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Der SyndikalismusQuelle: Der Syndikalismus / A[nton]. P[annekoek]. – In: Zeitungskorrespondenz, Nr. 5, 29. Februar 1908 [BB] Mit dem Übertritt des bedeutendsten Teils der früheren Lokalisten in die unabhängigen Gewerkschaften ist die Aussicht auf eine syndikalistische, oder, wie sie zu deutsch getauft wurde, anarcho-sozialistische Bewegung von einiger Bedeutung hier in Deutschland verschwunden. Der Syndikalismus ist eine ausländische Pflanze, für die hier der geeignete Boden fehlt; er ist den kleinbürgerlichen Verhältnissen Frankreichs entsprungen und spielt außerdem nur noch in Italien eine erhebliche Rolle. Das will weder sagen, dass wir hier zu vernüftig und zu hochentwickelt sind für diese Form der Gewerkschaftsbewegung, noch will es sagen, dass für verschiedene Länder verschiedene Formen der Arbeiterbewegung passen. Überall ist eine Gewerkschaftsbewegung, die mit einer kräftigen Aktion für die unmittelbaren Aufgaben ein revolutionäres Empfinden und eine tiefe Einsicht in die Kampfesbedingungen der allgemeinen Arbeiterbewegung vereinigt, die beste. Aber überall fehlt etwas an diesem Ideal; gesündigt wird hüben wie drüben, und nur die Art der Fehler, die man macht, ist verschieden. Es gilt also, die Eigenart und die Ideen der französischen Gewerkschaftsbewegung, mit denen unsere Genossen auf internationalen Gewerkschaftskongressen wiederholt in Berührung kommen, aus den französiche Verhältnissen zu verstehen. Syndikate ist der französische Name für Gewerkschaften; der Syndikalismus ist jedoch nicht einfach die Gewerkschaftsbewegung, sondern eine Gewerkschaftsbewegung, die sich selbst als die einzige wirkliche Arbeiterbewegung betrachtet. Sie stellt sich auf den Standpunkt des Klassenkampfes, der aus dem Interessengegensatz von Arbeitern und Arbeitgebern hervorgeht und also nur von den Arbeitern selbst geführt werden kann. Die einzigen reinen Arbeiterorganisationen sind aber ihrer Anschauung nach die Gewerkschaften; in der sozialistischen Partei finde man nebst Arbeitern auch noch allerhand andere Leute: Literaten, Rechtsanwälte, Ärzte, Rentiers, sogar Arbeitgeber; sie alle gehören höchstens durch gemeinsame Ideen, nicht durch gemeinsame Interessen zusammen. Die sozialistische Partei könne also nicht als Vertretung der Arbeiterklasse deren Klassenkampf führen. „Politische Parteien“, sagt eine neulich erschienene theoretische Schrift der Syndikalisten, „sind Koalitionen, die sich bilden, um die Vorteile, die der Besitz des Staates gewähren kann, zu erobern, wobei ihre Führer entweder durch Hass getrieben werden oder materielle Vorteile suchen oder bloß ihren Willen aufzwingen möchten“. Die Wortführer werden durch die Aussicht auf Stellen und Würden, die der Sieg ihrer Partei ihnen bringt, getrieben; die Führer sind meist Leute, die innerhalb ihrer eignen Klasse nicht zur Macht kommen konnten; sie nehmen sich deshalb der Beschwerden der unterdrückten Klassen an und machen diese zu ihrer Gefolgschaft. So wird der reine und klare Klassenkampf verunstaltet durch die Einmischung der politische Parteien, die ganz andere Ziele verfolgen. Wo kann diese sonderbare Auffassung vom Wesen der politischen Parteien, die unseren Erfahrungen völlig zuwiderläuft, wohl herstammen? Sie ist der Praxis der bürgerlichen Parteien in westeuropäischen Ländern, namentlich in Frankreich entnommen. Dort stehen sich innerhalb der besitzenden Klassen keine großen, um wichtigen Klasseninteressen kämpfenden Parteien gegenüber; dort hat das Bürgertum keine großen Aufgaben mehr zu erfüllen, und seine Hauptsorge ist, bei dem Proletariat kein kräftiges Klassenbewusstsein aufkommen zu lassen. Da herrscht das Kleinbürgertum vor, das die tönenden demokratischen Phrasen liebt, aber beileibe nichts für die Arbeiter geschehen lässt. Da sind die Parteien wirklich Cliquen von ehrgeizigen Geschäftspolitikern, die miteinander um die Stellen und Ämter hadern. Und wenn nur die französische sozialdemokratische Partei diesem Possenspiel von einem scharf ausgeprägten Klassenstandpunkt heraus entgegengetreten wäre! Aber nein; durch den Ministerialismus (*) und die Blockpolitik hat sie dem Glauben Vorschub geleistet, sie sei genau eine solche Partei, wie die bürgerlichen Parteien. Politiker, denen das sozialistische Ideal eine schöne Phrase war, mittels deren sie sich emporschwingen könnten, bis zur Höhe des Ministeramtes, fanden in ihr Unterschlupf. Die theoretischen Auffassungen der französischen Gewerkschaftler sind also aus den französischen Verhältnissen heraus leicht zu verstehen. Der Syndikalismus bildet eine natürliche Reaktion eines ausgeprägten proletarischen Klassenbewusstseins gegen die revisionistische Politik der Partei. Durch die kleinbürgerlichen Zustände Frankreichs daran gehindert, das Wesen der bürgerlichen Politik zu durchschauen, ihr auf ihrem eignen Gebiete mit einer klaren zielbewussten revolutionären Arbeiterpolitik entgegenzutreten, weiß dieser Teil der Proletariats sich gegen die bürgerlichen Korrumpierungsversuche nur durch eine trotzige Isolierung zu schützen. Wir wollen mit den Parteien, mit der Politik, mit dem Staate nichts zu schaffen haben, sagen sie; wir bauen die selbständige Klassenorganisationen des Proletariats aus, die in der Zukunft dazu bestimmt sind, die bürgerlichen Institutionen zu ersetzen. Mit diesem Ausspruch überlassen sie der Bourgeoisie unbestritten die Hochburg ihrer Macht. Die antipolitische parteifeindliche Gewerkschaftsbewegung in Frankreich also als Gegensatz zu der revisionistische Parteipolitik hervorgekommen. Falls es denjenigen unserer Genossen, die den französischen Ministerialismus als der wahren praktischen sozialistischen Taktik zujubelten, gelungen wäre, den Methoden der bürgerlichen Politik auch hier zum Siege zu verhelfen, so wäre hier auch zweifellos die Folge gewesen, dass das revolutionäre Empfinden der Massen sich auf syndikalistischen Seitenwegen verirrte. Das kurze Aufleben des Anarchosyndikalismus in Berlin zur Zeit der früheren Vorwärtsredaktion zeigt dies zu Genüge. Aber in den deutschen Verhältnissen ist weder für eine bürgerliche Politik der Partei noch für ihren syndikalistische Widerhall irgendeine Möglichkeit vorhanden. Nirgends tritt es so klar, wie in Deutschland, hervor, dass die politischen Parteien gesellschaftliche Klassen vertreten, und namentlich, dass die sozialdemokratische Partei die Massenorganisation des Proletariats ist. Während in anderen Ländern der Schein der bürgerlichen Freiheit und Gleichberechtigung ein scharf ausgeprägtes Klassenempfinden bei den Arbeitern nicht leicht aufkommen ließ, wurden sie in Deutschland wie eine minderwertige Rasse behandelt, minderen Rechtes als andere Bürger. Dadurch haben die herrschenden Klasse hier das Proletariat zu einer festgefügten Klassenpartei zusammengetrieben. Bei dieser klaren Praxis kann eine Theorie, die in den politischen Parteien bloße Koalitionen ehrgeiziger Politiker sieht, nur Achselzucken erregen. Diese Theorie was es also nicht, die in den lokalen Gewerkschaften die Sympathie für den Syndikalismus hervorrief; vielmehr war es das revolutionäre scharf-proletarische Klassenempfinden, das in den Aüßerungen der Syndikalisten hervortrat. Daher war auch kein Wechsel der prinzipiellen Anschauungen der Anlass zum Übertritt in die zentralen Gewerkschaften. Neben der Parteitagsresolution, die den äußeren Anlass gab, wirkte vor Allem die eigene Erfahrung der Parteigenossen als Ursache der Vereinigung. Sie sahen die Konzentration der ganzen herrschenden Klasse gegenüber dem Proletariat, die wachsende Einheit, Macht und Brutalität der Unternehmerverbände, und sie fühlten daher die Notwendigkeit der eigenen Einheit. Abgesehen von theoretischen Prinzipien bildeten jedenfalls die lokalen Gewerkschaften eine Sonderbündelei, eine Zersplitterung. Der gemeinsame Kampf der Bauarbeiter im vorigen Sommer, der die offiziellen Verhandlungen verzögerte, hat deshalb wohl am meisten zur schließlichen Einigung beigetragen. Neue Prinzipien bringen die Lokalisten nicht in die zentralen Gewerkschaften mit hinein, und brauchen sie auch nicht mit hineinzubringen. Wenn sie nur mitbringen und hochhalten, was ihnen der Syndikalismus sympathisch machte, ein klares revolutionäres Klassenempfinden, so wird sich auch in dieser Hinsicht die Einigung nützlich für unsere Gewerkschaftsbewegung erweisen. (ap) Redaktionelle Anmerkung*) Ministerialismus: Teilnahme von Sozialdemokraten an einer bürgerlichen Regierung; schärf kritiziert von Rosa Luxemburg. © Obgleich die Kommunistische Linke im Allgemeinen keine Urheberrechte bzw. „intellektuelle Eigentumsrechte“ für sich eingefordert hat, können einige Veröffentlichungen auf dieser Webseite urheberrechtlich geschützt sein. In diesem Fall steht ihr Gebrauch nur zum Zweck persönlichen Nachschlags frei. Ungeschütztes Material kann für nicht-kommerzielle Zwecke frei und unentgeltlich verbreitet werden. Wir sind Ihnen erkenntlich für Ihren Quellenhinweis und Benachrichtigung. Bei beabsichtigter kommerzieller Nutzung bitten wir um Kontaktaufnahme. Compiled by Vico, corrected by T.K., 5 Dezember 2024 |
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