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Quelle: a.a.a.p. Internationale Rätekorrespondenz 1934-1937 / Gruppe Internationaler Kommunisten (Holland). – Transkribiert und herausgegeben für Rätekommunismus ; Mitarbeit von der Association Archives Antonie Pannekoek, Dezember 2020, 504 S., € 13,16, ISBN 979-8551636052 |
Die Intelligenz im Klassenkampf, 1934Quelle: Die Intelligenz im Klassenkampf. – In: Internationale Rätekorrespondenz : Theoretisches und Diskussionsorgan für die Rätebewegung. – Ausg[abe]. der Gruppe Int[ernationaler]. Kommunisten, Holland. – 1934, Nr. 4 (September); Quelle der Transkription: Rätekommunismus , Dezember 2020, Mitarbeit von der Association Archives Antonie Pannekoek. Die faschistische oder nationalsozialistische Bewegung wird zumeist als Revolte des Kleinbürgertums und als neue Herrschaftsform des Großkapitals behandelt. Es ist daran noch eine andere Seite, die Klarheit über ihr Wesen geben kann und die Aufmerksamkeit der Arbeiter erfordert: ihr Charakter als Bewegung der Intelligenz. Die Intelligenz, die neue Mittelklasse, die Klasse der im kapitalistischen Produktionsprozess auftretenden Zwischenschichten zwischen Bourgeoisie und Proletariat, trägt einen ganz anderen Charakter als die alte selbständige Mittelklasse, das Kleinbürgertum. Das Kleinbürgertum ist eine untergehende Klasse. Mögen auch immer wieder neue Kleinbetriebe im Kapitalismus emporschießen, oft aus neuen Bedürfnissen der Gesellschaft entstehend, wie Reparaturwerkstätten und Ladengeschäfte, sie stehen außerhalb der eigentlichen Produktion und sind oft sogar nur parasitisch: Die Bedeutung dieser Klasse liegt in der Vergangenheit, ihr Blick ist rückwärts gerichtet. Die Rolle, die sie in den Klassenkämpfen und Revolutionen des 19. Jahrhunderts spielte, wird nachher immer bedeutungsloser; ihre selbständige Kraft verschwindet immer mehr. Die Intelligenz demgegenüber ist eine neu emporkommende Klasse, deren Bedeutung mit der Entwicklung des Kapitalismus zunimmt, eine Klasse die vorwärts blickt und ihre Kraft wachsen fühlt. Daher ist eine Betrachtung ihrer gesellschaftlichen Rolle wichtig für die Arbeiterklasse. Nach der formellen Seite sind die Mitglieder dieser Klasse den Arbeitern zu vergleichen: sie verkaufen ihre Arbeitskraft und empfangen Lohn. Aber diese formelle Seite entscheidet nicht über das Wesen. Die alten selbständigen Mittelständler und Handwerker waren ja oft in Wirklichkeit ausgebeutete Proletarier, trotzdem sie juristisch Besitzer von eigenen Produktionsmittel waren. In Wirklichkeit sind auch in dem neuen Mittelstand alle Zwischenschichten und Übergangsstufen zwischen Bourgeoisie und Proletariat vorhanden, die unten anfangen bei den gelernten Arbeitern und oben enden bei den Fabrikdirektoren. Die unteren Schichten sind auch im Wesen Verkäufer ihrer Arbeitskraft, einer Arbeitskraft freilich, die etwas mehr an Ausbildung gekostet hat; die oberen Schichten sind durch Abstammung, Verwandtschaft und Lebensweise mit der Bourgeoisie verflochten. Sie sind die Träger des geistigen Elements im Produktionsprozess; sie sind die Akademiker, die Theoretiker, die Spezialisten der Kopfarbeit. In ihren Händen ruht die technische und geistige Leitung der Produktion; und auch in der politischen Führung sind sie die Sachverständigen, die schon, so lange die Bourgeoisie regiert, die Regierungsarbeit für die Bourgeoisie besorgen. Und ihre Bedeutung wächst; während die kapitalistischen Betriebe in der Weltökonomie weiter und verschlungener, die Anwendung der Wissenschaft auf Technik und Produktion tiefer und breiter wird, nimmt die Wichtigkeit ihrer Arbeit für die Gesellschaft zu. Das ist nicht nur qualitativ der Fall; auch quantitativ tritt das zu Tage in dem raschen relativen Wachstum ihrer Zahl. In Deutschland nahmen von 1895 bis 1907 die Arbeiter in der Industrie von 6,5 Millionen auf 9,4 Millionen (also um 48 Prozent), die Angestellten in der Industrie von 500.000 auf 1.037.000 (also um 107 Prozent) zu. Ähnlich in anderen Ländern; und in den späteren Jahren der zunehmenden Rationalisierung hat sich diese Entwicklung noch beschleunigt. Es gab eine Zeit, da es schien, als ob die emporkommende Arbeiterbewegung auch die Intelligenz mit sich ziehen würde. Viele unter ihr erkannten die Richtigkeit der sozialistischen Kritik an dem Kapitalismus. Sie sahen nicht nur die unerträgliche Lage der Arbeiter, sondern sahen auch die Haltlosigkeit der kapitalistischen Verteidigung des Bestehenden. Wenn die Bourgeoisie sich als die geistig führende Klasse über den unwissenden Massen aufspielen wollte, so wusste die Intelligenz nur zu gut, dass diese geistige Führung bezahlten Kräften überlassen wurde, und dass der Kapitalist selbst immer mehr zum reinen Kuponschneider und Börsenjobber wurde ohne nützliche gesellschaftliche Funktion. Sie sahen auch die junge Begeisterung des emporkommenden Sozialismus und Kommunismus; der revolutionäre Idealismus der proletarischen Vorhut weckte eine Menge Sympathisierender in der Intelligenz, und eine kleinere Anzahl wurde Mitkämpfer, die sich den Zielen des Proletariats unterordneten. Allerdings die Mehrheit blieb den kapitalistischen Herren treu, hielt sich abseits vom Felde des gesellschaftlichen Kampfes, nur auf das eigene Fortkommen bedacht oder von seiner Fachspezialität ganz absorbiert. In der längeren Prosperitätszeit, die dann einsetzte und die von dem steigenden Reichtum auch ihnen wertvolle Brocken zuteilte und glänzende Ausblicke eröffnete, wuchs in der Intelligenz die bürgerlich-nationale Ideologie, die sie der sozialistischen Ideologie der Arbeiter gegenüberstellte als Ausdruck des zurückgekehrten Selbstvertrauens der Bourgeoisie. Zu gleicher Zeit warf die Arbeiterbewegung sich auf nichts als Reformen, wurde praktisch und verlor den revolutionären Idealismus, der früher die Außenstehenden heranziehen konnte. Sie verlor ihre innere Kraft; und als dann der Kapitalismus nach dem Krieg in Niedergang und Krise geriet, war das Proletariat zu schwach, die Herrschaft zu erobern. Damit waren die Bedingungen für eine selbständige Klassenbewegung der Intelligenzler gegeben. Sehen wir zuerst, welche Anschauungen und Ziele ihrer Klassenlage entsprechen. Sie sehen die Zeichen der Auflösung des kapitalistischen Systems; sie fühlen an dem eigenen Leib die schwere Krise; sie erkennen mehr oder weniger klar, dass der Kapitalismus keine unbeschränkte Zukunft vor sich hat, und sie ahnen, dass aus diesem Zustande gewaltige und gefährliche Konflikte hervorkommen können. Weil sie sich zugleich als geistige Führer der Gesellschaft, als die Pächter des Intellekts fühlen, als die Spezialisten des Denkens, liegt hier eine besondere Aufgabe für sie. Sie sind die Techniker, die die Arbeit, die Produktion zur höchsten Vollkommenheit emporführen, aber durch Kräfte, die außerhalb ihrer Befugnisse liegen, bricht die Produktion jämmerlich zusammen. Sie sehen nur allzu klar die dürftige Unfähigkeit des Kapitalismus: einerseits die gehirnlose Anarchie der Produktion, die auch ihnen selbst Arbeitslosigkeit und Armut bringt, anderseits die ungeheure Vergeudung von Arbeitskraft in technisch rückständiger Zwergarbeit. Sie wünschen Ordnung, Organisation, Produktivität und Vernunft in dem gesellschaftlichen Arbeitsprozess. Sie fühlen sich als die Gehirnmenschen, die geistige Elite, die fähig und dazu bestimmt ist, durch sachgemäße wissenschaftliche Leitung die Produktion zu regeln und damit enorm zu steigern. In Amerika ist schon eine Strömung unter den Technikern und Ingenieuren aufgekommen, die in der Losung „Technokratie“ zum Ausdruck bringen, dass die technischen Fachleute die Herrschaft über die Produktion aus den unfähigen Händen von Börsenleuten, Juristen und Politikern übernehmen sollen. Eine vollständig durchgeführte Organisation der Produktion unter allgemeiner zentralen Leitung, die den einzelnen Kapitalisten die Macht zum Handeln nach eigener Willkür nimmt, ist eine staatssozialistische Ordnung. So muss das naturgemäße Klassenziel der Intelligenz beschaffen sein. Es ist eine Art Sozialismus; aber es ist deshalb noch nicht gegen die Kapitalisten gerichtet. Es beabsichtigt nicht, die Kapitalisten zu expropriieren oder ihnen die Profite zu nehmen. Umgekehrt, indem es der wahnwitzigen Vergeudung und Zerstörung durch die unfähigen Privatunternehmer ein Ende bereitet, wird es die Gewinne steigern. Es soll nicht die Ausbeutung der Arbeiter, sondern nur die Anarchie der Produktion aufgehoben werden. Aber selbstverständlich wird es auch den Arbeitern dabei wohlergehen; durch die größere Produktivität der Planwirtschaft werden die Löhne höher sein, nominell und reell, während doch zugleich mehr Mehrwert für das Kapital übrig bleibt. Wenn dann Hunger und Mangel verschwinden, wird damit zugleich – ein zweites Interesse der Bourgeoisie – der Anlass zu Revolten und Revolutionen verschwinden. Das Ziel ist in der Tat eine sozialistische Ordnung, nicht ein Sozialismus durch die Arbeiter, sondern ein Sozialismus für die Arbeiter. Durch die höhere Einsicht der technischen Führer wird die Welt für die Arbeiter besser gemacht. Also beileibe kein demokratischer Sozialismus; von einer Demokratie, die die Herrschaft in die Hände der unwissenden Massen legen würde, kann hierbei natürlich keine Rede sein. Die Arbeiterklasse soll nicht glauben, selbst über die Produktion zu herrschen und das Wirtschaftsgetriebe regeln zu können; sie hat, wie die ganze Gesellschaft, das Heil von der überlegenen Wissenschaft einer auserwählten Minorität, einer Klasse von Intelligenzler zu erwarten, innerhalb deren die fähigsten Leute durch ihre Fähigkeit an die Spitze geraten. Der Sozialismus, den die Arbeiterklasse als ihr Ziel aufstellte, ist international, weil sie die Produktion und die Arbeit als Welteinheit, und den Klassenkampf als eine Weltangelegenheit sah. Es gibt mehrere Gründe, weshalb der Sozialismus der Intelligenz national sein muss. Die Bourgeoisie ist national und sucht die nationale Einheit fest auszubauen, und die Intelligenz beabsichtigt zunächst nicht, ihre Ziele als feindliche Maßnahme gegen die Bourgeoisie durchzusetzen. Die Machtorgane, die eventuell zur Durchführung nötig sind, bestehen auch nur als nationale Organe. Die ganze Ideologie der Intelligenz ist bürgerlich und daher national, weil sie eben diese Ideologie als eine nur-ideologische Denkweise betrachtet, ohne ihre wirtschaftliche Grundlage zu erkennen. So muss sie national-sozialistisch werden. Der Nationalsozialismus in Deutschland ist nur eine erste, primitive und rohe Form dieser Bewegung, die an eine wirkliche sozialistische Ordnung noch gar nicht denkt. Hier floss die Revolte der Intelligenz gegen die Demokratie zusammen mit den anderen kleinbürgerlichen und großkapitalistischen Quellen der Bewegung. Es ist bekannt, wie in Deutschland die Universitäten, die Hochschulen, die Akademiker die eifrigsten Stützpunkte des Antisemitismus und die besten Agitatoren Hitlers waren. Hier hat die Klassenbewegung der Intelligenz eine so große innere Kraft entwickelt, dass sie sogar die Masse der jüngeren Arbeiter mit sich riss. Das war nur möglich, weil durch die innere Entartung der Arbeiterbewegung in s.p.d. und k.p.d. die Arbeiterjugend keinen eigenen festen Klassenstandpunkt kannte. Daher schloss sie sich leicht den Zielen des Nationalsozialismus an: Organisation der Gesellschaft, Aufhebung des Parteienkampfes, Gleichschaltung der Klassen, Allmacht des Staates zum Zwecke der Ordnung der Produktion. In der heutigen nationalsozialistischen Bewegung kann das, was oben als Klassenziel der Intelligenz dargelegt wurde, noch nicht mehr als eine Phrase sein oder eine kaum bewusste Stimmung hinter der Phrase. Ob es mehr werden kann, wird von den Machtverhältnissen abhängen. Aber eine Macht gegen das Kapital kann die Intelligenz, sogar wenn sie sich mit dem Kleinbürgertum und dem rückständigsten Teil des Proletariats verbindet, nicht sein. Die Bourgeoisie ist in Westeuropa und Amerika noch so mächtig, dass sie eine Ordnung der Wirtschaft nicht weiter zulässt als das Kapital für seine Interessen zulässig erachtet. Nur wenn durch innere oder äußere Bedrängnisse, Arbeiterrevolten oder Weltkrieg das Kapital sich stark bedroht fühlt und sich innerlich spaltet, wären die Bedingungen für eine ernsthafte sozialistische Umwälzung im nationalen Rahmen gegeben. Anders liegt die Sache, wenn in Zukunft, gegen den Druck des faschistischen Monopolkapitals die Arbeiterklasse sich zu neuem Kampfe erhebt und sich in siegreichen revolutionären Erhebungen durchsetzt. Dann ist das Kräfteverhältnis wieder umgekehrt; das Proletariat schleppt alle Zwischenschichten mit und die Intelligenz wird sich zu ihm fügen und mitmachen. Aber nur, weil sie diese Revolution in ihrem eignen Sinne deutet und nur, um darin ihre eigenen Ziele zu verwirklichen. Dann wird sich zeigen, dass trotz der gleichen Losungen: gegen den Kapitalismus, für Sozialismus oder Kommunismus, ein tiefer Gegensatz zwischen dem Klassenziel des Proletariats und dem Klassenziel der Intelligenz besteht. Das Proletariat hat die Wirtschaft von unten aufzubauen durch seine unmittelbare Gewalt über Werkstatt und Produktion; es wird, unter völliger Ausschaltung und Aufhebung der Bourgeoisie mittels des Rätesystems die demokratische Organisation der Gesamtwirtschaft und der Gesellschaft durchführen. Das ist die Diktatur des Proletariats. Die Intelligenz dagegen will die Revolution in einen organisierten Staatssozialismus ausmünden lassen; sie wird sich dabei stützen auf die sozialdemokratischen und parteikommunistischen Lehren, sie wird viele Arbeiterführer dieser Richtungen als Bundesgenossen an ihrer Seiten finden; sie wird sich stützen auf die Macht der bürgerlichen Ideologie über die rückständigen Arbeiterschichten, die um so mehr als sie durch langjährige Krisen demoralisiert sind, noch vor den radikalsten Zielen der kommunistischen Freiheit zurückschrecken. So wird sich ein Block bilden, der unter der Fahne des „Sozialismus“ noch einmal die Herrschaft einer herrschenden Klasse über die proletarische Masse aufrecht zu erhalten sucht. Der Kampf der Arbeiterklasse für den Kommunismus, für die völlige Herrschaft über Gesellschaft und Wirtschaft, wird dann der Kampf um die Leitung der Produktion, gegen diesen Staatssozialismus sein. © Obgleich die Kommunistische Linke im Allgemeinen keine Urheberrechte bzw. „intellektuelle Eigentumsrechte“ für sich eingefordert hat, können einige Veröffentlichungen auf dieser Webseite urheberrechtlich geschützt sein. In diesem Fall steht ihr Gebrauch nur zum Zweck persönlichen Nachschlags frei. Ungeschütztes Material kann für nicht-kommerzielle Zwecke frei und unentgeltlich verbreitet werden. Wir sind Ihnen erkenntlich für Ihren Quellenhinweis und Benachrichtigung. Bei beabsichtigter kommerzieller Nutzung bitten wir um Kontaktaufnahme. Compiled by Vico, 28 November 2020 |
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