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RooseveltQuelle: Roosevelt / A[nton]. P[annekoek]. – In: Zeitungskorrespondenz, Nr. 224, 18. Mai 1912 [BB-LV] Noch nie hat der Kampf um die republikanische Präsidentschaftskandidatur in Amerika so viel Aufmerksamkeit in der ganzen Welt geweckt, wie jetzt der Kampf zwischen Roosevelt (1) und Taft (2). Dieser Kampf bedeutet mehr als eine tiefe Spaltung und Auflösung der alten historischen Parteiverbände. Er bedeutet eine Neuorientierung der Geister, wenn zunächst auch noch unsicher und unklar; er ist ein Symptom, dass die gesellschaftlichen Verhältnisse in Amerika eine tiefgreifende Umwandlung erfahren haben, er leitet gleichsam eine ganze neue politische Zukunft ein. Der Mann dieser Zukunft ist Roosevelt. Taft ist nur irgendein gleichgültiger Sachwalter der Hochfinanz, des Trustkapitals, wie sie schon so oft den Präsidentenstuhl in Amerika einnahmen. Als Roosevelt vor vier Jahren diesen Sitz, den er nicht durch Wahl, sondern durch Zufall bekommen hatte, verlassen mußte, schob er Taft an diese Stelle, in dem Bewusstsein, dass damit seine eigene Rückkehr umso unvermeidlicher sein würde. Jetzt greift er, einem Brauch trotzend, der in Amerika oft mächtiger als ein Gesetz ist, zum dritten Male zu einer Würde, der eine größere Machtfülle innewohnt, als Kaiser und Könige in Europa sie besitzen. Jetzt sucht er den sich sträubenden Taft beiseitezudrängen; und wenn ihm das diesmal vielleicht auch noch nicht gelingen mag, so wird seine Zeit doch umso sicherer nachher kommen. Denn die Verhältnisse tragen ihn empor. Selten hat ein Mann einander so schroff widersprechende Beurteilungen erfahren wie Roosevelt. Einmal wird er als der größte Staatsmann gefeiert, der im ernsten Denken die großen Probleme der Zukunft seines Volkes und der Menschheit zu bewältigen sucht. Ein anderes Mal tritt er uns als der brutaler Gewaltmensch entgegen, der Cowboy in der Politik, der mit Vorliebe als Teddy mit den großen fletschenden Zähnen abgebildet wird. Selbst tritt er als der Demokrat, als der Volksmann auf, der für das allgemeine Interesse der Gemeinschaft, der Nation, mutig gegen das Trustkapital kämpft. Aber zugleich sehen unsere Genossen in Amerika in ihm nur den gerissenen Demagogen, den Streber, den politischen Schwindler, der die großen Kapitalinteressen rücksichtlos versieht und die Arbeiterbewegung mit maßlosem Hass und mit den schäbigsten Mitteln verfolgt. So sehr diese Beurteilungen einander auszuschließen scheinen, so sind sie doch alle richtig, und erst ihre Gesamtheit gibt einen Einblick in das Wesen, nicht so sehr des Mannes – denn seine persönlichen Eigenschaften sind ziemlich gleichgültig – sondern der amerikanischen Gesellschaft, die einen Mann mit solchen Eigenschaften voranschiebt. Amerika ist nicht nur das Land des höchst einwickelten Kapitalismus; dort ist auch der Geist des Kapitalismus, die rücksichtlose Profitmacherei zur höchsten Ausbildung, zur alles beherrschenden Macht gekommen. Die Dollarjagd füllt das ganze Leben der Menschen aus; das Geschäft beherrscht vollkommen ihr Denken und Tun; auf geschäftlichen Erfolg ist alles Sinnen und Streben gerichtet. Alle Energie, alle Tatkraft, alle Fähigkeit, die in dem Menschen steckt, steht nur im Dienste des persönlichen Fortkommens und Aufsteigens. So ist der Typus des Amerikaners entstanden, schlau, scharfblickend, energisch, geschäftsklug, der nichts in der Welt kennt als seine eigenes Geschäft, der die ganze Welt nur als Mittel ansieht, sich zu bereichern und zu einem wichtigen achtenswerten Bürger zu machen, und dem das Sternenbanner nur als Symbol der unbeschränkten Freiheit für seine Plusmacherei gilt. Dass es daneben noch andere, wichtige, gemeinsame Interessen gibt, denen er, sei es noch sowenig, seine individuellen Interessen dann und wann unterzuordnen hat, kommt ihm nie einen Augenblick in dem Sinn. Allerdings ist dies nicht ein Ausfluss eines speziellen amerikanischen Volkscharakters, sondern der Charakter des Geschäftsmannes, des Kleinbürgers und des Bourgeois in der ganzen Welt. Aber in anderen Ländern tritt daneben auch ein allgemeineres Interesse, das Bewusstsein einer größeren Gemeinschaft, der sie angehören, in sichtbarer Gestalt zutage, in der Politik. Natürlich nicht ein allgemeines Interesse der ganzen Volksgemeinschaft, sondern das Klasseninteresse. Die Politiker sind es in Westeuropa, die die Klasseninteressen der Bourgeoisie gegen andere Klassen, oder die der verschiedenen Gruppen gegeneinander zu vertreten haben; diese kommen ihnen – mögen sie noch so sehr zugleich ihr eigenes Interesse wahrnehmen – in abstrakter Gestalt zum Bewusstsein, und durch die politischen Kämpfe zwingen sie die Geschäftsleute, auch selbst dann und wann über ihr Klasseninteresse nachzudenken. Das fehlt in Amerika. Der Amerikaner hat, wie es der englische Schriftsteller H.G. Wells (3) in seinem Werke „Die Zukunft in Amerika“ ausdrückt, keinen Sinn für den Staat; er ist staatsblind. Politiker sind ihm nur nichtsnützige Parasiten am Leibe braver Leute, die durch die Fabrikation plattierter Löffel oder irgendwas sonst ihr Brot verdienen. Und mit Recht. Denn in Amerika ist die Politik ein Geschäft, ein persönliches Geschäft der Politiker. Politik ist „graft“, wie man dort sagt. Gaunerei, Profitmacherei durch amtliche Stellung. Jeder Beamte, vom Obergerichtspräsidenten bis zum Polizisten, benutzt seine Macht zur persönlichen Bereicherung. Die beiden großen bürgerlichen Parteien sind nichts anderes als zwei gut organisierte Banden von Politikern mit ihrem Anhang von Agenten bis hinunter in den Kaschemmen, die die Verfügung über die Staatsposten für persönliche Vorteile ausnutzen. In dieser vielgeschmähten politischen Korruption liegt nicht eine besondere amerikanische Unehrlichkeit, sondern die einfache Übertragung der Geschäftssitten, wo die Prellerei bekanntlich eine Hauptrolle spielt, auf die Politik. Die Politik ist nicht das Feld, wo die allgemeinen Klasseninteressen zur Geltung kommen, sondern nur ein besonderes Gebiet für Privatinteressen. Die Ursache ist wohl darin zu suchen, dass die amerikanische Bourgeoisie nie große Klassenkämpfe zu führen hatte, in denen ihr ein gemeinsames Klasseninteresse bewusst werden konnte. Von ihrem Anfange in Jahre 1777 an war die amerikanische Republik ein bürgerliches Land, mit nur einer bürgerlichen Klasse. Alle inneren Kämpfe, sogar der Bürgerkrieg, waren nur Konflikte zwischen den Geschäftsinteressen verschiedener Gruppen der Bourgeoisie. Ein bürgerliches Klassenbewusstsein konnte sich da nicht ausbilden. Jetzt erst wird das anders. Der Sozialismus erhebt sich, zwar noch nicht als materiell aber doch als geistige Macht; und vor den Augen der amerikanischen Gesellschaft taucht in der Ferne das Gespenst der proletarischen Revolution auf. Noch ist die Bourgeoisie unfähig, diese Gefahr auch nur einigermaßen zu erfassen und sich dagegen zu rüsten. Hier schlägt sie in wahnsinniger Wut die streikenden Proletarier grausam nieder, dort vereinigen sich die enttäuschten Geschäftspolitiker beider Parteien gegen die Sozialisten, die eine ehrliche Stadtverwaltung einführten; aber im Allgemeinen kümmert die Masse der Bourgeoisie sich um die Politik gar nicht. Das kann natürlich nicht so bleiben. Je mehr der Sozialismus vorwärtsschreitet, umso mehr muss sich ein gemeinsames bürgerliches Klassenbewusstsein ausbilden; un so mehr wird die Verteitigung der bürgerlichen Ordnung als eine Hauptsache in den Vordergrund treten müssen, und die Politik in den Dienst dieser Sache Gestellt werden. Die Entwicklung der amerikanischen Politik von Privatgeschäft und Gaunerei zur Klassenpolitik, das ist die große Umwälzung, deren erste Anzeichen wir jetzt vor uns sehen. Roosevelt ist der Mann dieser neuen Politik. In ihm ist das allgemeine Interesse der Bourgeoisie zum klaren Bewusstsein gekommen. Darin liegt seine Bedeutung als angesehenster Staatsmann Amerikas, dass er die Politik als Klasseninteresse empfindet. Daher redet er gern über die Gemeinschaft, der die Privatinteressen zu weichen haben, während er doch zugleich das Interesse des Großkapitals vertritt, im Innern wie nach Außen als imperialistische Weltpolitik (4). Denn er ist nicht wie die andern, die in ihren politischen Ämtern nur Bureaubeamte der Rockefeller (5) und Morgan (6) waren. Es steht diesen Leuten als selbständige Macht gegenüber, un er weiß, dass das Trustkapital etwas nachgeben muss, damit seine unerträgliche Tyrannei nicht den ganzen Kapitalismus gefährdet. Die Gemeinschaft, die er meint, ist immer die bürgerliche Welt. Der Sozialismus hasst er aus tiefster Seele; ja, vielleicht gibt es keinen Menschen in Amerika, der den Sozialismus so grenzenlos hasst, wie er. Andere mögen sich durch die Arbeiterbewegung in ihrem Privatgeschäft oder in ihrer politischen Gaunerei bedroht fühlen; aber in ihm lebt die ganze Furcht und Angst vor der Zukunft der bürgerlichen Gesellschaft und peitscht ihn zu Taten besinnungsloser Wut auf. Wie im Kampfe gegen das rebellische Proletariat alles erlaubt ist, ist auch er zu allem fähig; aber er weiß noch nicht recht, was er will, in seinen impulsiven, wechselnden Taten spricht sich noch die Unsicherheit der bürgerlichen Welt gegenüber dem neuen Feind aus. Roh, gewaltsam und brutal, kenntnisreich, schlau und verschlagen ist er gerade der Mann, den die amerikanische Bourgeoisie zu dem neuen Kampfe braucht. Zu ihm blickt sie als den künftigen Herrscher empor. Sein Auftreten beweist, dass es mit dem Sozialismus in Amerika anfängt ernst zu werden. Kommt er zur Macht, so wird damit ein neuer, wichtiger und schwerer Zeitabschnitt in der Geschichte des amerikanischen Sozialismus anbrechen. ap. Redaktionelle Anmerkungen1. Theodore Roosevelt (1858-1919), Republikaner, später Mitglied der Progressive Partei, von 1901 bis 1909 Präsident der Vereinigten Staaten, 1912 besiegt von dem Demokraten Woodrow Wilson von dem Pannekoek nicht spricht. 2. William Howard Taft (1857-1930), Republikäner, von 1909 bis 1913 Präsident der Vereinigten Staaten. 3. Herbert George Wells (1866-1946); englischer Schriftsteller und Pionier der Science-Fiction-Literatur. 4. Das war er schon unter die republikanischer Präsidenten William McKinley jr. (1843-1901), Präsident von 1897 bis 1901 (ermordet); führte 1898 Krieg gegen den Spanische Kolonialismus (Latein-Amerika und die Philippinen). Siehe auch: Monroe Doktrin 5. Rockefeller , Familien, Mitbegründer einer Erdölraffinerie, erster Milliardär der Weltgeschichte. 6. John Pierpont Morgan (1837-1913), US-amerikanischer Unternehmer und Privatbankier, und sein Sohn John Pierpont Morgan jr. (1867-1943). © Obgleich die Kommunistische Linke im Allgemeinen keine Urheberrechte bzw. „intellektuelle Eigentumsrechte“ für sich eingefordert hat, können einige Veröffentlichungen auf dieser Webseite urheberrechtlich geschützt sein. In diesem Fall steht ihr Gebrauch nur zum Zweck persönlichen Nachschlags frei. 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