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Thema: Proletarischer InternationalismusInternationalismusQuelle: Internationalismus / A[nton]. P[annekoek]. – Zeitungskorrespondenz, Nr. 18, 30. Mai 1908 [Bremer Bürgerzeitung, Leipziger Volkszeitung] Der schlimmste Vorwurf, den die herrschenden Klassen dem sozialistischer Proletariat machen, ist der seines Internationalismus. „Vaterlandslose Gesellen“ war das Schimpfwort, das uns am meisten in dem Ansehen der ehrenhaften Bürger herabsetzen sollte. Trotzdem fängt auch unter der Bourgeoisie, wenigstens unter ihren ideologischen Vertretern, dann und wann ein Drang nach Internationalität sich zu regen an. Vor Jahren plädierte ein russischer Schriftsteller für einen europäischen Staatenbund unter dem Präsidium des Zaren; neulich redete Roosevelt (*) auf einer Zusammenkunft von Vertretern aller amerikanischen Staaten von einer Flutwelle des Internationalismus, die über die Erde hinziehe; an dieses Wort knüpft der Marburger Professor Schücking in Berliner Tageblatt an, um den Zusammenschluss der Nationen zu einer Staatenrepublik zu befürworten. „Die Zukunft gehört dem Internationalismus“. Aber leider „sind wir national bis auf die Knochen, zu einer Zeit, wo die übrige Kulturwelt schon anfängt, international zu werden“. Solche, wenn auch nur vereinzelte Äußerungen weisen darauf hin, dass sich eine Änderung der ökonomischen Verhältnisse vollzieht. Was war der Grund des bisherigen Nationalismus der Bourgeoisie? Zwischen den national organisierten Bourgeoisien der verschiedenen Länder besteht ein Gegensatz der Interessen, die sie oft mit den Waffen gegeneinander verteidigen müssen. Die Nation ist der Verband, der das Gemeininteresse der Klasse vertritt; daher ist das Vaterland das Einzige, wofür die Bourgeoisie eine ideale Gesinnung hegen könnte. Dagegen besteht für das Proletariat der Interessengegensatz zu anderen Nationen nicht. Überall hat das Proletariat nur einen einzigen Feind: seine eigne nationale Bourgeoisie. Die Arbeitsgemeinschaft, die das Proletariat errichten will, kennt nur nationale Verschiedenheiten, keine nationalen Gegensätze; die sozialistische Gesellschaftsordnung bringt notwendig Frieden und Brüderschaft zwischen den Völkern mit sich. Der Gegensatz zwischen der nationalen Gesinnung der Bourgeoisie und der internationalen Gesinnung des Proletariats beruht also auf den wirtschaftlichen Verhältnissen; auf dem ökonomischen Interesse der beiden Klasse. Aber die ökonomische Entwicklung der Welt ist mit Riesenschritten vorwärts geeilt. Die moderne Entwicklung des Kapitalismus hat die altbewährten Formen ihrer Zweckmäßigkeit beraubt. Die neuen wirtschaftlichen Verhältnisse geraten in Widerspruch mit der politischen Kleinstaaterei Europas. Das Interesse der Bourgeoisie wächst über die nationalen Schranken hinaus und rüttelt an der alten Ideologie. An der anderen Seite des Atlantischen Ozeans ist ein kapitalistischer Riesenstaat entstanden, ein ganzer Weltteil als eine ökonomische Einheit, ein zweites Europa ohne dessen nationale Zersplitterung. Er bedroht das alte Europa durch seine wirtschaftliche Überlegenheit; die bloße Nachricht, dass er sich anschickt, seine ungeheuren Vorräte an Rohstoffen und Produkten hinterherzuschicken, wirkt wie ein Panik in der europäischen Geschäftswelt. Wie kann sich das zersplitterte Europa dem überlegenen Konkurrenten anders erwehren, als durch Aufgeben seiner nationalen Eifersüchteleien, durch eine europäische Zollunion, wie sie von weiter blickenden Politikern schon seit Jahren befürwortet wurde? Und an der anderen Seite, in Asien, erwachsen riesige Weltreiche aus dem jahrtausendelangen Schlummer. Der mongolische Agrarstaat China, an Menschenzahl ganz Europa fast gleichkommend, fängt an, sich kapitalistisch zu entwickeln. Hier erwachsen der europäische Bourgeoisie Rieseninteressen; hier liegen ganz andere Interessensphären als die sorgfältig durch farbige Linien auf der Karte abgegrenzten afrikanischen Wüsten und Urwälder. Im Erwachen Chinas hat die Bourgeoisie ganz Europas ein gemeinsames Interesse als Lieferant von Produktionsmitteln und vor allem von Kapital. Gegen diese gewaltigen Interessen müssen die Gegensätze und die Streitigkeiten der europäischen Länder, die aus der Zeit stammen wo West-Europa noch die ganze Welt war (**), als kleinliche Dorfkrakeele erscheinen, die die anderweitig nötige Kraft nutzlos vergeuden. Die Ausdehnung des Kapitalismus über den ganze Erdkugel macht größere Interessengemeinschaften nötig als die alten Nationalstaaten; Weltteile müssen es sein. Das ökonomische Interesse der Bourgeoisie ist unter solchen Umständen gerade so wenig durch unsere Nationalstaaten Deutschland, Italien, Frankreich zu vertreten, wie ehedem durch Hessen oder Sachsen-Altenburg. Diese neuen ökonomischen Verhältnisse liegen dem Sehnen nach internationalem Zusammenschluss bei weitblickenden Ideologen der Bourgeoisie zu Grunde. Sie bedauern die nationale Beschränktheit, den nationalen Dünkel und den Hader, die einen engeren Zusammenschluss verhindern. Vor Allem verwünschen sie die auswärtige und die Zollpolitik Deutschlands, die das schlimmste Hindernis bilden und Deutschland immer als den zanklustigen Störenfried auftreten lassen. Aber es bleibt überall bei einigen vereinzelten Ideologen; und diese Tatsache beweist schon,dass eine Streitsucht der deutschen Regierer nicht die Grundursache davon sein kann, daß aus dem schönen Ideal nichts wird. Trotz aller ökonomischen Entwicklung bleibt der Nationalismus Trumpf; die Masse des Bürgertums will vom Internationalismus nichts wissen. Das beweist, dass neben den internationalen die Bourgeoisie noch immer viel stärkere nationale Interessen hat. Allein diese nationalen Interessen haben einen ganz anderen Charakter wie früher. Heute ist der Nationalismus der Bourgeoisie nicht mehr in erster Linie ein Ausdruck ihrer ökonomischen, sondern ihren Klasseninteressen. Nicht mehr wegen ihres Gegensatzes zum Proletariat ist sie national. Denn die nationale Ideologie ist die Einzige, noch wirksame Waffe gegen den Sozialismus; die nationale Phrase ist das einzige, was noch im Stande ist, so etwas wie Begeisterung im Kampfe gegen den Umsturz hervorzurufen. Deshalb muss die Bourgeoisie national bleiben, sogar auf Kosten ihrer unmittelbaren wirtschaftlicheren Interessen. Es ist nicht das erste Mal, dass in dem Widerspruch zwischen ökonomischem Interesse und Klasseninteresse das erste dem zweiten weichen muss. In Deutschland hat schon längst die Bourgeoisie aus Furcht vor dem Proletariat sich den Junkern und Fürsten unterworfen und sich damit zufriedengegeben, dass diese regieren und fette Brocken für sich aus dem Mehrwert wegnehmen. In ähnlicher Weise wird auch die europäische Bourgeoisie nicht im Stande sein, sich auf die Höhe ihrer eigenen ökonomischen Interessen zu stellen; zu schwer wiegt ihr die Furcht, alles zu verlieren. Deshalb ist es kein Zufall, dass gerade die deutsche Politik das dauernde Einvernehmen der europäischen Staaten stört, und die deutschen Philister Nationalisten sind. Die von feudalen Anschauungen beherrschte deutsche Regierung verkörpert erst in zweiter Linie das ökonomische Interesse gegenüber dem Ansturm des Proletariats. Wirklich international sein ist der Bourgeoisie versagt, weil ihr Gegner, das Proletariat es ist; ihr Internationalismus bleibt auf einige Phrasen vereinzelter Ideologen beschränkt. Erst, wenn das Proletariat die Herrschaft erobert, die Klassengegensätze und die Ausbeutung aufhebt, kann der Internationalismus zur Wirklichkeit werden. (ap) Redaktionelle Anmerkungen*) Theodore Roosevelt (1858-1919), Amerikanischer republikanischer President von 1901 bis 1909. **) Gemeint: kapitalistische Welt. © Obgleich die Kommunistische Linke im Allgemeinen keine Urheberrechte bzw. „intellektuelle Eigentumsrechte“ für sich eingefordert hat, können einige Veröffentlichungen auf dieser Webseite urheberrechtlich geschützt sein. In diesem Fall steht ihr Gebrauch nur zum Zweck persönlichen Nachschlags frei. 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