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Antonie Pannekoek Archives

Rätekorrespondenz

Quelle: a.a.a.p.


Rätekorrespondenz

Internationale Rätekorrespondenz 1934-1937 / Gruppe Internationaler Kommunisten (Holland). – Transkribiert und herausgegeben für Rätekommunismus ; Mitarbeit von der Association Archives Antonie Pannekoek, Dezember 2020, 504 S., € 13,16, ISBN 979-8551636052


Der Kampf gegen die Herabsetzung der Erwerblosenunterstützung in Amsterdam [„Jordaan-oproer“], 1934


Quelle:  Der Kampf gegen die Herabsetzung der Erwerblosenunterstützung in Amsterdam. – In: Internationale Rätekorrespondenz : Theoretisches und Diskussionsorgan für die Rätebewegung.  – Ausg[abe]. der Gruppe Int[ernationaler]. Kommunisten, Holland. – 1934, Nr. 4 (September); Quelle der Transkription: Rätekommunismus , Dezember 2020, Mitarbeit von der Association Archives Antonie Pannekoek; hier wieder korrigiert.


In den ersten Tagen des Monats Juli wurden von den Behörden Maßnahmen getroffen, um die Regierungsverordnung über die Herabsetzung der Erwerblosenunterstützung durchzuführen. Die Stempelkarten wurden eingezogen und am folgenden Tag zurückgegeben. Der auf der Karte vermeldete Unterstützungsbetrag war dann durchgestrichen und der neue, herabgesetzte Betrag eingeschrieben.

So wurde den Erwerbslosen bekannt, in wie starken Maße ihre Unterstützung beschnitten war. Verminderungen von ƒ1.50 waren die Regel, Beträge von ƒ3.-, ƒ4.- und selbst ƒ5.- waren durchaus nicht selten. An den Stempelstellen wurde der Umstand besprochen, Vergleiche gemacht, äußerte sich die Empörung. Die allgemeine Auffassung war, dass hiergegen etwas unternommen werden müsste und die Erbitterung äußerte sich dann auch in einer Weise, die den Erwerbslosen in einer solcher Situation am nächsten liegt: Sie demonstrierten. Es begann am Mittwoch (4 Juli). Mittags waren in dem Stadtviertel Jordaan – einem Proletarierviertel – schon kleine Demonstrationen, sie wurden aber sofort von der Polizei auseinander getrieben. Aber diesmal handelte es sich für die Erwerbslosen nicht darum, für diese oder jene Partei oder Organisation zu demonstrieren; es ging um einen Teil ihrer Unterstützung und gerade um den Teil, wodurch eine noch einigermaßen ertragbare Existenz herabgedrückt wird auf eine Hungerexistenz ohne Lebensfreude. Und das Recht, dieses zu demonstrieren, ließen sie sich nicht ohne Weiteres nehmen. Dem Auftreten der Polizei wurde Widerstand geboten. Zuerst im Indischen Viertel. Hier war eine nationalsozialistische Versammlung angekündigt. Verschiedene Organisationen hatten aufgerufen zu einer Gegendemon-stration und die Erwerbslosen hatten diese Gelegenheit benutzt, um in Massen auf der Straße zu erscheinen. Angriffe der Polizei wurden mit Steinwürfen beantwortet, und erst nachdem die Polizei mehrere Stunden lang auf Motorrädern, zu Pferde, mit Überfallautos, Säbel, Gummiknüppel und Revolver angegriffen hatte, konnte sie die bekannte Ruhe und Ordnung wiederherstellen. Im Jordaan nahm am selben Abend der Widerstand noch schärfere Formen an. Nach Schluss einer Versammlung gingen Arbeiter in Gruppen nach Hause. Das war genügende Veranlassung, um Tausende Erwerbslose auf die Straße zu bringen, sodass spontan mehrere Demonstrationen entstanden. Als die Polizei versuchte, diese Demonstrationen auseinanderzuschlagen, wurde Widerstand geboten; man ließ sich nicht mehr von der Straße verjagen. Aber weil mit Pflastersteinen gegen Schusswaffen nicht viel auszurichten ist, wurden die Demonstranten zugleich zu einer neuen Taktik gezwungen: Die Straßen wurden so viel wie möglich vor der Polizei gesperrt. Die Straßenbeleuchtung wurde zerstört und Barrikaden aufgeworfen. Und doch war der Widerstand noch zu schwach; nach einiger Zeit gelang es der Polizei, die Straßen wieder zu erobern.

Da nun diese neue Taktik einmal entdeckt war, kam der Kampf in ein neues Stadium. Was am Abend zwar nur in ein paar Straßen versucht worden war, geschah am folgenden Tage im ganzen Stadtbezirk von Jordaan. Systematisch wurden überall die Straßen aufgebrochen, an vielen Ecken Barrikaden errichtet. Um 8 Uhr abends war aus dem ganzen Bezirk mit Ausnahme der Hauptstraßen die Polizei vertrieben. So blieb es bis Mitternacht. Die Erwerbslosen hatten an diesem Tage ihre Demonstration „gewonnen“. Nach 0 Uhr gingen die Erwerbslosen zu Bett und die Polizei nahm die Straßen wieder in Besitz.

Am anderen Tage erschien eine starke militärische Macht, ausgerüstet mit Tanks, Panzerautos und Maschinengewehren. Dieser Übermacht waren die Erwerbslosen allein nicht gewachsen, und zwar nicht aus einem Mangel an Mut oder weil sie die Kampfmittel, worüber sie im Augenblick verfügten, nicht genug zur Anwendung gebracht hatten. Sie haben in den paar Tagen genug Beispiele von mutigem Handeln gegeben, während Straßen, Asphaltwege und Brücken für die Polizei versperrt, für die Arbeiter selbst aber geöffnet wurden – mit so viel verschiedenartigen Mitteln und mit einer solchen Schnelligkeit, dass hier eine Steigerung der Kampftätigkeit wohl kaum möglich war. Die Schwäche dieser Aktion lag einerseits in ihrem beschränkten Umfang, andererseits aber, und das steht damit im Zusammenhang, in dem Ziel, das ihr gesetzt war. Eine Masse, die sich der öffentliche Gewalt widersetzt, aber von breiten Schichten der Klasse keine Unterstützung bekommt, kann das zu erreichende Ziel nicht weit stecken und – umgekehrt – unterstützen große Arbeiterschichten eine Aktion erst dann, wenn es um Dinge geht, woran sie selbst unmittelbar interessiert sind. Der Grundgedanke dieser Aktion war und blieb eine Demonstration gegen die Herabsetzung der Unterstützungen. Aber die Regierung denkt nicht daran, auch nur das kleinste Bisschen von den verordneten Sparmaßnahmen zurückzunehmen. Diese Kürzung der Unterstützungen gehört zu einem viel größer angelegten Angriffsplan auf die Lebenslage der ganzen Arbeiterklasse. Die Löhne waren im Laufe der Zeit so viel gesunken, dass die Unterstützungssätze der Erwerbslosen ihnen nahezu gleichkamen. Darum muss die Unterstützung zuerst gesenkt werden, bevor man die Löhne weiter herabdrücken kann. Dies letzte aber, die Herabdrückung des Lebensstandards der Arbeiterklasse ist die notwendige Folge der Aufrechterhaltung der Kapitalherrschaft, welche die Produktion wieder gewinnbringend machen will auf Kosten der Arbeiterlöhne. Darum antwortete die Regierung auf die Erwerbslosendemonstrationen mit verschärftem Polizeiterror, der in einzelnen Bezirken die Form eines Belagerungszustandes annahm.

Dieser Angriff war also indirekt auch gegen alle werktätigen Arbeiter gerichtet, und es wäre ihre Aufgabe gewesen, darauf mit dem Generalstreik zu antworten. Aber die Tradition jahrzehntelangen Gewerkschaftskampfes stand einer solchen Handlung im Wege, nur die Gelegenheitsarbeiter im Holzhafen und einige Bauarbeiter legten aus Solidarität die Arbeit nieder. Wohl wurde die Aktion unterstützt durch Erwerbslose in allen Arbeitervierteln von Amsterdam: Überall wurden Barrikaden aufgeworfen, Straßenbahnen festgehalten, Straßenbeleuchtungen zerstört, und wo sich die Polizei zeigte, regnete es Pflastersteine. Doch unterdessen wurde die ganze militärische Macht zum Angriff auf den Jordaan zusammengezogen, Panzerautos mit Maschinengewehren und Soldaten mit Gewehren bewachten die Straßen, während städtische Arbeiter die Straßenbeleuchtung wiederherstellten. So wurde am Freitagabend im Jordaan die „Ordnung“ gesichert. Und hiermit war in Wirklichkeit der Widerstand gebrochen. Wohl kam es am Sonntagabend noch zu einem hartnäckigen Guerillakampf, hauptsächlich im nördlichen Stadtteil, doch die Aktion war deutlich über ihren Höhepunkt hinweg. Die Niederlage war zur Tatsache geworden und die erste Phase in dieser ersten Probe des revolutionären Klassenkampfes in Holland war abgelaufen.

Dann folgt ein Angriff der herrschenden Klasse auf die politischen Organisationen der Arbeiter. Die korrekten holländischen Juristen benutzen Artikel 94 des Strafgesetzbuches um Artikel 7 der Verfassung außer Kraft zu setzen.

……. Die „Tribune“ bekommt hohen Besuch, das Gericht beschlagnahmt Unterteile der Druckmaschinen, das Gebäude wird von der Polizei besetzt. Auch bei der o.s.p. Haussuchung. Zahlreiche Verhaftungen finden statt, im ganzen Lande werden Arbeiter ins Gefängnis geworfen wegen Kolportage mit „aufrührerischen Schriften“ (wozu plötzlich alle linken Arbeiterblätter gehören). Wie weit dies alles gehen wird, muss noch abgewartet werden, doch das kann schon gesagt werden, dass derartige Obrigkeitsmaßnahmen wohl für die revolutionären Arbeiter lästig und unbehaglich sind, aber für die Arbeiterklasse selbst keine Gefahr bilden. Die Kampfkraft der Klasse wird vielmehr durch sie erhöht, denn die unter dem Kapitalismus herrschenden Zustände rufen fortwährend neue revolutionäre Energien wach, und in demselben Maße, wie die großen, zentral geleiteten, und daher auch durch den Staat geleiteten, scheinrevolutionären Organisationen weniger in der Lage sind, diese Energien aufzufangen und zu neutralisieren, werden sie sich einen anderen, selbständigen Weg suchen müssen. Die Arbeit der Revolutionäre wird schwieriger werden, aber die Scheinerfolge einer opportunistischen Taktik verschwinden mehr und mehr. Gruppen revolutionärer Arbeiter werden sich abwenden von der Tamtampropaganda und dem Arbeiten für parlamentarische Scheinerfolge: ihr Klassenbewusstsein kann nur dadurch gewinnen und die Auswirkung davon auf die Arbeiterklasse im Allgemeinen macht die Klasse nicht schwächer, sondern stärker.

Aus diesem Grunde ist so auch sehr wahrscheinlich, dass man mit dem „Beschneiden unserer demokratischen Rechte“ nicht zu weit geht. Vorläufig wird die Regierung wohl weiterhin ihre Taktik anwenden, die in dem „Bekämpfen von Auswüchsen“ besteht, d.h. wo es ihr gelegen kommt gegen diesen oder jenen auftreten mit gerichtlicher Verfolgung, Entlassung oder Einziehung der Unterstützung.

Die andere Seite dieses Vorgehens der herrschenden Klasse ist, dass die Schwächen der heutigen Arbeiterbewegung ins Licht gerückt werden. Vor allem wurde die Machtlosigkeit der Parteien, die durch eine Führerclique kommandiert werden, wie die c.p. und o.s.p., deutlich demonstriert.

Da ist zuerst das „einzige revolutionäre Tageblatt in Holland“, der große „Zeitungsbetrieb“: die „Tribune“. Noch vor Kurzem waren ein paar Tausend Gulden nötig, um die Druckerei mit Rollläden aus Stahl zu versehen, als Schutz gegen Faschistenüberfälle. Die Faschisten ließen sich nicht sehen, aber als eines guten Tages die Erwerbslosen in Jordaan Widerstand leisten, ist es geschehen. Die „Tribune“ hatte am Abend zuvor, genau so, wie sie es so viele Male vorher getan, aufgerufen zu Massendemonstrationen. Sie wird der Anstiftung dazu beschuldigt, ein Überfall der Polizei und… verschwunden ist der große Zeitungsbetrieb. Verschwunden sind auch die Organe der „Rote Hilfe“ und andere „außerhalb aller politischen“ Parteien stehenden Arbeiter- und Bauernorganisationen, verschwunden ist auch die Kartothek der „Tribune“ mit einer großen Zahl von Adressen revolutionärer Arbeiter, die man bei der politischen Polizei natürlich gut gebrauchen kann. Die „erprobte Führung“ hatte hiermit nicht gerechnet und hatte es in Wirklichkeit auch nicht verdient. Noch in der letzten Nummer half sie das Privateigentum zu beschützen.

Die „Tribune“ vom 6. Juli (Extrablatt)
„GEGEN PLÜNDERUNGEN UND PROVOKATIONEN“ „FÜR MASSENKAMPF“
„Während die Arbeiter im Jordaan im Massenkampf stehen, versuchen besondere verbrecherische Elemente und Provokateure zu plündern. So wurde ein Laden von Jamin auf der Ecke Goudbloemstraat und später auch auf der Westerstraat von einigen dieser Herren ausgeräumt.
Die Arbeiter haben mit diesen Kerls nichts zu tun, im Gegenteil, sie führen einen scharfen Kampf gegen sie. Die Arbeiter vertrauen auf die Sympathie und die Unterstützung der zahllosen Mittelständler im Jordaan, die ebenso wie sie durch die Krise und die Herabsetzung der Unterstützung getroffen werden.“

Jamin (Großbetrieb in der Lebensmittelbranche) erscheint hier als armer kleiner Mittelständler. Auch in ihren Parolen während der Aktion war die c.p. ziemlich unschuldig. Zum Vergleich bringen wir hierunter die fettgedruckten Schlagzeilen aus einem Manifest sowohl der c.p. als auch der o.s.p.

Die o.s.p.:
„An die Arbeiter von Amsterdam. – Herabsetzung der Unterstützung – Widerstand der Amsterdamer Arbeiter – Anstatt Dulden, endlich Aktion – Was ist notwendig? – Verbreiten der Aktion über das ganze Land – Solidarität mit Amsterdam – Arbeitslose: Versammelt euch vor den Fabriken – In der Aktion liegen eure Waffen – Ausdehnung der Aktion über Amsterdam und das ganze Land – Verbindung von Demonstration mit Streik – Tatkraft, ruhig Blut und durchsetzen – Das will die o.s.p. – Solidarität mit den Arbeitern von Amsterdam durch die Tat!“
Die c.p.h.:
„An die Arbeiter und Arbeiterfrauen von ganz Holland und die ganze Arbeiterbevölkerung von Amsterdam schließt sich ihnen an, – Gemeindearbeiter, Straßenbahner – Zurückziehen der Unterstützungsverschlechterungen – Weigert eure Kinder zur Schule zu senden, organisiert Schülerstreiks – Verlangt sofortige Entfernung der Polizei aus den Arbeiterbezirken – Es lebe der Streik!
Communistische Partij Holland.“

Der Unterschied ist leicht erklärlich. Die o.s.p. ist eine junge Partei, gebildet aus der s.d.a.p. Opposition und besteht aus zwei Hauptbestandteilen. Ein Stamm von alten verknöcherten Leninisten (die frühere b.k.s.p., die „Trotzkistische Opposition“ der c.p.h.), De Kadt usw. nebst Anhang. Der Rest der Partei besteht zum größten Teil aus Gefühls-Revolutionären. Diese Gruppe taumelt, ebenso wie die breite Masse, zwischen altem sozialdemokratischem Schlendrian und spontaner revolutionärer Eruption hin und her, und ist dadurch in fortwährender Reibung mit der leninistischen Fraktion. P.J. Schmidt fungiert hierbei als ein Troelstra (oder Bebel in der alten s.p.d.) um die auseinander strebenden Kräfte zusammen zu halten.

Das Manifest der o.s.p. ist eine Äußerung ihres revolutionären Gefühls. Die Konsequenzen davon gehen weit über das Programm der o.s.p. hinaus. Dass dies in Wirklichkeit so ist, kann man u.a. an der Meinungsverschiedenheit unter den Führern sehen. Das Manifest war der Anlass zur Verhaftung von Schmidt und anderen o.s.p.-ern, De Kadt und Sal Tas entziehen sich der Verhaftung durch die Spaltung der Partei, da sie sich öffentlich von einer Politik, so wie Schmidt sie führte (siehe Manifest) lossagten. Das Programm der o.sp. ist gerichtet auf die Interessen der partei; das Manifest dagegen zeigt, ohne dass es seinen Verfassern deutlich ist, in die Richtung einer proletarischen Kampfesweise zu gehen, wobei die Rolle der Parteien ausgespielt ist. Es sagt den Erwerbslosen, dass ihre Aktion von vornherein verloren ist, wenn diese sich allein auf die Erwerbslosen beschränkt, und es ruft darum auf, vor die Fabriken zu ziehen und die Werktätigen in den Kampf hinein zu ziehen. Wenn die Arbeiter wirklich so gehandelt hätten, dann wäre eine Aktion entstanden, die nicht durch eine Partei wie die o.s.p. hätte geführt werden können; eine solche Massenbewegung ist nur möglich unter der Führung von Arbeiterräten und Vertrauensleuten der streikenden Arbeiter an den Betrieben und der Erwerbslosen an den Stempelstellen. Darum geht das Manifest weit über das Programm der o.s.p. hinaus, und darum auch können die „De Kadt’s“ und „Sal Tas“ eine solche Politik nicht mehr mitmachen.

Soweit es die c.p. betrifft, ist zu sagen, dass sie sich von einer leninistischen zur stalinistischen Partei entwickelt hat. Das heißt, dass sie zwar noch die leninistische opportunistische Taktik hat; aber das Zukunftsbild einer leninistischen Parteidiktatur, das ihrer Politik Richtung gibt, ist bei der c.p.h. seit Jahren einem bürokratischen Schlendrian gewichen, wodurch sie jede Aktion der Arbeiter einzig und allein nur noch als eine willkommene Gelegenheit ansehen, um darüber in der Presse zu schreiben zu können, Zeitungen zu verkaufen, Mitglieder für diese oder jene Mantelorganisation zu gewinnen und dieses oder jenes Komitée zurecht zu zimmern. Ihre Parolen sind nicht darauf gerichtet, die Kampfkraft der Arbeiter zu orten, sondern um möglichst ihr Parteigeschäft zu vergrößern. Daher auch:

„Organisiert Schülerstreiks!“ – „Bezahlt keine Wohnungsmieten, solange nicht alle Verschlechterungen zurückgezogen sind. – Bildet hierzu in jedem Wohnblock Komitées, die diese Mieterstreiks organisieren.“

Und wenn sie auch in dieser Aktion zum Streik aufrufen, so nur im Gefolge der r.v.o.-Politik, die Positionen in der Gewerkschaft erobern will:

„Organisierte Arbeiter! Verjagt die Führer eurer Organisationen […] Schließt euch in eurer Gewerkschaft zusammen, um eure Verbände zu verteidigen gegen diese reformistische Entartung, organisiert alle eure Kollegen in eurem Verband, um denselben zur Waffe zu machen in dem anschwellenden Widerstandskampf gegen die Aushungerungspolitik!“
(Aus einem Manifest der r.v.o.)

Die wichtigste Lehre dieses Kampfes ist aber, dass es einen erfolgreichen Kampf bestimmter Teile der Arbeiterklasse für ihre besonderen Gruppeninteressen nicht mehr gibt; diese Zeit ist unwiderruflich vorbei. Wichtige Kapitalgruppen können sich nur noch behaupten durch das fortwährend Tieferdrücken der Lebenslage der Arbeiter; sie kämpfen um ihre Existenz, ebenso wie es die Arbeiter für die ihre tun. Auf der anderen Seite droht die Kriegsgefahr, das ist der Kampf um die Existenz gegen andere Kapitalgruppen, geführt von der bewaffneten Macht, ein Krieg, in dem die Arbeiter das willenlose Werkzeug der Bourgeoisie sein müssen, will sie sich behaupten.

Die Bourgeoisie kann darum auch nicht mehr den geringsten Widerstand der Arbeiter dulden, jede Demonstration gegen ihre Politik wird zu einem Angriff auf ihre Existenz, ganz gleich, ob sie so gemeint ist oder nicht. Es ging mit dieser Aktion wie mit der auf dem Panzerschiff „de Zeven Provincien“. Eine Gruppe von Proletariern will „demonstrieren“ gegen die Verschlechterung ihrer Lebenslage, aber die Bourgeoisie erklärt diese Demonstration als „Meuterei“, stempelt sie zum „Aufstand gegen Gesetz und Obrigkeit“ und tritt dagegen dann auch dementsprechend auf.

„Wer in der Hauptstadt Barrikaden baut, muss gewärtig sein, dass er die Mittel entgegengesetzt bekommt, die gegen Barrikaden angewandt zu werden pflegen.“
(Handelsblad, 5. Juli.)

So ohne allen Grund scheint dieses Auftreten den Arbeitern im Beginn, dass sie es zuerst nicht verstehen. So wenig wie die Matrosen auf den „Zeven Provincien“ es begriffen, die lachend zu den Flugzeugen aufsahen, als plötzlich die schwere Bombe fiel, so wenig auch wie die Arbeiter in Rotterdam es verstanden, dass da plötzlich eine Abteilung Militär ein ganzes Arbeiterviertel belagerte. Aber die Bourgeoisie lässt es fühlen, dass es ihr Ernst ist, sie prägt es den Arbeitern nachdrücklich ein, dass sie auch die schlappeste Aktion nicht mehr duldet. Die Periode, in der ein demonstrativer Widerstand den Forderungen der „Demokratie“ Kraft verleihen konnte, ist abgeschlossen. Die Regierung als das Machtinstrument der besitzenden Klasse führt, ohne sich um den „parlamentarischen“ Druck der „Arbeiterparteien“ zu bekümmern, die Maßnahmen durch, die das Kapital zur Aufrechterhaltung seiner Herrschaft nötig hat. Und wenn die Arbeiter demonstrativ ihre Unzufriedenheit mit diesen Maßnahmen äußern, dann bringt die „Obrigkeit“ alle Kampfmittel der modernen Kriegstechnik in Bewegung, um den Feind im eigenen Lande nieder zu schlagen.

Die Bourgeoisie kann nicht anders, – aus Lebenserhaltung. Diese Wahrheit muss und wird den Arbeitern deutlich werden, und auch die Geschehnisse in Amsterdam haben hierzu ihren Teil beigetragen. Das ist der Gewinn. Nur mit dem Einsetzen seiner ganzen Klassenkraft ist das Proletariat der mächtigen Bourgeoisie gewachsen, und nur wenn es diese Kraft einsetzt, dazu gebracht durch die Einsicht in die Klassenverhältnisse, kann es siegen.


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Compiled by Vico, 28 November 2020