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Thema: Die ökonomische Lösung für die Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Kommunismus
Zum Ansatz der G.I.K., „Grundprinzipien kommunistischer Produktion und Verteilung“ / Ansgar Knolle-Grothusen, 2004
Quelle: Dieter Wolf (sehe : Dieter Wolf ), mit Erlaubnis der Autor.
Positiv:
Marx’ Gedankenexperiment in den Grundrissen, in was die Proudhonsche ‘Tauschbank’ sich bei Aufhebung der auf den Austausch gegründeten Produktionsweise verwandeln würde, endet mit den zusammenfassenden Worten:
„In der Tat wäre sie entweder die despotische Regierung der Produktion und Verwalterin der Distribution, oder sie wäre in der Tat nichts als ein board, was für die gemeinsam arbeitende Gesellschaft Buch und Rechnung führte.“
Diese Alternative besteht, und das historische Verdienst der Gruppe Internationaler Kommunisten in ihrer Arbeit „Grundprinzipien kommunistischer Produktion und Verteilung“ von 1930 besteht darin, die Arbeitszeitrechnung weitgehend konsequent für diese zweite Form entwickelt zu haben, nachgewiesen zu haben, daß die Erfassung der Arbeitszeit auf der betrieblichen Ebene, in der planvollen Produktion selbst stattfinden muß, wobei sie meines Erachtens allerdings einen Fehler machen, wenn sie davon ausgehen, daß die Betriebe sich selbständig reproduzieren.
aber: Der Schein der selbständigen Reproduktion
Mein erstes Hauptproblem mit dem Ansatz der g.i.k. liegt darin, daß sie versuchen, für die einzelnen Betriebsorganisationen den Schein der selbständigen Reproduktion aufrechtzuerhalten.
Nach der Formel (p + r) + a = PRD stellt die Betriebsorganisation der Gesellschaft für ihr Produkt die in ihm enthaltene gesellschaftlich notwendige Reproduktionszeit in Rechnung. Sie kann damit a) ebensoviel Produktionsmittel (p + r) an sich ziehen, wie sie in verwandelter Form in ihrem Produkt der Gesellschaft zur Verfügung stellt. b) Erhält sie damit die von ihr für die Herstellung des Produktes aufgewandte Arbeitszeit a bescheinigt und kann entsprechende Anteilsscheine unter die Individuen der Betriebsorganisation entsprechend ihrer geleisteten Arbeit verteilen, die dann mit diesen Scheinen – verringert um den Faktor für individuelle Konsumtion f.i.k. – aus dem Fonds für individuelle Konsumtion entsprechend viele Konsumgüter ziehen können.
Damit bleibt der Schein erhalten, als würde sich die einzelne Betriebsorganisation, ebenso wie das einzelne Individuum, selbst reproduzieren. In Wirklichkeit aber handelt es sich um einen Teilprozeß der gesamtgesellschaftlichen Reproduktion; die einzelne Betriebsorganisation reproduziert sich – stofflich betrachtet – keineswegs selbst, sondern bezieht die benötigten Produktionsmittel, ebenso wie seine Mitglieder die Konsumgüter, von anderen Teilproduzenten. Doch die Fiktion der Selbstreproduktion bleibt durch die Verrechnung, den Austausch auf Grundlage aufgewandter Arbeitszeitäquivalente, erhalten. Dieses Prinzip läßt sich natürlich nicht durchhalten und wird in der Folge Stück für Stück durchlöchert. Zunächst durch den Produktivitätsfaktor, durch den die durchschnittlich erforderliche Arbeitszeit für gleichartige Produkte ermittelt wird und über den die produktiveren Teilproduzenten einer Branche die unproduktiveren alimentieren. Dann durch die a.g.a.-Betriebe, die nicht dem Prinzip der scheinbaren Selbstreproduktion unterworfen sind, und die daher scheinbar aus der Arbeitszeit der anderen, „produktiven“ Betriebe reproduziert werden müssen, was zu dem Faktor f.i.k. führt. (Ein positives Moment dieser Konzeption sehe ich in dem formal einfachen Mechanismus, mit dem aus „produktiven“ Betrieben a.g.a.-Betriebe werden können, wirkliche Vergesellschaftung durchgeführt werden kann. Wobei die Frage bleibt, ob es sich um wirkliche Vergesellschaftung handelt, solange die Reproduktion der a.g.a.-Betriebe formal nur von der Reproduktion der „produktiven“ Betriebe abhängig gemacht wird.) Die nächste Durchlöcherung des Prinzips der selbständigen Reproduktion folgt mit der Bereitstellung der Mittel für erweiterte Reproduktion. Hier verstrickt sich die g.i.k. meines Erachtens am stärksten in Widersprüche.
Ich vermute, daß diese Probleme bei der g.i.k. entstehen, weil sie letztlich doch von der Verteilung, und nicht von der Produktion ausgehen, vom Verteilungsschlüssel für individuelle Konsumtion.
Der Grundgedanke der g.i.k. ist, „daß das exakte Verhältnis von Produzent und Produkt zur Grundlage des gesellschaftlichen Produktionsprozesses wird“ (zum Beispiel S. 23). Aber das Verhältnis von Produzent und Produkt wird auf den Einzelbetrieb oder sogar auf den einzelnen Arbeiter, auf die Arbeit des Teilarbeiters bezogen. „Ebenso wie der leibeigene Bauer in der bürgerlichen Revolution um sein Stück Land und das volle Verfügungsrecht über die Früchte seiner Arbeit kämpfte, ebenso kämpfen die Proletarier um den Betrieb und das volle Verfügungsrecht über die Produktion, was nur möglich ist, wenn das Grundverhältnis zwischen Produzent und Produkt gesellschaftlich-rechtlich festgelegt ist“ (S. 23f). Aber das Verhältnis zwischen Produzent und Produkt ist bei gesamtgesellschaftlicher Produktionsweise nicht auf einzelbetrieblicher Ebene festzumachen. Das aufzuhebende Privateigentum an den Produktionsmitteln wird von der g.i.k. als ein Rechtsverhältnis gesehen. Es ist aber ein praktisches Verhältnis der Menschen zueinander, das sich in einem Rechtsverhältnis spiegelt. Das Verfügungsrecht der unmittelbaren Produzenten über die Produktion beschränkt sich bei der g.i.k. auf den Einzelbetrieb. Aber hier ist das Verfügungsrecht eingeschränkt. Zum Beispiel die zirkulierenden Produktionsmittel (Rohstoffe, Halbprodukte) müssen ständig vom Rest der Gesellschaft durch Austausch von Arbeitszeitäquivalenten erworben werden. In meinem Verständnis muß diese Frage vom gesellschaftlichen Gesamtproduzenten her aufgerollt werden. Mein Ansatzpunkt wäre es, nicht die Frage der Verteilung des individuell zu konsumierenden Produktes zum Ausgangspunkt zu machen und von vornherein mit der Organisation der Reproduktion zu verknüpfen, sondern zunächst die Frage der Organisation des gesellschaftlichen Reproduktionsprozesses zu klären, auf deren Grundlage die Produzenten/Konsumenten dann auch die Frage der Verteilung konkret lösen können.
Die eigentlich entscheidenden Fragen,
– das Verhältnis der gesellschaftlichen Produktion zu den gesellschaftlichen Bedürfnissen und
– die proportionelle Verteilung der Arbeit und Ressourcen auf die verschiedenen Abteilungen der gesellschaftlichen Gesamtproduktion bleiben weitgehend ausgeklammert.
Mein Ausgangspunkt wäre eine Organisationsform, in der nicht der Schein der Selbstreproduktion der Betriebe aufrechterhalten wird, oder in der Ausdrucksweise der: Alle Betriebe von vornherein in a.g.a.-Betriebe umzuwandeln.
Die einzelnen Teilproduzenten in Form der Betriebskollektive wissen aus ihrer Erfahrung, wieviel Arbeitszeit sie in der Produktion aufwenden müssen, wieviel Roh- und Hilfsstoffe sie dabei verbrauchen und wieviel Produkt sie auf diese Weise erzeugen. Sie können einschätzen, wie lange ihre Produktionsinstrumente halten. Nehmen wir zwei Produktionsperioden, die vergangene und die kommende, unterstellen wir einfache Reproduktion und nehmen wir in einem ersten Näherungsschritt zur Vereinfachung an, weder die Produktivkraft der Arbeit, noch die durch die Produktion zu befriedigenden Bedürfnisse hätten sich verändert. Es hätte also jeder Teilproduzent die gleiche Produktion durchzuführen, wie in der vergangenen Produktionsperiode.
Nehmen wir das Beispiel der g.i.k.: (100 P + 600 R) + 600 A = 1300 PRD
Wollen wir die stoffliche Reproduktion berücksichtigen, dann ergibt sich aus dieser Gleichung (unter der Voraussetzung der Einfachen Reproduktion und gleicher technischer Zusammensetzung der Abteilungen) das folgende Reproduktionsschema in gesellschaftlich notwendiger Reproduktionszeit:
|
P |
R |
A |
Output |
Abteilung I |
53,85 |
323,08 |
323,08 |
700,00 |
Abteilung II |
46,15 |
276,92 |
276,92 |
600,00 |
Gesamt |
100,00 |
600,00 |
600,00 |
1.300.00 |
Es wären Produktionsmittel verbraucht worden, in denen 700 Arbeitsstunden steckten, es wären 600 neue Arbeitsstunden in die Produktion gesteckt worden worden und im Ergebnis der Produktion hätten wir neue Produktionsmittel, die 700 Arbeitsstunden repräsentierten und neue Güter des individuellen Konsums, die 600 Arbeitsstunden repräsentierten.
Die g.i.k. übersetzt, anschließend an Leichter, die betriebswirtschaftliche Kostpreisermittlung cfix + czirk + v = k in die Arbeitszeitrechnungsformel p + r + a = PRD. Dabei werden folgende Probleme übersehen:
a) Der kapitalistische Kostpreis entspricht nicht dem Wert des Produktes, weil die geleistete Mehrarbeit m hier nicht zu Buche schlägt. Wenn der Anteil der Produktion an der gesellschaftlichen Gesamtarbeit bestimmt werden soll, muß der Produktionspreis = cfix + czirk + v + øp/C zum Ansatz gebracht werden und selbst dies würde noch nicht den auf diese Produktion wirklich verwandten Anteil der Mehrarbeit und damit auch der Gesamtarbeit in verdinglichter Form wiederspiegeln, sondern nur den proportional auf das eingesetzte Kapital fallenden Anteil an der gesamten Mehrarbeit.
b) cfix und czirk wiederspiegeln zwar den gesamten Produktionspreis und nicht nur den Kostpreis der verbrauchten Produktionsmittel, aber dennoch nicht ihren Wert.
Die kapitalistische Kostpreisermittlung in Geld kann daher nur als Analogie für die Ermittlung der gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit herangezogen werden, keineswegs aber als Äquivalent, welches nur in einer anderen Einheit auszudrücken wäre, was die g.i.k. allerdings auch nicht macht.
Wozu brauchen wir nach Aufhebung des Privateigentums genau die Arbeitszeitrechnung? – dies müßte die Ausgangsfrage sein, durch die geklärt wird, auf welcher Ebene eigentlich was berechnet werden muß. Versuch einer Antwort:
– Sie ist das Hilfsmittel zur Proportionalen Verteilung der gesellschaftlichen Gesamtarbeit auf die verschiedenen zur Befriedigung der Bedürfnisse der gesellschaftlichen Individuen und damit zur erweiterten Reproduktion der Gesellschaft erforderlichen Teilarbeiten.
– Außerdem ist sie die Voraussetzung zur Beurteilung der Entwicklung der Produktivkraft der einzelnen Arbeitsprozesse.
– Drittens kann sie – eruntergebrochen auf das einzelne Individuum und das einzelne Produkt – möglicherweise ein Kriterium sein für die Verteilung eines Teiles der zum individuellen Konsum bestimmten Produktenmenge.
Von dem gesamtgesellschaftlichen „board“ werden diese Daten einfach nur in Form eines Reproduktionsschemas oder einer Input-Output-Analyse zusammengefaßt. Das board dokumentiert zunächst nur den gesellschaftlichen Reproduktionsprozeß. Auf dieser Grundlage kann es in einem weiteren Schritt Modellrechnungen ausführen, was sich am gesellschaftlichen Reproduktionsprozeß bei Inangriffnahme neuer Aufgaben verändert. Damit schafft es die Grundlage, auf der die Gesellschaft, die Assoziation der Produzenten entscheiden kann, ob sie diese neuen Aufgaben in Angriff nehmen will, oder nicht.
Wir gehen aus von den Bedürfnissen der gesellschaftlichen Individuen. Aus der Gesamtheit der Bedürfnisse ergibt sich zu jedem Zeitpunkt die erforderliche Gesamtarbeit, die zur Befriedigung dieser Bedürfnisse erforderlich ist. Aber:
a) ändern sich die Bedürfnisse ständig, sowohl qualitativ, als auch quantitativ. Sie verändern sich zwar nicht abrupt; ein Großteil der Bedürfnisse bleibt im wesentlichen konstant (zum Beispiel: im Bereich der unmittelbaren Nahrungsmittel) und erfährt nur langsame quantitative Veränderungen, etwa infolge der Veränderungen der Bevölkerungsgröße, oder qualitative Veränderungen durch Änderung der Ernährungsgewohnheiten und Substitution eines Nahrungsmittels durch andere. Diese weitgehende Konstanz und langsame Veränderung gilt in der Regel auch für die Reproduktion der Produktionsmittel, die für die Reproduktion der für die Deckung dieser allgemeinen Grundbedürfnisse erforderlichen Konsumgüter gebraucht werden. In anderen Bereichen, speziell bei neuen Produkten, die eine neuartige Befriedigung bestimmter Bedürfnisse ermöglichen und durch ihre Existenz und die Möglichkeit dieser neuartigen Befriedigung von Bedürfnissen auch das entsprechende Bedürfnis massenhaft hervortreiben, kann das Bedürfnis nach diesem Produkt wesentlich schneller wachsen, als die Industrie zur Herstellung dieses Produktes aufgebaut werden kann.
b) verändert sich auch die Produktivkraft der Arbeit ständig. Produktivkraft ist immer Produktivkraft der konkreten Arbeit, d.h. mit ihrer Veränderung ändern sich auch ständig die Proportionen, in denen die Gesamtarbeit sich in die verschiedenen konkreten Teilarbeiten aufteilen muß, also auch das Verhältnis, in dem die einzelnen Produkte Arbeitszeit absorbieren. Auch diese Änderungen gehen in der Regel langsam und weitgehend kontinuierlich vor sich, bzw. sind – wie bei der Erschöpfung von Rohstoffquellen – im Vorraus erkennbar und planbar; den Auswirkungen von plötzlichem unvorhersehbarem Sinken der Produktivkraft, etwa durch Naturkatastrophen, kann durch Anlage von Reservefonds begegnet werden und außerdem werden diese Wirkungen durch den Umfang der Produktion als weltgesellschaftlicher Produktion relativiert.
c) kann es Widersprüche zwischen bestimmten Bedürfnisstrukturen geben. Zum Beispiel ein neu entstehendes Bedürfnis erfordere zu seiner Befriedigung eine bestimmte Menge zusätzlich aufzuwendender Arbeit. Dem stehe ein Bedürfnis nach Verringerung der Arbeitszeit gegenüber.
13 März 2004
Anmerkung der Autor (Bericht von 18. Februar 2020): Der kleine Artikel ist bisher noch nirgends veröffentlicht worden, er wurde ursprünglich geschrieben zur Selbstverständigung und für die mündliche Diskussion in dem damaligen Gesprächskreis „Kommunistische Streitpunkte“. Ein Teil der Diskussion fand auch schriftlich statt, gedruckt in Form der Zirkularblätter „Kommunistische Streitpunkte“, die Internetversion ist hier dokumentiert:
Skizzen eines emanzipatorischen Kommunismus / von Werner Imhof
Warenproduktion und Markt in einer sozialistischen Gesellschaft? – kritische Anmerkungen zu einem Beitrag von Juri Pletnikow in der UZ / von Ansgar Knolle-Grothusen
Zur möglichen Praxis kommunistischer Produktion – eine Auseinandersetzung mit einigen Vorstellungen über eine „Ökonomie der Zeit“ / von Werner Imhof
Das Ferne liegt so nah… über kommunistische Produktion als praktische Möglichkeit oder mögliche Praxis / von Werner Imhof
Brief an Ansgar Knolle-Grothusen, mit Vorbemerkungen zu „By The Rivers Of Babylon“ / von Daniel Dockerill
By The Rivers of Babylon, eine (inhaltliche) Kritik unserer Debattenkultur / von Daniel Dockerill
Die Streitpunkte-Debatte: im Hamsterrad babylonischer Sprachverwirrung gefangen? / von Ansgar Knolle-Grothusen
Thesen zur Aufhebung der Warenproduktion / von Werner Imhof
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Compiled by Vico, 14 February 2020
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