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Antonie Pannekoek Archives

Rätekorrespondenz

Quelle: a.a.a.p.


Rätekorrespondenz

Internationale Rätekorrespondenz 1934-1937 / Gruppe Internationaler Kommunisten (Holland). – Transkribiert und herausgegeben für Rätekommunismus ; Mitarbeit von der Association Archives Antonie Pannekoek, Dezember 2020, 504 S., € 13,16, ISBN 979-8551636052


Riesenaussperrung in Dänemark


Quelle:  Riesenaussperrung in Dänemark – In: Internationale Rätekorrespondenz : Theoretisches und Diskussionsorgan für die Rätebewegung.  – Ausg[abe]. der Gruppe Int[ernationaler]. Kommunisten, Holland. – 1936, Nr. 16-17 (Mai); Quelle der Transkription: Rätekommunismus , 23. November 2020, Mitarbeit von der Association Archives Antonie Pannekoek.


In jedem Jahr finden in den Monaten Januar und Februar in Dänemark die abschließenden Lohnverhandlungen statt. Durch ein bestimmtes System der Zusammenkettung ist in dem Augenblick, wo sich die Partner nicht einigen können, eine Gewerkschaft an die andere gebunden; nur nicht in der Frage der Solidarität. Gelangt z.B. eine allgemeine Neuregelung zur Urabstimmung, so entscheidet die einfache Mehrheit, auch wenn für einzelne Branchen direkte Verschlechterungen gegenüber dem früheren Zustand eintreten. Die Mehrzahl der Berufsorganisationen ist in diesem Sinne verkoppelt und nennt sich – Samvirkende – d.h. die zusammen wirkenden Gewerkschaften. Aber nicht alle sind mit dieser Regelung einverstanden und stehen darum außerhalb dieser „Gemeinschaft“, so z.B. die Seeleute und auch die gesamten Bauarbeiter.

Am Schluss des vergangenen Jahres hatten sich schon einzelne Berufsorganisationen auf eine Dauer von zwei Jahren mit ihrem Unternehmerkreis geeinigt, doch ungeklärt war die Regelung der Löhne der ungelernten Arbeiter geblieben. Diese Frage sollte zwischen der Unternehmerorganisation und dem Ausschuss der zusammenwirkenden Gewerkschaften generell geregelt werden. „Herauf mit den niedrigen Löhnen!“ war die Parole der Gewerkschaften. Die Unternehmer lehnten für 1936 jegliche Erhöhung ab, und für 1937 wollte man 3 øre per Stunde bewilligen.

Da die Gewerkschaften in ihrer Bescheidenheit, angesichts des riesigen Wahlsieges der Regierung Stauning, sich nicht mehr überbieten konnten, war die Aussperrung die Waffe, womit die Unternehmer die Bescheidenheit der Gewerkschaftsführer belohnten. Man sperrte 100 000 Arbeiter aus, wovon der größte Teil seine Abkommen [?] geregelt hatte. Dieselbe begann am 23. Februar und hat nach fünfwöchentlicher Dauer am 29. März ihren Abschluss gefunden durch einen Parlamentsbeschluss, der zum sofortigen Gesetz erhoben wurde und die Aufnahme der Arbeit zu den alten Bedingungen erst einmal festlegte, in den nächsten 5 Tagen sollen sich die Partner einigen oder es tritt dann das aus Deutschland sattsam bekannte Zwangsschiedsverfahren in Kraft, an der Spitze den „Unparteiischen“ Vorsitzenden, der die gesellschaftlich richtige Entscheidung schon treffen wird.

Die Aussperrung war ein Versuch der Unternehmerorganisation, den Gewerkschaften zu beweisen, dass im Kapitalismus eben die kapitalistischen Kräfte die bestimmenden Faktoren sind, woran absolut nichts durch einen „sozialistischen“ Wahlsieg geändert wird. Dass die Unternehmer die Aussperrung bewusst vorbereitet haben, beweist der Vorsitzende selbst, der schon am ersten Februar auf der Generalversammlung der Arbeitgeber unter anderem Folgendes sagte: „Die dänische Geschichte berichtet über verschiedene Versuche betreffs Einführung von Klassenherrschaft und Diktatur. Wir hatten von allem schon etwas, und zwar die Herrschaft der Geistlichen, des Adels und auch des Landesvaters; und nun kommen die Gewerkschaften und wollen sich der alleinigen Herrschaft bemächtigen. Doch gegenüber den gesunden Kräften in unserem Volk, kamen alle diese Versuche zu kurz und dasselbe Schicksal wird auch der Diktatur der Gewerkschaften zuteil werden.“

Die dänische Arbeiterklasse war sich instinktiv der ernsten Lage bewusst, in welcher sie durch die provokatorische Aussperrung der Unternehmer gekommen war. Allgemein war der Augenblick äußerst günstig für eine Massenbewegung. Die Parole „Massenstreik“ wäre auf einen günstigen Boden gefallen. Doch die Führer der Gewerkschaften riefen eine gemeinsame außerordentliche Funktionärssitzung ein, in welcher man von jeglicher Ausdehnung des Kampfes abriet und die Funktionäre beauftragte, jedem Versuch der Ausdehnung des Kampfes entgegenzutreten.

Sozialdemokraten schrieben von Provokateuren, denen man nicht folgen solle.

Die Seeleute, welche unter kommunistischer Führung stehen, waren bereit zur Solidarität, wenn auch die Hafenarbeiter mit in den Kampf traten; doch dieses Angebot wurde höhnisch abgelehnt. Die Ausgesperrten gingen zur Kontrolle, die über hunderttausend Arbeitslosen gingen wie sonst stempeln und alle die noch in Arbeit Stehenden gingen eben zur Arbeit, als wenn nichts geschehen war.

Während der Aussperrung hatten der Führer der Unternehmer und der sozialistische Staatsminister eine öffentliche Diskussion, in der Herr Stauning erwähnte, dass die Gesellschaft solche Kämpfe nicht mehr verträgt; während der Beauftragte der Unternehmer antwortete, dass die Wirtschaft solche unerhörten Forderungen nicht bewilligen könne, zumal die Bauarbeiter die 40 Stunden Woche mit vollem Lohnausgleich verlangten. Dazu sollte er als Ministerpräsident mal Stellung nehmen und solche Forderungen öffentlich ablehnen. Prompt erfolgte auch die Antwort von Stauning an Jul. Madsen: „Unerhörte Forderungen zurückzuweisen ist ihre Sache.“ Der Vorsitzende der Maurergewerkschaft erklärte, dass man diese Forderung nur als eine prinzipielle betrachten solle.

Erfreulicherweise hat sich eine Opposition in den Gewerkschaften gebildet, die im Anfang der Aussperrung mit einer eigenen Zeitung an die Öffentlichkeit trat. Unter dem Motto: „Die Befreiung der Arbeiter kann nur das Werk der Arbeiter selbst sein!“ versucht dieselbe, die Arbeiter freizumachen von der Bevormundung der beiden parlamentarischen Parteien; Sozialdemokratie und Kommunistische Partei. Die Letztere hat keine wesentliche Rolle in der Aussperrung spielen können. Man geht den von Moskau vorgeschriebenen Weg, und nach Aufhebung der r.g.o. versucht man sich schiedlich friedlich, sobald man dazu in der Lage ist, die Posten mit der großen Konkurrenz zu teilen.

Die neue Oppositionsbewegung spricht bewusst von der Klasse und ihren Interessen, welche nur durch selbstbewusstes Handeln, frei von jeglicher berufsbürokratischer Bevormundung, wahrgenommen werden könne. Dieselbe ist sich auch des schwierigen Weges bewusst und macht sich absolut keine Illusionen.

Die dänische Arbeiterklasse ist nach dieser letzten Niederlage - gefesselt wie nie zuvor – in die Betriebe zurückgeschickt worden. Die reaktionäre Presse jubelt siegesbewusst: „In Zukunft keine Streiks mehr“, während man von Aussperrung nichts erwähnt.

Ja, es ist richtig, die Gewerkschaften und die sozialdemokratischen Führer haben wie in den anderen Ländern auch, den Arbeitern nichts anderes mehr zu sagen, als „fügt euch dem, was die Gesellschaft, das heißt die Oberklasse und ihre schmarotzenden Diener, von euch verlangen“.

Durch Erhöhung der Beiträge treibt man sogar die ausgezahlten Unterstützungsgelder wieder ein, trotzdem jahrelang ein Kampf geführt wurde, wie es der Metallarbeiterverband beabsichtigt und auch durchführt. Wie in anderen Ländern auch sind ein großer Prozentsatz der Gewerkschaftsgelder in Konsumvereinen oder sonstigen Unternehmungen angelegt oder teilweise auf Nimmerwiedersehen „ausgeliehen“.

Die Aussperrung in Dänemark hat gezeigt, dass es keine Möglichkeit mehr für den Reformismus gibt, sich gegenüber dem zum Angriff vorgehenden Klassenfeind zu behaupten. Die alte Arbeiterbewegung ist, trotzdem sie noch rein organisatorisch besteht, tot. Dieses wird auch die Opposition erkennen müssen, wenn sie dem Motto auf dem Kopf ihrer Zeitung lebendigen Inhalt verleihen will.


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Compiled by Vico, 4 December 2020