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Antonie Pannekoek Archives

Rätekorrespondenz

Quelle: a.a.a.p.


Rätekorrespondenz

Internationale Rätekorrespondenz 1934-1937 / Gruppe Internationaler Kommunisten (Holland). – Transkribiert und herausgegeben für Rätekommunismus ; Mitarbeit von der Association Archives Antonie Pannekoek, Dezember 2020, 504 S., € 13,16, ISBN 979-8551636052


Der Bergarbeiterstreik in Belgien, Mai 1935


Quelle:  Der Bergarbeiterstreik in Belgien, Mai 1935. – In: Internationale Rätekorrespondenz : Theoretisches und Diskussionsorgan für die Rätebewegung.  – Ausg[abe]. der Gruppe Int[ernationaler]. Kommunisten, Holland. – 1935, Nr. 14 (Dezember); Quelle der Transkription: Rätekommunismus , 23. November 2020, Mitarbeit von der Association Archives Antonie Pannekoek.


Der Streik der Bergarbeiter in Belgien im Mai 1935 steht im Kampf der Arbeiterklasse während der letzten 10 Jahre mit an erster Stelle. Nicht wegen seines Umfangs, – selbst die Streikwelle im Jahr 1932 im selben Gebiet erreichte eine größere Ausdehnung –, die Art und Weise, wie ihn die Arbeiter führten, die revolutionäre Form des Kampfes heben ihn hervor. Im Mai 1935 sehen wir ein Suchen nach neuen Formen des Klassenkampfes, und das Auffallende dabei ist, dass die Massen eine Kampfmethode in Anwendung bringen, die in Belgien bis dahin noch von keiner Richtung vertreten wurde. Das Neue bestand vornehmlich darin, dass die Streikenden versuchten, selbständig als Klasse aufzutreten, dass sie die Führung durch eine Partei oder Gewerkschaft von sich abwiesen und die Führung des Kampfes bewusst in den eigenen Händen hielten. Die Arbeiter duldeten keine andere Führung, als die, die von ihnen selbst ausging, sie verfügten selbst über die Kräfte, die sie im Kampfe zur Anwendung brachten. Neu für Belgien war auch, dass in mehreren Fällen die Bergwerke nicht verlassen, sondern von den Streikenden während des Kampfes besetzt und in Verteidigungszustand gebracht wurden. In elf Bergwerken wurde so der Kampf geführt.

Dieser Übergang zu neuen Formen des Kampfes erscheint auf den ersten Blick unbegreiflich, denn keine einzige Gruppierung hatte bis dahin irgendwelche Propaganda gemacht für die selbständige Führung in den Kämpfen durch die Arbeiter selbst. Alle Parteien und Gruppierungen arbeiten in Gewerkschaften und propagieren, dass bei Streiks die Führung bei den Gewerkschaften liegen muss, und daher nicht direkt durch die Massen selbst erfolgen kann. Wir haben wiederholt darauf hingewiesen, dass eine solche Propaganda bei den augenblicklichen Machtverhältnissen vollkommen falsch ist, selbst wenn der Kampf nur um Verbesserung oder Verteidigung von Arbeitsbedingungen geführt wird, sind so große Kräfte der Massen notwendig, dass sie nicht in den Rahmen einer Partei oder Gewerkschaft eingezwängt werden können.

Und siehe nun die Praxis!

Was all die „denkenden Köpfe“, große und kleine Parteien nicht begreifen können, nämlich, dass die selbständige Verfügung über die Kassenkräfte bei den heutigen Machtverhältnisse im Mittelpunkt der Klassenbewegung steht, das hatte die unterentwickelte, die unentwickelte unerfahrene, ungeschulte, dumme Masse sehr gut begriffen. Die kämpfende Masse war all den „denkenden Köpfen“ weit voraus.

Die belgischen Bergarbeiter bildeten im Kampf eine „Einheitsfront“. Die Parteien standen dieser Einheit im Wege und darum wurden ihre Versuche, Einfluss auf den Kampf zu bekommen, zurückgewiesen. Am Beginn des Streiks fand in Tamines bei Namur eine große Versammlung von Streikenden statt. Da ging es heiß her, denn die verschiedenen Parteischattierungen stritten um die Führung. Reformisten, Stalinisten, Trotzkisten wetteiferten miteinander, um zu beweisen, dass ihre Partei die einzige, die beste, die ehrlichste Führung des Proletariats sei. Aber aus der Masse kamen andere Stimmen. Unter brausendem Beifall wurde von verschiedenen Arbeitern die selbständige Führung gefordert. Ein Arbeiter sagte: „Gewerkschaften und Parteien haben uns stets verraten und den Kommunisten vertrauen wir ebenso wenig. Sie sind auch eine Partei. Wir vertrauen nur uns selbst. Der Streik ist unsere eigene Angelegenheit und die anderen müssen mit ihren Fingern davon bleiben.“ – Ein Zweiter sagte: „Lass die Schwätzer doch endlich einmal aufhören uns mit ‚ihrer‘ Partei zu langweilen. Lass sie über Fragen, die mit dem Streik zu tun haben, sprechen. Denn dass der Streik schon politischen Charakter angenommen hat, das braucht uns kein Kommunist zu erzählen. Der Streik ist der deutliche Beweis von Misstrauen gegen die gegenwärtige sozialdemokratische Regierung. Lasst uns lieber darüber sprechen, wie wir zum Generalstreik kommen als ersten Schritt zur sozialen Revolution.“

Die verschiedenen Parteianhänger setzten trotzdem den genseitigen Konkurrenzkampf fort. Darauf wurde aus der Versammlung ein Antrag gebracht, der im Wesentlichen verlangte:

„DIE PARTEISCHWÄTZER HINAUSZUWERFEN“

Dieser Antrag wurde mit rasendem Beifall begrüßt und mit nahezu allen Stimmen angenommen. (Aus einem mündlichen Bericht aus der Versammlung).

Und diesen Standpunkt nahmen nicht nur die Arbeiter in dem Gebiet bei Namur ein; auch in den Bezirken von Charleroi und Hennegau herrschte dieselbe Auffassung. Das ist aus Folgendem zu sehen: Am Sonnabend, 18. Mai, kamen Jaquemotte und Glineur, zwei Führer der kommunistischen Partei, nach einer Zeche, die von den Streikenden besetzt war, um zu den Arbeitern zu sprechen. Sie erschienen vor den geschlossenen Fabriktoren und verlangten von der „Wache“, in den Betrieb zugelassen zu werden, um da im Namen der Kommunistischen Partei zu sprechen. Die Wache öffnete nicht und erklärte: „Ihr könnt im Auftrage eurer Partei hier sprechen, wenn ihr uns hier öffentlich die Erklärung abgebt, dass ihr und eure Partei euch den Beschlüssen der Streikleitung unterwerft, keine Propaganda für Parteiinteressen macht und nur das Interesse des Streiks in den Vordergrund stellt.“ Jaquemotte konnte nicht versprechen, dass „seine“ Partei sich den Beschlüssen der Streikleitung unterwerfe, worauf die Wache antwortete „Dann seid ihr genau dasselbe wie Spaak, Van der Velde und Trabanten. Ihr tut nur etwas radikaler, aber der Streik interessiert euch in Wirklichkeit nicht viel. Ihr wollt den Streik nur für Parteireklame missbrauchen.“ Und darauf ließen sie die „Führer ohne Masse“ unter dem Hohngelächter der umstehenden Arbeiter vor dem geschlossenen Tor stehen. Sie mussten unverrichteter Dinge wieder abziehen. (Nach einem mündlichen Bericht aus dem Streikgebiet).

Der Zustand vor dem Streik

Das „schwarze Land“, die Kohlendistrikte im Süden von Belgien, ist ein Land voll tiefster Armut. Hier herrscht eine enorme Arbeitslosigkeit. Seit 1925 wurden viele Zechen geschlossen, so dass von den insgesamt 38 000 Bergleuten 18 000 entlassen wurden. Viele verließen das Revier, um im Norden Arbeit zu suchen, aber im Augenblick laufen allein in der Borinage 13.000 Bergarbeiter ohne Arbeit herum. In diesem Gebiet arbeiten nur noch 8000 Mann, während 12.000 stempeln. In den anderen Kohlebezirken ist der Zustand wohl etwas besser, aber doch herrscht überall große Arbeitslosigkeit. (Siehe Nieuwe Rotterdamer Courant (n.r.c. [Nieuwe Rotterdamse Courant]) vom 21. Mai 1935). Obendrein wird nirgends eine volle Woche gearbeitet. Auf verschiedenen Zechen wird vier Tage, auf anderen fünf Tage gearbeitet, und an den Montagen liegt alles still. In der Woche werden 5 Gulden und weniger, bis zu 7,50 Gulden verdient.

Die Bergleute haben in der Krise sehr gelitten, da sie mit der sogenannten gleitenden Lohnskala glücklich gemacht wurden. Das bedeutet, dass die Löhne entsprechend dem Index der Warenpreise berechnet wurden. Fielen die Preise, so auch der Lohn. Allein aufgrund dieser gleitenden Lohnskala hatten die Arbeiter den „kleinen“ Lohnabzug von 30% bekommen. Aber der wirkliche Abzug war noch viel größer, weil die kürzere Arbeitswoche eingeführt und verschiedene Zuschläge auf den Lohn einbehalten wurden. So wurde auch die Freikohle (Deputat) nicht mehr abgegeben. Der belgische Bergarbeiter hat dadurch den Lebensstandard des chinesischen Kulis erreicht. Sie gehen vielfach mit einem Stück trockenen Brotes an ihr schweres Werk unter der Erde. Im übrigen ein ganz gefährliches Werk, gezeichnet dadurch, dass „wegen Einsturzgefahr in den letzten Monaten Zeitungsberichterstatter nicht mehr zur Besichtigung einfahren dürfen“ (n.r.c., 21. Mai). „Die Arbeitslosen sammeln sich in Massen vor den Arbeitsbörsen zum Stempeln.“ (ebd.) Im übrigen sitzen sie den ganzen Tag in den Volkshäusern –  ohne etwas zu verzehren – diskutieren und spielen Karten. Des Abends gegen 8:30 Uhr verschwinden sie in ihren Wohnhöhlen, um zu schlafen, denn Licht wird nicht gebrannt. In diesem Gebiet ist auch keine Straßenbeleuchtung, weil die Gemeinden es nicht bezahlen können. Um 8:30 Uhr ist alles wie ausgestorben. Die dunkle Nacht umhüllt schwarz das Gelände und die Bevölkerung.

Die modernen Gewerkschaften und die Sozialdemokratie haben in den Bergarbeitern immer ein kräftiges Bollwerk gefunden. Die übergroße Mehrheit der Arbeiter ist und war reformistisch organisiert. Die Stalinisten hatten und haben wenig Einfluss. Und vor dem Jahre 1938 hatten auch die Trotzkisten wenig zu sagen. Unter dem Druck der Krise wird von der Masse innerhalb der alten Bewegung immer wieder der Generalstreik gefordert. Aber die Führung erklärte: Streik in der Krise ist Unsinn! Trotzdem konnte die alte Arbeiterbewegung es nicht verhindern, dass im Jahre 1932 ein spontaner Streik ausbrach. Die Arbeiter gingen zur Selbsthandlung über, sie breiteten die Bewegung aus, soweit sie konnten, und wendeten sich danach an die Gewerkschaft mit dem Ruf: „Die Kassen auf!“ Natürlich bedeutete das auch, dass die Gewerkschaften die Führung zu übernehmen hätten. Diese gingen darauf ein, und hatten nichts eiligeres zu tun, als die Bewegung einzudämmen und auf ein totes Geleise zu schieben.

In diesem Streik bekamen die Trotzkisten großen Einfluss. Sie vor allem führten die Propaganda, dass die Gewerkschaftsbürokratie zum Kampf gezwungen werden muss. Der Einfluss der Trotzkisten wurde nach dem Streik von 1932 noch fortwährend größer, und zwar in dem Sinne, dass die Arbeiter in ihrer Partei und Gewerkschaft blieben aber sich linkssozialistisch entwickelten. In diesem linken Flügel – und vor allem in der Jugendbewegung – konzentrierte sich alle Unzufriedenheit und der Wille zum Kampf gegen die besitzende Klasse.

Im Februar 1935 kam die Unzufriedenheit der Bevölkerung deutlich öffentlich an den Tag bei der sogenannten Februar-Demonstration zu Charleroi. 40 000 Arbeiter demonstrierten vor Van der Felde, Spaak und Hendrik de Man anlässlich der groß aufgemachten Propaganda für den „Plan der Arbeit“. Die Jugendorganisation, die in Belgien sehr aktiv ist, trug Transparente mit: „Nicht der Plan an die Macht, sondern mit dem Plan um die Macht.“ „Allgemeiner Generalstreik – Revolution!“ „Kontrolle der Produktion durch die Arbeiter!“ „Kontrolle der Banken durch die Arbeiter!“ Sie bildeten Sprechchöre, die überall denselben Ruf erhoben:

„Allgemeiner Generalstreik – sofortige Aktion!“

Von 1932-1935 haben sich die Massen nach links entwickelt. Sie waren bereit zum Kampf. Aber sie sind noch belastet mit der alten Tradition, dass dieser Kampf durch ihre Organisation geleitet werden muss. Sie warten nur auf den Befehl ihrer Führer. Aber die Führer dachten nicht daran, diesen Befehl zu geben. Bei der eintretenden Regierungskrise gingen sie zum König, um ihm den drohenden Zustand vor Augen zu halten und eine sozialistische-katholische Regierung zu fordern. Die neue Regierung hatte fünf sozialistische Minister, darunter Delattre, Vorsitzender des Bergarbeiterverbandes, und Spaak, die vordem heftig auf die reformistischen Führer geschimpft hatten. Die breiten Massen, die vor allem auf Spaak ihre Hoffnung gesetzt hatten, erlebten darum eine gewaltige Enttäuschung, so dass sie ihn des Verrats beschuldigten. Spaak wird aus der Redaktion der linksgerichteten Zeitung „Sozialistische Aktion“ geworfen, und die Zeitung kam unter die Kontrolle der Arbeiter von Charleroi. Die hungernden Arbeiter fühlten sich betrogen. Sie wissen, dass ihre Organisationen nun zu der Regierungspartei gehören, und dass diese deshalb den Generalstreik nicht führen können. Sie stehen nun allein dem mächtigen Kapital und seinem Staat gegenüber. Und jetzt beginnt erst hier und da der Gedanke, selbst zu handeln, zu reifen.

Der Streik

1. Mai 1935. Die Gewerkschaften und die Sozialdemokratie hatten die Massen aufgerufen, an diesem Tage allgemein die Arbeit niederzulegen unter der Parole „Für den Plan der Arbeit“. So wie immer in Belgien streiken an diesem Tage große Massen. Und doch waren hier und dort Arbeiter, die arbeiteten.

Dies war der eigentliche Ausgangspunkt für die gewaltige Streikbewegung vom 11. bis 25. Mai. Als am 2. Mai die Arbeiter von der Zeche „Pont de Loup“ wieder zur Arbeit erschienen, kam es zu heftigen Auseinandersetzungen mit den Streikbrechern, die dazu führten, dass die Arbeiter von der Direktion die Entlassung der Streikbrecher verlangten. Die Direktion lehnte diese Forderung ab. Die Belegschaft in Stärke von 6 000 Mann weigerte sich aber, mit Streikbrechern zu arbeiten und legte spontan die Arbeit nieder. Auf dem Grubenterrain wird eine Versammlung abgehalten, eine Streikleitung gewählt und folgende Forderung aufgestellt:

1. Sofort den Betrieb zu besetzen.

2. Ausdehnung der Streiks durch Aussendung von Delegationen nach anderen Betrieben.

3. Alle Beschlüsse werden durch die Belegschaft und die Streikleitung genommen. Parteien und Gewerkschaften werden ausgeschaltet. Sie können als Sympathisierende mitarbeiten am Streik, wenn sie die Beschlüsse der Arbeiter durchführen.

4. Entlassung der Streikbrecher.

5. 10% Lohnerhöhung und Aufrechterhaltung des Kinderzuschlages.

6. Diese Forderungen den Gewerkschaft mitzuteilen.

Alles wurde sofort durchgeführt. Auf dem Schacht weht die rote Fahne als Zeichen, dass die Arbeiter die Zeche in Besitz genommen haben. Nach 24-stündiger Betriebsbesetzung willigte die Direktion ein.

Diese Selbsthandeln fand großen Anklang bei den Arbeitern. Überall hörte man: „Ja, so müssen wir es machen. Wenn die Gewerkschaften nicht wollen, dann machen wir es selbst. Und die Jungens von „Pont de Loup“ haben bewiesen, dass es geht.

Der Erfolg war, dass es am nächsten Tag auf einer in der Nähe liegenden Zeche genauso zuging, mit demselben Erfolg.

Es verliefen acht Tage in äußerlicher Ruhe. Aber auf den Gruben gärte es. Es entwickelte sich das Bewusstsein der Arbeiter, getrieben durch das Elend, durch den Verrat der Parteien und Gewerkschaften, aber vor allem durch die jüngsten Erfahrung mit dem Selbsthandeln. Das Gefühl, selbst etwas zu können, wuchs, und man sprach davon auf den Straßen, in den schmierigen, dumpfen Schächten, in den Lokalen der Arbeitslosen. Die Frauen besprachen es auf der Straße und in den Geschäften. Die Aufmerksamkeit der Masse war geweckt, und Tausende stellten sich die Frage: „Ist das der Ausweg?“

Jeder wusste, dass etwas in der Luft hing, aber niemand wusste zu sagen, was es war. Unterdessen spitzten sich die Verhältnisse zu, da die Lebensmittel um 10% im Preise stiegen (durch Devaluation), während die Löhne noch nicht im selben Maße erhöht waren. Da kam die Meldung, die der Funke im Pulverfass war. Der sozialdemokratische Arbeitsminister, der frühere Vorsitzende des Bergarbeiterverbandes, Delattre, führte das Dekret durch, das den Abzug des Kinderzuschlages verordnet, welches durch das frühere Ministerium Teunis schon erlassen war. Am Freitag, 10. Mai, wird dieser neue Abzug auf der Sankt Barbara-Grube in Tamines bei Namur bekannt gemacht.

Am Sonnabend, 11. Mai, legte die ganze Belegschaft von 500 Mann die Arbeit nieder. Es wird eine Delegation nach der Direktion gesandt um zu verhandeln. Aber der Direktor war abwesend. Darauf beschloss die ganze Belegschaft, auf der Zeche zu bleiben, bis der Direktor zurück kommen würde, und man veränderte das Zechenterrain in einen Lagerplatz. Frauen und Kinder kamen Essen bringen. Des abends um 10½ Uhr erschien der Direktor, aber er konnte die Forderungen nicht einwilligen. Zugleich erschien Polizei und Militär, die sich aber bei der drohenden Haltung der Arbeiter nicht getrauten einzugreifen. Um Mitternacht wird plötzlich die Delegation zum Direktor gerufen. Aber zugleich rückte Militär zum Angriff vor. Ohne Warnung schossen sie auf die Streikenden. („Het Volk“, 13. Mai) Plötzlich ging überall das Licht aus und der Kampf wurde im Dunkeln fortgesetzt. Des Morgens um 8 Uhr ergaben sich die Streikenden. Es waren nur noch 127 Mann anwesend, wovon sechs verhaftet wurden.

Von nun an beginnt sich die Streikbewegung regelmäßig zu entwickeln, erst langsam, aber nachdem das Militär eingreift in schnellerem Tempo. Am Sonnabend, den 11. Mai, begann es bei Namur, Dienstag schlug sie über nach Hennegau (montags wird nirgends gearbeitet), Mittwoch wird Charleroi in den Streik gezogen. Doch ist die Streikbewegung dem Umfang nach gering. Bei Namur streikt allein die Grube St. Barbara, in der Borinage streiken 2 500 Mann und bei Charleroi 2 700 Mann. Das ist für diese Gebiete, die zusammen 30 000 Bergarbeiter umfassen, sehr wenig. Von den 59 Gruben, die dort sind, sind dann auch nur 15 in den Streik gegangen.

Diese Zahlen, die die bürgerliche Presse bringt, sind nicht zuverlässig, weil schon viele Gruben durch die Krise stillgelegt waren. Wohl sind 59 Bergwerke vorhanden, aber es ist nicht bekannt, wie viele noch im Betrieb waren. Aber wie dem auch sei, die übergroße Mehrheit der Bergarbeiter nahm am Donnerstag, 16. Mai, nicht an der Bewegung teil. Die große Masse hörte noch auf die sozialistischen Führer und Gewerkschaftsbonzen.

Die erste Welle verlief für den Streik nicht günstig. Obwohl sich die Bewegung bis Donnerstag fortwährend ausdehnte, waren bis dahin doch nur etwa 15-20% am Streik beteiligt. Aber war die Bewegung an Umfang auch beträchtlich klein, so wurden die besitzende Klasse und ihre Sachwalter doch sehr beunruhigt. Erstens weil sich die Streikbewegung langsam aber sicher entwickelte, dann aber, weil diese kleine Gruppe Arbeiter als neue selbständige gesellschaftliche Kraft auftrat. Diese streikenden Arbeiter wiesen jede Führung durch die offizielle Gewerkschaftsbewegung ab. Sie hatten keine eigentlichen Führer. Und das ist sehr gefährlich für die herrschende Klasse. Vor vielen Jahren sagte der Abgeordnete Delbrück im deutschen Reichstag nach einem großen Wahlsieg der Sozial-Demokratie: „Dieser Aufmarsch konnte gefährlich werden, wenn keine Führer gewesen wären. Aber mit Führern kann man zu einem Vergleich kommen, das sind Menschen wie wir, die kochen auch mit Wasser.“

Aber diese Masse hatte keine Führer. Diese Arbeiter hatten eine wirkliche Einheit gefunden auf Grund der Betriebsgemeinschaft. Sie ließen sich nichts vormachen durch die Parteien und Gewerkschaften. Der gewöhnliche Gang der Dinge in der Arbeiterbewegung ist doch so, dass jede Gewerkschaft ihre besonderen Versammlungen abhält und Beschlüsse fasst. Die freien Gewerkschaften, die Christlichen, Neutralen und Syndicalisten kommen jede für sich zusammen und bestimmen einzeln, welche Stellung sie einnehmen. Die Unorganisierten werden überhaupt nicht gefragt und bilden sehr oft das große Fragezeichen, ob ein durch die Gewerkschaften geführter Streik gelingt oder nicht.

Hier aber überwanden die Arbeiter ihre organisatorische Gespaltenheit. Gemeinsam als Betriebsbelegschaft fassten sie ihre Beschlüsse, ohne zu fragen ob oder welcher Organisation sie angehörten. Die Klasseneinheit war stärker als die Organisations-Disziplin.

Diese Bewegung war in den Augen der Streikenden nichts anders als ein Lohnkampf. Nur suchten sie nach neuen Formen für ihren Kampf, weil der altgewohnte Weg der Gewerkschaften keinen Erfolg zeigte. Und diese neue Form fanden sie in zwei Richtungen. Organisatorisch in der Form von selbständigen, von allen Parteien und Gewerkschaften unabhängigen, Kampfkomitées (Arbeiterräten) und in der Aktion durch die Besetzung von verschiedenen Bergwerken. Von den 15 Zechen, die bis Donnerstag, 16. Mai, im Streik waren, hatten die Arbeiter sechs besetzt. In dem Führen des Streiks als Betrieb kam ihre Einheit zum Ausdruck. Gemeinsam in den Kampf und auch wie ein Mann ihn beenden. Das Besetzen der Betriebe hatte den Zweck, das Weiterarbeiten der Streikbrecher zu verhindern, und andererseits war es nötig, eine feste, geschlossene Einheit zu bewahren. Wenn der einzelne Streiker in sein Haus verschwindet, ist der Zusammenhang zu einem guten Teil fort. Das Solidaritätsgefühl ist viel stärker, wenn alle fortwährend zusammen sind. Auch wurden die Zechen besetzt, um gegen die Besitzer eine Waffe in der Hand zu haben. Denn sie wissen natürlich, dass mit oder ohne Besetzung das Militär kommen wird, um die Ordnung wiederherzustellen. Es war nun beschlossen, die Gruben zu beschädigen, wenn sie vom Militär angegriffen würden. Das ist auch tatsachlich geschehen, aber nur im geringen Umfange. Wohl hatten die Arbeiter einen Posten vor dem Dynamitmagazin, um die Zechen durch Dynamit zu beschädigen, aber wirklich ausgeführt wurde es nirgends.

Wenn eine Grube besetzt wurde, schloss man die Tore und bildete eine Arbeiterwehr. An den Toren wurden Tag und Nacht Posten angestellt, die niemand außer Arbeitern zuließen. Die Notstandsarbeiten wurden von den Streikenden selbst organisiert. Die Zechenpferde wurden regelmassig gefüttert, die Pumpen arbeiteten weiter, um das Wasser fernzuhalten. Auch hatten sie einen Radioempfangsapparat aufgestellt, und strengste Zucht herrschte unter den Streikenden. Alkoholverbot ist eingeführt, selbst Bier wird nur ganz minimal gestattet. (n.r.c., 22. Mai).

Die Bewegung hatte also einen vollkommenen gewaltlosen Charakter. Es war beschlossen, sich nur dann zu wehren, wenn das Militär Gewalt anwendet. Aber „alles blieb vorläufig ruhig […] man erwartet keine Unruhen […], die Autoritäten, und auch der freie Bergarbeiter-Verband tun alles, um den Konflikt so schnell wie möglich zu beenden.“ („Das Volk“, vom 17. Mai).

Das Abwürgen des Streiks durch die Gewerkschaft

Tatsächlich versuchten sowohl die Behörden als auch die freien Gewerkschaften mit allen Mitteln, die Streikbewegung zu unterdrücken. Der Bergarbeiter-Verband verlangte dabei von seinen Mitgliedern, dass sie die Arbeit wieder aufnehmen sollten, d.h., er rief zum Streikbruch auf.

„Der Hauptvorstand des freien Bergarbeiter-Verbandes hat einen Aufruf an die Bergarbeiter gerichtet, worin sie vor kommunistischen Agitatoren gewarnt werden, die den fünf sozialistischen Ministern Schwierigkeiten machen, welche sich bemühen, in den Zustand der Arbeiterklasse Verbesserung zu bringen. Der Aufruf sagt, dass Streiks in diesem Augenblick nur in sehr besonderen Fällen zu rechtfertigen sind, und erst dann, wenn alle Mittel ausgeschöpft sind, auf dem Verhandlungswege die etlichen Konflikte, die sich ergeben können, aus dem Wege zu räumen.“ (Das Volk, 21. Mai, Morgenzeitung). „Der freie Bergarbeiter-Verband hat vom Beginn an Stellung genommen gegen die wilden Streiks. In einem Manifest hat der Verband darauf hingewiesen, dass diese Streiks als ein Wortbruch angesehen werden müssen und im Gegensatz stehen zu der Taktik, die von der modernen Arbeiterbewegung befolgt wird.“ (Das Volk, 21. Mai, Abendblatt). „In Chatelineau sind vier Gruben stillgelegt. Die sozialistischen Gewerkschaften rufen auf zur Wiederaufnahme der Arbeit, was nicht befolgt wird.“ (n.r.c., 16. Mai).

Diese Methode, den Konflikt beizulegen, hatte keinen Erfolg. Das einzige, was damit erreicht wurde war, – und das war für die besitzende Klasse und ihre Handlanger, die Gewerkschaften, schon viel – dass die große Masse der Bergarbeiter noch nicht am Streik teilnahm. Darum versuchte die Gewerkschaftsbürokratie auch auf andere Weise, den Streik zu brechen, und hatte damit, wie es scheint, mehr Erfolg. Die von den Bergarbeitern aufgestellten Forderungen waren nämlich nicht überall gleich. In dem einen Betrieb ging es nur um die Minimum-Löhne, in dem anderen um Lohnerhöhung, in wieder anderen um die Aufrechterhaltung des Kinder-Zuschlages. Nahezu allgemein war die Forderung, den Kinder-Zuschlag aufrecht zu erhalten und ein Minimum-Lohn von 30 fr. (ƒ 1.50) pro Tag. Dann wurde noch mehrfach eine Lohnerhöhung von 5%, auf anderen Gruben aber auch von 10% verlangt.

Dieses Durcheinander in den Forderungen machten sich die Gewerkschaften sehr geschickt zu Nutzen, um auf verschiedenen, einzelnen Betrieben „den Konflikt beizulegen.“ […] “In der Grube Marchienne au Pont gelang es den Bergarbeiterführern von der Bergwerks-Direktion die Zusage zu bekommen, dass die niedrigsten Lohne verbessert werden sollten. Die Streikenden waren hiermit zufrieden und beschlossen, am Freitag die Arbeit wieder aufzunehmen. In einer Grube zu Dampreny wurde der Konflikt in derselben Weise beendet. In zwei Bergwerken zu Chatelineau und Gilly wurde noch keine Übereinstimmung erreicht.“ „Durch die Vermittlung des Bergarbeiter-Verbandes hat man in zwei Orten Übereinkommen erreicht, so dass am Freitag 1 000 Mann von den 2 500 Streikenden, die am Mittwoch in der Borinage die Arbeit niedergelegt hatten, die Arbeit wieder aufnehmen werden.“ („Das Volk“, 17 Mai).

Hierbei ist aber zu bedenken, dass diese Übereinkünfte nicht durch die Streikenden abgeschlossen wurden, und es darum fraglich ist, ob diese 1 000 Mann tatsächlich am Freitag an die Arbeit gegangen sind. Wir konnten darüber keine nähere Auskunft bekommen, aber angesichts des ferneren Verlaufes der Bewegung, die, wie wir noch sehen werden, bis auf 2 000 Streikende anwuchs, ist es kaum anzunehmen, dass sie tatsächlich an die Arbeit gingen. Aber auf jeden Fall sah man vollkommen deutlich, auf welche Weise die Gewerkschaften den Streik zu brechen versuchten. Wenn es ihnen tatsächlich gelingen würde, 1 000 von 2 500 Streikenden an die Arbeit zu bringen, dann war die Streikbewegung natürlich vernichtet.

Im Industriegebiet von Charleroi wurde neben obengenannten Methoden noch ein anderes Mittel versucht, um den Streik zu brechen. Der Bergarbeiter-Vorstand rief zum 19. Mai – nur für das Kohlegebiet um Charleroi allein – zu einem Kongress auf. Es wurde da festgestellt, dass in der Umgebung von Charleroi acht örtliche Streiks stattfanden, woran 3 000 Mann beteiligt waren. Die Delegierten verteidigten die Besetzung der Betriebe und erklärten, dass dies nicht unter kommunistischem Einfluss geschah, sondern dass „die Bergarbeiter durch das Elend getrieben wären.“ Schließlich wurde eine Resolution angenommen, die im Wesentlichen folgenden Inhalt hatte:

1. Die Betriebsbesetzung wird verurteilt.

2. Die Bergarbeiter werden aufgefordert, die bestehenden Lohnabkommen zu respektieren.

3. Die nationale, gemischte Bergwerkskommission (Arbeitsgemeinschaft) soll aufgefordert werden, eine Zusammenkunft zu veranlassen, zu dem Zwecke, um Löhne, welche unter 30 fr. pro Tag betragen, zu verbessern.

Diese Resolution wurde mit geringer Mehrheit angenommen. 17 Ortsvereine waren dafür, 14 dagegen und 5 enthielten sich der Stimme. „Verschiedene Ortsgruppen waren nicht vertreten.“ „Die sozialistischen Führer haben allem Anschein nach nur mit Mühe die Hälfte ihrer Anhänger in der Hand.“ (n.r.c., 20. Mai). Wichtig in dieser Frage ist, dass die Gewerkschaft hier die Demokratie der Arbeitsgemeinschaft als Waffe den Streikenden gegenüber anwendet.

Die Staatsmacht greift ein

Die Gewerkschaften standen nicht allein beim Abwürgen des Streiks. Sie hatten starke Bundesgenossen in den Behörden der Staatsmacht. Wozu waren denn die fünf sozialistischen Minister da, die die bewaffnete Macht zur Verfügung haben? Am Montag, 1. Mai, wird eine Nachricht bekannt, dass 500 Soldaten sich auf dem Wege nach dem Industriegebiet von Charleroi befinden. Eine große Empörung bemächtigt sich der Bergarbeiterschaft. „Die Streikenden zogen nach den Gruben und besetzten noch einige Schächte“ […] „Auf die sozialistischen Führer wird nicht mehr gehört“. (n.r.c., 22. Mai.).

Am Dienstag, 20. Mai, wird eine Nachricht verbreitet, dass die Truppen tatsächlich angekommen sind. „Als es bekannt wurde, dass die Gendarmerie gekommen war, zogen viele nach den Gruben, wobei vor allem die Frauen zum Aushalten anspornten […] Die Arbeiter lassen niemanden auf die Grube, selbst nicht die sozialistischen und kommunistischen Führer“ („Das Volk“, 22. Mai, Morgenzeitung).

Und nun griffen die Truppen der fünf sozialistischen Minister auf ihre Weise in den Kampf ein. Sie marschierten, ohne viel Zeit zu verlieren, zu den Gruben und umzingelten diese. Sie bearbeiteten die Arbeiter mit „den humansten Mitteln, worüber sie verfügten“, […] nämlich mit Tränengas und räucherten sie so aus den Gruben. „Verschiedene Arbeiter wurden bewusstlos. Die Bevölkerung strömte zusammen, aber wurde durch 250 Gendarmen auseinander getrieben.“( „Das Volk“, 23. Mai, Morgenzeitung).

In Pont de Loup wollten 15 Mann sich nicht ergeben. Sie kletterten durch einen Luftschacht nach unten, um 200 Meter unter der Erde einen Hungerstreik zu beginnen. Nachdem ihnen gedroht war, dass sie auch dort unten vergast würden, kamen sie nach oben. In kurzer Zeit wurden so die Gruben von den Streikerden enträumt, und alle Gruben, die im Streik standen, mit Militär besetzt.

Dieses Eingreifen des Militärs aber führte nicht zur Beendigung des Konfliktes. Die Antwort der Bergarbeiterschaft war eine Ausdehnung des Streiks. Am folgenden Tag, Mittwoch, ist die Arbeit in 28 Gruben niedergelegt, wobei 13 000 Arbeiter streikten. Am „Donnerstag, 23. Mai, hat sich die Streikbewegung erneut ausgedehnt, und zwar in dem Gebiet von Charleroi und Umgebung.“ („Das Volk“, 24. Mai, Morgenzeitung) Von den 59 Gruben sind 32 im Streik mit 18 000 Streikenden.

Dieses Eingreifen des Militärs hatte demnach das genaue Gegenteil von dem zur Folge, was sich die sozialistischen Minister gedacht hatten. Anstatt die Bewegung zu erdrücken, hatte sie sich auf 18 000 Arbeiter ausgedehnt und nahm noch täglich an Umfang zu. Darum versuchte es die sozialistische Regierung wiederum mit der „Demokratie“, wo die bewaffnete Macht keine Erfolge erzielen konnte. Denn „Vernunftgründe haben allem Anschein nach keine Einwirkung mehr auf die Bergarbeiter, die Ratschläge der Gewerkschaftsführer prallen an ihnen ab, diese haben jetzt ihre ganze Hoffnung gerichtet auf die Zusammenkunft der nationalen, gemischten Grubenkommission, die am Donnerstag stattfindet.“ („Das Volk“, 23. Mai, Morgenzeitung) Jetzt, wo die fünf sozialistischen Minister die Gewerkschaftsführer und die bewaffnete Macht nicht imstande waren, den Streik abzuwürgen und dadurch die Arbeiter dem Kapital erneut zu unterwerfen, da greifen sie als letzte Rettung zur „Demokratie“. Man spekuliert auf das „Mitbestimmungsrecht“, das die Arbeiter angeblich in der Grubenkommission haben, um ihre Einheit im Kampf zu brechen… und das gelingt!

In der Grubenkommission kommt es zu einem Kompromiss, mit dem Versprechen, dass die niedrigsten Löhne verbessert werden sollen. Des Weiteren müsste entsprechend der „gleitenden Lohnskala“ ab 1. Juni eine Lohnerhöhung von 5% erfolgen, weil der Index der Lebensmittelpreise um soviel gestiegen war. Als ein „Zugeständnis“ der Grubenbarone erscheint nun eine sofortige Auszahlung von 2½% Lohnerhöhung, welcher Betrag aber später wieder von der am 1. Juni eingehenden 5%igen Erhöhung abgezogen wird. Schließlich machte das sozialistische Ministerium durch Delattre bekannt, dass die Verordnung über den Abzug des Kinderzuschlages einer Revision unterzogen werden solle.

Die Bergarbeiterführer gehen mit dieser Übereinkunft ins Grubengebiet. „Die Streikenden scheinen wieder vernünftig geworden zu sein. Sie hören wieder auf die Führer der Gewerkschaften, die in ihren Versammlungen erscheinen.“( „Das Volk“, 24. Mai, Morgenzeitung).

Die Ortsgruppe Charleroi des Bergarbeiter-Verbandes beschließt mit 57% der Stimmen, das Abkommen anzunehmen, und auch im Zentrum gibt man sich damit zufrieden… Nun, da es den „fünf sozialistischen Ministern“ und den Gewerkschaften gelungen war, die Bewegung abzuwürgen, konnte jetzt das Zentralorgan der holländischen Sozialdemokratie, „Das Volk“, am 29 Mai triumphierend berichten:

Der Bergarbeiterstreik ist beendet!

Dem Eingreifen von Van Zeeland and Delattre, die Zugeständnisse von den Grubenbesitzern erreichten, und auch der Haltung des freien Bergarbeiter-Verbandes, der die Unterstützung der wilden Streiks im Industriegebiet von Charleroi verweigert hatte, ist es zu danken, dass der gesunde Verstand und die Disziplin der Bergarbeiter gesiegt haben. Die Streikenden sind heute (Dienstag, 28. Mai) abgesehen von ein paar besonderen Fällen, dem Aufruf des Bergarbeiter-Verbandes gefolgt und haben die Arbeit wieder aufgenommen. Selbst diejenigen, die den Kompromiss mit nicht sehr großer Begeisterung empfingen, sind wieder an die Arbeit gegangen. Nur in zwei Gruben wird noch gestreikt.

Schlusswort

Dieser Kampf hat den belgischen Bergarbeitern die Rolle der Gewerkschaften und der Sozialdemokratie in der Gegenwart gezeigt. Es wird für immer größere Kreise der Arbeiterschaft deutlich, dass Sozialdemokratie und Gewerkschaften sich bei einem Konflikt zwischen der Arbeiterschaft und der besitzenden Klasse an die Seite des Kapitals stellen und vor keinem Mittel zurückschrecken, um einen Streik abzuwürgen. Aber diese Streikbewegung deckt auch auf, wie außerordentlich scharf heute schon die Klassengegensätze zugespitzt sind.

Nur um einen Abzug vom Kinderzuschlag abzuwehren und sich jedenfalls einen Lohn von 1,50 Gld. pro Tag zu sichern, – bei der üblichen Arbeitswoche von 4-5 Tagen ist das 6,00 bis 7,50 Gld. –, mit anderen Worten: Um sich das trockene Brot zu sichern, mussten die Arbeiter den Kampf gegen den Staat mit seinen fünf sozialistischen Ministern und seiner bewaffneten Macht und zugleich noch gegen ihre eigene „Arbeiterbewegung“ aufnehmen. Die Klassen stehen sich so scharf gegenüber, dass der Kampf um die blanke Existenz von der hungernden Arbeiterschaft nur noch in der Form des Aufstandes, als Kampf gegen die Staatsmacht, mit oder ohne sozialistische Minister, geführt werden kann.

Der Bergarbeiterstreik vom Mai 1935 ist beendet, aber die Bewegung ist damit nicht abgeschlossen. 1935 war nur die Fortsetzung der Streikbewegung von 1932 und kleineren Streiks, die darauf folgten. Die Ursachen der fortwährenden Gärung sind heute noch ebenso vorhanden wie vordem. Das Feuer des Aufstandes – scheinbar erstickt – ist unter der Oberfläche am Werke. In dieser Situation ist revolutionäre Propaganda gerade unter diesen Arbeitern, die durch Klasseninstinkt den richtigen Weg der Kampfeinheit gefunden haben, von großer Bedeutung. Nicht Propaganda, die erneut eine „Aktion“ entfesseln will, sondern Propaganda in dem Sinne, dass die neuen Kampfformen, die die Bergarbeiter zur Anwendung brachten, ins Licht gezogen werden, dass sie nichts „Zufälliges“ sind, sondern im Mittelpunkt der kommenden Klassenbewegungen stehen. Der Kampf als Betriebseinheit, die Verfügung über die Kampfmittel durch Klassenorgane selbst, die Ausdehnung der Kampffront auf die ganze Arbeiterklasse durch eigene Aktivität, die Erkenntnis, dass die Arbeiterschaft nur dann siegen kann, wenn sie ihre eigene alte „Arbeiterbewegung“ überwunden hat, das ist der Inhalt der Propaganda, die jetzt geführt werden muss.


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Compiled by Vico, 3 December 2020


























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