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PhilisterangstQuelle: Philisterangst / A[nton]. P[annekoek]. – In: Zeitungskorrespondenz, Nr. 1, 1. Februar 1908 [BB] Die eindrucksvollen Demonstrationen, mit denen das Preußische Proletariat seinen Wahlrechtskamp eröffnet hat, haben alle seine offenen und versteckten Gegner auf die Beine gebracht. Die einen, die reaktionären Wahlrechtsfeinde, die eigentlichen Herrscher in Preußen, samt ihrer Blockfreunde glauben durch Drohungen dem Vorwärtsdrängen der Arbeiterklasse Einhalt gebieten zu können. Die Anderen, die in der Gewährung des allgemeine Wahlrechts ein Mittel zu Beschwichtigung der Volksempörung, also zu Sicherung des Kapitalismus erblicken, maßen sich als unsre angebliche Freunde an, uns gutgemeinte Ratschläge zu geben. Für das Wahlrecht kämpfen müsst ihr allerdings, so sagen sie; wir wollen ja selbst mit euch zusammen kämpfen; aber maßvoll, mit besseren, mit anständigeren Mitteln mußt ihr vorgehen. Bekanntlich fängt man mit einem Löffel Honig mehr Fliegen als mit ein Fass Essig; deshalb erreicht ihr mit Exzessen das grade Gegenteil von dem, was ihr wollt, und eure Straßendemonstrationen werden bloß die Reaktion stärken. Merkwürdig, dass Andere immer besser wissen wollen, wie wir unseren Kampf zu führen haben, als wir selbst, und dass sie uns ihren Rat aufdrängen, trotzdem sie durch ihre Methode ihre eigne Partei hoffnungslos festgefahren haben, während wir durch unsere Taktik unsere Partei immer mächtiger emporblühen sehen. Ihre Losung ist immer: sachte, sachte, damit die Herren nicht böse werden; immer nur fein geduldig, nicht fordern, nicht drängen, nicht hervortreten, sondern hübsch bescheiden bitten, dann bekommt man am meisten. Das stimmt – in der Kinderstube, wo nach dem alten pädagogischen Rezept diejenigen, die am lautesten fordern, nichts oder doch zuallerletzt etwas bekommen, weil man auf diese Weise den erfrischenden energischen Kinderwillen am besten für den konventionellen Anstand herzurichten hofft. Aber die Gesellschaft, in der sich die harten Klassenkämpfe abspielen, ist keine Kinderstube, und am allerwenigsten hat die regierende Klasse etwas von einer fürsorglichen Mutter an sich, so seht preussischer Untertanenkretinismus sie auch mit solchen Schmeicheleien beweihräuchern mag. Staatsräson ist keine Pädagogik, wenn auch in Preußen die Pädagogik zur Staatsräson verunstaltet wird. Nach dem Bilde, das die demonstrationsängstlichen Philister (*) von der herrschenden Klasse zeichnen, wäre diese also mit einem Esel zu vergleichen, der nicht vorwärts will, wenn man ihn prügelt, will er aber recht nicht und schlägt noch dazu mit den Hinterbeinen, wobei er womöglich noch unschuldige Umstehende verletzt. Es liegt etwas richtiges in diesem Vergleich, und sosehr uns die historische Erfahrung lehrt, dass solche Tiere doch immer am besten mit Schlägen vorwärtsgetrieben werden, so lehrt uns dieselbe Erfahrung, dass die Schläge die Bestie zuerst immer starrköpfiger und auch gefährlicher machen. Wollen wir damit die Richtigkeit des Angstgeschreis der liberalen Wahlrechtsfreunde zugeben, dass unsere Demonstrationen die Reaktion stärken könnten? Allerdings wollen wir das. Wir haben darin nur einen neuen Fall der alltbekannten Tatsache, dass unter dem Einflusse der emporsteigenden revolutionären Arbeiterbewegung die besitzende Klasse immer reaktionärer wird. Reaktion ist immer das Produkt der anfangenden Revolution, und erst die Volleindung der Revolution wird diese Reaktion vernichten. Solange es noch keine Arbeiterbewegung gibt und die bestehende Weltordnung als die einzig mögliche und die ewige erscheint, ziert die Bourgeoisie ihre Herrschaft mit schönen Phrasen wie Fortschritt und Freiheit und mit edlen politischen Formeln wie Gleichheit vor dem Gesetz, Volkssouveränität und Gleichberechtigung aller Bürger. Sobald jedoch die Proletarier ihre furchtbare Anklage ob ihres Elends erheben, dieser Gesellschaftsordnung den Krieg erklären und mit ihrem Endziel, dem Sturze des Kapitalismus, die besitzende Klasse erschrecken, ändert sich das Bild. Die Wahl zwischen Form und Wesen, zwischen dem Beibehalten eines schönen Scheines und dem Festhalten an der wenn auch hässlichen, für sie doch vorteilhaften Wirklichkeit, ist nicht schwer. Eine Klasse gibt ihre Vorrechte, ihre Herrschaft; ohne die sie sich die Welt nicht vorstellen kann, nicht freiwillig preis. Lieber lässt sie die Schlagwörter und die demokratischen Formen fallen und sucht ihre Klassenherrschaft durch Verherrlichung der Staatsgewalt und Unterdrückung der Volksmassen zu sichern. Dass eine Klasse sich ihrer Haut wehrt, ist natürlich; im Grunde bedeutet dieser Vorgang also nichts anderes als das Eingeständnis, dass die fortschrittlich-demokratischen Formen bloss zur schönen Hülle der nackten Bourgeoisherrschaft und des Volkselends dienten. Sobald sie mehr sein wollen, sobald sie ein Mittel zur Aufhebung dieser Herrschaft und zur Befreiung aus diesem Elend sein wollen, müssen sie fallen. Werden wir darüber klagen und wohl gar die ganze Arbeiterbewegung verwünschen, die diese Reaktion heraufbeschworen hat? So machen es die Liberalen, die sich mit dem Massenelend und der Lohnsklaverei ganz gut vertragen würden, wenn nur die Arbeiter ganz still, gehorsam und zufrieden blieben und sie selbst dabei ihre schönen und demokratischen Phrasen dreschen könnten. Wir aber wissen, dass nur Kampf gegen die herrschende Klasse uns befreien kann und dass wir dazu Macht brauchen. Mag das Bürgertum immer reaktionärer und arbeiterfeindlicher geworden sein, so sind wir doch zugleich immer mächtiger geworden an Zahl, an Einsicht und an Geschlossenheit unserer Organisation. Und das sichert uns den Sieg. So wie mit dem Klassenkampf im Allgemeinen ist es auch mit der besondren Episode des Klassenkampfes, den das preußische Wahlrechtskampf darstellt. Wir wissen, dass wir nicht heute oder morgen auf Erfolg zu rechnen haben; umgekehrt kann die Verweigerung gerade durch unser Vorgehen entschiedener werden und sogar zu einer gewaltsamen zeitweiligen Einschänkung der uns heute noch zur Verfügung stehenden politischer Rechte führen. Dass die herrschenden Klassen mit den ihnen zu Gebote stehenden Mitteln die Bewegung einzudämmen und einzuschüchtern versuchen ist vollkommen verständlich; leider wird alle Anstrengung ihnen nicht helfen; umgekehrt wird dadurch, wie jetzt schon durch die Polizeiattacken geschehen ist, die Erbitterung auch in zuvor unbeteiligten Kreisen steigen. Aber durch unsere Demonstrationen wird zugleich die Macht des Wahlrechtskampfes zunehmen; sie werden die bisher Gleichgültigen aufrütteln, die Zaghaften mit sich reißen, die Zweifler mit Zuversicht erfüllen und die an Zahl wachsenden Schaaren mit Zutrauen in die eigne Massenkraft und mit Enthusiasmus erfüllen. Daher sind die Demonstrationen für uns ein Kampfesmittel ersten Ranges und daher müssen wir sie anwenden. Sie steigern unsere Macht und dafür müssen wir und wollen wir gern mit in Kauf nehmen, dass ein paar Philister zur Reaktion flüchten und die nervösen Herrscher durch reaktionäre Gewaltstreiche die Volksbewegung vergebens niederzuhalten versuchen. Über das steigen der Reaktion wollen wir uns also keine grauen Haare wachsen lassen; es ist eine leidige, unangenehme aber verständliche Begleiterscheinung der steigenden Wahlrechtsbewegung. Die Leute, die uns von den Demonstrationen abhalten möchten, könnten uns mit demselben Rechte raten, die ganze Arbeiterbewegung aufzugeben, ruhig wieder ins alte Joch zu kriechen und demütig abzuwarten was der Gnade der Herrscher uns bescheren mag. Der Klassenkampf ist es, der ihnen Angst macht, und insoweit ist ihre Furcht vor den Straßendemonstrationen ganz verständlich, da sie auf dem richtigen Verständnis beruht, dass die Straßendemonstration eine spezifische Waffe des Proletariats ist und dass durch ihre Anwendung die Wahlrechtsbewegung zu einem richtigen Klassenkampf wird. Mögen die Wahlrechtsfreunde aus dem Bürgertum Angst bekommen um eine Verschärfung des Klassenkampfes, das Proletariat hat keine Ursache sich davor zu fürchten. Obgleich es lieber seine Ziele auf ruhige Weise erreichen möchte, hat es genug Verständnis für die Wirklichkeit, um einzusehen, dass der Klassenkampf das einzige Mittel ist, seinen großen Ideale zu verwirklichen. Und durch die Philisterangst wird es sich am allerwenigsten davon abhalten lassen. (ap) Redaktionelle Anmerkung*) Philister (Duden): kleinbürgerlich-engstirnige männliche Person; Spießbürger. © Obgleich die Kommunistische Linke im Allgemeinen keine Urheberrechte bzw. „intellektuelle Eigentumsrechte“ für sich eingefordert hat, können einige Veröffentlichungen auf dieser Webseite urheberrechtlich geschützt sein. In diesem Fall steht ihr Gebrauch nur zum Zweck persönlichen Nachschlags frei. Ungeschütztes Material kann für nicht-kommerzielle Zwecke frei und unentgeltlich verbreitet werden. Wir sind Ihnen erkenntlich für Ihren Quellenhinweis und Benachrichtigung. Bei beabsichtigter kommerzieller Nutzung bitten wir um Kontaktaufnahme. Compiled by Vico, corrected by T.K., 2 Dezember 2024 |
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