Home | Contact | Links       
Antonie Pannekoek Archives

  ca | en | fr | nl



Thema: Entwicklung in Natur und Gesellschaft


Marxismus und Darwinismus / Anton Pannekoek, 1909


Quelle:  Marxismus und Darwinismus : Ein Vortrag von Anton Pannekoek. – Leipzig : Verlag der Leipziger Buchdruckerei A.G., 1909. – 44 S.
Niederländisch 1909 (mit zu übersetzenden Anmerkungen), Estnisch 1910, Englisch 1912, Ukrainisch 1919, Spanisch 1937, Rumänisch 1945, Französisch 2009. Quelle pdf: University library “Svetozar Markovic” , Belgrade.


Der Darwinismus

Es gibt wohl kaum zwei Namen von Forschern, die in so hohem Maße das Geistesleben der Menschen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts beherrschen, als die Namen Darwin und Marx. Ihre Lehren haben eine Umwälzung der Weltanschauung der großen Massen hervorgerufen. Ihre Namen sind schon seit vielen Jahrzehnten in jedem Munde, ihre Lehren, stehen im Mittelpunkt der geistigen Kämpfe, die die heutigen gesellschaftlichen Kämpfe begleiten. Die Ursache dafür liegt in erster Linie in dem hohen, wissenschaftlichen Gehalt dieser Lehren.

Die wissenschaftliche Bedeutung sowohl des Marxismus wie des Darwinismus besteht in der Durchführung des Entwicklungsprinzips, hier auf dem Gebiete der organischen Welt, der Lebewesen, dort auf dem Gebiete der Gesellschaft. Nun war dieses Prinzip keineswegs neu; es war schon früher vertreten worden und der Philosoph Hegel hatte es sogar in den Mittelpunkt seiner Philosophie gestellt. Deshalb ist es nötig, näher anzugeben, worin die Leistungen von Darwin und Marx auf diesem Gebiete bestanden.

Die Lehre, dass die Pflanzen und Tiere sich auseinander entwickelt haben, stammt erst aus dem letzten Jahrhundert. Früher wurde aus diese Frage, woher alle Tiere und Pflanzen kommen, die wir zu Tausenden und Hunderttausenden verschiedener Arten kennen, die Antwort gegeben: bei der Weltschöpfung hat Gott sie alle, jedes nach seiner Art, erschaffen. Diese primitive Theorie war in Übereinstimmung mit der Erfahrung, wonach die bekannten Tiere und Pflanzen sich, nach den ältesten Nachrichten zu urteilen, immer genau gleichgeblieben waren. Wissenschaftlich wurde diese Erfahrung in dem Satz ausgedrückt, dass alle Arten unveränderlich sind, weil die Eltern immer ihre Eigenschaften auf die Kinder vererben.

Nun gab es aber einige Eigentümlichkeiten bei den Pflanzen und Tieren, die allmählich zu einer anderen Auffassung drängten. Sie ließen sich so schön zu einem System ordnen, das zuerst vom schwedischen Naturforscher Linné aufgestellt wurde. Darin werden die Tiere in Hauptabteilungen, diese in Klassen, die Klassen in Ordnungen, die Ordnungen in Familien und die Familien in Gattungen geteilt, deren, jede mehrere Arten enthält. Je mehr sie in Eigenschaften übereinstimmen, um so näher stehen sie einander im System, einer um so kleineren Gruppe gehören sie zusammen an. Alle Tiere, die zur Klasse der Säugetiere gehören, zeigen denselben allgemeinen Charakter im Bau des Körpers. Nach untergeordneteren Merkmalen unterscheiden sich die Haustiere, die Raubtiere, die Affen voneinander, die jede eine Ordnung bilden. Die Bären, Hunde und Katzen, die alle Raubtiere sind, haben dabei viel mehr Gemeinsames im Körperbau, als sie mit den Pferden oder den Affen haben. Noch viel genauer ist die Übereinstimmung zwischen den einzelnen Arten derselben Gattung: Katze, Tiger und Löwe sind einander in vielen Einzelheiten ähnlich, worin sie von den Hunden und Bären verschieden sind. Geht man nun von den Säugetieren zu anderen Klassen, wie zu den Vögeln oder den Fischen, so begegnet man schon viel größeren Unterschieden, als innerhalb einer einzelnen Klasse. Dennoch bleibt ein gemeinsamer Grundplan im Körperbau, das Knochengerüst und die Rückenlage des Nervensystems, bestehen. Dieser verschwindet erst, wenn man von dieser Hauptabteilung, die alle Wirbeltiere umfasst, zu den Weichtieren, den Gliedertieren, oder den Polypentieren geht.

So lässt sich die ganze Tierwelt gleichsam in Schubläden und Fächern einteilen und ordnen. Es ist keine Willkür, sondern Ordnung vorhanden. Wäre jede Tierart völlig unabhängig von allen anderen erschaffen worden, so wäre dafür kein Grund vorhanden. Dann wäre nicht einzusehen, weshalb es auch keine Säugetiere mit z.B. sechs Pfoten gebe. Man müsste dann annehmen, dass der Schöpfer bei der Schöpfung sich zuvor das geordnete Linnesche System in seinem Geiste als Muster, als Vorlage genommen hätte. Aber eine andere Erklärungsweise bot sich nun auch dar. Die Verwandtschaft des Baues bei den Tieren könnte auch einer wirklichen Familienverwandtschaft entspringen. Nach dieser Auffassung ist die größere oder geringere Übereinstimmung in Eigenschaften ein Zeichen der engeren oder weiter abliegenden Familienverwandtschaft, ähnlich wie Geschwister einander mehr gleichen als weitere Verwandte. Die Tierarten sind dann nicht einzeln erschaffen worden, sondern sie stammen voneinander ab. Sie bilden einen Stammbaum, der, mit einfach gebauten Urtieren anfangend, sich immer weiter verästelt, und deren kleinsten letzten Zweige die bestehenden Arten darstellen. Alle Katzenarten stammen von einer Urkatze, die neben einem Urhund und Urbär von einem ursprünglichen ersten Raubtiertypus abstammte. Das Urraubtier, das Urhaustier, der Uraffe sind alle in noch älterer Zeit aus einem primitiven Ursäugetier entstanden, und so immer weiter zurück.

Diese Abstammungslehre wurde in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts namentlich von Lamarck und von Geoffroy St. Hilaire verfochten. Aber sie fand keine allgemeine Zustimmung. Sie blieb ein geistvoller Gedanke, aber nicht mehr. Ihre tatsächliche Richtigkeit konnte von diesen Gelehrten nicht bewiesen werden; sie blieb eine Hypothese, eine Annahme. Als dagegen Darwin 1859 mit seinem Hauptwerk „Die Entstehung der Arten“ ans Licht trat, schlug es wie ein zündender Blitz ein, und eroberte es bald unter der Masse der Gelehrten und Gebildeten das Ansehen einer erwiesenen wissenschaftlichen Wahrheit. Seitdem ist die Abstammungslehre untrennbar mit dem Namen Darwins verbunden. Woran lag das?

Zum Teil lag es daran, dass sich immer mehr Erfahrungsmaterial zur Stütze dieser Lehre angehäuft hatte. Man hatte Tiere kennen gelernt, die sich nicht gut in das System einreihen ließen, wie eierlegende Säugertiere, Lungenfische und wirbellose Wirbeltiere; die Abstammungslehre erklärte sie einfach als übriggebliebene Übergangsformen zwischen den Hauptgruppen. Bei dem Durchwühlen der Erdschichten wurden immer mehr Überreste vorweltlicher Tiere gefunden, die anders aussahen als die heutigen; zum Teil erwiesen sie sich als Stammsorten der heutigen Tiere, zum Teil zeigten sie auch in den nacheinander kommenden Formen gerade eine solche Reihe, als ob die ältesten sich allmählich zu den späteren umgebildet hätten. Dann war auch die Zellentheorie gegründet worden; jede Pflanze, jedes Tier besteht aus Millionen Zellen und hat sich aus einer einzigen Eizelle durch unaufhörliche Teilung und Differenzierung gebildet; danach konnte auch der Gedanke, diese höheren Organismen seien von primitiven einzelligen Wesen abgestammt, nicht mehr so seltsam erscheinen.

Aber alle diese neuen Erfahrungen konnten doch nicht die Theorie zu einer feststehenden Wahrheit erheben. Der unmittelbarste Beweis für ihre Richtigkeit hätte darin bestanden, dass tatsächlich eine Umänderung einer Tierart zu einer anderen Art sich vor unseren Augen sichtbar vollzöge. Aber eine solche Beobachtung ist ausgeschlossen. Wie ist es dann überhaupt möglich, zu beweisen, dass die Tierarten sich wirklich zu neuen Formen umbilden? Dadurch, dass die Ursache, die Triebkraft zu einer solchen Umbildung aufgedeckt wird. Das hat Darwin getan. Darwin hat den Mechanismus der tierischen Entwicklung aufgedeckt und dadurch nachgewiesen, dass unter bestimmten Verhältnissen sich aus Tierarten notwendig andere Tierarten entwickeln müssen. Diesen Mechanismus gilt es jetzt darzulegen.

Seine erste Grundlage bildet das Wesen der Vererbung, die Tatsache, dass zwar die Eltern ihre Eigenschaften auf die Kinder vererben, dass aber zugleich die Kinder in Einzelheiten immer von den Eltern und voneinander abweichen. Daher sind die Tiere derselben Art einander nicht völlig gleich, sondern sie weichen nach allen Seiten etwas vom Durchschnittstypus ab. Ohne diese sogenannte Veränderlichkeit wäre es überhaupt unmöglich, dass sich eine Tierart je zu einer anderen umändert. Zu einer solchen neuen Artbildung ist dann nur weiter nötig, dass eine bestimmte Änderung gegen den Mitteltypus immer größer wird, immer weiter in derselben Richtung geht, bis sie so groß geworden ist, dass das Tier nicht mehr zu der früheren Art gehört. Wo ist aber die Kraft, die eine solche immer weitergehende Änderung in derselben Richtung hervorrufen könnte?

Lamarck hatte sie aus dem Gebrauch und der stärkeren Übung bestimmter Organe erklärt, wodurch diese immer vollkommener werden. So wie bei einem Menschen die Beinmuskeln durch das viele Laufen kräftig werden, so hat der Löwe seine starken Muskeln, der Hase seine schnellen Füße durch den Gebrauch erworben. So haben auch die Giraffen ihren langen Hals dadurch bekommen, dass sie, um die Baumblätter, die sie fressen, erreichen zu können, mit dem Kopfe immer höher zu reichen suchen und dabei den Hals ausdehnen. Dadurch wurde der Hals immer länger und hat sich aus irgendeinem kurzhalsigen, antilopenähnlichen Tier die seltsame langhalsige Giraffe entwickelt. Diese Erklärung musste manchem unglaublich erscheinen, und zu einer Erklärung der grünen Farbe des Landfrosches z.B., die dem Tier als Schutzfarbe so trefflich zustatten kommt, reichte sie nicht aus.

Darwin zog zur Lösung derselben Frage ein anderes Gebiet der Erfahrung hinzu. Die Tierzüchter und Gärtner sind imstande, immer neue und bestimmte Rassen und Varietäten künstlich zu züchten. Will ein Gärtner von irgendeiner Pflanze eine Varietät mit großen Blüten züchten, so braucht er nur von dem ganzen Beet alle kleinblütigen Pflanzen vor dem Aufgehen zu vernichten und die Pflanzen mit den größten Blüten allein stehen zu lassen. Wiederholt er dies jedes Jahr, so werden die Blüten immer größer, denn jedes Geschlecht ist im Durchschnitt den großblütigen Eltern gleich, und was davon erhalten bleibt, hat also jedes Mal größere Blüten als die vorige Generation. Durch dieses Verfahren, zum Teil unbewusst, zum Teil mit Bewusstsein gehandhabt, haben die Menschen bei den Haustieren und den Kulturpflanzen eine Unmenge von Rassen gezüchtet, die von ihrer Stammform oft mehr verschieden sind, als wilde Arten sich voneinander unterscheiden.

Stellte man einem Tierzüchter die Aufgabe, aus einer kurzhalsigen Antilopenart ein langhalsiges Tier zu züchten, so könnte ihm die Sache im Prinzip gar nicht unmöglich erscheinen. Er brauchte nur immer die Exemplare mit den längsten Hälsen zu behalten, sie miteinander zu kreuzen und alle anderen, bevor sie erwachsen sind, zu beseitigen. Wiederholt er dies bei jeder folgenden Generation, so muss der Hals immer länger werden und muss in solcher Weise ein giraffenähnliches Tier entstehen.

Hier wird das Resultat erhalten, weil ein bewusster Wille mit Absicht ein bestimmtes Ziel ins Auge fasst und danach die zum Züchten bestimmten Tiere auswählt. Ein solcher ist aber in der Natur nicht vorhanden. In der Natur müssen sich also die nach allen Richtungen vorkommenden Abweichungen gegenseitig wieder aufheben, so dass keine sich immer mehr vergrößern kann. Oder, wenn dies nicht zutrifft, wo ist dann die Kraft in der Natur, die eine Auswahl trifft?

Darwin hat lange vor diesem Problem gestanden, bevor er die Lösung in dem Kampf ums Dasein fand. In dieser Theorie spiegelt sich die Zeit, die Produktionsordnung, worin er lebte, wider; denn der kapitalistische Konkurrenzkampf war es, der ihm als Vorbild zu dem Daseinskampf in der Natur diente. Nicht aus eigener unmittelbarer Beobachtung, sondern mittelbar aus einem Werke des Ökonomen Malthus bot er sich ihm dar. Malthus versuchte die Tatsache, dass in der bürgerlichen Welt viel Elend und Hunger herrscht und viele in dem Konkurrenzkampf zugrunde gehen, daraus zu erklären, dass die Bevölkerung immer rascher wächst als die Menge der vorhandenen Lebensmittel. Für alle sei also keine Nahrung da; sie müssen deshalb miteinander um die Existenz kämpfen, wobei eine große Anzahl elend zugrunde gehen muss. Durch diese Theorie wurden sowohl die kapitalistische Konkurrenz wie das Elend für ein unvermeidliches Naturgesetz erklärt. Darwin teilt in seiner Autobiographie mit, dass dieses Werk ihn auf den Gedanken des Kampfes ums Dasein brachte:

„Im Oktober 1838, also fünfzehn Monate, nachdem ich meine systematische Untersuchung angefangen hatte, las ich zufällig zu meiner Erholung das Werk von Malthus: über die Bevölkerung; und da ich lange die Lebensweise der Tiere und Pflanzen beobachtet hatte, war ich gut vorbereitet, um den Kampf ums Dasein, der überall stattfindet, richtig zu würdigen; und es fiel mir sofort auf, dass unter solchen Umständen nützliche Abweichungen Aussicht haben würden, bewahrt zu bleiben, und schädliche, um zugrunde zu gehen. Das Ergebnis würde dabei die Bildung einer neuen Art sein. Hier hatte ich also endlich eine Theorie bekommen, womit ich weiterarbeiten konnte.“

Für die Tiere ist es eine Tatsache, dass durch die Geburten ihre Anzahl rascher wächst, als die vorhandene Nahrung zulässt.

„Es gibt keine Ausnahme zu der Regel, dass alle organischen Wesen in natürlicher Weise so rasch an Zahl zuzunehmen streben, dass die Erde bald durch die Nachkommen eines einzigen Paares überdeckt wäre, wenn sie nicht vernichtet würden.“ Daher muss ein heftiger Kampf ums Dasein entstehen. Jedes Tier versucht am Leben zu bleiben dadurch, dass es selbst immer zu fressen findet und nicht von anderen gefressen wird. Es kämpft mit seinen besonderen Eigenschaften und Waffen gegen die ganze feindliche Welt: gegen die ihm nachstellenden Raubtiere, gegen Kälte, Dürre, Hitze, überschwemmungen und alle sonstigen Naturereignisse, die es zu verderben drohen. Vor allem kämpft es gegen seine Artgenossen, die dieselbe Lebensweise, dieselben Waffen und Vermögen, dieselbe Nahrung und dieselben Feinde haben. Natürlich ist dieser Kampf kein unmittelbarer; der Hase kämpft nicht unmittelbar mit dem Hasen, der Löwe mit dem Löwen – außer in dem Kampf um die Weibchen –, sondern dieser Kampf ums Dasein ist ein Wettkampf, ein Konkurrenzkampf. Alle können nicht das erwachsene Alter erreichen, die meisten müssen zugrunde gehen und nur diejenigen, die im Wettkampfe siegen, bleiben übrig. Welche sind es, die in diesem Wettkampfe siegen? Diejenigen, die durch ihre Eigenschaften, durch ihren Körperbau am besten Nahrung finden und am besten den Feinden zu entkommen wissen, die also für die bestehenden Lebensverhältnisse am günstigsten gebaut sind. Die Passendsten werden die überlebenden sein. Der Kampf ums Dasein bewirkt eine Naturauslese. „Weil immer mehr Individuen einer Art geboren werden, als am Leben bleiben können und daraus immer aufs neue ein Kampf, wer bestehen bleiben soll, entbrennen muss, versteht es sich, dass ein Wesen, das sich auch nur in einer einzigen Hinsicht zu seinem Vorteil über seine Artgenossen auszeichnet, die meiste Aussicht haben wird, die anderen zu überleben, und also durch die Natur selbst für die Züchtung auserwählt wird. Und da die Abweichungen vererbt werden, ist dieses auserlesene Individuum die Ursache davon, dass die Rasse in solcher neuen, abgeänderten Form bestehen bleibt.“

Hier hat man also eine andere Erklärung für das Entstehen einer Giraffe. Wenn in einer Gegend kein Gras wächst, müssen die Tiere sich von Baumblättern nähren, und alle, deren Hals zu kurz ist, um sie zu erreichen, gehen zugrunde. Die Natur selbst trifft eine Auswahl und lässt immer nur die Tiere mit den längsten Hälsen bestehen. In übereinstimmung mit der Zuchtwahl, die ein Gärtner oder Tierzüchter trifft, nannte Darwin diesen Prozess die „natürliche Zuchtwahl“.

Dieser Prozess muss nun notwendig immer neue Tierarten erzeugen. Denn da von einer Art immer zu viel Exemplare geboren werden, versuchen sie sich fortwährend über die Grenzen ihres bisherigen Gebietes hinaus auszubreiten. Was im Walde lebt, geht in die Ebene, was auf dem Lande lebt, ins Wasser, was auf dem Boden lebt, klettert auf die Bäume, um in neuen Verhältnissen Lebensunterhalt zu finden. In diesen neuen Verhältnissen erweisen sich Anlagen und Änderungen als nützlich, die es vorher nicht waren, und sie verstärken sich; die Organe ändern sich mit der Lebensweise um, sie passen sich den neuen Verhältnissen an, und aus der alten Art wird eine neue Form gezüchtet. Bringen die tausenderlei Lebensbedingungen auf Erden schon tausenderlei ihnen angepasste Tierformen mit sich, so erzeugt das fortwährende Übersiedeln bestehender Arten in neue Verhältnisse, dass diese Formenzahl sich noch verhundertfacht.

Erklärt die Darwinsche Theorie in dieser Weise die gemeinsame Abstammung der Tiere, ihre Umwandlung und Entstehung aus primitiven Lebewesen, so erklärt sie zugleich die wunderbare Zweckmäßigkeit, die wir überall in der Natur antreffen. Früher konnte man sie nur aus der weisen Fürsorge des Schöpfers erklären; hier bot sich ihr natürliches Entstehen ganz von selbst dar. Denn diese Zweckmäßigkeit ist nichts anderes als Anpassung an die Lebensbedingungen. Jedes Tier, jede Pflanze ist den vorhandenen Verhältnissen genau angepasst, weil alle diejenigen, die weniger zweckmäßig gebaut, weniger angepasst sind, im Kampfs ums Dasein ausgerottet werden. Der grüne Laubfrosch, einmal aus dem braunen Frosch entstanden, muss die grüne Schutzfarbe behalten, weil jedes Exemplar, das davon abweicht, leichter von den Feinden und den Insekten gesehen und vernichtet wird oder nicht so leicht Nahrung findet.

In solcher Weise zeigte Darwin zum ersten Male, dass sich immer neue Arten aus den alten bilden mussten. Damit gewann die Abstammungslehre, die zuvor nur eine wahrscheinliche Schlussfolgerung aus vielen Einzelerscheinungen war, die sich nicht gut anders erklären ließen, auf einmal die Sicherheit einer notwendigen Folge bestimmter nachweisbarer Kräfte. Darin lag eine der Hauptursachen, weshalb sie so rasch die wissenschaftlichen Diskussionen und die öffentliche Aufmerksamkeit beherrschte.

Der Marxismus

Wenden wir uns jetzt zum Marxismus, so bietet sich sofort eine große Übereinstimmung dar. Ähnlich wie bei Darwin besteht die wissenschaftliche Bedeutung von Marx darin, dass er die Triebkraft, die Ursache, den Mechanismus der gesellschaftlichen Entwicklung aufgedeckt hat. Dass eine solche Entwicklung stattfand, brauchte er damit allerdings nicht zu beweisen; jeder wusste, dass von der ältesten Zeit an immer wieder neue Gesellschaftsformen die früheren abgelöst hatten. Aber die Ursache dieser Entwicklung, also auch ihr Ziel, war nicht bekannt.

Marx ging bei seiner Theorie von der Erfahrung seiner Zeit aus. Die große politische Umwälzung, die die damalige politische Gestalt Europas gebildet hatte, die französische Revolution, war allgemein als ein Kampf der Klassen bekannt. Jeder wusste, dass sie im Grunde nichts als ein Kampf des Bürgertums gegen Adel und Königtum um die Herrschaft gewesen war. Nachher waren schon neue Klassenkämpfe entstanden; in England beherrschte der Kampf der industriellen Bourgeoisie gegen die Grundbesitzer die Politik, und zugleich empörte sich schon die Arbeiterklasse gegen die Bourgeoisie. Was waren nun diese Klassen? Worin unterschieden sie sich? Marx wies nach, dass diese Klassen sich durch ihre verschiedenen Funktionen im Produktionsprozess unterscheiden. Nicht Standesvorrechte, nicht Geldbesitz, sondern lediglich die Rolle, die sie in dem gesellschaftlichen Produktionsprozess spielen, bestimmt die Zugehörigkeit der Menschen zu den verschiedenen Klassen. Aus dieser Produktion stammen sie, diese bestimmt ihr Wesen, ihren Charakter. Die Produktion ist nichts anderes, als der gesellschaftliche Arbeitsprozess, wodurch sich die Menschen aus der Natur ihre Mittel zum Leben erzeugen. Diese Produktion der materiellen Lebens bedürfnisse bildet die Grundstruktur der Gesellschaft, die die politischen Verhältnisse, die gesellschaftlichen Kämpfe, die Formen des Geisteslebens bestimmt.

Die Formen dieser Arbeit haben sich nun im Laufe der Zeit immer fort umgewälzt. Woher kam diese Änderung? Die Formen der Arbeit, die Produktionsverhältnisse hängen von den Werkzeugen ab, womit gearbeitet wird, von der Technik, von den Produktivkräften im allgemeinen. Weil im Mittelalter mit kleinen Werkzeugen und jetzt mit großen Machinen gearbeitet wird; deshalb herrschte damals Kleinhandwerk und Feudalismus und jetzt Großkapitalismus; deshalb waren damals Feudaladel und Kleinbürgertum, und sind jetzt Bourgeoisie und Proletariat die wichtigsten Klassen.

Die Entwicklung der Werkzeuge, der technischen Hilfsmittel, worüber die Menschen verfügen, bildet also die Grundursache, die Triebkraft für die ganze gesellschaftliche Entwicklung. Die Menschen sind selbstverständlich bestrebt, ihre Werkzeuge zu verbessern, damit die Arbeit leichter und ergiebiger wird, und die Praxis des Werkzeuggebrauchs, die Arbeit selbst, führt ihre Gedanken immer auf solche neue Verbesserungen. Dadurch findet ein stetiger, langsamerer oder rascherer Fortschritt der Technik statt, die die gesellschaftlichen Formen der Arbeit zugleich umwälzt. Neue Produktionsverhältnisse, neue gesellschaftliche Einrichtungen entstehen und neue Klassen steigen empor. Damit entstehen zugleich gesellschaftliche, d.h. politische Kämpfe. Denn die Klassen, die unter einer alten Produktionsordnung herrschen, versuchen deren Einrichtungen künstlich instand zu halten. Dagegen suchen die neu aufsteigenden Klassen die neue Produktionsweise zu fördern; indem sie den Klassenkampf gegen die zuvor herrschende Klasse führen und diese besiegen, schaffen sie der neuen Produktionsweise freie Bahn und damit auch der ungehemmten Weiterentwicklung der Technik.

So hat die Marxsche Theorie die Triebkraft und den Mechanismus der gesellschaftlichen Entwicklung aufgedeckt. Damit wurde bewiesen, dass die Geschichte kein regelloses Durch- und Nacheinander verschiedener Gesellschaftsformen darstellt, sondern eine regelmäßige Entwicklung, die im Ganzen einer bestimmten Richtung folgt. Damit wurde zugleich bewiesen, dass die gesellschaftliche Entwicklung mit der heutigen Ordnung nicht aufhört, denn immer wird sich die Technik auch in der Zukunft zu höherer Vollkommenheit entwickeln.

In dieser Weise haben beide Lehren, der Darwinismus und der Marxismus, der eine in der organischen Welt, der andere in der menschlichen Gesellschaft, dass Entwicklungsprinzip zu einer festbegründeten Wissenschaft erhoben und zum siegreichen Durchbruch verholfen. Damit haben sie die Entwicklungslehre zur Grundlage der Weltanschauung der weitesten Bevölkerungskreise gemacht.

Der Marxismus im Klassenkampf

Aber das liegt nicht allein an der wissenschaftlichen Bedeutung dieser Lehren. Allerdings muss eine Lehre einen großen wissenschaftlichen Wert haben, soll sie wirklich auf die Dauer die Anschauungen der Menschen beherrschen. Aber dieser allein genügt nicht. Es ist schon oft vorgekommen, dass eine wissenschaftliche Lehre für die Wissenschaft von allerhöchster Bedeutung war, und dennoch außer eines kleinen Gelehrtenkreises kaum einige Aufmerksamkeit fand. So bildet die Newtonsche Lehre der Anziehungskraft das Fundament der Astronomie, worauf alle unsere Kenntnisse und Vorhersagungen am Himmel beruhen. Und doch fand sie bei ihrem Erscheinen kaum einige Anhänger unter den englischen Gelehrten, und erst ein halbes Jahrhundert nachher wurde sie durch eine populäre Schrift Voltaires in weiteren Kreisen bekannt.

Darin liegt aber auch nichts Wunderbares. Wissenschaft ist ein Hilfsmittel des Produktionsprozesses im weitesten Sinne; sie ist darin eine Spezialität einer besonderen Gelehrtengruppe, so wie das Schmieden eine Spezialität der Schmiede ist; und ihre Fortschritte gehen zunächst nur die wissenschaftlichen Fachleute an, so wie ein neues Eisen zunächst nur die Schmiede angeht. Nur dasjenige, was eine ganze Menschenklasse praktisch verwenden kann, was jedes Mitglied als sein Lebensinteresse fühlt, nur das dringt in weite Kreise hinein. Wenn wir sehen, dass irgendeine wissenschaftliche Lehre den Eifer und die Leidenschaft großer Massen erregt, so liegt das daran, dass diese Lehre ihnen eine Waffe im Klassenkampf bietet. Denn der Klassenkampfs ist es, der die Geister der Menschen am gewaltigsten erregt und ihre Herzen erfüllt.

Am klarsten ist das an dem Marxismus zu erkennen. Hätten die nationalökonomischen Lehren von Marx keine Bedeutung für den gegenwärtigen Klassenkampf gehabt, so würden sich höchstens einige Fachgelehrte darum kümmern. Weil aber der Marxismus eine Waffe in dem Klassenkampf des Proletariats ist, deshalb tobt um ihn der wissenschaftliche Kampf, deshalb wird der Name Marx verehrt von Millionen, die von seiner Lehre nur einige allgemeine Züge, und bitter gehasst von Tausenden, die von ihr gar nichts verstehen. An seiner Bedeutung für den proletarischen Klassenkampf liegt es, dass der Marxismus von den großen Massen begeistert studiert und gepflegt wird und die geistigen Kämpfe unserer Zeit beherrscht.

Der Klassenkampf des Proletariats bestand schon vor Marx, denn er wächst von selbst aus der kapitalistischen Ausbeutung aus. Die Arbeiter mussten dabei notwendig zu dem Gedanken und der Forderung einer anderen Gesellschaftsordnung kommen, worin die Ausbeutung aufgehoben war. Aber über Fordern und Hoffen und Träumen konnte der Sozialismus damals nicht hinauskommen. Marx gab dann der Arbeiterbewegung und dem Sozialismus eine theoretische Grundlage. Seine Gesellschaftstheorie zeigte die Gesellschaftsordnung in einem fortwährenden Fluss, worin auch der Kapitalismus nur eine zeitweilige Form bildet. Seine Untersuchung der Entwicklungstendenzen des Kapitalismus zeigte, dass dieser sich notwendig durch die Folgen der steigenden Vervollkommnung der Technik zum Sozialismus entwickeln muss. Die neue Produktionsordnung kann dabei nur von der Arbeiterklasse im Kampfe mit der widerstrebenden Bourgeoisie, die Interesse an der Erhaltung der alten hat, errungen werden. Der Sozialismus wird also die Frucht und daher auch das Ziel des Klassenkampfes der Arbeiter sein.

Damit bekam dieser Kampf der Arbeiter selbst eine neue Gestalt. Der Marxismus wurde eine Waffe in den Händen des Proletariats; er gab den verschwommenen Hoffnungen ein festes Ziel, er machte durch klare Einsicht, in die gesellschaftliche Entwicklung stark und schuf damit die Grundlage zu einer richtigen Taktik. Aus dem Marxismus konnten die Arbeiter jedem die Vergänglichkeit des Kapitalismus, die Notwendigkeit und die Sicherheit ihres Sieges beweisen. Zugleich räumte der Marxismus mit den alten utopischen Vorstellungen auf, als solle der Sozialismus durch die Einsicht und den guten Willen aller einsichtsvollen Menschen kommen; als sei er eine Forderung des Rechtes und der Sittlichkeit; als handle es sich um die Herstellung einer fehlerlosen vollkommenen Gesellschaft. Recht und Sittlichkeit wälzen sich mit der Produktionsordnung um und jede Klasse hat darüber ihre eigenen Anschauungen. Nur die Klasse, die Interesse am Sozialismus hat, kann ihn erkämpfen, und es handelt sich dabei nicht um eine vollkommene Weltordnung, sondern einzig um die Umwälzung der Produktionsweise zu einer nächst höheren Stufe, zur gesellschaftlichen Produktion.

Weil also die Marxsche Gesellschaftstheorie der aufsteigenden Arbeiterklasse notwendig zum Kampfe ist, deshalb wird sie im steigenden Maße zum Gemeingut der Volksmasse, deshalb beherrscht sie immer mehr ihr Denken, ihr Fühlen, ihre ganze Weltanschauung. Weil sie die Theorie der gesellschaftlichen Umwälzung ist, in deren Mitte wir stehen, deshalb steht sie selbst im Mittelpunkte der großen geistigen Kämpfe, die diese wirtschaftlichen Umwälzung begleiten.

Der Darwinismus im Klassenkampf

Dass der Marxismus suseine Bedeutung und sein Ansehen nur seiner Rolle im Klassenkampf des Proletariats verdankt, ist jedem bekannt. Mit dem Darwinismus liegt, der allgemeinen Anschauung nach, die Sache anders: denn hier handle es sich um eine neue wissenschaftliche Wahrheit, die bloß gegen das religiöse Vorurteil und die Dummheit anzukämpfen habe. Dennoch fällt es nicht schwer, einzusehen, dass in Wirklichkeit hier die Sache ähnlich liegt wie bei dem Marxismus. Auch der Darwinismus war nicht eine abstrakte Gelehrtentheorie, die sich allmählich nach gründlicher, objektiver Prüfung im Gelehrtenkreise durchrang und leidenschaftslos diskutiert wurde. Nein, sofort nach ihrem Bekanntwerden wurde sie leidenschaftlich propagiert und bekämpft; auch der Name Darwin wurde entweder hoch geehrt, oder tief verabscheut von Menschen, die von seiner Lehre nicht mehr wussten, als dass der Mensch vom Affen abstamme, und sicher nicht befugt waren, aus wissenschaftlichen Gründen über ihre Richtigkeit zu urteilen. Auch der Darwinismus spielte eine Rolle im Klassenkampf und daraus erklärt sich seine rasche Verbreitung und die Leidenschaft, womit er verteidigt und bekämpft wurde.

Der Darwinismus war eine Waffe der Bourgeoisie in ihrem Kampfe gegen die feudalen Klassen, Adel, Geistlichkeit und Fürstentum. Das war ein ganz anderer Kampf als der des Proletariats. Die Bourgeoisie war nicht eine ausgebeutete Klasse, die nach Aufhebung der Ausbeutung strebte; ihr stand die Herrschaft der alten Gewalten im Wege, denn sie wollte selbst herrschen. Sie begründete ihre Ansprüche mit dem Bewusstsein, dass sie die wichtigste Klasse der Gesellschaft, die Leiterin der Produktion war. Was konnten die alten Klassen, die nutzlose überflüssige Schmarotzer geworden waren, dem gegenüberstellen? Sie stützten sich auf die Tradition, auf ihr althergestammtes göttliches Recht. Mit den Lehren der Religion hielten die Pfaffen die große dumme Volksmasse in Abhängigkeit und stellten sie den Ansprüchen der Bourgeoisie gegenüber.

Daher war die Bourgeoisie im eigenen Interesse verpflichtet, die Heiligkeit dieser Tradition und die Wahrheit der Religion zu untergraben. Die Naturwissenschaft wurde ihre Waffe; die Wissenschaft stellte sie dem Glauben, die neuentdeckten Naturgesetze der Tradition gegenüber. Bewiesen die Ergebnisse, der Naturforschung, dass die Lehren der Pfaffen nur Lug und Trug waren, so fiel damit die göttliche Autorität dieser Pfaffen, und die Heiligkeit des traditionellen angestammten Rechtes der feudalen Klassen war zerstört. Natürlich waren diese Klassen damit nicht selbst besiegt; eine materielle Gewalt kann nur durch materielle Gewalt gestürzt werden, aber auch geistige Waffen werden zu materiellen Machtmitteln. Deshalb legte das aufsteigende Bürgertum so hohen Wert auf die Naturwissenschaft.

Hier kam nun der Darwinismus gerade zur rechten Zeit. Denn schlimmer als irgendein anderes Ergebnis der Wissenschaft stand er im Widerspruch zu den biblischen Texten; die tierische Abstammung der Menschen zerstörte die Grundlage der christlichen Dogmen. Deshalb wurde der Darwinismus sofort von der Bourgeoisie mit Eifer aufgegriffen.

Nicht in England. Daran sehen wir gerade, wie wichtig für seine Verbreitung seine Rolle im Klassenkampf war. In England gab es keine Klasse, die Interesse daran hatte, ihn als Waffe in einem Klassenkampfe zu benutzen. In England herrschte die Bourgeoisie schon seit einigen Jahrhunderten, und seitdem sie einst einen Kompromiss mit Königtum und Kirche geschlossen hatte, brachte sie ihnen eine traditionelle Ehrfurcht dar. Sie hatte als Masse kein einziges Interesse daran, die Lehren der Religion anzugreifen oder zu zerstören. Deshalb wurde die neue Theorie in England zwar viel gelesen, aber sie regte keinen auf. Sie blieb eine Gelehrtentheorie, ohne große praktische Bedeutung. Darwin selbst betrachtete sie als solche und er vermied absichtlich, seine Theorie sofort auf die Menschen anzuwenden, um das religiöse Vorurteil nicht zu verletzen. Nur sehr zögernd entschied er sich später dazu, als andere diesen Schritt schon längst gemacht hatten. In einem Brief an Haeckel beklagte er sich auch darüber, dass seine Theorie auf soviel Vorurteil und Gleichgültigkeit stoße, dass er nicht erwartete, ihren vollen Durchbruch selbst noch zu erleben.

Aber in Deutschland, konnte Haeckel ihm antworten, war es ganz anders; da fand sie begeisterte Aufnahme. In Deutschland schickte sich gerade zur Zeit, als Darwins Theorie erschien, die Bourgeoisie zu einem neuen Kampf gegen Absolutismus und Junkerherrschaft an. An der Spitze des liberalen Bürgertums stand die Intelligenz, die sich noch stärker als dass Bürgertum selbst durch die rückständigen Verhältnisse eingeengt fühlte und den geistigen Kampf mit umso größerem Lärm führen musste, je zaghafter die Bourgeoisie sich im politischen Kampf zeigte. Ernst Haeckel, ein bedeutender Forscher, aber noch mehr eine kühne Kämpfernatur, zog in seinem Werk „Natürliche Schöpfungsgeschichte“ aus dem Darwinismus sofort die weitgehendsten, gegen die Religion gerichteten Konsequenzen. So fand die Darwinsche Lehre hier bald in weiten Kreisen eine begeisterte Aufnahme, der eine gleich scharfe Bekämpfung von der anderen Seite gegenüberstand. Und derselbe Kampf ging auch in anderen Ländern auf dem Kontinent vor sich. Überall hatte das fortschrittliche liberale Bürgertum gegen reaktionäre Gewalten zu kämpfen, die entweder die Herrschaft innehatten, oder, auf die religiösen kleinbürgerlichen Klassen gestützt, sie zu erobern suchten. Unter solchen Umständen wurde auch der wissenschaftliche Kampf mit der Leidenschaft eines Klassenkampfes geführt. Die Schriften, die für und wider den Darwinismus erschienen, tragen daher, trotz der wissenschaftlichen Namen ihrer Autoren, den Charakter gesellschaftlicher Streitschriften. Mit dem Maßstab der Wissenschaft gemessen, sind viele der populären Schriften Haeckels äußerst oberflächlich, während die Argumente und Einwände seiner Gegner an unglaublicher Dummheit oft nur in den Streitschriften gegen den Marxismus ihresgleichen finden.

Dieser enge Zusammenhang des Darwinismus mit dem Klassenkampf der Bourgeoisie hat auch ihre weiteren Schicksale miteinander verknüpft. Dieser Klassenkampf wurde bekanntlich nicht zu Ende gekämpft, sondern verlief bald im Sande. In Deutschland bekehrten sich in den 1860er und 1870er Jahren immer weitere Schichten des Bürgertums zur Reichsfrömmigkeit. Die Intelligenz machte allmählich diesen Umschwung mit und lernte die Staatsräson verstehen. Unter den Gelehrten wuchs die reaktionäre Gesinnung; dieselben Professoren, die sich mit Stolz die geistige Leibgarde der Hohenzollern nannten, zeigten in den Reden über die Grenzen der Naturerkenntnisse und die unlösbaren Welträtsel den Bankrott der wissenschaftlichen Weltanschauung an, ein Beweis, wie eng die Reaktion auf politischem und die Reaktion auf geistigem Gebiet zusammenhingen.

Diese Entwicklung zeigte sich in stärkerem oder schwächerem Maße in allen Ländern. Überall trat das sozialistische Proletariat auf, überall bedrohte die wachsende Arbeiterbewegung die herrschende Ordnung und damit bekamen in der Bourgeoisie die reaktionären Tendenzen immer mehr die Oberhand. Das Interesse an der Bekämpfung der Religion verschwand; der früher so heiß geführte Kampf der fortschrittlichen und der reaktionären Richtung wurde immer mehr zu einer kleinlichen Keilerei innerhalb der herrschenden Klasse, zu einem Parteizank, worin man zwar mit gewaltigen Schlagwörtern um sich warf, aber sich in Wirklichkeit immer mehr näherte. Das Interesse an der Wissenschaft als revolutionäre Waffe im Klassenkampf verschwand, während die reaktionär-christliche Richtung, die dem Volke die Religion erhalten wollte, immer mächtiger und frecher auftrat. Mit dem Bedürfnis nach Wissenschaft änderte sich auch die Wertschätzung der Wissenschaft. Früher hatte die gebildete Bourgeoisie auf der Wissenschaft eine materialistische antireligiöse Weltanschauung gebaut, worin sie alle Rätsel der Welt gelöst sah. Jetzt griff immer mehr der Mystizismus um sich; was erklärt war, erschien gering, was unerklärt blieb und unerklärbar schien, erschien riesengroß und umfasste die wichtigsten Lebensfragen. Eine skeptische, kritische, zweifelnde Stimmung gegen die früher so bejubelte Wissenschaft gewann immer mehr Feld.

Das zeigte sich auch dem Darwinismus gegenüber. Was erklärte diese Darwinsche Lehre eigentlich? Die wesentlichen Rätsel lässt sie alle ungelöst! Woher diese wunderbare Natur der Vererbung, woher das Vermögen der Lebewesen, sich zweckmäßig zu ändern? Hier liegt das eigentliche geheimnisvolle Lebensrätsel, dem man mit mechanischen Prinzipien nicht beikommen kann. Und was ist von dem ganzen Darwinismus unter der späteren kritischen Forschung übriggeblieben?

Natürlich hatte der Fortschritt der Wissenschaft mit Darwin nicht aufgehört, sondern war mit seiner Theorie in noch viel stärkeren Fluss gekommen. Die Lösung eines Problems stellt immer wieder eine Anzahl neuer Probleme, die hinter ihm standen und jetzt in den Vordergrund des Interesses rücken.

Die Gesetze der Vererbung, die Darwin einfach als Grundlage hatte annehmen müssen, wurden immer besser untersucht. Über die einzelnen Faktoren der Entwicklung und des Kampfes ums Dasein wurde heiß gestritten; während einige die Aufmerksamkeit auf die Änderungen lenkten, die eine Folge der Übung und Anpassung während des Lebenswaren (also das Prinzip von Lamarck), wurden solche Änderungen von anderen Forschern, wie Weißmann entschieden geleugnet. Während Darwin immer nur äußerst langsame, allmähliche Änderungen angenommen hatte, fand De Vries Fälle von plötzlich sprungweise auftretenden neuen Arten. Während im Grunde dadurch das Gebäude der Abstammungslehre immer fester und besser ausgebaut wurde, machten diese unaufhörlichen Verbesserungen an den einzelnen Teilen oft den Eindruck, als ließen die neueren Forschungen von dem. stolzen Darwinschen Bau kein Stück ganz. Dadurch war es möglich, dass die wachsende Reaktion hier scheinbar auf ihre Rechnung kam; jeder Fortschritt, der die Sache in einem neuen Lichte erscheinen ließ, wurde sofort als „ein Bankrott des Darwinismus“ ausposaunt und reaktionär ausgeschlachtet. Zugleich wirkt diese gesellschaftliche Auffassung auf die Wissenschaft zurück. Reaktionäre Gelehrte führen zur Erklärung der Lebenserscheinungen geheimnisvolle geistige Prinzipien ein und sie behaupten, dass man ohne eine nicht weiter erklärbare innere Zielstrebigkeit, die den Lebewesen innewohnt, nicht auskomme. Hierin zeigt sich das Bedürfnis, das Übernatürliche, Unerklärliche, womit der Darwinismus aufgeräumt hatte, hinterrücks wieder einzuführen – ein Ausdruck der zunehmenden Reaktion unter der Klasse, die im Anfange der Bannerträger des Darwinismus gewesen war.

Der Darwinismus gegen den Sozialismus

Der Darwinismus hatte der Bourgeoisie in ihrem Kampfe gegen die alten Gewalten vortreffliche Dienste geleistet. Es konnte daher nicht ausbleiben, dass sie ihn auch gegen ihren anderen Feind, gegen dass Proletariat anwandte. Nicht, weil dass Proletariat etwa dem Darwinismus feindlich war, im Gegenteil: seine Vorkämpfer, die Sozialdemokraten, hatten sofort bei dem Erscheinen die Darwinsche Theorie sympathisch begrüsst, weil sie darin eine Bestätigung und Ergänzung ihrer eigenen Theorie erblickten (x). Nicht in dem Sinne, wie oberflächliche Gegner bisweilen glauben, dass sie den Sozialismus auf den Darwinismus gründen wollen. Gesellschaftliche Forderungen können sich nur auf gesellschaftliche Gründe stützen. Sondern in diesem Sinne, dass Darwins Nachweis, auch in der scheinbar gleichbleibenden organischen Welt herrsche eine Entwicklung, zu der Marxschen Lehre der fortschreitenden gesellschaftlichen Entwicklung eine schöne Ergänzung und Bestätigung bildet.

Dennoch lag es im Wesen der Sache, dass die Bourgeoisie diesen Darwinismus gegen das Proletariat anwandte. Sie kämpft nach zwei Fronten, und das wissen die reaktionären Klassen. Greift die Bourgeoisie ihre Autorität an, um sich an ihre Stelle zu setzen, so antworten sie mit dem Hinweis auf die Gefahr, dass alle Autorität zugrunde gerichtet werde. Sie zeigen auf das Proletariat hin, das schon bereit steht, in den Rücken der Bourgeoisie aufzumarschieren, und damit hoffen sie diese Klasse vom revolutionären Vorgehen abzuschrecken. Natürlich antworten dann die Vertreter der Bourgeoisie: das hat keine Not; unsere Wissenschaft widerlegt bloß Ihre unhaltbare Autorität und sie stützt uns gerade in unserem Kampfe gegen die Feinde aller Ordnung.

Auf einem Naturforscherkongress 1877 bekämpfte der reaktionäre Politiker und Gelehrte Virchow den Darwinismus mit dem Argument, dass er dem Sozialismus Vorschub leiste. Seien Sie vorsichtig mit dieser Theorie, rief er den Darwinisten zu, denn sie ist den Theorien verwandt, die in unserem Nachbarlande so großen Schrecken angerichtet haben. Diese Anspielung auf die Pariser Kommune musste gerade in dem Jahre der Sozialistenhetze gewaltig wirken. Was soll man aber zu der Wissenschaft eines Professors sagen, der den Darwinismus mit dem Argument bekämpft: er dürfe nicht richtig sein, weil er so gefährlich ist! Diesen Vorwurf, im Bunde mit den roten Umstürzlern zu stehen, konnte Haeckel nicht auf der von ihm verteidigten Lehre sitzen lassen. Er hat dann sofort, und später wiederholt in derselben Weise auseinandergelegt, dass der Darwinismus gerade die Unhaltbarkeit der sozialistischen Forderungen zeige und dass Darwinismus und Sozialismus „sich vertragen wie Feuer und Wasser“!

Die Argumente sind auch nicht weit zu suchen. Gerade durch die Entstehung der Darwinschen Lehre liegen sie unmittelbar zur Hand. Der Darwinsche Kampf ums Dasein fand sein Vorbild in der kapitalistischen Konkurrenz; jetzt wurde umgekehrt die kapitalistische Konkurrenz mit dem tierischen Kampf ums Dasein verglichen und dadurch zu der Würde eines Naturgesetz erhoben.

Verfolgen wir die Beweisführungen Haeckels, deren Hauptgedanken bei den meisten Autoren wiederkehren, die in ähnlicher Weise den Sozialismus mittels des Darwinismus bekämpfen.

Der Sozialismus ist eine Theorie, die die natürliche Gleichheit der Menschen voraussetzt und ihre gesellschaftliche Gleichheit erstrebt; gleiche Rechte, gleiche Pflichten, gleiche Güter, gleiche Genüsse. Aber der Darwinismus ist gerade die wissenschaftliche Begründung der Ungleichheit. Die Abstammungslehre zeigt uns, dass die Entwicklung der Tiere in der Richtung einer immer größeren Differenzierung oder Arbeitsteilung zwischen den einzelnen Organen vor sich geht. Je höher, je vollkommener das Tier, um so weiter ist diese innere Ungleichheit gegangen. Auch in der Gesellschaft sehen wir diese Arbeitsteilung zwischen Berufen, Klassen usw., und je höher ein Staatswesen steht, um so weiter ist diese Arbeitsteilung mit ihrem Unterschied an Kraftaufwand, Fähigkeit, Vermögen und Lohn vorgeschritten. Daher ist die Abstammungslehre „als bestes Gegengift gegen den bodenlosen Widersinn der sozialistischen Gleichmacherei zu empfehlen“.

Noch mehr gilt das von der besonderen Darwinschen Auslesetheorie. Der Sozialismus will die Konkurrenz, den Wettkampf ums Dasein aufheben. Aber der Darwinismus lehrt, dass dieser Kampf natürlich und unvermeidlich und nichts als die menschliche Form eines für die ganze organische Welt geltenden Naturgesetzes ist. Und nicht nur natürlich, sondern er ist auch nützlich und segensreich. Der Kampf bringt eine immer größere Vollkommenheit, und diese Vervollkommnung besteht in einer stetigen Ausmerzung der Untauglichen. Nur die auserlesene Minderheit der bevorzugten Tüchtigen ist imstande, die Konkurrenz zu bestehen, während die große Mehrzahl notwendig elend verderben muss. Alle sind berufen, aber wenige sind auserwählt. Der Kampf ums Dasein ist zugleich ein Sieg der Besten, wahrend die Schlechten, die Untauglichen, zugrunde gehen. Man mag das beklagen, wie man es z.B. auch beklagen kann, dass alle Menschen sterben müssen, aber damit lässt sich diese Tatsache weder verleugnen noch ändern.

Hier ist zu bemerken, wie eine kleine Verschiebung ungefähr gleichbedeutender Worte wesentlich zum Ziel der Verteidigung des Kapitalismus beiträgt. Darwin redete vom Überleben der Passendsten, derjenigen, die den Verhältnissen am besten angepasst sind. Da sie aber zugleich im Kampfe die anderen durch ihre bessere Organisation besiegen, kommt man leicht dazu, sie die Tüchtigsten und schließlich gar die „Besten“ – diesen Ausdruck hat Herbert Spencer geprägt – zu nennen. Damit würden dann zugleich die Sieger im gesellschaftlichen Kampfe, die Großkapitalisten, als die besten Menschen proklamiert.

Haeckel ist der Hauptsache nach immer bei dieser Auffassung geblieben; 1892 drückte er sie noch in den folgenden Worten aus:

„Der Darwinismus – die Selektionstheorie – erscheint im Lichte unbefangener Kritik als ein aristokratisches Prinzip; es beruht auf der „Auslese der Besten“! Die Arbeitsteilung, auf der vorzugsweise die fortschreitende Entwicklung der organischen Welt beruht, bewirkt mit Notwendigkeit eine stetig zunehmende Divergenz des Charakters, eine immer wachsende Ungleichheit der Individuen, ihrer Tätigkeit, ihrer Bildung, ihrer Lage. Je höher die menschliche Kultur aufsteigt, desto größer müssen die Unterschiede und die Abstufungen der verschiedenen Arbeiterklassen werden, die zu ihrer verwickelten Maschinerie zusammenwirken. – Der Kommunismus und die von der Sozialdemokratie erstrebte Gleichheit der Existenzbedingungen und Leistungen würden dagegen gleichbedeutend sein mit dem Rückfall in die Barbarei, in den tierischen Urzustand der rohen Naturvölker.“

Der englische Philosoph Herbert Spencer hatte schon vor Darwin eine Gesellschaftstheorie, die eine Theorie des bürgerlichen Individualismus war, auf den Kampf ums Dasein gegründet und diese nachher mit dem Darwinismus in engsten Zusammenhang gebracht. In der Tierwelt werden fortwährend die alten, kränklichen und schwachen Tiere ausgerottet und nur die gesunden und kräftigen bleiben übrig. Daher bildet der Kampf ums Dasein zugleich einen Reinigungsprozess der Rasse, die dadurch vor Verschlechterung bewahrt bleibt. Das ist die wohltätige Wirkung des Kampfes, worin jeder nach seiner Anstrengung und Qualität mehr oder weniger Erfolg hat, dass die möglichste Vollkommenheit durch strenge Zucht gesichert wird. Hört dieser Wettkampf auf, ist jeder ohne Kampf, ohne Anstrengung seines Lebensunterhalts sicher, so muss notwendig die Rasse sich verschlechtern. Wird das Schwache, Untaugliche, Kränkliche künstlich geschützt und am Leben erhalten, so muss eine allmähliche Degeneration, eine Verschlechterung der Rasse die unabwendbare Folge sein. Geht die Sympathie, die sich in Wohltätigkeit äußert, über ihre vernünftigen Grenzen hinaus, so verfehlt sie ihren Zweck; anstatt Leiden zu lindern, vergrößert sie die Summe des Leidens für die Nachkommen. Die gute Wirkung des schonungslosen Kampfes ums Dasein zeigt sich bei den wilden Tieren; sie sind alle strotzend vor Gesundheit und Kraft, weil sie sich durch eine harte Schule tausender Gefahren und Anstrengungen emporkämpfen mussten, worin alles, woran nur dass Geringste fehlte, zugrunde ging. Bei den Menschen und den Haustieren sind Krankheiten und Schwächen so allgemein, weil das Kranke und Schwache hier aus anderen Rücksichten künstlich erhalten wird. Der Sozialismus, der den bestehenden Kampf ums Dasein in der Menschenwelt aufheben will, wird dadurch notwendig eine fortschreitende körperliche und geistige Entartung der Menschheit hervorrufen.

Dies sind die Hauptgedanken der Beweisführung, die den Darwinismus als Waffe zur Verteidigung der bürgerlichen Ordnung anwendet. So stark sie auf den ersten Blick aussieht, so war es doch den sozialistischen Wortführern nicht schwer, ihre Unhaltbarkeit nachzuweisen. Denn es sind zum größten Teil die alten Argumente, die für den Kapitalismus gegen den Sozialismus ins Feld geführt wurden, nur mit darwinistischen Ausdrücken neu aufgeputzt, und sie zeugen von gleich großer Unkenntnis des Sozialismus wie des Kapitalismus.

Der Vergleich der Gesellschaft mit einem tierischen Körper lässt den Unterschied außer Betracht, dass die einzelnen Menschen nicht, wie die verschiedenen Zellen und Organe des Körpers, völlig verschieden, sondern nur in dem Grade ihrer Eigenschaften verschieden sind. Die Arbeitsteilung kann in der Gesellschaft daher nicht so weit gehen, dass in einem Menschen alle anderen Fähigkeiten völlig verkümmern auf Kosten einer einzigen. Übrigens weiß jeder, der etwas vom Sozialismus versteht, dass eine zweckmäßige Arbeitsteilung mit dem Sozialismus nicht verschwindet, sondern erst in der richtigen Weise möglich wird. Die Unterschiede zwischen den arbeitenden Menschen, ihren Anlagen und ihren Beschäftigungen werden nicht aufhören, sondern bloß der Unterschied zwischen Arbeitern und Ausbeutern.

Für die Tiere ist es zweifellos richtig, dass im Kampfe ums Dasein die körperlich vollkommensten, die kräftigsten und gesündesten Tiere den Sieg davontragen; aber für die kapitalistische Konkurrenz gilt das nicht. Da hängt der Sieg nicht von der persönlichen Vollkommenheit des Kämpfers ab. Mögen vor allem in der Welt der kleinen Bourgeoisie Geschäftstüchtigkeit und Energie eine Rolle spielen, bei der weiteren Entwicklung hängt der Sieg immer mehr von dem Kapitalbesitz ab. Das größere Kapital besiegt das kleinere, auch wo sich das kleinere in den tüchtigsten Händen befindet. Nicht die persönlichen Eigenschaften, sondern der Geldbesitz, der Reichtum entscheidet, über den Erfolg im Daseinskampf. Die Besitzer des kleineren Kapitals gehen dabei nicht als Menschen zugrunde, sondern nur als Kapitalisten; sie werden nicht aus dem Leben, sondern aus der Bourgeoisie ausgemerzt. Der kapitalistische Konkurrenzkampf ist daher etwas ganz anderes in Bedingungen wie in Resultaten, als der Kampf ums Dasein in der Tierwelt.

Die Menschen, die als Menschen zugrunde gehen, sind Mitglieder einer anderen Klasse, die an dem Konkurrenzkampf gar nicht teilnehmen. Die Arbeiter treten nicht mit den Kapitalisten in Wettbewerb, sondern verkaufen ihnen ihre Arbeitskraft. Sie haben durch ihre Besitzlosigkeit nicht einmal Gelegenheit, ihre vielleicht vortreffliche persönliche Veranlagung mit der der Kapitalisten zu messen. Sie sind nicht arm und elend, weil sie durch ihre geringere „Tauglichkeit“ im Konkurrenzkampf unterliegen, sondern weil ihre Arbeitskraft zu niedrig bezahlt wird; ihre Kinder gehen deshalb, trotzdem sie der Anlage nach gesund und kräftig sind, zahlreich zugrunde, während die Kinder der Reichen, auch bei der ungünstigen Anlage, sorgfältig geschützt und gepflegt werden. Die Schwäche, die hier den Untergang bewirkt, ist keine natürliche, vererbliche Anlage, sondern ein äußerer Umstand. Der Kapitalismus schafft durch die Ausbeutung, die Herunterdrückung des Lohnes, durch die Arbeitslosigkeit, die Krisen, die Wohnungsverhältnisse, die lange Arbeitszeit künstlich alle jene ungünstigen Umstände, wodurch eine so große Anzahl kräftiger, lebensfähiger Keime, oft die lebensfähigsten, zugrunde geht.

Es konnte also den Sozialdemokraten nicht schwer fallen, die Unhaltbarkeit jener Anwendung des Darwinismus auf die Gesellschaft nachzuweisen. Es waren aber nicht nur die Sozialdemokraten, die sich gegen die Beweisführung der Bourgeois-Darwinisten erhoben. Denn diese Beweisführung war nicht bloß eine Verteidigung der bürgerlichen Gesellschaft, nein, sie war die Verteidigung des brutalsten Ausbeutertums, des rücksichtslosen Niedertretens aller Schwachen. Gewalt ist Recht, dass war der Inhalt dieser Lehre, der Erfolg beweist die Vollkommenheit. Sie war nicht nur gegen den Sozialismus, sondern auch gegen alle Sozialreform und alle Philanthropie gerichtet, die sich bemüht, das schlimmste Elend und die auffälligsten Mängel unserer Gesellschaftsordnung zu lindern. Deshalb traten die Sozialreformer und die Philanthropen, die ethisch angehauchten Bourgeois gegen sie auf. Sie hatten um so mehr Grund dazu, als jene Lehre im Grunde für die bürgerliche Gesellschaft selbst sehr gefährlich war. Denn schon trat das Proletariat auf, das sein Recht auf seine steigende Macht gründete. Daher mussten alle, die von dem Machtkampf nichts wissen wollten und das Proletariat mit einem verbesserten Kapitalismus auszusöhnen suchten, die Lehre der Bourgeois-Darwinisten bekämpfen.

Sie betonten dabei natürlich vor allem die ethische Seite der Frage, worin sie von den ethischen Sozialisten, denjenigen, die den Sozialismus auf die Ethik gründen wollen, unterstützt wurden. Sind die Eigenschaften, die den Sieg in dem kapitalistischen Konkurrenzkampf sichern, auch diejenigen Eigenschaften, deren Stärkung man im Interesse des Fortschritts wünschen muss? Nein, gerade umgekehrt! Schlauheit, Rücksichtslosigkeit, Betrug, darin besteht die „Geschäftstüchtigkeit“, die in der Geschäftswelt zum Emporkommen befähigt. In dem heißen Konkurrenzkampf wird schließlich jedes Mittel, das gerade am Zuchthaus vorüber führt, angewandt, und das Strafgesetzbuch wird zum alleinigen Maßstab des sittlich Erlaubten. Der kapitalistische Kampf ums Dasein führt nicht zum Sieg der Tüchtigsten im moralischen Sinne; daher ist auch keine moralische Verbesserung, sondern eher eine Verschlechterung der Menschheit seine Folge. Aber gerade deshalb müssen die Menschen in diesen Kampf eingreifen. Der Kampf ums Dasein darf in der menschlichen Gesellschaft nicht nach den rohen, schonungslosen Prinzipien der Tierwelt geführt werden. Der Mensch ist keine Bestie. Als freies, sittliches Wesen, das sich höhere Ziele setzt, muss er das zügellose Walten dieses Naturgesetzes aufheben. Er kann den Kampf mildern und eine vernünftige, moralische Weltordnung an die Stelle der tierischen setzen.

Zu dieser letzten Auffassung ist zu bemerken, dass von einer Aufhebung eines Naturgesetzes natürlich nicht die Rede sein kann. Die Anschauung, das Gesetz darf nicht gelten, weil es unseren sittlichen Empfindungen widerspricht, hat gegenüber einem wirklichen Naturgesetz keinen Sinn. Man hat nur zu erforschen, ob und in welchem Maße es unter verschiedenen Bedingungen gilt. Und in diesem Punkte hat sich nun zur Genüge gezeigt, dass die kritiklose Übertragung der Darwinschen Prinzipien auf die Menschenwelt zu fehlerhaften und irrigen Schlüssen führt.

Naturprinzip und Gesellschaftslehre

Dieses Ergebnis ist kein Zufall. Darwinismus und Marxismus sind zwei verschiedene Lehren, deren eine für die Tierwelt, die andere für die Gesellschaft gilt. Sie ergänzen einander in dem Sinne, dass die Tierwelt sich nach dem Darwinschen Prinzip bis zum Menschen entwickelt, und dass für die Menschen von dem Augenblick an, dass sie aus der Tierwelt empor steigen, der Marxismus das weitere Entwicklungsgesetz darstellt. Will man aber die eine Lehre auf das Gebiet der anderen übertragen, wo ganz andere Gesetze gelten, so wird man notwendig zu Fehlschlüssen kommen müssen.

Namentlich ist dies der Fall, wenn man aus einem Naturprinzip ableiten will, welche Gesellschaftsform die natürliche oder naturgemäße ist. Das war eben das Streben der Bourgeois-Darwinisten, dass sie aus dem für die Tierwelt geltenden Darwinismus ableiteten, die kapitalistische Gesellschaftsordnung sei damit in Ùbereinstimmung, sie sei also die naturgemäße Ordnung und müsse immer bestehen bleiben. Umgekehrt hat es Sozialisten gegeben, die in derselben Weise vom Sozialismus beweisen wollten, dass er die naturgemäße Ordnung sei. Unter dem Kapitalismus, so lautet ihre Beweisführung, wird der Kampf ums Dasein, der Wettkampf, von den Menschen nicht mit gleichen, sondern mit künstlich ungleichen Waffen geführt. Die natürliche Ùberlegenheit der gesünderen, kräftigeren, schöneren, intelligenteren oder sittlich besseren Individuen kann nicht zur Geltung kommen, weil Geburt, Stand, und vor allem Geldbesitz den Ausgang des Kampfes beherrschen. Der Sozialismus hebt diese unnatürliche Ungleichheit auf, macht die Bedingungen für alle gleich günstig, und damit kann der wirkliche Kampf ums Dasein, worin die persönliche Überlegenheit entscheidet, zum ersten Male zur Geltung kommen. Nach darwinistischen Prinzipien sei also die sozialistische Produktionsordnung die wirklich natürliche und naturgemäße zu nennen.

Als kritisches Gegenstück gegen die Anschauungen der Bourgeois-Darwinisten ist diese Beweisführung nicht übel. Aber sie hat dieselbe faule Wurzel wie jene. Die beiden zu entgegengesetzten Resultaten führenden Beweise sind gleich falsch, weil sie von dem schon längst überwundenen Grund ausgehen, dass es eine bestimmte natürliche oder naturgemäße Gesellschaftsordnung gebe.

Der Marxismus hat uns gelehrt, dass es so etwas wie eine naturgemäße Gesellschaftsordnung gar nicht gibt oder geben kann. Oder anders gesagt: dass jede Gesellschaftsordnung naturgemäß ist. Denn jede Gesellschaftsordnung ist notwendig und natürlich unter den vorhandenen Bedingungen, die ihr zugrunde liegen. Nicht eine einzige bestimmte Gesellschaftsordnung gibt es, die als die natürliche zu gelten hat, sondern die verschiedensten Gesellschaftsordnungen lösen einander infolge der Entwicklung der Produktivkräfte ab, und jede ist zu ihrer Zeit genau so naturgemäß wie die folgende zu einer späteren Zeit. Der Kapitalismus ist nicht die einzig natürliche Ordnung, wie die Bourgeoisie glaubt, so wenig wie irgendeine sozialistische Weltordnung die einzig naturgemäße ist, wie einige Sozialisten uns beweisen wollen. Der Kapitalismus war unter den Bedingungen des 19. Jahrhunderts naturgemäß, wie es der Feudalismus unter denen des Mittelalters war und der Sozialismus unter der künftigen Entwicklungshöhe der Produktivkräfte sein wird. Der Versuch, eine einzige Gesellschaftsordnung als die einzig naturgemäße hinzustellen, ist genau so aussichtslos, als wenn man irgend ein Tier als das vollkommenste Tier hinstellen will. Der Darwinismus lehrt uns ja, dass jedes Tier in seiner Art, für seine besonderen Lebensverhältnisse gleich vollkommen gebaut, d.h. gleich angepasst ist; und ähnlich lehrt der Marxismus, dass jede Gesellschaftsordnung ihren Bedingungen angepasst und in diesem Sinne gut und vortrefflich ist.

Darin liegt die Grundursache, weshalb der Versuch der Bourgeois-Darwinisten, den untergehenden Kapitalismus mittels des Darwinismus zu verteidigen, notwendig scheitern musste. Naturwissenschaftliche Argumente müssen in gesellschaftlichen Fragen fast immer zu verkehrten Schlüssen führen, denn die Natur bleibt im großen und ganzen während der Zeit der Menschengeschichte immer dieselbe, während die Formen der Gesellschaft in dieser Zeit rasch und stetig wechseln. Was die Gesellschaft bewegt und in der gesellschaftlichen Entwicklung eine Rolle spielt, kann sich nur durch das Studium dieser Gesellschaft selbst ergeben. Marxismus und Darwinismus sollen also jeder auf seinem eigenen Gebiet bleiben; sie stehen unabhängig nebeneinander und haben unmittelbar nichts miteinander zu tun.

Nun erhebt sich aber eine wichtige Frage. Können wir bei diesem Resultat stehen bleiben, dass für die Gesellschaft nur der Marxismus, für die organische Welt nur der Darwinismus gilt, ohne dass sie auf das andere Gebiet übergreifen dürfen? Für die Praxis ist es sehr bequem, ein Prinzip für die Menschenwelt und ein anderes Prinzip für die Tierwelt zu haben. Aber dabei wird übersehen, dass der Mensch auch ein Tier ist. Der Mensch hat sich aus dem Tiere entwickelt, und die Gesetze, die für die Tierwelt gelten, können doch nicht auf einmal für ihn ihre Gültigkeit verlieren. Allerdings ist der Mensch ein sehr besonderes Tier. Aber dann ist es auch nötig, aus dem Besonderen, das den Menschen vom Tier unterscheidet, abzuleiten, weshalb das für die Tiere gültige Prinzip für die Menschen nicht mehr gilt oder eine andere Gestalt annimmt.

Hier liegt für uns also ein weiteres Problem vor. Für die Bourgeois-Darwinisten besteht dieses Problem nicht; sie erklären einfach den Menschen für ein Tier und wenden daher das Prinzip des Darwinismus ohne weiteres auf den Menschen an. Zu welchen irrigen Schlüssen sie dabei kommen, haben wir gesehen. Für uns liegt die Sache nicht so einfach: wir müssen uns zuerst die Unterschiede zwischen Menschen und Tieren klarmachen, und aus ihnen muss sich dann herausstellen, weshalb die Prinzipien des Darwinismus in der Menschenwelt sich zu ganz anderen Prinzipien, zu denen des Marxismus umwandelten.

Das gesellschaftliche Zusammenleben

Die erste Besonderheit, die wir bei den Menschen bemerken, besteht darin, dass er ein gesellschaftliches Wesen ist. Dadurch unterscheidet er sich nun allerdings nicht von allen Tieren, denn auch unter den Tieren gibt es viele Arten, die gesellschaftlich zusammenleben: Aber er unterscheidet sich darin von den Tieren, wie wir sie bisher in der Auseinandersetzung der Darwinschen Lehre betrachteten, von den Tieren, die einzeln, jedes für sich, gegen alle anderen um ihren Lebensunterhalt kämpfen. Nicht diese Tiere, die wie die meisten Raubtiere vereinzelt leben und die Mustertiere der Bourgeois-Darwinisten bilden, sondern die in Gesellschaften zusammenlebenden Tiere sind es, mit denen man die Menschen vergleichen muss. Das gesellschaftliche Zusammenleben ist eine neue, von uns bisher nicht berücksichtigte Kraft, die neue Verhältnisse und neue Eigenschaften bei den Tieren hervorruft.

Es ist auch völlig verkehrt, in dem Kampf ums Dasein die einzige alles beherrschende Kraft zu sehen, die die organische Welt gestaltet. Der Kampf ums Dasein ist die Hauptkraft, die das Entstehen neuer Arten erklärt. Aber Darwin selbst wusste ganz gut, dass noch andere Kräfte mitwirkten, die Formen, Gewohnheiten und Eigenschaften der Lebewesen zu gestalten. Namentlich in seinem späteren Werke „Die Abstammung des Menschen“ hat er ausführlich die sexuelle Zuchtwahl behandelt und dargelegt, wie der Wettkampf der Männchen um die Weibchen die bunten Farben der Vögel und der Schmetterlinge und die Singstimmen der Vögel hervorrief. Dort hat er auch dem gesellschaftlichen Zusammenleben ein Kapitel gewidmet. Viele Beispiele gibt darüber auch das Werk des bekannten Anarchisten Kropotkin „Gegenseitige Hilfe als Faktor der Evolution“ (*). Die beste Darstellung der Wirkung des gesellschaftlichen Lebens findet sich in Kautskys Schrift „Ethik und materialistische Geschichtsauffassung“.

Wenn eine Anzahl Tiere in einer Gruppe, einer Herde oder einem Rudel zusammenleben, so führen sie den Kampf ums Dasein nach außen gemeinsam. Innerhalb einer solchen Gruppe hört der Kampf ums Dasein auf; die zusammenlebenden Tiere treten nicht mehr miteinander in einen Wettkampf, in dem der Schwache untergeht. Im Gegenteil, der Schwache genießt genau dieselben Vorteile wie die starken Tiere. Wenn einige Tiere durch ihren scharfen Geruch, ihre größere Kraft oder ihre bessere Erfahrung einen Vorzug haben, die besten Weideplätze finden und die Feinde am besten abwehren können, so fällt dieser Vorteil ihnen nicht persönlich zu, sondern die ganze Gruppe, auch die minderbegabten Individuen, genießen diese Vorteile mit. Der Anschluss an die Bevorzugten hebt also für die weniger Bevorzugten die Wirkung ihrer ungünstigeren Eigenschaften einigermaßen auf.

Aber der Hauptvorteil erwächst allen Mitgliedern zusammen aus diesem Zusammenleben. Die Vereinigung ihrer Kräfte gibt der Gruppe eine neue, viel größere Kraft, als auch das stärkste Einzeltier allein besitzt. Durch diese vereinigte Kraft können wehrlose Pflanzenfresser die Raubtiere abwehren, und diese wagen sich nicht heran. Nur in dieser Weise ist es auch möglich, die jungen Tiere ausreichend zu schützen; das Zusammenleben bietet also allen Mitgliedern bedeutende Vorteile. Ein anderer Vorteil liegt darin, dass bei dem gesellschaftlichen Zusammenleben eine Arbeitsteilung möglich ist. Solche Tiere schicken Auskundiger voraus oder stellen Wächter auf, die für die Sicherheit sorgen, während alle anderen ruhig, ohne auf etwas anderes zu achten, die Gelegenheit zum Fressen oder Pflücken ausnutzen und sich völlig auf die Warnsignale der Wächter verlassen.

Eine solche Tiergesellschaft wird also schon einigermaßen zu einer Einheit, zu einem Organismus. Natürlich bleibt der Zusammenhang unendlich viel loser als zwischen den Zellen eines Tierkörpers; denn die Mitglieder bleiben sich völlig gleich – nur bei Ameisen, Bienen und einigen anderen Insekten tritt ein organischer Unterschied auf – und sie sind imstande, wenn auch unter ungünstigeren Bedingungen, vereinzelt zu leben. Aber immerhin wird die Gruppe zu einem zusammenhängenden Körper, und es muss eine Kraft dasein, die die einzelnen Mitglieder zusammenhält.

Diese Kraft bilden die sozialen Triebe, die Instinkte, die die Tiere beisammen halten und daher das Fortbestehen der Gruppe bewirken. Jedes Tier muss das Interesse der ganzen Gruppe über sein eigenes stellen; es muss instinktmäßig immer so handeln, als für das Bestehen der Gruppe notwendig ist, ohne Rücksicht auf sich selbst. Solange von den schwachen Pflanzenfressern bei dem Angriff eines Raubtieres jeder nur an den eigenen Leib denkt und die Flucht ergreift, solange stiebt jedes Mal eine zufällig zusammengekommene Herde wieder auseinander. Erst wenn dieser gewaltige Selbsterhaltungstrieb durch einen stärkeren Instinkt des Zusammenhaltes unterdrückt, wird und das Tier das eigene Leben wagt, erst dann bleibt die Herde zusammen und genießen alle die Vorteile aus diesem Zusammenhalt. Selbstaufopferung, Tapferkeit, Hingabe, Disziplin, Treue, Gewissenhaftigkeit müssen in dieser Weise notwendig entstehen, denn wo sie fehlen, da löst sich der Verband auf, und nur, wo sie stark sind, bleibt er bestehen.

Diese Triebe werden sich in erster Anlage aus Gewohnheit und Notwendigkeit entwickelt haben. Dann sind sie allmählich durch den Kampf ums Dasein gestärkt. „Bei gesellig lebenden Tieren wird sie (die natürliche Zuchtwahl) jedes Individuum für das Heil der ganzen Gesellschaft geeignet machen, so dass jedes Mitglied Vorteile aus dieser Änderung zieht“, schrieb Darwin schon in seiner „Entstehung der Arten“. Jede Tierherde steht noch immer im Konkurrenzkampf mit gleichartigen anderen Tierherden. Diejenige Herde, die sich den Feinden gegenüber am besten zu behaupten weiß, bleibt in diesem Kampfe bestehen, während die schlechter Veranlagten zugrunde gehen. Nun werden sich aber diejenigen am besten behaupten, in denen die sozialen Triebe am stärksten entwickelt sind. Wo sie schwach sind, fallen die Tiere am leichtesten den Feinden zum Opfer oder finden sie weniger günstige Futterplätze. Diese Triebe werden zu den wichtigsten und entscheidenden Merkmalen, die über das Ùberleben im Kampfe ums Dasein entscheiden. Deshalb werden die sozialen Triebe durch den Daseinskampf zu allesbeherrschender Kraft herangezüchtet.

Diese Verhältnisse werfen ein ganz neues Licht auf die Anschauungen der Bourgeois-Darwinisten. Sie stellten die Behauptung auf, nur die Ausmerzung aller Schwachen sei naturgemäß, und sie sei nötig, um einer Verschlechterung der Rasse vorzubeugen, während Schutz der Schwachen unnatürlich sei und nur zur Entartung führe. Und was sehen wir nun hier? In der Natur selbst, in der Tierwelt finden wir, dass die Schwachen geschützt werden, dass sie sich nicht durch ihre persönliche Kraft zu behaupten brauchen und nicht wegen ihrer persönlichen Schwäche beseitigt werden. Und diese Einrichtung gereicht einer Gruppe, worin sie herrscht, nicht zur Schwäche, sondern zur Kraft! Die Tiergruppen, worin die gegenseitige Hilfe am stärksten ausgeprägt ist, behaupten sich am besten in dem Daseinskampf. Was jener beschränkten Auffassung eine Ursache der Schwäche schien, setzt sich gerade umgekehrt siegreich durch und schlägt die einsamen Starken, die allein kämpfen. Diese angeblich degenerierende, entartende Rasse trägt den Sieg davon und erweist sich praktisch als die tüchtigste, die beste.

Hier zeigt sich erst recht, wie kurzsichtig, wie beschränkt und unwissenschaftlich die Behauptungen und Argumente der Bourgeois-Darwinisten sind. Ihre Naturgesetze und ihre Begriffe des Naturgemäßen entnehmen sie einem Teil der Tierwelt, den einsam lebenden Tieren, womit die Menschenwelt sich am wenigsten vergleichen lässt, während sie die Tiere, die unter ähnlichen Verhältnissen wie die Menschen leben, einfach unbeachtet lassen. Das liegt natürlich in ihren eigenen Verhältnissen begründet; gerade weil sie selbst einer Klasse angehören, worin jeder für sich gegen seine Konkurrenten kämpft, deshalb haben sie nur Augen für die Formen des Daseinskampfes unter den Tieren, die diesem bürgerlichen Konkurrenzkampf ähneln. Deshalb übersehen sie die Form, die gerade für die Menschen am wichtigsten ist.

Allerdings sind sie sich dessen bewusst, dass nicht alles in der Tier- und Menschenwelt rücksichtsloser Egoismus ist. Die bürgerlichen Gelehrten reden davon, dass jedem Menschen sowohl der Egoismus, die Selbstliebe, wie der Altruismus, die Nächstenliebe, angeboren ist. Da sie aber den gesellschaftlichen Ursprung dieses Altruismus nicht kennen, wissen sie auch nichts über die Grenzen und Bedingungen dieser Gefühle, und es bleiben verschwommene Ideen, mit denen sie praktisch nichts anzufangen wissen.

Für die Menschen gilt nun auch alles, was für die sozialen Tiere gilt. Unsere affenähnlichen Vorfahren und die sich aus ihnen entwickelnden Urmenschen waren wehrlose schwache Tiere, die, wie fast alle Affenarten, ursprünglich in Trupps zusammenlebten. Hier mussten also dieselben sozialen Triebe und Gefühle entstehen, die sich nachher bei den Menschen zu sittlichen Gefühlen entwickelten. Dass unsere Sittlichkeit und Moral nichts anderes als die sozialen Gefühle der Tierwelt sind, ist allbekannt; auch Darwin sprach schon von den mit ihren sozialen Institutionen in Verbindung stehenden Eigenschaften der Tiere, „die man bei den Menschen moralische nennen würde“. Der Unterschied liegt nur in dem Maße des Bewusstseins; sobald die sozialen Gefühle den Menschen selbst klar bewusst werden, bekommen sie den Charakter sittlicher Gefühle. Hier stellt sich also heraus, dass dasjenige, was bürgerliche Autoren oft für den hauptsächlichsten Unterschied zwischen Mensch und Tier halten, die moralischen Empfindungen, gar nicht den Menschen besonders eigen ist, sondern direkt aus der Tierwelt stammt.

In dem Ursprung der sittlichen Gefühle liegt schon enthalten, dass sie sich nicht weiter erstrecken, als die wirklichen gesellschaftlichen Gruppen, denen das Tier oder der Mensch angehört. Sie dienen zum praktischen Zweck, diese Gruppe fest zusammenzuhalten; darüber hinaus sind sie zwecklos. Für eine Tierart ist der Umfang und die Natur der gesellschaftlichen Gruppen durch ihre Lebensverhältnisse bestimmt und daher immer ungefähr gleich. Bei den Menschen dagegen wechseln diese Gruppen, diese gesellschaftlichen Einheiten, mit der wirtschaftlichen Entwicklung und damit wechselt auch der Geltungsbereich der sozialen Triebe.

Die ursprünglichen Gruppen, die Stämme der wilden und barbarischen Völker, bilden viel festere Verbände als die tierischen Gruppen, weil sie bei den Menschen nicht bloß Konkurrenten sind, sondern einander direkt bekämpfen und bekriegen. Die bekannte und bewusste Familienverwandtschaft und die gemeinsame Sprache machen das Band auch viel fester. Da ist jeder Einzelne völlig aus seinen eigenen Stamm angewiesen, soll er nicht hilflos zugrunde gehen. Hier müssen die sozialen Triebe, die sittlichen Gefühle, die Unterordnung des einzelnen unter die Gesamtheit sich zur höchsten Kraft entwickeln. In der weiteren Entwicklung der Gesellschaft werden die Stämme aufgelöst, oder sie werden zu größeren ökonomischen Verbänden, zu Städten und Völkern vereinigt. Neue Einheiten sind dann an die Stelle der alten getreten und ihre Mitglieder führenden Kampf ums Dasein, namentlich auch den Kampf gegen andere Völker, gemeinsam; immer bestimmt die ökonomische Zusammengehörigkeit den Umfang der Menschenverbände, innerhalb derer der gegenseitige Wettkampf ums Dasein aufhört und auf die sich die sozialen Gefühle erstrecken. Am Schluss des Altertums sehen wir die ganze damals bekannte Menschheit um das Mittelmeer zu einer Einheit, zum römischen Weltreich, zusammengefasst. Und in dieser Zeit entsteht auch die Lehre, die die sittlichen Gefühle auf die ganze Menschheit ausdehnt und den Satz aufstellt, dass alle Menschen Brüder sind.

Sehen wir in unsere eigene Zeit, bildet die ganze Menschheit ökonomisch immer mehr eine Einheit, wenn auch eine sehr lose; dementsprechend lebt ein, wenn auch meist nur abstraktes Gefühl einer Weltbürgerschaft, die sich auf alle zivilisierten Völker bezieht. Kräftiger ist schon das Nationalitätsgefühl, namentlich bei der Bourgeoisie, weil die Nationen die festen, einander bekämpfenden Verbände der Bourgeoisie bilden. Am aller stärksten sind die sozialen Gefühle in Bezug auf die Klassengenossen, weil die Klassen die wesentlichsten gesellschaftlichen Einheiten bilden, innerhalb derer die wichtigsten Interessen der Menschen dieselben sind. In dieser Weise wechseln die sozialen Verbände und die sozialen Gefühle in der menschlichen Gesellschaft je nach der Höhe der wirtschaftlichen Entwicklung.

Werkzeuge, Denken und Sprache

Das gesellschaftliche Zusammenleben mit seiner Folge, den sittlichen Trieben, ist eine Besonderheit, die den Menschen von einigen, aber nicht von allen Tieren unterscheidet. Dagegen gibt es einige andere Besonderheiten, die den Menschen scharf von der ganzen Tierwelt trennen, die nur ihm zukommen und keinem anderen Tier. Da ist zunächst die Sprache, dann das vernünftige Denken. Auch ist der Mensch das einzige Tier, das sich selbstgeschaffener Werkzeuge bedient. In allen diesen Punkten sind bei den Tieren erst Ansätze vorhanden, die sich aber bei den Menschen zu wesentlich neuen, charakteristischen Merkmalen entwickelt haben. Viele Tiere verfügen über eine Stimme und können sich durch verschiedene Laute verständigen. Aber nur der Mensch hat solche Laute als Bezeichnungen, als Namen für Handlungen und Dinge. Die Tiere haben auch ein Gehirn, womit sie denken; aber das menschliche Denken weist, wie wir noch sehen werden, einen ganz neuen Charakter auf, den wir mit dem Namen vernünftiges oder abstraktes Denken bezeichnen. Auch die Tiere bedienen sich lebloser Dinge aus ihrer Umgebung zu ihren Zwecken, z.B. zum Nest bauen; Affen gebrauchen mitunter Stöcke oder Steine; aber nur der Mensch benutzt Werkzeuge, die er absichtlich zu diesem Zwecke selbst hergestellt hat. Die primitiven Ansätze in der Tierwelt können uns die Überzeugung geben, dass der Mensch seine besonderen Merkmale nicht durch eine Wunderschöpfung, sondern durch eine allmähliche Entwicklung bekommen hat. Die Frage nach der Entwicklung jener ersten Spuren von Sprache, Denken und Werkzeuggebrauch zu dem neuen hervorragenden Charakter, den sie bei den Menschen tragen, enthält das eigentliche Problem der Menschwerdung des Tieres.

Dabei ist zuerst zu bemerken, dass der Mensch zu dieser Entwicklung nur als gesellschaftliches Tier fähig war. Alleinlebende Tiere wären dazu nicht imstande gewesen. Außerhalb einer Gesellschaft ist eine Sprache so nutzlos wie ein Auge im Dunkeln, und muss auf die Dauer verkümmern. Eine Sprache ist nur in einer Gesellschaft möglich und auch nur in einer Gesellschaft nötig als Verständigungsmittel für die Mitglieder. Alle Tiere, die gesellschaftlich zusammenleben, besitzen irgendwelche Verständigungsmittel, da sie sonst nicht nach gemeinsamem Plane handeln könnten. Bei den Urmenschen müssen sich dann die Verständigungslaute, die bei der gemeinsamen Arbeit nötig waren, allmählich zu Namen von Tätigkeiten und dann von Dingen entwickelt haben.

Auch der Werkzeuggebrauch erfordert eine Gesellschaft. Denn nur innerhalb einer Gesellschaft können die dazu nötigen Kenntnisse sich erhalten. Allein lebende Urmenschen müssten jeder für sich immer wieder aufs neue diesen Gebrauch erfinden; mit dem Tode des Erfinders würde die Erfindung erlöschen und jeder müsste von vorne anfangen. Nur in einer Gesellschaft können die Erfahrungen und Kenntnisse der vorigen Geschlechter erhalten bleiben, sich fortpflanzen und dadurch stetig zunehmen; denn von einer Gruppe, einem Stamme können die einzelnen Mitglieder sterben, aber das Ganze ist gleichsam unsterblich. Die Kenntnis des Werkzeuggebrauchs wird nicht angeboren, sondern erst später erlernt; daher ist eine geistige Tradition nötig, wie sie nur beim gesellschaftlichen Zusammenleben möglich ist.

Sind also die speziellen Merkmale des Menschen von seinem sozialen Leben unzertrennlich, so stehen sie auch miteinander im engsten Zusammenhang. Sie haben sich nicht jedes für sich, sondern gemeinsam entwickelt. Das Denken und Sprache nur zusammen bestehen und sich nur zusammen entwickeln konnten, muss jedem sofort einleuchten, der sich die Natur seines eigenen Denkens klar macht. Wenn wir mit Bewusstsein denken, also überlegen, reden wir eigentlich mit uns selbst; wir bemerken dann, dass wir ohne die Worte der Sprache gar nicht klar denken können. Wo wir nicht mit Worten denken, bleibt das Denken verschwommen, können wir nicht die einzelnen Gedanken scharf festhalten. Das kann jeder aus eigener Erfahrung wissen. Die Ursache liegt darin, dass das menschliche, sogenannte abstrakte, vernünftige Denken begriffliches Denken ist, mittels Begriffen stattfindet. Begriffe können wir aber nur durch Namen bezeichnen und festhalten. Jede Vertiefung des Denkens, jede Erweiterung des Wissens muss damit anfangen, durch Namen zu unterscheiden, neue Namen zu geben oder alten eine präzisere Bedeutung beizulegen. Die Sprache ist der Körper des Gedankens, das Material, womit allein die menschliche Wissenschaft sich aufbauen kann.

Der Unterschied zwischen dem menschlichen und dem tierischen Denken ist sehr treffend von Schopenhauer ausgedrückt in einem Zitat, das auch Kautsky in seinem schon erwähnten Werke (S. 95) anführt. Das Tier wird in seinen Handlungen bestimmt durch anschauliche Motive, durch das, was es sieht, hört, riecht oder sonstwie bemerkt. Deshalb kann man fast immer bei einer Handlung eines Tieres sehen und wissen, was es dazu veranlasste, denn wir bemerken es gleichfalls, wenn wir darauf achten. Bei dem Menschen ist es ganz anders. Bei ihm können wir nicht voraussagen, was er machen wird, denn die Motive, die ihn zum Handeln treiben, sind uns unsichtbar; es sind Gedanken in seinem Kopfe. Er überlegt mit sich selbst, wobei er sein ganzes Wissen, das Resultat früherer Erfahrungen verwendet, und diese Überlegung bestimmt seinen Entschluss, in dieser oder anderer Weise zu handeln. Das tierische Handeln wird durch unmittelbare Eindrücke, das menschliche durch abstrakte Vorstellungen, durch Gedanken und Begriffe bestimmt. Der Mensch „wird gleichsam von feineren, nicht sichtbaren Fäden gezogen; daher tragen alle seine Bewegungen das Gepräge des Vorsätzlichen und Absichtlichen, welches ihnen einen Anschein von Unabhängigkeit gibt, der sie augenfällig von denen des Tieres unterscheidet“.

Mensch und Tier werden beide durch ihre leiblichen Bedürfnisse dazu getrieben, deren Befriedigung durch die sie umgebenden Naturgegenstände zu suchen. Der Sinneseindruck ist der unmittelbare Antrieb und der Anfang, die Befriedigung das Ziel und das Ende der zweckmäßigen Handlung. Bei dem Tier folgt die Handlung unmittelbar auf den Eindruck; es sieht die Beute oder die Nahrung und unmittelbar folgt darauf das Zuspringen, das Ergreifen, das Essen oder diejenige Handlung (wie Heranschleichen), die durch die bestimmte Lebensweise notwendig zum Ergreifen ist und sich als Instinkt vererbte. Oder es hört ein feindliches Geräusch, und sofort ergreift es die Flucht oder duckt sich bewegungslos, um unerkannt zu bleiben, je nachdem sein Bau es auf das schnelle Laufen oder auf eine Schutzfarbe anweist. Bei dem Menschen schiebt sich zwischen den Sinneseindruck und die Handlung eine lange Kette von Gedanken und Überlegungen in seinem Kopf, und je nach dem Resultat der Überlegungen wählt er seine Handlung aus.

Woher stammt dieser Unterschied? Es ist nicht schwer, einzusehen, dass er aufs engste mit dem Gebrauch von Werkzeugen verbunden ist. So wie der Gedanke sich zwischen Sinneseindruck und Handlung schiebt, so schiebt sich das Werkzeug zwischen den Menschen und dass Objekt, das er ergreifen will. Noch mehr: weil sich ein Werkzeug zwischen ihn und das äußere Objekt schiebt, deshalb muss auch der Gedanke sich zwischen Empfindung und Ausführung schieben. Weil der Mensch nicht unmittelbar mit seinem Körper auf das Ziel, z.B. das feindliche Tier oder die Frucht, losstürzt, sondern einen Umweg nimmt, mit seiner Hand zuerst dass Werkzeug, die Waffe (Waffen gehören zu den Werkzeugen) ergreift und dann dieses Werkzeug auf die Frucht anwendet, diese Waffe gegen das Tier richtet, deshalb darf nicht in seinem Kopfe auf den Sinneseindruck sofort die erste Tat folgen, sondern auch der Geist muss einen Umweg nehmen, von dem Sinneseindruck sich zuerst auf das Werkzeug, die Waffe richten und von dort erst auf das Ziel kommen. Der materielle Umweg bedingt den geistigen Umweg; der hinzutretende Gedanke ist eine notwendige Folge des hinzutretenden Werkzeugs.

Hier ist der ganz einfache Fall eines primitiven Werkzeuges und der erst anfangenden Geistesentwicklung genommen. Je verwickelter die Technik, umso weiter der materielle Umweg, umso weiter muss auch der gedankliche Umweg werden. Werden die Werkzeuge selbst zuvor angefertigt, so muss die Erinnerung an Hunger und Kämpfe zu dem Gedanken des Werkzeugs, dieser zu dem Gedanken des Anfertigens führen, um es nachher zum Gebrauch fertig zu haben. Hier schiebt sich schon eine längere Kette von Gedanken zwischen Sinnesempfindung und schließlicher Befriedigung des Bedürfnisses ein. Kommt man schließlich zu den Handlungen der heutigen Menschen, so wird die Kette ungeheuer lang und verwickelt. Der Arbeiter, der gekündigt ist und deshalb den künftigen Hunger voraussieht, kauft sich eine Zeitung, um nachzusehen, wo eine neue Arbeit in Angriff genommen wird; er geht zur Bahn, bietet sich an, um erst viel später das Geld zu bekommen, wofür er sich Nahrung kauft. Das alles überlegt er sich zuerst in seinem Kopfe, bevor er es ausführt. Welch ein langer Umweg, den der Geist durch unendlich verschlungene Pfade hier macht, bevor es zur Tat kommt! Aber er stimmt mit dem verwickelten Getriebe unserer heutigen Wirtschaftsordnung überein, worin die Menschen sich erst durch eine hochentwickelte Technik die Befriedigung ihrer Bedürfnisse schaffen.

Hier haben wir also schon das, was Schopenhauer hervorhob, den verborgenen, sich im Kopfe abspinnenden Faden der Überlegung, die der Handlung vorangeht, als einen notwendigen Ausfluss des Werkzeuggebrauchs erfaßt. Aber damit ist das Wesentlichste noch unerwähnt geblieben. Der Mensch verfügt nicht über ein einziges Werkzeug, sondern über mehrere, die er verschieden anwenden und unter denen er wählen kann. Daher steht er mit seinem Werkzeug bewaffnet nicht mit dem Tiere gleich, denn das Tier bleibt immer mit denselben natürlichen Werkzeugen und Waffen ausgestattet, während der Mensch seine künstlichen Hilfsmittel auswechseln kann. Darin liegt der Hauptunterschied zwischen Mensch und Tier. Der Mensch ist gleichsam ein Tier mit auswechselbaren Organen. Und deshalb muss er auch das Vermögen besitzen, zwischen seinen Werkzeugen zu wählen. In seinem Kopfe verfolgt er verschiedene Gedankenreihen, worin er den Geist der Reihe nach auf jedes seiner Werkzeuge richtet und sieht, was dabei herauskommt; nach dem Resultat dieser Überlegung wählt er seine Handlung. Er passt gleichsam in der Gedankenkette, die vom Sinneseindruck zur Handlung führt, der Reihe nach verschiedene Gedanken als Wechselstücke hinein und hält schließlich denjenigen fest, der am besten zu dem Ziele passt. Das Überlegen, das freie Vergleichen einer Anzahl selbstgewählter Gedankenreihen miteinander, jenes wesentliche Unterscheidungsmerkmal zwischen dem tierischen und dem menschlichen Denken, ist unmittelbar mit dem Gebrauch willkürlich zu wählender Werkzeuge verbunden.

Das Tier hat dieses Vermögen nicht, weil es ihm nutzlos wäre, weil es nichts damit anzufangen wüsste. Dem Tiere sind durch seinen Körperbau seine Handlungen innerhalb sehr enger Grenzen vorgeschrieben. Der Löwe ist zum Bespringen seiner Beute angewiesen und kann nicht daran denken, sie durch rasches Laufen überholen zu wollen. Der Hase ist zum Fliehen gebaut und hat keine Waffen, wenn er sich auch noch so gern verteidigen möchte. Für diese Tiere gibt es also nichts zu überlegen, als nur den Moment des Sprunges oder des Davonlaufens, den Augenblick, worin die Eindrücke ein bestimmtes Maß erreichen, das zur Auslösung der Handlung nötig ist. Jedes Tier ist für eine einzige bestimmte Lebensweise gebaut; seine Taten müssen sich daran anpassen und haben sich daher zu festen Gewohnheiten, zu Instinkten vererbt. Natürlich sind diese nicht unveränderlich, das Tier ist keine Maschine; in andere Verhältnisse gebracht, nehmen die Tiere rasch neue Gewohnheiten an. Physiologisch, der Anlage nach, ist ihre Gehirntätigkeit nicht von der unsrigen verschieden. Sie ist es nur praktisch, dem Resultat nach. Nicht in der Qualität ihres Gehirns, sondern in ihrem Körper liegt ihre Verschiedenheit; ihre Handlungen sind ihnen durch ihren Körperbau und ihre Umgebung fest vorgeschrieben, die einer Überlegung nur einen kleinen Spielraum lassen. Deshalb wäre einem Tier das vernünftige Denken des Menschen ein völlig nutz- und zweckloses Vermögen, das es nicht anzuwenden wüsste und ihm mehr Schaden als Nutzen bringen würde.

Dagegen braucht der Mensch dieses Vermögen unbedingt, weil er über künstliche Werkzeuge und Waffen verfügt, die er je nach dem Bedarf auswechselt. Will er den schnellfüßigen Hirsch erlegen, so nimmt er den Bogen; tritt ihm der Bär entgegen, so ergreift er die Axt; will er eine Frucht zerschlagen, so nimmt er den Hammer. Wird er bedroht, so muss er sich überlegen, ob er besser flieht oder sich mit einer seiner Waffen zur Wehr stellt. Dem Menschen ist also das Vermögen, in seinem Kopfe frei zu überlegen und zu wählen, unumgänglich notwendig. Diese höhere Form der Geistestätigkeit gehört genau so zum Werkzeuggebrauch, der sich bei den Menschen allein vorfindet, wie die Geistestätigkeit überhaupt zu der freien Beweglichkeit der Tierwelt gehört.

Diese enge und feste Verknüpfung von Denken, Sprache und Werkzeugen, die ohne einander nicht möglich sind, beweist, dass sie sich alle gleichzeitig und zusammen allmählich entwickelt haben müssen. Wie diese Entwicklung in Einzelheiten vor sich gegangen ist, darüber können wir natürlich nur Vermutungen aufstellen. Zweifellos ist es eine Änderung der Lebensbedingungen gewesen, die aus einem affenähnliches Tier den Vorfahren des Menschen machte. Aus dem Wald, der Affenheimat, in die Ebene übersiedelnd, musste er dort eine neue Lebensweise annehmen, und musste sich der Unterschied zwischen den Füßen zum Laufen und den Händen zum Greifen entwickeln. Aus seiner Abstammung brachte dieses Wesen die zwei Grundbedingungen zum weiteren Aufstieg mit, das gesellschaftliche Zusammenleben und die Affenhand, die zum Erfassen von Gegenständen geeignet war. Die ersten rohen Gegenstände, die, wie Steine oder Stöcke, bei der gemeinsamen Arbeit dann und wann benutzt wurden, fielen gleichsam ohne Absicht den Menschen in die Hände und wurden wieder weggeworfen. Wiederholt sich dieser instinktive, unbewusste Gebrauch regelmäßig, so muss er allmählich zum Bewusstsein durchdringen.

Für das Tier ist die ganze es umgebende Natur ein Ganzes, von dessen Einzelheiten es sich nicht bewusst ist. Es kann sie nicht bewusst auseinanderhalten, weil ihm die Namen für die einzelnen Teile und Gegenstände fehlen, die uns die Unterscheidung ermöglichen. Sie ist nicht unveränderlich; auf die Änderungen, die für das Tier „Nahrung“ oder „Gefahr“ bedeuten, reagiert es zweckmäßig durch eigene Handlungen; aber sie bleibt ein ungeteiltes Ganzes, und so muss sie auch den Urmenschen erschienen sein. Aus dieser Masse heben sich nun durch die Arbeit selbst, die den wichtigsten Lebensinhalt bildet, allmählich die Dinge heraus, die dabei verwendet werden. Das Werkzeug, das bald gleichgültiges totes Stück Außenwelt ist, bald wie ein Organ unseres Körpers selbst, von unserem Willen beseelt, handelt, fällt sowohl außerhalb der Außenwelt wie des eigenen Körpers, die ihm beide unbemerkte Selbstverständlichkeiten sind. Es bekommt als wichtiges Glied in der Arbeit eine Bezeichnung, einen Laut, der auch die Tätigkeit selbst bezeichnet, und durch diesen Namen sticht es noch klarer als besonderes Ding aus der umgebenden Welt hervor. Das Zergliedern der Welt durch Begriffe und Namen fängt an, das Selbstbewusstsein dämmert auf, die künstlichen Gegenstände werden mit Absicht und Bewusstsein bei der Arbeit angewandt.

Dieser Prozess – denn es ist ein äußerst langsamer Prozess – ist der Anfang der eigentlichen Menschwerdung. Denn sobald die Werkzeuge bewusst angewandt und deshalb absichtlich gesucht werden, kann man schon sagen, dass sie „produziert“ werden; von da bis zu ihrer Bearbeitung ist nur ein Schritt. Mit den ersten Namen und den ersten abstrakten Gedanken ist prinzipiell der Mensch schon da. Es bleibt dann noch ein langer Weg übrig: die ersten rohen Werkzeuge differenzieren sich nach dem Gebrauch; aus dem scharfen Stein wird Messer, Keil, Bohrer, Speerspitze; aus der Verbindung mit dem Stock wächst allmählich die Axt hervor. Damit erst ist der wilde Urmensch dem Raubtier wie dem Wald gewachsen und zeigt er sich als künftiger Erdenkönig an. Mit der Differenzierung des Werkzeuges, die die Bedingung zur späteren Arbeitsteilung bildet, entwickelt sich auch die Sprache und dass Denken zu neuen reicheren Formen, während das bewusstere Denken umgekehrt zum zweckmäßigeren Gebrauch und zur Verbesserung der Werkzeuge führt.

So treiben sie einander vorwärts. Die Praxis des gesellschaftlichen Lebens, die Arbeit, ist die Urquelle, aus der Technik und Denken, Werkzeug und Wissenschaft emporwachsen und sich stetig vervollkommnen. Durch seine Arbeit hat sich der Affenmensch zum wirklichen Menschen emporgehoben. Der Werkzeuggebrauch ist die materielle Grundlage des ganzen großen Unterschiedes, der sich zwischen dem Menschen und den Tieren immer mehr ausprägt.

Tierorgan und Menschenwerkzeug

Hier haben wir also den Hauptunterschied zwischen Menschen und Tieren. Das Tier erwirbt seine Nahrung und bekämpft seine Feinde mit seinen eigenen Leibesorganen, der Mensch macht dasselbe mit künstlichen Werkzeugen. Organ (Organon) ist ein griechisches Wort, das auch Werkzeug bedeutet. Die Organe sind die natürlichen, angewachsenen Werkzeuge des Tieres. Die Werkzeuge sind die künstlichen Organe des Menschen. Oder besser noch: mit dem tierischen Organ stimmt als gleichwertiges menschliches Organ die Hand und das Werkzeug zusammen überein. Diese beiden teilen sich die Funktion, die das tierische Organ als einzelnes erfüllen muss. Die Hand wird zum Generalorgan, das keiner einzigen Arbeit speziell angepasst ist, weil es für alle zusammen dient, weil es sich nur zum Festhalten und Handhaben aller Werkzeuge ausbildet. Die Werkzeuge sind die äußeren Dinge, die abwechselnd in die Hand genommen werden und sie dadurch zu einem wechselnden Organ mit wechselnden Funktionen machen.

Mit dieser Funktionsteilung wird dem Menschen eine unendliche Entwicklungsmöglichkeit geöffnet, die das Tier nicht kennt. Weil die Hand sich mit den verschiedensten Werkzeugen zu einem Ganzen verbinden kann, steht es allen möglichen Organen der verschiedensten Tiere gleich. Jedes Tier ist für eine bestimmte Umgebung, für eine bestimmte Lebensweise gebaut und ihnen angepasst. Der Mensch mit seinen Werkzeugen ist allen Verhältnissen angepasst, ist für jede Umgebung gerüstet. Das Pferd ist für die Grasebene, der Affe für den Wald gebaut; das Pferd ist im Walde genau so hilflos wie der Affe auf der Ebene. Der Mensch nimmt im Walde die Axt und auf der Ebene den Spaten zur Hand. Mit seinen künstlichen Hilfsmitteln kann er in jede Gegend eindringen und sich überall ansiedeln. Während fast alle Tiere nur in bestimmten Gegenden wohnen können, hat der Mensch die ganze Erde erobert. Jedes Tier hat, wie ein Tierkenner sich einmal ausdrückte, seine Stärke, wodurch es sich im Daseinskampfe behauptet, und seine Schwäche, wodurch es anderen zum Opfer fällt und sich nicht unbedingt vermehren kann. In diesem Sinne hat der Mensch nur Stärke und keine Schwäche. Durch seine Werkzeuge steht er jedem Tiere gleich, und da das Werkzeug sich nicht gleich bleibt, sondern immer verbessert werden kann, wächst der Mensch schließlich über jedes Tier empor. Sein Werkzeug macht ihn zum Herrn der Schöpfung, zum König der Erde.

In der Tierwelt findet auch eine stetige Entwicklung und Vervollkommnung der Organe statt. Aber diese Entwicklung ist an die Umänderung des Tierkörpers gebunden und findet daher mit der unendlichen Langsamkeit statt, die die biologischen Gesetze vorschreiben. Jahrtausende gelten in der Entwicklung der organischen Welt nichts. Aber die Menschen haben sich aus dem Zwange dieser biologischen Gesetze befreit, indem sie die Entwicklung ihrer Organe auf tote Gegenstände außerhalb ihres Körpers verlegten. Die Werkzeuge können rasch umgebildet werden, die Technik schreitet mit einer Schnelligkeit vorwärts, die im Vergleich zum Entwicklungstempo der tierischen Organe ungeheuer ist. Daher hat sich die Menschheit von dem Augenblick an, als sie diese neuen Bahnen einschlug, in wenigen Jahrtausenden zu einer Höhe erhoben, die sie gleich weit über die höchsten Tiere stellt, wie diese über den niedrigsten stehen. Mit der Erfindung der künstlichen Werkzeuge wird gleichsam aller tierischen Weiterentwicklung auf einmal ein Ziel gesetzt, da in einem kurzen Zeitraume diese Affenabkömmlinge sich plötzlich zu Götterkraft emporschwingen und die ganze Erde als ihre ausschließliche Domäne in Besitz nehmen. Die ruhige Entwicklung der organischen Welt im Darwinschen Sinne hört plötzlich auf; seitdem der Mensch zähmend, ausrottend, kultivierend, züchtend eingreift und alle Lebensbedingungen auf Erden umwälzt, bestimmt und gestaltet er die weiteren Formen des Tier- und Pflanzenlebens nach seinen Zwecken und seinem Willen.

Daher hört mit der Entstehung der Werkzeuge auch die weitere Umbildung des menschlichen Körpers auf. Die Organe bleiben, was sie bis jetzt geworden waren, mit einer einzigen Ausnahme. Das Gehirn, das Organ des Denkens, musste sich mit den Werkzeugen zusammen entwickeln; und wir sehen auch in der Tat, dass der Unterschied zwischen höheren und niederen Menschenrassen hauptsächlich in einem Unterschied des Gehirninhaltes besteht. Aber auch die Entwicklung dieses Organs hörte auf einer gewissen Stufe auf. Seit dem Anfang der Zivilisation wird die Funktion des Gehirns immer mehr von künstlichen Hilfsmitteln übernommen; die Wissenschaft wird in Büchern aufgespeichert. Unser Denkvermögen ist heute nicht wesentlich besser und höher als das der Griechen und Römer und vielleicht der Germanen; aber unser Wissen ist ungeheuer gewachsen, nicht am wenigsten dadurch, dass das Organ des Geistes durch seine künstlichen Stellvertreter, die Bücher, entlastet wurde.

Kehren wir jetzt, da wir den Unterschied zwischen Mensch und Tier festgestellt haben, zu der Frage zurück, wie sich bei beiden der Kampf ums Dasein gestaltet. Der Kampf ums Dasein ist Ursache der Vervollkommnung, da das Unvollkommene ausgemerzt wird. An diesem Prinzip ist nicht zu rütteln. Die Tiere werden durch diesen Kampf immer vollkommener. Hier ist es aber nötig, sich genauer auszudrücken und zu sehen, worin diese wachsende Vollkommenheit besteht. Und dann kann man eigentlich nicht sagen, dass die ganzen Tiere im Wettkampfe miteinander liegen nur vollkommener werden. Sie kämpfen und konkurrieren mit ihren Organen, mit jenen Organen, worauf es im Kampfe des Lebens für sie ankommt.

Die Löwen kämpfen nicht mit dem Schwanz, die Hasen nicht mit den Augen, die Falken nicht mit dem Schnabel, sondern die Löwen kämpfen mit ihren Springmuskeln und Zähnen, die Hasen mit ihren Pfoten und Ohren, die Falken mit ihren Augen und Flügeln. Fragen wir also: was kämpft, was führt den Wettkampf? Dann ist die Antwort: die Organe kämpfen. Und diese Organe werden dabei immer vollkommener. Die Muskeln und Zähne der Löwen, die Pfoten und Ohren der Hasen, die Augen und die Flügel der Falken führen den Konkurrenzkampf, und sie werden durch diesen Kampf vervollkommnet. Die ganzen Tiere sitzen bloß an diesen Organen fest und erleiden ihr Schicksal, das des siegenden Starken oder des besiegten Schwachen mit.

Stellen wir nun in derselben Weise die Frage für die Menschenwelt. Die Menschen kämpfen nicht mit ihren natürlichen Leibesorganen, sondern mit ihren künstlichen Organen, mit ihren Werkzeugen (worunter wir wie immer natürlich auch die Waffen verstehen). Das Prinzip, dass durch die Ausmerzung des Unvollkommenen der Kampf zur stetigen Vervollkommnung führt, gilt auch hier: Die Werkzeuge kämpfen, und die Werkzeuge werden dabei immer vollkommener. Diejenigen Gruppen oder Stämme, die über die besten Werkzeuge und Waffen verfügen, können sich am besten einen genügenden Lebensunterhalt sichern und im direkten Kampfe die minder gut gerüsteten Stämme besiegen und ausrotten. Die großen Fortschritte der Technik und der Arbeitsmethoden in der Urzeit, wie vor allem die Einführung des Ackerbaues und der Viehzucht machen den Menschen zu einer körperlich kräftigeren Rasse, die von der Unbill der Naturereignisse nicht mehr so schlimm zu leiden hat. Die Rassen, deren technischen Hilfsmittel am höchsten entwickelt sind, verdrängen die anderen, sichern sich die günstigsten Länder, steigen zur Zivilisation empor und unterwerfen alle anderen. Die Herrschaft der europäischen Rasse beruht auf ihrer technischen Überlegenheit.

Hier sehen wir also, wie dasselbe Grundprinzip des Kampfes ums Dasein, das Darwin formulierte und Spencer betonte, bei Mensch und Tier verschieden wirkt. Das Prinzip, dass der Kampf zu einer Vervollkommnung der Waffen führt, womit gekämpft wird, erzeugt bei Mensch und Tier verschiedene Resultate. Bei dem Tier führt er zu einer stetigen Entwicklung der natürlichen Leibesorgane; dies ist die Grundlage der Abstammungslehre, der Kern des Darwinismus. Bei dem Menschen führt er zu einer stetigen Entwicklung der Werkzeuge, der Technik, der Produktivkräfte. Dies ist aber die Grundlage des Marxismus.

Hier stellt sich nun heraus, dass Marxismus und Darwinismus nicht zwei unabhängige Lehren sind, deren jede auf ihrem eigenen Gebiet gilt, die aber miteinander nichts zu tun haben. Sie kommen in Wirklichkeit auf dasselbe Grundprinzip hinaus. Sie bilden eine Einheit. Die neue Richtung, die mit der Entstehung des Menschen eingeschlagen wird, die Ersetzung der natürlichen Organe durch künstliche Werkzeuge, bewirkt, dass dieses Grundprinzip sich in der Menschenwelt in ganz anderer Weise als in der Tierwelt äußert, dass dort der Darwinismus, hier der Marxismus das Entwicklungsgesetz bestimmt.

Von dem Augenblick an, wo die Menschen sich aus der Tierwelt erheben, wird die Entwicklung der Werkzeuge und die damit zusammengehende Entwicklung der Arbeitsmethoden, der Arbeitsteilung und des Wissens, zur Triebkraft der gesellschaftlichen Entwicklung. Sie erzeugt die verschiedenen Wirtschaftsweisen: die kommunistische Urgesellschaft, die bäuerliche Wirtschaft, die Anfänge der Warenproduktion, den mittelalterlichen Feudalismus und schließlich den modernen Kapitalismus. Es bleibt jetzt noch übrig, die heutige Produktionsweise und ihre Umwälzung in tiefem Zusammenhange zu betrachten und die darwinistischen Prinzipien in der richtigen Weise darauf anzuwenden.

Kapitalismus und Sozialismus

Die besondere Gestalt, die der Darwinsche Kampf ums Dasein als Triebkraft der Entwicklung in der Menschenwelt annimmt, wird durch das gesellschaftliche Zusammenleben und durch den Werkzeuggebrauch bestimmt. Die Menschen führen den Kampf gemeinsam in Gruppen; innerhalb der Gruppe hört der gegenseitige Kampf ums Dasein auf und treten gegenseitige Hilfe und soziale Gefühle auf, während zwischen den Gruppen noch immer der Kampf herrscht. Und in diesem Kampfe entscheidet die technische Ausrüstung, so dass er einen Fortschritt der Technik zum Resultat hat. Diese beiden Umstände wirken unter verschiedenen Wirtschaftsordnungen in verschiedener Weise; sehen wir jetzt, in welcher Weise sie unter dem Kapitalismus wirken.

Als die Bourgeoisie die politische Macht eroberte und damit die kapitalistische Wirtschaftsordnung zur herrschenden machte, fing sie damit an, dass sie die feudalen Fesseln zerschlug und die Menschen frei machte. Das war für den Kapitalismus notwendig; jeder Produzent musste ohne irgendwelches Band, das seine Bewegungsfreiheit einschränkte, ohne irgendwelche Rücksicht auf korporative Pflichten, ohne irgendwelche Hemmnisse durch gesetzliche Vorschriften, ganz nach freiem Ermessen an dem Wettkampf der Konkurrenz teilnehmen können; nur dadurch war es möglich, die Produktion allen Anforderungen entsprechend zu entwickeln. Die Arbeiter mussten nicht durch irgendwelche feudalen oder zünftigen Pflichten in der freien Verfügung über ihre volle Arbeitskraft eingeschränkt sein; nur dadurch konnten sie sie den Kapitalisten als ganze Ware verkaufen und konnten diese sie voll ausnutzen. Deshalb hob die Bourgeoisie alle alten Verbände und alten Pflichten auf. Sie machte die Menschen völlig frei, aber damit auch völlig einsam und schutzlos. Vorher waren die Menschen nicht einsam; sie gehörten irgendwelcher Korporation an; sie standen unter dem Schutze eines Herrn oder eines Verbandes und fanden darin Kraft. Sie bildeten einen Teil einer gesellschaftlichen Gruppe, gegen die sie Pflichten hatten und von der sie dafür Schutz erhielten. Diese Pflichten hob die Bourgeoisie auf, sie zerstörte die Korporationen und schaffte die feudalen Abhängigkeitsverhältnisse ab. Die Befreiung der Arbeit bedeutete zugleich, dass dem Menschen jede Zuflucht bei seinen Mitmenschen genommen wurde, dass er sich nicht mehr auf andere stützen konnte; jeder wurde völlig auf sich selbst gestellt; allein gegen alle musste er den Kampf führen, von jedem Band und von jedem Schutze los.

Daher kommt es, dass unter dem Kapitalismus die Menschenwelt am meisten der Welt der Raubtiere ähnelt. Daher kommt es, dass die Bourgeois-Darwinisten bei den einsam kämpfenden Tieren ihre Vorbilder für die Menschengesellschaft suchten; sie gingen dabei in der Tat von der Erfahrung aus, und ihr Fehler bestand nur darin, dass sie die kapitalistischen Verhältnisse für die ewig menschlichen ansahen. Die Verwandtschaft der besonderen kapitalistischen Kampfesverhältnisse mit denen der alleinlebenden Tiere hat Engels in der historischen Darstellung in seinem Anti-Dühring in dieser Weise ausgedrückt (S. 293):

„Die große Industrie endlich und die Herstellung des Weltmarktes haben den Kampf universell gemacht und gleichzeitig ihm eine unerhörte Heftigkeit gegeben. Zwischen einzelnen Kapitalisten wie zwischen ganzen Industrien und ganzen Ländern entscheidet die Gunst der natürlichen oder geschaffenen Produktionsbedingungen über die Existenz. Der Unterliegende wird schonungslos beseitigt. Es ist der Darwinsche Kampf ums Einzeldasein, aus der Natur mit potenzierter Wut übertragen in die Gesellschaft. Der Naturstandpunkt des Tieres erscheint als Gipfelpunkt der menschlichen Gesellschaft.“

Was ist es nun, was in dieser kapitalistischen Konkurrenz eigentlich kämpft und dessen Vollkommenheit über den Sieg entscheidet?

Zuerst wieder die technischen Hilfsmittel, die Maschinen. Hier betätigt sich wieder das allgemeine Gesetz, dass der Kampf zur Vervollkommnung führt. Die vollkommenere Maschine schlägt die unvollkommene; die leistungsunfähigen Maschinen und kleinen Werkzeuge gehen zugrunde und die Maschinentechnik entwickelt sich mit Riesensehritten zur immer größeren Produktivität. Das ist die richtige Anwendung des Darwinismus auf die menschliche Gesellschaft. Das Besondere ist dabei, dass unter dem Kapitalismus das Privateigentum herrscht und daher an jeder Maschine ein Mensch festsitzt. An der großen Maschine sitzt ein Großkapitalist fest, an der kleinen ein Kleinbürger, und mit der Niederlage der kleineren Maschine geht auch der Kleinbürger zugrunde, mit all seinen Hoffnungen und all seinem Lebensglück.

Daneben ist der Kampf ein Wettkampf der Kapitalien. Das Großkapital ist das vollkommenste Kapital; das Großkapital schlägt das kleinere und daher werden die Kapitalien immer größer. Diese Konzentration des Kapitals untergräbt immer mehr den Kapitalismus selbst, denn sie verringert die Bourgeoisie, die Interesse an seiner Erhaltung hat, und vergrößert die Volksmasse, die ihn aufheben will.

In dieser Entwicklung wird nun schon einer der Charaktere des Kapitalismus allmählich aufgehoben. Die Arbeiterklasse entwickelt in der Welt der einsam, jeder für sich kämpfenden Menschen einen neuen Verband, den Klassenverband. Die Koalitionen fangen damit an, den gegenseitigen Konkurrenzkampf der Arbeiter auszuschalten und ihre Kräfte zum gemeinsamen Kampf nach außen zu vereinigen. Für diese neue, aus den natürlichen Verhältnissen entspringende Klassenorganisation gilt alles, was für die gesellschaftlichen Gruppen im allgemeinen ausgeführt wurde. In ihnen wachsen die sozialen Triebe, die sittlichen Gefühle, die Selbstaufopferung und die Hingabe für das Ganze in glänzender Weise empor. Und dieser feste Zusammenhalt gibt der Arbeiterklasse die gewaltige Kraft, die sie zur Besiegung der Kapitalistenklasse braucht. Der Klassenkampf, der kein Kampf mit Werkzeugen, sondern ein Kampf um die Werkzeuge ist, ein Kampf um die Verfügungsgewalt über die technische Ausrüstung der Menschheit, wird durch die Macht des organisierten Handelns, durch die Kraft der neu aufgewachsenen Klassenorganisation entschieden. In der organisierten Arbeiterschaft wächst schon ein Element der sozialistischen Gesellschaft empor.

Wenden wir jetzt denselben Gedankengang auf die kommende Produktionsordnung, auf den Sozialismus an. Der zur Vervollkommnung führende Wettkampf der Werkzeuge, der die ganze Geschichte der Menschheit beherrscht, hört hier nicht auf. Noch immer wird, genau so wie unter dem Kapitalismus, die schlechtere Maschine durch die bessere aus dem Felde geschlagen und beseitigt; noch immer führt dieser Prozess zu einer raschen Steigerung der Produktivität der Arbeit. Da aber der Privatbesitz der Produktionsmittel aufgehört hat, sitzt nicht mehr an jeder Maschine ein Mensch fest, der sie sein Eigen nennt und ihr Los teilt. Die Maschinen sind Gemeineigentum und ihr Wettkampf ist jetzt nur noch ein harmloser Prozess, der bewusst von den Menschen vollzogen wird, die nach vernünftiger Überlegung einfach die schlechteren Maschinen durch bessere ersetzen. Es ist also eigentlich nur im übertragenen Sinne, wenn wir diesen Fortschritt als einen Kampf bezeichnen. Dabei nimmt zugleich der gegenseitige Kampf der Menschen gegen Menschen ein Ende. Mit der Beseitigung der Klassen wird die ganze zivilisierte Menschheit zu einer einzigen großen solidarischen Produktionsgemeinschaft. Dafür gilt dasselbe, was für jede gesellschaftliche Gruppe gilt: in ihr hört der gegenseitige Kampf ums Dasein auf; dieser wird nur noch nach außen geführt. Aber an Stelle der früheren kleinen Gruppen ist jetzt die ganze Menschheit getreten. Das bedeutet also, dass der Kampf ums Dasein innerhalb der Menschenwelt aufhört. Er wird nur noch nach außen geführt, nicht mehr als Wettkampf gegen Artgenossen, sondern als Kampf um den Lebensunterhalt gegen die Natur. Aber die Entwicklung der Technik und der damit zusammengehenden Wissenschaft bewirkt, dass dieser Kampf kaum noch ein Kampf zu nennen ist. Die Natur ist den Menschen untertan geworden und bietet ihnen mit leichter Mühe einen sicheren, überflüssigen Lebensunterhalt. Damit tritt die Entwicklung der Menschheit in neue Bahnen; die Periode, worin sie sich allmählich aus der Tierwelt emporhob und den Kampf ums Dasein in eigenen, durch den Werkzeuggebrauch bestimmten Formen führte, nimmt ein Ende; die menschliche Form des Kampfes ums Dasein hört auf; ein neuer Abschnitt der menschlichen Geschichte fängt an.

Anmerkung von Pannekoek

*) Kropotkin weist darauf hin, dass zuerst die russischen Schüler Darwins diesen Faktor der gegenseitigen Hilfe hervorhoben, und er führt dies darauf zurück, dass sie die beste Gelegenheit hatten, das Tierleben auf den weiten Steppen zu beobachten. Die Hauptursache wird jedoch darin zu suchen sein, dass in Russland die kapitalistische Konkurrenz, die in Westeuropa den Kampf von allen gegen alle zu einer jedem geläufigen Idee machte, noch nicht das Leben beherrschte und der Geist des Dorfkommunismus, der aus der gegenseitigen Hilfe beruht, die Vorstellungen der russischen Gesellschaftskreise noch stark beeinflusste. Der Mensch sieht immer die Natur durch die Brille seiner eigenen gesellschaftlichen Verhältnisse.


© Obgleich die Kommunistische Linke im Allgemeinen keine Urheberrechte bzw. „intellektuelle Eigentumsrechte“ für sich eingefordert hat, können einige Veröffentlichungen auf dieser Webseite urheberrechtlich geschützt sein. In diesem Fall steht ihr Gebrauch nur zum Zweck persönlichen Nachschlags frei. Ungeschütztes Material kann für nicht-kommerzielle Zwecke frei und unentgeltlich verbreitet werden. Wir sind Ihnen erkenntlich für Ihren Quellenhinweis und Benachrichtigung. Bei beabsichtigter kommerzieller Nutzung bitten wir um Kontaktaufnahme.


x. Niederländisch: Niet, dat het proletariaat het Darwinisme vijandig gezind was. Integendeel; de woordvoerders van het proletariaat, de socialisten Marx en Engels in de eerste plaats, hadden de theorie van Darwin met de levendigste belangstelling begroet, en de socialistische arbeiders bestudeerden het Darwinisme met de grootste ijver, omdat zij er een steun voor hun eigen leer in zagen.


Compiled by Vico, 26 Mai 2018, corrected by Felix, 10 July 2018



















Übersicht