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Quelle: a.a.a.p. Internationale Rätekorrespondenz 1934-1937 / Gruppe Internationaler Kommunisten (Holland). – Transkribiert und herausgegeben für Rätekommunismus ; Mitarbeit von der Association Archives Antonie Pannekoek, Dezember 2020, 504 S., € 13,16, ISBN 979-8551636052 |
Hitler-Deutschland im Zeichen des Zusammenbruchs, 1934Quelle: Hitler-Deutschland im Zeichen des Zusammenbruchs . – In: Internationale Rätekorrespondenz : Theoretisches und Diskussionsorgan für die Rätebewegung – Ausg[abe]. der Gruppe Int[ernationaler]. Kommunisten, Holland. – 1934, Nr. 2; Quelle der Transkription: Rätekommunismus , Dezember 2020, Mitarbeit von der Association Archives Antonie Pannekoek. Der plötzliche Überfall auf die oberste Reichsleitung der s.a. am 30. Juni in München, die unmittelbar darauf folgende Erschießung von Röhm, Heines u.a. und die gleichzeitig in Berlin und anderen Städten einsetzende Säuberungsaktion nach bewährtem Muster, hat für einen Augenblick in Deutschland hineingeleuchtet. Es war ein radikales Aufräumen mit der Opposition in den eigenen Reihen, wobei etwa 100-200 s.a.-Führer (die wirkliche Anzahl kann man nur vermuten) und ein paar andere missliebige Persönlichkeiten, wie General Schleicher usw., ihr Leben einbüßten. Aber mit diesem Aufräumen hat die nationalsozialistische Diktatur zugleich offenbar gemacht, was ihre Zensur auf anderem Wege nicht offenbar werden lässt: Sie steht auf schwankendem Boden. Sie kann sich nur halten, indem sie in wüsten Morden links und rechts um sich schlägt. Für die große Masse in Deutschland, die ihre geistige Nahrung vom Propaganda-Ministerium zugemessen bekommt, ist es ein nicht gering zu schätzender anschaulicher Unterricht gewesen, den auch die gleichgeschaltete Presse nicht umzulügen vermag. Es zeigt sich hier wieder einmal, dass, wenn die Dinge nicht beim wahren Namen genannt werden dürfen, die Ereignisse eine um so deutlichere Sprache reden. Die Erschießung der angeblich aufständischen s.a.-Führer verschafft dem Hitler-Regime keine Luft, denn die Opposition in der s.a. war nur der schwache Abglanz von der hoffnungslosen Lage, in welcher sich das Dritte Reich befindet. Der Zusammenbruch Deutschlands, den die nationalsozialistische Diktatur aufzuhalten und in sein Gegenteil, in glänzenden Aufstieg zu verändern versprach, er schreitet in gesteigertem Tempo fort. Daran verändert die blutige Unterdrückung jeglicher Opposition nichts, sie lässt vielmehr sehen, wie innerlich hohl das Gewaltregime schon heute ist. Als Hitler im Februar 1933 die Regierung übernahm, erschien er mit der s.a. als „Retter des Vaterlands“ vor dem drohenden „Bolschewismus“. Die demokratische Ordnung war nicht mehr stark genug, um die immer schärfer werdenden Klassengegensätze zu überbrücken und die in allen Fugen krachende Republik zusammenzuhalten. An ihre Stelle trat die nationalsozialistische Diktatur, die mit eiserner Hand die „Ordnung“: wiederherstellte. Diese verfolgte die Lehre vom Klassenkampf (den Marxismus) mit staatlich organisiertem Terror, vernichtete alle Organisationen und Einrichtungen, worin die Klassengegensätze zum Ausdruck kamen, und zwang den Massen unter einem Trommelfeuer von Propaganda die nationalsozialistische Doktrin auf, dass es keine Klassen und Klassengegensätze gibt, sondern nur Stände, deren Interessen gleichgerichtet sind in dem Ausbau der „großen deutschen Nation“. Die Klassengegensätze wurden durch die Leugnung der Existenz der Klassen überwunden und das Unmöglichmachen des Aussprechens einer anderen Ansicht. Zugleich wurden die wirtschaftlichen Organisationen der Klassen: Gewerkschaften, Unternehmerorganisationen usw. gleichgeschaltet, d.h. ihre Leitung von der Regierung übernommen. Vereinigt in der sogenannten „Arbeitsfront“ sollen sie die Grundlage bilden für die praktische Überwindung des vorhandenen Gegensatzes zwischen Kapital und Arbeit und den Weg ebnen für den „Wiederaufbau“ der Wirtschaft. Auf diesem Gebiet aber musste der Nationalsozialismus beweisen, dass seine Lehre der Wirklichkeit entspricht, dass Arbeiter und Unternehmer, Proletarier und Besitzende nicht einander feindlichen Klassen angehören, sondern nur gemeinsame Interessen haben. Und gerade auf diesem Gebiete liegen die Dinge so, dass von einem Fiasko gesprochen werden muss. Äußerlich schien es, als ob zu Beginn der national-sozialistischen Diktatur ein Aufleben in der Wirtschaft einsetzte. Von den 6 Millionen Erwerbslosen, die Unterstützung bezogen und den 2 Millionen ohne Unterstützung, wurde ein Teil von der Straße geholt. Sie bekamen Arbeit in Arbeitslagern, als Helfer in der Landwirtschaft oder bei Notstandsarbeiten. Ihre Entlohnung bestand meistens aus der Kost und etwas Taschengeld. Alle möglichen Arbeiten, nach deren Zweckmäßigkeit man nicht viel fragte, wurden in Angriff genommen, nur eben, um die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, und so eine scheinbare Auflebung erzwungen, ein Bluff, der jetzt in eine ökonomische Katastrophe umzuschlagen droht. Der mit viel Propagandaaufwand angekündigte große „Arbeitsbeschaffungsplan zur Bekämpfung der Erwerbslosigkeit“ umfasst Projekte im Gesamtbetrage von 4½ Milliarden Mark. Er bestand hauptsächlich aus der Herstellung eines großen Autostraßennetzes – auch als Unterstützung der Automobilindustrie gedacht – dem Bau von gas- und bombensicheren Zufluchtsräumen bei Flugzeugangriffen und Restauration von Wohnhäusern und öffentlichen Gebäuden. Es ist bekannt, dass dergleichen Arbeitsbeschaffungspläne nicht nur in Deutschland durchgeführt werden: In allen kapitalistischen Ländern wird unter dem Einfluss der noch immer tiefer fressenden Krise so versucht, die ärgsten Übel der Erwerbslosigkeit zu mildern. In den Vereinigten Staaten von Nord-Amerika geschieht das sogar in sehr großem Umfang. Darin unterscheidet sich das nationalsozialistische Deutschland nicht von der übrigen Welt, aber wie dieses Land die finanziellen Mittel dafür findet, das gibt ihm einen besonderen Charakter. In Nord-Amerika z.B. sind noch Kapitalreserven vorhanden, so dass die Milliardenausgaben für derartige Projekte nicht den unmittelbaren Zusammenbruch zur Folge haben, wenn das gewünschte Resultat, nämlich die Überwindung der Krise ausbleibt. Deutschland aber, überladen mit Schulden im In- und Ausland, hat solche Reserven nicht. Hier geschah auch die Finanzierung des Plans in sehr bedenklicher Weise. Eine Milliarde Mark wurde durch Anleihen im Inland aufgebracht, – hierfür sind vorläufig nur die laufenden Zinsen aufzubringen. 500 Millionen wurden als Wechsel und 1,6 Milliarde in der Form von Steuerbons ausgegeben. Zusammen reichlich 3 Milliarden Mark, wofür erst die Hälfte des Programms zur Ausführung gebracht ist. Die Ausgabe von Steuerbons und Wechseln bedeutet nichts anderes, als Waren aus dem Markt nehmen, ohne dafür einen Gegenwert zu liefern. Mit anderen Worten: Die nötigen Kapitalien werden mit der Banknotenpresse beschafft, denn wenn auch die Steuerbons in den kommenden Jahren als bezahlte Steuer in die Reichskasse zurückkehren, so muss der Staat eben neue Zahlungsmittel im selben Umfang ausgeben (aller Wahrscheinlichkeit nach größere Summen) weil die Staatsausgaben sich nicht vermindern, sondern eher größer werden. In diesem Zusammenhang spielt auch die Auswahl der Arbeitsobjekte eine entscheidende Rolle. Autostraßen, Unterstände usw. sind im kapitalistischen Sinne unproduktive Arbeiten, sie bringen dem Staat, der sie baut, kein Einkommen; das Kapital und die Arbeit die dahinein gesteckt ist, ist festgelegt und kehrt nicht zurück. So ist diese Arbeitsbeschaffung im kapitalistische Sinne völlig unzweckmäßig, sie verschlingt Milliarden, ohne einen Ertrag zu liefern, und bereitet den Boden für einen noch ernsteren Einsturz. Dazu kommt noch die nahezu völlige Isolierung auf dem Gebiete der Außenpolitik im Zusammenhang mit der Wiederbewaffnung Deutschlands. Das Trustkapital verlangt zum Schutze seiner internationalen Interessen eine starke Wehrmacht, deren Ausbau jährlich hunderte Millionen Mark kostet. Diese Außenpolitik hat auch ihr Teil dazu beigetragen, dass der Außenhandel zu derart kleinen Proportionen zusammengeschrumpft ist, dass unter anderem die Zinsen für die Auslandsschulden nicht mehr bezahlt werden können. Eine Reihe von Beschränkungen und Vorschriften für den Geldverkehr im In- und Auslande, womit jetzt noch versucht wird, die drohende Inflation zurückzuhalten, ist hierauf gefolgt. Diese Situation wird noch verschärft durch für die Bewaffnung notwendige vermehrte Einfuhr von Rohstoffen, wofür fast die gesamten eingehenden ausländischen Zahlungsmittel verwandt werden. Da die deutsche Mark auf dem Weltmarkt praktisch kein Zahlungsmittel mehr ist, wird hierdurch die Rohstoffzufuhr für die übrige Industrie nahezu abgeschnitten. Weitere Einschrumpfung des Außenhandels und damit Abschnürung vom Auslande muss die Folge sein. Auch der Goldschatz der Reichsbank wird für Zahlungen ans Ausland gebraucht in einem Umfang, dass die Golddeckung der offiziell umlaufenden Banknoten nur noch 2,7% beträgt. (Von etwa 500 Mill. Goldmark im Februar 1933 auf 78 Mill. im Juni 1934.) So ist die nationalsozialistische Diktatur schon nach 1½ Jahren gezwungen, die Staatsausgaben in großem Umfang einzuschränken, um wenigstens für den Augenblick den drohenden finanziellen Zusammenbruch zu vermeiden. Der erste Schritt auf diesem Wege ist die „Beurlaubung“ und die dann folgende Auflösung der s.a. Es ist die Einleitung zu viel tiefer greifenden Sparmaßnahmen auf sozialem Gebiet. Einschränkung der Erwerblosenfürsorge, Abbau der Kranken- und Invaliditätsversicherung, kurz Abbruch der Sozialgesetzgebung und im Zusammenhang damit erneute Senkung der Arbeitslöhne. Auch von der Ausführung weiterer Arbeitspläne wird der Staat absehen müssen, was wiederum größere Erwerbslosigkeit zur Folge haben muss. Darum wird aller Wahrscheinlichkeit nach, trotz der Verschlechterung der Lebenslage der breiten Massen, der finanzielle Zusammenbruch, d.h. erneute Inflation unvermeidlich sein. Weitere Verelendung der breiten Massen mit Einschluss der Mittelschichten ist die direkte Folge. Die Durchführung einer solchen Politik bringt die Hitler-Diktatur an den Rand des Abgrundes. Gerade die in der Sozialgesetzgebung festgelegten Rechte sind tief in den Massen verankert, auch in den nationalsozialistisch gesinnten. Die Durchführung der Sanierung der Reichsfinanzen wird auf den entschiedenen Widerstand der Massen stoßen und sicher ein Verfliegen der nationalsozialistischen Ideologie zur Folge haben. Die Illusion der gemeinsamen Interessen von Kapital und Arbeit löst sich dann auf in Nichts und der Klassenkampf macht seine Rechte wieder geltend. Auf diesen unvermeidlichen Klassenkampf bereitet sich die Diktatur vor, um den Widerstand der Arbeiter unmöglich zu machen oder doch im Blute zu ersticken. Die erste Vorbedingung dafür ist die absolute Auflösung der Masse: Jeder Zusammenhang innerhalb der Arbeiterklasse muss unmöglich gemacht werden. Die Vernichtung der alten Arbeiterbewegung, die Aufhebung des Vereinsrechts, der Versammlungs- und Propagandafreiheit in Wort und Schrift waren die Vorboten. Jetzt sind noch Zusammenballungen proletarischer Massen in der s.a. vorhanden. Hier sind noch etwa drei Millionen proletarischer Elemente vereinigt, die bis dahin eine aktive Rolle in der Bekämpfung des „Marxismus“ spielten, die aber in einem Abbau der Sozialgesetzgebung und anderen Sparmaßnahmen einen direkten Angriff auf ihre Lebenslage fühlen und darin zugleich einen Verrat am Nationalsozialismus selbst sehen. Darum muss auch die s.a. zuerst abgeräumt werden, bevor die besitzende Klasse mit der wirklichen „Sanierung“ beginnt. Es ist leicht erklärlich, dass die Führer der s.a. dafür nicht zu haben sind. Menschen wie Röhm, Heines u. Co., die bei der grausamen „Vernichtung des Marxismus“ mit ihrer s.a. die Hauptarbeit geleistet haben, lassen die errungenen Machtpositionen nicht so ohne weiteres fahren. Darum hat die Regierung Hitler-Göring sie plötzlich überfallen und mit der Pistole aus dem Wege geräumt. Ob nun auch die Auflösung der Drei-Millionen-Armee der s.a. ohne Widerstand erfolgen wird, muss noch abgewartet werden. Die Bourgeoisie hat damit einen für sie gefährlichen Weg beschritten. Bis dahin war sie ziemlich gesichert durch die nationalsozialistische Ideologie, deren Fundament die Lehre von der Interessengemeinschaft von Kapital und Arbeit ist. Mit der Auflösung („Reorganisation“) der s.a. und dem weiteren Abbau der Lebenslage verliert sie diese Sicherung. Sie stützt sich dann nur noch auf die Bajonette der Reichswehr. Und wie bekannt, kann man Bajonette für sehr viele Zwecke gebrauchen, aber nicht um darauf zu sitzen. Die Zeit neuer heftiger Klassenkämpfe in Deutschland ist nicht mehr fern. Vollzieht sich der weitere Zusammenbruch des „Dritten Reiches“ in schnellem Tempo, dann haben politische Strömungen, die die von der Hitler-Diktatur über Bord geworfenen Forderungen erneut aufs Schild erheben, Aussicht, an die Macht zu kommen. Nämlich dann, wenn der Zusammenbruch schneller kommt als die Umwälzung des politischen Bewusstseins der Arbeitermassen. Die k.p.d. hat sich auf diese Möglichkeit schon eingestellt. Sie verspricht den betrogenen Mittelständlern und Bauern, was die Hitler-Regierung nicht erfüllen konnte: ausreichende Unterstützung durch Staatskredite, Aufteilung des Bodens an kleine Bauern usw. Sie ruft die Arbeiterklasse nicht mehr auf zur proletarischen Revolution, sondern wendet sich an alle „arbeitenden Klassen, an Arbeiter, Mittelschichten und Bauern“, um die „Volksrevolution“ durchzuführen. Diese drei Schichten der Bevölkerung werden dann, wenn es der k.p.d. mit ihrer Hilfe gelingt, ihre Parteidiktatur zu errichten, die Grundlage bilden für ein Sowjet-Deutschland, worin versucht wird, den Staatskapitalismus nach russischem Muster durchzuführen. Es unterliegt keinem Zweifel, dass die deutsche Bourgeoisie beweglich genug ist, sich auch diesem Zustand anzupassen, um das Kapital als Mittel zur Ausbeutung in Händen zu behalten. Sie ist es, die auch unter der Form der Diktatur der k.p.d. die Herrschaft ausübt, und ihre Macht kann erst gebrochen werden, wenn auch die k.p.d.-Diktatur durch die proletarische Revolution hinweggefegt ist. Compiled by Vico, 26 November 2020 |
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