe des Reallohnes.
Da jedoch der Kapitalist Eigentümer der Produktionsmittel, ist, der Arbeiter aber nur leben kann, sofern er seine Arbeitskraft veräußert, durch seine produktive Tätigkeit das Kapital vergrößert, sind die Karten von Anfang an ungleich gemischt. An dieser Stelle kann nicht auf die Ursachen der Krisen des Kapitalismus eingegangen werden. Fest steht, daß die Notwendigkeit der Kapitalakkumulation und die damit verbundene Unabwendbarkeit der Krisen für die Arbeiterklasse eine Verschlechterung der materiellen Situation zur Folge hat, durch Entlassung oder erhöhte Ausbeutung erfahrbar. Diese notwendige Verschlechterung der materiellen Situation der Klasse ist aber die Grundvoraussetzung für die revolutionäre Aktion der Arbeiter. Wenn hier von Voraussetzung gesprochen wird, so deshalb, um einem ökonomischen Determinismus vorzubeugen, der die proletarische Revolution von der nächsten Krise erwartet. Das Kapital setzt aber nur die Bedingungen, schafft die Voraussetzungen für die revolutionäre Aktion.
Sowohl die deterministische Interpretation, die die revolutionäre Aktion quasi naturgesetzlich aus der ökonomischen Situation herzuleiten versucht, als auch die subjektivistische Betrachtung der Geschichte sind nicht in der Lage, die Bewegung der Arbeiter hinreichend zu erklären. Diese letztere Betrachtungsweise, die in der Selbstdarstellung der linkskommunistischen Gruppen nach dem Abebben der Bewegung (siehe die vorliegende Arbeit) ebenfalls zutage tritt, muß genauer untersucht werden, da sie Moment der Auseinandersetzung mit den verschiedenen sich leninistisch oder anarchistisch sich nennenden Gruppen ist. Der subjektivistische Ansatz, der das Proletariat zum „Fleisch gewordenen Weltgeist“ hochstilisiert, geht davon aus, dem Proletariat, da der Kapitalismus ohnehin längst historisch überfällig sei, nur die richtige Einsicht und die ihm diese eben vermittelnde Organisation mit entsprechender Führung fehle, damit es endlich seiner historischen Mission nachkomme. Die jakobinische Konzeption der Bolschewiki, die allerdings „revolutionäre Taktik“ nicht ausschloß, ebenso wie die schwärmerisch-elitäre Position Landauers, der meinte, daß da, wo genügend entschlossene Männer sich fänden, der Sozialismus schon gemacht werden könne, finden ihre, wenn auch zum Teil nur noch als Karrikatur zu begreifende aktuelle Entsprechung in den verzweifelten Bemühungen der verschiedenen Aufbau- und Kaderorganisationen, bei denen Selbstdisziplinierung und Organisationsfrage zum Nabel einer zur Sozialtechnik degenerierten revolutionären Strategie geworden sind.
Weder mangelnde Einsicht, noch die fehlende Organisation können für die gegenwärtig noch vorherrschende Apathie der Arbeiterklasse in Westdeutschland verantwortlich gemacht werden; auch läßt sich mit diesen beiden Ansätzen das Scheitern der revolutionären Bewegung 1919/20 nicht erklären. Vielmehr ist zu fragen, was der Grund für diese von den Intellektuellen immer wieder in den Vordergrund gespielten angeblichen mangelnden Einsicht und der fehlenden Organisation ist. Diese Frage ist sowohl in Bezug auf die gesellschaftliche Stellung und historische Bedeutung von Intellektuellengruppen von Belang, wie sie auch zum Teil Erklärung für historische Ereignisse zu geben vermag. Der Kommunismus, oder der Kampf dafür, ist für die Arbeiter kein moralisches, kein intellektuelles Problem, sondern eine durch ihre eigene Situation, ihre konkrete Erfahrung bedingte Haltung. Solange der Kapitalismus prosperiert, die tägliche Reproduktion auf einem gegebenen Niveau garantieren kann, oder gar dieses Niveau noch zu steigern vermag, stellt sich die Alternative: Sozialismus oder Barbarei für die Arbeiterklasse nicht. Die Alternative Barrikaden oder Anpassung an erträgliche Lebensbedingungen wird solange zugunsten der Anpassung entschieden werden, solange die Hoffnung auf Beibehaltung der Lebensbedingungen oder auf baldige Verbesserung derselben noch aufrecht erhalten werden kann. Das Beispiel der deutschen Revolution zeigt, daß eine reformistische oder faschistische Ideologie die radikale Beseitigung bedrückenden Elends verhindern kann. Ideologische Manipulation beruht jedoch auf materiellen Zugeständnissen. Sind diese nicht mehr möglich, lassen sich revolutionäre Konsequenzen nicht mehr verhindern. Gruppierungen, die noch der kautskianischen Ideologie vom nur ökonomischen Bewußtsein, das die Arbeiterklasse erreichen kann, verhaftet sind, werden dann, wenn mit der Veränderung der ökonomischen Verhältnisse der Ideologie und Manipulation die Basis entzogen wird, und revolutionäres Bewußtsein sich bilden kann, mit dieser verschwinden. Ihr Einfluß, der in der Überbetonung des Bewußtseins als ein von außen an die Arbeiterklasse heranzutragendes begründet ist und der eben dadurch negativ ist, weil er eben die Vorrangstellung der Herantragenden einschließt, wird sich dann, wenn das Proletariat gezwungen sein wird, revolutionär zu handeln, als Hemmnis erweisen. Gegenwärtig ist eine Lohntüte, zu deren besserer Füllung eben auch die reformistischen Organisationen wie die Gewerkschaften beitragen, ein plausibleres Argument als das vage Versprechen einer besseren Welt, das sich im Präsentieren staatskapitalistischer Ausbeutungsverhältnisse als Sozialismus erschöpft. Es fällt doch schwer sich vorzustellen, daß ein Sozialismus a la u.s.s.r. oder auch der Kampf der Völker der unterkapitalisierten Länder für die Befreiung des nationalen Kapitals von imperialistischer Ausbeutung (bei notwendigerweise erhöhten Anforderungen an die Arbeitsleistung dieser Völker) ein Anreiz für die Arbeiterklasse hochentwickelter Länder sein kann, sich aus ihrer Apathie zu lösen.
Die Rätebewegung in Deutschland (1918-1920) war die durch die objektiven Entwicklungsgesetze der Kapitalakkumulation hervorgerufene Bewegung der Arbeiter gegen spezifische Bedingungen, unter denen sie sich vollzogen. Sie war aber noch nicht die Bewegung der ganzen Klasse für den Sozialismus. Die Voraussetzung dieser neuen Gesellschaft war noch nicht allgemein vorhanden; die politischen Faktoren wie der kampflose Abgang der Monarchie, die Kriegsjahre, der ideologische Einfluß der Sozialdemokratie und der Bolschewisten und die dadurch bestimmten Erwartungen und Hoffnungen etc. fielen entscheidend ins Gewicht. Da die Bedingungen für eine neue Gesellschaft, eine revolutionäre Bewegung der Arbeiter sich nicht entfalten konnten, spielten die Tradition einer zur Arbeiterbewegung erstarrten Bewegung der Arbeiter eine solche große Rolle. Nicht weil die Gewerkschaften und die Parteien die Arbeiter 1918/19 angeblich verraten haben, endete die deutsche Revolution im Faschismus, sondern weil die Arbeiterklasse nicht fähig war, als einheitliches Subjekt sich die gesellschaftlichen Konstellationen zunutze zu machen. Der Aufsatz von H. Canne Meier gibt die Richtung an, in der Intellektuelle, die sich als Sozialisten verstehen, zu arbeiten haben. Sie sollten ihre Tätigkeit, ihre praktischen wie theoretischen Ansätze auf die Bewegung der Arbeiter selbst, ihre konkreten Forderungen, ihre aus den Kämpfen selbst entstehenden Organisationsansätze ausrichten und diese zu begreifen versuchen, anstatt, wie dies bis heute der Fall ist, der Geschichte mit der Vorstellung entgegenzutreten, daß diese sich nach den Ideen zu richten habe, die sich einige von ihr machen.
Die folgende Studie ist nicht das Werk eines Staatswissenschaftlers. Sie hat folglich auch nicht zum Ziel, zufällige Erscheinungen ins Gedächtnis zurufen oder Details, die an eine besondere historische Situation gebunden waren, zusammenzutragen, sondern sie will versuchen, einige große, historisch-bedeutsame Züge herauszuarbeiten. Sie bemüht sich gleichermaßen aufzuzeigen, wie die Niederlage der Rätebewegung im Deutschland der 20er Jahre vor allem der Vorherrschaft der traditionellen Vorstellungen zuzuschreiben ist, die diese noch immer auf die Mentalität der Arbeiter ausübten, und wie sehr eben die Notwendigkeit besteht, neue Ideen hervorzubringen, die in einem richtigen Verhältnis mit der Epoche stehen, in der man lebt. Endlich – trotz der außergewöhnlichen Probleme, die diese Aufgabe auch für entschiedene Linke, mit neuen Ideen stellt – unterstreicht er implizit, daß die Suche nach dem Neuen im Klassenkampf und die Propaganda für eine neue Welt eines der wenigen Mittel sind, deren sich die Verfechter der Räteidee bedienen können, um in Richtung auf eine allgemeine selbständige Klassenbewegung zu handeln, wenn sie entsteht. Für den Leser, der sich mit den Problemen beschäftigt, die bei einer möglichen Veränderung der Gesellschaft durch die Arbeiter selbst entstehen können, bietet die Rätebewegung, die im XX. Jahrhundert in den entwickelten Ländern aufkam, einen brauchbaren Reflexionsgegenstand. Zweifellos wird er sich dabei einer gewissen geistigen Anstrengung unterziehen müssen, aber wir hoffen, daß es der Mühe wert ist.


Der Ausbruch der Revolution

Im November 1918 brach die deutsche Front zusammen. Die Soldaten desertierten zu Tausenden. Die ganze Kriegsmaschinerie krachte auseinander. Dennoch beschlossen die Flottenoffiziere eine letzte Schlacht zu schlagen, um die Ehre zu retten. Die Matrosen verweigerten den Gehorsam. Dies war nicht ihre erste Auflehnung, aber alle vorhergehenden wurden durch Kugeln und Befehle unterdrückt. Dieses Mal gab es kein unmittelbares Hindernis mehr; die rote Fahne wurde erst auf dem einen, dann auf den anderen Kriegsschiffen gehißt. Die Matrosen wählten Delegierte, die einen Rat bildeten. Von da an waren sie gezwungen, alles zu unternehmen, damit die Bewegung sich ausbreitete. Sie wollten nicht im Kampf gegen den Feind sterben, aber wenn sie isoliert blieben, würden die sogenannten loyalen Truppen intervenieren, und es würde ebenfalls einen Kampf und neue Unterdrückung geben. Die Matrosen verließen ihre Schiffe und besetzten den großen Hamburger Hafen; von dort kehrten sie mit dem Zug oder einem anderen Verkehrsmittel in ihre Heimatstädte zurück.

Die Befreiergeste war vollendet. Von nun an überstürzten sich die Ereignisse. In Hamburg wurden die Matrosen mit Begeisterung empfangen; Soldaten und Arbeiter solidarisierten sich mit ihnen und bildeten ebenfalls Räte. Obwohl diese Organisationsform bis dato praktisch unbekannt war, bedeckte innerhalb von vier Tagen ein dichtes Netz von Arbeiter- und Soldatenräten das ganze Land. Vielleicht hatte man von den russischen Sowjets von 1917 reden gehört, sicher aber nur sehr wenig: darüber wachte die Zensur. Auf jeden Fall hatte keine Partei, keine Organisation jemals diese Kampfform vorgeschlagen.

Die Vorläufer der Räte

Jedoch erschienen während des Krieges in den deutschen Fabriken Organisationen, die denen der Räte vergleichbar waren. Sie wurden im Laufe von Streiks von verantwortlich gewählten Kollegen, die Vertrauensmänner (Obleute) genannt wurden, gebildet. Diese wurden von den Gewerkschaften mit kleinen Funktionen betraut und mußten, entsprechend der deutschen Gewerkschaftstradition, die Verbindung zwischen der Basis und den Gewerkschaften herstellen, indem sie den Zentralen die Forderungen der Arbeiter an der Basis vermitteln. Während des Krieges gab es vor allem häufig Beschwerden, die die Intensivierung der Arbeit oder die Preissteigerungen betrafen. Aber die deutschen Gewerkschaften hatten – wie auch die in den anderen Ländern – eine Einheitsfront mit der Regierung gebildet und garantierten so, im Austausch gegen kleine Verbesserungen für die Arbeiter und die Beteiligung von Gewerkschaftsführern an offiziellen Einrichtungen, den sozialen Frieden. Davon hatten auch die Vertrauensleute Nachteile. Die „radikalen Kräfte“ wurden, früher oder später, zum Militärdienst eingezogen und in Spezialeinheiten geschickt. Es war also sehr schwierig, öffentlich gegen die Gewerkschaften Position zu beziehen.

Folglich unterließen es die Vertrauensleute, die Gewerkschaften zu unterrichten – was ihnen nicht schwer fiel –, aber die Situation und folglich auch die Forderungen der Arbeiter blieben nichts desto trotz dieselben, und so organisierten sie sich heimlich. 1917 überflutete plötzlich eine Welle wilder Streiks das Land. Diese Bewegungen waren spontan und nicht von irgendeiner festen Organisation gelenkt. Wenn sie trotzdem in einer gewissen Geschlossenheit abliefen, so deshalb, weil ihnen Diskussionen und Übereinkünfte zwischen verschiedenen Fabriken vorausgegangen waren, weil die Vertrauensleute vor der Aktion Kommunikationsverbindungen hergestellt hatten.

In diesen Bewegungen, die durch eine unerträgliche Situation provoziert worden waren, bei Abwesenheit einer Organisation, zu der wenigstens ein begrenztes Vertrauen bestand, mußten die verschiedenen politischen Vorstellungen der Arbeiter (sozialdemokratische, religiöse, liberale, anarchistische…) hinter die Notwendigkeit der Stunde zurücktreten. Die arbeitenden Massen selbst waren gezwungen, auf der Ebene der Fabriken zu entscheiden. Im Herbst 1918 nahmen diese Bewegungen, die bisher nur sporadischen Charakter hatten und mehr oder weniger untereinander verbunden waren, eine feste und allgemeine Form an. Neben den klassischen Verwaltungsapparaten (Polizei, Arbeitsamt, Verpflegungsamt etc. …), manchmal sogar an deren Stelle, nahmen die Arbeiterräte in den wichtigsten Industriezentren die Macht in die Hand: so in Berlin, Hamburg, Bremen, dem Ruhrgebiet und in Mitteldeutschland, in Sachsen. Aber ihre Erfolge waren gering. Warum?

Ein leichter Sieg

Diese Ergebnislosigkeit rührte von der Leichtigkeit selbst her, mit der sich die Arbeiterräte bildeten. Der Staatsapparat hatte jede Autorität verloren; wenn er hier und da zusammenbrach, so nicht als Folge eines verbissenen und von den Arbeitern hartnäckig geführten Kampfes. Ihre Bewegung traf auf ein Vakuum und konnte sich deshalb ohne Schwierigkeiten ausbreiten, ohne daß es nötig gewesen wäre, zu kämpfen und sich über den Kampf Gedanken zu machen. Das einzige Ziel, von dem man sprach, war das Ziel des ganzen Volkes: Frieden. Hierbei gibt es einen wesentlichen Unterschied zur russischen Revolution. In Rußland zerschlug die erste revolutionäre Welle, die Februarrevolution, das zaristische Regime, aber der Krieg ging weiter. Die Bewegung der vereinigten Arbeiter mußte deshalb ihren Druck verstärken, mußte sich entschlossener und kühner zeigen. Aber in Deutschland wurde die erste Forderung des Volkes, Frieden, unverzüglich erfüllt; die kaiserliche Herrschaft machte der Republik umstandslos Platz. Was würde das für eine Republik sein?

Vor dem Krieg gab es unter den Arbeitern diesbezüglich keine Divergenzen. Die Arbeiterpolitik, die, in der Praxis wie in der Theorie, von der sozialdemokratischen Partei und den Gewerkschaften gemacht wurde, wurde von der Mehrheit der organisierten Arbeiter angenommen und akzeptiert. Für die Mitglieder der sozialistischen Bewegung, die sich im Verlauf des Kampfes um die parlamentarische Demokratie und für soziale Reformen herausbildete und durch diesen Kampf geprägt wurde, mußte der bürgerliche demokratische Staat eines Tages ein Hebel zum Sozialismus werden. Es würde genügen, eine Mehrheit im Parlament zu haben und die sozialistischen Minister würden dann, Schritt für Schritt, das ökonomische und soziale Leben nationalisieren; und das würde dann der Sozialismus sein.

Damals gab es, ganz ohne Zweifel, eine revolutionäre Strömung, deren bekannteste Vertreter Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg waren. Jedoch entwickelte diese Strömung niemals eine eindeutige oppositionelle Position gegenüber dem Staatssozialismus; sie bildete nur eine Opposition im Innern der alten Partei, und für die Basis hat sich diese oppositionelle Richtung nie genug von der Gesamtpartei abgesetzt.

Neue Konzeptionen

Dennoch traten während der Tage der großen Massenbewegungen 1918-1921 neue Vorstellungen zutage. Sie waren nicht das Werk einer vorgeblichen Avantgarde, sondern sie wurden von den Massen selbst hervorgebracht. In der Praxis hatte die selbständige Aktivität der Arbeiter ihre organisatorische Form gefunden: die Räte, diese neuen Organisationen, handelten ganz im Sinne der Klasse. Und weil es eine enge Verbindung zwischen den vom Klassenkampf geschaffenen Kampfformen und den Vorstellungen über die Zukunft gibt, ist es selbstverständlich, daß die alten Vorstellungen begannen, erschüttert zu werden. Jetzt führten die Arbeiter selbst ihre eigenen Kämpfe, außerhalb der Partei- und Gewerkschaftsapparate; und auch die Idee, daß die Massen durch die Räte einen direkten Einfluß auf das gesellschaftliche Leben ausüben müssen, nahm Gestalt an. Nur in diesem Rahmen wird es eine „Diktatur des Proletariats“ geben, aber eine Diktatur, die nicht von einer Partei ausgeübt wird, sondern die Ausdruck der endlich verwirklichten Einheit des gesamten arbeitenden Volkes sein wird. Sicher, eine solche Gesellschaftsordnung ist im bürgerlichen Verständnis nicht demokratisch, denn der Teil der Bevölkerung, der an dieser neuen Organisation des gesellschaftlichen Lebens nicht teilnimmt, hat weder in Diskussionen noch bei Abstimmungen eine Stimme.

Wir sagten, daß die alten Vorstellungen sich aufzulösen begannen. Aber es wird offensichtlich, daß die gewerkschaftlichen und parlamentarischen Traditionen zu tief in den Massen verwurzelt sind, um schon nach so kürzer Frist ausgerottet werden zu können. Die Bourgeoisie, die sozialdemokratische Partei und die Gewerkschaften erinnerten an diese alten Traditionen. Besonders die Partei beglückwünschte sich in großen Worten zu dieser neuen Form, durch die die Massen am gesellschaftlichen Leben teilnehmen können. Sie ging sogar noch weiter und forderte, daß diese neue Form der direkten Herrschaft durch ein Gesetz anerkannt und bestätigt werden müßte. Aber wenn sie ihr so ihre Sympathie bezeugte, so näherte sich die alte Arbeiterbewegung den Räten, ohne ihnen einen entsprechenden Platz zu geben und auch um zu ihnen in Konkurrenz zu treten. Indem sie das forderten, was man Arbeiterdemokratie nennt, forderten diese alten Parteien und Gewerkschaften, daß alle Strömungen der Arbeiterbewegung, im Verhältnis ihrer zahlenmäßigen Stärke und Bedeutung in den Räten vertreten sein sollten.

Die Falle

Der größte Teil der Arbeiter war nicht in der Lage, diesem Argument entgegenzutreten: sie waren zu sehr ihren alten Gewohnheiten verhaftet. Und so wurden die Arbeiterräte zu Vereinigungen der Vertreter der sozialdemokratischen Partei, der Gewerkschaften, der linken Sozialdemokraten, der Konsumgenossenschaften, etc. … sowie auch der Fabrikdelegierten. Wichtig dabei ist, daß diese Räte nicht mehr die Organe der Arbeitergruppen waren, die durch das Leben in der Fabrik vereinigt waren, sondern Formationen, die von der alten Arbeiterbewegung benutzt wurden und einer Restauration des Kapitalismus auf dem Niveau eines demokratischen Staatskapitalismus den Weg öffneten.

Das bedeutete die Niederlage der Anstrengungen der Arbeiter. Tatsächlich erhielten dann auch die Delegierten in den Räten ihre Direktiven nicht mehr von der Masse, sondern von ihren jeweiligen Organisationen. Sie baten die Arbeiter, doch die „Ordnung“ wieder regieren zu lassen und diese zu respektieren, indem sie verkündeten, daß „die Unordnung nicht der Sozialismus sei“. Unter diesen Bedingungen verloren die Räte bald jede Bedeutung in den Augen der Arbeiter. Die bürgerlichen Institutionen schickten sich wieder an, ihre Arbeit aufzunehmen, ohne sich im entferntesten um die Meinung der Räte zu kümmern; und genau dies war das Ziel der alten Arbeiterbewegung.

Die alte Arbeiterbewegung konnte auf ihren Sieg stolz sein. Ein vom Parlament verabschiedetes Gesetz legte alle Rechte und Pflichten der Räte bis ins Detail fest. Sie sollten über die Durchführung der sozialen Gesetze wachen, das sei ihre Aufgabe. Anders gesagt: sie wurden ihrer Bestimmung nach ein Rädchen in der Staatsmaschinerie; sie nahmen an seinem Gedeihen teil, anstatt ihn zu zerschlagen. In den Massen erwachten die Traditionen viel mächtiger als die Resultate der spontanen Aktion.

Trotz dieser „fehlgeschlagenen Revolution“ kann man nicht sagen, daß der Sieg der konservativen Elemente einfach und leicht gewesen wäre. Die neue geistige Orientierung war stark genug, damit Hunderttausende von Arbeitern verbissen dafür kämpften, damit die Räte ihren Charakter als neue Klasseneinheit behalten sollten. Es dauerte fünf Jahre unablässiger Auseinandersetzungen und manchmal sogar bewaffneter Kämpfe, und es brauchte das Massaker an 35.000 Arbeitern, bis die Rätebewegung durch die vereinigte Front der Bourgeoisie, der alten Arbeiterbewegung und der Weißen Garde, die durch preussische Junker und reaktionäre Studenten gebildet wurde, endgültig besiegt wurde.

Die politischen Strömungen

Auf Seiten der Arbeiter kann man im Groben vier politische Richtungen unterscheiden:

a) die Sozialdemokraten. Sie wollten, unter Benutzung des parlamentarischen Weges die großen Industrien graduell nationalisieren. Sie tendierten gleichfalls dazu, den Gewerkschaften die ausschließliche Rolle eines Vermittlers zwischen Staatskapital und Arbeitern zuzuweisen.

b) die Kommunisten. Mehr oder weniger vom russischen Beispiel inspiriert, trat diese Richtung für eine direkte Enteignung der Kapitalisten durch die Massen ein. Entsprechend ihren Konzeptionen hatten die Arbeiter die Aufgabe, die Gewerkschaften zu „erobern“ und zu „revolutionieren“.

c) die Anarcho-Syndikalisten. Sie wandten sich gegen eine politische Machtausübung und gegen jeden Staat. Nach ihren Vorstellungen stellen die Gewerkschaften die zukünftigen Formen dar; man müsse dafür kämpfen, daß die Gewerkschaften so sehr an Stärke zunehmen, daß sie in der Lage seien, das gesamte ökonomische Leben zu verwalten. Einer der bekanntesten Theoretiker dieser Richtung schrieb 1920, daß die Gewerkschaften nicht als ein transistorisches Produkt des Kapitalismus betrachtet werden dürften, sondern als Keimformen einer zukünftigen sozialistischen Gesellschaft. 1919 schien es zunächst, als sei die Stunde dieser Bewegung gekommen. Seit dem Zusammenbruch des deutschen Kaiserreiches hatten diese Gewerkschaften einen großen Zulauf. Um 1920 zählten die anarchistischen Gewerkschaften rund 200.000 Mitglieder.

d) Im selben Jahr jedoch ging die Wirksamkeit der Gewerkschaften zurück. Ein großer Teil ihrer Anhänger wandte sich nun einer ganz anderen Organisationsform zu, die den Bedingungen des Kampfes besser entsprach: den revolutionären Fabrikorganisationen. Jede Fabrik hatte, oder sollte ihre eigene Organisation haben, die unabhängig von den anderen handeln kann und die auch in der ersten Phase nicht mit anderen verbunden ist. Jede Fabrik stellt folglich eine „unabhängige Fabrik“ dar, die sich ganz auf sich selbst verlassen muß. Zweifellos waren diese Fabrikorganisationen ein Werk der Massen; doch, das muß man hervorheben, erschienen sie im Zusammenhang mit einer Revolution, die, wenn sie nicht besiegt war, so doch zumindestens stagnierte.

Es wurde schnell offensichtlich, daß die Arbeiter nicht unmittelbar die politische und ökonomische Macht durch die Räte erobern und organisieren konnten; sie mußten zuerst den Kampf gegen die Kräfte führen, die sich gegen die Räte stellten. Die revolutionären Arbeiter begannen folglich damit, ihre eigenen Kräfte in allen Betrieben zusammenzufassen, um im Kontakt mit dem sozialen Leben zu bleiben. Durch ihre Propaganda versuchten sie, das Bewußtsein der Arbeiter zu wecken, die sie aufforderten, die Gewerkschaften zu verlassen und sich auf die Seite der revolutionären Fabrikorganisationen zu stellen; nur so könnten die Arbeiter selbst und einheitlich ihre Kämpfe leiten und die ökonomische und politische Herrschaft über die ganze Gesellschaft erlangen.

Es erscheint so, als machte die Arbeiterklasse einen großen Schritt rückwärts auf dem Gebiet ihrer Organisation. Während vorher die Arbeiter in einigen wenigen mächtigen Organisationen zentralisiert waren, zersplitterten sie sich jetzt in Hunderte von kleinen Gruppen, die einige hundert oder tausend Kämpfer vereinigten je nach der Größe der Fabrik. In Wirklichkeit aber entwickelte sich diese Form als die einzige, die es erlaubte, die Möglichkeiten einer direkten Arbeiterherrschaft abzustecken; und, obwohl sie relativ klein war, erschreckten diese neuen Organisationen die Bourgeoisie, die Sozialdemokratie und die Gewerkschaften.

Die Entwicklung der Fabrikorganisationen

Jedoch nicht auf Grund eines Prinzips waren diese Organisationen voneinander isoliert. Sie entstanden hier und da, spontan und eigenständig, im Verlauf der wilden Streiks (so z.B. bei den Bergarbeitern im Ruhrgebiet 1919). Es gab eine Tendenz zur Vereinigung aller dieser Organisationen, um eine geschlossene Front gegen die Bourgeoisie und ihre Helfershelfer zu bilden. Diese Initiative ging im April des Jahres 1920 von den großen Häfen, Hamburg und Bremen, aus. Eine erste Vereinigungskonferenz, an der Delegierte aus allen wichtigen Industrieregionen Deutschlands teilnehmen, fand in Hannover statt. Die Polizei schritt ein und verbot den Kongreß. In Wirklichkeit aber war diese allgemeine, geeinigte Organisation schon gebildet; sie konnte die wichtigsten ihrer Aktionsprinzipien klar formulieren. Diese Organisation gab sich den Namen „Allgemeine Arbeiter-Union Deutschlands“ (a.a.u.d.). Die a.a.u.d. hatte zum wichtigsten Prinzip den Kampf gegen die Gewerkschaften erhoben, und damit die Ablehnung des Parlamentarismus. Jede der Organisationen, die Mitglied der Union waren, hatte das Recht auf größtmöglichste Unabhängigkeit und zur größten Freiheit in der Wahl ihres taktischen Vorgehens.

Zu dieser Zeit zählten die Gewerkschaften in Deutschland die meisten Mitglieder die sie jemals hatten, und an die sie bis heute nicht mehr herangekommen sind. Allein die unter sozialistischer Kontrolle stehenden Gewerkschaften umfaßten mehr als 8 Millionen beitragszahlender Mitglieder. Die christlichen Gewerkschaften hatten mehr als 1 Million Mitglieder, die „gelben“ Gewerkschaften zählten fast 300. 000 Mitglieder in ihren Reihen. Außer diesen gab es auch noch anarcho-syndikalistische Organisationen sowie auch einige andere, die etwas später dann der von Moskau gelenkten RGI (Rote Gewerkschafts-Internationale) beitraten. Ganz zu Anfang zählte die a.a.u.d. nur 80.000 Arbeiter (April 1920), aber sie gewann rasch an Umfang, und gegen Ende 1920 ging die Zahl ihrer Mitglieder schon auf 300.000. Sicher, die Organisationen, aus denen sich die a.a.u.d. zusammensetzte, zeigten gleichermaßen Sympathien für die f.a.u.d. wie für die r.g.i.. Und im Dezember 1920 provozierten diese Gegensätze eine Spaltung innerhalb der a.a.u.d., und zahlreiche der ihr angeschlossenen Organisationen verließen sie, um eine neue Organisation zu bilden, die a.a.u.-e.: a.a.u.-e.inheitsorganisation genannt wurde. Nach diesem Bruch erklärte die a.a.u.d., zur Zeit ihres 4. Kongresses im Juni 1921 immer noch mehr als 200. 000 Mitglieder zu zählen. Tatsächlich aber waren diese Zahlen sehr ungenau: im März 1921 hatte die Niederlage des mitteldeutschen Aufstandes der a.a.u.d. buchstäblich das Genick gebrochen. Die nur noch schwache Organisation konnte der einsetzenden Welle polizeilicher Unterdrückungsmaßnahmen und Repressionen keinen ausreichenden Widerstand mehr entgegensetzen.

Die Kommunistische Partei Deutschlands (K.P.D.)

Bevor wir die verschiedenen Spaltungen in der- Fabrikorganisationsbewegung untersuchen, ist es notwendig, von der Kommunistischen Partei (k.p.d.) zu sprechen. Während des Krieges und mehr noch danach – stellte sich die Sozialdemokratie auf die Seite der herrschenden Klassen und tat alles, um ihnen den „sozialen Frieden“ zu bewahren. Einzige Ausnahme bildete eine kleine Minderheit von Genossen und Parteifunktionären, deren bekannteste Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht waren. Letztere machten heftige Propaganda gegen den Krieg und kritisierten scharf die Sozialdemokratie. Sie standen nicht völlig allein. Außerhalb dieser Gruppe, des „Spartakusbundes“, gab es, unter anderen, Gruppen wie die „Internationalisten“ in Frankfurt und Dresden, die „Linksradikalen“ aus Hamburg und die „Arbeiterpolitik“ aus Bremen. Seit November 1918 und dem Zusammenbruch des Kaiserreiches machten sich diese Gruppen, die sich in gewissem Maße an der russischen Revolution orientierten, stark für den Straßenkampf, der eine neue politische Organisation hervorbringen sollte. Schließlich fand in Berlin ein Vereinigungskongreß statt, an dessen erstem Tage die Kommunistische Partei gegründet wurde. (30.12.1918)

Diese Partei wurde unverzüglich zu einem Sammelbecken für eine große Zahl revolutionärer Arbeiter, die die Forderung erhoben: „Alle Macht den Räten“. Es muß hier festgehalten werden, daß die Gründer der k.p.d. durch eine Art Erstgeburtsrecht die Kader der neuen Partei bildeten; sie brachten folglich oft den Geist der alten Partei mit in die neue Organisation. Die Arbeiter, die nun der k.p.d. zuströmten und die sich der neuen Kampfformen bedienten, wagten nicht immer, aus Respekt vor der Disziplin, sich ihren Führern entgegenzustellen und beugten sich oft überholter Konzeptionen. Das Wort „Fabrikorganisation“ beinhaltete in der Tat unterschiedliche Vorstellungen. Man kann in ihnen, wie es die Führer der k.p.d. taten, Grundorganisationen sehen, die den von außen kommenden Direktiven unterworfen sind: das war die alte Konzeption. Man kann auch auf ein Ensemble ganz unterschiedlicher Haltungen und Mentalitäten verweisen. In diesem Sinne impliziert der Begriff „Fabrikorganisation“ eine Erschütterung bisher festgehaltener Ideen, und zwar: die von:

a) der Einheit der Arbeiterklasse
b) der Taktik des Kampfes
c) dem Verhältnis Führung-Massen
d) der Diktatur des Proletariats
e) den Beziehungen zwischen Staat und Gesellschaft
f) dem Kommunismus als einem ökonomischen und politischen System.

Aber diese Probleme stellten sich praktisch in den Kämpfen der neuen Organisationen selbst. Man mußte sie zu lösen versuchen, oder diese neuen Kämpfe mußten wieder verschwinden. Die Notwendigkeit der Erneuerung der Ideen wurde zu einer dringend zu bewältigenden Aufgabe; aber die Kader der neuen Partei – selbst wenn sie den Mut gehabt hätten, ihre alten Positionen aufzugeben – dachten jetzt nur daran, die neue Partei auf dem Modell der alten aufzubauen, unter Vermeidung ihrer schlechten Seiten, indem man die Ziele jetzt rot und nicht mehr rosa oder weiß malte. Auf der anderen Seite ist es selbstverständlich, daß es den neuen Ideen an genügender Ausarbeitung und auch an theoretischer Klarheit mangelte, daß sie sich nicht als vom Himmel gefallene oder einem genialen Gehirn entsprungene harmonische Einheit darstellten. Sondern sie rührten zum Teil von der alten Ideologie her, rieben sich mit den neuen Ideen und vermischten sich mit ihnen. Kurz, die jungen radikalen Genossen der k.p.d. stellten sich nicht in genügend scharfer und entschiedener Weise ihrer Führung entgegen, sie waren zu schwach und untereinander zerstritten.

Der Parlamentarismus

Die k.p.d. hatte sich seit ihrer Gründung über der Vielzahl der durch den neuen Begriff der „Fabrikorganisationen“ aufgeworfenen Probleme in verschiedene Lager gespalten. Die von dem Sozialdemokraten Ebert geleitete provisorische Regierung hatte Wahlen für eine verfassungsgebende Versammlung angekündigt.

Sollte die junge Partei an ihnen teilnehmen, wenn auch nur, um sie zu entlarven? Diese Frage entfachte sehr heftige Diskussionen auf dem Kongreß. Die Mehrheit der Arbeiter war für die Ablehnung jeglicher Beteiligung an den Wahlen. Die Parteiführung dagegen, unter ihr Liebknecht und Luxemburg, sprachen sich für eine Wahlkampagne aus. Die Führung unterlag in der Abstimmung, die Mehrheit der Partei erklärte sich für antiparlamentarisch. Gemäß der Auffassung der Mehrheit hatte die Nationalversammlung nur die Funktion, die Herrschaft der Bourgeoisie zu stärken, indem sie ihr eine „legale“ Grundlage verschaffte Auf der anderen Seite erwiesen sich die proletarischen Elemente der Partei als sehr aktiv in Bezug auf die Forderung, die bestehenden Arbeiterräte wieder zu „aktivieren“ oder neue zu bilden; ihre Absicht war es, indem sie die Parole „Alle Macht den Arbeiterräten!“ wieder aufnahmen, den Unterschied zwischen parlamentarischer und Arbeiterdemokratie klar darzustellen.

Die Führung der k.p.d. sah in diesem Anti-Parlamentarismus kein fortschrittliches Moment, sondern einen Rückschritt auf syndikalistische und anarchistische Konzeptionen, wie sie sich zu Beginn des industriellen Kapitalismus herausgebildet hatten. In Wirklichkeit aber hatte der Anti-Parlamentarismus der neuen politischen Strömung nicht viel gemein mit dem „revolutionären Syndikalismus“ oder dem „Anarchismus“. In Bezug auf diese Konzeptionen stellte er selbst deren Negation dar. Während der Anti-Parlamentarismus der Anarchisten (Libertären) sich auf die Ablehnung der politischen Herrschaft überhaupt gründete, und im besonderen auf die Ablehnung der Diktatur des Proletariats, betrachtet die neue Strömung den Anti-Parlamentarismus als eine notwendige Bedingung für die politische Machtübernahme. Es handelte sich also um einen „marxistischen“ Anti-Parlamentarismus.

Die Gewerkschaften

Bezüglich der gewerkschaftlichen Aktivitäten hatte die Führung der k.p.d. natürlich eine unterschiedliche Einschätzung der „Fabrikorganisationsbewegung“ Das führte kurze Zeit nach dem Kongreß (und der Ermordung Rosa Luxemburgs und Karl Liebknechts) überall zu heftigen Diskussionen.

Die Propagandisten der Räte stellten zunächst die Parolen auf: „Raus aus den Gewerkschaften! Unterstützt die Fabrikorganisationen! Bildet Arbeiterräte!!!“ Die k.p.d.-Führung aber erklärte: „Bleibt in den Gewerkschaften!“ Sie glaubte nicht, die Gewerkschaften „erobern“ zu können, aber sie dachte, daß es möglich wäre, in einigen lokalen Branchen die Führung zu „erobern“. Wenn sich diese Möglichkeit realisieren würde, könnte man die lokalen Organisationen zu einer zentralen Organisation vereinigen, die dann eine revolutionäre wäre.

Zu dieser Zeit noch versuchte die Führung der k.p.d. eine Niederlage abzuwenden. Die Mehrheit ihrer Sektionen weigerte sich, diese Anweisungen zu befolgen. Aber die Führung gab ihre Position nicht auf, selbst um den Preis des Ausschlusses der Mehrheit ihrer Mitglieder; sie wurde dabei durch die russische Kommunistische Partei und ihren Führer, Lenin, unterstützt, der bei dieser Gelegenheit seine unheilvolle Broschüre „Die Kinderkrankheiten“ verfaßte. Dieses Verfahren wurde dann auf dem Kongreß zu Heidelberg (Oktober 1919) durchgeführt wo es der Führung gelang, mit einigen Machenschaften auf „demokratische“ Weise mehr als die Hälfte der Parteimitglieder auszuschließen… Von nun an war die deutsche Kommunistische Partei in der Lage, ihre parlamentarische und gewerkschaftliche Politik mit größtenteils jämmerlichen Ergebnissen durchzuführen; der Ausschluß der Revolutionäre erlaubte ihr wenige später, sich mit einer linkssozialdemokratischen Partei (u.s.p.d.) zu vereinigen (Oktober 1920) und ihre Mitgliederzahl – allerdings nur für drei Jahre – zu vervierfachen. Zur selben Zeit verlor die k.p.d. ihre kämpferischsten Mitglieder und mußte sich bedingungslos dem Willen Moskaus unterwerfen.

Die Kommunistische Arbeiterpartei Deutschlands (K.A.P.D.)

Kurze Zeit darauf bildeten die ausgeschlossenen Mitglieder eine neue Partei: die k.a.p.d.. Diese Partei knüpfte enge Beziehungen zur a.a.u.d.. In den sich in den folgenden Jahren ergebenden Massenbewegungen war die k.a.p.d. eine Kraft, mit der man rechnen mußte. Man fürchtete ihren Willen und ihre Praxis der direkten Aktion ebenso sehr wie ihre Kritik an den Parteien und Gewerkschaften, ihre Entlarvung der kapitalistischen Ausbeutung in allen ihren Formen, wenn auch zunächst nur auf die Betriebsebene bezogen; ihre Presse und ihre Publikationen enthielten oft das beste an marxistischer Literatur, was in dieser Zeit der Dekadenz der marxistischen Arbeiterbewegung vorhanden war, und das, obwohl sich die k.a.p.d. den alten Traditionen versperrte.

Die K.A.P.D. und die Differenzen innerhalb der A.A.U.D.

Verlassen wir nun die Parteien und wenden wir uns der Bewegung der „ Fabrikorganisationen“ zu. Diese neu entstandene Bewegung machte deutlich, daß ein wichtiger Wandel im Arbeiterbewußtsein stattgefunden hatte. Aber diese Veränderungen hatten unterschiedliche Konsequenzen gezeigt; mehrere sehr unterschiedliche Denkrichtungen entstanden innerhalb der a.a.u.d.. Eine allgemeine Übereinstimmung wurde nur in folgenden Punkten erzielt:

a) die neue Organisation muß ihre Anstrengungen darauf richten, sich zu vergrößern
b) ihre organisatorische Struktur muß derart beschaffen sein, daß sie die Bildung neuer Führercliquen verhindert
c) diese Organisation wird dann, wenn sie Millionen von Mitgliedern in ihren Reihen zählt, die Diktatur des Proletariats organisieren müssen.

In zwei Punkten bestanden unüberwindbare Gegensätze:

a) über die Notwendigkeit oder Nicht-Notwendigkeit einer politischen Partei außerhalb der a.a.u.d.
b) über die Verwaltung des ökonomischen und sozialen Lebens.

Zu Anfang hatte die a.a.u.d. nur lose Kontakte zur k.p.d., auch bestanden diese Differenzen praktisch nicht. Mit der Gründung der k.a.p.d. änderte sich das. Die a.a.u.d. kooperierte eng mit der k.a.p.d., und das gegen den Willen einer großen Anzahl ihrer Mitglieder, besonders der in Sachsen, Frankfurt, Hamburg etc. … (man darf nicht vergessen, daß Deutschland noch sehr stark zersplittert war, und daß sich diese Zersplitterung auch auf das Leben der Arbeiterorganisationen auswirkte). Die Gegner der k.a.p.d. denunzierten diese als eine ihrem Wesen nach „Clique von Führern“, und im Dezember bildeten diese die a.a.u.-e., die a.a.u.-e.inheitsorganisation, die jede Partei des Proletariats als eine „spezialisierte“ Organisation, eine politische Partei, ablehnte.

Die gemeinsame Plattform

Welches waren die Argumentationen der drei gegenwärtigen Strömungen? Einigkeit gab es unter ihnen in der Betrachtungsweise der modernen Welt. Im Groben heißt das, daß jede anerkannte, daß sich die Gesellschaft geändert hatte: im XIX Jahrhundert bildete das Proletariat nur eine kleine Minderheit in der Gesellschaft; es konnte nicht alleine kämpfen und mußte versuchen, sich mit anderen Klassen zu verbünden; von daher rührt die demokratische Strategie von Karl Marx. Aber diese Zeit hat sich, wenigstens in den westlichen Ländern, völlig geändert. Dort bildet das Proletariat nun die Mehrheit der Bevölkerung, während alle Lager der Bourgeoisie sich hinter und mit dem Großkapital vereinigen. Von nun an war die Revolution die alleinige Aufgabe des Proletariats. Und diese war unvermeidbar, denn der Kapitalismus war in seine Todeskrise eingetreten. (Man darf nicht vergessen, daß diese Einschätzung aus den 20er und 30er Jahren stammt.)

Wenn die Gesellschaft sich, wenigstens im Westen, grundlegend geändert hat, so mußten sich auch die Vorstellungen vom Kommunismus ändern. Und diese veränderten sich auch, ganz wie die alten Vorstellungen, die von den alten Organisationen hochgehalten wurden und ganz das Gegenteil einer sozialen Emanzipation darstellten. Ein Beispiel dafür gibt Otto Rühle, einer der Haupttheoretiker der a.a.u.d. in einer Schrift aus dem Jahre 1924: „Die Nationalisierung, die weiterhin Programm der Sozialdemokratie wie auch der Kommunisten bleibt, ist nicht identisch mit der Vergesellschaftung. Über die Nationalisierung der Produktionsmittel kann man zum Beispiel zu einem stark zentralisierten Staatskapitalismus gelangen, der vielleicht dem Privatkapitalismus überlegen ist, nichtsdestotrotz aber Kapitalismus bleibt.“

Der Kommunismus resultiert aus der Aktion der Arbeiter, aus ihrem aktiven Kampf, vor allem entsteht er durch sie selbst! Deshalb ist es zunächst notwendig, neue Organisationen zu bilden. Aber wie sollen solche Organisationen beschaffen sein? An diesem Punkt gingen die Meinungen auseinander, und die Gegensätze führten bis hin zu den zahlreichen Spaltungen. Während die Arbeiterklasse zunehmend ihre revolutionären Aktivitäten aufgab, während ihre offiziellen Vertretungen (Org.) nur spektakuläre, lächerliche Aktivitäten zuwege brachten, drückten diejenigen, die handeln wollten, indem sie ihre Errungenschaften verteidigten, nur die allgemeine Zersetzung der Arbeiterbewegung aus. Trotzdem ist es sinnvoll, sich die damals bestehenden Differenzen vor Augen zu führen.

Die doppelte Organisation

Die k.a.p.d. wandte sich gegen die Konzeption einer Massenpartei „leninistischen Typus“, die nach der russischen Revolution vorherrschte. Sie unterstützte eine Position, nach der eine revolutionäre Partei notwendigerweise eine Partei der Elite, folglich also klein sein muß; eine Partei, die auf der Qualität und nicht der Quantität ihrer Mitglieder basierte. Die Partei, die die besterzogensten Mitglieder der Klasse in sich vereinigen muß, muß wie die Hefe im Teig in den Massen handeln können, d.h. sie muß propagandistisch tätig sein, Diskussionen entfachen etc. …

Die Strategie, der sie zu folgen hat, ist die Strategie: Klasse gegen Klasse, eine Strategie, die ganz auf den Kämpfen in den Fabriken und den bewaffneten Aufständen beruht – die manchmal sogar, als Nebenerscheinung, zu den Mitteln des Terrors greifen muß (wie dem Bombenwerfen, dem Bankraub, etc. … Aktionen, wie sie zu Beginn der 20er Jahre häufig vorkamen.) Der Kampf in den Fabriken, der von Aktionskomitees geleitet wird, muß ein für den Massenkampf notwendiges Klassenbewußtsein schaffen und immer größere Teile des Proletariats für die entscheidenden Kämpfe mobilisieren.

Herman Gorter, einer der führenden Theoretiker dieser Richtung, begründete die Notwendigkeit einer kleinen kommunistischen Partei folgendermaßen: „Die meisten Proletarier leben in Unwissenheit. Sie haben nur geringe Vorstellungen von der Ökonomie und der Politik, sie wissen kaum etwas von nationalen und internationalen Ereignissen, von den Verhältnissen, die zwischen diesen bestehen und dem Einfluß, den sie auf die Revolution ausüben. Sie können sich ihre Klassenlage nicht rational erklären. Das ist der Grund, weshalb sie nicht im richtigen Moment handeln können. Sie handeln, wenn sie nicht sollen und handeln nicht, wenn es nötig wäre. Sie irren sich zu oft.“

So hätte diese kleine ausgewählte Partei eine erzieherische Aufgabe, sie würde die Rolle eines Katalysators auf der Ebene der Ideen spielen. Aber die Aufgabe, die Massen selbst zu organisieren, käme der a.a.u.d. zu, die dabei auf die Reservoirs der Fabrikorganisationen zurückgreifen müßte und deren wesentliche Aufgabe es sein würde, gegen die Gewerkschaften zu kämpfen und deren Einfluß zurückzudämmen; durch die Propaganda, gewiß, aber auch und besonders durch gezielte Aktionen von Gruppen, „die das in ihrer Aktion aufzuzeigen haben, was die Massen erst noch werden müssen,“ sagte Gorter. Schließlich verwandeln sich im Verlauf des Kampfes die Fabrikorganisationen in Arbeiterräte, die alle Arbeiter umfassen und die direkt dem Willen und der Kontrolle der Arbeiter unterstellt sind. Kurz, die „Diktatur des Proletariats“ wäre nichts anderes als eine auf die Gesamtheit der deutschen Fabriken ausgedehnte a.a.u.d.

Die Argumente der A.A.U.-E.

Die a.a.u.-e., die sich gegen eine von den Fabrikorganisationen getrennte politische Partei aussprach, wollte eine große Einheitsorganisation aufbauen, die die praktische Führung der Massenkämpfe zur Aufgabe hätte und später auch die Verwaltung der Gesellschaft auf der Grundlage der Arbeiterräte organisieren sollte. Folglich hätte die neue Organisation zugleich ökonomische und politische Aufgaben.

Auf der anderen Seite unterschied sich die Konzeption von der des alten „Revolutionären Syndikalismus“, der sich gegenüber der Bildung einer besonderen politischen Macht der Arbeiter und gegenüber der Diktatur des Proletariats ablehnend verhielt. Auf der anderen Seite sah die a.a.u.-e., indem sie zugab, daß das Proletariat schwach, zersplittert und unwissend sei und daß folglich eine fortlaufende Belehrung notwendig sei, aber deshalb nicht ebenso die Notwendigkeit einer Elitenpartei im Stil der k.a.p.d. ein. Die Fabrikorganisationen reichten nach ihrer Ansicht für diese Erziehungsaufgabe aus, denn die Diskussions- und Redefreiheit sei in ihnen gesichert. Es ist bezeichnend, daß die a.a.u.-e. eine Kritik an die k.a.p.d. richtete, die im „Geist der k.a.p.d.“ selbst gehalten war: nach der a.a.u.-e. war die k.a.p.d. eine zentralistische Partei, ausgestattet mit berufsmäßigen Führern und bezahlten Redakteuren, die sich gegenüber der offiziellen Kommunistischen Partei (k.p.d.) nur durch ihre Ablehnung des Parlamentarismus auszeichnete; die „Doppelorganisation“ sei nichts anderes als die Anwendung einer „Politik des doppelten Futtertrogs“ zum Nutzen der Führer. Die meisten Strömungen in der a.a.u.-e. lehnten, was sie selbst angeht, das bezahlte Führertum ab; „Weder Mitgliedsausweise noch Statuten, noch sonst etwas in dieser Art“ sagte man. Einige Gruppen gingen sogar soweit, Anti-Organisations-Organisationen zu bilden …

Das heißt grob gesagt, daß, wenn das Proletariat zu schwach und zu unwissend ist, um Entscheidungen im Verlauf seiner Kämpfe zu führen, dies noch lange keine Entscheidung für eine Partei ist. Niemand kann anstelle des Proletariats handeln, und dieses muß, durch sich selbst, seine eigenen Fehler überwinden, und daß es, ohne dies zu tun, besiegt werden wird und mit dem Preis seiner Niederlage schwer dafür bezahlen wird. Die Doppelorganisation ist eine überholte Organisationsform, ein Überbleibsel aus der Tradition: Partei und Gewerkschaften.

Diese Unterschiede zwischen den drei Strömungen: k.a.p.d., a.a.u.d. und a.a.u.-e. hatten auch Konsequenzen in der Praxis. So zur Zeit des mitteldeutschen Aufstandes von 1921, der zu großen Teilen von bewaffneten Gruppen der k.a.p.d. ausgelöst und geführt wurde (die damals noch als sympathisierende Partei der III. Internationalen angehörte) und an dem teilzunehmen sich die a.a.u.-e. weigerte, da er nach ihrer Meinung dazu diente, die russischen Schwierigkeiten zu überdecken und die Unterdrückung von Kronstadt zu vertuschen. Trotz fortlaufend gemachter Fehler, die heftige und oft auch sehr verwirrende Polemiken auch über personelle Fragen auslösten, übte der „Geist der k.a.p.d.“ aufgrund der durch tiefe Orientierungs- und Hoffnungslosigkeit provozierten Übertreibungen durch sein Insistieren auf der direkten und gewaltsamen Aktion, durch seine leidenschaftliche Anklage des Kapitalismus und seiner Unteroffiziere aus der Arbeiterschaft aus allen politischen Strömungen (hierunter fielen auch die „Palastherren“ von Moskau), lange Zeit einen fühlbaren Einfluß auf die Massen aus. Man muß hinzufügen, daß jede dieser Richtungen über eine mächtige Presse verfügte, im allgemeinen durch illegale Geldmittel unterstützt wurde und daß ihre Mitglieder, die aufgrund ihrer subversiven Tätigkeit oft arbeitslos waren, auf der Straße und in öffentlichen Versammlungen etc. … sehr aktiv waren.

Der Rechenfehler

Man hatte geglaubt, daß das schnelle Anwachsen der Fabrikorganisationen in den Jahren 1919 und 1920 sich mit derselben Geschwindigkeit in den kommenden Kämpfen fortsetzen würde. Man hatte geglaubt, daß aus den Fabrikorganisationen eine Massenbewegung entstehen könnte, in der sich „Millionen und Abermillionen bewußter Kommunisten finden würden“, und daß sie die Macht der sogenannten Arbeitergewerkschaften ausgleichen könnten. Ausgehend von der richtigen Hypothese, daß das Proletariat nur als organisierte Klasse kämpfen und siegen kann, glaubte man, daß die Arbeiter einen Weg erarbeiten würden, indem sie eine neue und sich immer mehr vergrößernde ständige Organisation bilden. Am Wachstum der a.a.u. und der a.a.u.-e. kann man die Entwicklung der Kampfesfähigkeit und des Klassenbewußtseins messen. Nach einer Periode beschleunigten wirtschaftlichen Wachstums (1923-29) folgte eine neue Phase von Kämpfen, die 1933 durch die Machtübernahme Hitlers enden mußte. Während dieser Zeit zogen sich die AAU, die k.a.p.d. und die a.a.u.-e. immer mehr auf sich selbst zurück. Am Ende bleiben nicht mehr als ein paar hundert Mitglieder, Reste der ehemals großen Fabrikorganisationen, d.h. es blieben hier und dort kleine Kerne übrig gegenüber einer Gesamtzahl von 20 Millionen Proletariern. Die Fabrikorganisationen waren nicht mehr die „allgemeinen“ Organisationen der Arbeiter, sondern sie waren Kerne von bewußten Rätekommunisten. Von da an nahmen die AAU und die a.a.u.-e. den Charakter von kleinen Parteien an, auch wenn sie in ihrer Presse immer das Gegenteil behaupteten.

Die Funktionen

War es vor allem die kleine Anzahl ihrer Mitglieder, die die Fabrikorganisationen auf lange Zeit in politische Parteien verwandelte? Nein. Es war ein Wechsel in den Funktionen. Obwohl die Fabrikorganisationen es niemals als ihre Aufgabe ansahen, einen Streik zu führen, mit den Unternehmern zu verhandeln, Forderungen zu formulieren (das war die Sache der Streikenden selbst), waren die a.a.u.d. und die a.a.u.-e. die Organisationen des praktischen Kampfes. Sie beschränkten sich auf Propagandatätigkeit und Unterstützungsfunktionen. Jedesmal, wenn ein Streik ausgelöst wurde, besetzten die Fabrikorganisationen einen großen Teil der Streikorganisationen: die Presse der Organisation war die Presse des Streiks; sie organisierten Streikversammlungen, und die Redner dieser Versammlungen waren oft Mitglieder der a.a.u.d. und der a.a.u.-e.. Aber die Aufgabe, mit den Unternehmern zu verhandeln, kam dem Streikkomitee zu, in dem die Mitglieder der Fabrikorganisationen nicht ihre Gruppe als Gruppe vertraten, sondern die Streikenden, die sie gewählt hatten und denen gegenüber sie verantwortlich waren.

Die politische Partei, die k.a.p.d., hatte eine andere Funktion. Ihre Aufgabe bestand hauptsächlich in der Propaganda, der politischen und ökonomischen Analyse. Bei Wahlen machte sie eine anti-parlamentarische Propaganda und denunzierte die bürgerlichen und die anderen Parteien, sie rief dazu auf, in den Fabriken, den Handelsorganisationen und unter den Arbeitslosen Aktionskomitees zu gründen, deren Ziel es war, unter den Massen, die sich instinktiv von den alten Organisationen zu lösen versuchten, zu agitieren.

Der Wechsel der Funktionen

Aber tatsächlich wurden, nach der Niederlage und der blutigen Unterdrückung von 1921, mit der Welle der wirtschaftlichen Prosperität diese Funktionen rein theoretisch. Die Aktivität dieser Partei wurde auf reine Propagandatätigkeit und Analyse beschränkt, d.h. auf Aktivitäten einer politischen Gruppe. Durch das Fehlen einer revolutionären Perspektive entmutigt, verließ der größte Teil der Mitglieder die Organisation. Die Reduktion ihres Wirkungsbereiches hatte auch zur Folge, daß die Fabriken nicht mehr die Basis der Organisation bildeten. Man organisierte sich auf Stadtteilebene, in einer Kneipe, oder man sang manchmal, auf deutsch, im Chor und mit Inbrunst die alten Arbeiterlieder der Hoffnung und des Zorns. Es gab nun keine Differenzen mehr zwischen der k.a.p.d., der AAU und der AAUE.

Praktisch trafen sich die Mitglieder der k.a.p.d. und der AAU in nominell verschiedenen Gruppen, und auch die Mitglieder der AAUE waren in einer politischen Gruppe organisiert, auch wenn sie das nicht wahrhaben wollten. Anton Pannekoek, der holländische Marxist, der einer der theoretischen Inspiratoren aller dieser Gruppen war, schrieb diesbezüglich 1927: „Die a.a.u., gleich wie die k.a.p.d., bildet wesentlich eine Organisation, die die Revolution zum unmittelbaren Ziel hat. In anderen Zeiten, in Zeiten des Verfalls, hätte man überhaupt nicht an die Bildung einer solchen Organisation denken können. Aber sie hat die Jahre der revolutionären Kämpfe überlebt; und die Arbeiter, die sie einerseits gründeten und unter ihrer Fahne kämpften, wollten die Erfahrung dieser Kämpfe nicht verloren gehen lassen, und so bewahren sie sie wie einen Keim für kommende Kämpfe. „ Gleichwohl, bei drei politischen Parteien derselben Richtung waren zwei zuviel. Mit der Zunahme der Gefahr, während die alten Arbeiterorganisationen eine namenlose Feigheit beschlich, während die Nazis triumphierend ihren Weg beschritten, schloß sich die a.a.u.d., die sich in der Zwischenzeit von der k.a.p.d. getrennt hatte im Dezember 1931 mit der a.a.u.-e. zusammen, und in der k.a.p.d. verblieben nur noch wenige Mitglieder; und einige andere von der AAUE verbanden sich mit anarchistischen Gruppierungen.

Aber die meisten Überlebenden der Fabrikorganisationen organisierten sich in einer neuen Organisation, der k.a.u.d., der Kommunistischen Arbeiter-Union und gaben damit ihrer Vorstellung Ausdruck, daß diese letzte Organisation nicht mehr eine „allgemeine“ Organisation ist, die alle Arbeiter, die vom revolutionären Willen erfaßt worden sind, in sich vereinigt, wie das die a.a.u.d. zum Beispiel war, sondern eine Organisation, in der sich die bewußten kommunistischen Arbeiter fanden.

Die organisierte Klasse

Die KAUD war folglich Ausdruck der Veränderung, die in den Konzeptionen der Organisation stattgefunden hatte. Und diese Veränderung hatte ihren Sinn. Man muß sich erinnern, was bis dahin der Begriff „organisierte Klasse“ meinte. Die AAU und die AAUE hatten anfangs geglaubt, daß sie die seien, die die Arbeiterklasse organisierten, daß Millionen von Proletariern ihrer Organisation beitreten würden. Das war im Grunde eine den Vorstellungen der revolutionären Syndikalisten sehr nahestehende Idee, die erwarteten, eines Tages alle Arbeiter in ihren Gewerkschaften zu sehen; dann endlich wäre die Arbeiterklasse eine organisierte Klasse.

Jetzt spornte die k.a.p.d. die Arbeiter an, sich ihre eigenen Aktionskomitees zu organisieren und Verbindung zwischen diesen Komitees herzustellen. Anders gesagt: der Kampf der organisierten Klasse hängt nicht mehr von einer vor dem Kampf gebildeten Organisation ab. In dieser neuen Konzeption war die „organisierte“ Klasse die unter ihrer eigenen Führung kämpfende Arbeiterklasse. Diese neue Konzeption hatte in Bezug auf zahlreiche Fragen Konsequenzen, so z.B. auf die der Diktatur des Proletariats. Denn, wenn der organisierte Kampf nicht mehr die ausschließliche Sache von spezialisierten Organisationen war, was seine Führung angeht, so konnten diese auch nicht mehr als Organe der Diktatur des Proletariats betrachtet werden. Damit verschwand auch ein Problem, das bei vielen Gelegenheiten zu scharfen Konflikten geführt hatte: wer von der k.a.p.d. oder der a.a.u.d. sollte die Macht ausüben oder organisieren? Die Diktatur des Proletariats wird nicht länger die Aufgabe spezialisierter Gruppen sein, sie wird Aufgabe der kämpfenden Klasse selbst sein, die alle Funktionen, alle Aspekte des Kampfes auf sich nimmt. Die Aufgaben der neuen Organisation, der k.a.u.d., beschränkte sich also auf kommunistische Propaganda, die die Ziele klarstellen soll, die die Arbeiterklasse zum Kampf gegen die Kapitalisten und die alten Organisationen bewegt, zunächst mit dem Mittel des wilden Streiks, und ihr bei allen Aktionen ihre Stärken und Schwächen zeigt.

Die kommunistische Gesellschaft und die Fabrikorganisationen

Die Weiterentwicklung dieser Ideen mußte notwendigerweise begleitet sein von einer Revision der bisher gehabten Vorstellungen über die Elemente, die die kommunistische Gesellschaft konstituieren. Im allgemeinen war die in den Massen vorherrschende Vorstellung ausgerichtet auf die Schaffung eines staatskapitalistischen Systems. Wohl verstanden: es gab wohl eine ganze Anzahl von Theorien mit geringfügigen Unterschieden, aber diese ganze Ideologie konnte man auf drei Prinzipien reduzieren: der Staat, über den Weg der Nationalisierung, der gelenkten Wirtschaft, der sozialen Reformen etc. … stellt den Hebel dar, der die Verwirklichung des Sozialismus erlaubt, wobei die parlamentarische und gewerkschaftliche Aktion die wesentlichen Mittel des Kampfes darstellen. Demnach kämpfen die Arbeiter kaum wie eine unabhängige Klasse, die vor allem ihre eigenen Ziele realisieren will; sie müssen vielmehr die „Verwaltung und Leitung des Klassenkampfes“ den parlamentarischen und gewerkschaftlichen Führern anvertrauen. Man kann deshalb sagen, daß in dieser Ideologie Partei und Gewerkschaft in den Augen der Arbeiter als konstitutive Elemente des Staates erscheinen und daß ihnen die Verwaltung und Leitung einer zukünftigen kommunistischen Gesellschaft zukommt.

Im Verlauf der ersten Phase, derjenigen, die auf die Niederlage der revolutionären Aktionen in Deutschland folgte, war diese Tradition noch stark in den Konzeptionen der a.a.u.d., der k.a.p.d. und der a.a.u.-e. enthalten. Alle drei sprachen sich für eine Organisation aus, die Millionen und Abermillionen von Mitglieder umfassen sollte, um die politische und ökonomische Diktatur des Proletariats auszuüben. So erklärte 1922 die a.a.u.d., daß sie in der Lage sei, auf der Basis ihrer Aktivitäten die „Verwaltung von 6% der deutschen Fabriken“ zu übernehmen. Aber diese Konzeption ist jetzt ins Schwanken geraten. Bis dahin verlangten, wie wir gesehen haben, Hunderte von Fabrikorganisationen, die mit der a.a.u.d. oder der a.a.u.-e. verbunden oder in ihnen organisiert waren, ein Maximum an Unabhängigkeit, was das freie Fällen von Entscheidungen angeht, und sie taten ihr Möglichstes, um die Bildung einer „neuen Führerclique“ zu verhindern. Aber ist es möglich, diese Unabhängigkeit im Innern des kommunistischen Lebens zu erhalten? Das ökonomische Leben ist hochgradig spezialisiert, und alle Wirtschaftsbereiche sind eng miteinander verbunden. Wie sollte man das ökonomische Leben verwalten, wenn man nicht bei der Produktion und der Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums zu einigen zentralisierten Instanzen zurückkehrt? Ist der Staat als Regulator der Produktion und Organisator der Verteilung nicht unersetzbar? Hier tat sich ein Widerspruch auf zwischen den alten Vorstellungen von der kommunistischen Gesellschaft und der neuen Kampfform, die man heute anwandte. Man befürchtete die ökonomische Zentralisierung und ihre durch die Ereignisse deutlich demonstrierten Folgen, aber man wußte nicht, wie man sie vermeiden konnte. Die Diskussion brachte, je nach Notwendigkeit und Grad, ein Mehr oder Weniger an „Föderalismus“ oder Zentralismus“ hervor.

Die a.a.u.-e. tendierte mehr zum „Föderalismus“, die k.a.p.d. und die AAU neigten mehr zum „Zentralismus“. 1923 verkündigte Karl Schröder, einer der Haupttheoretiker der k.a.p.d., daß „je stärker die kommunistische Gesellschaft zentralisiert sei, sie umso besser sei.“

Und tatsächlich war dieser Widerspruch unlösbar, wenn man auf der Ebene der alten Konzeptionen von der „organisierten Klasse“ verblieb. Auf der einen Seite lehnte man sich an die Vorstellungen des „Revolutionären Syndikalismus“ an, was die Übernahme der Fabriken durch die Gewerkschaften betraf, auf der anderen Seite dachte man wie die Bolschewiki, daß ein zentralisierter Apparat, der Staat, den Produktionsprozeß regeln und die Verteilung der „nationalen Revenue“ unter den Arbeitern in die Hand nehmen muß. Auf jeden Fall ist eine Diskussion über die kommunistische Gesellschaft, wenn man von dem Dilemma „Föderalismus oder Zentralismus“ ausgeht, absolut unfruchtbar. Diese Probleme sind Probleme der Organisation, technische Probleme, da die kommunistische Gesellschaft in erster Linie ein ökonomisches Problem ist. Der Kapitalismus muß durch ein anderes ökonomisches System überwunden werden, in dem die Produktionsmittel, die Produkte, die Arbeitskraft nicht der „Wertform“ unterworfen sind, und wo die Ausbeutung der arbeitenden Klassen zum Profit der privilegierten Schichten abgeschafft ist. Die Diskussion über „Föderalismus oder Zentralismus“ hat keinen Sinn, wenn man vorher nicht auf zeigt, was die ökonomische Basis dieses „Föderalismus“ oder dieses „Zentralismus“ sein wird. In Wirklichkeit sind die Organisationsformen einer gegebenen Ökonomie im großen gesehen keine willkürlichen Formen, sie leiten sich eben aus den Prinzipien dieser Ökonomie selbst her. So findet sich zum Beispiel das Profitprinzip und der Mehrwert, das seiner privaten oder kollektiven Aneignung, an der Basis aller von der kapitalistischen Ökonomie angenommenen Formen. Deshalb ist es unzureichend, die Ökonomie des Kommunismus nur als eine Negation des kapitalistischen Systems darzustellen: kein Geld, keinen Markt, kein Privat- oder Staatseigentum. Es ist notwendig, seine positiven Charaktere darzustellen, aufzuzeigen, was die ökonomischen Gesetze sein werden, die über die des Kapitalismus triumphieren werden. Verfährt man so, so ist es sehr wahrscheinlich, daß einem die Alternative „Föderalismus oder Zentralismus“ als ein falsches Problem erscheint.

Das Ende der Bewegung in Deutschland

Bevor wir länger auf diese Frage eingehen, ist es vielleicht ganz sinnvoll, einen Blick auf das praktische Schicksal der aus den revolutionären Fabrikorganisationen entstandenen Bewegung zu werfen.

Die a.a.u.d. hatte sich seit Ende 1929 von der k.a.p.d. getrennt. Ihre Presse befürwortete eine „flexible Taktik“: d.h. die Unterstützung von Arbeiterkämpfen, die Lohnforderungen, Verbesserung der Arbeitsbedingungen und Verkürzung der Arbeitszeit zum einzigen Ziel hatten. Die k.a.p.d. sah in dieser Taktik einen gefährlichen Schritt in Richtung auf eine Klassenkollaboration, des Abgleitens zu einer „Kuhhandelpolitik“. Nach dem Ausschluß ihres Führers Scharer, der des Paktierens mit dem Feind für schuldig befunden wurde, weil er in einem Verlagshaus der k.p.d. einen Roman publiziert hatte, gelangte die k.a.p.d. zu einer Lobpreisung des individuellen Terrors als einem Mittel, in den Massen Klassenbewußtsein zu wecken. Der Reichstagsbrandstifter Marinus van der Lubbe stand mit dieser Bewegung in Kontakt. Indem er in einem abgelegenen Flügel des Reichstags Feuer legte, wollte er die Arbeiter durch eine symbolische Tat dazu bewegen, ihre Lethargie aufzugeben.

Weder die eine noch die andere dieser Taktiken zeigte Resultate. Deutschland geriet in eine ökonomische Krise von unerhörtem Ausmaß, die Zahl der Arbeitslosen nahm rapide zu; es gab keine wilden Streiks, niemand kümmerte sich um die gewerkschaftlichen Anordnungen. Die Gewerkschaften kollaborierten eng mit den Unternehmern und dem Staat. Die Presse der Rätekommunisten wurde häufig beschlagnahmt, aber ihre Apelle an die autonomen Aktionskomitees riefen jedenfalls keinerlei Echo hervor. Die Ironie der Stunde: der einzige große wilde Streik dieser Zeit, der der Berliner Verkehrsbetriebe 1932, wurde gemeinsam durch die stalinistischen und hitlerschen Bonzen gegen die sozialistischen Gewerkschaften organisiert.

Nach der legalen Machtergreifung Hitlers wurden die aktiven Genossen der verschiedenen Richtungen verhaftet und in Konzentrationslager gesperrt, aus denen die meisten von ihnen nicht wiederkehrten. 1945 wurden einige Überlebende auf Befehl der g.p.u. beim Einmarsch der russischen Armee in Sachsen erschossen. Noch 1952 wurde ein ehemaliger Führer der a.a.u.d., Alfred Weiland, in Westberlin auf offener Straße nach Ostberlin entführt, wo er zu einer hohen Gefängnisstrafe verurteilt wurde.

Gegenwärtig existieren in Deutschland keine Spuren der verschiedenen Strömungen des Rätekommunismus mehr. Die Liquidierung der Menschen hatte die Liquidierung der Ideen mit sich gebracht, deren Träger sie waren, während die Prosperität und die Expansion das Denken in eine andere Richtung lenkten. Um aber zu sehen, wodurch die durch diese Bewegung erlittene Tragödie unsere Kenntnis vom Kampf für die Arbeitermacht bereichert hat, ist es gut, zur Ökonomie des Kommunismus zurückzukehren.

Ökonomische Grundlagen des Kommunismus

Um dieses Problem vertiefen zu können, wäre es nötig gewesen, daß die a.a.u.d. sich von den alten Traditionen der „organisierten Klasse“ löste, damit sie verstehen konnte, daß die Arbeiterklasse ihre wirkliche Einheit, weltweit, nur in ihren Massenkämpfen verwirklichen kann, jenseits aller spezialisierten Organisationen, die bestenfalls einen fragmentarischen Aspekt einer vergangenen Phase proletarischer Hoffnungen und Ziele darstellen können. 1930 veröffentlichte die a.a.u.d. eine Studie holländischer Rätekommunisten, die den Titel hatte: Grundprinzipien kommunistischer Produktion und Verteilung.

Diese Analyse beabsichtigte nicht, irgendeinen „Plan“ vorzuschlagen, durch den man zu einer „besseren und gleicheren Gesellschaft“ gelangen kann. Sie beschäftigt sich ausschließlich mit Problemen der Ökonomie des Kommunismus und verbindet die Praxis des Klassenkampfes und die gesellschaftliche Verwaltung zu einer organischen Einheit. Die „Grundprinzipien“ ziehen folglich die ökonomischen Konsequenzen eines möglichen Kampfes, der von den Massen selbständig auf der politischen Ebene geführt wird. Wenn die Arbeiterräte die Herrschaft erobert haben werden und wenn sie durch dauernde Anstrengung gelernt haben werden, ihre eigenen Kämpfe direkt selbst zu leiten, werden sie sich gezwungen sehen, ihrer Herrschaft neue Grundlagen zu geben, indem sie bewußt neue ökonomische Gesetze einführen, wobei das Maß der Arbeitszeit der Ausgangspunkt aller Produktion und Verteilung sein wird. Die Arbeiter sind fähig, ihre Produktion selbst zu verwalten, aber das ist nur möglich, wenn man die Arbeitszeit in den verschiedenen Branchen berechnet, und zwar auf breitester Grundlage, und sich bei der Verteilung der Güter dieses Maßes bedient.

Die Grundprinzipien untersuchen dieses Problem vom Standpunkt des ausgebeuteten Arbeiters aus, der nicht nur hofft, daß das Privateigentum abgeschafft wird, sondern ebenso sehr die Abschaffung der Ausbeutung ersehnt. Aber die Geschichte unserer Zeit hat gezeigt, daß die Abschaffung des Privateigentums an Produktionsmitteln nicht notwendigerweise auch die Aufhebung der Ausbeutung zur Folge haben muß. Man muß diese Frage noch genauer analysieren. Die anarchistische Bewegung hat diese Notwendigkeit früher begriffen als die Marxisten, und ihre Theoretiker haben ihr starke Beachtung geschenkt. Trotzdem sind ihre Vorstellungen nicht völlig voneinander verschieden gewesen. Wenn die Marxisten, Sozialdemokraten und Bolschewisten die kapitalistische Produktionsweise, die im monopolistischen Stadium angelangt ist, durch einen Arbeiterstaat überwinden wollten, ohne grundlegende Veränderungen an seinen Mechanismen vorzunehmen, so bevorzugten die Anarchisten eine Föderation freier Kommunen und lehnten jeden Staat ab. Dies allerdings nur, um ihn unter anderen Formen wieder aufzubauen. Dieser Punkt war Gegenstand heftiger Kontroversen, wir wollen dafür ein Beispiel geben: einer der bekanntesten anarchistischen Theoretiker, Sebastian Faure, erklärte, daß die Bewohner einer Kommune die Gesamtheit ihrer Bedürfnisse und Produktionskapazitäten bemessen, dann, nachdem man über den „gesamten Etat an Bedürfnissen der Konsumtion und der Möglichkeiten der Produktion, Region für Region, sich einen Überblick verschafft hat, setzt das „Nationale Komitee“ die Norm fest und teilt jeder Region mit, über wie viel Güter sie verfügen kann und welche Produktionsleistung sie erbringen muß. Mit diesen Angaben versehen macht jedes Regionalkomitee für seinen Bereich dieselbe Arbeit: es setzt eine bestimmte Norm fest und teilt jedem kommunalen Komitee mit, über welche Produktenmenge die Kommune verfügen kann und wieviel sie produzieren muß. Die Kommune macht schließlich wiederum dasselbe gegenüber ihren Bewohnern.“

Sicher, Sebastian Faure hatte vorher schon genauer bestimmt, daß „jede dieser weitumfassenden großen Organisationen die freiwillige Übereinkunft als Grundlage und lebendiges Prinzip haben muß“, aber ein ökonomisches System verlangt ökonomische Prinzipien und keine gutgemeinten, edlen Erklärungen. Man kann dieselbe Feststellung auch an Hand eines Zitats von Hilferding, dem berühmten Theoretiker der Sozialdemokratie, machen, denn auch hier fehlt das ökonomische Prinzip: „Die kommunalen, regionalen und nationalen Kommissare der sozialistischen Gesellschaft beschließen, wieviel und in welcher Menge und über welche Mittel man neue Güter aus den natürlichen oder künstlichen Produktionsbedingungen ziehen wird. Mit Hilfe von Produktions- und Konsumtionsstatistiken, die die Gesamtheit der sozialen Bedürfnisse erfassen, transformieren sie das ökonomische Leben insgesamt nach den in den Statistiken angegebenen Bedürfnissen.“

Die Differenz zwischen diesen beiden prinzipiellen Positionen ist kaum noch auszumachen. Dennoch kommt den Anarchisten der historische Verdienst zu, die Forderung von der „Abschaffung des Lohns“ proklamiert zu haben. In dieser Konzeption indessen ist das „Nationale Komitee“, das „Statistikbüro“ etc…., das, was die Marxisten „Volksregierung“ nennen, dazu bestimmt, eine „natürliche Ökonomie zu verfolgen“, d.h. eine Ökonomie, in der es keinen Geldumlauf mehr gibt. Wohnungen, Lebensmittel, Elektrizität, Transportwesen etc., all das ist „gratis“. Eine gewisse Anzahl von Gütern und Dienstleistungen wird dennoch mit Geld bezahlt werden müssen, wobei die Bestimmung der Größen allgemein auf dem Verhältnis Bevölkerung-Konsumtion indexiert sein wird. Aber trotz dieser Formen bedeutet die Abschaffung des Lohns nicht die Abschaffung der Ausbeutung und bedeutet erst recht nicht die soziale Freiheit. Und tatsächlich, je mehr dieser Sektor der „reinen“ Ökonomie zunimmt, desto mehr hängen die Arbeiter bei der Festsetzung ihrer „Revenue“ vom Verteilungsapparat ab. Es existierte das Beispiel einer „reinen“ Ökonomie, wo der Austausch ohne Geld vonstatten ging, wenigstens für den größten Teil der Güter, wo die Wohnungen, die Elektrizität etc. „gratis“ waren. Das war die Periode des „Kriegskommunismus“ in Rußland. Man konnte nicht nur sehen, daß dieses System auf die Dauer nicht lebensfähig war, sondern auch, daß es ohne Schwierigkeiten mit einem auf Klassenherrschaft aufgebauten System koexistieren konnte.

Die Wirklichkeit hat uns folglich gelehrt:

a) daß es möglich ist, das Privateigentum abzuschaffen, ohne die Ausbeutung abzuschaffen und
b) daß es möglich ist, die Lohnarbeit abzuschaffen, ohne die Ausbeutung abzuschaffen. Wenn es so ist, so stellt sich das Problem der Proletarischen Revolution für die Ausgebeuteten in folgender Weise:

  • was sind die ökonomischen Bedingungen, die die Abschaffung der Ausbeutung erlauben?
  • was sind die ökonomischen Bedingungen, die es dem Proletariat erlauben, die einmal eroberte politische Macht zu behalten und die Wurzeln der Konterrevolution auszureißen?

Obgleich die „Grundprinzipien“ die ökonomischen Grundlagen des Kommunismus untersuchen, ist ihr Ausgangspunkt eher politisch als ökonomisch. Für die Arbeiter ist es nicht leicht, die politisch-ökonomische Herrschaft zu erobern, aber es ist für sie noch viel schwieriger, sich diese Herrschaft auch zu erhalten. In den gegenwärtigen Konzeptionen vom Kommunismus oder Sozialismus tendiert man dazu – durch Fakten, wenn nicht, so in Worten – die ganze Herrschaft der gesellschaftlichen Verwaltung in einigen staatlichen oder „gesellschaftlichen“ Büros zu konzentrieren. Und umgekehrt betrachtet dieses Buch (“Grundprinzipien“ ) die Ökonomie als eine unvermeidliche Fortführung der Revolution und nicht als einen wünschenswerten Zustand, der sich in hundert oder in tausend Jahren verwirklichen wird. Es handelt sich darum, auf der Grundlage der Prinzipien die – nicht von einer Partei oder Organisation – sondern von der Arbeiterklasse und ihren unabhängigen Kampf Organisationen, den Arbeiterräten, zu ergreifenden Maßnahmen zu bestimmen. Die Verwirklichung des Kommunismus ist nicht die Sache einer Partei, sondern die der ganzen Klasse, indem sie in ihren Räten bestimmt und durch ihre Räte handelt.

Die Produzenten und der soziale Reichtum

Eines der großen Probleme der Revolution ist es, neue Beziehungen zwischen dem Produzenten und dem gesellschaftlichen Reichtum herzustellen, Beziehungen, die sich unter kapitalistischen Verhältnissen durch die Lohnarbeit ausdrücken. Die Herrschaft der Lohnarbeit ist aufgebaut auf einem tiefen Widerspruch zwischen dem Wert der Arbeitskraft (Lohn) und dem Wert der Arbeit selbst (dem Produkt der Arbeit). Wenn der Arbeiter zum Beispiel 50 Stunden gesellschaftliche Arbeit leistet, so erhält er als Lohn dafür nur, sagen wir, das Äquivalent von 10 Stunden. Um sich wirklich zu emanzipieren, muß er erkennen, daß es nicht mehr der Wert seiner Arbeitskraft sein darf, die seinen Lohn bestimmt, der seinen Anteil an der gesellschaftlichen Produktenmasse bestimmt, sondern daß dieser Teil durch seine Arbeit selbst bestimmt sein muß. Die Arbeit als Maß der Konsumtion ist das Prinzip, dem er zum Sieg verhelfen muß.

Die Differenz zwischen der Summe der geleisteten Arbeit und dem, was der Arbeiter dafür im Austausch erhält, ist Mehrarbeit genannt und stellt unbezahlte Arbeit dar. Die während dieser Zeit produzierten gesellschaftlichen Reichtümer stellen das Mehrprodukt dar, und den in diesem Mehrprodukt enthaltenen Wert nennt man den Mehrwert. Jede Gesellschaft, welche es auch immer sei, und folglich auch die kommunistische, beruht auf der Bildung von Mehrprodukt, weil auf die Gesamtheit der Arbeiter, die nützliche oder notwendige Arbeit verrichten, einige kommen, die keine sichtbaren Güter herstellen. Ihre Lebensbedingungen werden folglich von den anderen Arbeitern mitproduziert (ebenso verhält es sich bei den Gesundheitsdiensten, den Alten- und Krankenhäusern, den Verwaltungsdiensten, den Wissenschaftlern etc.). Aber es ist die Art und Weise der Erstellung dieses Mehrprodukts, die der Verteilung, die die kapitalistische Ausbeutung konstituiert. Der Arbeiter erhält einen Lohn, der im besten Fall gerade ausreicht, um unter gegebenen Bedingungen einigermaßen leben zu können. Er weiß, daß er 50 Arbeitsstunden gegeben hat, aber er weiß nicht, für wieviel Stunden er mit seinem Lohn bezahlt wird (wieviel Stunden in seinem Lohn enthalten sind). Er kennt den Betrag seiner Mehrarbeit nicht. Dagegen weiß man, wie die herrschende Klasse dieses Mehrprodukt konsumiert: aufgeteilt erhalten die sozialen Bereiche einen Teil davon, die Fabriken benötigen einen Teil zum Vergrößern ihrer Anlagen, die Verwaltung, die Polizei und die Armee vergeuden einen großen Teil.

Bei dieser Diskussion interessieren uns zwei Charaktere des Mehrprodukts besonders. Zunächst das, daß die Arbeiterklasse über die Produkte ihrer unbezahlten Arbeit gar nicht oder fast gar nicht zu bestimmen hat, daß sie den Wert ihrer unbezahlten Arbeit nicht einschätzen kann. Daß sie folglich die Bedeutung dieser Mehrarbeit auch gar nicht ermessen kann. Sie erhält einen Lohn, das ist alles; sie hat bei dieser Verteilung des sozialen Reichtums nichts zu sagen. Die Klasse die über die Produktionsmittel verfügt, die besitzende Klasse, ist die Beherrscherin des Produktionsprozesses und damit auch der Mehrarbeit. Sie läßt die Arbeiter arbeitslos werden, wenn es in ihrem Interesse liegt, sie setzt die Polizei gegen sie ein oder läßt diese in Kriegen massakrieren. Die Herrschaft, die die Bourgeoisie ausübt, rührt daher, daß sie über die Arbeit, die Mehrarbeit, das Mehrprodukt verfügt. Das verurteilt das Proletariat zur Machtlosigkeit in der Gesellschaft und macht aus ihm eine unterdrückte Klasse. Diese Analyse zeigt, daß die Unterdrückung gleich stark ist, egal, ob sie vom Privatkapitalismus oder vom Staatskapitalismus ausgeübt wird. Man hört oft sagen, daß in Rußland die Ausbeutung der Arbeiter abgeschafft sei, weil das Privateigentum abgeschafft ist und das ganze Mehrprodukt dem Staat zur Verfügung steht, der es in der Gesellschaft verteilt, indem er neue soziale Gesetze verkündet, neue Fabriken baut und die Produktion entwickelt.

Diese Argumente akzeptieren heißt die Tatsache übergehen, daß die herrschende Klasse, die Bürokratie, die mit der Verteilung der Produkte beauftragt ist, sich durch übermäßige Löhne bereichert, daß sie ihre Machtpositionen reproduziert, indem sie ihren Mitgliedern das Monopol einer höheren Bildung sichert und daß das Gesetz der Erbschaft ihr die akkumulierten Reichtümer „für ihre Familie“ sichert; selbst wenn wir dabei unterstellen würden, daß dieser Apparat das Volk nicht ausbeutet.

Dann wäre es so, daß wie in Rußland die Bürokratie die Beherrscherin des Arbeitsprozesses bleibt, also auch der Mehrarbeit; daß sie, unter anderem mit Hilfe der Gewerkschaften die Arbeitsbedingungen diktiert, genau so, wie man es in den westlichen Ländern sehen kann. Die Funktion der herrschenden Bürokratie ist völlig identisch mit der der Bourgeoisie, die den Privatkapitalismus lenkt. Wenn die Bürokratie das Volk nicht ausbeutet, so kommt das nicht nur von ihrem guten Willen, der Tatsache, daß sie die ihr gebotenen Gelegenheiten zurückweist. Die Entwicklung der Gesellschaft wäre nicht mehr eine Funktion ihrer ökonomischen und sozialen Notwendigkeiten, sie wäre vom „guten“ oder „bösen“ Willen ihrer Herrscher abhängig. Mit anderen Worten: Die Beziehungen der Arbeiter zum gesellschaftlichen Reichtum würden, selbst in diesem Fall, von außen festgelegt, und die Arbeiter hätten keinerlei Einflußmöglichkeiten auf diese Beziehungen, und es bleibt ihnen nichts anderes übrig als zu hoffen, daß aus „bösen“ Führern „ gute“ werden.

Zusammenfassend heißt das, daß die Abschaffung des Lohns nicht die notwendige und ausreichende Bedingung dafür ist, damit die Arbeiter den Teil am gesellschaftlichen Reichtum erhalten, der ihnen zusteht, den sie durch ihre Arbeit geschaffen haben.

Gewiß, dieser Teil kann zunehmen; aber eine wirkliche Abschaffung des Lohns mit allen seinen Formen hat einen ganz anderen Charakter: ohne diese Abschaffung kann die Arbeiterklasse nicht zu ihrer Macht gelangen. Eine Revolution, die nicht unverzüglich den Lohn abschafft, muß notwendigerweise degenerieren. Die so „verratene“ Revolution führt zu einem totalitären kapitalistischen Staat.

Man kann auch noch andere Schlußfolgerungen ziehen. Eine der wesentlichen Aufgaben, die einer Gruppe von Arbeitern zukommt, die die kapitalistische Ausbeutung radikal beseitigen möchten, – einer revolutionären Gruppe also, wie man früher sagte – ist, die durch die politische Aktion eroberte Macht ökonomisch zu fundieren. Die Zeit ist vorbei, wo es genügte, nur die Aufhebung des kapitalistischen Privateigentums an Produktionsmitteln zu fordern. Es ist ebenfalls unzureichend, nur die Abschaffung der Lohnarbeit zu verlangen. Diese Forderung hat für sich allein nicht mehr Konsistenz als eine Seifenblase, wenn man nicht weiß, wie man die ökonomischen Grundlagen schaffen muß, auf der es keine Lohnarbeit mehr gibt. Eine Gruppe, die beansprucht revolutionär zu sein und die sich weigert, diese wichtige Frage anzugehen, hat keine Bedeutung für die Wirklichkeit, weil sie unfähig ist, das Bild einer neuen Welt vorzuschlagen. Die „Grundprinzipien kommunistischer Produktion und Verteilung“ gehen von folgender Idee aus: alle durch menschliche Arbeit produzierten Güter gelten qualitativ gleich, denn sie enthalten alle einen Anteil menschlicher Arbeit. Allein die unterschiedliche Qualität der in ihnen enthaltenen Arbeit unterscheidet sie voneinander. Das Zeitmaß, mit dem die Arbeit eines jeden individuellen Arbeiters berechnet wird, ist die Arbeitsstunde. Dieses Maß, dazu bestimmt, die Quantität der Arbeit zu messen, die dieser oder, jener Gegenstand enthält, muß die gesellschaftlich durchschnittliche Arbeitsstunde sein. Das ist das Maß, das dazu dient, die Summe des Reichtums festzulegen, über den die Gesellschaft verfügen kann, ebenso wie die Beziehungen der verschiedenen Wirtschaftsbereiche untereinander, sowie den Teil des gesellschaftlichen Reichtums, der dem Arbeiter zukommt. Auf dieser Ebene entwickeln die „Grundprinzipien“ eine Analyse und Kritik der verschiedenen Theorien - und auch der Praktiken der verschiedenen Strömungen, die sich auf den Marxismus, den Anarchismus oder ganz allgemein den Sozialismus berufen. Man findet darin eine genauere Darstellung der kurzen Prinzipien, die Marx und Engels im Kapital, der Kritik des Gothaer Programms und dem Anti-Dühring hinterlassen haben.

Wohl verstanden, die „Grundprinzipien“ beschränken sich nicht darauf, die Recheneinheit des Kommunismus zu studieren; sie analysieren auch ihre Anwendbarkeit in der Produktion und bei der Verteilung des Sozialprodukts und in den „öffentlichen Diensten“, indem sie die neuen Regeln der gesellschaftlichen Buchführung überprüfen, die Ausdehnung der Produktion unter der Kontrolle der Arbeiter, das Verschwinden des Marktes etc. und schließlich die Anwendbarkeil des Kommunismus auf die Landwirtschaft über das Zwischenglied der bäuerlichen Kooperativen, die ihre Ernten ebenfalls in Arbeitszeiteinheiten berechnen.

So haben die „Grundprinzipien“ als Ausgangspunkt die empirische Tatsache, daß, zur Zeit der Machtübernahme durch das Proletariat sich die Produktionsmittel in Händen der Unternehmerorganisationen befinden. Es hängt vom kommunistischen Bewußtsein des Proletariats ab, das im Kampf selbst entsteht, das spätere Schicksal dieser Produktionsmittel, die Tatsache, ob das Proletariat sie in Händen behalten wird oder nicht. Das Hauptproblem, das die proletarische Revolution wird lösen müssen, wird es sein, die unveränderlichen Beziehungen zwischen den Produzenten und dem gesellschaftlichen Produkt zu bestimmen, und das kann nur geschehen durch die Einführung der Arbeitszeitrechnung in die Produktion und Verteilung. Das ist die weitestgehende Forderung, die das Proletariat stellen könnte, aber zugleich ist es auch das Minimum dessen, was es verlangen muß. Und folglich eine Frage der Herrschaft, die allein vom Proletariat gelöst werden kann, ohne die Hilfe einer anderen sozialen Gruppe. Das Proletariat kann die Betriebe erhalten, wenn es sich die autonome Verwaltung und Leitung sichert. Dies ist auch die einzige Art der Herrschaft, die die Anwendung der Arbeitszeitrechnung erlaubt. Das ist die letzte Botschaft, die die revolutionären Bewegungen der 1. Hälfte des XX. Jahrhunderts uns hinterlassen haben.


Zum besseren Verständnis des vorliegenden Textes verweisen wir auf die mehrmals im Text selbst erwähnten „Grundprinzipien kommunistischer Produktion und Verteilung“ sowie einen im Rowohlt-Verlag in der Reihe „Texte des Sozialismus und des Anarchismus“ (Bd. 285) von C. M. erschienenen Beitrag mit dem Titel: Das Werden der neuen Arbeiterbewegung. In diesem Artikel wird versucht, die Erfahrungen aus der Zeit der Weimarer Republik für die gegenwärtige Bewegung konstruktiv zu formulieren.


Anhang:

Anhand dieser Arbeit wird vor allem zweierlei deutlich: Die Rätebewegung und die Versuche der Arbeiter sich zu organisieren entstanden, wenn sie Ansätze von Erfolg zeigten, spontan und wurden von den Arbeitern selbst geleitet, es mußten allerdings Ansätze bleiben, da die Bedingungen für eine neue Bewegung noch nicht die materiellen Bedingungen der ganzen Klasse gewesen sind, sondern diese vielmehr noch durch die Traditionen und Vorstellungen einer Epoche vergangener Kämpfe bestimmt war. Weiterhin zeigt die Arbeit, daß die Versuche, am Beispiel der linkskommunistischen Organisationen aufgezeigt, die Bewegung, nachdem sie einmal zusammengebrochen war, organisatorisch hinüberretten zu wollen in eine zukünftige Phase revolutionärer Kämpfe, zu einer fatalen Wandlung der Theorie und Praxis dieser Organisationen führen mußte; daß eine „Arbeiterbewegung“ ohne eine Bewegung der Arbeiter nicht existieren kann, will man nicht die verschiedenen Parteigruppen, Sekten, bürokratischen Gebilde etc. für das nehmen, für das sie sich ausgeben.
Henk Canne Meijer (1890-1962), Metallarbeiter, später Lehrer, arbeitete in der „Gruppe Internationaler Kommunisten“ (GIK) und war zusammen mit Jan Appel eine Zeit lang Leiter der holländischen k.a.p. Er arbeitete bei der Abfassung der „Grundprinzipien kommunistischer Produktion und Verteilung“ mit und ist Verfasser mehrerer kleiner Aufsätze, u.a. „Zur Geschichte des Rätekommunismus in Holland“.
„Die Arbeiterbewegung in Deutschland“ wurde zum ersten Mal 1938 in der holländischen Zeitschrift „Radencommunisme“ (Nr. 3, Nov. 1938) veröffentlicht. In leicht abgewandelter Form erschien die Arbeit noch in mehreren Zeitschriften revolutionärer Gruppen, zuletzt in „Informations Correspondances Ouvriers“ (i.c.o., Nr. 42) im Jahre 1965.


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Compiled by Vico, 15 april 2018



















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