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Antonie Pannekoek Archives


Thema: Die ökonomische Lösung für die Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Kommunismus


Robert Owen


Quelle: Robert Owen / A[nton]. P[annekoek]. – Zeitungskorrespondenz, Nr. 42, 14. November 1908 [Bremer Bürgerzeitung]


Robert Owen (*), seit dessen Todestag am 17. November 50 Jahre verflossen sind, steht dem modernen sozialistischen Proletariat näher als die anderen großen Utopisten, England war den anderen Ländern in der kapitalistischen Entwicklung weit voraus; dort hatte die Industrie alle gesellschaftliche Verhältnisse umgewälzt und ein zahlreiches Proletariat geschaffen, als sie in Frankreich noch kaum emporkam. Daher kam es, dass Owen, als die herrschenden Klassen von seinen Vorschlägen nichts wissen wollten, sich nicht wie die französischen Utopisten in die einsame Stube, mit nur ein paar Schülern um sich, zurückzuziehen brauchte. Er traf auf eine erwachende proletarische Klassenbewegung, die dem aus der bürgerlichen Gesellschaft ausgestoßenen begeistert zuhörte, eine Klassenbewegung, die er zuerst mit einem großen Ideal zu erfüllen wusste und deren Weiterentwicklung er mächtig beeinflusste. Erst als die Arbeiterbewegung sich nachher zu immer reiferen Kampfesmethoden entwickelte, denen er als alter Mann nicht folgen konnte, kam die Vereinsamung auch für ihn.

Ein anziehendes Lebensbild bietet uns Owens Entwicklung. Durch Geschäftstüchtigkeit und Organisationstalent schon als ganz junger Mensch ein erfolgreicher Unternehmer, macht sein edler Charakter, seine tiefe echte Menschenfreundlichkeit ihn zu einem Reformer des Fabriksystems. Mit eignen Augen sah er das unverschuldete schreckliche Elend, die körperliche und geistige Entartung, die die schrankenlose Ausbeutung über das Fabrikproletariat brachte. Es was die Zeit, wo die städtischen Armenhäuser der Fabrikanten auf dem Lande die Kinder verkauften, die dann in den Fabriken durch schwere und lange Arbeit zu Grunde gerichtet wurden. Owen machte aus einer solchen Fabrikhölle in New-Lanarck ein Musterinstitut; nicht durch Strafen oder irgendwelche Zwangsmaßnahmen, sondern durch freundliche taktvolle moralische Einwirkung, wodurch er das Misstrauen beiseitigte und die Herzen der Arbeiter allmählich gewann. So wurde New-Lanarck aus einer schmutzigen Höhle mit vertierten, dem Trunk ergebenen Arbeitern zu einem kleinen Gemeinwesen, wo Ordnung, Sauberkeit und heiteres Schaffen herrschte, wo Wohlfahrtseinrichtungen aller Art blühten, wo Schule, Konsumverein, Altersfürsorge und Geselligkeitseinrichtungen ein ganz neues Arbeiterleben schufen. Owen zeigte da zum ersten Male die Wahrheit, dass durch reichliche Spenden für solche Wohlfartseinrichtingen der Profit gar nicht abnimmt, sondern durch die Hingabe der Arbeiter sogar noch steigt. So ist er zum Vorgänger der heutigen Fabrikanten, die Wohlfahrtseinrichtungen einführten, geworden, freilich mit dem Unterschiede, dass diese meist aus geschäftskluger Gewinnsucht machen, was bei ihm ein Auffluss seines freundlichen Mitgefühls für die Arbeiter war.

Sein Erfolg trieb ihn zur öffentlichen Propaganda. Denn er betrachtete ihn nicht – was er doch zum Teil war – als einen Erfolg seiner Persönlichkeit, sondern seiner Methode, als einen Erfolg der Grundanschauungen, die ihn leiteten. Von der Anwendung dieser Prinzipien konnten nicht nur die Hunderte Arbeiter seiner Fabrik, sondern die Hunderttausende Arbeiter Englands ihr Glück erwarten. Deshalb trat er 1813 mit seinen Ideen in die Öffentlichkeit.

Es war kein glänzendes neues System, das er brachte, sondern eine während der industriellen Umwälzung emporgekommene primitive materialistische Lehre. Gegenüber der offiziellen Heuchelei und dem liberalen Fabrikantendogma, dass jeder seines Glückes Schmied ist, und also auch das Elend und das Lasten bei der arbeitenden Klasse strafwürdige, eigene Schuld ist, stellte sie die Wahrheit, dass der menschliche Charakter durch die Umstände bestimmt wird. Je nachdem man ein Kind in guten oder schlechten Verhältnisse aufwachsen lässt, kann man gute oder böse Charaktere erzeugen. Deshalb sollten die Regierenden nicht langer zulassen, dass durch die ungünstigen Umstände ein Viertel der Bevölkerung zu Elend und Laster erzogen wurde. Mit den Kindern sollte man durch ein rationelles Erziehungssystem anfangen, das mit dem Grundsatz durchtränkt sein müsse, dass sich gegenseitig Freude machen zum größten Glück für alle führe. Dann müssten durch eine Reform des Armenwesens, durch Bekämpfung des Alkoholismus, Verschaffung von Arbeitsgelegenheit und durch gesetzliche Beschränkung der Arbeitszeit den Erwachsenen die Gelegenheit zur Änderung ihres Lebens gegeben werden.

Wie viele utopische Lehren leidet auch wie diese an dem Fehler, dass sie einen Teil der Gesellschaft, die herrschende Klasse, außerhalb der gesellschaftlichen Einflüsse stellt, und von ihr – wie von einer Art höheren Macht – bewusstes, überlegtes Eingreifen erwartet. Aber diese Herrscher werden selbst, wie bewusstlos, durch die gesellschaftlichen Verhältnissen getrieben; die Macht zum bewussten Eingreifen muss als Prozess einer langen, qualvollen Entwicklung in dem sozialistischen Proletariat selbst heranwachsen. Solange davon nichts zu spüren ist, ist der Appell an die Mächtigen der einzige Ausweg, der aber notwendig zu Enttäuschungen führt. Die regierenden Klassen hörten Owen freundlich zu, priesen seine Schöpfung, taten aber nichts zur Verwirklichung seiner Ideen. Nur das erste Fabrikgesetz von Peel 1819 ist auf seine Einwirkung – neben der des erwachsenden Klassenkampfes – zurückzuführen.

Indem er seine Gedanken zur Erlösung der Arbeiterklasse aus ihrem Elend immer weiter ausarbeitete, musste er sich von selbst vom menschenfreundlichen Arbeitgeber zum Kommunisten entwickeln. In einem Rapport zur Abhilfe des Krisenelendes schlug er 1817 genossenschaftliche Arbeiterkolonien vor, in denen Fabrikbetrieb und Landwirtschaft vereinigt sein würden; durch Vorschüsse der Regierung errichtet, würden sie die Arbeitslosigkeit aufheben. Aber er bekam kein Geld; vielmehr entfremdeten sich die herrschenden Klassen infolge seiner rücksichtslosen Kritik auf geheiligte gesellschaftliche Einrichtungen immer mehr von ihm. Nachdem die nach seinen Ideen eingerichtete Arbeitsgenossenschaft in Ralahine (**) durch einen unglücklichen Zufall und die Kolonie New-Harmony in Amerika () an den inneren Mängel zu Grunde gegangen waren, trat er zu Anfang der dreißiger Jahre and die Spitze der englische Arbeiterbewegung. Eine gewaltige Streikbewegung kam empor, die Gewerkschaften wuchsen sprungweise, überall wurden Genossenschaften gegründet, die eine zentrale Börse zum Produktenaustausch errichteten. Aber nach mehreren verlorenen Streiks trat die Enttäuschung ein, die Bewegung brach zusammen, die Börse und viele Genossenschaften gingen zu Grunde.

Als die englische Arbeiterbewegung am Ende der dreißiger Jahre in der Chartistenbewegung wieder auflebte, stand Owen dieser politische Agitation schon fremd gegenüber. Ganz in den eigenen Ideen befangen, konnte er noch viel weniger das Emporkommen des wissenschaftlichen Sozialismus bemerken. Er sah nichts davon, dass die Arbeiterklasse neue Bahnen zur Erkämpfung des Sozialismus einschlug. Aber das Proletariat, namentlich das englische, verehrt ihn als einer seiner edelsten und trefflichsten Vorkämpfer, der sich seiner Sache annahm, als es noch schwach war, der immer sein treuesten Freund blieb, und dessen Ideen in vielen Punkten – Arbeiterschutzgesetzgebung, Genossenschaftswesen – heute noch mächtig nachwirken.

(ap)


Redaktionelle Anmerkungen

*) Robert Owen  (1771-1858), britischer Unternehmer und Frühsozialist.

**) Ralahine , townland in der Grafschaft Clare (Irland), das für sein kommunistisches Experiment im Jahr 1831 bekannt ist.

†) New Harmony , Indiana, gegründet 1814, erworben 1825 von Robert Owen.


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Compiled by Vico, corrected by T.K., 26 November 2024